Marburger Zeitung. Nr. 138, Marburg, 18.11.1902.Marburger Zeitung. [Spaltenumbruch] Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Mit Postversendung: Das Abonnement dauert bis zur schriftlichen Abbestellung. [Spaltenumbruch] Erscheint jeden Dienstag, Donnerstag und Sprechstunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von Die Verwaltung befindet sich: Postgasse 4. (Telephon-Nr. 24.) [Spaltenumbruch] Einschaltungen werden im Verlage des Blattes und von Die Einzelnummer kostet 10 h. Nr. 138 Dienstag, 18. November 1902 41. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Ein Gespenst. Allerseelen ist vorüber, die lange Totenreihe, Unter recht netten Auspizien wird uns die Noch spüren wir in allen Gliedern die Wunden, [Spaltenumbruch] (Nachdruck verboten.) Eine Lüge. 19. Fortsetzung. "Ich muß einen Zweck, ein bestimmtes Ziel "Oho!" schrie Anna und sah sie erschrocken "Das bin ich nicht mehr, Mutter. Und dann, "Natürlich, mein Kind, Du hast ganz recht, "Wie unendlich gut Du mir bist", rief "Ach schweige, wenn es Dich schmerzt." "Aber einmal mußt Du es doch hören, "Herr Jesus!" schrie Anna aufspringend. Eilftes Kapitel Im Klosterschlößchen wurden Türen und Läden "Mutter", hatte während der Reise Alice ge- Anna schwieg, sie wollte ihr nicht wider- [Spaltenumbruch] Professor Admil saß in seinem Gemache vor "Sie sagten mir einmal", fing sie schüchtern "Oho!" rief er, "ich lüge in solchen Dingen "Dieses Bedenken habe ich nicht", erwiderte "Mit tausend Freuden", rief entzückt Admil, Marburger Zeitung. [Spaltenumbruch] Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg: Mit Poſtverſendung: Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung. [Spaltenumbruch] Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von Die Verwaltung befindet ſich: Poſtgaſſe 4. (Telephon-Nr. 24.) [Spaltenumbruch] Einſchaltungen werden im Verlage des Blattes und von Die Einzelnummer koſtet 10 h. Nr. 138 Dienstag, 18. November 1902 41. Jahrgang. [Spaltenumbruch] Ein Geſpenſt. Allerſeelen iſt vorüber, die lange Totenreihe, Unter recht netten Auſpizien wird uns die Noch ſpüren wir in allen Gliedern die Wunden, [Spaltenumbruch] (Nachdruck verboten.) Eine Lüge. 19. Fortſetzung. „Ich muß einen Zweck, ein beſtimmtes Ziel „Oho!“ ſchrie Anna und ſah ſie erſchrocken „Das bin ich nicht mehr, Mutter. Und dann, „Natürlich, mein Kind, Du haſt ganz recht, „Wie unendlich gut Du mir biſt“, rief „Ach ſchweige, wenn es Dich ſchmerzt.“ „Aber einmal mußt Du es doch hören, „Herr Jeſus!“ ſchrie Anna aufſpringend. Eilftes Kapitel Im Kloſterſchlößchen wurden Türen und Läden „Mutter“, hatte während der Reiſe Alice ge- Anna ſchwieg, ſie wollte ihr nicht wider- [Spaltenumbruch] Profeſſor Admil ſaß in ſeinem Gemache vor „Sie ſagten mir einmal“, fing ſie ſchüchtern „Oho!“ rief er, „ich lüge in ſolchen Dingen „Dieſes Bedenken habe ich nicht“, erwiderte „Mit tauſend Freuden“, rief entzückt Admil, <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <titlePage xml:id="title1" type="heading" next="#title2"> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Marburger Zeitung.</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p>Der Preis des Blattes beträgt: Für Marburg:<lb/> Ganzjährig 12 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 6 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K,</hi> monat-<lb/> lich 1 <hi rendition="#aq">K.</hi> Bei Zuſtellung ins Haus monatlich 20 <hi rendition="#aq">h</hi> mehr.</p><lb/> <p>Mit Poſtverſendung:<lb/> Ganzjährig 14 <hi rendition="#aq">K,</hi> halbjährig 7 <hi rendition="#aq">K,</hi> vierteljährig 3 <hi rendition="#aq">K 50 h.</hi> </p><lb/> <p>Das Abonnement dauert bis zur ſchriftlichen Abbeſtellung.</p><lb/> <cb/> <p> <hi rendition="#b">Erſcheint jeden Dienstag, Donnerstag und<lb/> Samstag abends.</hi> </p><lb/> <p>Sprechſtunden des Schriftleiters an allen Wochentagen von<lb/> 11—12 Uhr vorm. und von 5—6 Uhr nachm. 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W.“, ein Organ der Deutſchen<lb/> Volkspartei, ein, indem ſie ſchrieb: „Eine Koali-<lb/> litionsregierung kann überhaupt nicht die Formel<lb/> ſein, nach welcher unſer Staat zweckmäßig und<lb/><hi rendition="#g">vernünftig</hi> regiert werden könnte.“ Umſo mehr<lb/> mußte uns nach dieſer ganz richtigen Auslaſſung der<lb/> einige Zeilen weiter unten befindliche Satz befremden,</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <div xml:id="lüge1" next="#lüge2" type="jArticle" n="2"> <head>(Nachdruck verboten.)<lb/><hi rendition="#b">Eine Lüge.</hi> </head><lb/> <byline> <hi rendition="#g">Original-Roman von <hi rendition="#aq">La Rosée.</hi> </hi> </byline><lb/> <head> <ref>19. Fortſetzung.</ref> </head><lb/> <p>„Ich muß einen Zweck, ein beſtimmtes Ziel<lb/> haben. Soll ich nicht zugrunde gehen, muß ich ar-<lb/> beiten. Du ſagteſt vorhin, Dr. Sonnenried wünſche,<lb/> wir ſollen in eine Stadt ziehen. Gehen wir nach<lb/> München, ich werde Profeſſor Admil bitten, daß<lb/> er mich für die Bühne ausbilde.“</p><lb/> <p>„Oho!“ ſchrie Anna und ſah ſie erſchrocken<lb/> an. Du! Du wollteſt zur Bühne!? Hören meine<lb/> Ohren recht? Du, das ſchüchterne zaghafte Kind?“</p><lb/> <p>„Das bin ich nicht mehr, Mutter. Und dann,<lb/> wenn Profeſſor Admil glaubt, ich ſei nicht be-<lb/> fähigt, dann war es eben nur ein Verſuch, der<lb/> mich von meinem Schmerz abzog, und das wäre<lb/> bei allem doch die größte Wohltat.“</p><lb/> <p>„Natürlich, mein Kind, Du haſt ganz recht,<lb/> ich war nur im erſten Moment frappiert, alles,<lb/> was Du wünſcheſt, ſoll geſchehen. Deine Stimme<lb/> iſt die ſchönſte, die man je hören kann, ich dachte<lb/> nur, Deine Befangenheit würde Dir hinderlich ſein.“</p><lb/> <p>„Wie unendlich gut Du mir biſt“, rief<lb/> Alice und küßte der alten Dame gerührt die Hand,<lb/> „und noch immer haſt Du in Deiner zarten<lb/> Schonung für mich nicht nach der Urſache meiner<lb/> Qual gefragt.“</p><lb/> <p>„Ach ſchweige, wenn es Dich ſchmerzt.“</p><lb/> <p>„Aber einmal mußt Du es doch hören,<lb/><cb/> außer Dir aber darf es niemand wiſſen. — Meine<lb/> Mutter — die Geliebte des Grafen Windſee.“</p><lb/> <p>„Herr Jeſus!“ ſchrie Anna aufſpringend.<lb/> „Ach, jetzt begreife ich jetzt! Das war es. — Wie<lb/> ſchwer müſſen doch die Kinder die Sünden der<lb/> Eltern büßen! O, daß ein ſolches Weh Dich<lb/> treffen mußte! Ja, jetzt entſinne ich mich, als Du<lb/> nach Hermannsgrün fuhrſt, erzählte mir die Ma-<lb/> jorin von dem alten Grafen, er ſei ein ſchöner<lb/> ritterlicher Kavalier, ein Edelmann vom Scheitel<lb/> bis zur Sohle. In ſeiner Jugend habe er ein Ver-<lb/> hältnis mit einer Sängerin gehabt, die ihm durch-<lb/> gegangen wäre. Kurz darauf heiratete er die Fürſtin<lb/> Rothenfels, mit der er ſehr glücklich geweſen. O,<lb/> Du mein armes, ſchuldloſes Opferlamm, nie wäre<lb/> mir ſo etwas im Traum eingefallen.“</p><lb/> <p> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#g">Eilftes Kapitel</hi> </hi> </p><lb/> <p>Im Kloſterſchlößchen wurden Türen und Läden<lb/> verſchloſſen. Mit dem Nachtzug fuhren die Damen<lb/> nach München, wo ſie in einer der Vorſtädte eine<lb/> kleine, beſcheidene Wohnung bezogen.</p><lb/> <p>„Mutter“, hatte während der Reiſe Alice ge-<lb/> ſagt, „nicht nur der Kummer allein zwingt mich<lb/> zu einem Berufe, den ich früher nie gewählt hätte,<lb/> ſondern noch ein anderer ſehr triftiger Grund. Ich<lb/> möchte Geld erwerben. um die Summe, die der<lb/> Graf für das ausgeſtoßene Kind bezahlte, zurück<lb/> zu erſtatten.“</p><lb/> <p>Anna ſchwieg, ſie wollte ihr nicht wider-<lb/> ſprechen, aber ſie war der Anſicht, daß dem Liebling<lb/> dieſer Wunſch wohl nie erfüllt werde, denn die<lb/> Summe war eine zu hohe.</p><lb/> <cb/> <p>Profeſſor Admil ſaß in ſeinem Gemache vor<lb/> dem Klavier, als an ſeiner Tür leiſe gepocht wurde<lb/> und Alice in das Zimmer trat. „Wie ſehe ich<lb/> recht, meine Nachtigall?“ rief er, freudig aufſpringend<lb/> und zog ſie mit beiden Händen ins Gemach. „Aber<lb/> ſo blaß, ſo hager, und nun gar noch Tränen, was<lb/> iſt Ihnen geſchehen? Kommen Sie, ſetzen Sie ſich,<lb/> was iſt’s?“</p><lb/> <p>„Sie ſagten mir einmal“, fing ſie ſchüchtern<lb/> an, „daß ich eine gute Stimme beſitze, für die<lb/> es ewig ſchade wäre, daß man ſie nur nicht hört.<lb/> Haben Sie das etwa nur geſagt, weil Sie mir<lb/> ſchmeicheln wollten?“</p><lb/> <p>„Oho!“ rief er, „ich lüge in ſolchen Dingen<lb/> nicht. Ich habe nicht nötig, zu ſchmeicheln, ich<lb/> gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich die Wahrheit<lb/> ſagte, und ich würde es als ein ſeltenes Glück be-<lb/> trachten, wollten ſie ſich mir anvertrauen. Ich<lb/> verſpreche Ihnen, daß Sie bis in einem Jahre<lb/> die Welt bezaubern. Ich habe nur ein Bedenken,<lb/> Sie kommen mir zu ſchüchtern vor. Und dann<lb/> weiß ich nicht, ob ſie Talent zum Spiele haben,<lb/> denn es wäre ewig ſchade um dieſe herrliche Stimme,<lb/> wenn Sie nicht in gehöriger Faſſung wäre, wenn<lb/> Ihre Bewegungen nicht mit ihr harmonierten. Das<lb/> ſoll eins ſein, verſtehen Sie, wie aus einem Guß;<lb/> kurz, ich meine, Sie ſollen eine vollendete Künſt-<lb/> lerin werden.“</p><lb/> <p>„Dieſes Bedenken habe ich nicht“, erwiderte<lb/> ſie, „machen wir wenigſtens einmal einen Verſuch,<lb/> wollen Sie?“</p><lb/> <p>„Mit tauſend Freuden“, rief entzückt Admil,<lb/> „ich garantiere Ihnen ein einen Weltruf, Reichtümer</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
Marburger Zeitung.
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Wiederholung bedeutender Nachlaß. — Schluß für Ein-
ſchaltungen Dienstag, Donnerstag und Samstag mittags
Die Einzelnummer koſtet 10 h.
Nr. 138 Dienstag, 18. November 1902 41. Jahrgang.
Ein Geſpenſt.
Allerſeelen iſt vorüber, die lange Totenreihe,
die vor unſeren Augen trat, legte ſich wiederum
zur Ruhe. Aber eines der Geſpenſter will zurück-
bleiben, will wieder Fleiſch und Blut annehmen,
unter uns wandeln als knochenloſe Moluske. Es
iſt dies die Koalition, die unter den Fußtritten
des jungen Deutſchöſterreich verendete. Nun wittert
ſie wieder Auferſtehungsluft und über die Brücke
der Vergeſſenheit, angetan mit dem Schandfetzen
des Kosmopolitismus, will ſie wieder ins brau-
ſende, kämpfende Leben unſeres Volkes treten, die
Sünden der Vergangenheit in der Gegenwart
wiederholen. Wo tauchte zum erſtenmale das
Schreckgeſpenſt der Koalition wieder auf? Wer war
der neunmal Weiſe, der ihren Sarg ſprengte?
„Seinen Namen nennt kein Heldenbuch, kein Geſang.“
Keiner will ſich zur Untat bekennen. Da ſagen die
einen: Die „Neue Freie Preſſe“ ſei der Toten-
erwecker, die anderen ſagen, Koerber ſei es geweſen.
Beſtimmtes aber weiß man über den Leichenſchänder
nicht. Plötzlich tauchten die Umriſſe der Koalition
aus den moderigen Grüften der Vergangenheit auf
und ſchon ſchneidern ihr die Blätter den Anzug der
Parteien zu, ſchon gibt es ein Drängen und ein
„Geriß“ um die wiedererwachte Vettel. Aus
Deutſchen, Polaken und Tſchechen — ganz nach
dem Vorbilde der „Seligen“ — ſoll die neue
parlamentariſche Koalition zuſammengeſtoppelt
werden, ein neues Miniſterium mit dem alten
v. Koerber an der Spitze ſoll das gelungene Werk
dann krönen. Michl, merkſt Du etwas? Ein neues,
parlamentariſches Miniſterium, gebildet aus natür-
lich „hervorragenden“ Parlamentariern! Ein vor-
witziges Wiener jüdiſches Montagsblatt nannte
geſtern bereits Namen .... Alles begreifen heißt
alles verzeihen ...
Unter recht netten Auſpizien wird uns die
erneuerte Koalition angekündigt. Wäre die Sache
nicht ſo verteufelt ernſt, man müßte eine grimme
Lache aufſchlagen über den Wahnſinn, der ſich klug
geberdet, über die Weisheit, welche überſchnappt!
Den Tſchechen, die, wie ohnehin überall verſichert
wird, ſehnlich nach einem Auswege aus der parla-
mentariſchen Sackgaſſe, in welche ſie ſich verrannt
haben, Ausſchau halten und die daher mit Freuden
für einige Zeit den Koalitionsweg betreten
würden, der ihnen wie damals ſo auch heute, auch
ſonſtige Vorteile bietet, denen will man von ge-
wiſſer „auchdeutſcher“ Seite anläßlich ihres Ein-
trittes in die Koalition ein neues Rieſengeſchenk
machen — die innere tſchechiſche Amts-
ſprache! Man will aus dem Leibe des Staates
und der Deutſchen die Pfunde ſchneiden, mit denen
der doppeltgeſchwänzte tſchechiſche Löwe aufs neue
gemäſtet werden ſoll, Pfunde, deren Opferung den
Anfang vom Ende des einheitlichen Oeſterreich und
einen furchtbaren Fauſtſchlag für die volkstreuen
Deutſchen im Deutſchböhmerlande bedeuten würde.
Aber die Neunmalweiſen des Fortſchrittes und alle
die, die ſich um Dr. v. Koerber gruppieren, haben
für uns Deutſche auch eine „Schadloshaltung“ —
Kompenſation heißt es in der politiſchen Zünftler-
ſprache — herausgetiftelt und dieſe Schadloshaltung
nennt ſich: Kreiseinteilung in Böhmen. Alle guten
Geiſter loben ihren Meiſter — da taucht alſo noch
ein zweites Totengeripp neben dem erſten auf!
Dieſer Plan, wahrhaftig, er iſt Fleiſch vom Fleiſche
der Prade, Eppinger und Bachmann, Blut von
ihrem Blute und Geiſt von ihrem „Geiſte.“ Und
dieſes, vom deutſchböhmiſchen Volke dreimal ver-
maledeite Totenmahl will man uns wieder auf-
tiſchen?!
Noch ſpüren wir in allen Gliedern die Wunden,
welche uns die erſte Koalitionszeit ſchlug und ſchon
will man wieder das frevle Spiel erneuern!
Es würden dieſelben Trümpfe, wie damals
ſo auch heute wieder von den gierigen Tſchechen
ausgeſpielt werden und auch der alte Einſatz bleibt:
die nationale Wohlfahrt des deutſchen Volkes!
Wiederum würde ſich die alte Koalitionsluft lähmend
auf die Tatkraft der Deutſchen legen, ſie allein
ſind es ja, welche in Geſellſchaft mit den ihnen
koalierten Gegnern ſtets die Rolle eines Nachgiebi-
gen, des Staatsmänniſchen ſpielen, um nur ja
nicht in den Geruch des Koalitionsbruches zu
kommen. Das iſt eine alte Geſchichte und den-
noch bleibt ſie ewig neu und daran ändern
auch die ſchönſten Verſprechungen, die vor
dem Zuſtandekommen der Koalition
gegeben werden, nicht das Geringſte. Zum Kuckuck,
warum haben wir denn bereits eine bittere Lehr-
und Leidenszeit durchgemacht, wenn wir das Er-
lernte und Geſehene nicht beherzigen?! Das ſah
auch die Cillier „D. W.“, ein Organ der Deutſchen
Volkspartei, ein, indem ſie ſchrieb: „Eine Koali-
litionsregierung kann überhaupt nicht die Formel
ſein, nach welcher unſer Staat zweckmäßig und
vernünftig regiert werden könnte.“ Umſo mehr
mußte uns nach dieſer ganz richtigen Auslaſſung der
einige Zeilen weiter unten befindliche Satz befremden,
(Nachdruck verboten.)
Eine Lüge.
Original-Roman von La Rosée.
19. Fortſetzung.
„Ich muß einen Zweck, ein beſtimmtes Ziel
haben. Soll ich nicht zugrunde gehen, muß ich ar-
beiten. Du ſagteſt vorhin, Dr. Sonnenried wünſche,
wir ſollen in eine Stadt ziehen. Gehen wir nach
München, ich werde Profeſſor Admil bitten, daß
er mich für die Bühne ausbilde.“
„Oho!“ ſchrie Anna und ſah ſie erſchrocken
an. Du! Du wollteſt zur Bühne!? Hören meine
Ohren recht? Du, das ſchüchterne zaghafte Kind?“
„Das bin ich nicht mehr, Mutter. Und dann,
wenn Profeſſor Admil glaubt, ich ſei nicht be-
fähigt, dann war es eben nur ein Verſuch, der
mich von meinem Schmerz abzog, und das wäre
bei allem doch die größte Wohltat.“
„Natürlich, mein Kind, Du haſt ganz recht,
ich war nur im erſten Moment frappiert, alles,
was Du wünſcheſt, ſoll geſchehen. Deine Stimme
iſt die ſchönſte, die man je hören kann, ich dachte
nur, Deine Befangenheit würde Dir hinderlich ſein.“
„Wie unendlich gut Du mir biſt“, rief
Alice und küßte der alten Dame gerührt die Hand,
„und noch immer haſt Du in Deiner zarten
Schonung für mich nicht nach der Urſache meiner
Qual gefragt.“
„Ach ſchweige, wenn es Dich ſchmerzt.“
„Aber einmal mußt Du es doch hören,
außer Dir aber darf es niemand wiſſen. — Meine
Mutter — die Geliebte des Grafen Windſee.“
„Herr Jeſus!“ ſchrie Anna aufſpringend.
„Ach, jetzt begreife ich jetzt! Das war es. — Wie
ſchwer müſſen doch die Kinder die Sünden der
Eltern büßen! O, daß ein ſolches Weh Dich
treffen mußte! Ja, jetzt entſinne ich mich, als Du
nach Hermannsgrün fuhrſt, erzählte mir die Ma-
jorin von dem alten Grafen, er ſei ein ſchöner
ritterlicher Kavalier, ein Edelmann vom Scheitel
bis zur Sohle. In ſeiner Jugend habe er ein Ver-
hältnis mit einer Sängerin gehabt, die ihm durch-
gegangen wäre. Kurz darauf heiratete er die Fürſtin
Rothenfels, mit der er ſehr glücklich geweſen. O,
Du mein armes, ſchuldloſes Opferlamm, nie wäre
mir ſo etwas im Traum eingefallen.“
Eilftes Kapitel
Im Kloſterſchlößchen wurden Türen und Läden
verſchloſſen. Mit dem Nachtzug fuhren die Damen
nach München, wo ſie in einer der Vorſtädte eine
kleine, beſcheidene Wohnung bezogen.
„Mutter“, hatte während der Reiſe Alice ge-
ſagt, „nicht nur der Kummer allein zwingt mich
zu einem Berufe, den ich früher nie gewählt hätte,
ſondern noch ein anderer ſehr triftiger Grund. Ich
möchte Geld erwerben. um die Summe, die der
Graf für das ausgeſtoßene Kind bezahlte, zurück
zu erſtatten.“
Anna ſchwieg, ſie wollte ihr nicht wider-
ſprechen, aber ſie war der Anſicht, daß dem Liebling
dieſer Wunſch wohl nie erfüllt werde, denn die
Summe war eine zu hohe.
Profeſſor Admil ſaß in ſeinem Gemache vor
dem Klavier, als an ſeiner Tür leiſe gepocht wurde
und Alice in das Zimmer trat. „Wie ſehe ich
recht, meine Nachtigall?“ rief er, freudig aufſpringend
und zog ſie mit beiden Händen ins Gemach. „Aber
ſo blaß, ſo hager, und nun gar noch Tränen, was
iſt Ihnen geſchehen? Kommen Sie, ſetzen Sie ſich,
was iſt’s?“
„Sie ſagten mir einmal“, fing ſie ſchüchtern
an, „daß ich eine gute Stimme beſitze, für die
es ewig ſchade wäre, daß man ſie nur nicht hört.
Haben Sie das etwa nur geſagt, weil Sie mir
ſchmeicheln wollten?“
„Oho!“ rief er, „ich lüge in ſolchen Dingen
nicht. Ich habe nicht nötig, zu ſchmeicheln, ich
gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich die Wahrheit
ſagte, und ich würde es als ein ſeltenes Glück be-
trachten, wollten ſie ſich mir anvertrauen. Ich
verſpreche Ihnen, daß Sie bis in einem Jahre
die Welt bezaubern. Ich habe nur ein Bedenken,
Sie kommen mir zu ſchüchtern vor. Und dann
weiß ich nicht, ob ſie Talent zum Spiele haben,
denn es wäre ewig ſchade um dieſe herrliche Stimme,
wenn Sie nicht in gehöriger Faſſung wäre, wenn
Ihre Bewegungen nicht mit ihr harmonierten. Das
ſoll eins ſein, verſtehen Sie, wie aus einem Guß;
kurz, ich meine, Sie ſollen eine vollendete Künſt-
lerin werden.“
„Dieſes Bedenken habe ich nicht“, erwiderte
ſie, „machen wir wenigſtens einmal einen Verſuch,
wollen Sie?“
„Mit tauſend Freuden“, rief entzückt Admil,
„ich garantiere Ihnen ein einen Weltruf, Reichtümer
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(2018-01-26T13:38:42Z)
grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
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Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung.
(2018-01-26T13:38:42Z)
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