Marburger Zeitung. Nr. 123, Marburg, 14.10.1909.Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909 [Spaltenumbruch] Politische Umschau. Aus der steirischen Landstube. Auslieferung des Abg. Kukovetz. Über eine Anzahl von Verhandlungsgegenständen Ein kraftvoller deutscher Stamm. Über die Entwicklung der ungarländischen Eigenberichte. Arnfels, 11. Oktober. (Kaffee- und Gasthauseröffnung.) Das früher im Besitze Hrastnigg, 13. Oktober. (Steinwürfe ge- gen die deutsche Schule.) Heute um dreiviertel Pettauer Nachrichten. Theaternachricht. "Renaissance". Das Fahrraddiebstahl. Am 11. Oktober in der [Spaltenumbruch] den Brief seines Lieblings beiseite, um erst das Oberförster a. D. Winkelmann. Früher in kgl. "Fort damit!" brummte der alte Herr. "Mag Dann der zweite Brief: Forstreferendar Glück- Und nun das dritte. Nach kurzer formeller "Hm, das ist interessant", murmelte der Graf Das geschah denn auch sehr kurz und bündig. Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen Der Diener meldete, daß die Förster zur Stelle "Ihr wart gestern Abend in der Waldschenke?" Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909 [Spaltenumbruch] Politiſche Umſchau. Aus der ſteiriſchen Landſtube. Auslieferung des Abg. Kukovetz. Über eine Anzahl von Verhandlungsgegenſtänden Ein kraftvoller deutſcher Stamm. Über die Entwicklung der ungarländiſchen Eigenberichte. Arnfels, 11. Oktober. (Kaffee- und Gaſthauseröffnung.) Das früher im Beſitze Hraſtnigg, 13. Oktober. (Steinwürfe ge- gen die deutſche Schule.) Heute um dreiviertel Pettauer Nachrichten. Theaternachricht. „Renaiſſance“. Das Fahrraddiebſtahl. Am 11. Oktober in der [Spaltenumbruch] den Brief ſeines Lieblings beiſeite, um erſt das Oberförſter a. D. Winkelmann. Früher in kgl. „Fort damit!“ brummte der alte Herr. „Mag Dann der zweite Brief: Forſtreferendar Glück- Und nun das dritte. Nach kurzer formeller „Hm, das iſt intereſſant“, murmelte der Graf Das geſchah denn auch ſehr kurz und bündig. Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen Der Diener meldete, daß die Förſter zur Stelle „Ihr wart geſtern Abend in der Waldſchenke?“ <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0002" n="2"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909</hi> </fw><lb/> <cb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Politiſche Umſchau.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Aus der ſteiriſchen Landſtube.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Auslieferung des Abg. 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Früher in kgl.<lb/> preußiſchen Dienſten, wegen Differenzen mit den<lb/> Behörden vorzeitig penſioniert.</p><lb/> <p>„Fort damit!“ brummte der alte Herr. „Mag<lb/> keinen Menſchen in meinem Revier haben, der für<lb/> andere nicht mehr brauchbar.“</p><lb/> <p>Dann der zweite Brief: Forſtreferendar Glück-<lb/> mann, Württemberger, ſucht Stellung als Privat-<lb/> oberförſter, da ſein Aſſeſſorexamen dreimal nicht<lb/> beſtanden — „Weg damit, Dummköpfe und Lüderjane<lb/> habe ich ohnehin genug.“ Damit flog das ſehr ſchön<lb/> und ſtiliſtiſch großartig verfaßte zweite Schriftſtück<lb/> auch erbarmungslos in den gräflichen Papierkorb.</p><lb/> <p>Und nun das dritte. Nach kurzer formeller<lb/> Einleitung hieß es darin: „Ich bin Schleswig-<lb/> holſteiner, ſtand in däniſchen Dienſten als Forſt-<lb/> referendar und durfte auf gute Karriere mit einiger<lb/> Beſtimmtheit rechnen. Als dann vor vier Jahren<lb/> der Freiheitskrieg ausbrach, der leider ſo erfolglos<lb/> enden ſollte, da hielt ich es für Ehren- und Ge-<lb/> wiſſensſache, auch Soldat zu werden, um für Recht<lb/> und Freiheit meines bedrängten Vaterlandes zu kämpfen.<lb/> Ich machte die Kriegsjahre von 48 bis 50 als<lb/> Jägerleutnant mit und wurde nach dem unglücklichen<lb/> Friedensſchluß als Rebell aus dem Staatsdienſt<lb/> entlaſſen. Als Offizier weiter zu dienen in anderen<lb/> deutſchen Landen, war mir, da ich ohne Mittel bin,<lb/> nicht möglich. Und ſo ſuche ich denn ſeit Jahresfriſt<lb/> nach einer Stellung, die mich ernähren kann und<lb/><cb/> mir Gelegenheit bietet, für drei noch unerwachſene<lb/> Geſchwiſter mitſorgen zu helfen. Sollte die ausge-<lb/> ſchriebene Stelle eine ſolche ſein, ſo bitte ich, falls<lb/> man nicht andere bevorzugt, umgehend um Beſcheid.</p><lb/> <p>„Hm, das iſt intereſſant“, murmelte der Graf<lb/> vor ſich hin. „Der dürfte ein Mann nach meinem<lb/> Geſchmack ſein: Kurz, geradeaus — und ein<lb/> Freiheitskämpfer für die gute Sache. Schreiben wir<lb/> ihm zu.“</p><lb/> <p>Das geſchah denn auch ſehr kurz und bündig.</p><lb/> <p>Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten<lb/> Damenhandſchrift an die Reihe: „Liebes, gutes,<lb/> beſtes Papachen! Nach dir und der goldenen Freiheit<lb/> habe ich eine ſolche Sehnſucht, daß der Herr Leibarzt<lb/> ſchon Bleichſucht bei mir befürchtet. Wie es bei Hofe<lb/> zugeht und was die Reſidenz alles zu bieten vermag,<lb/> weiß ich jetzt ganz genau. Ich glaube aber, daß ich<lb/> für dieſes Leben nicht ſo recht geſchaffen bin.<lb/> Durchlaucht, unſer gütiger, edler Landesherr, tun<lb/> mir zwar viel Ehre an, auch laſſen es die Herren<lb/> Leutnants und andere Würdenträger nicht daran<lb/> fehlen, aber dennoch ſehne ich mich nach meinem<lb/> ſchönen, grünen Wald zurück. — Du, lieber Papa,<lb/> wirſt meine Bitte, jetzt wieder heimkehren zu dürfen,<lb/> gewiß nicht abſchlagen. Annette leidet ſehr an ihren<lb/> Nerven. Sie iſt allezeit mürriſch und unzufrieden,<lb/> trotzdem ihr alter Herr Gemahl ſie auf Händen<lb/> tragen würde, wenn ſeine Kraft nicht ſchon zu ſehr<lb/> verbraucht wäre.“</p><lb/> <p>Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen<lb/> Seufzer ſchob er den Brief beiſeite, ſchlug die Stirn<lb/><cb/> in tiefe Falten und hing trüben Gedanken nach.<lb/> War es denn nicht ſein grenzenloſer Ehrgeiz geweſen,<lb/> der Annette alle Lebensfreude verdorben? Hatte er<lb/> ſeine Tochter nicht geradezu gezwungen, jenes alten<lb/> Mannes Gattin zu werden, weil derſelbe in großen<lb/> Ehren ſtand und viel Geld beſaß? Ja, mochte er<lb/> es drehen und wenden wie er wollte, ſein Gewiſſen<lb/> konnte ihn nun einmal nicht freiſprechen. Daß ſein<lb/> „Wildfang“ ſich in der Reſidenz nicht wohl fühlte,<lb/> paßte ihm ganz und gar nicht. Als er Ilſe vor<lb/> einem halben Jahre dorthin ſchickte, da war er der<lb/> feſten Überzeugung, ſie als Braut eines vornehmen<lb/> Hofbeamten wiederkehren zu ſehen. Ihr Herz konnte<lb/> ſie alſo, wo ſie ſich ſo ſehr nach den heimatlichen<lb/> Fluren ſehnte, noch nicht verloren haben. Aber was<lb/> half es, ihre Bitte mochte er ihr nicht abſchlagen.</p><lb/> <p>Der Diener meldete, daß die Förſter zur Stelle<lb/> wären. Mit vielen Bücklingen nahte zuerſt der<lb/> Revierförſter Otto, ein großer hagerer Mann, mit<lb/> langem fuchsrotem Bart und ein paar Augen, in<lb/> denen ein Menſchenkenner unſchwer Falſchheit und<lb/> Heuchelei geleſen hätte. Der Waldläufer Heyſe folgte<lb/> zaghaft und ſein noch faſt knabenhaftes Geſicht trug<lb/> deutlich die Anzeichen größter Erregung und Furcht.<lb/> Otto wußte bereits oder ahnte es gut genug, um<lb/> was es ſich handelte. Der Diener hatte ihm<lb/> gewiſſe Andeutungen gemacht.</p><lb/> <p>„Ihr wart geſtern Abend in der Waldſchenke?“<lb/> fragte der Graf und ſchaute die beiden Grünröcke<lb/> ſo durchdringend an, daß ſie ihre Blicke ſenkten.<lb/> „Was hattet Ihr da zu tun?“<space dim="horizontal"/> <ref>Fortſ. f.</ref> </p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [2/0002]
Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909
Politiſche Umſchau.
Aus der ſteiriſchen Landſtube.
Auslieferung des Abg. Kukovetz.
Über eine Anzahl von Verhandlungsgegenſtänden
der vorgeſtrigen Landtagsſitzung berichten wir unter
den Marburger Nachrichten der heutigen Nummer.
Von beſonderem politiſchen Intereſſe für das Unter-
land war in jener Sitzung die Verhandlung über
das vom Kreisgerichte Cilli geſtellte Auslieferungs-
begehren hinſichtlich der werten Perſon des win-
diſchliberalen Landtagsabgeordneten Kukovetz. Für
die „Tätigkeit“ dieſes Mannes iſt es bezeichnend,
daß gegen ihn 21 Ehrenbeleidigungskla-
gen eingebracht wurden. Der Berichterſtatter Abg.
v. Mayr-Melnhof zählte alle 21 Klagen auf, unter
denen ſich auch eine ſeines ſloweniſchklerikalen Kol-
legen Roſchkar befindet, und ſtellte den Antrag,
die Auslieferung in allen Fällen zu bewil-
ligen. Als Abgeordneter Kukowetz dies hörte,
fiel ihm, der ſo Großes leiſtete im Denunzieren,
das Herz in die Hoſen; er fürchtet ſich, vor Gericht
das verantworten zu müſſen, was er in ſkrupelloſer
Weiſe verbrochen hat. Kukovetz hatte ſich, als er
ſoviele Männer verleumdete, offenbar in der Hoffnung
gewiegt: Bin ich erſt Landtagsabgeordneter, dann
bin ich immun, dann können mich die Verbündeten
und die ſchwer in ihrer Ehre gekränkten Männer
nicht zur Rechenſchaft ziehen! Als der Ehrenmann
aber ſah, daß dieſe ſeine Rechnung nicht ſtimmte
und ſeine Auslieferung beantragt wird, da wurde
er klein und kleiner und er verlegte ſich aufs Bitten
und Flehen, ihn doch um Gotteswillen nicht aus-
zuliefern, ihn doch nicht bei Gericht das vertreten
zu laſſen, was er behauptet hatte. Er jammerte,
daß es ſich um „politiſche“ Angelegenheiten handle;
der Landtag habe noch nie jemanden ausgeliefert,
der in Erfüllung ſeiner politiſchen und moraliſchen (!)
Pflichten gehandelt habe. Abg. Waſtian: Schöne
moraliſche Pflichten! Nun kam es zu einer
Auseinanderſetzung zwiſchen Dr. Kukovetz und ſeinen
ſloweniſchklerikalen Kollegen; ein Verſchleppungs-
antrag des Dr. Kukovetz wurde einſtimmig abgelehnt.
Abg. Waſtian entwarf ſodann ein getreues und
daher für Dr. Kukovetz geradezu vernichtendes Bild
des Auszuliefernden. Er führte die abſcheulichen
Denunziationen an, welche Kukovetz gegen Cillier
Bürger bei der Staatsanwaltſchaft Cilli einbrachte
und jeder Begründung entbehrten, die Denunzierten
aber als Verbrecher darſtellten. Dieſe Anzeigen
fanden bei der Cillier Staatsanwaltſchaft die liebe-
vollſte Aufmerkſamkeit. Man müſſe ſagen: Für Doktor
Kukovetz habe die Gerechtigkeit wohl eine Binde vor
den Augen, aber kein Schwert in der Hand! (Rufe:
„Sehr gut!“) Für 99 Fälle von 100, die Doktor
Kukovetz zur Anzeige brachte, wurde gerichtsordnungs-
mäßig feſtgeſtellt, daß ſie vollſtändig erfunden ſind.
Alle dieſe Fälle ſind durchaus keine politiſchen An-
gelegenheiten, ſondern ehrabſchneideriſche
Dinge, die nach Sühne ſchreien. Es iſt geradezu
eine Pflicht des Landtages, den gekränkten Per-
ſonen Gelegenheit zu geben, ſich bei Gericht Genug-
tuung zu verſchaffen. Von Herrn Dr. Kukovetz aber
ſage er: Er iſt ein Mann, nehmt alles nur in
allem! Ihr werdet nie mehr ſeinesgleichen ſehen!
(Heiterkeit und Beifall.) Vergeblich wehrte ſich der
klein und angſtvoll gewordene Kukovetz gegen die
Auslieferung; in 20 Fällen, welche ſeine gegen Deutſche
gerichteten Tathandlungen betrafen, wurde ſeine Aus-
lieferung mit den Stimmen aller Parteien (Deutſch-
freiheitliche, Chriſtlichſoziale, Großgrundbeſitz, Sozial-
demokraten) mit Ausnahme der Slowenen ange-
nommen; bei der Abſtimmung über den Fall
Roſchker, der ihren eigenen von Kukovetz angegriffenen
Genoſſen Roſchker betraf, entfernten ſich die Slo-
weniſchklerikalen, worauf auch in dieſem Falle die
Auslieferung beſchloſſen wurde. (Der Fall Roſchker
betrifft einen Vorwurf, den Kukovetz dem Roſchker
machte, dahingehend, daß er einen Monat im Arreſte
geſeſſen ſei. Es bezieht ſich dies auf jenen bekannten
Fall, in welchem Roſchker nicht wegen Totſchlag,
wie manchmal irrtümlich behauptet wurde, ſondern
wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des
Lebens verurteilt wurde; die betreffende, von Roſchker,
als dieſer noch Knecht bei Feldkirchen war, unab-
ſichtlich totgeſchoſſene Bäuerin war die Dienſtgeberin
des nunmehrigen Abg. Roſchker.) Mit Intereſſe und
Befriedigung wird man nun den Gerichtsverhand-
lungen gegen Dr. Kukovetz entgegenſehen können.
Ein kraftvoller deutſcher Stamm.
Über die Entwicklung der ungarländiſchen
Schwaben im Banat und in der Batſchka melden
die „Mitteilungen des Vereines für das Deutſchtum
im Auslande“ folgende feſſelnde Tatſachen: Als
Maria Thereſia 1764 die Neubeſiedelung der in
den Türkenkriegen verödeten Landſtriche des Banat
in Angriff nahm, verpflanzte ſie 30.000 ſchwäbiſche
Bauern nach dort, denen in den nächſten Jahren
noch weitere 10.000 folgten. Heute nach 135 Jahren
ſind dieſe 40.000 allein im Temeſer Komitat auf
über 600.000 angewachſen. Insgeſamt ſind die
Schwaben in Südungarn über 900.000 Köpfe ſtark.
Dazu kommen die 250.000 Deutſchen in und um
Ofenpeſt, die 150.000 Deutſchen in Nordungarn,
die 600.000 Deutſchen in Weſtungarn. Die im
Gebiet der Schwaben angelegten franzöſiſchen Ko-
lonien Charleville, Lovrin, Seultour, St. Hubert
und die ſerbiſchen bezw. rumäniſchen Dörfer Per-
jamos, Peszak, Grabarcz u. a. m., tragen jetzt
deutſchen Charakter. Von den Schwaben ſind Tau-
ſende hinüber nach Slavonien gezogen und haben
in Syrmien deutſches Land geſchaffen. Selbſt in
Bosnien, an der Schwelle des Orients, leben heute
ſchon über 6000 ſchwäbiſche Koloniſten.
Eigenberichte.
Arnfels, 11. Oktober. (Kaffee- und
Gaſthauseröffnung.) Das früher im Beſitze
der Frau Marie Wilhelmer geweſene ebenerdige
Gaſthaus ging ſamt den dazugehörigen Grundſtücken
in das Eigentum der Eheleute Karl und Ottilie
Stelzer über. Die Letztgenannten haben das Ge-
bäude mit einem Stockwerke ausbauen laſſen, ſo
daß der Markt um ein ſchmuckes einſtöckiges Ge-
bäude bereichert wurde. In dieſem Hauſe wurde
ein Gaſthaus und ein Kaffeehaus errichtet, welche
am 10. Oktober eröffnet worden ſind.
Hraſtnigg, 13. Oktober. (Steinwürfe ge-
gen die deutſche Schule.) Heute um dreiviertel
1 Uhr nachts wurde die deutſche Schule mit fauſt-
großen Steinen beworfen. Dieſem Bombardement
fielen mehrere Fenſter im Erdgeſchoß zum Opfer.
Daß dieſer Anſchlag planmäßig vorbereitet war, er-
hellt daraus, daß die in den Lehrzimmern gefun-
denen Steine von ſolcher Beſchaffenheit ſind, wie
ſie in der Nähe des Tatortes nicht vorkommen. Die
Steinwürfe erfolgten aus nächſter Nähe und mit
ſolcher Wucht, daß ſelbſt die Türſtöcke beſchädigt
wurden. — An die deutſche Bevölkerung ergeht die
Bitte, dieſe „Kulturtat“ mit Spenden von Büchern
uſw. für die exponierte deutſche Schule zu beant-
worten.
Pettauer Nachrichten.
Theaternachricht. „Renaiſſance“. Das
Debut der erſten Liebhaberin Frl. Ida Günther-
Kunſt als Marcheſa vollzog ſich vor einem vollen
Hauſe. Die Künſtlerin, deren routiniertes Sptel von
einer ſchönen Figur unterſtützt wird, erntete reichen
Beifall, an welchem auch die übrigen Darſteller mit
vollem Recht teilnahmen. Die prächtige Ausſtattung,
die neuen Dekorationen und Goldgarnitur gaben
der ausgezeichneten Darſtellung einen prächtigen
Rahmen, ſo daß man von einer Renaiſſance —
Wiedergeburt — unſeres Theaters ſprechen kann.
Allgemein freut man ſich über die Wandlung un-
ſeres Muſentempels und zollt der rührigen Direktion
volles und ungeteiltes Lob. Samstag den 16. Ok-
tober geht das Shakeſpeareſche Trauerſpiel „Othello“
mit den Damen Lützow, Lörentzy und den Herren
Mathaeus, Stippinger, Renner (Regie), Heim,
Mraſchner und Lichtenberg in Szene. Sonntag den
17. Oktober, nachmittag 3 Uhr, wird das Görner-
ſche Märchen „Aſchenbrödel“ bei kleinen Preiſen
als zweite Kindervorſtellung aufgeführt. Abends 8
Uhr wird der zugkräftige Schwank „Die blaue
Maus“ mit Frau Franziska Fleiſcher in der Titel-
rolle wiederholt.
Fahrraddiebſtahl. Am 11. Oktober in der
Zeit von 1—5 Uhr nachmittags wurde aus dem
Eingang des Hauſes Florianigaſſe 2 ein Fahrrad,
Type Neger, Freilauf mit Rücktrittbremſe, Halb-
renner, Wert 90 K., geſtohlen. Das Fahrrad hat
ſchwarzlackierten Rahmenbau, ſchwarz-rote Felgen,
roten Vorder- und weißen Hintermantel, ſowie Ge-
birgsdecke, vernickelte leere Scheibe, durch Sturz
auf der rechten Seite etwas ſchadhafte und ver-
bogene Lenkſtange. Handbremſe und Werkzeugtaſche
fehlte. Die Glocke iſt in der Mitte der Lenkſtange
angebracht und hat das Zeichen Neger. Von der
Nummer iſt bloß 32 kennbar, während die anderen
drei Zahlen unkennbar ſind. Die Anzeige wurde
den Brief ſeines Lieblings beiſeite, um erſt das
„Geſchäftliche“ zu leſen.
Oberförſter a. D. Winkelmann. Früher in kgl.
preußiſchen Dienſten, wegen Differenzen mit den
Behörden vorzeitig penſioniert.
„Fort damit!“ brummte der alte Herr. „Mag
keinen Menſchen in meinem Revier haben, der für
andere nicht mehr brauchbar.“
Dann der zweite Brief: Forſtreferendar Glück-
mann, Württemberger, ſucht Stellung als Privat-
oberförſter, da ſein Aſſeſſorexamen dreimal nicht
beſtanden — „Weg damit, Dummköpfe und Lüderjane
habe ich ohnehin genug.“ Damit flog das ſehr ſchön
und ſtiliſtiſch großartig verfaßte zweite Schriftſtück
auch erbarmungslos in den gräflichen Papierkorb.
Und nun das dritte. Nach kurzer formeller
Einleitung hieß es darin: „Ich bin Schleswig-
holſteiner, ſtand in däniſchen Dienſten als Forſt-
referendar und durfte auf gute Karriere mit einiger
Beſtimmtheit rechnen. Als dann vor vier Jahren
der Freiheitskrieg ausbrach, der leider ſo erfolglos
enden ſollte, da hielt ich es für Ehren- und Ge-
wiſſensſache, auch Soldat zu werden, um für Recht
und Freiheit meines bedrängten Vaterlandes zu kämpfen.
Ich machte die Kriegsjahre von 48 bis 50 als
Jägerleutnant mit und wurde nach dem unglücklichen
Friedensſchluß als Rebell aus dem Staatsdienſt
entlaſſen. Als Offizier weiter zu dienen in anderen
deutſchen Landen, war mir, da ich ohne Mittel bin,
nicht möglich. Und ſo ſuche ich denn ſeit Jahresfriſt
nach einer Stellung, die mich ernähren kann und
mir Gelegenheit bietet, für drei noch unerwachſene
Geſchwiſter mitſorgen zu helfen. Sollte die ausge-
ſchriebene Stelle eine ſolche ſein, ſo bitte ich, falls
man nicht andere bevorzugt, umgehend um Beſcheid.
„Hm, das iſt intereſſant“, murmelte der Graf
vor ſich hin. „Der dürfte ein Mann nach meinem
Geſchmack ſein: Kurz, geradeaus — und ein
Freiheitskämpfer für die gute Sache. Schreiben wir
ihm zu.“
Das geſchah denn auch ſehr kurz und bündig.
Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten
Damenhandſchrift an die Reihe: „Liebes, gutes,
beſtes Papachen! Nach dir und der goldenen Freiheit
habe ich eine ſolche Sehnſucht, daß der Herr Leibarzt
ſchon Bleichſucht bei mir befürchtet. Wie es bei Hofe
zugeht und was die Reſidenz alles zu bieten vermag,
weiß ich jetzt ganz genau. Ich glaube aber, daß ich
für dieſes Leben nicht ſo recht geſchaffen bin.
Durchlaucht, unſer gütiger, edler Landesherr, tun
mir zwar viel Ehre an, auch laſſen es die Herren
Leutnants und andere Würdenträger nicht daran
fehlen, aber dennoch ſehne ich mich nach meinem
ſchönen, grünen Wald zurück. — Du, lieber Papa,
wirſt meine Bitte, jetzt wieder heimkehren zu dürfen,
gewiß nicht abſchlagen. Annette leidet ſehr an ihren
Nerven. Sie iſt allezeit mürriſch und unzufrieden,
trotzdem ihr alter Herr Gemahl ſie auf Händen
tragen würde, wenn ſeine Kraft nicht ſchon zu ſehr
verbraucht wäre.“
Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen
Seufzer ſchob er den Brief beiſeite, ſchlug die Stirn
in tiefe Falten und hing trüben Gedanken nach.
War es denn nicht ſein grenzenloſer Ehrgeiz geweſen,
der Annette alle Lebensfreude verdorben? Hatte er
ſeine Tochter nicht geradezu gezwungen, jenes alten
Mannes Gattin zu werden, weil derſelbe in großen
Ehren ſtand und viel Geld beſaß? Ja, mochte er
es drehen und wenden wie er wollte, ſein Gewiſſen
konnte ihn nun einmal nicht freiſprechen. Daß ſein
„Wildfang“ ſich in der Reſidenz nicht wohl fühlte,
paßte ihm ganz und gar nicht. Als er Ilſe vor
einem halben Jahre dorthin ſchickte, da war er der
feſten Überzeugung, ſie als Braut eines vornehmen
Hofbeamten wiederkehren zu ſehen. Ihr Herz konnte
ſie alſo, wo ſie ſich ſo ſehr nach den heimatlichen
Fluren ſehnte, noch nicht verloren haben. Aber was
half es, ihre Bitte mochte er ihr nicht abſchlagen.
Der Diener meldete, daß die Förſter zur Stelle
wären. Mit vielen Bücklingen nahte zuerſt der
Revierförſter Otto, ein großer hagerer Mann, mit
langem fuchsrotem Bart und ein paar Augen, in
denen ein Menſchenkenner unſchwer Falſchheit und
Heuchelei geleſen hätte. Der Waldläufer Heyſe folgte
zaghaft und ſein noch faſt knabenhaftes Geſicht trug
deutlich die Anzeichen größter Erregung und Furcht.
Otto wußte bereits oder ahnte es gut genug, um
was es ſich handelte. Der Diener hatte ihm
gewiſſe Andeutungen gemacht.
„Ihr wart geſtern Abend in der Waldſchenke?“
fragte der Graf und ſchaute die beiden Grünröcke
ſo durchdringend an, daß ſie ihre Blicke ſenkten.
„Was hattet Ihr da zu tun?“ Fortſ. f.
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(2018-01-26T13:38:42Z)
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