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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] unnachgiebige Ausdauer und es sind nicht unsere Brause-
köpfe, welche zuletzt das meiste durchsetzen.

Zum Schlusse meines heutigen Berichts will ich noch
eine Notiz geben, die Jhren Lesern wohl nicht unwillkom-
men seyn wird, nachdem dieselben Freiligraths Proben
aus Longfellows Hiawatha mit Beifall aufgenommen haben.
Es ist die Nachweisung über den Ursprung des Namens
Minnehaha, mit welchem der Dichter eine anziehend ge-
schilderte indianische Squaw belegt. Minne=ha=ha be-
deutet in der Dacotahsprache "lachendes Wasser," und die
Eingeborenen belegten damit einen schönen Wasserfall zwi-
schen dem Fort Snelling und den Wasserfällen von St. An-
thony im Territorium Minnesota. Die Bewohner von
St. Paul pflegen Fremde, denen sie das Land zeigen wol-
len, nach dem genannten Fort und darauf zu den St. An-
thonyfällen zu führen, wobei sie unterwegs Minne=ha=ha
berühren, um auf kürzerem Wege heimzukehren. Fort
Snelling liegt auf einem sogenannten "Bluff," oder stei-
lem Ufer, am Punkte, wo der Minnesotafluß sich in den
Mississippi ergießt, etwa sieben Meilen von St. Paul ent-
fernt. Nachdem man den Mississippi auf einer Fähre über-
schritten und den Fuß des Bluff umgangen hat, wird das
Plateau bestiegen, das genanntes Fort trägt. Hier dehnt
sich nun eine weite Prairie aus, zur rechten Hand, gegen
[Spaltenumbruch] den obern Mississippi hin als sogenannter rollender Grund
oder wellenförmiges Land erscheinend. Nach kurzer Wan-
derung durch diese Prairie gelangt der Wanderer plötz-
lich an einen Strom von etwa fünfzig Fuß Breite, der
ruhig aber schnell in seinem Bette dahin gleitet, das mit
wenigem Buschwerk und niedrigen Bäumen besetzt ist.
Nichts verräth die Nähe eines Wasserfalles, allein nur
wenige Fuß seitwärts gelangt man in eine tiefe Schlucht,
in welche der Miniaturstrom mit einem senkrechten Sprunge
von fünfzig Fuß niederfällt, um dann ruhig weiter zu
fließen, gleichsam überrascht vom plötzlichen Fall in der
ebenen Prairie. Das Wasser stürzt über einen vorsprin-
genden Felsen von halbcirkelförmiger Gestalt, so daß der
Besucher trockenen Fußes hinter dem Falle weg von einer
Flußseite zur andern gehen kann. Die Kunst wäre nicht
im Stande einen hübscheren Wasserfall herzustellen als
diesen Minne=ha=ha, und von den Philologen dürfte
kaum ein besserer Name erfunden werden können. Die
rothen Kinder der Prairien und Wälder waren in Einer
Beziehung begabter, als ihre weißen Vertilger: sie hatten
Gefühl, und dieses ließ in ihnen nicht jene Verflachung
aufkommen, welche den jetzigen Amerikanern par excellence
der Wahrheit nach eigen ist.

[Ende Spaltensatz]



London, Juli.

Radicalmittel der Boltoner Frauen gegen die Trunkenheit. -- Lancashirer Beruhigungsmittel für kleine Kinder. -- Dove's Vergiftungs-
proceß.

[Beginn Spaltensatz]

Wir müssen allen Frauen, deren Männer der Trun-
kenheit ergeben sind, ernstlich rathen, so schnell als mög-
lich mit ihren Männern nach Bolton in England zu
kommen, wo sie gewiß seyn können, ihre Ehehälften von
diesem Laster zu curiren. Bolton ist die Stadt, wo diese
Cur am schleunigsten und am wohlfeilsten bewirkt wird.
Aber es ist unerläßlich, daß die Männer nicht allein kom-
men, sondern in Begleitung ihrer Gattinnen; denn es ist
nur die Gattin, welche die Cur des Mannes übernehmen
und glücklich zu Ende führen kann. Jede andere Person
ist dabei nicht allein überflüssig, sondern der Wirksamkeit
der Cur sogar nachtheilig. Bolton ist eine Fabrikstadt,
und was diese Fabrikstadt von allen andern Englands
auszeichnet, ist, daß in derselben die Weiber so gut wie
die Männer der Trunkenheit ergeben sind. Und sonder-
bar genug, sind die Weiber, statt mit sich selbst anzu-
fangen, zunächst immer nur darauf bedacht, daß ihre
Männer das Trinken einstellen sollen. Auch scheint es,
daß die Cur das Geheimniß der Weiber ist; denn die
Männer haben bisher ihren Frauen gegenüber keinen Ge-
[Spaltenumbruch] brauch davon gemacht. Es soll aber hiemit keineswegs
gesagt seyn, daß dieses Geheimniß allein im Besitze der
Weiber von Bolton ist; im Gegentheil scheint es, daß so
ziemlich die Weiber in allen Fabrikstädten mit dem Heil-
mittel vertraut sind und es gelegentlich in Anwendung
bringen. Aber anderswo sind die Weiber vorsichtig oder
klug genug, keinen Mißbrauch mit der geheimnißvollen
Cur zu treiben, und bloß in den äußersten Fällen und
wenn die Männer nicht anders curirt werden können,
dazu zu greifen, während die in Bolton beim geringsten
Rausche ihre armen Männer mit dem Anti=Rauschmittel
plagen und dasselbe in solchen starken Dosen verabreichen,
daß der Mann für immer vom Rausche geheilt wird und
stirbt. Ein solcher Fall ereignete sich vor wenigen Tagen
in Bolton, und es hat sich bei dieser Gelegenheit heraus-
gestellt, daß die sogenannte Cur gegen Trunkenheit in
weiter nichts besteht, als in der Verabreichung von
tartarus emeticus oder Brechweinstein, das ist der
wissenschaftliche Name, aber in der Sprache der Bol-
toner Weiber hat das Ding einen weit gelinderen und
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] unnachgiebige Ausdauer und es sind nicht unsere Brause-
köpfe, welche zuletzt das meiste durchsetzen.

Zum Schlusse meines heutigen Berichts will ich noch
eine Notiz geben, die Jhren Lesern wohl nicht unwillkom-
men seyn wird, nachdem dieselben Freiligraths Proben
aus Longfellows Hiawatha mit Beifall aufgenommen haben.
Es ist die Nachweisung über den Ursprung des Namens
Minnehaha, mit welchem der Dichter eine anziehend ge-
schilderte indianische Squaw belegt. Minne=ha=ha be-
deutet in der Dacotahsprache „lachendes Wasser,“ und die
Eingeborenen belegten damit einen schönen Wasserfall zwi-
schen dem Fort Snelling und den Wasserfällen von St. An-
thony im Territorium Minnesota. Die Bewohner von
St. Paul pflegen Fremde, denen sie das Land zeigen wol-
len, nach dem genannten Fort und darauf zu den St. An-
thonyfällen zu führen, wobei sie unterwegs Minne=ha=ha
berühren, um auf kürzerem Wege heimzukehren. Fort
Snelling liegt auf einem sogenannten „Bluff,“ oder stei-
lem Ufer, am Punkte, wo der Minnesotafluß sich in den
Mississippi ergießt, etwa sieben Meilen von St. Paul ent-
fernt. Nachdem man den Mississippi auf einer Fähre über-
schritten und den Fuß des Bluff umgangen hat, wird das
Plateau bestiegen, das genanntes Fort trägt. Hier dehnt
sich nun eine weite Prairie aus, zur rechten Hand, gegen
[Spaltenumbruch] den obern Mississippi hin als sogenannter rollender Grund
oder wellenförmiges Land erscheinend. Nach kurzer Wan-
derung durch diese Prairie gelangt der Wanderer plötz-
lich an einen Strom von etwa fünfzig Fuß Breite, der
ruhig aber schnell in seinem Bette dahin gleitet, das mit
wenigem Buschwerk und niedrigen Bäumen besetzt ist.
Nichts verräth die Nähe eines Wasserfalles, allein nur
wenige Fuß seitwärts gelangt man in eine tiefe Schlucht,
in welche der Miniaturstrom mit einem senkrechten Sprunge
von fünfzig Fuß niederfällt, um dann ruhig weiter zu
fließen, gleichsam überrascht vom plötzlichen Fall in der
ebenen Prairie. Das Wasser stürzt über einen vorsprin-
genden Felsen von halbcirkelförmiger Gestalt, so daß der
Besucher trockenen Fußes hinter dem Falle weg von einer
Flußseite zur andern gehen kann. Die Kunst wäre nicht
im Stande einen hübscheren Wasserfall herzustellen als
diesen Minne=ha=ha, und von den Philologen dürfte
kaum ein besserer Name erfunden werden können. Die
rothen Kinder der Prairien und Wälder waren in Einer
Beziehung begabter, als ihre weißen Vertilger: sie hatten
Gefühl, und dieses ließ in ihnen nicht jene Verflachung
aufkommen, welche den jetzigen Amerikanern par excellence
der Wahrheit nach eigen ist.

[Ende Spaltensatz]



London, Juli.

Radicalmittel der Boltoner Frauen gegen die Trunkenheit. — Lancashirer Beruhigungsmittel für kleine Kinder. — Dove's Vergiftungs-
proceß.

[Beginn Spaltensatz]

Wir müssen allen Frauen, deren Männer der Trun-
kenheit ergeben sind, ernstlich rathen, so schnell als mög-
lich mit ihren Männern nach Bolton in England zu
kommen, wo sie gewiß seyn können, ihre Ehehälften von
diesem Laster zu curiren. Bolton ist die Stadt, wo diese
Cur am schleunigsten und am wohlfeilsten bewirkt wird.
Aber es ist unerläßlich, daß die Männer nicht allein kom-
men, sondern in Begleitung ihrer Gattinnen; denn es ist
nur die Gattin, welche die Cur des Mannes übernehmen
und glücklich zu Ende führen kann. Jede andere Person
ist dabei nicht allein überflüssig, sondern der Wirksamkeit
der Cur sogar nachtheilig. Bolton ist eine Fabrikstadt,
und was diese Fabrikstadt von allen andern Englands
auszeichnet, ist, daß in derselben die Weiber so gut wie
die Männer der Trunkenheit ergeben sind. Und sonder-
bar genug, sind die Weiber, statt mit sich selbst anzu-
fangen, zunächst immer nur darauf bedacht, daß ihre
Männer das Trinken einstellen sollen. Auch scheint es,
daß die Cur das Geheimniß der Weiber ist; denn die
Männer haben bisher ihren Frauen gegenüber keinen Ge-
[Spaltenumbruch] brauch davon gemacht. Es soll aber hiemit keineswegs
gesagt seyn, daß dieses Geheimniß allein im Besitze der
Weiber von Bolton ist; im Gegentheil scheint es, daß so
ziemlich die Weiber in allen Fabrikstädten mit dem Heil-
mittel vertraut sind und es gelegentlich in Anwendung
bringen. Aber anderswo sind die Weiber vorsichtig oder
klug genug, keinen Mißbrauch mit der geheimnißvollen
Cur zu treiben, und bloß in den äußersten Fällen und
wenn die Männer nicht anders curirt werden können,
dazu zu greifen, während die in Bolton beim geringsten
Rausche ihre armen Männer mit dem Anti=Rauschmittel
plagen und dasselbe in solchen starken Dosen verabreichen,
daß der Mann für immer vom Rausche geheilt wird und
stirbt. Ein solcher Fall ereignete sich vor wenigen Tagen
in Bolton, und es hat sich bei dieser Gelegenheit heraus-
gestellt, daß die sogenannte Cur gegen Trunkenheit in
weiter nichts besteht, als in der Verabreichung von
tartarus emeticus oder Brechweinstein, das ist der
wissenschaftliche Name, aber in der Sprache der Bol-
toner Weiber hat das Ding einen weit gelinderen und
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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 740. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/20>, abgerufen am 23.11.2024.