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Marburger Zeitung. Nr. 148, Marburg, 10.12.1912.

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Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11--12 Uhr und von 5--6 Uhr Edmund Schmidgasse 4.

Verwaltung: Edmund Schmidgasse 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und kostet die fünfmal gespaltene Kleinzeile 12 h

Schluß für Einschaltungen
Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer kostet 10 Heller




Nr. 148 Dienstag, 10. Dezember 1912 51. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Böse Wetterzeichen.


Die heute aus Wien vorliegenden Nachrichten
zeigen den hohen Ernst der politischen Lage;
sie vermehren die Gewitterschwüle und verstärken
die elektrische Spannung der politischen Atmo-
sphäre. Wenn Conrad von Hötzendorf, der
Bevorzugte des Thronfolgers, unter den jetzigen
Umständen und Verhältnissen aus dem Rahmen
des Armeeinspektorates wieder heraustritt und zum
Chef des Generalstabes ernannt wird, derselbe
Mann, der einst dem Frieden mit Italien weichen
mußte, dieser General, dessen Rolle in einem
Kriege der Monarchie schon die Spatzen von
den Dächern pfeifen, dann fühlt es die ganze
Öffentlichkeit des In- und Auslandes instinktiv,
daß Großes und Bedeutungsschweres heranzieht.
Die drückende Wucht dieses Ereignisses wird noch
verstärkt und sinnfälliger gemacht durch die Auf-
nahme einer neuen Staatsanleihe von einer Viertel-
milltarde Kronen, in die sich beide Reichshälften
teilen und von der es auch der Nichtpolitiker weiß,
daß sie nicht aufgenommen wurde zur Besserung
der Lage der Staatsbeamten, der Lehrer, nicht
für gewerbefördernde Aktionen und auch nicht
für Investitionen des Friedens. Und die vorzeitige
Erneuerung des Dreibundes wirkte wie ein Signal
dieser ungeheueren Kraftgruppe auf alle jene, die
es angehen soll: Wir sind bereit! So klar
und durchsichtig ist der Schleier, der heute noch
über den letzten Entschließungen und über den
Umrissen der nächsten Zukunft gebreitet liegt,
[Spaltenumbruch] daß er das Auge nicht mehr hindert, das zu
erblicken, was sich in der Stille vorbereitet für
alle Fälle. Schon schöpft Serbien seine letzten
Reserven aus, schon werden die früheste Jugend
und das späte Alter zu den Waffen gerufen,
sogar seine Königsmörder wurden wieder unter
Serbiens Fahnen gestellt, ohne daß die Fahnen
darüber neuerdings erröten; sie sind noch rot
von den Menschenschlächtereien in Albanien.
Rußlands Haltung aber ist der Angelpunkt der
nächsten Geschichte; wie die vorzeitige demonstrative
Erneuerung des Dreibundvertrages, der auch
ohne diese automatisch auf weitere sechs Jahre
verlängert worden wäre, ein metallisch klingendes
Avis für Rußland war, so werden auch alle
politischen Zukunftsvorkehrungen in unserem Staate
vom Gesichtswinkel russischer Angriffslust aus
betrieben. Wie fiebernde Spieler dem Rollen der
Kugel, so folgt die ganze Öffentlichkeit dem, was
herausdringt aus der Verschlossenheit der Staats-
kanzleien, in denen das künftige Schicksal geformt
wird. Gestern konnte man irgendwo lesen:
"Kraftlosigkeit, Alarm, Ermannung, -- Ein pythischer
Orakelspruch. -- Erregung, Höhepunkt, Entspannung,
-- Doch fort und fort der Brandgeruch!" Dieser
Brandgeruch will nicht verschwinden und nirgends
erblickt das Auge einen Staatsmann, der mit
der Kraft eines Fürsten Bismarck durch ein
einziges Wort die Schwarmgeister Europas beruhigte.
Wir alle aber stehen trotz Parlament der Entwicklung
der Dinge einflußlos gegenüber; ein nebeliger Morgen
wird uns das Ende dieses Zustandes bringen, der
unerträglich geworden ist!


[Spaltenumbruch]
Die serbische Hetze in Südungarn.

Aus Südungarn wird geschrieben: Trotz
amtlicher Dementi ist es unleugbar und wird
durch die täglichen Vorfälle bewiesen, daß sich das
südungarische Serbentum in einer geradezu revo-
lutionären Bewegung befindet und man täte in
Regierungskreisen besser, dies offen zuzugeben, um
die in Südungarn lebenden, wirtschaftlich und
kulturell ebenfalls sehr gutgestellten nichtserbischen
Völkerschaften (Madjaren, Schwaben und Rumänen),
die sich über die illoyale Haltung der Serben mit
Recht in hochgradiger Erbitterung befinden, nicht
vor die Gefahr plötzlicher und unliebsamer Er-
eignisse zu stellen. Wie weit die Aufreizung unter
den Serben fortgeschritten ist, darüber mögen
nun folgende Tatsachen ein entsprechendes Bild
bieten:

Die serbisch-orthodoxe Geistlichkeit ist die
Hauptträgerin des monarchiefeindlichen großserbischen
Gedankens und die macht hieraus kein Hehl. Im
Kaffeehause des Hotels Kontilovic in Pancsova
äußerte sich der serbische Geistliche Obzor Davidovic
zu sämtlichen Gästen im Rahmen einer schweren
Majestätsbeleidigung und schmähenden Reden gegen
die Monarchie folgendermaßen: "Bald werden die
Serben einmarschieren und die Schwaben und
Madjaren genau so ausrotten, wie die Albaner
bei Prizrend." Wegen dieser Äußerung wurde
der pflichtvergessene Geistliche verhaftet und wegen
Hochverrates in Untersuchungshaft gesetzt.

In Neusatz verhaftete die Polizei die dortigen
wohlhabenden Landwirte Ivan Breikovic und
Sawa Spaijlovic unter der Beschuldigung der
Ausspähung und des Hochverrates und lieferte sie
der Staatsanwaltschaft in Szegedin ein. In Mokrin
wurden Plakate aufrührerischen Inhaltes in cyrillischen
Lettern, mit dem serbischen Staatswappen versehen,
affichiert und die Bevölkerung zur Gehorsams




[Spaltenumbruch]
Sein erster Erfolg.

11 Nachdruck verboten.

Für jeden anderen blieben diese Aufzeichnungen,
die von Werres Hand stammten, völlig unleserlich,
da der vorsichtige Doktor sich seine eigene Zeichen-
schrift erdacht hatte, und wichtige Notizen nur in
dieser niederschrieb. Die Blätter enthielten die bis-
herigen Erfolge der Nachforschungen in der Fried-
richs'schen Mordsache. Da gab es scheinbar ver-
schtedene Unterabteilungen und Einschachtelungen.
Das Ganze sah aus, wie eine genaue Disposition
über ein Aufsatzthema.

Werres las und verglich, schaute öfters nach-
denklich zum Fenster hinaus und schrieb bisweilen,
als sei ihm ein neuer Gedanke gekommen, in die
noch offenen Stellen einige Zeichen hinein. So
arbeitete er eine ganze Weile, bis er schließlich den
Stuhl zurückschob und aufstand. Die Hände in die
Taschen vergrabend, ging er in dem kleinen Zimmer
auf und ab. Seine Gedanken verdichteten sich
schließlich zu Worten. Er hielt leise Zwiegespräche
mit sich, erst nur wenige Worte, dann ganze Sätze,
die er vor sich hinmurmelte. Bald verlangsamte er
den Schritt, bald ging er hastiger auf und ab.

"Er muß es sein, -- er kann es nur sein."
-- Dann krauste er finster die Stirn und die Hände
in den Taschen ballten sich unwillkürlich zur Faust.
-- Auf dem Vorplatz ließen sich laute Schritte ver-
[Spaltenumbruch] nehmen. Die Türe öffnete sich und der Kriminal-
schutzmann Müller trat ein.

"Guten Morgen, Herr Doktor!"

"Guten Morgen, bringen Sie was Neues?"

"Ja und nein, Herr Doktor. Die Liste mit den
Nummern der geraubten Banknoten habe ich von
dem Herrn Kommissar Richter bekommen, hier ist
sie." Er reichte Werres ein großes, mit hektogra-
phierten Zahlen bedrucktes Papier.

"Und haben Sie die Friseure besucht, die ich
Ihnen angab?"

"Jawohl, Herr Doktor. Eine blonde Perrücke
und ein blonder Vollbart sind nebst anderen Theater-
sachen vor ungefähr vierzehn Tagen von dem Friseur
Wedel in der Kirchenstraße an die hiesige Freie
dramatische Vereinigung zu einer Aufführung ge-
liefert worden. Ob diese Aufführung schon stattge-
funden hat, weiß er nicht, er hat die Sachen noch
nicht zurückbekommen."

Werres schaute gleichgültig zum Fenster
hinaus.

"Das hilft uns nichts weiter", meinte er
unzufrieden.

Dabei flimmerten aber seine Augen so eigen-
artig. In solchen Momenten hatte sein Blick etwas
von einem Raubtier an sich, das heimtückisch eine
Beute beschleicht und die Gier und Mordlust ver-
bergen möchte. Nach einer Weile wandte sich
Werres dem Kriminalbeamten zu.

"Hören Sie genau hin, Müller! Sie erkun-
digen sich zunächst, wer in dem Vorstand dieser
[Spaltenumbruch] Freien dramatischen Vereinigung ist und dann be-
suchen Sie einen dieser Herren und fragen nach,
zu welchem Zweck die von dem Friseur Wedel
gelieferten Sachen gebraucht sind oder noch gebraucht
werden, und bitten auch den Herrn um das neueste
Mitgliederverzeichnis. Natürlich erwähnen Sie von
einer blonden Perrücke und dem blonden Vollbart
nichts, -- verstanden? -- Ebenso verpflichten Sie
auch die Herren zum tiefsten Stillschweigen. Das
ist sehr wichtig. Sie können sich ja ruhig als
Beamter ausweisen."

"Gut -- haben der Herr Doktor sonst noch
Befehle? Ich werde alles besorgen, wie der Herr
Doktor es wünschen."

"Sie können dann gehen, Müller -- und
morgen vormitrag erwarte ich Nachricht von Ihnen
-- ich bin hier zu treffen."

Kaum war der Beamte gegangen, als Wer-
res im Sturmschritt seine Promenade wieder auf-
nahm. "Wenn er in dem Verein Mitglied wäre
-- wenn" -- murmelte er erregt. Nach seiner
Weile setzte er sich dann an seinen Tisch und trug
in seine Aufzeichnungen wieder verschiedene Be-
merkungen ein. --

11. Kapitel.

Es klopfte. Werres legte ungeduldig die
Feder hin und rief "Herein!"

Es war der Sanitätsrat Dr. Friedrichs, der
Bruder des ermordeten Bankiers.

Werres erhob sich und ging dem Ankommenden
entgegen. Er hatte den Herrn bereits gelegentlich


Marburger Zeitung.



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Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:
Ganzjährig 12 K, halbjährig 6 K, vierteljährig 3 K, monat-
lich 1 K. Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 h mehr.

Mit Poſtverſendung:
Ganzjährig 14 K, halbjährig 7 K, vierteljährig 3 K 50 h.
Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.


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Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und
Samstag abends.

Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von
11—12 Uhr und von 5—6 Uhr Edmund Schmidgaſſe 4.

Verwaltung: Edmund Schmidgaſſe 4. (Telephon Nr. 24.)


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Anzeigen werden im Verlage des Blattes und von
allen größeren Annoncen-Expeditionen entgegengenommen
und koſtet die fünfmal geſpaltene Kleinzeile 12 h

Schluß für Einſchaltungen
Dienstag, Donnerstag Samstag 10 Uhr vormittags.

Die Einzelnummer koſtet 10 Heller




Nr. 148 Dienstag, 10. Dezember 1912 51. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Böse Wetterzeichen.


Die heute aus Wien vorliegenden Nachrichten
zeigen den hohen Ernſt der politiſchen Lage;
ſie vermehren die Gewitterſchwüle und verſtärken
die elektriſche Spannung der politiſchen Atmo-
ſphäre. Wenn Conrad von Hötzendorf, der
Bevorzugte des Thronfolgers, unter den jetzigen
Umſtänden und Verhältniſſen aus dem Rahmen
des Armeeinſpektorates wieder heraustritt und zum
Chef des Generalſtabes ernannt wird, derſelbe
Mann, der einſt dem Frieden mit Italien weichen
mußte, dieſer General, deſſen Rolle in einem
Kriege der Monarchie ſchon die Spatzen von
den Dächern pfeifen, dann fühlt es die ganze
Öffentlichkeit des In- und Auslandes inſtinktiv,
daß Großes und Bedeutungsſchweres heranzieht.
Die drückende Wucht dieſes Ereigniſſes wird noch
verſtärkt und ſinnfälliger gemacht durch die Auf-
nahme einer neuen Staatsanleihe von einer Viertel-
milltarde Kronen, in die ſich beide Reichshälften
teilen und von der es auch der Nichtpolitiker weiß,
daß ſie nicht aufgenommen wurde zur Beſſerung
der Lage der Staatsbeamten, der Lehrer, nicht
für gewerbefördernde Aktionen und auch nicht
für Inveſtitionen des Friedens. Und die vorzeitige
Erneuerung des Dreibundes wirkte wie ein Signal
dieſer ungeheueren Kraftgruppe auf alle jene, die
es angehen ſoll: Wir ſind bereit! So klar
und durchſichtig iſt der Schleier, der heute noch
über den letzten Entſchließungen und über den
Umriſſen der nächſten Zukunft gebreitet liegt,
[Spaltenumbruch] daß er das Auge nicht mehr hindert, das zu
erblicken, was ſich in der Stille vorbereitet für
alle Fälle. Schon ſchöpft Serbien ſeine letzten
Reſerven aus, ſchon werden die früheſte Jugend
und das ſpäte Alter zu den Waffen gerufen,
ſogar ſeine Königsmörder wurden wieder unter
Serbiens Fahnen geſtellt, ohne daß die Fahnen
darüber neuerdings erröten; ſie ſind noch rot
von den Menſchenſchlächtereien in Albanien.
Rußlands Haltung aber iſt der Angelpunkt der
nächſten Geſchichte; wie die vorzeitige demonſtrative
Erneuerung des Dreibundvertrages, der auch
ohne dieſe automatiſch auf weitere ſechs Jahre
verlängert worden wäre, ein metalliſch klingendes
Avis für Rußland war, ſo werden auch alle
politiſchen Zukunftsvorkehrungen in unſerem Staate
vom Geſichtswinkel ruſſiſcher Angriffsluſt aus
betrieben. Wie fiebernde Spieler dem Rollen der
Kugel, ſo folgt die ganze Öffentlichkeit dem, was
herausdringt aus der Verſchloſſenheit der Staats-
kanzleien, in denen das künftige Schickſal geformt
wird. Geſtern konnte man irgendwo leſen:
„Kraftloſigkeit, Alarm, Ermannung, — Ein pythiſcher
Orakelſpruch. — Erregung, Höhepunkt, Entſpannung,
— Doch fort und fort der Brandgeruch!“ Dieſer
Brandgeruch will nicht verſchwinden und nirgends
erblickt das Auge einen Staatsmann, der mit
der Kraft eines Fürſten Bismarck durch ein
einziges Wort die Schwarmgeiſter Europas beruhigte.
Wir alle aber ſtehen trotz Parlament der Entwicklung
der Dinge einflußlos gegenüber; ein nebeliger Morgen
wird uns das Ende dieſes Zuſtandes bringen, der
unerträglich geworden iſt!


[Spaltenumbruch]
Die ſerbiſche Hetze in Südungarn.

Aus Südungarn wird geſchrieben: Trotz
amtlicher Dementi iſt es unleugbar und wird
durch die täglichen Vorfälle bewieſen, daß ſich das
ſüdungariſche Serbentum in einer geradezu revo-
lutionären Bewegung befindet und man täte in
Regierungskreiſen beſſer, dies offen zuzugeben, um
die in Südungarn lebenden, wirtſchaftlich und
kulturell ebenfalls ſehr gutgeſtellten nichtſerbiſchen
Völkerſchaften (Madjaren, Schwaben und Rumänen),
die ſich über die illoyale Haltung der Serben mit
Recht in hochgradiger Erbitterung befinden, nicht
vor die Gefahr plötzlicher und unliebſamer Er-
eigniſſe zu ſtellen. Wie weit die Aufreizung unter
den Serben fortgeſchritten iſt, darüber mögen
nun folgende Tatſachen ein entſprechendes Bild
bieten:

Die ſerbiſch-orthodoxe Geiſtlichkeit iſt die
Hauptträgerin des monarchiefeindlichen großſerbiſchen
Gedankens und die macht hieraus kein Hehl. Im
Kaffeehauſe des Hotels Kontilovic in Pancſova
äußerte ſich der ſerbiſche Geiſtliche Obzor Davidovic
zu ſämtlichen Gäſten im Rahmen einer ſchweren
Majeſtätsbeleidigung und ſchmähenden Reden gegen
die Monarchie folgendermaßen: „Bald werden die
Serben einmarſchieren und die Schwaben und
Madjaren genau ſo ausrotten, wie die Albaner
bei Prizrend.“ Wegen dieſer Äußerung wurde
der pflichtvergeſſene Geiſtliche verhaftet und wegen
Hochverrates in Unterſuchungshaft geſetzt.

In Neuſatz verhaftete die Polizei die dortigen
wohlhabenden Landwirte Ivan Breikovic und
Sawa Spaijlovic unter der Beſchuldigung der
Ausſpähung und des Hochverrates und lieferte ſie
der Staatsanwaltſchaft in Szegedin ein. In Mokrin
wurden Plakate aufrühreriſchen Inhaltes in cyrilliſchen
Lettern, mit dem ſerbiſchen Staatswappen verſehen,
affichiert und die Bevölkerung zur Gehorſams




[Spaltenumbruch]
Sein erſter Erfolg.

11 Nachdruck verboten.

Für jeden anderen blieben dieſe Aufzeichnungen,
die von Werres Hand ſtammten, völlig unleſerlich,
da der vorſichtige Doktor ſich ſeine eigene Zeichen-
ſchrift erdacht hatte, und wichtige Notizen nur in
dieſer niederſchrieb. Die Blätter enthielten die bis-
herigen Erfolge der Nachforſchungen in der Fried-
richs’ſchen Mordſache. Da gab es ſcheinbar ver-
ſchtedene Unterabteilungen und Einſchachtelungen.
Das Ganze ſah aus, wie eine genaue Dispoſition
über ein Aufſatzthema.

Werres las und verglich, ſchaute öfters nach-
denklich zum Fenſter hinaus und ſchrieb bisweilen,
als ſei ihm ein neuer Gedanke gekommen, in die
noch offenen Stellen einige Zeichen hinein. So
arbeitete er eine ganze Weile, bis er ſchließlich den
Stuhl zurückſchob und aufſtand. Die Hände in die
Taſchen vergrabend, ging er in dem kleinen Zimmer
auf und ab. Seine Gedanken verdichteten ſich
ſchließlich zu Worten. Er hielt leiſe Zwiegeſpräche
mit ſich, erſt nur wenige Worte, dann ganze Sätze,
die er vor ſich hinmurmelte. Bald verlangſamte er
den Schritt, bald ging er haſtiger auf und ab.

„Er muß es ſein, — er kann es nur ſein.“
— Dann krauſte er finſter die Stirn und die Hände
in den Taſchen ballten ſich unwillkürlich zur Fauſt.
— Auf dem Vorplatz ließen ſich laute Schritte ver-
[Spaltenumbruch] nehmen. Die Türe öffnete ſich und der Kriminal-
ſchutzmann Müller trat ein.

„Guten Morgen, Herr Doktor!“

„Guten Morgen, bringen Sie was Neues?“

„Ja und nein, Herr Doktor. Die Liſte mit den
Nummern der geraubten Banknoten habe ich von
dem Herrn Kommiſſar Richter bekommen, hier iſt
ſie.“ Er reichte Werres ein großes, mit hektogra-
phierten Zahlen bedrucktes Papier.

„Und haben Sie die Friſeure beſucht, die ich
Ihnen angab?“

„Jawohl, Herr Doktor. Eine blonde Perrücke
und ein blonder Vollbart ſind nebſt anderen Theater-
ſachen vor ungefähr vierzehn Tagen von dem Friſeur
Wedel in der Kirchenſtraße an die hieſige Freie
dramatiſche Vereinigung zu einer Aufführung ge-
liefert worden. Ob dieſe Aufführung ſchon ſtattge-
funden hat, weiß er nicht, er hat die Sachen noch
nicht zurückbekommen.“

Werres ſchaute gleichgültig zum Fenſter
hinaus.

„Das hilft uns nichts weiter“, meinte er
unzufrieden.

Dabei flimmerten aber ſeine Augen ſo eigen-
artig. In ſolchen Momenten hatte ſein Blick etwas
von einem Raubtier an ſich, das heimtückiſch eine
Beute beſchleicht und die Gier und Mordluſt ver-
bergen möchte. Nach einer Weile wandte ſich
Werres dem Kriminalbeamten zu.

„Hören Sie genau hin, Müller! Sie erkun-
digen ſich zunächſt, wer in dem Vorſtand dieſer
[Spaltenumbruch] Freien dramatiſchen Vereinigung iſt und dann be-
ſuchen Sie einen dieſer Herren und fragen nach,
zu welchem Zweck die von dem Friſeur Wedel
gelieferten Sachen gebraucht ſind oder noch gebraucht
werden, und bitten auch den Herrn um das neueſte
Mitgliederverzeichnis. Natürlich erwähnen Sie von
einer blonden Perrücke und dem blonden Vollbart
nichts, — verſtanden? — Ebenſo verpflichten Sie
auch die Herren zum tiefſten Stillſchweigen. Das
iſt ſehr wichtig. Sie können ſich ja ruhig als
Beamter ausweiſen.“

„Gut — haben der Herr Doktor ſonſt noch
Befehle? Ich werde alles beſorgen, wie der Herr
Doktor es wünſchen.“

„Sie können dann gehen, Müller — und
morgen vormitrag erwarte ich Nachricht von Ihnen
— ich bin hier zu treffen.“

Kaum war der Beamte gegangen, als Wer-
res im Sturmſchritt ſeine Promenade wieder auf-
nahm. „Wenn er in dem Verein Mitglied wäre
— wenn“ — murmelte er erregt. Nach ſeiner
Weile ſetzte er ſich dann an ſeinen Tiſch und trug
in ſeine Aufzeichnungen wieder verſchiedene Be-
merkungen ein. —

11. Kapitel.

Es klopfte. Werres legte ungeduldig die
Feder hin und rief „Herein!“

Es war der Sanitätsrat Dr. Friedrichs, der
Bruder des ermordeten Bankiers.

Werres erhob ſich und ging dem Ankommenden
entgegen. Er hatte den Herrn bereits gelegentlich


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Die heute aus Wien vorliegenden Nachrichten zeigen den hohen Ernſt der politiſchen Lage; ſie vermehren die Gewitterſchwüle und verſtärken die elektriſche Spannung der politiſchen Atmo- ſphäre. Wenn Conrad von Hötzendorf, der Bevorzugte des Thronfolgers, unter den jetzigen Umſtänden und Verhältniſſen aus dem Rahmen des Armeeinſpektorates wieder heraustritt und zum Chef des Generalſtabes ernannt wird, derſelbe Mann, der einſt dem Frieden mit Italien weichen mußte, dieſer General, deſſen Rolle in einem Kriege der Monarchie ſchon die Spatzen von den Dächern pfeifen, dann fühlt es die ganze Öffentlichkeit des In- und Auslandes inſtinktiv, daß Großes und Bedeutungsſchweres heranzieht. 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Geſtern konnte man irgendwo leſen: „Kraftloſigkeit, Alarm, Ermannung, — Ein pythiſcher Orakelſpruch. — Erregung, Höhepunkt, Entſpannung, — Doch fort und fort der Brandgeruch!“ Dieſer Brandgeruch will nicht verſchwinden und nirgends erblickt das Auge einen Staatsmann, der mit der Kraft eines Fürſten Bismarck durch ein einziges Wort die Schwarmgeiſter Europas beruhigte. Wir alle aber ſtehen trotz Parlament der Entwicklung der Dinge einflußlos gegenüber; ein nebeliger Morgen wird uns das Ende dieſes Zuſtandes bringen, der unerträglich geworden iſt! N. J. Die ſerbiſche Hetze in Südungarn. Aus Südungarn wird geſchrieben: Trotz amtlicher Dementi iſt es unleugbar und wird durch die täglichen Vorfälle bewieſen, daß ſich das ſüdungariſche Serbentum in einer geradezu revo- lutionären Bewegung befindet und man täte in Regierungskreiſen beſſer, dies offen zuzugeben, um die in Südungarn lebenden, wirtſchaftlich und kulturell ebenfalls ſehr gutgeſtellten nichtſerbiſchen Völkerſchaften (Madjaren, Schwaben und Rumänen), die ſich über die illoyale Haltung der Serben mit Recht in hochgradiger Erbitterung befinden, nicht vor die Gefahr plötzlicher und unliebſamer Er- eigniſſe zu ſtellen. Wie weit die Aufreizung unter den Serben fortgeſchritten iſt, darüber mögen nun folgende Tatſachen ein entſprechendes Bild bieten: Die ſerbiſch-orthodoxe Geiſtlichkeit iſt die Hauptträgerin des monarchiefeindlichen großſerbiſchen Gedankens und die macht hieraus kein Hehl. Im Kaffeehauſe des Hotels Kontilovic in Pancſova äußerte ſich der ſerbiſche Geiſtliche Obzor Davidovic zu ſämtlichen Gäſten im Rahmen einer ſchweren Majeſtätsbeleidigung und ſchmähenden Reden gegen die Monarchie folgendermaßen: „Bald werden die Serben einmarſchieren und die Schwaben und Madjaren genau ſo ausrotten, wie die Albaner bei Prizrend.“ Wegen dieſer Äußerung wurde der pflichtvergeſſene Geiſtliche verhaftet und wegen Hochverrates in Unterſuchungshaft geſetzt. In Neuſatz verhaftete die Polizei die dortigen wohlhabenden Landwirte Ivan Breikovic und Sawa Spaijlovic unter der Beſchuldigung der Ausſpähung und des Hochverrates und lieferte ſie der Staatsanwaltſchaft in Szegedin ein. In Mokrin wurden Plakate aufrühreriſchen Inhaltes in cyrilliſchen Lettern, mit dem ſerbiſchen Staatswappen verſehen, affichiert und die Bevölkerung zur Gehorſams Sein erſter Erfolg. Kriminal-Roman von Walter Kabel. 11 Nachdruck verboten. Für jeden anderen blieben dieſe Aufzeichnungen, die von Werres Hand ſtammten, völlig unleſerlich, da der vorſichtige Doktor ſich ſeine eigene Zeichen- ſchrift erdacht hatte, und wichtige Notizen nur in dieſer niederſchrieb. Die Blätter enthielten die bis- herigen Erfolge der Nachforſchungen in der Fried- richs’ſchen Mordſache. Da gab es ſcheinbar ver- ſchtedene Unterabteilungen und Einſchachtelungen. Das Ganze ſah aus, wie eine genaue Dispoſition über ein Aufſatzthema. Werres las und verglich, ſchaute öfters nach- denklich zum Fenſter hinaus und ſchrieb bisweilen, als ſei ihm ein neuer Gedanke gekommen, in die noch offenen Stellen einige Zeichen hinein. So arbeitete er eine ganze Weile, bis er ſchließlich den Stuhl zurückſchob und aufſtand. Die Hände in die Taſchen vergrabend, ging er in dem kleinen Zimmer auf und ab. Seine Gedanken verdichteten ſich ſchließlich zu Worten. Er hielt leiſe Zwiegeſpräche mit ſich, erſt nur wenige Worte, dann ganze Sätze, die er vor ſich hinmurmelte. Bald verlangſamte er den Schritt, bald ging er haſtiger auf und ab. „Er muß es ſein, — er kann es nur ſein.“ — Dann krauſte er finſter die Stirn und die Hände in den Taſchen ballten ſich unwillkürlich zur Fauſt. — Auf dem Vorplatz ließen ſich laute Schritte ver- nehmen. Die Türe öffnete ſich und der Kriminal- ſchutzmann Müller trat ein. „Guten Morgen, Herr Doktor!“ „Guten Morgen, bringen Sie was Neues?“ „Ja und nein, Herr Doktor. Die Liſte mit den Nummern der geraubten Banknoten habe ich von dem Herrn Kommiſſar Richter bekommen, hier iſt ſie.“ Er reichte Werres ein großes, mit hektogra- phierten Zahlen bedrucktes Papier. „Und haben Sie die Friſeure beſucht, die ich Ihnen angab?“ „Jawohl, Herr Doktor. Eine blonde Perrücke und ein blonder Vollbart ſind nebſt anderen Theater- ſachen vor ungefähr vierzehn Tagen von dem Friſeur Wedel in der Kirchenſtraße an die hieſige Freie dramatiſche Vereinigung zu einer Aufführung ge- liefert worden. 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Natürlich erwähnen Sie von einer blonden Perrücke und dem blonden Vollbart nichts, — verſtanden? — Ebenſo verpflichten Sie auch die Herren zum tiefſten Stillſchweigen. Das iſt ſehr wichtig. Sie können ſich ja ruhig als Beamter ausweiſen.“ „Gut — haben der Herr Doktor ſonſt noch Befehle? Ich werde alles beſorgen, wie der Herr Doktor es wünſchen.“ „Sie können dann gehen, Müller — und morgen vormitrag erwarte ich Nachricht von Ihnen — ich bin hier zu treffen.“ Kaum war der Beamte gegangen, als Wer- res im Sturmſchritt ſeine Promenade wieder auf- nahm. „Wenn er in dem Verein Mitglied wäre — wenn“ — murmelte er erregt. Nach ſeiner Weile ſetzte er ſich dann an ſeinen Tiſch und trug in ſeine Aufzeichnungen wieder verſchiedene Be- merkungen ein. — 11. Kapitel. Es klopfte. Werres legte ungeduldig die Feder hin und rief „Herein!“ Es war der Sanitätsrat Dr. Friedrichs, der Bruder des ermordeten Bankiers. Werres erhob ſich und ging dem Ankommenden entgegen. Er hatte den Herrn bereits gelegentlich

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 148, Marburg, 10.12.1912, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger148_1912/1>, abgerufen am 23.11.2024.