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Marburger Zeitung. Nr. 93, Marburg, 04.08.1903.

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Marburger Zeitung Nr. 93, 4. August 1903.

[Spaltenumbruch]

Anspruch hat und was er leider auch noch nach
dem Gesetze haben muß. Eines freilich wird der
Wendenpriester nie verweigern: Die Annahme
von Peterspfennigen, von Geldern für die windische
Kirche, für seinen Pfarrhof, von Hühnern, Eiern,
Schmalz u. dgl., wie es im Unterlande Brauch
und Sitte ist. Zum Zahlen ist ja der Deutsche
immer gut genug, niemals wird der Wendenpriester
einen Gulden zurückweisen, wenn er aus deutschen
Händen kommt; wenn es sich aber um die
Taufe, um die Trauung oder um das
Begräbnis eines Deutschen handelt, dann verwandelt
sich der stets nehmende Wendenpriester der Kouleur
Koroschetz in den verweigernden nationalen Fana-
tiker. Was aber wohl der Dulder mit der Dornen-
krone auf Golgatha sagen würde, wenn er dabei
anwesend wäre, wie in seinem Namen einer seiner
"Priester" einem Gläubigen die Trauung verweigert
und blos deshalb, weil er der großen deutschen
Nation angehört? Die Hochzeit von Kanaan,
bei welcher der Meister saß und die Hochzeit
von Reifnigg -- beide geben ein getreues Bild
von der Kirche Christi von einst und von der
Kirche deutschfeindlicher Wendenpriester von heute.
Fast 2000 Jahre sind verflossen, seit, wie uns die
biblische Legende sagt, der Herr den fehlenden
Petrus zu Antiochia mittelst eines Gesichtes be-
lehren mußte. Und doch hatte Petrus sich nur
geirrt, als er vor der Taufe des römischen Centurio
stand; die aber bei uns im Unterlande die Aufgabe
haben, die Lehre Christi nach römischer Auffassung
wiederzugeben, die irren nicht, wenn sie einem
Deutschen die Sakramente der Römerkirche ver-
weigern -- sie tuen dies bewußt und absichtlich,
weil die Kouleur Koroschetz nicht des heiligen Geistes
voll ist, sondern weil sie geleitet, gelenkt und
getrieben wird vom anerzogenen und eingeimpften
Geiste des wildesten Hasses gegen ihre deutschen
Pfarrkinder. Daraus aber die Konsequenzen zu
ziehen, das ist alles, was dem deutschen Volke
tausendmal in die Ohren und schläfrigen Augen
gerufen werden muß.




Politische Umschau.
Inland.
Feierliche Sponsion der Pharmazeuten.

Am 25. v. M. fand in Wien die erste feier-
liche Sponsion von Pharmazeuten zu Magistern
der Pharmazie statt. Die Kandidaten empfingen die
[Spaltenumbruch] Diplome und legten in die Hände des Dekans und
des Professors der Pharmakognosie das Gelöbnis,
den Gesetzen ihres Standes treu zu leben. Wiewohl
in dem Magisterdiplome ausdrücklich hervorgehoben
ist, daß der Handschlag in feierlicher Weise gegeben
werde, so war es bis jetzt doch nur auf dem Di-
plome gestanden. Allein den fortgesetzten Bemühungen
des deutschen Pharmazeutenvereines in Wien ist es
gelungen, sein Recht zu erlangen. So hat nun
auch der Pharmazeut einen würdigen Abschluß
seiner Hochschulstudien, die ihm ein schweres Stück
Geld kosten und viel Fleiß und Arbeit verlangen,
so daß es nur recht und billig ist, den Abschluß
seiner Studien feierlich zu begehen.

Die "Los von Rom"-Bewegung.

Die Uebertrittsbewegung in Oesterreich wird
für die Zeit vom Anfang des Jahres 1899 bis
Ende 1902 in reichsdeutschen Blättern wie folgt
skizziert: In diesem Zeitabschnitt wurden 37 evan-
gelische Kirchen, 13 Bethäuser, 3 Friedhofskapellen
und 8 evangelische Pfarrhäuser erbaut. An 120
Orten wurde seit den Tagen der Gegenreformation
wieder zum erstenmal evangelischer Gottesdienst
gehalten, etwa 100 Predigtstationen wurden errichtet,
12 selbständige Pfarrgemeinden gebildet. Gegen
90 junge Seelsorger, meist aus Deutschland, traten
in den Dienst der Bewegung; etwa ein Dutzend
wurde wieder über die Grenze gewiesen. Die Zahl
der zur evangelischen Kirche Uebergetretenen beläuft
sich im genannten Zeitraum auf 24.304, die Zahl
der Austritte aus der römisch-katholischen Kirche
(mit Einschluß der Uebertritte zum Altkatholizismus
9393, zu den Herrenhutern, den Methodisten und
einschließlich der konfessionslos gebliebenen) auf
mindestens 34.000. -- Vor Beginn der Bewegung
gab es in Böhmen: 18 evangelische Seelsorge-
sprengel, 23 Kirchen, 28 Geistliche, 48 Orte mit
Gottesdienst. Ende 1902 dagegen: 49 Seelsorge-
sprengel, 52 Kirchen und Bethäuser, 68 Geistliche,
125 Orte mit regelmäßigem Gottesdienst. Für
Steiermark lauten dieselben Zahlen:
1899: 6, 12, 8, 17; 1902 dagegen: 11, 19, 23,
59. -- Im ersten Halbjahre 1903 wurde an 14
Orten zum erstenmal evangelischer Gottesdienst ge-
halten, 8 Predigtstationen wurden begründet und 2
selbständige Pfarrgemeinden errichtet, drei neue
Kirchen wurden eingeweiht.

Ausland.
Die ungarische Bestechungsgeschichte.

Das Geheimnis des Programmes des unga-
rischen Ministerpräsidenten Grafen Khuen-
Hedervary
ist durch die Enthüllungen des Abg.
Papp gründlich gelüftet worden. Es bestand in
einem vollen Geldsack, in der Skrupellosigkeit, unbe-
denklich in die Taschen der Steuerträger zu greifen,
in der Verachtung aller parlamentarischen Institu-
tionen und ihrer Träger, einer Verachtung, die das
[Spaltenumbruch] ungarische Parlament dem Grafen Khuen, indem es
sich seiner erwehrt, gar nicht kräftig genug zurück-
geben kann. Das Abgeordnetenhaus hat seine
Sitzungen bis 10. August nun unterbrochen, um
der Untersuchungs-Kommission in der Bestechungs-
angelegenheit Szapary-Dines Raum für die Durch-
führung ihrer Arbeiten zu geben. Im Laufe der
eifrig gepflogenen Untersuchungen stellte sich heraus,
daß Bestechungsversuche bei den meisten Abgeord-
neten der Opposition unternommen, teils sogar
durchgeführt wurden, durch die zahlreiche der Regie-
rung nahe stehende Personen komprommittiert
werden. An den Unterhandlungen Khuens-Szapary
waren jüdische Journalisten hervorragend beteiligt.
Martin Dines, der sich, als die Angelegenheit im
Parlamente zur Sprache kam, sofort flüchtete, ge-
langte zu leitenden Stellungen in der oppositio-
nellen Presse weniger durch seine geistigen Fähig-
keiten als durch seine zahlreichen Ehrenhändel. Die
letzte Ehrenaffäre hatte er wegen einer Preßpolemik
mit einem Obersten des gemeinsamen Heeres im
letzten Herbst. Die Sekundanten des Obersten ver-
zichteten jedoch auf die Genugtuung, weil gegen
Dines bei Gericht verschiedene Strafanzeigen
erstattet waren. Bis Ende April war Dienes Chef-
redakteur des "Független Magyarorszag", welches
als Organ der jüngeren radikalen Unabhängigkeits-
partei, also der eigentlichen Obstruktionisten gilt.
Seit er diese Stelle niederlegen mußte, befaßte er
sich mit Agenturgeschäften im Auftrage einer haupt-
städtischen Buchhandlung. Er bewohnte eine große
Wohnung am Josefsring. Seine Familie schickte er
in eine nahe der Hauptstadt gelegene Sommerfrische,
wo er ein Haus mietete und wohin er auch seine
Möbel bringen ließ. Seine Agentur hatte er schon
am 15. d. einem anderen Agenten übergeben, indem
er sagte, er habe jetzt anderes zu tun. Seither sah
man ihn wiederholt in Equipagen und Mietwagen
herumfahren, öfters auch in Gesellschaft des gleich-
falls in die Sache verwickelten Redakteurs Arthur
Singer. Am 22. d. ließ er durch einen Privat-
deketiv im Cafe "Royal" den in der Mittwoch-
Sitzung des Abgeordnetenhauses gleichfalls erwähnten
Wechsel des Abg. Nessi ankaufen. Da Dines schon
seit dem 15. oder jedenfalls seit dem 18. d. sich
mit den Bestechungen abgegeben zu haben scheint,
wird den Gerüchten Nahrung geboten, daß es schon
mehrere Bestechungsfälle gebe und bereits mehrere
Abgeordnete Geldbeträge erhielten. Die Unter-
suchung fördert fortwährend neue Ueberraschungen
zutage, ein klares Bild über den ganzen Sachverhalt
jedoch wird man sich erst nach ihrer Abschließung
machen können. Szapary versicherte zwar ehren-
wörtlich, daß Graf Khuen-Hedervary bei der ganzen
Sache nicht die geringste Kenntnis besessen habe,
die Begleitumstände der Bestechungsversuche, Sza-
parys Stellung als Gouverneur und sein freund-
schaftliches Verhältnis zu Khuen-Hedervary erwecken
jedoch berechtigten Zweifel an der Wahrheit seiner An-




[Spaltenumbruch]

"Mich, wenn den sonst? Das ist ja nur
dummer Schnack von dem Werner, er sagt das,
um den Bruder zu retten, von dem er sich, Gott
weiß weshalb, einbildet, er könne den Vater er-
schossen haben. Ich bin's, ich ganz allein bin's
gewesen, wer hätte den Alten so gut auf's Korn
nehmen können, als ein alter Jäger? Lassen Sie
die jungen Herren frei und sperren Sie mich ein."

Es klang jetzt förmlich ein Ton von Gemüt-
lichkeit durch die Worte des Alten.

"Sie werden in Haft bleiben müssen, bis sich
die dunkle Sache völlig aufgeklärt", erwiderte
Müller. "Auch Sie werden zu meinem Bedauern
dies Schicksal teilen, obwohl mir Ihre Angaben
sehr zweifelhaft erscheinen."

"Sie halten mich also für einen Lügner?"
rief Regler heftig, trotzdem gewahrte der Rat recht
gut, daß es nur ein künstliches Aufbrausen war.

"Nach Ihrer Aussage werde ich Sie verhaften
lassen, mehr können Sie vorderhand nicht fordern",
entgegnete Müller ruhig, der sich eines tiefen Mit-
leids mit dem alten Manne nicht entschlagen konnte.

"Es ist gut so, aber nicht wahr, den armen
Felix geben Sie bald frei und auch Werner lassen
Sie nicht sitzen? Sie sind ja beide unschuldig!"

Der Oberförster richtete seine blauen Augen
mit unendlicher Treuherzigkeit auf den Unter-
suchungsrichter.

Dieser zuckte die Achseln. "Wir wollen sehen,
ich werde alles versuchen, um in diese dunkle Sache
Licht zu bringen."

Ruhig, wie von einer großen Last befreit, ließ
sich Regler in das Gefängnis führen. Ja, es schien
[Spaltenumbruch] für ihn eine förmliche Crleichterung zu kommen,
war er doch nun in der Nähe seines Lieblings,
athmete er doch mit ihm dieselbe Luft, und wenn
auch dieser davon keine Kenntnis hatte, für ihn
selber war es eine große Befriedigung.

Fichtner.

Der Buschmüller kehrte nach einigen Stunden
wieder nach Hause zurück. Zu ihrer grenzenlosen
Verwunderung bemerkte Brigitte, die voll Sorgen
und Bangen der Heimkehr des Bruders entgegen-
geschaut hatte, daß er nicht allein auf dem Wagen
saß, sondern in Begleitung eines Gastes erschien,
der seit Jahren keinen Fuß in die Buschmühle ge-
setzt hatte, Fichtner kam mit ihm. Während der
ersten Zeit seines Aufenthaltes in Bankowo war
Fichtner wohl zuweilen nach der Buschmühle ge-
kommen und dort gut aufgenommen worden, be-
sonders da er für Brigitte eine Erinnerung an eine
schöne kurze Zeit ihres Lebens mit sich brachte, seit
er aber gänzlich der Hausgenosse des alten Brause-
dorf geworden, und seit er in so unverantwortlicher
Weise gegen Libussa Braun gehandelt, wollten
Peters und seine Schwester nichts mehr mit ihm
zu tun haben. Dem ehrlichen Buschmüller mußte
eine so zweifelhafte Existenz wie die des Ex-
Referendars unheimlich erscheinen, seine Schwester
grollte ihm um der Freundin willen; von ihm
zurückgezogen, gerade weil sie ihn früher anders
gekannt, mußte jetzt seine fragwürdige Erscheinung
einen um so peinlicheren Eindruck auf sie machen.

Fichtner war der Sohn eines reichen Kauf-
manns, den eine zärtliche Mutter von Kindheit an
[Spaltenumbruch] grenzenlos verwöhnt. Er hatte sich nie etwas
versagen dürfen, jeder Wunsch war ihm erfüllt
worden. Mit seinen Studien hatte er es deshalb
ebenfalls nicht sehr ernst genommen und kaum das
Notwendigste gelernt. Sein Schulkamerad Müller,
der Sohn eines armen Handwerkers, der sich unter
harten Entbehrungen und Anstrengungen empor-
arbeiten mußte, machte ihm die Exerzitien und
wurde dafür von dem reichen Freunde mit Kleidern,
Wäsche, wohl auch mit Geld unterstützt, wenn
der heimliche Zuschuß der Mutter gerade
reichlicher floß.

Der zierliche, elegante Fichtner nahm sich mit
seinen Studien Zeit, deshalb bezogen beide gemein-
schaftlich dieselbe Universität und blieben auch dort
zusammen, obgleich es für den jungen Müller eine
weit härtere Aufgabe war, dieses Ziel so rasch
zu erreichen, als für den glücklich gestellten Fichtner,
aber nach dem Abgange von der Universität hielten
die Studienfreunde nicht mehr gleichen Schritt.
Fichtner war, nachdem er mit Mühe und Not
sein Referendar-Examen gemacht, an das Kreis-
gericht nach Bankowo versetzt worden und dort
sitzen geblieben. Er wurde von dem tollen lustigen
Leben mit fortgerissen, das die reichen Gutsbesitzer
der Umgegend führten. Vollends vorbei war es
aber mit ihm, als er endlich Stammgast in
Radzionka geworden.

Allerdings fesselte ihn ein ganz anderer Zauber
als der Umgang mit dem alten wüsten Brausedorf.

(Fortsetzung folgt.)


Marburger Zeitung Nr. 93, 4. Auguſt 1903.

[Spaltenumbruch]

Anſpruch hat und was er leider auch noch nach
dem Geſetze haben muß. Eines freilich wird der
Wendenprieſter nie verweigern: Die Annahme
von Peterspfennigen, von Geldern für die windiſche
Kirche, für ſeinen Pfarrhof, von Hühnern, Eiern,
Schmalz u. dgl., wie es im Unterlande Brauch
und Sitte iſt. Zum Zahlen iſt ja der Deutſche
immer gut genug, niemals wird der Wendenprieſter
einen Gulden zurückweiſen, wenn er aus deutſchen
Händen kommt; wenn es ſich aber um die
Taufe, um die Trauung oder um das
Begräbnis eines Deutſchen handelt, dann verwandelt
ſich der ſtets nehmende Wendenprieſter der Kouleur
Koroſchetz in den verweigernden nationalen Fana-
tiker. Was aber wohl der Dulder mit der Dornen-
krone auf Golgatha ſagen würde, wenn er dabei
anweſend wäre, wie in ſeinem Namen einer ſeiner
„Prieſter“ einem Gläubigen die Trauung verweigert
und blos deshalb, weil er der großen deutſchen
Nation angehört? Die Hochzeit von Kanaan,
bei welcher der Meiſter ſaß und die Hochzeit
von Reifnigg — beide geben ein getreues Bild
von der Kirche Chriſti von einſt und von der
Kirche deutſchfeindlicher Wendenprieſter von heute.
Faſt 2000 Jahre ſind verfloſſen, ſeit, wie uns die
bibliſche Legende ſagt, der Herr den fehlenden
Petrus zu Antiochia mittelſt eines Geſichtes be-
lehren mußte. Und doch hatte Petrus ſich nur
geirrt, als er vor der Taufe des römiſchen Centurio
ſtand; die aber bei uns im Unterlande die Aufgabe
haben, die Lehre Chriſti nach römiſcher Auffaſſung
wiederzugeben, die irren nicht, wenn ſie einem
Deutſchen die Sakramente der Römerkirche ver-
weigern — ſie tuen dies bewußt und abſichtlich,
weil die Kouleur Koroſchetz nicht des heiligen Geiſtes
voll iſt, ſondern weil ſie geleitet, gelenkt und
getrieben wird vom anerzogenen und eingeimpften
Geiſte des wildeſten Haſſes gegen ihre deutſchen
Pfarrkinder. Daraus aber die Konſequenzen zu
ziehen, das iſt alles, was dem deutſchen Volke
tauſendmal in die Ohren und ſchläfrigen Augen
gerufen werden muß.




Politiſche Umſchau.
Inland.
Feierliche Sponſion der Pharmazeuten.

Am 25. v. M. fand in Wien die erſte feier-
liche Sponſion von Pharmazeuten zu Magiſtern
der Pharmazie ſtatt. Die Kandidaten empfingen die
[Spaltenumbruch] Diplome und legten in die Hände des Dekans und
des Profeſſors der Pharmakognoſie das Gelöbnis,
den Geſetzen ihres Standes treu zu leben. Wiewohl
in dem Magiſterdiplome ausdrücklich hervorgehoben
iſt, daß der Handſchlag in feierlicher Weiſe gegeben
werde, ſo war es bis jetzt doch nur auf dem Di-
plome geſtanden. Allein den fortgeſetzten Bemühungen
des deutſchen Pharmazeutenvereines in Wien iſt es
gelungen, ſein Recht zu erlangen. So hat nun
auch der Pharmazeut einen würdigen Abſchluß
ſeiner Hochſchulſtudien, die ihm ein ſchweres Stück
Geld koſten und viel Fleiß und Arbeit verlangen,
ſo daß es nur recht und billig iſt, den Abſchluß
ſeiner Studien feierlich zu begehen.

Die „Los von Rom“-Bewegung.

Die Uebertrittsbewegung in Oeſterreich wird
für die Zeit vom Anfang des Jahres 1899 bis
Ende 1902 in reichsdeutſchen Blättern wie folgt
ſkizziert: In dieſem Zeitabſchnitt wurden 37 evan-
geliſche Kirchen, 13 Bethäuſer, 3 Friedhofskapellen
und 8 evangeliſche Pfarrhäuſer erbaut. An 120
Orten wurde ſeit den Tagen der Gegenreformation
wieder zum erſtenmal evangeliſcher Gottesdienſt
gehalten, etwa 100 Predigtſtationen wurden errichtet,
12 ſelbſtändige Pfarrgemeinden gebildet. Gegen
90 junge Seelſorger, meiſt aus Deutſchland, traten
in den Dienſt der Bewegung; etwa ein Dutzend
wurde wieder über die Grenze gewieſen. Die Zahl
der zur evangeliſchen Kirche Uebergetretenen beläuft
ſich im genannten Zeitraum auf 24.304, die Zahl
der Austritte aus der römiſch-katholiſchen Kirche
(mit Einſchluß der Uebertritte zum Altkatholizismus
9393, zu den Herrenhutern, den Methodiſten und
einſchließlich der konfeſſionslos gebliebenen) auf
mindeſtens 34.000. — Vor Beginn der Bewegung
gab es in Böhmen: 18 evangeliſche Seelſorge-
ſprengel, 23 Kirchen, 28 Geiſtliche, 48 Orte mit
Gottesdienſt. Ende 1902 dagegen: 49 Seelſorge-
ſprengel, 52 Kirchen und Bethäuſer, 68 Geiſtliche,
125 Orte mit regelmäßigem Gottesdienſt. Für
Steiermark lauten dieſelben Zahlen:
1899: 6, 12, 8, 17; 1902 dagegen: 11, 19, 23,
59. — Im erſten Halbjahre 1903 wurde an 14
Orten zum erſtenmal evangeliſcher Gottesdienſt ge-
halten, 8 Predigtſtationen wurden begründet und 2
ſelbſtändige Pfarrgemeinden errichtet, drei neue
Kirchen wurden eingeweiht.

Ausland.
Die ungariſche Beſtechungsgeſchichte.

Das Geheimnis des Programmes des unga-
riſchen Miniſterpräſidenten Grafen Khuen-
Hedervary
iſt durch die Enthüllungen des Abg.
Papp gründlich gelüftet worden. Es beſtand in
einem vollen Geldſack, in der Skrupelloſigkeit, unbe-
denklich in die Taſchen der Steuerträger zu greifen,
in der Verachtung aller parlamentariſchen Inſtitu-
tionen und ihrer Träger, einer Verachtung, die das
[Spaltenumbruch] ungariſche Parlament dem Grafen Khuen, indem es
ſich ſeiner erwehrt, gar nicht kräftig genug zurück-
geben kann. Das Abgeordnetenhaus hat ſeine
Sitzungen bis 10. Auguſt nun unterbrochen, um
der Unterſuchungs-Kommiſſion in der Beſtechungs-
angelegenheit Szapary-Dines Raum für die Durch-
führung ihrer Arbeiten zu geben. Im Laufe der
eifrig gepflogenen Unterſuchungen ſtellte ſich heraus,
daß Beſtechungsverſuche bei den meiſten Abgeord-
neten der Oppoſition unternommen, teils ſogar
durchgeführt wurden, durch die zahlreiche der Regie-
rung nahe ſtehende Perſonen komprommittiert
werden. An den Unterhandlungen Khuens-Szapary
waren jüdiſche Journaliſten hervorragend beteiligt.
Martin Dines, der ſich, als die Angelegenheit im
Parlamente zur Sprache kam, ſofort flüchtete, ge-
langte zu leitenden Stellungen in der oppoſitio-
nellen Preſſe weniger durch ſeine geiſtigen Fähig-
keiten als durch ſeine zahlreichen Ehrenhändel. Die
letzte Ehrenaffäre hatte er wegen einer Preßpolemik
mit einem Oberſten des gemeinſamen Heeres im
letzten Herbſt. Die Sekundanten des Oberſten ver-
zichteten jedoch auf die Genugtuung, weil gegen
Dines bei Gericht verſchiedene Strafanzeigen
erſtattet waren. Bis Ende April war Dienes Chef-
redakteur des „Független Magyarorszag“, welches
als Organ der jüngeren radikalen Unabhängigkeits-
partei, alſo der eigentlichen Obſtruktioniſten gilt.
Seit er dieſe Stelle niederlegen mußte, befaßte er
ſich mit Agenturgeſchäften im Auftrage einer haupt-
ſtädtiſchen Buchhandlung. Er bewohnte eine große
Wohnung am Joſefsring. Seine Familie ſchickte er
in eine nahe der Hauptſtadt gelegene Sommerfriſche,
wo er ein Haus mietete und wohin er auch ſeine
Möbel bringen ließ. Seine Agentur hatte er ſchon
am 15. d. einem anderen Agenten übergeben, indem
er ſagte, er habe jetzt anderes zu tun. Seither ſah
man ihn wiederholt in Equipagen und Mietwagen
herumfahren, öfters auch in Geſellſchaft des gleich-
falls in die Sache verwickelten Redakteurs Arthur
Singer. Am 22. d. ließ er durch einen Privat-
deketiv im Café „Royal“ den in der Mittwoch-
Sitzung des Abgeordnetenhauſes gleichfalls erwähnten
Wechſel des Abg. Neſſi ankaufen. Da Dines ſchon
ſeit dem 15. oder jedenfalls ſeit dem 18. d. ſich
mit den Beſtechungen abgegeben zu haben ſcheint,
wird den Gerüchten Nahrung geboten, daß es ſchon
mehrere Beſtechungsfälle gebe und bereits mehrere
Abgeordnete Geldbeträge erhielten. Die Unter-
ſuchung fördert fortwährend neue Ueberraſchungen
zutage, ein klares Bild über den ganzen Sachverhalt
jedoch wird man ſich erſt nach ihrer Abſchließung
machen können. Szapary verſicherte zwar ehren-
wörtlich, daß Graf Khuen-Hedervary bei der ganzen
Sache nicht die geringſte Kenntnis beſeſſen habe,
die Begleitumſtände der Beſtechungsverſuche, Sza-
parys Stellung als Gouverneur und ſein freund-
ſchaftliches Verhältnis zu Khuen-Hedervary erwecken
jedoch berechtigten Zweifel an der Wahrheit ſeiner An-




[Spaltenumbruch]

„Mich, wenn den ſonſt? Das iſt ja nur
dummer Schnack von dem Werner, er ſagt das,
um den Bruder zu retten, von dem er ſich, Gott
weiß weshalb, einbildet, er könne den Vater er-
ſchoſſen haben. Ich bin’s, ich ganz allein bin’s
geweſen, wer hätte den Alten ſo gut auf’s Korn
nehmen können, als ein alter Jäger? Laſſen Sie
die jungen Herren frei und ſperren Sie mich ein.“

Es klang jetzt förmlich ein Ton von Gemüt-
lichkeit durch die Worte des Alten.

„Sie werden in Haft bleiben müſſen, bis ſich
die dunkle Sache völlig aufgeklärt“, erwiderte
Müller. „Auch Sie werden zu meinem Bedauern
dies Schickſal teilen, obwohl mir Ihre Angaben
ſehr zweifelhaft erſcheinen.“

„Sie halten mich alſo für einen Lügner?“
rief Regler heftig, trotzdem gewahrte der Rat recht
gut, daß es nur ein künſtliches Aufbrauſen war.

„Nach Ihrer Ausſage werde ich Sie verhaften
laſſen, mehr können Sie vorderhand nicht fordern“,
entgegnete Müller ruhig, der ſich eines tiefen Mit-
leids mit dem alten Manne nicht entſchlagen konnte.

„Es iſt gut ſo, aber nicht wahr, den armen
Felix geben Sie bald frei und auch Werner laſſen
Sie nicht ſitzen? Sie ſind ja beide unſchuldig!“

Der Oberförſter richtete ſeine blauen Augen
mit unendlicher Treuherzigkeit auf den Unter-
ſuchungsrichter.

Dieſer zuckte die Achſeln. „Wir wollen ſehen,
ich werde alles verſuchen, um in dieſe dunkle Sache
Licht zu bringen.“

Ruhig, wie von einer großen Laſt befreit, ließ
ſich Regler in das Gefängnis führen. Ja, es ſchien
[Spaltenumbruch] für ihn eine förmliche Crleichterung zu kommen,
war er doch nun in der Nähe ſeines Lieblings,
athmete er doch mit ihm dieſelbe Luft, und wenn
auch dieſer davon keine Kenntnis hatte, für ihn
ſelber war es eine große Befriedigung.

Fichtner.

Der Buſchmüller kehrte nach einigen Stunden
wieder nach Hauſe zurück. Zu ihrer grenzenloſen
Verwunderung bemerkte Brigitte, die voll Sorgen
und Bangen der Heimkehr des Bruders entgegen-
geſchaut hatte, daß er nicht allein auf dem Wagen
ſaß, ſondern in Begleitung eines Gaſtes erſchien,
der ſeit Jahren keinen Fuß in die Buſchmühle ge-
ſetzt hatte, Fichtner kam mit ihm. Während der
erſten Zeit ſeines Aufenthaltes in Bankowo war
Fichtner wohl zuweilen nach der Buſchmühle ge-
kommen und dort gut aufgenommen worden, be-
ſonders da er für Brigitte eine Erinnerung an eine
ſchöne kurze Zeit ihres Lebens mit ſich brachte, ſeit
er aber gänzlich der Hausgenoſſe des alten Brauſe-
dorf geworden, und ſeit er in ſo unverantwortlicher
Weiſe gegen Libuſſa Braun gehandelt, wollten
Peters und ſeine Schweſter nichts mehr mit ihm
zu tun haben. Dem ehrlichen Buſchmüller mußte
eine ſo zweifelhafte Exiſtenz wie die des Ex-
Referendars unheimlich erſcheinen, ſeine Schweſter
grollte ihm um der Freundin willen; von ihm
zurückgezogen, gerade weil ſie ihn früher anders
gekannt, mußte jetzt ſeine fragwürdige Erſcheinung
einen um ſo peinlicheren Eindruck auf ſie machen.

Fichtner war der Sohn eines reichen Kauf-
manns, den eine zärtliche Mutter von Kindheit an
[Spaltenumbruch] grenzenlos verwöhnt. Er hatte ſich nie etwas
verſagen dürfen, jeder Wunſch war ihm erfüllt
worden. Mit ſeinen Studien hatte er es deshalb
ebenfalls nicht ſehr ernſt genommen und kaum das
Notwendigſte gelernt. Sein Schulkamerad Müller,
der Sohn eines armen Handwerkers, der ſich unter
harten Entbehrungen und Anſtrengungen empor-
arbeiten mußte, machte ihm die Exerzitien und
wurde dafür von dem reichen Freunde mit Kleidern,
Wäſche, wohl auch mit Geld unterſtützt, wenn
der heimliche Zuſchuß der Mutter gerade
reichlicher floß.

Der zierliche, elegante Fichtner nahm ſich mit
ſeinen Studien Zeit, deshalb bezogen beide gemein-
ſchaftlich dieſelbe Univerſität und blieben auch dort
zuſammen, obgleich es für den jungen Müller eine
weit härtere Aufgabe war, dieſes Ziel ſo raſch
zu erreichen, als für den glücklich geſtellten Fichtner,
aber nach dem Abgange von der Univerſität hielten
die Studienfreunde nicht mehr gleichen Schritt.
Fichtner war, nachdem er mit Mühe und Not
ſein Referendar-Examen gemacht, an das Kreis-
gericht nach Bankowo verſetzt worden und dort
ſitzen geblieben. Er wurde von dem tollen luſtigen
Leben mit fortgeriſſen, das die reichen Gutsbeſitzer
der Umgegend führten. Vollends vorbei war es
aber mit ihm, als er endlich Stammgaſt in
Radzionka geworden.

Allerdings feſſelte ihn ein ganz anderer Zauber
als der Umgang mit dem alten wüſten Brauſedorf.

(Fortſetzung folgt.)


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[2/0002] Marburger Zeitung Nr. 93, 4. Auguſt 1903. Anſpruch hat und was er leider auch noch nach dem Geſetze haben muß. Eines freilich wird der Wendenprieſter nie verweigern: Die Annahme von Peterspfennigen, von Geldern für die windiſche Kirche, für ſeinen Pfarrhof, von Hühnern, Eiern, Schmalz u. dgl., wie es im Unterlande Brauch und Sitte iſt. Zum Zahlen iſt ja der Deutſche immer gut genug, niemals wird der Wendenprieſter einen Gulden zurückweiſen, wenn er aus deutſchen Händen kommt; wenn es ſich aber um die Taufe, um die Trauung oder um das Begräbnis eines Deutſchen handelt, dann verwandelt ſich der ſtets nehmende Wendenprieſter der Kouleur Koroſchetz in den verweigernden nationalen Fana- tiker. Was aber wohl der Dulder mit der Dornen- krone auf Golgatha ſagen würde, wenn er dabei anweſend wäre, wie in ſeinem Namen einer ſeiner „Prieſter“ einem Gläubigen die Trauung verweigert und blos deshalb, weil er der großen deutſchen Nation angehört? Die Hochzeit von Kanaan, bei welcher der Meiſter ſaß und die Hochzeit von Reifnigg — beide geben ein getreues Bild von der Kirche Chriſti von einſt und von der Kirche deutſchfeindlicher Wendenprieſter von heute. Faſt 2000 Jahre ſind verfloſſen, ſeit, wie uns die bibliſche Legende ſagt, der Herr den fehlenden Petrus zu Antiochia mittelſt eines Geſichtes be- lehren mußte. Und doch hatte Petrus ſich nur geirrt, als er vor der Taufe des römiſchen Centurio ſtand; die aber bei uns im Unterlande die Aufgabe haben, die Lehre Chriſti nach römiſcher Auffaſſung wiederzugeben, die irren nicht, wenn ſie einem Deutſchen die Sakramente der Römerkirche ver- weigern — ſie tuen dies bewußt und abſichtlich, weil die Kouleur Koroſchetz nicht des heiligen Geiſtes voll iſt, ſondern weil ſie geleitet, gelenkt und getrieben wird vom anerzogenen und eingeimpften Geiſte des wildeſten Haſſes gegen ihre deutſchen Pfarrkinder. Daraus aber die Konſequenzen zu ziehen, das iſt alles, was dem deutſchen Volke tauſendmal in die Ohren und ſchläfrigen Augen gerufen werden muß. N. J. Politiſche Umſchau. Inland. Feierliche Sponſion der Pharmazeuten. Am 25. v. M. fand in Wien die erſte feier- liche Sponſion von Pharmazeuten zu Magiſtern der Pharmazie ſtatt. Die Kandidaten empfingen die Diplome und legten in die Hände des Dekans und des Profeſſors der Pharmakognoſie das Gelöbnis, den Geſetzen ihres Standes treu zu leben. Wiewohl in dem Magiſterdiplome ausdrücklich hervorgehoben iſt, daß der Handſchlag in feierlicher Weiſe gegeben werde, ſo war es bis jetzt doch nur auf dem Di- plome geſtanden. Allein den fortgeſetzten Bemühungen des deutſchen Pharmazeutenvereines in Wien iſt es gelungen, ſein Recht zu erlangen. So hat nun auch der Pharmazeut einen würdigen Abſchluß ſeiner Hochſchulſtudien, die ihm ein ſchweres Stück Geld koſten und viel Fleiß und Arbeit verlangen, ſo daß es nur recht und billig iſt, den Abſchluß ſeiner Studien feierlich zu begehen. Die „Los von Rom“-Bewegung. Die Uebertrittsbewegung in Oeſterreich wird für die Zeit vom Anfang des Jahres 1899 bis Ende 1902 in reichsdeutſchen Blättern wie folgt ſkizziert: In dieſem Zeitabſchnitt wurden 37 evan- geliſche Kirchen, 13 Bethäuſer, 3 Friedhofskapellen und 8 evangeliſche Pfarrhäuſer erbaut. An 120 Orten wurde ſeit den Tagen der Gegenreformation wieder zum erſtenmal evangeliſcher Gottesdienſt gehalten, etwa 100 Predigtſtationen wurden errichtet, 12 ſelbſtändige Pfarrgemeinden gebildet. Gegen 90 junge Seelſorger, meiſt aus Deutſchland, traten in den Dienſt der Bewegung; etwa ein Dutzend wurde wieder über die Grenze gewieſen. Die Zahl der zur evangeliſchen Kirche Uebergetretenen beläuft ſich im genannten Zeitraum auf 24.304, die Zahl der Austritte aus der römiſch-katholiſchen Kirche (mit Einſchluß der Uebertritte zum Altkatholizismus 9393, zu den Herrenhutern, den Methodiſten und einſchließlich der konfeſſionslos gebliebenen) auf mindeſtens 34.000. — Vor Beginn der Bewegung gab es in Böhmen: 18 evangeliſche Seelſorge- ſprengel, 23 Kirchen, 28 Geiſtliche, 48 Orte mit Gottesdienſt. Ende 1902 dagegen: 49 Seelſorge- ſprengel, 52 Kirchen und Bethäuſer, 68 Geiſtliche, 125 Orte mit regelmäßigem Gottesdienſt. Für Steiermark lauten dieſelben Zahlen: 1899: 6, 12, 8, 17; 1902 dagegen: 11, 19, 23, 59. — Im erſten Halbjahre 1903 wurde an 14 Orten zum erſtenmal evangeliſcher Gottesdienſt ge- halten, 8 Predigtſtationen wurden begründet und 2 ſelbſtändige Pfarrgemeinden errichtet, drei neue Kirchen wurden eingeweiht. Ausland. Die ungariſche Beſtechungsgeſchichte. Das Geheimnis des Programmes des unga- riſchen Miniſterpräſidenten Grafen Khuen- Hedervary iſt durch die Enthüllungen des Abg. Papp gründlich gelüftet worden. Es beſtand in einem vollen Geldſack, in der Skrupelloſigkeit, unbe- denklich in die Taſchen der Steuerträger zu greifen, in der Verachtung aller parlamentariſchen Inſtitu- tionen und ihrer Träger, einer Verachtung, die das ungariſche Parlament dem Grafen Khuen, indem es ſich ſeiner erwehrt, gar nicht kräftig genug zurück- geben kann. Das Abgeordnetenhaus hat ſeine Sitzungen bis 10. Auguſt nun unterbrochen, um der Unterſuchungs-Kommiſſion in der Beſtechungs- angelegenheit Szapary-Dines Raum für die Durch- führung ihrer Arbeiten zu geben. Im Laufe der eifrig gepflogenen Unterſuchungen ſtellte ſich heraus, daß Beſtechungsverſuche bei den meiſten Abgeord- neten der Oppoſition unternommen, teils ſogar durchgeführt wurden, durch die zahlreiche der Regie- rung nahe ſtehende Perſonen komprommittiert werden. An den Unterhandlungen Khuens-Szapary waren jüdiſche Journaliſten hervorragend beteiligt. Martin Dines, der ſich, als die Angelegenheit im Parlamente zur Sprache kam, ſofort flüchtete, ge- langte zu leitenden Stellungen in der oppoſitio- nellen Preſſe weniger durch ſeine geiſtigen Fähig- keiten als durch ſeine zahlreichen Ehrenhändel. Die letzte Ehrenaffäre hatte er wegen einer Preßpolemik mit einem Oberſten des gemeinſamen Heeres im letzten Herbſt. Die Sekundanten des Oberſten ver- zichteten jedoch auf die Genugtuung, weil gegen Dines bei Gericht verſchiedene Strafanzeigen erſtattet waren. Bis Ende April war Dienes Chef- redakteur des „Független Magyarorszag“, welches als Organ der jüngeren radikalen Unabhängigkeits- partei, alſo der eigentlichen Obſtruktioniſten gilt. Seit er dieſe Stelle niederlegen mußte, befaßte er ſich mit Agenturgeſchäften im Auftrage einer haupt- ſtädtiſchen Buchhandlung. Er bewohnte eine große Wohnung am Joſefsring. Seine Familie ſchickte er in eine nahe der Hauptſtadt gelegene Sommerfriſche, wo er ein Haus mietete und wohin er auch ſeine Möbel bringen ließ. Seine Agentur hatte er ſchon am 15. d. einem anderen Agenten übergeben, indem er ſagte, er habe jetzt anderes zu tun. Seither ſah man ihn wiederholt in Equipagen und Mietwagen herumfahren, öfters auch in Geſellſchaft des gleich- falls in die Sache verwickelten Redakteurs Arthur Singer. Am 22. d. ließ er durch einen Privat- deketiv im Café „Royal“ den in der Mittwoch- Sitzung des Abgeordnetenhauſes gleichfalls erwähnten Wechſel des Abg. Neſſi ankaufen. Da Dines ſchon ſeit dem 15. oder jedenfalls ſeit dem 18. d. ſich mit den Beſtechungen abgegeben zu haben ſcheint, wird den Gerüchten Nahrung geboten, daß es ſchon mehrere Beſtechungsfälle gebe und bereits mehrere Abgeordnete Geldbeträge erhielten. Die Unter- ſuchung fördert fortwährend neue Ueberraſchungen zutage, ein klares Bild über den ganzen Sachverhalt jedoch wird man ſich erſt nach ihrer Abſchließung machen können. Szapary verſicherte zwar ehren- wörtlich, daß Graf Khuen-Hedervary bei der ganzen Sache nicht die geringſte Kenntnis beſeſſen habe, die Begleitumſtände der Beſtechungsverſuche, Sza- parys Stellung als Gouverneur und ſein freund- ſchaftliches Verhältnis zu Khuen-Hedervary erwecken jedoch berechtigten Zweifel an der Wahrheit ſeiner An- „Mich, wenn den ſonſt? Das iſt ja nur dummer Schnack von dem Werner, er ſagt das, um den Bruder zu retten, von dem er ſich, Gott weiß weshalb, einbildet, er könne den Vater er- ſchoſſen haben. Ich bin’s, ich ganz allein bin’s geweſen, wer hätte den Alten ſo gut auf’s Korn nehmen können, als ein alter Jäger? Laſſen Sie die jungen Herren frei und ſperren Sie mich ein.“ Es klang jetzt förmlich ein Ton von Gemüt- lichkeit durch die Worte des Alten. „Sie werden in Haft bleiben müſſen, bis ſich die dunkle Sache völlig aufgeklärt“, erwiderte Müller. „Auch Sie werden zu meinem Bedauern dies Schickſal teilen, obwohl mir Ihre Angaben ſehr zweifelhaft erſcheinen.“ „Sie halten mich alſo für einen Lügner?“ rief Regler heftig, trotzdem gewahrte der Rat recht gut, daß es nur ein künſtliches Aufbrauſen war. „Nach Ihrer Ausſage werde ich Sie verhaften laſſen, mehr können Sie vorderhand nicht fordern“, entgegnete Müller ruhig, der ſich eines tiefen Mit- leids mit dem alten Manne nicht entſchlagen konnte. „Es iſt gut ſo, aber nicht wahr, den armen Felix geben Sie bald frei und auch Werner laſſen Sie nicht ſitzen? Sie ſind ja beide unſchuldig!“ Der Oberförſter richtete ſeine blauen Augen mit unendlicher Treuherzigkeit auf den Unter- ſuchungsrichter. Dieſer zuckte die Achſeln. „Wir wollen ſehen, ich werde alles verſuchen, um in dieſe dunkle Sache Licht zu bringen.“ Ruhig, wie von einer großen Laſt befreit, ließ ſich Regler in das Gefängnis führen. Ja, es ſchien für ihn eine förmliche Crleichterung zu kommen, war er doch nun in der Nähe ſeines Lieblings, athmete er doch mit ihm dieſelbe Luft, und wenn auch dieſer davon keine Kenntnis hatte, für ihn ſelber war es eine große Befriedigung. Fichtner. Der Buſchmüller kehrte nach einigen Stunden wieder nach Hauſe zurück. Zu ihrer grenzenloſen Verwunderung bemerkte Brigitte, die voll Sorgen und Bangen der Heimkehr des Bruders entgegen- geſchaut hatte, daß er nicht allein auf dem Wagen ſaß, ſondern in Begleitung eines Gaſtes erſchien, der ſeit Jahren keinen Fuß in die Buſchmühle ge- ſetzt hatte, Fichtner kam mit ihm. Während der erſten Zeit ſeines Aufenthaltes in Bankowo war Fichtner wohl zuweilen nach der Buſchmühle ge- kommen und dort gut aufgenommen worden, be- ſonders da er für Brigitte eine Erinnerung an eine ſchöne kurze Zeit ihres Lebens mit ſich brachte, ſeit er aber gänzlich der Hausgenoſſe des alten Brauſe- dorf geworden, und ſeit er in ſo unverantwortlicher Weiſe gegen Libuſſa Braun gehandelt, wollten Peters und ſeine Schweſter nichts mehr mit ihm zu tun haben. Dem ehrlichen Buſchmüller mußte eine ſo zweifelhafte Exiſtenz wie die des Ex- Referendars unheimlich erſcheinen, ſeine Schweſter grollte ihm um der Freundin willen; von ihm zurückgezogen, gerade weil ſie ihn früher anders gekannt, mußte jetzt ſeine fragwürdige Erſcheinung einen um ſo peinlicheren Eindruck auf ſie machen. Fichtner war der Sohn eines reichen Kauf- manns, den eine zärtliche Mutter von Kindheit an grenzenlos verwöhnt. Er hatte ſich nie etwas verſagen dürfen, jeder Wunſch war ihm erfüllt worden. Mit ſeinen Studien hatte er es deshalb ebenfalls nicht ſehr ernſt genommen und kaum das Notwendigſte gelernt. Sein Schulkamerad Müller, der Sohn eines armen Handwerkers, der ſich unter harten Entbehrungen und Anſtrengungen empor- arbeiten mußte, machte ihm die Exerzitien und wurde dafür von dem reichen Freunde mit Kleidern, Wäſche, wohl auch mit Geld unterſtützt, wenn der heimliche Zuſchuß der Mutter gerade reichlicher floß. Der zierliche, elegante Fichtner nahm ſich mit ſeinen Studien Zeit, deshalb bezogen beide gemein- ſchaftlich dieſelbe Univerſität und blieben auch dort zuſammen, obgleich es für den jungen Müller eine weit härtere Aufgabe war, dieſes Ziel ſo raſch zu erreichen, als für den glücklich geſtellten Fichtner, aber nach dem Abgange von der Univerſität hielten die Studienfreunde nicht mehr gleichen Schritt. Fichtner war, nachdem er mit Mühe und Not ſein Referendar-Examen gemacht, an das Kreis- gericht nach Bankowo verſetzt worden und dort ſitzen geblieben. Er wurde von dem tollen luſtigen Leben mit fortgeriſſen, das die reichen Gutsbeſitzer der Umgegend führten. Vollends vorbei war es aber mit ihm, als er endlich Stammgaſt in Radzionka geworden. Allerdings feſſelte ihn ein ganz anderer Zauber als der Umgang mit dem alten wüſten Brauſedorf. (Fortſetzung folgt.)

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Benjamin Fiechter, Susanne Haaf: Bereitstellung der digitalen Textausgabe (Konvertierung in das DTA-Basisformat). (2018-01-26T13:38:42Z)
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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 93, Marburg, 04.08.1903, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger93_1903/2>, abgerufen am 24.11.2024.