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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] zahlreiche, nie versiegende Bäche krystallhellen und ewig
kalten Wassers hervorbrechen, führt, verbunden mit
den Bequemlichkeiten, die sie hier wie nirgends in
Jtalien finden, jährlich, zumal zur Zeit des solleone
( der Hundstage ) , eine zahlreiche Colonie von Zugvögeln
aus allen Theilen Europas hierher. Vor allen sendet
Florenz, dessen weiße Kalksteinquadern um diese Jah-
reszeit die Strahlen der Hundstagsonne mit unerträg-
licher Glut zurückwerfen, ein zahlreiches Contingent.
Die Engländer spielen freilich hier wie überall die erste
Rolle. Jn der That möchte man, wenn man die ein-
zige Hauptstraße des Ponte di Serraglio, des mittle-
ren unter den drei Oertchen, aus denen die Bagni
bestehen, durchwandert, schier glauben, man befinde
sich irgendwo zwischen "den vier brittischen Meeren."
English pharmacy and grocery -- English bread and
biscuit -- Circulating library
und ähnliche Jnschriften
blicken uns von allen Häuserfronten an. Und die
Dame mit der feinen, schlanken Taille und dem langen
schwarzen Reitkleid, mit dem Männerhut und grünen
Schleier, kann so wenig ihre angelsächsische Abstammung
verleugnen, wie der rechtwinklig abstehende rothe Backen-
bart, die steife weiße Cravate und die kühn empor-
strebenden Vatermörder ihres Begleiters.

Unter dem Zeltdach des Caffe nobile, wo wir vor-
läufig Halt machten, fanden wir ein halbes Dutzend
Bekannte von Florenz her, die uns freudig begrüßten.
Neue Ankömmlinge mit frischem Unterhaltungsstoff aus
der Metropole sind hier ein gesuchter Artikel, und die
in Florenz beim Vorübergehen kaum den Hut berührten,
halten hier ein Händeschütteln im besten englischen
Styl. Die Gesellschaft bestand in ihren Hauptpersonen
aus einem Engländer, der die drei Eigenschaften eines
Rentners, Malers und Entomologen in gleich origineller
Weise in sich vereinigte, einem florentinischen Edel-
mann, einem Kaufmann aus Paris und einem römi-
schen Advokaten. Gemeinsame Landpartien auf den
folgenden Tag wurden sofort verabredet, und kaum
hatten wir von unserem kleinen, aber freundlichen Quar-
tier im " giardinetto " Besitz ergriffen, so erschienen auch
Einladungskarten zu dem ersten seit langer Zeit in den
Räumen des Conversationshauses stattfindenden bal pare.

Schon in der ersten Frühe des folgenden Tages
schritten wir durch die köstlich frische Morgenluft die
Schattengänge hinauf, die sich von dem Ponte di Ser-
raglio zu den sogenannten warmen Bädern bergan ziehen.
Kleine, kaum fußlange Vipern, wie ich sie nie in sol-
cher Menge gesehen, glitten über das thaufeuchte Gras
des Abhangs herab über den Weg, mit aufgehobenem
Kopfe hinter uns her schießend, wenn wir sie mit dem
Stock reizten. -- Die Bagni caldi, ebenfalls der Wohnsitz
[Spaltenumbruch] zahlreicher Badgäste, bestehen aus einer Anzahl unschein-
barer, an dem steilen Berghang eng zusammengedräng-
ter Häuser. Den Kamm des Berges übersteigend, ge-
langten wir auf der östlichen Seite durch schattige
Waldpfade, an frischen, rieselnden Quellen eiskalten
Wassers vorüber, dann durch Weinberge, Maisfelder
und Gartenanlagen zu den Bagni alla Villa, wo sich
mehrere reizend gelegene Landhäuser und ein kleines Dorf
um das Lustschloß des Großherzogs als drittes Bade-
etablissement gruppiren. Eine Allee, meist aus freudig
vegetirenden Mimosen ( eigentlich Acacia Julibrissin ) be-
stehend, im vollen Schmuck der zart gefiederten Blätter
und duftigen Blüthenbüschel prangend, führte uns zum
Ponte zurück.

Nachmittags wurde in Begleitung unseres engli-
schen und französischen Freundes ein weiterer Ausflug
nach dem Dorf Lubbiano unternommen, welches den
Rücken eines der hohen Berge krönt, die das Limathal
im Süden umkränzen. Der Weg führt durch Kastanien-
wald steil und beschwerlich aufwärts. Wie fast überall
an den Abhängen des Apennins von Genua bis Sa-
lerno, ja bis zu dem Gebirge von Madonnia im innern
Sicilien, bestehen die Pfade großentheils aus dem
trockenen Gerinne eines Bergstroms, oft hoch bedeckt
mit scharfeckigen Kalksteintrümmern, auf die Länge in
diesem heißen Klima eine fast unerträgliche Plage für
den Wanderer. -- Wo wir, etwa tausend Fuß hoch
empor geklommen, den Wald verlassen, beginnt Ge-
treide- und Weinbau, eine in allen Theilen Jtaliens
sehr gewöhnliche Erscheinung. Wie oft bin ich, das
angebaute Thal verlassend, mühsam durch verwachsenes
Gestrüpp von Ginster, baumartiger Heide, großfrüch-
tigen Wachholderbeeren, Stechpalmen und Erdbeer-
bäumen stundenlang empor geklommen in einer Wild-
niß, die nie eines Menschen Fuß betreten zu haben
schien, um mich plötzlich hoch oben zwischen Häusern
und inmitten wohlgepflegter Aecker und Gärten zu finden.

Ein steiler Pfad führte uns durch Weinlauben zum
Eingang des Dorfs. Auch hier dieselben engen, steilen
und schmutzigen Gassen, dieselben zusammengeklebten,
aus unbehauenen Steinen aufgemauerten Häuschen wie
in Casoli. Und so sind alle Dörfer weit in der Runde.
Als wir, auf dem höchsten Punkte von Lubbiano an-
gelangt, uns auf einer Gartenmauer lagerten, sahen
wir diese Ortschaften ringsher von allen Bergspitzen
herab in die einsamen und öden Thäler blicken. Die
Aussicht war herrlich. Jm Nordwesten öffnete sich der
freundliche grüne Thalgrund des Serchio, der sich da,
wo er die rasch strömende Lima empfängt, zu einer
kleinen Ebene erweitert, einer hell schimmernden Oase
inmitten des wilden und düstern Berglabyrinths, das
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[Beginn Spaltensatz] zahlreiche, nie versiegende Bäche krystallhellen und ewig
kalten Wassers hervorbrechen, führt, verbunden mit
den Bequemlichkeiten, die sie hier wie nirgends in
Jtalien finden, jährlich, zumal zur Zeit des solleone
( der Hundstage ) , eine zahlreiche Colonie von Zugvögeln
aus allen Theilen Europas hierher. Vor allen sendet
Florenz, dessen weiße Kalksteinquadern um diese Jah-
reszeit die Strahlen der Hundstagsonne mit unerträg-
licher Glut zurückwerfen, ein zahlreiches Contingent.
Die Engländer spielen freilich hier wie überall die erste
Rolle. Jn der That möchte man, wenn man die ein-
zige Hauptstraße des Ponte di Serraglio, des mittle-
ren unter den drei Oertchen, aus denen die Bagni
bestehen, durchwandert, schier glauben, man befinde
sich irgendwo zwischen „den vier brittischen Meeren.“
English pharmacy and grocery — English bread and
biscuit — Circulating library
und ähnliche Jnschriften
blicken uns von allen Häuserfronten an. Und die
Dame mit der feinen, schlanken Taille und dem langen
schwarzen Reitkleid, mit dem Männerhut und grünen
Schleier, kann so wenig ihre angelsächsische Abstammung
verleugnen, wie der rechtwinklig abstehende rothe Backen-
bart, die steife weiße Cravate und die kühn empor-
strebenden Vatermörder ihres Begleiters.

Unter dem Zeltdach des Caffe nobile, wo wir vor-
läufig Halt machten, fanden wir ein halbes Dutzend
Bekannte von Florenz her, die uns freudig begrüßten.
Neue Ankömmlinge mit frischem Unterhaltungsstoff aus
der Metropole sind hier ein gesuchter Artikel, und die
in Florenz beim Vorübergehen kaum den Hut berührten,
halten hier ein Händeschütteln im besten englischen
Styl. Die Gesellschaft bestand in ihren Hauptpersonen
aus einem Engländer, der die drei Eigenschaften eines
Rentners, Malers und Entomologen in gleich origineller
Weise in sich vereinigte, einem florentinischen Edel-
mann, einem Kaufmann aus Paris und einem römi-
schen Advokaten. Gemeinsame Landpartien auf den
folgenden Tag wurden sofort verabredet, und kaum
hatten wir von unserem kleinen, aber freundlichen Quar-
tier im » giardinetto « Besitz ergriffen, so erschienen auch
Einladungskarten zu dem ersten seit langer Zeit in den
Räumen des Conversationshauses stattfindenden bal paré.

Schon in der ersten Frühe des folgenden Tages
schritten wir durch die köstlich frische Morgenluft die
Schattengänge hinauf, die sich von dem Ponte di Ser-
raglio zu den sogenannten warmen Bädern bergan ziehen.
Kleine, kaum fußlange Vipern, wie ich sie nie in sol-
cher Menge gesehen, glitten über das thaufeuchte Gras
des Abhangs herab über den Weg, mit aufgehobenem
Kopfe hinter uns her schießend, wenn wir sie mit dem
Stock reizten. — Die Bagni caldi, ebenfalls der Wohnsitz
[Spaltenumbruch] zahlreicher Badgäste, bestehen aus einer Anzahl unschein-
barer, an dem steilen Berghang eng zusammengedräng-
ter Häuser. Den Kamm des Berges übersteigend, ge-
langten wir auf der östlichen Seite durch schattige
Waldpfade, an frischen, rieselnden Quellen eiskalten
Wassers vorüber, dann durch Weinberge, Maisfelder
und Gartenanlagen zu den Bagni alla Villa, wo sich
mehrere reizend gelegene Landhäuser und ein kleines Dorf
um das Lustschloß des Großherzogs als drittes Bade-
etablissement gruppiren. Eine Allee, meist aus freudig
vegetirenden Mimosen ( eigentlich Acacia Julibrissin ) be-
stehend, im vollen Schmuck der zart gefiederten Blätter
und duftigen Blüthenbüschel prangend, führte uns zum
Ponte zurück.

Nachmittags wurde in Begleitung unseres engli-
schen und französischen Freundes ein weiterer Ausflug
nach dem Dorf Lubbiano unternommen, welches den
Rücken eines der hohen Berge krönt, die das Limathal
im Süden umkränzen. Der Weg führt durch Kastanien-
wald steil und beschwerlich aufwärts. Wie fast überall
an den Abhängen des Apennins von Genua bis Sa-
lerno, ja bis zu dem Gebirge von Madonnia im innern
Sicilien, bestehen die Pfade großentheils aus dem
trockenen Gerinne eines Bergstroms, oft hoch bedeckt
mit scharfeckigen Kalksteintrümmern, auf die Länge in
diesem heißen Klima eine fast unerträgliche Plage für
den Wanderer. — Wo wir, etwa tausend Fuß hoch
empor geklommen, den Wald verlassen, beginnt Ge-
treide- und Weinbau, eine in allen Theilen Jtaliens
sehr gewöhnliche Erscheinung. Wie oft bin ich, das
angebaute Thal verlassend, mühsam durch verwachsenes
Gestrüpp von Ginster, baumartiger Heide, großfrüch-
tigen Wachholderbeeren, Stechpalmen und Erdbeer-
bäumen stundenlang empor geklommen in einer Wild-
niß, die nie eines Menschen Fuß betreten zu haben
schien, um mich plötzlich hoch oben zwischen Häusern
und inmitten wohlgepflegter Aecker und Gärten zu finden.

Ein steiler Pfad führte uns durch Weinlauben zum
Eingang des Dorfs. Auch hier dieselben engen, steilen
und schmutzigen Gassen, dieselben zusammengeklebten,
aus unbehauenen Steinen aufgemauerten Häuschen wie
in Casoli. Und so sind alle Dörfer weit in der Runde.
Als wir, auf dem höchsten Punkte von Lubbiano an-
gelangt, uns auf einer Gartenmauer lagerten, sahen
wir diese Ortschaften ringsher von allen Bergspitzen
herab in die einsamen und öden Thäler blicken. Die
Aussicht war herrlich. Jm Nordwesten öffnete sich der
freundliche grüne Thalgrund des Serchio, der sich da,
wo er die rasch strömende Lima empfängt, zu einer
kleinen Ebene erweitert, einer hell schimmernden Oase
inmitten des wilden und düstern Berglabyrinths, das
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Und die Dame mit der feinen, schlanken Taille und dem langen schwarzen Reitkleid, mit dem Männerhut und grünen Schleier, kann so wenig ihre angelsächsische Abstammung verleugnen, wie der rechtwinklig abstehende rothe Backen- bart, die steife weiße Cravate und die kühn empor- strebenden Vatermörder ihres Begleiters. Unter dem Zeltdach des Caffe nobile, wo wir vor- läufig Halt machten, fanden wir ein halbes Dutzend Bekannte von Florenz her, die uns freudig begrüßten. Neue Ankömmlinge mit frischem Unterhaltungsstoff aus der Metropole sind hier ein gesuchter Artikel, und die in Florenz beim Vorübergehen kaum den Hut berührten, halten hier ein Händeschütteln im besten englischen Styl. Die Gesellschaft bestand in ihren Hauptpersonen aus einem Engländer, der die drei Eigenschaften eines Rentners, Malers und Entomologen in gleich origineller Weise in sich vereinigte, einem florentinischen Edel- mann, einem Kaufmann aus Paris und einem römi- schen Advokaten. Gemeinsame Landpartien auf den folgenden Tag wurden sofort verabredet, und kaum hatten wir von unserem kleinen, aber freundlichen Quar- tier im » giardinetto « Besitz ergriffen, so erschienen auch Einladungskarten zu dem ersten seit langer Zeit in den Räumen des Conversationshauses stattfindenden bal paré. Schon in der ersten Frühe des folgenden Tages schritten wir durch die köstlich frische Morgenluft die Schattengänge hinauf, die sich von dem Ponte di Ser- raglio zu den sogenannten warmen Bädern bergan ziehen. Kleine, kaum fußlange Vipern, wie ich sie nie in sol- cher Menge gesehen, glitten über das thaufeuchte Gras des Abhangs herab über den Weg, mit aufgehobenem Kopfe hinter uns her schießend, wenn wir sie mit dem Stock reizten. — Die Bagni caldi, ebenfalls der Wohnsitz zahlreicher Badgäste, bestehen aus einer Anzahl unschein- barer, an dem steilen Berghang eng zusammengedräng- ter Häuser. Den Kamm des Berges übersteigend, ge- langten wir auf der östlichen Seite durch schattige Waldpfade, an frischen, rieselnden Quellen eiskalten Wassers vorüber, dann durch Weinberge, Maisfelder und Gartenanlagen zu den Bagni alla Villa, wo sich mehrere reizend gelegene Landhäuser und ein kleines Dorf um das Lustschloß des Großherzogs als drittes Bade- etablissement gruppiren. Eine Allee, meist aus freudig vegetirenden Mimosen ( eigentlich Acacia Julibrissin ) be- stehend, im vollen Schmuck der zart gefiederten Blätter und duftigen Blüthenbüschel prangend, führte uns zum Ponte zurück. Nachmittags wurde in Begleitung unseres engli- schen und französischen Freundes ein weiterer Ausflug nach dem Dorf Lubbiano unternommen, welches den Rücken eines der hohen Berge krönt, die das Limathal im Süden umkränzen. Der Weg führt durch Kastanien- wald steil und beschwerlich aufwärts. Wie fast überall an den Abhängen des Apennins von Genua bis Sa- lerno, ja bis zu dem Gebirge von Madonnia im innern Sicilien, bestehen die Pfade großentheils aus dem trockenen Gerinne eines Bergstroms, oft hoch bedeckt mit scharfeckigen Kalksteintrümmern, auf die Länge in diesem heißen Klima eine fast unerträgliche Plage für den Wanderer. — Wo wir, etwa tausend Fuß hoch empor geklommen, den Wald verlassen, beginnt Ge- treide- und Weinbau, eine in allen Theilen Jtaliens sehr gewöhnliche Erscheinung. Wie oft bin ich, das angebaute Thal verlassend, mühsam durch verwachsenes Gestrüpp von Ginster, baumartiger Heide, großfrüch- tigen Wachholderbeeren, Stechpalmen und Erdbeer- bäumen stundenlang empor geklommen in einer Wild- niß, die nie eines Menschen Fuß betreten zu haben schien, um mich plötzlich hoch oben zwischen Häusern und inmitten wohlgepflegter Aecker und Gärten zu finden. Ein steiler Pfad führte uns durch Weinlauben zum Eingang des Dorfs. Auch hier dieselben engen, steilen und schmutzigen Gassen, dieselben zusammengeklebten, aus unbehauenen Steinen aufgemauerten Häuschen wie in Casoli. Und so sind alle Dörfer weit in der Runde. Als wir, auf dem höchsten Punkte von Lubbiano an- gelangt, uns auf einer Gartenmauer lagerten, sahen wir diese Ortschaften ringsher von allen Bergspitzen herab in die einsamen und öden Thäler blicken. Die Aussicht war herrlich. Jm Nordwesten öffnete sich der freundliche grüne Thalgrund des Serchio, der sich da, wo er die rasch strömende Lima empfängt, zu einer kleinen Ebene erweitert, einer hell schimmernden Oase inmitten des wilden und düstern Berglabyrinths, das

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 733. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/13>, abgerufen am 23.11.2024.