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Marburger Zeitung. Nr. 57, Marburg, 12.05.1908.

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Marburger Zeitung.



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11--12 Uhr vorm. und von 5--6 Uhr nachm. Postgasse 4.

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Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer kostet 10 Heller.




Nr. 57 Dienstag, 12. Mai 1908 47. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Der St. Egydier Schrecken.


In seinem gestrigen Abendblatte bringt das
christlichsozial-klerikale "Grazer Volksblatt" jene
Schauderempfindungen zum Ausdrucke, von denen
es befallen wurde, als es in seinem Wiener Schwester-
organe, der, allerdings nur dem Namen nach, satt-
sam bekannten "Reichspost", eine Sensationsmeldung
aus Württemberg las, in der mit allen Anzeichen
des Entsetzens mitgeteilt wurde, daß durch Ver-
mittlung eines gewissen "Südmark"-Vereines deutsche
Württemberger zur Ansiedlung an der deutschen
Sprachgrenze in Steiermark gewonnen wurden, An-
siedler, die -- alle schwarzen Federn sträuben sich --
evangelischen Bekenntnisses sind! Eine ganze
Familie
sei schon nach Untersteiermark gewandert
(das entsetzte klerikale Blatt vermutet: nach Sankt
Egydi) und auch ein Knecht, der sich, um das
Maß des Entsetzens voll zu machen, bereits ver-
heiratet haben soll und zwar mit einem katholischen
Mädchen. Letzterer Umstand legt allerdings Zeugnis
ab von einer großen Toleranz des -- Knechtes,
nicht des "Grazer Volksblattes", aber deshalb
sträuben sich die schwarzen Federn nicht minder.
Und mit tiefem Grimme im Herzen stellt das kleri-
kale Blatt an die Hauptleitung der "Südmark" die
Anfrage, ob sie oder eine ihrer Ortsgruppen ("es
ist in dieser Richtung seitens der südsteirischen Orts-
gruppen schon allerhand pessiert" -- meint drohend
zischelnd das klerikale Blatt) mit diesem "Südmark"-
Vereine identisch seien! Wenn ja, dann würden die
"Christlichsozialen (lies: Klerikalen) aller Kronländer
(!) wissen, wie sie gegenüber der Südmark vorzu-
gehen haben". Damit soll wahrscheinlich die Drohung
ausgesprochen werden, daß in diesem Falle die
Klerikalen aus der Südmark -- austreten würden!
Wir sind der Meinung, daß niemand mit einem
Revolver drohen soll, den er gar nicht besitzt und
[Spaltenumbruch] eine Partei, deren Angehörige nicht Mitglieder der
Südmark sind und welche auf die Südmark nur
deshalb Einfluß nehmen will, um sie opfer- und
kostenlos in ihrem Sinne leiten und beherrschen zu
können, gewiß kein Bundesgenosse ist, dem man zu
gehorchen hat, wenn er mit jenem nicht vorhandenen
Revolver droht. Klarer geht uns jetzt das Ver-
ständnis dafür auf, warum die Klerikalen als
Partei
in die Hauptleitung der Südmark ein-
dringen wollten und warum der klerikale Grazer
Schriftleiter Herr Neunteufel mit einer solchen,
natürlich nur auf das Wohl der Südmark und des
deutschen Volkes bedachten Energie, dieses Zuge-
ständnis an die klerikale Partei und warum er die
Zulassung der Gründung einer eigenen klerikalen
Schein-Ortsgruppe verlangte, durch welche der
klerikalen Partei die Möglichkeit geboten worden
wäre, einen klerikalen Ortsgruppenvertreter in die
Hauptversammlung der Südmark zu entsenden, um
auch dort mit dem bewußten Revolver drohen zu
können.

Was ist denn geschehen? Den klerikalen Blättern
zufolge befinden sich unter den Ansiedlern an unserer
Sprachgrenze eine Familie und ein Knecht evangelischen
Bekenntnisses aus Lehrensteinsfeld. Ist dies vielleicht
aus nationalen Gründen unzulässig? Gewiß nicht
und nur konfessionelle Unduldsamkeit kann darin ein
entsetzliches Geschehnis erblicken. Anderseits sei das
auchdeutsche Grazer Blatt darauf aufmerksam ge-
macht, wie viele Deutsche an der Sprachgrenze, so-
gar reichsdeutsche Ansiedler römischkatholischen Be-
kenntnisses, nationalpolitisch gänzlich in die Hände
der Wendenpriester fielen und zu Renegaten am
eigenen Volkstume wurden. Möge das "Grazer
Volksblatt" dem Fürstbischofe Napotnik bedeuten,
den Deutschen deutsche Geistliche zu geben, möge es
seiner eigenen Partei ein bischen Deutschtum beibringen,
das wäre besser, als die Südmark anzugreifen, welche die
nationalen Verhältnisse besser würdigt als Hagenhofer.


[Spaltenumbruch]
Eilenbahntag in Marburg.

Ein Sonntag voll Sonnenglanz, ein Tag, der
heiß aufs Land hinauslockte -- so war der vor-
gestrige Tag, für den der Marburger Gemeinderat
eine Eisenbahntagung in die Gartenveranda des
Brauhauses Götz einberufen hatte. Es war natürlich,
daß ein solcher heißer Sonntagnachmittag viele der
Eisenbahntagung abspenstig machte -- aber dennoch
wies sie um 3 Uhr nachmittags einen sehr schönen
Besuch auf und insbesondere muß auf die Gäste
aus Leutschach, Arnfels und anderen Orten verwiesen
werden, die den weiten Weg (den viele von ihnen
mit dem Wagen nach Leibnitz und von dort mit
der Bahn zurücklegen mußten) nicht scheuten, um
an der Marburger Eisenbahntagung teilzunehmen.

Die Begrüßung.

Bürgermeister Dr. Schmiderer eröffnete
um 3 Uhr nachmittags die Tagung, seiner Freude
darüber Ausdruck verleihend, daß die Einladung
des Marburger Gemeinderates einen so kräftigen
Widerhall gefunden hat in allen Gegenden, welche
die geplante Marburg-Wieser-Bahn durchziehen soll.
Insbesondere begrüßte Dr. Schmiderer das Landes-
ausschußmitglied Prof. Robitsch, die Landtags-
abgeordneten Wastian und Stiger, Statt-
haltereirat Grafen Marius Attems, die Vertreter
der Marktgemeinden Arnfels und Leutschach, die
Vertreter der Landgemeinden, der Bezirke und alle
sonstigen Versammlungsteilnehmer. (Reichsratsabge-
ordneter Malik war aus Wien zu einer gewerb-
lichen Veranstaltung nach Leibnitz gekommen, von
wo er sich nach Marburg zur Eisenbahntagung be-
gab; er traf hier gegen 3/45 Uhr ein, als die
Tagung, deren verhältnismäßig frühen Schluß er
nicht voraussehen konnte, bereits beendet war.)
Dr. Schmiderer verwies sodann auf die hohe Be-
deutung der Marburg-Wieser-Bahn für die Stadt
Marburg; die Stadt setzt ihre schönsten Hoffnungen




[Spaltenumbruch]
Stürme.

96)



(Nachdruck verboten.)

Sie war trotz ihrer Schwäche aufgesprungen und
forschte mit liebevoller Teilnahme, ob in seinem
Antlitze nicht Spuren seien, die ihre traurige Ver-
mutung bestätigen könnten. Sie hatte die Hand auf
seine Schulter gelegt ... Ihr von Rührung
feuchtschimmernder Blick suchte in ausbrechender
Liebe den seinigen. Es war eine andere Frau, nicht
mehr die stolze, unnahbare Pia, die da in liebender
Hingebung fanft, engelsmild, das Bild echter Weib-
lichkeit, an seiner Schulter, zitternd vor nie empfun-
dener Erregung lehnte. Die Dämone schlummerten
nun in ihrer Brust, wo das beseligende Gefühl reiner
Liebe herrschte und jetzt nicht mehr von einem
falschen Stolze gewaltsam unterdrückt wurde.

"Beiläufig gesagt, Pia", warf der Graf kalt
hin, der die Wandlung, die mit ihr vorgegangen,
in seinem quälenden Eifersuchtsverdacht weder zu
erraten, noch zu gewahren schien, "glaube ich, daß
du mich jetzt nicht mehr brauchst -- und da bleibe
ich lieber selbst weg, ohne daß man mir's andeutet.
Doch du hast recht, wenn du mir Vorwürfe machst.
Besonders heute, wo ich dir eine so angenehme
Nachricht geben kann, hätte ich nicht zögern sollen,
dich aufzusuchen."

Pia war während seiner ersten Worte erblaßt
und dann scheu vor ihm zurückgewichen. Sie heftete
einen hilflos-flehenden, ängstlichen Blick auf ihn und
aus den großen, schwarzen Augen brachen nun die
[Spaltenumbruch] Tränen hervor, mit denen ihre Rührung schon früher
gekämpft. Ein unsägliches Gefühl banger Ahnung
bemächtigte sich ihrer .... Sie konnte nur mit
zitternder Stimme erwidern:

"Seefeld, du tust mir unrecht!" Das vertrau-
liche Rudi blieb diesmal fort. "Ich denke, du solltest
mich doch so weit kennen, um zu wissen, daß ich
dankbarer Natur bin. Es ist dies vielleicht einer
der wenigen guten Züge meines Charakters. Wie
könnte ich dich jetzt noch von mir weisen?

"Ach so", dachte er bitter, "sie will mir also
das Almosen "ewiger Dankbarkeit" spenden, während
sie einen anderen liebt. Dankbarkeit für Liebe. Der
ärgste Schimpf!" lachte der Graf wild auf.

Pia sah ihn befremdet an. War es möglich!
Er hatte also nur ein spöttisches Lachen als Er-
widerung ihrer zuvorkommenden Worte? Eine ge-
fährliche Saite begann in ihrem Innern zu vibrieren.
Sie wollte aufbrausen; beherrschte sich aber tapfer
und sprach anscheinend ruhig:

"Du wolltest mir ja eine gute Nachricht mit-
teilen, Seefeld? Laß hören ... Ich freue mich schon
sehr darauf und bin wirklich neugierig."

"Nun, du wirst höchst befriedigt sein!"

Damit zog er Leos Brief aus der Tasche und
teilte ihr dessen Inhalt ganz plötzlich und unvor-
bereitet mit. Er studierte ihre Züge aufmerksam
dabei; doch keine besonders selige Überraschung
spiegelte sich darin.

Pia, die sich wieder gesetzt, durchflog den
Brief und gab ihn dann dem Graf zurück.

"Das ganze ist ja recht angenehm und hat
sich für Leo überraschend gut gestaltet", meinte sie.
[Spaltenumbruch] "Sein Abenteuer klingt wahrhaft märchenhaft und
die Geschichte wäre eines Bret Harte würdig.
Man ersieht daraus, daß die vielen schauerlichen,
anscheinend unwahrscheinlichen amerikanischen Er-
zählungen nicht alle erfunden sind. Ich werde diese
entlastenden Papiere mit einigen Zeilen von mir an
die Fürstin senden, die im allerhöchsten Kreise ist,
und zweifle nicht, daß sie auf meine Bitte hin, sich
der Sache annehmen wird. Wenn Ihre Durchlaucht
mit der greisen Mutter Leos in Andienz zum
Monarchen geht, hoffe ich bestimmt, daß sich für
ihn noch alles zum Guten wendet. Leo hat sich ja
jetzt eigentlich nur mehr wegen seiner Flucht zu
verantworten. Man kann ihm die unter solchen
Umständen unmöglich als Desertion anrechnen.
Natürlich muß er, wenn er begnadigt wird, jeden-
falls trachten, sich durch ganz etwas Hervorragendes
auszuzeichnen, damit man dadurch den Schatten
vergißt, der auf seine Ehre gefallen ist. Ich entsinne
mich, noch vor meiner Krankheit gelesen zu haben,
daß man sich in der Marine zu einer arktischen
Expedition vorbereitet. Dazu kann sich dann Leo
freiwillig melden. Am Nordpol wird er Gelegenheit
genug finden, sich auszuzeichnen".

Der Graf hatte Pia mit wachsendem Staunen
zugehört. Ihre Worte klangen so wahr und auf-
richtig, daß er die Überzeugung gewann, sie könne
Leo nicht lieben; denn so spricht kein liebendes
Weib von dem Manne ihres Herzens. Das konnte
höchstens eine Schwester sagen, und noch dazu nur
eine strengdenkende. Jemanden, den man liebt, setzt
man den Gefahren des schrecklichen Eismeeres
gewiß nicht einmal in Gedanken aus. Diese Über-


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
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lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

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Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4.

Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h.

Schluß für Einſchaltungen:
Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller.




Nr. 57 Dienstag, 12. Mai 1908 47. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Der St. Egydier Schrecken.


In ſeinem geſtrigen Abendblatte bringt das
chriſtlichſozial-klerikale „Grazer Volksblatt“ jene
Schauderempfindungen zum Ausdrucke, von denen
es befallen wurde, als es in ſeinem Wiener Schweſter-
organe, der, allerdings nur dem Namen nach, ſatt-
ſam bekannten „Reichspoſt“, eine Senſationsmeldung
aus Württemberg las, in der mit allen Anzeichen
des Entſetzens mitgeteilt wurde, daß durch Ver-
mittlung eines gewiſſen „Südmark“-Vereines deutſche
Württemberger zur Anſiedlung an der deutſchen
Sprachgrenze in Steiermark gewonnen wurden, An-
ſiedler, die — alle ſchwarzen Federn ſträuben ſich —
evangeliſchen Bekenntniſſes ſind! Eine ganze
Familie
ſei ſchon nach Unterſteiermark gewandert
(das entſetzte klerikale Blatt vermutet: nach Sankt
Egydi) und auch ein Knecht, der ſich, um das
Maß des Entſetzens voll zu machen, bereits ver-
heiratet haben ſoll und zwar mit einem katholiſchen
Mädchen. Letzterer Umſtand legt allerdings Zeugnis
ab von einer großen Toleranz des — Knechtes,
nicht des „Grazer Volksblattes“, aber deshalb
ſträuben ſich die ſchwarzen Federn nicht minder.
Und mit tiefem Grimme im Herzen ſtellt das kleri-
kale Blatt an die Hauptleitung der „Südmark“ die
Anfrage, ob ſie oder eine ihrer Ortsgruppen („es
iſt in dieſer Richtung ſeitens der ſüdſteiriſchen Orts-
gruppen ſchon allerhand peſſiert“ — meint drohend
ziſchelnd das klerikale Blatt) mit dieſem „Südmark“-
Vereine identiſch ſeien! Wenn ja, dann würden die
„Chriſtlichſozialen (lies: Klerikalen) aller Kronländer
(!) wiſſen, wie ſie gegenüber der Südmark vorzu-
gehen haben“. Damit ſoll wahrſcheinlich die Drohung
ausgeſprochen werden, daß in dieſem Falle die
Klerikalen aus der Südmark — austreten würden!
Wir ſind der Meinung, daß niemand mit einem
Revolver drohen ſoll, den er gar nicht beſitzt und
[Spaltenumbruch] eine Partei, deren Angehörige nicht Mitglieder der
Südmark ſind und welche auf die Südmark nur
deshalb Einfluß nehmen will, um ſie opfer- und
koſtenlos in ihrem Sinne leiten und beherrſchen zu
können, gewiß kein Bundesgenoſſe iſt, dem man zu
gehorchen hat, wenn er mit jenem nicht vorhandenen
Revolver droht. Klarer geht uns jetzt das Ver-
ſtändnis dafür auf, warum die Klerikalen als
Partei
in die Hauptleitung der Südmark ein-
dringen wollten und warum der klerikale Grazer
Schriftleiter Herr Neunteufel mit einer ſolchen,
natürlich nur auf das Wohl der Südmark und des
deutſchen Volkes bedachten Energie, dieſes Zuge-
ſtändnis an die klerikale Partei und warum er die
Zulaſſung der Gründung einer eigenen klerikalen
Schein-Ortsgruppe verlangte, durch welche der
klerikalen Partei die Möglichkeit geboten worden
wäre, einen klerikalen Ortsgruppenvertreter in die
Hauptverſammlung der Südmark zu entſenden, um
auch dort mit dem bewußten Revolver drohen zu
können.

Was iſt denn geſchehen? Den klerikalen Blättern
zufolge befinden ſich unter den Anſiedlern an unſerer
Sprachgrenze eine Familie und ein Knecht evangeliſchen
Bekenntniſſes aus Lehrenſteinsfeld. Iſt dies vielleicht
aus nationalen Gründen unzuläſſig? Gewiß nicht
und nur konfeſſionelle Unduldſamkeit kann darin ein
entſetzliches Geſchehnis erblicken. Anderſeits ſei das
auchdeutſche Grazer Blatt darauf aufmerkſam ge-
macht, wie viele Deutſche an der Sprachgrenze, ſo-
gar reichsdeutſche Anſiedler römiſchkatholiſchen Be-
kenntniſſes, nationalpolitiſch gänzlich in die Hände
der Wendenprieſter fielen und zu Renegaten am
eigenen Volkstume wurden. Möge das „Grazer
Volksblatt“ dem Fürſtbiſchofe Napotnik bedeuten,
den Deutſchen deutſche Geiſtliche zu geben, möge es
ſeiner eigenen Partei ein bischen Deutſchtum beibringen,
das wäre beſſer, als die Südmark anzugreifen, welche die
nationalen Verhältniſſe beſſer würdigt als Hagenhofer.


[Spaltenumbruch]
Eilenbahntag in Marburg.

Ein Sonntag voll Sonnenglanz, ein Tag, der
heiß aufs Land hinauslockte — ſo war der vor-
geſtrige Tag, für den der Marburger Gemeinderat
eine Eiſenbahntagung in die Gartenveranda des
Brauhauſes Götz einberufen hatte. Es war natürlich,
daß ein ſolcher heißer Sonntagnachmittag viele der
Eiſenbahntagung abſpenſtig machte — aber dennoch
wies ſie um 3 Uhr nachmittags einen ſehr ſchönen
Beſuch auf und insbeſondere muß auf die Gäſte
aus Leutſchach, Arnfels und anderen Orten verwieſen
werden, die den weiten Weg (den viele von ihnen
mit dem Wagen nach Leibnitz und von dort mit
der Bahn zurücklegen mußten) nicht ſcheuten, um
an der Marburger Eiſenbahntagung teilzunehmen.

Die Begrüßung.

Bürgermeiſter Dr. Schmiderer eröffnete
um 3 Uhr nachmittags die Tagung, ſeiner Freude
darüber Ausdruck verleihend, daß die Einladung
des Marburger Gemeinderates einen ſo kräftigen
Widerhall gefunden hat in allen Gegenden, welche
die geplante Marburg-Wieſer-Bahn durchziehen ſoll.
Insbeſondere begrüßte Dr. Schmiderer das Landes-
ausſchußmitglied Prof. Robitſch, die Landtags-
abgeordneten Waſtian und Stiger, Statt-
haltereirat Grafen Marius Attems, die Vertreter
der Marktgemeinden Arnfels und Leutſchach, die
Vertreter der Landgemeinden, der Bezirke und alle
ſonſtigen Verſammlungsteilnehmer. (Reichsratsabge-
ordneter Malik war aus Wien zu einer gewerb-
lichen Veranſtaltung nach Leibnitz gekommen, von
wo er ſich nach Marburg zur Eiſenbahntagung be-
gab; er traf hier gegen ¾5 Uhr ein, als die
Tagung, deren verhältnismäßig frühen Schluß er
nicht vorausſehen konnte, bereits beendet war.)
Dr. Schmiderer verwies ſodann auf die hohe Be-
deutung der Marburg-Wieſer-Bahn für die Stadt
Marburg; die Stadt ſetzt ihre ſchönſten Hoffnungen




[Spaltenumbruch]
Stürme.

96)



(Nachdruck verboten.)

Sie war trotz ihrer Schwäche aufgeſprungen und
forſchte mit liebevoller Teilnahme, ob in ſeinem
Antlitze nicht Spuren ſeien, die ihre traurige Ver-
mutung beſtätigen könnten. Sie hatte die Hand auf
ſeine Schulter gelegt ... Ihr von Rührung
feuchtſchimmernder Blick ſuchte in ausbrechender
Liebe den ſeinigen. Es war eine andere Frau, nicht
mehr die ſtolze, unnahbare Pia, die da in liebender
Hingebung fanft, engelsmild, das Bild echter Weib-
lichkeit, an ſeiner Schulter, zitternd vor nie empfun-
dener Erregung lehnte. Die Dämone ſchlummerten
nun in ihrer Bruſt, wo das beſeligende Gefühl reiner
Liebe herrſchte und jetzt nicht mehr von einem
falſchen Stolze gewaltſam unterdrückt wurde.

„Beiläufig geſagt, Pia“, warf der Graf kalt
hin, der die Wandlung, die mit ihr vorgegangen,
in ſeinem quälenden Eiferſuchtsverdacht weder zu
erraten, noch zu gewahren ſchien, „glaube ich, daß
du mich jetzt nicht mehr brauchſt — und da bleibe
ich lieber ſelbſt weg, ohne daß man mir’s andeutet.
Doch du haſt recht, wenn du mir Vorwürfe machſt.
Beſonders heute, wo ich dir eine ſo angenehme
Nachricht geben kann, hätte ich nicht zögern ſollen,
dich aufzuſuchen.“

Pia war während ſeiner erſten Worte erblaßt
und dann ſcheu vor ihm zurückgewichen. Sie heftete
einen hilflos-flehenden, ängſtlichen Blick auf ihn und
aus den großen, ſchwarzen Augen brachen nun die
[Spaltenumbruch] Tränen hervor, mit denen ihre Rührung ſchon früher
gekämpft. Ein unſägliches Gefühl banger Ahnung
bemächtigte ſich ihrer .... Sie konnte nur mit
zitternder Stimme erwidern:

„Seefeld, du tuſt mir unrecht!“ Das vertrau-
liche Rudi blieb diesmal fort. „Ich denke, du ſollteſt
mich doch ſo weit kennen, um zu wiſſen, daß ich
dankbarer Natur bin. Es iſt dies vielleicht einer
der wenigen guten Züge meines Charakters. Wie
könnte ich dich jetzt noch von mir weiſen?

„Ach ſo“, dachte er bitter, „ſie will mir alſo
das Almoſen „ewiger Dankbarkeit“ ſpenden, während
ſie einen anderen liebt. Dankbarkeit für Liebe. Der
ärgſte Schimpf!“ lachte der Graf wild auf.

Pia ſah ihn befremdet an. War es möglich!
Er hatte alſo nur ein ſpöttiſches Lachen als Er-
widerung ihrer zuvorkommenden Worte? Eine ge-
fährliche Saite begann in ihrem Innern zu vibrieren.
Sie wollte aufbrauſen; beherrſchte ſich aber tapfer
und ſprach anſcheinend ruhig:

„Du wollteſt mir ja eine gute Nachricht mit-
teilen, Seefeld? Laß hören ... Ich freue mich ſchon
ſehr darauf und bin wirklich neugierig.“

„Nun, du wirſt höchſt befriedigt ſein!“

Damit zog er Leos Brief aus der Taſche und
teilte ihr deſſen Inhalt ganz plötzlich und unvor-
bereitet mit. Er ſtudierte ihre Züge aufmerkſam
dabei; doch keine beſonders ſelige Überraſchung
ſpiegelte ſich darin.

Pia, die ſich wieder geſetzt, durchflog den
Brief und gab ihn dann dem Graf zurück.

„Das ganze iſt ja recht angenehm und hat
ſich für Leo überraſchend gut geſtaltet“, meinte ſie.
[Spaltenumbruch] „Sein Abenteuer klingt wahrhaft märchenhaft und
die Geſchichte wäre eines Bret Harte würdig.
Man erſieht daraus, daß die vielen ſchauerlichen,
anſcheinend unwahrſcheinlichen amerikaniſchen Er-
zählungen nicht alle erfunden ſind. Ich werde dieſe
entlaſtenden Papiere mit einigen Zeilen von mir an
die Fürſtin ſenden, die im allerhöchſten Kreiſe iſt,
und zweifle nicht, daß ſie auf meine Bitte hin, ſich
der Sache annehmen wird. Wenn Ihre Durchlaucht
mit der greiſen Mutter Leos in Andienz zum
Monarchen geht, hoffe ich beſtimmt, daß ſich für
ihn noch alles zum Guten wendet. Leo hat ſich ja
jetzt eigentlich nur mehr wegen ſeiner Flucht zu
verantworten. Man kann ihm die unter ſolchen
Umſtänden unmöglich als Deſertion anrechnen.
Natürlich muß er, wenn er begnadigt wird, jeden-
falls trachten, ſich durch ganz etwas Hervorragendes
auszuzeichnen, damit man dadurch den Schatten
vergißt, der auf ſeine Ehre gefallen iſt. Ich entſinne
mich, noch vor meiner Krankheit geleſen zu haben,
daß man ſich in der Marine zu einer arktiſchen
Expedition vorbereitet. Dazu kann ſich dann Leo
freiwillig melden. Am Nordpol wird er Gelegenheit
genug finden, ſich auszuzeichnen“.

Der Graf hatte Pia mit wachſendem Staunen
zugehört. Ihre Worte klangen ſo wahr und auf-
richtig, daß er die Überzeugung gewann, ſie könne
Leo nicht lieben; denn ſo ſpricht kein liebendes
Weib von dem Manne ihres Herzens. Das konnte
höchſtens eine Schweſter ſagen, und noch dazu nur
eine ſtrengdenkende. Jemanden, den man liebt, ſetzt
man den Gefahren des ſchrecklichen Eismeeres
gewiß nicht einmal in Gedanken aus. Dieſe Über-


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[[1]/0001] Marburger Zeitung. Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Ganzjährig 12 K. halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat- lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr. Mit Poſtverſendung: Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h. Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag abends. Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. Poſtgaſſe 4. Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.) Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h. Schluß für Einſchaltungen: Dienstag, Donnerstag, Samstag 10 Uhr vormittags. Die Einzelnummer koſtet 10 Heller. Nr. 57 Dienstag, 12. Mai 1908 47. Jahrgang. Der St. Egydier Schrecken. Marburg, 12. Mai. In ſeinem geſtrigen Abendblatte bringt das chriſtlichſozial-klerikale „Grazer Volksblatt“ jene Schauderempfindungen zum Ausdrucke, von denen es befallen wurde, als es in ſeinem Wiener Schweſter- organe, der, allerdings nur dem Namen nach, ſatt- ſam bekannten „Reichspoſt“, eine Senſationsmeldung aus Württemberg las, in der mit allen Anzeichen des Entſetzens mitgeteilt wurde, daß durch Ver- mittlung eines gewiſſen „Südmark“-Vereines deutſche Württemberger zur Anſiedlung an der deutſchen Sprachgrenze in Steiermark gewonnen wurden, An- ſiedler, die — alle ſchwarzen Federn ſträuben ſich — evangeliſchen Bekenntniſſes ſind! Eine ganze Familie ſei ſchon nach Unterſteiermark gewandert (das entſetzte klerikale Blatt vermutet: nach Sankt Egydi) und auch ein Knecht, der ſich, um das Maß des Entſetzens voll zu machen, bereits ver- heiratet haben ſoll und zwar mit einem katholiſchen Mädchen. Letzterer Umſtand legt allerdings Zeugnis ab von einer großen Toleranz des — Knechtes, nicht des „Grazer Volksblattes“, aber deshalb ſträuben ſich die ſchwarzen Federn nicht minder. Und mit tiefem Grimme im Herzen ſtellt das kleri- kale Blatt an die Hauptleitung der „Südmark“ die Anfrage, ob ſie oder eine ihrer Ortsgruppen („es iſt in dieſer Richtung ſeitens der ſüdſteiriſchen Orts- gruppen ſchon allerhand peſſiert“ — meint drohend ziſchelnd das klerikale Blatt) mit dieſem „Südmark“- Vereine identiſch ſeien! Wenn ja, dann würden die „Chriſtlichſozialen (lies: Klerikalen) aller Kronländer (!) wiſſen, wie ſie gegenüber der Südmark vorzu- gehen haben“. Damit ſoll wahrſcheinlich die Drohung ausgeſprochen werden, daß in dieſem Falle die Klerikalen aus der Südmark — austreten würden! Wir ſind der Meinung, daß niemand mit einem Revolver drohen ſoll, den er gar nicht beſitzt und eine Partei, deren Angehörige nicht Mitglieder der Südmark ſind und welche auf die Südmark nur deshalb Einfluß nehmen will, um ſie opfer- und koſtenlos in ihrem Sinne leiten und beherrſchen zu können, gewiß kein Bundesgenoſſe iſt, dem man zu gehorchen hat, wenn er mit jenem nicht vorhandenen Revolver droht. Klarer geht uns jetzt das Ver- ſtändnis dafür auf, warum die Klerikalen als Partei in die Hauptleitung der Südmark ein- dringen wollten und warum der klerikale Grazer Schriftleiter Herr Neunteufel mit einer ſolchen, natürlich nur auf das Wohl der Südmark und des deutſchen Volkes bedachten Energie, dieſes Zuge- ſtändnis an die klerikale Partei und warum er die Zulaſſung der Gründung einer eigenen klerikalen Schein-Ortsgruppe verlangte, durch welche der klerikalen Partei die Möglichkeit geboten worden wäre, einen klerikalen Ortsgruppenvertreter in die Hauptverſammlung der Südmark zu entſenden, um auch dort mit dem bewußten Revolver drohen zu können. Was iſt denn geſchehen? Den klerikalen Blättern zufolge befinden ſich unter den Anſiedlern an unſerer Sprachgrenze eine Familie und ein Knecht evangeliſchen Bekenntniſſes aus Lehrenſteinsfeld. Iſt dies vielleicht aus nationalen Gründen unzuläſſig? Gewiß nicht und nur konfeſſionelle Unduldſamkeit kann darin ein entſetzliches Geſchehnis erblicken. Anderſeits ſei das auchdeutſche Grazer Blatt darauf aufmerkſam ge- macht, wie viele Deutſche an der Sprachgrenze, ſo- gar reichsdeutſche Anſiedler römiſchkatholiſchen Be- kenntniſſes, nationalpolitiſch gänzlich in die Hände der Wendenprieſter fielen und zu Renegaten am eigenen Volkstume wurden. Möge das „Grazer Volksblatt“ dem Fürſtbiſchofe Napotnik bedeuten, den Deutſchen deutſche Geiſtliche zu geben, möge es ſeiner eigenen Partei ein bischen Deutſchtum beibringen, das wäre beſſer, als die Südmark anzugreifen, welche die nationalen Verhältniſſe beſſer würdigt als Hagenhofer. Eilenbahntag in Marburg. Ein Sonntag voll Sonnenglanz, ein Tag, der heiß aufs Land hinauslockte — ſo war der vor- geſtrige Tag, für den der Marburger Gemeinderat eine Eiſenbahntagung in die Gartenveranda des Brauhauſes Götz einberufen hatte. Es war natürlich, daß ein ſolcher heißer Sonntagnachmittag viele der Eiſenbahntagung abſpenſtig machte — aber dennoch wies ſie um 3 Uhr nachmittags einen ſehr ſchönen Beſuch auf und insbeſondere muß auf die Gäſte aus Leutſchach, Arnfels und anderen Orten verwieſen werden, die den weiten Weg (den viele von ihnen mit dem Wagen nach Leibnitz und von dort mit der Bahn zurücklegen mußten) nicht ſcheuten, um an der Marburger Eiſenbahntagung teilzunehmen. Die Begrüßung. Bürgermeiſter Dr. Schmiderer eröffnete um 3 Uhr nachmittags die Tagung, ſeiner Freude darüber Ausdruck verleihend, daß die Einladung des Marburger Gemeinderates einen ſo kräftigen Widerhall gefunden hat in allen Gegenden, welche die geplante Marburg-Wieſer-Bahn durchziehen ſoll. Insbeſondere begrüßte Dr. Schmiderer das Landes- ausſchußmitglied Prof. Robitſch, die Landtags- abgeordneten Waſtian und Stiger, Statt- haltereirat Grafen Marius Attems, die Vertreter der Marktgemeinden Arnfels und Leutſchach, die Vertreter der Landgemeinden, der Bezirke und alle ſonſtigen Verſammlungsteilnehmer. (Reichsratsabge- ordneter Malik war aus Wien zu einer gewerb- lichen Veranſtaltung nach Leibnitz gekommen, von wo er ſich nach Marburg zur Eiſenbahntagung be- gab; er traf hier gegen ¾5 Uhr ein, als die Tagung, deren verhältnismäßig frühen Schluß er nicht vorausſehen konnte, bereits beendet war.) Dr. Schmiderer verwies ſodann auf die hohe Be- deutung der Marburg-Wieſer-Bahn für die Stadt Marburg; die Stadt ſetzt ihre ſchönſten Hoffnungen Stürme. Roman von Paul Maria Lacroma. 96) (Nachdruck verboten.) Sie war trotz ihrer Schwäche aufgeſprungen und forſchte mit liebevoller Teilnahme, ob in ſeinem Antlitze nicht Spuren ſeien, die ihre traurige Ver- mutung beſtätigen könnten. Sie hatte die Hand auf ſeine Schulter gelegt ... Ihr von Rührung feuchtſchimmernder Blick ſuchte in ausbrechender Liebe den ſeinigen. Es war eine andere Frau, nicht mehr die ſtolze, unnahbare Pia, die da in liebender Hingebung fanft, engelsmild, das Bild echter Weib- lichkeit, an ſeiner Schulter, zitternd vor nie empfun- dener Erregung lehnte. Die Dämone ſchlummerten nun in ihrer Bruſt, wo das beſeligende Gefühl reiner Liebe herrſchte und jetzt nicht mehr von einem falſchen Stolze gewaltſam unterdrückt wurde. „Beiläufig geſagt, Pia“, warf der Graf kalt hin, der die Wandlung, die mit ihr vorgegangen, in ſeinem quälenden Eiferſuchtsverdacht weder zu erraten, noch zu gewahren ſchien, „glaube ich, daß du mich jetzt nicht mehr brauchſt — und da bleibe ich lieber ſelbſt weg, ohne daß man mir’s andeutet. Doch du haſt recht, wenn du mir Vorwürfe machſt. Beſonders heute, wo ich dir eine ſo angenehme Nachricht geben kann, hätte ich nicht zögern ſollen, dich aufzuſuchen.“ Pia war während ſeiner erſten Worte erblaßt und dann ſcheu vor ihm zurückgewichen. Sie heftete einen hilflos-flehenden, ängſtlichen Blick auf ihn und aus den großen, ſchwarzen Augen brachen nun die Tränen hervor, mit denen ihre Rührung ſchon früher gekämpft. Ein unſägliches Gefühl banger Ahnung bemächtigte ſich ihrer .... Sie konnte nur mit zitternder Stimme erwidern: „Seefeld, du tuſt mir unrecht!“ Das vertrau- liche Rudi blieb diesmal fort. „Ich denke, du ſollteſt mich doch ſo weit kennen, um zu wiſſen, daß ich dankbarer Natur bin. Es iſt dies vielleicht einer der wenigen guten Züge meines Charakters. Wie könnte ich dich jetzt noch von mir weiſen? „Ach ſo“, dachte er bitter, „ſie will mir alſo das Almoſen „ewiger Dankbarkeit“ ſpenden, während ſie einen anderen liebt. Dankbarkeit für Liebe. Der ärgſte Schimpf!“ lachte der Graf wild auf. Pia ſah ihn befremdet an. War es möglich! Er hatte alſo nur ein ſpöttiſches Lachen als Er- widerung ihrer zuvorkommenden Worte? Eine ge- fährliche Saite begann in ihrem Innern zu vibrieren. Sie wollte aufbrauſen; beherrſchte ſich aber tapfer und ſprach anſcheinend ruhig: „Du wollteſt mir ja eine gute Nachricht mit- teilen, Seefeld? Laß hören ... Ich freue mich ſchon ſehr darauf und bin wirklich neugierig.“ „Nun, du wirſt höchſt befriedigt ſein!“ Damit zog er Leos Brief aus der Taſche und teilte ihr deſſen Inhalt ganz plötzlich und unvor- bereitet mit. Er ſtudierte ihre Züge aufmerkſam dabei; doch keine beſonders ſelige Überraſchung ſpiegelte ſich darin. Pia, die ſich wieder geſetzt, durchflog den Brief und gab ihn dann dem Graf zurück. „Das ganze iſt ja recht angenehm und hat ſich für Leo überraſchend gut geſtaltet“, meinte ſie. „Sein Abenteuer klingt wahrhaft märchenhaft und die Geſchichte wäre eines Bret Harte würdig. Man erſieht daraus, daß die vielen ſchauerlichen, anſcheinend unwahrſcheinlichen amerikaniſchen Er- zählungen nicht alle erfunden ſind. Ich werde dieſe entlaſtenden Papiere mit einigen Zeilen von mir an die Fürſtin ſenden, die im allerhöchſten Kreiſe iſt, und zweifle nicht, daß ſie auf meine Bitte hin, ſich der Sache annehmen wird. Wenn Ihre Durchlaucht mit der greiſen Mutter Leos in Andienz zum Monarchen geht, hoffe ich beſtimmt, daß ſich für ihn noch alles zum Guten wendet. Leo hat ſich ja jetzt eigentlich nur mehr wegen ſeiner Flucht zu verantworten. Man kann ihm die unter ſolchen Umſtänden unmöglich als Deſertion anrechnen. Natürlich muß er, wenn er begnadigt wird, jeden- falls trachten, ſich durch ganz etwas Hervorragendes auszuzeichnen, damit man dadurch den Schatten vergißt, der auf ſeine Ehre gefallen iſt. Ich entſinne mich, noch vor meiner Krankheit geleſen zu haben, daß man ſich in der Marine zu einer arktiſchen Expedition vorbereitet. Dazu kann ſich dann Leo freiwillig melden. Am Nordpol wird er Gelegenheit genug finden, ſich auszuzeichnen“. Der Graf hatte Pia mit wachſendem Staunen zugehört. Ihre Worte klangen ſo wahr und auf- richtig, daß er die Überzeugung gewann, ſie könne Leo nicht lieben; denn ſo ſpricht kein liebendes Weib von dem Manne ihres Herzens. Das konnte höchſtens eine Schweſter ſagen, und noch dazu nur eine ſtrengdenkende. Jemanden, den man liebt, ſetzt man den Gefahren des ſchrecklichen Eismeeres gewiß nicht einmal in Gedanken aus. Dieſe Über-

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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 57, Marburg, 12.05.1908, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger57_1908/1>, abgerufen am 21.11.2024.