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Marburger Zeitung. Nr. 148, Marburg, 10.12.1912.

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Nr. 148, 10. Dezember 1912 Marburger Zeitung

[Spaltenumbruch]

eben nicht Armeen mit Saumtierlasten verpflegen,
dann in einem Lande, in dem man bis vor kurzem
alle Konzessionen für Straßen, Telegraphen- und
Eisenbahnlinien ebenso hartnäckig verweigert hat,
wie für Verbandstoff- und Konservenfabriken. Der
Bezug vom Auslande geht ihm Ernstfalle zu lang-
sam, zumal, wenn die Intendantur "jawasch" ar-
beitet. Zur Entschuldigung der Türken sei nicht
verschwiegen, daß es hart ist, zu sehen, wie der
Reingewinn aller derartigen Unternehmungen in die
Taschen der steuerfreien Ausländer fließt, solange
nämlich die Osmanen selbst sich nicht zur allge-
meinen Hebung des Volksfleißes aufgerafft haben.

Vor der Schlacht bei Kirk Kilisse haben die
Soldaten fünf Tage lang eine Galette erhalten, das
ist eine Art Biskuit. Als ich in die Front rückende
Leute nach dem Inhalte ihrer deutschen Feldflasche
fragte, kehrten sie die Flaschen um: Der Inhalt
war türkisch! Wo man beim Ausmarsche Wasser
sah, sprang man aus dem Gliede und füllte die
Flaschen mit -- Cholerawasser. Die durchaus man-
gelhafte Verpflegung verstärkte nicht nur die allge-
meine Anfälligkeit, sondern verschuldete es auch, daß
tausende täglich an Hungertyphus verstarben. Daß
Feldküchenwagen selbst mit Verbandzeug gefüllt
waren, erwähnte ich schon früher. So hart, wie der
Orientale als Despot im Interesse der eigenen Tasche
sein kann, so wenig kennt er mitunter die amtliche
Requisition im Interesse des Vaterlandes: Alle die
Tausende von Bauern, die nach Kleinasien geflüchtet
sind, haben Vieh mittreiben dürfen, um davon zu
leben. Bei weitem die größte Menge aber haben sie
in ihrer Panik auf den Weiden zurückgelassen und
-- ihre verräterischen Nachbarn, die Komitatschi,
haben es zu sich getrieben! Unmengen guten Ver-
pflegungsmateriales an Ort und Stelle sind dem
türkischen Heere so verloren gegangen. Trotz aller
Not haben sich die türkischen Soldaten übrigens in
der Plünderungsfrage dem Feinde moralisch weit
überlegen gezeigt!




Politische Umschau.
Anfsehen erregende Rücktrttte.

Gleichzeitige Demission des Kriegsministers und
des Generalstabschefs -- FZM. Krobatin und
v. Hötzendorf Nachfolger.

Gestern in den Abendstunden verbreitete sich in
Wien das Gerücht, daß sowohl der Kriegsminister
G. d. J. Ritter von Auffenberg, als auch der
Chef des Generalstabes FML. Schemua ihre De-
mission gegeben haben und daß vom Kaiser als
Nachfolger Auffenbergs der erste Sektionschef im
Kriegsministerium FZM Alexander R. v. Kroba-
tin
und als Nachfolger Schemuas der frühere Ge-
neralstabschef und jetzige Armeeinspektor G. d. J.
Conrad v. Hötzendorf ernannt wurden. In
den späteren Abendstunden wurden diese Meldungen
bestätigt. -- Bekanntlich mußte seinerzeit Conrad
v. Hötzendorf, welcher der besondere Günstling des
Thronfolgers ist, von seinem Posten als General-
stabschef scheiden, weil der damalige Minister des
Äußeren, Aehrenthal, in den militärischen For-
derungen Conrads eine militärische Bedrohung Ita-
liens erblickte, welche leicht zu den ernstesten Ver-
stimmungen des verbündeten Königreiches Italien
hätte führen können. In diesem Zwiespalt zwischen
dem Thronfolger und dem Generalstabschef einer-
seits und dem Minister des Äußeren anderseits ent-
schied der Kaiser damals zu Gunsten Aehrenthals.
Der Generalstabschef mußte seine Stelle niederlegen
und wurde Armeeinspektor. Nun aber wurde Conrad
v. Hötzendorf wieder an die Spitze des General-
stabes gestellt.

Der Dreibund erneuert!

Das amtliche Telegraphen-Korrespondenzbureau
meldet unter dem Datum Wien, 7. Dezember
1912:

Der zwischen den Souveränen und den Re-
gierungen von Österreich-Ungarn, Deutsch-
land
und Italien bestehende Bündnis-
vertrag
ist ohne jede Änderung erneuert
worden.

Was seit den letzten Begegnungen der leitenden
Staatsmänner des Dreibundes als feststehend ge-
golten hat, wird nunmehr als vollzogene Tatsache
der großen Öffentlichkeit mitgeteilt. Es ist kein
Zweifel, daß in der Veröffentlichung dieses für
den europäischen Frieden so wichtigen Ereignisses
gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte eine bestimmte,
mit aller Deutlichkeit hervortretende Absicht gelegen
[Spaltenumbruch] ist. Bis in die jüngste Zeit hinein fehlte es nicht
an ernsten und eindringlichen Versuchen, in den
Dreibund einen Riß hineinzubringen und besonders
Italien von ihm abzuziehen. Schon die Ereignisse
der letzten Wochen konnten aber alle Zweifel
darüber beseitigen, daß Italien nicht nur seinen
eingegangenen Verpflichtungen treu bleiben werde,
sondern auch zu ihrer weiteren Einhaltung in der
Zukunft fest entschlossen ist. Der jüngste Besuch
des Grafen Berchtold in Italien, der schon in
gewitterschwangerer Zeit unternommen worden
war, ergab die Gewißheit, daß an dem Dreibund-
verhältnisse keine Änderung eintreten werde.

Der Rentensturz.

Letzten Samstag notierte die österreichische
Kronenrente an der Wiener Effektenbörse mit
82.80. Am Beginn dieses Jahres war der Kurs
91·10. Dieser Unterschied von 8 K. 30 H. ist geradezu
erschreckend. Nicht einmal die Renten der Balkan-
staaten haben einen so argen Rückgang erlitten.
Die Besitzer von Renten haben heuer ein böses
Jahr, wenn sie die Rente verkaufen müssen.
Allerdings, wer erst jetzt Rente kauft, dessen Geld
verzinst sich mit mehr als 4·8 Prozent.

Eine Staatsanleihe von einer Viertel-
milliarde?

In Wiener Finanzkreisen wurde gestern die
Nachricht von einer hochbedeutsamen staatsfinan-
ziellen Transaktion bekannt. Finanzminister Zaleski
hat mit dem Postsparkassenkonsortium eine Schatz-
scheinanleihe
im Betrage von 125 Millionen
Kronen abgeschlossen. Die Schatzscheine lauten auf
eine Verzinsung von 41/2 Prozent, und haben eine
Laufzeit von zwei Jahren. Interessant ist, daß die
Anleihe mit Hilfe zweier amerikanischer Groß-
banken, der National City-Bank und des jüdischen
Bankhauses Kuhn, Löb und Komp., beide in New-
York, emtitiert wurde. Der ungarische Finanzmini-
ster hat mit der ungarischen allgemeinen Kredilbank
als Bevollmächtigter des allgemeinen Konsortiums
ein Übereinkommen getroffen, demzufolge 41/2 pro-
zentige Schatzscheine mit einer Laufzeit von einein-
halb bis zwei Jahren im Betragevon 125 Millio-
nen
Kronen ausgegeben werden. Das ist zusammen
eine neue Anleihe von einer Viertelmilliarde,
welche bei dem unerhört niedrigen Rentenkurse sehr
teuer gekommen sein wird und den Steuerträgern
zu gunsten der Großbanken neue schwere Opfer
auferlegen wird.

Serbieu rüstet weiter.

Aus Semlin wird gemeldet: Die Mobilisierung
der gesamten bisher noch nicht in Anspruch ge-
nommenen Landsturmmannschaften ist an-
geordnet worden. Die Einrückungsbefehle lauten auf
Stellung innerhalb 24 Stunden. Die unter Waffen
stehende, aus dem Feldzuge heimkehrende Mannschaft
erhält nur kurze Urlaube in die Heimat, die Offiziere
gar keine Urlaube. Alle verfügbaren Werkstätten
sind mit der Anfertigung von Winterkleidern für
die Armee beschäftigt. Es wird über Hals und
Kopf überall gearbeitet. General Zivkovic hat den
Befehl erhalten, seine Armee zwischen Sjenica und
Prilep zu konzentrieren und sich bereitzuhalten, die
bosnisch-herzegowinische Grenze im Falle eines
kriegerischen Konfliktes mit Österreich-Ungarn zu
überschreiten. Die zahlreichen Freischärler, welche
die Armee begleiten, sind um Plevlje und an der
Drinagrenze konzentriert.

Die Königsmörder -- reaktiviert!

Eine kulturelle Schande sondergleichen macht
sich jetzt in Serbien breit. Aus Rücksicht auf
Europa wurden die serbischen Königsmörder zwar
nicht auf den Galgen gehenkt, wie es sich gehört
hätte, sondern nur dienstlich kaltgestellt. Nun hat
der König Peter, welcher den Königsmördern seinen
blutbefleckten Thron verdankt, die Mörder wieder
reaktiviert! So wurde der Königsmörder Popovic,
obwohl er infolge seiner Kaltstellung am Balkan-
kriege nicht teilnahm, zum Kommandanten von
Durazzo ernannt. Diese "Balkanchristen" scheinen
den Rest von Moralbegriffen verloren zu haben..




Eigenberichte.
(Ermor-
det?)

Vor etwa zwei Monaten ging der Besitzers-
sohn Fleischhacker aus Pößnitz mit mehreren Kame-
raden an einem Sonntag gegen St. Egydi W.-B.,
wo sie bis spät in die Nacht hinein ein Gasthaus
[Spaltenumbruch] um das andere besuchten. Vom Alkoholgenusse auf-
geregt, sollen die Burschen auf dem Heimwege unter-
einander in Streit gekommen sein und Fleischhacker
scheint dabei den kürzeren gezogen zu haben. Seit
dieser Zeit war nun der hübsche, in den Zwanziger-
jahren stehende Bursche verschollen und alle bishe-
rigen Nachforschungen nach ihm blieben erfolglos.
Heute wurde in einem abseits fließenden Bache bei
St. Egydi seine schon in ziemliche Verwesung über-
gegangene Leiche gefunden. Der herbeigerufene Gen-
darm vom Gendarmerieposten St. Egydi requirierte
einen Fuhrwagen, auf welchen die Leiche grlegt und
in die Totenkamwer in St. Egydi überführt wurde.
Hoffentlich werd es dem Gerichte bald gelingen,
Licht in diese noch dunkle Sache zu bringen.

(Kindesmord.)

Vorgestern wollte der Gastwirtssohn Josef Zogl-
meier in Gamlitz mit einem Knechte die Senkgrube
ausleeren. Hiebet fanden sie eine Kindesleiche. Die
Untersuchung lenkte den Verdacht auf eine etwas
beschränkte Magd. Sie leugnete zwar anfangs,
mußte jedoch später ihre Schuld zugeben.

(Todessturz.)

Vorgestern abends gingen die Besitzer Philipp
Bohanec und Matthias Draskov[i]c in Unterkur-
schewitz angeheitert nach Hause. Bei einem Abhange
stürzte Bohanec, schlug mehrmals mit dem Kopfe
auf die Steine auf und war sofort tot. Er hatte
sich einen Bruch der Schädelbasis zugezogen.




Marburger Nachrichten.
Vom Justizdienste.

Bezirksricher Doktor
Anton Torggler in Klagenfurt (der schon seiner-
zeit als Richter in Marburg tätig war) wurde
zum Landesgerichtsrat für Marburg und der Richter
Dr. Edmund Stoschier in Leibnitz zum Bezirks-
richter und Gerichtsvorsteher für Kirchbach ernannt.
Der Justizminister hat ferners den Bezirksrichter
und Gerichtsvorsteher Franz Wazacz in Kirchbach
nach Radkersburg und den Richter Dr. Franz
Pichler in Möttling nach Marburg versetzt,
und zum Bezirksrichter beim Landesgerichte in
Graz den Bezirksrichter und Gerichtsvorsteher
Dr. Robert Artzt-Ruiz in Radkersburg ernannt.

Vom Landesschulrate.

Ernannt wurden:
die Hilfslehrersupplentin in Cilli Theresia Agricola
zur Hilfslehrerin an der Mädchenbürgerschule in
Cilli, die Lehrersupplentin in Groß-Sonntag
Aloisia Lebar zur definitiven Lehrerin, die definitive
Lehrerin in Unterpulsgau Maria Gorican zur
Lehrerin in Pristova, die provisorische Lehrerin in
Sankt Florian Franziska Grilc zur definitiven
Lehrerin, der Öberlehrer in St. Stephan (Bezirk
Marein) Paul Flere zum Oberlehrer in Letusch,
die provisorische Lehrerin in Praßberg Helene
Gorlcar zur definitiven Lehrerin, die provisorische
Lehrerin in Sagorje Amalie Gnus zur definitiven
Lehrerin, der definitve Lehrer und Schulleiter in
Kapellen Josef Huber zum Oberlehrer. Bestellt
wurde die Arbeitsaushilfslehrerin in Reifnig
Maria Iglar zur Arbeitslehrerin. In den zeitlichen
Ruhestand wurde versetzt die definitive Lehrerin
in St. Martin bei Windischgraz Marianne
Vrecko.

Todesfälle.

Am 7· Dezember starb hier die
Hotelvesitzerswitwe Frau Therese Wels im 73.
Lebensjahre. -- Am 9. Dezember starb nach langem
Leiden der Schulrat und k. k. Professor i. R. Herr
Johann Koprivnik im 63. Lebensjahre. Das
Leichenbegängnis findet Mittwoch um halb 4 Uhr
vom Trauerh use, Badlgasse, aus statt. Der Ver-
storbene war an der hiesigen Lehrerbildungsanstalt
durch viele Jahre tätig und als nationaler Slowene
bekannt. -- Heute verschied nach langer Krankheit
im 61. Lebensjahre die Gattin des Südbahninspek-
tors i. R. Herrn Heinrich Kispert, Frau Juliane
Kispert, geb. Seitz. Die Bestattung erfolgt am
Donnerstag um 3 Uhr von der Leichenhalle des
Stadtfriedhofes aus.

Christbanmfeier.

Der Männergesang-
verein der Staatsbedtensteten in Marburg ver-
anstaltet am 14. Dezember in der Gambrinushalle
eine Christbaumfeier verbunden mit Glückshafen und
Tanzkränzchen. Die Musik besorgt eine beliebte
Kapelle. Die Zwischenpausen werden unter Leitung
des Chormeisters J. Plochl durch verschiedene Ge-
sangsvorträge genannten Vereines ausgefüllt. Die
Festrede wird vom Herrn Professor Dr. Medwed
gehalten. Beginn 8 abends. Das etwaige Reiner-
trägnis wird zu Gunsten der Witwen und Waisen

Nr. 148, 10. Dezember 1912 Marburger Zeitung

[Spaltenumbruch]

eben nicht Armeen mit Saumtierlaſten verpflegen,
dann in einem Lande, in dem man bis vor kurzem
alle Konzeſſionen für Straßen, Telegraphen- und
Eiſenbahnlinien ebenſo hartnäckig verweigert hat,
wie für Verbandſtoff- und Konſervenfabriken. Der
Bezug vom Auslande geht ihm Ernſtfalle zu lang-
ſam, zumal, wenn die Intendantur „jawaſch“ ar-
beitet. Zur Entſchuldigung der Türken ſei nicht
verſchwiegen, daß es hart iſt, zu ſehen, wie der
Reingewinn aller derartigen Unternehmungen in die
Taſchen der ſteuerfreien Ausländer fließt, ſolange
nämlich die Osmanen ſelbſt ſich nicht zur allge-
meinen Hebung des Volksfleißes aufgerafft haben.

Vor der Schlacht bei Kirk Kiliſſe haben die
Soldaten fünf Tage lang eine Galette erhalten, das
iſt eine Art Biskuit. Als ich in die Front rückende
Leute nach dem Inhalte ihrer deutſchen Feldflaſche
fragte, kehrten ſie die Flaſchen um: Der Inhalt
war türkiſch! Wo man beim Ausmarſche Waſſer
ſah, ſprang man aus dem Gliede und füllte die
Flaſchen mit — Cholerawaſſer. Die durchaus man-
gelhafte Verpflegung verſtärkte nicht nur die allge-
meine Anfälligkeit, ſondern verſchuldete es auch, daß
tauſende täglich an Hungertyphus verſtarben. Daß
Feldküchenwagen ſelbſt mit Verbandzeug gefüllt
waren, erwähnte ich ſchon früher. So hart, wie der
Orientale als Deſpot im Intereſſe der eigenen Taſche
ſein kann, ſo wenig kennt er mitunter die amtliche
Requiſition im Intereſſe des Vaterlandes: Alle die
Tauſende von Bauern, die nach Kleinaſien geflüchtet
ſind, haben Vieh mittreiben dürfen, um davon zu
leben. Bei weitem die größte Menge aber haben ſie
in ihrer Panik auf den Weiden zurückgelaſſen und
— ihre verräteriſchen Nachbarn, die Komitatſchi,
haben es zu ſich getrieben! Unmengen guten Ver-
pflegungsmateriales an Ort und Stelle ſind dem
türkiſchen Heere ſo verloren gegangen. Trotz aller
Not haben ſich die türkiſchen Soldaten übrigens in
der Plünderungsfrage dem Feinde moraliſch weit
überlegen gezeigt!




Politiſche Umſchau.
Anfſehen erregende Rücktrttte.

Gleichzeitige Demiſſion des Kriegsminiſters und
des Generalſtabschefs — FZM. Krobatin und
v. Hötzendorf Nachfolger.

Geſtern in den Abendſtunden verbreitete ſich in
Wien das Gerücht, daß ſowohl der Kriegsminiſter
G. d. J. Ritter von Auffenberg, als auch der
Chef des Generalſtabes FML. Schemua ihre De-
miſſion gegeben haben und daß vom Kaiſer als
Nachfolger Auffenbergs der erſte Sektionschef im
Kriegsminiſterium FZM Alexander R. v. Kroba-
tin
und als Nachfolger Schemuas der frühere Ge-
neralſtabschef und jetzige Armeeinſpektor G. d. J.
Conrad v. Hötzendorf ernannt wurden. In
den ſpäteren Abendſtunden wurden dieſe Meldungen
beſtätigt. — Bekanntlich mußte ſeinerzeit Conrad
v. Hötzendorf, welcher der beſondere Günſtling des
Thronfolgers iſt, von ſeinem Poſten als General-
ſtabschef ſcheiden, weil der damalige Miniſter des
Äußeren, Aehrenthal, in den militäriſchen For-
derungen Conrads eine militäriſche Bedrohung Ita-
liens erblickte, welche leicht zu den ernſteſten Ver-
ſtimmungen des verbündeten Königreiches Italien
hätte führen können. In dieſem Zwieſpalt zwiſchen
dem Thronfolger und dem Generalſtabschef einer-
ſeits und dem Miniſter des Äußeren anderſeits ent-
ſchied der Kaiſer damals zu Gunſten Aehrenthals.
Der Generalſtabschef mußte ſeine Stelle niederlegen
und wurde Armeeinſpektor. Nun aber wurde Conrad
v. Hötzendorf wieder an die Spitze des General-
ſtabes geſtellt.

Der Dreibund erneuert!

Das amtliche Telegraphen-Korreſpondenzbureau
meldet unter dem Datum Wien, 7. Dezember
1912:

Der zwiſchen den Souveränen und den Re-
gierungen von Öſterreich-Ungarn, Deutſch-
land
und Italien beſtehende Bündnis-
vertrag
iſt ohne jede Änderung erneuert
worden.

Was ſeit den letzten Begegnungen der leitenden
Staatsmänner des Dreibundes als feſtſtehend ge-
golten hat, wird nunmehr als vollzogene Tatſache
der großen Öffentlichkeit mitgeteilt. Es iſt kein
Zweifel, daß in der Veröffentlichung dieſes für
den europäiſchen Frieden ſo wichtigen Ereigniſſes
gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte eine beſtimmte,
mit aller Deutlichkeit hervortretende Abſicht gelegen
[Spaltenumbruch] iſt. Bis in die jüngſte Zeit hinein fehlte es nicht
an ernſten und eindringlichen Verſuchen, in den
Dreibund einen Riß hineinzubringen und beſonders
Italien von ihm abzuziehen. Schon die Ereigniſſe
der letzten Wochen konnten aber alle Zweifel
darüber beſeitigen, daß Italien nicht nur ſeinen
eingegangenen Verpflichtungen treu bleiben werde,
ſondern auch zu ihrer weiteren Einhaltung in der
Zukunft feſt entſchloſſen iſt. Der jüngſte Beſuch
des Grafen Berchtold in Italien, der ſchon in
gewitterſchwangerer Zeit unternommen worden
war, ergab die Gewißheit, daß an dem Dreibund-
verhältniſſe keine Änderung eintreten werde.

Der Rentenſturz.

Letzten Samstag notierte die öſterreichiſche
Kronenrente an der Wiener Effektenbörſe mit
82.80. Am Beginn dieſes Jahres war der Kurs
91·10. Dieſer Unterſchied von 8 K. 30 H. iſt geradezu
erſchreckend. Nicht einmal die Renten der Balkan-
ſtaaten haben einen ſo argen Rückgang erlitten.
Die Beſitzer von Renten haben heuer ein böſes
Jahr, wenn ſie die Rente verkaufen müſſen.
Allerdings, wer erſt jetzt Rente kauft, deſſen Geld
verzinſt ſich mit mehr als 4·8 Prozent.

Eine Staatsanleihe von einer Viertel-
milliarde?

In Wiener Finanzkreiſen wurde geſtern die
Nachricht von einer hochbedeutſamen ſtaatsfinan-
ziellen Transaktion bekannt. Finanzminiſter Zaleski
hat mit dem Poſtſparkaſſenkonſortium eine Schatz-
ſcheinanleihe
im Betrage von 125 Millionen
Kronen abgeſchloſſen. Die Schatzſcheine lauten auf
eine Verzinſung von 4½ Prozent, und haben eine
Laufzeit von zwei Jahren. Intereſſant iſt, daß die
Anleihe mit Hilfe zweier amerikaniſcher Groß-
banken, der National City-Bank und des jüdiſchen
Bankhauſes Kuhn, Löb und Komp., beide in New-
York, emtitiert wurde. Der ungariſche Finanzmini-
ſter hat mit der ungariſchen allgemeinen Kredilbank
als Bevollmächtigter des allgemeinen Konſortiums
ein Übereinkommen getroffen, demzufolge 4½ pro-
zentige Schatzſcheine mit einer Laufzeit von einein-
halb bis zwei Jahren im Betragevon 125 Millio-
nen
Kronen ausgegeben werden. Das iſt zuſammen
eine neue Anleihe von einer Viertelmilliarde,
welche bei dem unerhört niedrigen Rentenkurſe ſehr
teuer gekommen ſein wird und den Steuerträgern
zu gunſten der Großbanken neue ſchwere Opfer
auferlegen wird.

Serbieu rüſtet weiter.

Aus Semlin wird gemeldet: Die Mobiliſierung
der geſamten bisher noch nicht in Anſpruch ge-
nommenen Landſturmmannſchaften iſt an-
geordnet worden. Die Einrückungsbefehle lauten auf
Stellung innerhalb 24 Stunden. Die unter Waffen
ſtehende, aus dem Feldzuge heimkehrende Mannſchaft
erhält nur kurze Urlaube in die Heimat, die Offiziere
gar keine Urlaube. Alle verfügbaren Werkſtätten
ſind mit der Anfertigung von Winterkleidern für
die Armee beſchäftigt. Es wird über Hals und
Kopf überall gearbeitet. General Zivkovic hat den
Befehl erhalten, ſeine Armee zwiſchen Sjenica und
Prilep zu konzentrieren und ſich bereitzuhalten, die
bosniſch-herzegowiniſche Grenze im Falle eines
kriegeriſchen Konfliktes mit Öſterreich-Ungarn zu
überſchreiten. Die zahlreichen Freiſchärler, welche
die Armee begleiten, ſind um Plevlje und an der
Drinagrenze konzentriert.

Die Königsmörder — reaktiviert!

Eine kulturelle Schande ſondergleichen macht
ſich jetzt in Serbien breit. Aus Rückſicht auf
Europa wurden die ſerbiſchen Königsmörder zwar
nicht auf den Galgen gehenkt, wie es ſich gehört
hätte, ſondern nur dienſtlich kaltgeſtellt. Nun hat
der König Peter, welcher den Königsmördern ſeinen
blutbefleckten Thron verdankt, die Mörder wieder
reaktiviert! So wurde der Königsmörder Popovic,
obwohl er infolge ſeiner Kaltſtellung am Balkan-
kriege nicht teilnahm, zum Kommandanten von
Durazzo ernannt. Dieſe „Balkanchriſten“ ſcheinen
den Reſt von Moralbegriffen verloren zu haben..




Eigenberichte.
(Ermor-
det?)

Vor etwa zwei Monaten ging der Beſitzers-
ſohn Fleiſchhacker aus Pößnitz mit mehreren Kame-
raden an einem Sonntag gegen St. Egydi W.-B.,
wo ſie bis ſpät in die Nacht hinein ein Gaſthaus
[Spaltenumbruch] um das andere beſuchten. Vom Alkoholgenuſſe auf-
geregt, ſollen die Burſchen auf dem Heimwege unter-
einander in Streit gekommen ſein und Fleiſchhacker
ſcheint dabei den kürzeren gezogen zu haben. Seit
dieſer Zeit war nun der hübſche, in den Zwanziger-
jahren ſtehende Burſche verſchollen und alle bishe-
rigen Nachforſchungen nach ihm blieben erfolglos.
Heute wurde in einem abſeits fließenden Bache bei
St. Egydi ſeine ſchon in ziemliche Verweſung über-
gegangene Leiche gefunden. Der herbeigerufene Gen-
darm vom Gendarmeriepoſten St. Egydi requirierte
einen Fuhrwagen, auf welchen die Leiche grlegt und
in die Totenkamwer in St. Egydi überführt wurde.
Hoffentlich werd es dem Gerichte bald gelingen,
Licht in dieſe noch dunkle Sache zu bringen.

(Kindesmord.)

Vorgeſtern wollte der Gaſtwirtsſohn Joſef Zogl-
meier in Gamlitz mit einem Knechte die Senkgrube
ausleeren. Hiebet fanden ſie eine Kindesleiche. Die
Unterſuchung lenkte den Verdacht auf eine etwas
beſchränkte Magd. Sie leugnete zwar anfangs,
mußte jedoch ſpäter ihre Schuld zugeben.

(Todesſturz.)

Vorgeſtern abends gingen die Beſitzer Philipp
Bohanec und Matthias Draskov[i]c in Unterkur-
ſchewitz angeheitert nach Hauſe. Bei einem Abhange
ſtürzte Bohanec, ſchlug mehrmals mit dem Kopfe
auf die Steine auf und war ſofort tot. Er hatte
ſich einen Bruch der Schädelbaſis zugezogen.




Marburger Nachrichten.
Vom Juſtizdienſte.

Bezirksricher Doktor
Anton Torggler in Klagenfurt (der ſchon ſeiner-
zeit als Richter in Marburg tätig war) wurde
zum Landesgerichtsrat für Marburg und der Richter
Dr. Edmund Stoſchier in Leibnitz zum Bezirks-
richter und Gerichtsvorſteher für Kirchbach ernannt.
Der Juſtizminiſter hat ferners den Bezirksrichter
und Gerichtsvorſteher Franz Wazacz in Kirchbach
nach Radkersburg und den Richter Dr. Franz
Pichler in Möttling nach Marburg verſetzt,
und zum Bezirksrichter beim Landesgerichte in
Graz den Bezirksrichter und Gerichtsvorſteher
Dr. Robert Artzt-Ruiz in Radkersburg ernannt.

Vom Landesſchulrate.

Ernannt wurden:
die Hilfslehrerſupplentin in Cilli Thereſia Agricola
zur Hilfslehrerin an der Mädchenbürgerſchule in
Cilli, die Lehrerſupplentin in Groß-Sonntag
Aloiſia Lebar zur definitiven Lehrerin, die definitive
Lehrerin in Unterpulsgau Maria Gorican zur
Lehrerin in Priſtova, die proviſoriſche Lehrerin in
Sankt Florian Franziska Grilc zur definitiven
Lehrerin, der Öberlehrer in St. Stephan (Bezirk
Marein) Paul Flere zum Oberlehrer in Letuſch,
die proviſoriſche Lehrerin in Praßberg Helene
Gorlcar zur definitiven Lehrerin, die proviſoriſche
Lehrerin in Sagorje Amalie Gnus zur definitiven
Lehrerin, der definitve Lehrer und Schulleiter in
Kapellen Joſef Huber zum Oberlehrer. Beſtellt
wurde die Arbeitsaushilfslehrerin in Reifnig
Maria Iglar zur Arbeitslehrerin. In den zeitlichen
Ruheſtand wurde verſetzt die definitive Lehrerin
in St. Martin bei Windiſchgraz Marianne
Vrecko.

Todesfälle.

Am 7· Dezember ſtarb hier die
Hotelveſitzerswitwe Frau Thereſe Wels im 73.
Lebensjahre. — Am 9. Dezember ſtarb nach langem
Leiden der Schulrat und k. k. Profeſſor i. R. Herr
Johann Koprivnik im 63. Lebensjahre. Das
Leichenbegängnis findet Mittwoch um halb 4 Uhr
vom Trauerh uſe, Badlgaſſe, aus ſtatt. Der Ver-
ſtorbene war an der hieſigen Lehrerbildungsanſtalt
durch viele Jahre tätig und als nationaler Slowene
bekannt. — Heute verſchied nach langer Krankheit
im 61. Lebensjahre die Gattin des Südbahninſpek-
tors i. R. Herrn Heinrich Kispert, Frau Juliane
Kispert, geb. Seitz. Die Beſtattung erfolgt am
Donnerstag um 3 Uhr von der Leichenhalle des
Stadtfriedhofes aus.

Chriſtbanmfeier.

Der Männergeſang-
verein der Staatsbedtenſteten in Marburg ver-
anſtaltet am 14. Dezember in der Gambrinushalle
eine Chriſtbaumfeier verbunden mit Glückshafen und
Tanzkränzchen. Die Muſik beſorgt eine beliebte
Kapelle. Die Zwiſchenpauſen werden unter Leitung
des Chormeiſters J. Plochl durch verſchiedene Ge-
ſangsvorträge genannten Vereines ausgefüllt. Die
Feſtrede wird vom Herrn Profeſſor Dr. Medwed
gehalten. Beginn 8 abends. Das etwaige Reiner-
trägnis wird zu Gunſten der Witwen und Waiſen

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</TEI>
[3/0003] Nr. 148, 10. Dezember 1912 Marburger Zeitung eben nicht Armeen mit Saumtierlaſten verpflegen, dann in einem Lande, in dem man bis vor kurzem alle Konzeſſionen für Straßen, Telegraphen- und Eiſenbahnlinien ebenſo hartnäckig verweigert hat, wie für Verbandſtoff- und Konſervenfabriken. Der Bezug vom Auslande geht ihm Ernſtfalle zu lang- ſam, zumal, wenn die Intendantur „jawaſch“ ar- beitet. Zur Entſchuldigung der Türken ſei nicht verſchwiegen, daß es hart iſt, zu ſehen, wie der Reingewinn aller derartigen Unternehmungen in die Taſchen der ſteuerfreien Ausländer fließt, ſolange nämlich die Osmanen ſelbſt ſich nicht zur allge- meinen Hebung des Volksfleißes aufgerafft haben. Vor der Schlacht bei Kirk Kiliſſe haben die Soldaten fünf Tage lang eine Galette erhalten, das iſt eine Art Biskuit. Als ich in die Front rückende Leute nach dem Inhalte ihrer deutſchen Feldflaſche fragte, kehrten ſie die Flaſchen um: Der Inhalt war türkiſch! Wo man beim Ausmarſche Waſſer ſah, ſprang man aus dem Gliede und füllte die Flaſchen mit — Cholerawaſſer. Die durchaus man- gelhafte Verpflegung verſtärkte nicht nur die allge- meine Anfälligkeit, ſondern verſchuldete es auch, daß tauſende täglich an Hungertyphus verſtarben. Daß Feldküchenwagen ſelbſt mit Verbandzeug gefüllt waren, erwähnte ich ſchon früher. So hart, wie der Orientale als Deſpot im Intereſſe der eigenen Taſche ſein kann, ſo wenig kennt er mitunter die amtliche Requiſition im Intereſſe des Vaterlandes: Alle die Tauſende von Bauern, die nach Kleinaſien geflüchtet ſind, haben Vieh mittreiben dürfen, um davon zu leben. Bei weitem die größte Menge aber haben ſie in ihrer Panik auf den Weiden zurückgelaſſen und — ihre verräteriſchen Nachbarn, die Komitatſchi, haben es zu ſich getrieben! Unmengen guten Ver- pflegungsmateriales an Ort und Stelle ſind dem türkiſchen Heere ſo verloren gegangen. Trotz aller Not haben ſich die türkiſchen Soldaten übrigens in der Plünderungsfrage dem Feinde moraliſch weit überlegen gezeigt! Politiſche Umſchau. Anfſehen erregende Rücktrttte. Gleichzeitige Demiſſion des Kriegsminiſters und des Generalſtabschefs — FZM. Krobatin und v. Hötzendorf Nachfolger. Geſtern in den Abendſtunden verbreitete ſich in Wien das Gerücht, daß ſowohl der Kriegsminiſter G. d. J. Ritter von Auffenberg, als auch der Chef des Generalſtabes FML. Schemua ihre De- miſſion gegeben haben und daß vom Kaiſer als Nachfolger Auffenbergs der erſte Sektionschef im Kriegsminiſterium FZM Alexander R. v. Kroba- tin und als Nachfolger Schemuas der frühere Ge- neralſtabschef und jetzige Armeeinſpektor G. d. J. Conrad v. Hötzendorf ernannt wurden. In den ſpäteren Abendſtunden wurden dieſe Meldungen beſtätigt. — Bekanntlich mußte ſeinerzeit Conrad v. Hötzendorf, welcher der beſondere Günſtling des Thronfolgers iſt, von ſeinem Poſten als General- ſtabschef ſcheiden, weil der damalige Miniſter des Äußeren, Aehrenthal, in den militäriſchen For- derungen Conrads eine militäriſche Bedrohung Ita- liens erblickte, welche leicht zu den ernſteſten Ver- ſtimmungen des verbündeten Königreiches Italien hätte führen können. In dieſem Zwieſpalt zwiſchen dem Thronfolger und dem Generalſtabschef einer- ſeits und dem Miniſter des Äußeren anderſeits ent- ſchied der Kaiſer damals zu Gunſten Aehrenthals. Der Generalſtabschef mußte ſeine Stelle niederlegen und wurde Armeeinſpektor. Nun aber wurde Conrad v. Hötzendorf wieder an die Spitze des General- ſtabes geſtellt. Der Dreibund erneuert! Das amtliche Telegraphen-Korreſpondenzbureau meldet unter dem Datum Wien, 7. Dezember 1912: Der zwiſchen den Souveränen und den Re- gierungen von Öſterreich-Ungarn, Deutſch- land und Italien beſtehende Bündnis- vertrag iſt ohne jede Änderung erneuert worden. Was ſeit den letzten Begegnungen der leitenden Staatsmänner des Dreibundes als feſtſtehend ge- golten hat, wird nunmehr als vollzogene Tatſache der großen Öffentlichkeit mitgeteilt. Es iſt kein Zweifel, daß in der Veröffentlichung dieſes für den europäiſchen Frieden ſo wichtigen Ereigniſſes gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte eine beſtimmte, mit aller Deutlichkeit hervortretende Abſicht gelegen iſt. Bis in die jüngſte Zeit hinein fehlte es nicht an ernſten und eindringlichen Verſuchen, in den Dreibund einen Riß hineinzubringen und beſonders Italien von ihm abzuziehen. Schon die Ereigniſſe der letzten Wochen konnten aber alle Zweifel darüber beſeitigen, daß Italien nicht nur ſeinen eingegangenen Verpflichtungen treu bleiben werde, ſondern auch zu ihrer weiteren Einhaltung in der Zukunft feſt entſchloſſen iſt. Der jüngſte Beſuch des Grafen Berchtold in Italien, der ſchon in gewitterſchwangerer Zeit unternommen worden war, ergab die Gewißheit, daß an dem Dreibund- verhältniſſe keine Änderung eintreten werde. Der Rentenſturz. Letzten Samstag notierte die öſterreichiſche Kronenrente an der Wiener Effektenbörſe mit 82.80. Am Beginn dieſes Jahres war der Kurs 91·10. Dieſer Unterſchied von 8 K. 30 H. iſt geradezu erſchreckend. Nicht einmal die Renten der Balkan- ſtaaten haben einen ſo argen Rückgang erlitten. Die Beſitzer von Renten haben heuer ein böſes Jahr, wenn ſie die Rente verkaufen müſſen. Allerdings, wer erſt jetzt Rente kauft, deſſen Geld verzinſt ſich mit mehr als 4·8 Prozent. Eine Staatsanleihe von einer Viertel- milliarde? In Wiener Finanzkreiſen wurde geſtern die Nachricht von einer hochbedeutſamen ſtaatsfinan- ziellen Transaktion bekannt. Finanzminiſter Zaleski hat mit dem Poſtſparkaſſenkonſortium eine Schatz- ſcheinanleihe im Betrage von 125 Millionen Kronen abgeſchloſſen. Die Schatzſcheine lauten auf eine Verzinſung von 4½ Prozent, und haben eine Laufzeit von zwei Jahren. Intereſſant iſt, daß die Anleihe mit Hilfe zweier amerikaniſcher Groß- banken, der National City-Bank und des jüdiſchen Bankhauſes Kuhn, Löb und Komp., beide in New- York, emtitiert wurde. Der ungariſche Finanzmini- ſter hat mit der ungariſchen allgemeinen Kredilbank als Bevollmächtigter des allgemeinen Konſortiums ein Übereinkommen getroffen, demzufolge 4½ pro- zentige Schatzſcheine mit einer Laufzeit von einein- halb bis zwei Jahren im Betragevon 125 Millio- nen Kronen ausgegeben werden. Das iſt zuſammen eine neue Anleihe von einer Viertelmilliarde, welche bei dem unerhört niedrigen Rentenkurſe ſehr teuer gekommen ſein wird und den Steuerträgern zu gunſten der Großbanken neue ſchwere Opfer auferlegen wird. Serbieu rüſtet weiter. Aus Semlin wird gemeldet: Die Mobiliſierung der geſamten bisher noch nicht in Anſpruch ge- nommenen Landſturmmannſchaften iſt an- geordnet worden. Die Einrückungsbefehle lauten auf Stellung innerhalb 24 Stunden. Die unter Waffen ſtehende, aus dem Feldzuge heimkehrende Mannſchaft erhält nur kurze Urlaube in die Heimat, die Offiziere gar keine Urlaube. Alle verfügbaren Werkſtätten ſind mit der Anfertigung von Winterkleidern für die Armee beſchäftigt. Es wird über Hals und Kopf überall gearbeitet. General Zivkovic hat den Befehl erhalten, ſeine Armee zwiſchen Sjenica und Prilep zu konzentrieren und ſich bereitzuhalten, die bosniſch-herzegowiniſche Grenze im Falle eines kriegeriſchen Konfliktes mit Öſterreich-Ungarn zu überſchreiten. Die zahlreichen Freiſchärler, welche die Armee begleiten, ſind um Plevlje und an der Drinagrenze konzentriert. Die Königsmörder — reaktiviert! Eine kulturelle Schande ſondergleichen macht ſich jetzt in Serbien breit. Aus Rückſicht auf Europa wurden die ſerbiſchen Königsmörder zwar nicht auf den Galgen gehenkt, wie es ſich gehört hätte, ſondern nur dienſtlich kaltgeſtellt. Nun hat der König Peter, welcher den Königsmördern ſeinen blutbefleckten Thron verdankt, die Mörder wieder reaktiviert! So wurde der Königsmörder Popovic, obwohl er infolge ſeiner Kaltſtellung am Balkan- kriege nicht teilnahm, zum Kommandanten von Durazzo ernannt. Dieſe „Balkanchriſten“ ſcheinen den Reſt von Moralbegriffen verloren zu haben.. Eigenberichte. St. Egydi W.-B., 8. Dezember. (Ermor- det?) Vor etwa zwei Monaten ging der Beſitzers- ſohn Fleiſchhacker aus Pößnitz mit mehreren Kame- raden an einem Sonntag gegen St. Egydi W.-B., wo ſie bis ſpät in die Nacht hinein ein Gaſthaus um das andere beſuchten. Vom Alkoholgenuſſe auf- geregt, ſollen die Burſchen auf dem Heimwege unter- einander in Streit gekommen ſein und Fleiſchhacker ſcheint dabei den kürzeren gezogen zu haben. Seit dieſer Zeit war nun der hübſche, in den Zwanziger- jahren ſtehende Burſche verſchollen und alle bishe- rigen Nachforſchungen nach ihm blieben erfolglos. Heute wurde in einem abſeits fließenden Bache bei St. Egydi ſeine ſchon in ziemliche Verweſung über- gegangene Leiche gefunden. Der herbeigerufene Gen- darm vom Gendarmeriepoſten St. Egydi requirierte einen Fuhrwagen, auf welchen die Leiche grlegt und in die Totenkamwer in St. Egydi überführt wurde. Hoffentlich werd es dem Gerichte bald gelingen, Licht in dieſe noch dunkle Sache zu bringen. Gamlitz, 8. Dezember. (Kindesmord.) Vorgeſtern wollte der Gaſtwirtsſohn Joſef Zogl- meier in Gamlitz mit einem Knechte die Senkgrube ausleeren. Hiebet fanden ſie eine Kindesleiche. Die Unterſuchung lenkte den Verdacht auf eine etwas beſchränkte Magd. Sie leugnete zwar anfangs, mußte jedoch ſpäter ihre Schuld zugeben. Rohitſch, 7. Dezember. (Todesſturz.) Vorgeſtern abends gingen die Beſitzer Philipp Bohanec und Matthias Draskovic in Unterkur- ſchewitz angeheitert nach Hauſe. Bei einem Abhange ſtürzte Bohanec, ſchlug mehrmals mit dem Kopfe auf die Steine auf und war ſofort tot. Er hatte ſich einen Bruch der Schädelbaſis zugezogen. Marburger Nachrichten. Vom Juſtizdienſte. Bezirksricher Doktor Anton Torggler in Klagenfurt (der ſchon ſeiner- zeit als Richter in Marburg tätig war) wurde zum Landesgerichtsrat für Marburg und der Richter Dr. Edmund Stoſchier in Leibnitz zum Bezirks- richter und Gerichtsvorſteher für Kirchbach ernannt. Der Juſtizminiſter hat ferners den Bezirksrichter und Gerichtsvorſteher Franz Wazacz in Kirchbach nach Radkersburg und den Richter Dr. Franz Pichler in Möttling nach Marburg verſetzt, und zum Bezirksrichter beim Landesgerichte in Graz den Bezirksrichter und Gerichtsvorſteher Dr. Robert Artzt-Ruiz in Radkersburg ernannt. Vom Landesſchulrate. Ernannt wurden: die Hilfslehrerſupplentin in Cilli Thereſia Agricola zur Hilfslehrerin an der Mädchenbürgerſchule in Cilli, die Lehrerſupplentin in Groß-Sonntag Aloiſia Lebar zur definitiven Lehrerin, die definitive Lehrerin in Unterpulsgau Maria Gorican zur Lehrerin in Priſtova, die proviſoriſche Lehrerin in Sankt Florian Franziska Grilc zur definitiven Lehrerin, der Öberlehrer in St. Stephan (Bezirk Marein) Paul Flere zum Oberlehrer in Letuſch, die proviſoriſche Lehrerin in Praßberg Helene Gorlcar zur definitiven Lehrerin, die proviſoriſche Lehrerin in Sagorje Amalie Gnus zur definitiven Lehrerin, der definitve Lehrer und Schulleiter in Kapellen Joſef Huber zum Oberlehrer. Beſtellt wurde die Arbeitsaushilfslehrerin in Reifnig Maria Iglar zur Arbeitslehrerin. In den zeitlichen Ruheſtand wurde verſetzt die definitive Lehrerin in St. Martin bei Windiſchgraz Marianne Vrecko. Todesfälle. Am 7· Dezember ſtarb hier die Hotelveſitzerswitwe Frau Thereſe Wels im 73. Lebensjahre. — Am 9. Dezember ſtarb nach langem Leiden der Schulrat und k. k. Profeſſor i. R. Herr Johann Koprivnik im 63. Lebensjahre. Das Leichenbegängnis findet Mittwoch um halb 4 Uhr vom Trauerh uſe, Badlgaſſe, aus ſtatt. Der Ver- ſtorbene war an der hieſigen Lehrerbildungsanſtalt durch viele Jahre tätig und als nationaler Slowene bekannt. — Heute verſchied nach langer Krankheit im 61. Lebensjahre die Gattin des Südbahninſpek- tors i. R. Herrn Heinrich Kispert, Frau Juliane Kispert, geb. Seitz. Die Beſtattung erfolgt am Donnerstag um 3 Uhr von der Leichenhalle des Stadtfriedhofes aus. Chriſtbanmfeier. Der Männergeſang- verein der Staatsbedtenſteten in Marburg ver- anſtaltet am 14. Dezember in der Gambrinushalle eine Chriſtbaumfeier verbunden mit Glückshafen und Tanzkränzchen. Die Muſik beſorgt eine beliebte Kapelle. Die Zwiſchenpauſen werden unter Leitung des Chormeiſters J. Plochl durch verſchiedene Ge- ſangsvorträge genannten Vereines ausgefüllt. Die Feſtrede wird vom Herrn Profeſſor Dr. Medwed gehalten. Beginn 8 abends. Das etwaige Reiner- trägnis wird zu Gunſten der Witwen und Waiſen

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 148, Marburg, 10.12.1912, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger148_1912/3>, abgerufen am 03.12.2024.