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Marburger Zeitung. Nr. 59, Marburg, 26.05.1914.

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Marburger Zeitung.



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lich 1 K. Bei Zustellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Postversendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur schriftlichen Abbestellung.


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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr und von 5--6 Uhr Edmund Schmidgasse 4.
Verwaltung: Edmund Schmidgasse 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einschaltungen
Dienstag, Donnerstag. Samstag 10 Uhr vormittags.
Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 59 Dienstag, 26. Mai 1914 53. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
An die geehrte
Bevölkerung Marburgs!

Innerhalb der Mauern der deutschen
Draustadt wird heuer von den Burschen-
schaftern der Ostmark der Burschenschafter-
tag abgehalten werden. Viele hundert alte
und junge Burschenschafter werden am nächsten
Freitag, Samstag und Sonntag in unserer
Stadt verweilen und deutsche Gemeinbürg-
schaft zum Ausdrucke bringen.

Um der Freude über den Burschen-
schaftertag in Marburg auch äußerlich Aus-
druck zu geben, richte ich an die Bevölkerung
unserer Stadt die freundliche Bitte, die
Häuser an diesen Tagen beflaggen zu wollen.




Die Kaizlbriefe.

In der Wiener Halbmonatsschrift Deutsch-
Österreich werden die von uns schon besprochenen
Kaizlbriefe, deren Veröffentlichung die gegenwärtige
politische Sensation darstellt, einer Betrachtung
unterzogen, der wir folgende Stellen entnehmen:

Kaizl ließ sich während seiner Tätigkeit als
Finanzminister ausschließlich von nationalen Gesichts-
punkten leiten. Er betreute die österreichischen Fi-
[Spaltenumbruch] nanzen nicht um ihrer selbst willen, nicht der Ehr-
geiz, die beste Finanzverwaltung zu haben, war
die Triebfeder seiner Amtstätigkeit -- maßgebend
für ihn war allein die nationale Beutepolitik! Der
Gesamtstaat ist diesem Manne gleichgültig, er fühlt
sich nicht als Österreicher, sondern als Tscheche,
seine Sorge gilt einzig und allein seiner Nation.
Österreichischer Finanzminister ist er nur geworden,
um ungehindert nationale Beutezüge zu machen.

Die Kaizlbriefe zeigen mit erschreckender Deut-
lichkeit, daß die tschechischen parlamentarischen
Minister und hohen Beamten eigentlich nichts sind,
als die Vollzugsorgane einer organisierten tschechi-
schen Versorgungsanstalt, daß ihnen der Staat
nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zur Erreichung
nationaler Zwecke ist, eine Maschine, deren Kräfte
man gegen die Deutschen verwenden könne. Nicht
ein Quentchen österreichischen Staatsgefühls ist in
diesen Männern vorhanden -- alles betrachten sie,
alles behandeln sie aus dem engen Gesichtswinkel
der tschechischen Volksinteressen -- Österreich ist
ihnen nur ein Anhängsel an das tschechische Sprach-
gebiet, ein Beutegebiet für die tschechische Expansion.
Der Begriff "Allgemeinheit" ist bei diesen Männern
ganz alttestamentarisch beschränkt auf die eigene
Nation. Rücksichten auf Kaiser und Reich nehmen
sie nur dann, wenn ihnen daraus ein nationaler
Vorteil erwächst. Kaizl ist ein Gegner des Huß-
denkmals, verärgert über die panslawistischen Trei-
bereien in Prag -- nicht aus Patriotismus, sondern
einzig und allein aus Furcht, dadurch die Sym-
pathien der Krone zu verlieren. Kaizl begnügt sich
[Spaltenumbruch] aber nicht mit der Rolle eines Vollzugsorganes, er
fordert selbst zum Widerstande gegen die geltende
Verwaltung auf, er revoltiert die Gemeinden und
die Ämter gegen die noch geltende sprachliche Übung.
Der k. k. Minister als nationaler Agent provocateur
erinnert bedenklich an russische Vorbilder, wie denn
überhaupt Kaizl's und seiner Freunde Auffassungs-
weise sehr östlich anmutet. Daraus darf nicht der
Vorwurf moralischer Minderwertigkeit abgeleitet
werden -- wohl aber die Feststellung, daß die
Tschechen die für die Verwaltung großen Stiles
nötige Objektivität nicht besitzen; denn ihre natio-
nale Auffassung ist eine alle Rücksichten auf andere
Nationen ausschließende. Hierin liegt ja auch ihre
Stärke, hierin ist ihre Opferwilligkeit begründet.
Fast könnte man sie einen großen Clan nach schot-
tischem Sprachgebrauche nennen.

Die Herausgabe der Kaizlbriefe ist den Tsche-
chen sehr unangenehm. Sie werden eine geradezu
aufrüttelnde Wirkung auf alle jene Elemente aus-
üben, denen der Staat denn doch noch mehr ist
als ein Weidegebiet für die endlosen Scharen ver-
sorgungsbedürftiger tschechischer Beamten und An-
gestellten. Sie werden aber auch der noch immer
nicht ausgestorbenen österreichisch gesinnten Bureau-
kratie das Rückgrat stärken und sie ermutigen, der
nationalpolitischen Korruption der Verwaltung ent-
gegenzutreten. Wir raten ihnen dringend die Flucht
in die Öffentlichkeit an -- das Echo wird dank
den Kaizlbriefen ein starkes sein. Auch das Par-
lament wird diese historisch bedeutsame Veröffent-
lichung einer Besprechung unterziehen müssen.




[Spaltenumbruch]
Fürstin Morrow.

12 (Nachdruck verboten.)

"Wie steht es denn mit der Familie Ihres
Freundes?" fragte sie.

"Der Graf war nie verheiratet, soviel ich
weiß."

"Und seine Brüder, Schwestern, Vettern und
sonstigen Anverwandten?"

"Ich sagte schon, daß er mit Großfürsten ver-
kehrt. Allerdings, ich verstehe, gnädige Fürstin, was
Sie meinen. Der Lebenswandel einiger unserer
Großfürsten ist gerade nicht sonderlich einwandfrei,
und ihr Verkehr entspricht häufig durchaus nicht
ihrem Stande. Sie sind eben skrupellos in jeder
Beziehung. Doch lassen wir dies unerquickliche
Thema, das noch dazu gefährlich ist, da in unserem
heiligen Rußland leider leicht ein Ohr des Ver-
räters und Lauschers Gehör findet. -- Graf
Astrachow ist der letzte Träger seines Namens.
Weder in der Armeeliste noch in den Listen unseres
heimischen Adels findet sich auch nur ein Namens-
vetter von ihm. Aber Sie können sich darauf ver-
lassen, er ist von untadeligem Ruf, und seine ge-
sellschaftliche Bildung ist volllommen."

"Sie reden Ihrem Freunde so warm das
Wort!"

"Weil seine Gegenwart tatsächlich ein Gewinn
für unsere Gesellschaften wäre."


[Spaltenumbruch]

"Meinen Sie?" entgegnete die Fürstin zer-
strent, da ihre Gedanken momentan ganz wo anders
weilten.

"Ja, ganz sicher! Allerdings spielt der Graf
sehr hoch."

"Ah, er spielt?"

"Meist allerdings mit entschiedenem Unglück.
Das Spiel ist die einzige Leidenschaft, der er fröhnt.
Das schadet aber nichts weiter, da er ein sehr
großes Vermögen besitzt."

"So, er ist sehr reich? Wo liegen denn seine
Güter?"

"Ich habe bisher noch nicht Gelegenheit ge-
nommen, mich darüber zu orientieren."

Die Oper neigte sich ihrem Ende zu. Mit
großer Aufmerksamkeit lauschte man, bis die letzten
Töne verklungen waren. Als der Vorhang siel,
klatschte das Publikum wie rasend Beifall.

Graf Astrachow lächelte etwas spöttisch, dann
erhob er sich, grüßte leicht nach der Loge der Für-
stin herüber und verschwand im Gedränge des den
Garderoben zuströmenden Publikums. Auch Ale-
xandra erhob sich und verließ langsam mit ihrem
Begleiter die Loge. Schon im Korridor flüsterte
sie ihm zu:

"Ich bin mit Ihrer Empfehlung zufrieden,
führen Sie Ihren Freund bei mir ein."

"Ah, vortrefflich, gnädige Fürstin!"

"Sie sehen, daß Ihre Empfehlung bei mir et-
was gilt."


[Spaltenumbruch]

"Dafür spreche ich Ihnen meinen verbindlichsten
Dank aus."

"Auf Wiedersehen!"

"Bitte, noch eine Frage, gnädige Fürstin!"

"Und -- nun?"

"Wann, wo und wie soll ich Ihnen den Grafen
vorstellen?"

"Ich werde Ihnen eine Einladung zu meinem
ersten Ball übersenden. Übrigens, werden Sie mit
Ihrem Freunde den Ball des Statthalters auch be-
suchen?"

"Ich werde dort erscheinen, gnädige Fürstin,
aber Graf Astrachow nicht. Er hat, wie ich gehört
habe, die Einladung bestimmt abgelehnt."

"O, dann schlägt er meine wohl auch aus!"

"Nicht daran zu denken! Ich werde die Ein-
ladung sehr diplomatisch vermitteln, verlassen Sie
sich ganz auf mich. Übrigens, in Ihren Salons
wird ja gespielt -- -- der Graf wird dann er-
scheinen!"

Man trennte sich.

Die Fürstin durchschritt die Reihe ihrer Diener,
die mit Laternen versehen waren, bestieg den Wagen
und fuhr ihrem Palaste zu. Die persönliche Be-
kanntschaft mit dem Grafen Astrachow konnte für
sie von unschätzbarem Vorteil werden. Nur hegte
sie Befürchtung, der Graf möchte doch noch ihren
Ball nicht besuchen.

VI.

Den folgenden Morgen brachte die Fürstin
mit dem Schreiben verschiedener Briefe zu.


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


[Spaltenumbruch]

Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.
Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


[Spaltenumbruch]

Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen
Dienstag, Donnerstag. Samstag 10 Uhr vormittags.
Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 59 Dienstag, 26. Mai 1914 53. Jahrgang


[Spaltenumbruch]
An die geehrte
Bevölkerung Marburgs!

Innerhalb der Mauern der deutſchen
Drauſtadt wird heuer von den Burſchen-
ſchaftern der Oſtmark der Burſchenſchafter-
tag abgehalten werden. Viele hundert alte
und junge Burſchenſchafter werden am nächſten
Freitag, Samstag und Sonntag in unſerer
Stadt verweilen und deutſche Gemeinbürg-
ſchaft zum Ausdrucke bringen.

Um der Freude über den Burſchen-
ſchaftertag in Marburg auch äußerlich Aus-
druck zu geben, richte ich an die Bevölkerung
unſerer Stadt die freundliche Bitte, die
Häuſer an dieſen Tagen beflaggen zu wollen.




Die Kaizlbriefe.

In der Wiener Halbmonatsſchrift Deutſch-
Öſterreich werden die von uns ſchon beſprochenen
Kaizlbriefe, deren Veröffentlichung die gegenwärtige
politiſche Senſation darſtellt, einer Betrachtung
unterzogen, der wir folgende Stellen entnehmen:

Kaizl ließ ſich während ſeiner Tätigkeit als
Finanzminiſter ausſchließlich von nationalen Geſichts-
punkten leiten. Er betreute die öſterreichiſchen Fi-
[Spaltenumbruch] nanzen nicht um ihrer ſelbſt willen, nicht der Ehr-
geiz, die beſte Finanzverwaltung zu haben, war
die Triebfeder ſeiner Amtstätigkeit — maßgebend
für ihn war allein die nationale Beutepolitik! Der
Geſamtſtaat iſt dieſem Manne gleichgültig, er fühlt
ſich nicht als Öſterreicher, ſondern als Tſcheche,
ſeine Sorge gilt einzig und allein ſeiner Nation.
Öſterreichiſcher Finanzminiſter iſt er nur geworden,
um ungehindert nationale Beutezüge zu machen.

Die Kaizlbriefe zeigen mit erſchreckender Deut-
lichkeit, daß die tſchechiſchen parlamentariſchen
Miniſter und hohen Beamten eigentlich nichts ſind,
als die Vollzugsorgane einer organiſierten tſchechi-
ſchen Verſorgungsanſtalt, daß ihnen der Staat
nicht Selbſtzweck, ſondern nur Mittel zur Erreichung
nationaler Zwecke iſt, eine Maſchine, deren Kräfte
man gegen die Deutſchen verwenden könne. Nicht
ein Quentchen öſterreichiſchen Staatsgefühls iſt in
dieſen Männern vorhanden — alles betrachten ſie,
alles behandeln ſie aus dem engen Geſichtswinkel
der tſchechiſchen Volksintereſſen — Öſterreich iſt
ihnen nur ein Anhängſel an das tſchechiſche Sprach-
gebiet, ein Beutegebiet für die tſchechiſche Expanſion.
Der Begriff „Allgemeinheit“ iſt bei dieſen Männern
ganz altteſtamentariſch beſchränkt auf die eigene
Nation. Rückſichten auf Kaiſer und Reich nehmen
ſie nur dann, wenn ihnen daraus ein nationaler
Vorteil erwächſt. Kaizl iſt ein Gegner des Huß-
denkmals, verärgert über die panſlawiſtiſchen Trei-
bereien in Prag — nicht aus Patriotismus, ſondern
einzig und allein aus Furcht, dadurch die Sym-
pathien der Krone zu verlieren. Kaizl begnügt ſich
[Spaltenumbruch] aber nicht mit der Rolle eines Vollzugsorganes, er
fordert ſelbſt zum Widerſtande gegen die geltende
Verwaltung auf, er revoltiert die Gemeinden und
die Ämter gegen die noch geltende ſprachliche Übung.
Der k. k. Miniſter als nationaler Agent provocateur
erinnert bedenklich an ruſſiſche Vorbilder, wie denn
überhaupt Kaizl’s und ſeiner Freunde Auffaſſungs-
weiſe ſehr öſtlich anmutet. Daraus darf nicht der
Vorwurf moraliſcher Minderwertigkeit abgeleitet
werden — wohl aber die Feſtſtellung, daß die
Tſchechen die für die Verwaltung großen Stiles
nötige Objektivität nicht beſitzen; denn ihre natio-
nale Auffaſſung iſt eine alle Rückſichten auf andere
Nationen ausſchließende. Hierin liegt ja auch ihre
Stärke, hierin iſt ihre Opferwilligkeit begründet.
Faſt könnte man ſie einen großen Clan nach ſchot-
tiſchem Sprachgebrauche nennen.

Die Herausgabe der Kaizlbriefe iſt den Tſche-
chen ſehr unangenehm. Sie werden eine geradezu
aufrüttelnde Wirkung auf alle jene Elemente aus-
üben, denen der Staat denn doch noch mehr iſt
als ein Weidegebiet für die endloſen Scharen ver-
ſorgungsbedürftiger tſchechiſcher Beamten und An-
geſtellten. Sie werden aber auch der noch immer
nicht ausgeſtorbenen öſterreichiſch geſinnten Bureau-
kratie das Rückgrat ſtärken und ſie ermutigen, der
nationalpolitiſchen Korruption der Verwaltung ent-
gegenzutreten. Wir raten ihnen dringend die Flucht
in die Öffentlichkeit an — das Echo wird dank
den Kaizlbriefen ein ſtarkes ſein. Auch das Par-
lament wird dieſe hiſtoriſch bedeutſame Veröffent-
lichung einer Beſprechung unterziehen müſſen.




[Spaltenumbruch]
Fürſtin Morrow.

12 (Nachdruck verboten.)

„Wie ſteht es denn mit der Familie Ihres
Freundes?“ fragte ſie.

„Der Graf war nie verheiratet, ſoviel ich
weiß.“

„Und ſeine Brüder, Schweſtern, Vettern und
ſonſtigen Anverwandten?“

„Ich ſagte ſchon, daß er mit Großfürſten ver-
kehrt. Allerdings, ich verſtehe, gnädige Fürſtin, was
Sie meinen. Der Lebenswandel einiger unſerer
Großfürſten iſt gerade nicht ſonderlich einwandfrei,
und ihr Verkehr entſpricht häufig durchaus nicht
ihrem Stande. Sie ſind eben ſkrupellos in jeder
Beziehung. Doch laſſen wir dies unerquickliche
Thema, das noch dazu gefährlich iſt, da in unſerem
heiligen Rußland leider leicht ein Ohr des Ver-
räters und Lauſchers Gehör findet. — Graf
Aſtrachow iſt der letzte Träger ſeines Namens.
Weder in der Armeeliſte noch in den Liſten unſeres
heimiſchen Adels findet ſich auch nur ein Namens-
vetter von ihm. Aber Sie können ſich darauf ver-
laſſen, er iſt von untadeligem Ruf, und ſeine ge-
ſellſchaftliche Bildung iſt volllommen.“

„Sie reden Ihrem Freunde ſo warm das
Wort!“

„Weil ſeine Gegenwart tatſächlich ein Gewinn
für unſere Geſellſchaften wäre.“


[Spaltenumbruch]

„Meinen Sie?“ entgegnete die Fürſtin zer-
ſtrent, da ihre Gedanken momentan ganz wo anders
weilten.

„Ja, ganz ſicher! Allerdings ſpielt der Graf
ſehr hoch.“

„Ah, er ſpielt?“

„Meiſt allerdings mit entſchiedenem Unglück.
Das Spiel iſt die einzige Leidenſchaft, der er fröhnt.
Das ſchadet aber nichts weiter, da er ein ſehr
großes Vermögen beſitzt.“

„So, er iſt ſehr reich? Wo liegen denn ſeine
Güter?“

„Ich habe bisher noch nicht Gelegenheit ge-
nommen, mich darüber zu orientieren.“

Die Oper neigte ſich ihrem Ende zu. Mit
großer Aufmerkſamkeit lauſchte man, bis die letzten
Töne verklungen waren. Als der Vorhang ſiel,
klatſchte das Publikum wie raſend Beifall.

Graf Aſtrachow lächelte etwas ſpöttiſch, dann
erhob er ſich, grüßte leicht nach der Loge der Für-
ſtin herüber und verſchwand im Gedränge des den
Garderoben zuſtrömenden Publikums. Auch Ale-
xandra erhob ſich und verließ langſam mit ihrem
Begleiter die Loge. Schon im Korridor flüſterte
ſie ihm zu:

„Ich bin mit Ihrer Empfehlung zufrieden,
führen Sie Ihren Freund bei mir ein.“

„Ah, vortrefflich, gnädige Fürſtin!“

„Sie ſehen, daß Ihre Empfehlung bei mir et-
was gilt.“


[Spaltenumbruch]

„Dafür ſpreche ich Ihnen meinen verbindlichſten
Dank aus.“

„Auf Wiederſehen!“

„Bitte, noch eine Frage, gnädige Fürſtin!“

„Und — nun?“

„Wann, wo und wie ſoll ich Ihnen den Grafen
vorſtellen?“

„Ich werde Ihnen eine Einladung zu meinem
erſten Ball überſenden. Übrigens, werden Sie mit
Ihrem Freunde den Ball des Statthalters auch be-
ſuchen?“

„Ich werde dort erſcheinen, gnädige Fürſtin,
aber Graf Aſtrachow nicht. Er hat, wie ich gehört
habe, die Einladung beſtimmt abgelehnt.“

„O, dann ſchlägt er meine wohl auch aus!“

„Nicht daran zu denken! Ich werde die Ein-
ladung ſehr diplomatiſch vermitteln, verlaſſen Sie
ſich ganz auf mich. Übrigens, in Ihren Salons
wird ja geſpielt — — der Graf wird dann er-
ſcheinen!“

Man trennte ſich.

Die Fürſtin durchſchritt die Reihe ihrer Diener,
die mit Laternen verſehen waren, beſtieg den Wagen
und fuhr ihrem Palaſte zu. Die perſönliche Be-
kanntſchaft mit dem Grafen Aſtrachow konnte für
ſie von unſchätzbarem Vorteil werden. Nur hegte
ſie Befürchtung, der Graf möchte doch noch ihren
Ball nicht beſuchen.

VI.

Den folgenden Morgen brachte die Fürſtin
mit dem Schreiben verſchiedener Briefe zu.


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4. Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen Dienstag, Donnerstag. Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 59 Dienstag, 26. Mai 1914 53. Jahrgang An die geehrte Bevölkerung Marburgs! Innerhalb der Mauern der deutſchen Drauſtadt wird heuer von den Burſchen- ſchaftern der Oſtmark der Burſchenſchafter- tag abgehalten werden. Viele hundert alte und junge Burſchenſchafter werden am nächſten Freitag, Samstag und Sonntag in unſerer Stadt verweilen und deutſche Gemeinbürg- ſchaft zum Ausdrucke bringen. Um der Freude über den Burſchen- ſchaftertag in Marburg auch äußerlich Aus- druck zu geben, richte ich an die Bevölkerung unſerer Stadt die freundliche Bitte, die Häuſer an dieſen Tagen beflaggen zu wollen. Dr. Johann Schmiderer Bürgermeiſter. Die Kaizlbriefe. In der Wiener Halbmonatsſchrift Deutſch- Öſterreich werden die von uns ſchon beſprochenen Kaizlbriefe, deren Veröffentlichung die gegenwärtige politiſche Senſation darſtellt, einer Betrachtung unterzogen, der wir folgende Stellen entnehmen: Kaizl ließ ſich während ſeiner Tätigkeit als Finanzminiſter ausſchließlich von nationalen Geſichts- punkten leiten. Er betreute die öſterreichiſchen Fi- nanzen nicht um ihrer ſelbſt willen, nicht der Ehr- geiz, die beſte Finanzverwaltung zu haben, war die Triebfeder ſeiner Amtstätigkeit — maßgebend für ihn war allein die nationale Beutepolitik! Der Geſamtſtaat iſt dieſem Manne gleichgültig, er fühlt ſich nicht als Öſterreicher, ſondern als Tſcheche, ſeine Sorge gilt einzig und allein ſeiner Nation. Öſterreichiſcher Finanzminiſter iſt er nur geworden, um ungehindert nationale Beutezüge zu machen. Die Kaizlbriefe zeigen mit erſchreckender Deut- lichkeit, daß die tſchechiſchen parlamentariſchen Miniſter und hohen Beamten eigentlich nichts ſind, als die Vollzugsorgane einer organiſierten tſchechi- ſchen Verſorgungsanſtalt, daß ihnen der Staat nicht Selbſtzweck, ſondern nur Mittel zur Erreichung nationaler Zwecke iſt, eine Maſchine, deren Kräfte man gegen die Deutſchen verwenden könne. Nicht ein Quentchen öſterreichiſchen Staatsgefühls iſt in dieſen Männern vorhanden — alles betrachten ſie, alles behandeln ſie aus dem engen Geſichtswinkel der tſchechiſchen Volksintereſſen — Öſterreich iſt ihnen nur ein Anhängſel an das tſchechiſche Sprach- gebiet, ein Beutegebiet für die tſchechiſche Expanſion. Der Begriff „Allgemeinheit“ iſt bei dieſen Männern ganz altteſtamentariſch beſchränkt auf die eigene Nation. Rückſichten auf Kaiſer und Reich nehmen ſie nur dann, wenn ihnen daraus ein nationaler Vorteil erwächſt. Kaizl iſt ein Gegner des Huß- denkmals, verärgert über die panſlawiſtiſchen Trei- bereien in Prag — nicht aus Patriotismus, ſondern einzig und allein aus Furcht, dadurch die Sym- pathien der Krone zu verlieren. Kaizl begnügt ſich aber nicht mit der Rolle eines Vollzugsorganes, er fordert ſelbſt zum Widerſtande gegen die geltende Verwaltung auf, er revoltiert die Gemeinden und die Ämter gegen die noch geltende ſprachliche Übung. Der k. k. Miniſter als nationaler Agent provocateur erinnert bedenklich an ruſſiſche Vorbilder, wie denn überhaupt Kaizl’s und ſeiner Freunde Auffaſſungs- weiſe ſehr öſtlich anmutet. Daraus darf nicht der Vorwurf moraliſcher Minderwertigkeit abgeleitet werden — wohl aber die Feſtſtellung, daß die Tſchechen die für die Verwaltung großen Stiles nötige Objektivität nicht beſitzen; denn ihre natio- nale Auffaſſung iſt eine alle Rückſichten auf andere Nationen ausſchließende. Hierin liegt ja auch ihre Stärke, hierin iſt ihre Opferwilligkeit begründet. Faſt könnte man ſie einen großen Clan nach ſchot- tiſchem Sprachgebrauche nennen. Die Herausgabe der Kaizlbriefe iſt den Tſche- chen ſehr unangenehm. Sie werden eine geradezu aufrüttelnde Wirkung auf alle jene Elemente aus- üben, denen der Staat denn doch noch mehr iſt als ein Weidegebiet für die endloſen Scharen ver- ſorgungsbedürftiger tſchechiſcher Beamten und An- geſtellten. Sie werden aber auch der noch immer nicht ausgeſtorbenen öſterreichiſch geſinnten Bureau- kratie das Rückgrat ſtärken und ſie ermutigen, der nationalpolitiſchen Korruption der Verwaltung ent- gegenzutreten. Wir raten ihnen dringend die Flucht in die Öffentlichkeit an — das Echo wird dank den Kaizlbriefen ein ſtarkes ſein. Auch das Par- lament wird dieſe hiſtoriſch bedeutſame Veröffent- lichung einer Beſprechung unterziehen müſſen. Fürſtin Morrow. Roman von Karl Meiſner. 12 (Nachdruck verboten.) „Wie ſteht es denn mit der Familie Ihres Freundes?“ fragte ſie. „Der Graf war nie verheiratet, ſoviel ich weiß.“ „Und ſeine Brüder, Schweſtern, Vettern und ſonſtigen Anverwandten?“ „Ich ſagte ſchon, daß er mit Großfürſten ver- kehrt. Allerdings, ich verſtehe, gnädige Fürſtin, was Sie meinen. Der Lebenswandel einiger unſerer Großfürſten iſt gerade nicht ſonderlich einwandfrei, und ihr Verkehr entſpricht häufig durchaus nicht ihrem Stande. Sie ſind eben ſkrupellos in jeder Beziehung. Doch laſſen wir dies unerquickliche Thema, das noch dazu gefährlich iſt, da in unſerem heiligen Rußland leider leicht ein Ohr des Ver- räters und Lauſchers Gehör findet. — Graf Aſtrachow iſt der letzte Träger ſeines Namens. Weder in der Armeeliſte noch in den Liſten unſeres heimiſchen Adels findet ſich auch nur ein Namens- vetter von ihm. Aber Sie können ſich darauf ver- laſſen, er iſt von untadeligem Ruf, und ſeine ge- ſellſchaftliche Bildung iſt volllommen.“ „Sie reden Ihrem Freunde ſo warm das Wort!“ „Weil ſeine Gegenwart tatſächlich ein Gewinn für unſere Geſellſchaften wäre.“ „Meinen Sie?“ entgegnete die Fürſtin zer- ſtrent, da ihre Gedanken momentan ganz wo anders weilten. „Ja, ganz ſicher! Allerdings ſpielt der Graf ſehr hoch.“ „Ah, er ſpielt?“ „Meiſt allerdings mit entſchiedenem Unglück. Das Spiel iſt die einzige Leidenſchaft, der er fröhnt. Das ſchadet aber nichts weiter, da er ein ſehr großes Vermögen beſitzt.“ „So, er iſt ſehr reich? 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Schon im Korridor flüſterte ſie ihm zu: „Ich bin mit Ihrer Empfehlung zufrieden, führen Sie Ihren Freund bei mir ein.“ „Ah, vortrefflich, gnädige Fürſtin!“ „Sie ſehen, daß Ihre Empfehlung bei mir et- was gilt.“ „Dafür ſpreche ich Ihnen meinen verbindlichſten Dank aus.“ „Auf Wiederſehen!“ „Bitte, noch eine Frage, gnädige Fürſtin!“ „Und — nun?“ „Wann, wo und wie ſoll ich Ihnen den Grafen vorſtellen?“ „Ich werde Ihnen eine Einladung zu meinem erſten Ball überſenden. Übrigens, werden Sie mit Ihrem Freunde den Ball des Statthalters auch be- ſuchen?“ „Ich werde dort erſcheinen, gnädige Fürſtin, aber Graf Aſtrachow nicht. Er hat, wie ich gehört habe, die Einladung beſtimmt abgelehnt.“ „O, dann ſchlägt er meine wohl auch aus!“ „Nicht daran zu denken! Ich werde die Ein- ladung ſehr diplomatiſch vermitteln, verlaſſen Sie ſich ganz auf mich. Übrigens, in Ihren Salons wird ja geſpielt — — der Graf wird dann er- ſcheinen!“ Man trennte ſich. 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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 59, Marburg, 26.05.1914, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger59_1914/1>, abgerufen am 21.11.2024.