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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] verwischt er die Lokalfarbe und verstößt gegen das
historische Costüm. Belehrte den Zuschauer nicht der lei-
dige Zettel, daß Ella Rose in England spielt, man würde
[Spaltenumbruch] das Drama ohne Bedenken nach dem heutigen Dresden,
Berlin oder einer andern beliebigen Stadt Deutschlands
verlegen.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )





Korrespondenz-Nachrichten.
Aus Rheinhessen, Juli.
( s. Nr. 25. )
Nibelungenfahrten.
III.
[Beginn Spaltensatz]

Daß es uns schon auf dem Wege nach Grasellenbach
und seinem verunglückten Siegfriedsbrunnen zu dem hoch
und schön gelegenen Städtchen Lindenfels wahrhaft
hingezogen, das habe ich bereits erwähnt. Wir eilten
daher, weil der Abend nicht mehr allzufern war, aus
dem wenig reizenden Gebiete des kleinen Ulfebachs heraus
zu kommen, und kehrten auf demselben Wege nach dem
Thal der Weschnitz zurück, ließen aber Fürth zur Linken
und wanderten dem Dörfchen Krökelbach zu, dessen Be-
such ich Landschaftsmalern empfehlen möchte, nicht nur
weil es so hübsch in Obstbäumen, Pappeln und Erlen
versteckt liegt, sondern auch um der zahlreichen vernach-
lässigten und halb zerfallenen Häuschen willen, welche in
solchem Grün recht malerische Bilder, aber von den öko-
nomischen Zuständen freilich nicht das anziehendste Bild
abgeben. Von da ging's nach dem Dorfe Krumbach und
dann auf einer neuen Chaussee bergan. Wir glaubten
den kürzeren Weg eingeschlagen zu haben, in der That
aber war es der längere. Welche Umwege, welch zahllose
Krümmen, bis die Straße die Höhe erstiegen hat, auf
der Lindenfels liegt! Wen es nicht besonders interessirt,
gerade diese dem ungünstigen Terrain wahrhaft abge-
rungene Straße zu sehen, dem rathe ich, von Fürth aus
den Feldweg über die Höhen einzuschlagen, der schneller
zum Ziele führt. Jst doch auch die Aussicht wenig anziehend,
obwohl man ziemlich tief in das stille Bergland hinein
blickt und ein schloßartiges Gebäude von ferner Höhe her-
über schauen sieht. Dagegen sind die tiefen Waldschluchten
neben der Straße mit ihrem köstlichen Schatten eine wahre
Labe für das Auge.

Die Sonne war dem Untergange nahe, als wir end-
lich oben aus dem Walde traten und das Städtchen vor
uns hatten. Das ist ein rechtes Bild von Alter und Ar-
muth, oder doch von einer Genügsamkeit, wie man sie
[Spaltenumbruch] selbst in solcher Abgeschiedenheit kaum mehr erwartet.
Cultur, die alle Welt beleckt, scheint sich bis Lindenfels
noch nicht erstreckt zu haben, wenigstens was das Aeußere
der Wohnungen betrifft. Enge Gassen mit lauter un-
scheinbaren Häusern von Fachwerk, an denen sogar die
runden Fensterscheiben noch nicht verschwunden sind. Durch
einen alten Thorthurm tritt man in den innern Theil
des Städtchens, den eigentlichen Burgfrieden, den noch
die Ringmauer umschließt und dessen wenige Häuser größer
und fester sind, auch comfortabler aussehen. Hier woh-
nen nämlich die Beamten des Kreisgerichts, das man
dem Orte gelassen, um ihn nicht ganz zerfallen zu sehen.
Sonst wäre der schöne Flecken Fürth ein weit stattlicherer
und geeigneterer Ort für den Sitz des Gerichts.

Wir eilten auf dem engen, durch Mauern verdunkel-
ten Burgweg hinauf zur Ruine des alten Schlosses, um
die Aussicht noch unter dem Lichte der untergehenden
Sonne zu genießen. Sie ist in der That herrlich. Da
liegt gegen Süden hin ein großer Theil des Weschnitz-
thales, wie ein ungeheurer Kessel voll saftigen Grüns,
über dem das rothe Gold der Abendsonnenstrahlen zitterte.
Nach Westen hinaus steht man über die Höhen weg die
fernen blauen Berge des überrheinischen Landes. Gegen
Norden ist die Aussicht durch die Berge verkürzt und ge-
gen Osten schweift der Blick von Höhe zu Höhe. Und wie
idyllisch schön ist der nordwestwärts tief unten gelegene
Grund, aus dessen Mitte sich ein Dörfchen erhebt! Die
Burg selbst mit ihrer alten hohen Linde im Hofe gehört
zu den aufgeräumten, die ich eigentlich nicht leiden mag,
aber den Bewohnern des Städtchens ist es nicht zu ver-
denken, daß sie dieselbe für sich und die Reisenden freund-
licher zu machen suchten. Man flickt selbst an dem alten
Mauerwerk, freilich mit wenig Verständniß, so daß das
Flickwerk gar zu sehr vom alten Gemäuer absticht, obwohl
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] verwischt er die Lokalfarbe und verstößt gegen das
historische Costüm. Belehrte den Zuschauer nicht der lei-
dige Zettel, daß Ella Rose in England spielt, man würde
[Spaltenumbruch] das Drama ohne Bedenken nach dem heutigen Dresden,
Berlin oder einer andern beliebigen Stadt Deutschlands
verlegen.

[Ende Spaltensatz]

( Schluß folgt. )





Korrespondenz-Nachrichten.
Aus Rheinhessen, Juli.
( s. Nr. 25. )
Nibelungenfahrten.
III.
[Beginn Spaltensatz]

Daß es uns schon auf dem Wege nach Grasellenbach
und seinem verunglückten Siegfriedsbrunnen zu dem hoch
und schön gelegenen Städtchen Lindenfels wahrhaft
hingezogen, das habe ich bereits erwähnt. Wir eilten
daher, weil der Abend nicht mehr allzufern war, aus
dem wenig reizenden Gebiete des kleinen Ulfebachs heraus
zu kommen, und kehrten auf demselben Wege nach dem
Thal der Weschnitz zurück, ließen aber Fürth zur Linken
und wanderten dem Dörfchen Krökelbach zu, dessen Be-
such ich Landschaftsmalern empfehlen möchte, nicht nur
weil es so hübsch in Obstbäumen, Pappeln und Erlen
versteckt liegt, sondern auch um der zahlreichen vernach-
lässigten und halb zerfallenen Häuschen willen, welche in
solchem Grün recht malerische Bilder, aber von den öko-
nomischen Zuständen freilich nicht das anziehendste Bild
abgeben. Von da ging's nach dem Dorfe Krumbach und
dann auf einer neuen Chaussee bergan. Wir glaubten
den kürzeren Weg eingeschlagen zu haben, in der That
aber war es der längere. Welche Umwege, welch zahllose
Krümmen, bis die Straße die Höhe erstiegen hat, auf
der Lindenfels liegt! Wen es nicht besonders interessirt,
gerade diese dem ungünstigen Terrain wahrhaft abge-
rungene Straße zu sehen, dem rathe ich, von Fürth aus
den Feldweg über die Höhen einzuschlagen, der schneller
zum Ziele führt. Jst doch auch die Aussicht wenig anziehend,
obwohl man ziemlich tief in das stille Bergland hinein
blickt und ein schloßartiges Gebäude von ferner Höhe her-
über schauen sieht. Dagegen sind die tiefen Waldschluchten
neben der Straße mit ihrem köstlichen Schatten eine wahre
Labe für das Auge.

Die Sonne war dem Untergange nahe, als wir end-
lich oben aus dem Walde traten und das Städtchen vor
uns hatten. Das ist ein rechtes Bild von Alter und Ar-
muth, oder doch von einer Genügsamkeit, wie man sie
[Spaltenumbruch] selbst in solcher Abgeschiedenheit kaum mehr erwartet.
Cultur, die alle Welt beleckt, scheint sich bis Lindenfels
noch nicht erstreckt zu haben, wenigstens was das Aeußere
der Wohnungen betrifft. Enge Gassen mit lauter un-
scheinbaren Häusern von Fachwerk, an denen sogar die
runden Fensterscheiben noch nicht verschwunden sind. Durch
einen alten Thorthurm tritt man in den innern Theil
des Städtchens, den eigentlichen Burgfrieden, den noch
die Ringmauer umschließt und dessen wenige Häuser größer
und fester sind, auch comfortabler aussehen. Hier woh-
nen nämlich die Beamten des Kreisgerichts, das man
dem Orte gelassen, um ihn nicht ganz zerfallen zu sehen.
Sonst wäre der schöne Flecken Fürth ein weit stattlicherer
und geeigneterer Ort für den Sitz des Gerichts.

Wir eilten auf dem engen, durch Mauern verdunkel-
ten Burgweg hinauf zur Ruine des alten Schlosses, um
die Aussicht noch unter dem Lichte der untergehenden
Sonne zu genießen. Sie ist in der That herrlich. Da
liegt gegen Süden hin ein großer Theil des Weschnitz-
thales, wie ein ungeheurer Kessel voll saftigen Grüns,
über dem das rothe Gold der Abendsonnenstrahlen zitterte.
Nach Westen hinaus steht man über die Höhen weg die
fernen blauen Berge des überrheinischen Landes. Gegen
Norden ist die Aussicht durch die Berge verkürzt und ge-
gen Osten schweift der Blick von Höhe zu Höhe. Und wie
idyllisch schön ist der nordwestwärts tief unten gelegene
Grund, aus dessen Mitte sich ein Dörfchen erhebt! Die
Burg selbst mit ihrer alten hohen Linde im Hofe gehört
zu den aufgeräumten, die ich eigentlich nicht leiden mag,
aber den Bewohnern des Städtchens ist es nicht zu ver-
denken, daß sie dieselbe für sich und die Reisenden freund-
licher zu machen suchten. Man flickt selbst an dem alten
Mauerwerk, freilich mit wenig Verständniß, so daß das
Flickwerk gar zu sehr vom alten Gemäuer absticht, obwohl
[Ende Spaltensatz]

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[716/0020] 716 verwischt er die Lokalfarbe und verstößt gegen das historische Costüm. Belehrte den Zuschauer nicht der lei- dige Zettel, daß Ella Rose in England spielt, man würde das Drama ohne Bedenken nach dem heutigen Dresden, Berlin oder einer andern beliebigen Stadt Deutschlands verlegen. ( Schluß folgt. ) Korrespondenz-Nachrichten. Aus Rheinhessen, Juli. ( s. Nr. 25. ) Nibelungenfahrten. III. Daß es uns schon auf dem Wege nach Grasellenbach und seinem verunglückten Siegfriedsbrunnen zu dem hoch und schön gelegenen Städtchen Lindenfels wahrhaft hingezogen, das habe ich bereits erwähnt. Wir eilten daher, weil der Abend nicht mehr allzufern war, aus dem wenig reizenden Gebiete des kleinen Ulfebachs heraus zu kommen, und kehrten auf demselben Wege nach dem Thal der Weschnitz zurück, ließen aber Fürth zur Linken und wanderten dem Dörfchen Krökelbach zu, dessen Be- such ich Landschaftsmalern empfehlen möchte, nicht nur weil es so hübsch in Obstbäumen, Pappeln und Erlen versteckt liegt, sondern auch um der zahlreichen vernach- lässigten und halb zerfallenen Häuschen willen, welche in solchem Grün recht malerische Bilder, aber von den öko- nomischen Zuständen freilich nicht das anziehendste Bild abgeben. Von da ging's nach dem Dorfe Krumbach und dann auf einer neuen Chaussee bergan. Wir glaubten den kürzeren Weg eingeschlagen zu haben, in der That aber war es der längere. Welche Umwege, welch zahllose Krümmen, bis die Straße die Höhe erstiegen hat, auf der Lindenfels liegt! Wen es nicht besonders interessirt, gerade diese dem ungünstigen Terrain wahrhaft abge- rungene Straße zu sehen, dem rathe ich, von Fürth aus den Feldweg über die Höhen einzuschlagen, der schneller zum Ziele führt. Jst doch auch die Aussicht wenig anziehend, obwohl man ziemlich tief in das stille Bergland hinein blickt und ein schloßartiges Gebäude von ferner Höhe her- über schauen sieht. Dagegen sind die tiefen Waldschluchten neben der Straße mit ihrem köstlichen Schatten eine wahre Labe für das Auge. Die Sonne war dem Untergange nahe, als wir end- lich oben aus dem Walde traten und das Städtchen vor uns hatten. Das ist ein rechtes Bild von Alter und Ar- muth, oder doch von einer Genügsamkeit, wie man sie selbst in solcher Abgeschiedenheit kaum mehr erwartet. Cultur, die alle Welt beleckt, scheint sich bis Lindenfels noch nicht erstreckt zu haben, wenigstens was das Aeußere der Wohnungen betrifft. Enge Gassen mit lauter un- scheinbaren Häusern von Fachwerk, an denen sogar die runden Fensterscheiben noch nicht verschwunden sind. Durch einen alten Thorthurm tritt man in den innern Theil des Städtchens, den eigentlichen Burgfrieden, den noch die Ringmauer umschließt und dessen wenige Häuser größer und fester sind, auch comfortabler aussehen. Hier woh- nen nämlich die Beamten des Kreisgerichts, das man dem Orte gelassen, um ihn nicht ganz zerfallen zu sehen. Sonst wäre der schöne Flecken Fürth ein weit stattlicherer und geeigneterer Ort für den Sitz des Gerichts. Wir eilten auf dem engen, durch Mauern verdunkel- ten Burgweg hinauf zur Ruine des alten Schlosses, um die Aussicht noch unter dem Lichte der untergehenden Sonne zu genießen. Sie ist in der That herrlich. Da liegt gegen Süden hin ein großer Theil des Weschnitz- thales, wie ein ungeheurer Kessel voll saftigen Grüns, über dem das rothe Gold der Abendsonnenstrahlen zitterte. Nach Westen hinaus steht man über die Höhen weg die fernen blauen Berge des überrheinischen Landes. Gegen Norden ist die Aussicht durch die Berge verkürzt und ge- gen Osten schweift der Blick von Höhe zu Höhe. Und wie idyllisch schön ist der nordwestwärts tief unten gelegene Grund, aus dessen Mitte sich ein Dörfchen erhebt! Die Burg selbst mit ihrer alten hohen Linde im Hofe gehört zu den aufgeräumten, die ich eigentlich nicht leiden mag, aber den Bewohnern des Städtchens ist es nicht zu ver- denken, daß sie dieselbe für sich und die Reisenden freund- licher zu machen suchten. Man flickt selbst an dem alten Mauerwerk, freilich mit wenig Verständniß, so daß das Flickwerk gar zu sehr vom alten Gemäuer absticht, obwohl

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/20>, abgerufen am 21.11.2024.