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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] Personen, die vornehm aussehen. Auch an der Table
d'hote stellte sich das heraus. Weder Gestalt, noch Be-
nehmen und Kleidung ließ uns in den Mitspeisenden Per-
sonen von Bedeutung vermuthen. Rorschach ist ein kleiner
Ort, hart am Seeufer gelegen, im Rücken durch hohe
Berge gedeckt. Auch hier herrscht bedeutender Wohlstand.
Die Dampfboote legen bis jetzt nicht so häufig hier an,
als an andern Punkten, weil die Reisenden meist von
Lindau nach Romanshorn fahren und von dort mit der
Eisenbahn nach Zürich gehen; sobald aber das Stückchen
Eisenbahn von Rorschach nach St. Gallen fertig seyn
wird, wählt man sicher den kürzeren Weg hieher. Außer-
dem ist noch eine große Bahn von hier über Rheineck und
Chur nach Jtalien im Werk, die dann die Weiterreise
nach dem Süden wesentlich erleichtert.

Die Gäste, die sich hier dauernd aufhalten, sind
größtentheils Bayern und Schweizer. Was man auf der
andern Seite des Sees kaum kennt, die sogenannten
Pensionen, treten hier in's Leben. Wir bezogen eine solche
"im Bade," ein Gasthof, der zugleich eine Molkenkur und
warme Bäder gewährt; doch konnten wir nur zwei Tage
verweilen. Es ist eine eigene Sache um ein solches plötz-
liches Eintreten in einen Kreis ganz fremder Personen,
deren Sitten und Gebräuche von den unsrigen himmel-
weit verschieden sind. Die Küche war über alle Begriffe
schlecht. Eine Art Gerstenschleim stellte die Suppe vor,
und als jeder Gast, nachdem er seinen Teller geleert, den
Löffel tüchtig ableckte und zur weiteren Verwendung ne-
ben sich hinlegte, da hatten meine englischen Reisege-
fährten ihr Todesurtheil gefällt. -- Wir bezogen eine
Privatwohnung, theuer zwar, aber luftig und sehr rein-
lich. Alle Lebensbedürfnisse, die man hier bezieht, sind
gut, aber in hohem Preise. Das Weißbrod ist vortreff-
lich, selbst in England hat man es nicht besser; die Butter
ist köstlich, Thee führen wir selbst mit, nur der Kaffee
ist überall schlecht, und da er nicht gut zu bekommen ist,
so haben wir ihn aufgegeben. -- Wir wohnen bei einem
Bezirksamman, dessen Töchter uns selbst bedienen und
sehr gut und freundlich für uns sorgen. Mittags speisen
wir im Hirsch oder im Schiff, entweder um halb ein an
der Table d'hote oder später a la carte.

Die Promenaden um Rorschach sind höchst anmuthig
und bieten den reichsten Wechsel. Die Gegend ist reich
an Waldungen und schönen Wiesen, durch die mannig-
[Spaltenumbruch] faltig kleine Waldbäche rauschen, Landhäuser, Klöster
und alte Schlösser treten abwechselnd als bedeutende
Punkte hervor. Das Volk ist katholisch und an heiligen
Bildern und Kapellen fehlt es nicht. Der Fremde wird
hier auf jedem Schritt geprellt und die Polizei stellt sich
auf die Seite der Bewohner. Eine Taxe herrscht nicht,
alles ist in das Belieben des Fordernden gestellt. Jeder
führt ein Reisebuch mit sich, und Bädekers Schweiz ist
die beliebte Autorität, die man in allen Händen sieht;
aber freilich wird diese Autorität hier nicht anerkannt.
Wir gehen in einen Gasthof, wo das Zimmer anderthalb
Franken kosten soll, und auf der Rechnung stehen dritte-
halb, wir fragen nach dem warum und erhalten ein
Achselzucken zur Antwort. Gefällig, freundlich, verbind-
lich ist hier niemand, man darf sich nur auf sich selbst
verlassen; eine Auskunft über etwas zu erhalten, ist
sehr schwer, und erhält man sie, so darf man erwarten,
daß sie dem Vortheile desjenigen entspricht, an den
man eine Frage gestellt hat. Die garstige Eigen-
schaft des Mißtrauens wächst hier auf jedem Schritte.
Engländer finden auch hieher ihren Weg, aber nicht zu
ihrer Zufriedenheit. Sie haben ewig Streit, schelten
und schimpfen den ganzen Tag, und werfen alle Schuld
der Prellereien auf die Republik. " I hate the Swiss,"
ist ihr drittes Wort. Wäre der See nicht mit seiner
herrlichen Fläche, die wie ein klarer Spiegel zwischen
den schönen Ufern ruht, so würde nichts sie hier festzu-
halten vermögen; aber diese herrliche klare Fluth, auf
der sie sich gemächlich wiegen, in die sie sich zu jeder
Stunde tauchen und ihre Angelruthe senken können, er-
setzt ihnen vieles. Wenn die Sonne sich purpurn am
Horizonte senkt, und die kleinen rippelnden Wellen in
rothem Goldglanze schillern, während im Osten ein grauer
Nachtschatten sich bleiern auf die Oberfläche des Wassers
legt und den schönsten Contrast der Färbungen hervor-
ruft, dann ist es so anmuthig hier, dann herrscht ein
solcher Friede um uns, daß man wahrhaft ausruht und
der Genuß des Auges, das nimmer gesättigt wird, ohne
doch je müde zu werden, jenes Behagen des dolce far
niente
hervorruft, das wir in unserem Norden gar nicht
kennen lernen. Fünf Mächte besitzen ein pied a terre
am Bodensee, und jede derselben rühmt sich eines so schö-
nen Punktes, daß keine die andere zu beneiden hat.

[Ende Spaltensatz]


Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
Druck der Buchdruckerei der J. G. Cotta' schen Buchhandlung in Stuttgart.

[Beginn Spaltensatz] Personen, die vornehm aussehen. Auch an der Table
d'hote stellte sich das heraus. Weder Gestalt, noch Be-
nehmen und Kleidung ließ uns in den Mitspeisenden Per-
sonen von Bedeutung vermuthen. Rorschach ist ein kleiner
Ort, hart am Seeufer gelegen, im Rücken durch hohe
Berge gedeckt. Auch hier herrscht bedeutender Wohlstand.
Die Dampfboote legen bis jetzt nicht so häufig hier an,
als an andern Punkten, weil die Reisenden meist von
Lindau nach Romanshorn fahren und von dort mit der
Eisenbahn nach Zürich gehen; sobald aber das Stückchen
Eisenbahn von Rorschach nach St. Gallen fertig seyn
wird, wählt man sicher den kürzeren Weg hieher. Außer-
dem ist noch eine große Bahn von hier über Rheineck und
Chur nach Jtalien im Werk, die dann die Weiterreise
nach dem Süden wesentlich erleichtert.

Die Gäste, die sich hier dauernd aufhalten, sind
größtentheils Bayern und Schweizer. Was man auf der
andern Seite des Sees kaum kennt, die sogenannten
Pensionen, treten hier in's Leben. Wir bezogen eine solche
„im Bade,“ ein Gasthof, der zugleich eine Molkenkur und
warme Bäder gewährt; doch konnten wir nur zwei Tage
verweilen. Es ist eine eigene Sache um ein solches plötz-
liches Eintreten in einen Kreis ganz fremder Personen,
deren Sitten und Gebräuche von den unsrigen himmel-
weit verschieden sind. Die Küche war über alle Begriffe
schlecht. Eine Art Gerstenschleim stellte die Suppe vor,
und als jeder Gast, nachdem er seinen Teller geleert, den
Löffel tüchtig ableckte und zur weiteren Verwendung ne-
ben sich hinlegte, da hatten meine englischen Reisege-
fährten ihr Todesurtheil gefällt. — Wir bezogen eine
Privatwohnung, theuer zwar, aber luftig und sehr rein-
lich. Alle Lebensbedürfnisse, die man hier bezieht, sind
gut, aber in hohem Preise. Das Weißbrod ist vortreff-
lich, selbst in England hat man es nicht besser; die Butter
ist köstlich, Thee führen wir selbst mit, nur der Kaffee
ist überall schlecht, und da er nicht gut zu bekommen ist,
so haben wir ihn aufgegeben. — Wir wohnen bei einem
Bezirksamman, dessen Töchter uns selbst bedienen und
sehr gut und freundlich für uns sorgen. Mittags speisen
wir im Hirsch oder im Schiff, entweder um halb ein an
der Table d'hote oder später à la carte.

Die Promenaden um Rorschach sind höchst anmuthig
und bieten den reichsten Wechsel. Die Gegend ist reich
an Waldungen und schönen Wiesen, durch die mannig-
[Spaltenumbruch] faltig kleine Waldbäche rauschen, Landhäuser, Klöster
und alte Schlösser treten abwechselnd als bedeutende
Punkte hervor. Das Volk ist katholisch und an heiligen
Bildern und Kapellen fehlt es nicht. Der Fremde wird
hier auf jedem Schritt geprellt und die Polizei stellt sich
auf die Seite der Bewohner. Eine Taxe herrscht nicht,
alles ist in das Belieben des Fordernden gestellt. Jeder
führt ein Reisebuch mit sich, und Bädekers Schweiz ist
die beliebte Autorität, die man in allen Händen sieht;
aber freilich wird diese Autorität hier nicht anerkannt.
Wir gehen in einen Gasthof, wo das Zimmer anderthalb
Franken kosten soll, und auf der Rechnung stehen dritte-
halb, wir fragen nach dem warum und erhalten ein
Achselzucken zur Antwort. Gefällig, freundlich, verbind-
lich ist hier niemand, man darf sich nur auf sich selbst
verlassen; eine Auskunft über etwas zu erhalten, ist
sehr schwer, und erhält man sie, so darf man erwarten,
daß sie dem Vortheile desjenigen entspricht, an den
man eine Frage gestellt hat. Die garstige Eigen-
schaft des Mißtrauens wächst hier auf jedem Schritte.
Engländer finden auch hieher ihren Weg, aber nicht zu
ihrer Zufriedenheit. Sie haben ewig Streit, schelten
und schimpfen den ganzen Tag, und werfen alle Schuld
der Prellereien auf die Republik. » I hate the Swiss
ist ihr drittes Wort. Wäre der See nicht mit seiner
herrlichen Fläche, die wie ein klarer Spiegel zwischen
den schönen Ufern ruht, so würde nichts sie hier festzu-
halten vermögen; aber diese herrliche klare Fluth, auf
der sie sich gemächlich wiegen, in die sie sich zu jeder
Stunde tauchen und ihre Angelruthe senken können, er-
setzt ihnen vieles. Wenn die Sonne sich purpurn am
Horizonte senkt, und die kleinen rippelnden Wellen in
rothem Goldglanze schillern, während im Osten ein grauer
Nachtschatten sich bleiern auf die Oberfläche des Wassers
legt und den schönsten Contrast der Färbungen hervor-
ruft, dann ist es so anmuthig hier, dann herrscht ein
solcher Friede um uns, daß man wahrhaft ausruht und
der Genuß des Auges, das nimmer gesättigt wird, ohne
doch je müde zu werden, jenes Behagen des dolce far
niente
hervorruft, das wir in unserem Norden gar nicht
kennen lernen. Fünf Mächte besitzen ein pied à terre
am Bodensee, und jede derselben rühmt sich eines so schö-
nen Punktes, daß keine die andere zu beneiden hat.

[Ende Spaltensatz]


Verantwortlicher Redakteur: Hauff.
Druck der Buchdruckerei der J. G. Cotta' schen Buchhandlung in Stuttgart.

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 34. Stuttgart/Tübingen, 24. August 1856, S. 816. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt34_1856/24>, abgerufen am 27.11.2024.