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Marburger Zeitung. Nr. 123, Marburg, 14.10.1909.

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Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909

[Spaltenumbruch]
Politische Umschau.
Aus der steirischen Landstube.
Auslieferung des Abg. Kukovetz.

Über eine Anzahl von Verhandlungsgegenständen
der vorgestrigen Landtagssitzung berichten wir unter
den Marburger Nachrichten der heutigen Nummer.
Von besonderem politischen Interesse für das Unter-
land war in jener Sitzung die Verhandlung über
das vom Kreisgerichte Cilli gestellte Auslieferungs-
begehren hinsichtlich der werten Person des win-
dischliberalen Landtagsabgeordneten Kukovetz. Für
die "Tätigkeit" dieses Mannes ist es bezeichnend,
daß gegen ihn 21 Ehrenbeleidigungskla-
gen
eingebracht wurden. Der Berichterstatter Abg.
v. Mayr-Melnhof zählte alle 21 Klagen auf, unter
denen sich auch eine seines slowenischklerikalen Kol-
legen Roschkar befindet, und stellte den Antrag,
die Auslieferung in allen Fällen zu bewil-
ligen.
Als Abgeordneter Kukowetz dies hörte,
fiel ihm, der so Großes leistete im Denunzieren,
das Herz in die Hosen; er fürchtet sich, vor Gericht
das verantworten zu müssen, was er in skrupelloser
Weise verbrochen hat. Kukovetz hatte sich, als er
soviele Männer verleumdete, offenbar in der Hoffnung
gewiegt: Bin ich erst Landtagsabgeordneter, dann
bin ich immun, dann können mich die Verbündeten
und die schwer in ihrer Ehre gekränkten Männer
nicht zur Rechenschaft ziehen! Als der Ehrenmann
aber sah, daß diese seine Rechnung nicht stimmte
und seine Auslieferung beantragt wird, da wurde
er klein und kleiner und er verlegte sich aufs Bitten
und Flehen, ihn doch um Gotteswillen nicht aus-
zuliefern, ihn doch nicht bei Gericht das vertreten
zu lassen, was er behauptet hatte. Er jammerte,
daß es sich um "politische" Angelegenheiten handle;
der Landtag habe noch nie jemanden ausgeliefert,
der in Erfüllung seiner politischen und moralischen (!)
Pflichten gehandelt habe. Abg. Wastian: Schöne
moralische Pflichten!
Nun kam es zu einer
Auseinandersetzung zwischen Dr. Kukovetz und seinen
slowenischklerikalen Kollegen; ein Verschleppungs-
antrag des Dr. Kukovetz wurde einstimmig abgelehnt.
Abg. Wastian entwarf sodann ein getreues und
daher für Dr. Kukovetz geradezu vernichtendes Bild
des Auszuliefernden. Er führte die abscheulichen
Denunziationen an, welche Kukovetz gegen Cillier
Bürger bei der Staatsanwaltschaft Cilli einbrachte
und jeder Begründung entbehrten, die Denunzierten
aber als Verbrecher darstellten. Diese Anzeigen
fanden bei der Cillier Staatsanwaltschaft die liebe-
vollste Aufmerksamkeit. Man müsse sagen: Für Doktor
Kukovetz habe die Gerechtigkeit wohl eine Binde vor
den Augen, aber kein Schwert in der Hand! (Rufe:
"Sehr gut!") Für 99 Fälle von 100, die Doktor
Kukovetz zur Anzeige brachte, wurde gerichtsordnungs-
mäßig festgestellt, daß sie vollständig erfunden sind.
Alle diese Fälle sind durchaus keine politischen An-
gelegenheiten, sondern ehrabschneiderische
Dinge, die nach Sühne schreien. Es ist geradezu
eine Pflicht des Landtages, den gekränkten Per-
[Spaltenumbruch] sonen Gelegenheit zu geben, sich bei Gericht Genug-
tuung zu verschaffen. Von Herrn Dr. Kukovetz aber
sage er: Er ist ein Mann, nehmt alles nur in
allem! Ihr werdet nie mehr seinesgleichen sehen!
(Heiterkeit und Beifall.) Vergeblich wehrte sich der
klein und angstvoll gewordene Kukovetz gegen die
Auslieferung; in 20 Fällen, welche seine gegen Deutsche
gerichteten Tathandlungen betrafen, wurde seine Aus-
lieferung mit den Stimmen aller Parteien (Deutsch-
freiheitliche, Christlichsoziale, Großgrundbesitz, Sozial-
demokraten) mit Ausnahme der Slowenen ange-
nommen; bei der Abstimmung über den Fall
Roschker, der ihren eigenen von Kukovetz angegriffenen
Genossen Roschker betraf, entfernten sich die Slo-
wenischklerikalen, worauf auch in diesem Falle die
Auslieferung beschlossen wurde. (Der Fall Roschker
betrifft einen Vorwurf, den Kukovetz dem Roschker
machte, dahingehend, daß er einen Monat im Arreste
gesessen sei. Es bezieht sich dies auf jenen bekannten
Fall, in welchem Roschker nicht wegen Totschlag,
wie manchmal irrtümlich behauptet wurde, sondern
wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des
Lebens verurteilt wurde; die betreffende, von Roschker,
als dieser noch Knecht bei Feldkirchen war, unab-
sichtlich totgeschossene Bäuerin war die Dienstgeberin
des nunmehrigen Abg. Roschker.) Mit Interesse und
Befriedigung wird man nun den Gerichtsverhand-
lungen gegen Dr. Kukovetz entgegensehen können.

Ein kraftvoller deutscher Stamm.

Über die Entwicklung der ungarländischen
Schwaben im Banat und in der Batschka melden
die "Mitteilungen des Vereines für das Deutschtum
im Auslande" folgende fesselnde Tatsachen: Als
Maria Theresia 1764 die Neubesiedelung der in
den Türkenkriegen verödeten Landstriche des Banat
in Angriff nahm, verpflanzte sie 30.000 schwäbische
Bauern nach dort, denen in den nächsten Jahren
noch weitere 10.000 folgten. Heute nach 135 Jahren
sind diese 40.000 allein im Temeser Komitat auf
über 600.000 angewachsen. Insgesamt sind die
Schwaben in Südungarn über 900.000 Köpfe stark.
Dazu kommen die 250.000 Deutschen in und um
Ofenpest, die 150.000 Deutschen in Nordungarn,
die 600.000 Deutschen in Westungarn. Die im
Gebiet der Schwaben angelegten französischen Ko-
lonien Charleville, Lovrin, Seultour, St. Hubert
und die serbischen bezw. rumänischen Dörfer Per-
jamos, Peszak, Grabarcz u. a. m., tragen jetzt
deutschen Charakter. Von den Schwaben sind Tau-
sende hinüber nach Slavonien gezogen und haben
in Syrmien deutsches Land geschaffen. Selbst in
Bosnien, an der Schwelle des Orients, leben heute
schon über 6000 schwäbische Kolonisten.




Eigenberichte.
(Kaffee- und
Gasthauseröffnung.)

Das früher im Besitze
der Frau Marie Wilhelmer gewesene ebenerdige
Gasthaus ging samt den dazugehörigen Grundstücken
in das Eigentum der Eheleute Karl und Ottilie
[Spaltenumbruch] Stelzer über. Die Letztgenannten haben das Ge-
bäude mit einem Stockwerke ausbauen lassen, so
daß der Markt um ein schmuckes einstöckiges Ge-
bäude bereichert wurde. In diesem Hause wurde
ein Gasthaus und ein Kaffeehaus errichtet, welche
am 10. Oktober eröffnet worden sind.

(Steinwürfe ge-
gen die deutsche Schule.)

Heute um dreiviertel
1 Uhr nachts wurde die deutsche Schule mit faust-
großen Steinen beworfen. Diesem Bombardement
fielen mehrere Fenster im Erdgeschoß zum Opfer.
Daß dieser Anschlag planmäßig vorbereitet war, er-
hellt daraus, daß die in den Lehrzimmern gefun-
denen Steine von solcher Beschaffenheit sind, wie
sie in der Nähe des Tatortes nicht vorkommen. Die
Steinwürfe erfolgten aus nächster Nähe und mit
solcher Wucht, daß selbst die Türstöcke beschädigt
wurden. -- An die deutsche Bevölkerung ergeht die
Bitte, diese "Kulturtat" mit Spenden von Büchern
usw. für die exponierte deutsche Schule zu beant-
worten.




Pettauer Nachrichten.
Theaternachricht.

"Renaissance". Das
Debut der ersten Liebhaberin Frl. Ida Günther-
Kunst als Marchesa vollzog sich vor einem vollen
Hause. Die Künstlerin, deren routiniertes Sptel von
einer schönen Figur unterstützt wird, erntete reichen
Beifall, an welchem auch die übrigen Darsteller mit
vollem Recht teilnahmen. Die prächtige Ausstattung,
die neuen Dekorationen und Goldgarnitur gaben
der ausgezeichneten Darstellung einen prächtigen
Rahmen, so daß man von einer Renaissance --
Wiedergeburt -- unseres Theaters sprechen kann.
Allgemein freut man sich über die Wandlung un-
seres Musentempels und zollt der rührigen Direktion
volles und ungeteiltes Lob. Samstag den 16. Ok-
tober geht das Shakespearesche Trauerspiel "Othello"
mit den Damen Lützow, Lörentzy und den Herren
Mathaeus, Stippinger, Renner (Regie), Heim,
Mraschner und Lichtenberg in Szene. Sonntag den
17. Oktober, nachmittag 3 Uhr, wird das Görner-
sche Märchen "Aschenbrödel" bei kleinen Preisen
als zweite Kindervorstellung aufgeführt. Abends 8
Uhr wird der zugkräftige Schwank "Die blaue
Maus" mit Frau Franziska Fleischer in der Titel-
rolle wiederholt.

Fahrraddiebstahl.

Am 11. Oktober in der
Zeit von 1--5 Uhr nachmittags wurde aus dem
Eingang des Hauses Florianigasse 2 ein Fahrrad,
Type Neger, Freilauf mit Rücktrittbremse, Halb-
renner, Wert 90 K., gestohlen. Das Fahrrad hat
schwarzlackierten Rahmenbau, schwarz-rote Felgen,
roten Vorder- und weißen Hintermantel, sowie Ge-
birgsdecke, vernickelte leere Scheibe, durch Sturz
auf der rechten Seite etwas schadhafte und ver-
bogene Lenkstange. Handbremse und Werkzeugtasche
fehlte. Die Glocke ist in der Mitte der Lenkstange
angebracht und hat das Zeichen Neger. Von der
Nummer ist bloß 32 kennbar, während die anderen
drei Zahlen unkennbar sind. Die Anzeige wurde




[Spaltenumbruch]

den Brief seines Lieblings beiseite, um erst das
"Geschäftliche" zu lesen.

Oberförster a. D. Winkelmann. Früher in kgl.
preußischen Diensten, wegen Differenzen mit den
Behörden vorzeitig pensioniert.

"Fort damit!" brummte der alte Herr. "Mag
keinen Menschen in meinem Revier haben, der für
andere nicht mehr brauchbar."

Dann der zweite Brief: Forstreferendar Glück-
mann, Württemberger, sucht Stellung als Privat-
oberförster, da sein Assessorexamen dreimal nicht
bestanden -- "Weg damit, Dummköpfe und Lüderjane
habe ich ohnehin genug." Damit flog das sehr schön
und stilistisch großartig verfaßte zweite Schriftstück
auch erbarmungslos in den gräflichen Papierkorb.

Und nun das dritte. Nach kurzer formeller
Einleitung hieß es darin: "Ich bin Schleswig-
holsteiner, stand in dänischen Diensten als Forst-
referendar und durfte auf gute Karriere mit einiger
Bestimmtheit rechnen. Als dann vor vier Jahren
der Freiheitskrieg ausbrach, der leider so erfolglos
enden sollte, da hielt ich es für Ehren- und Ge-
wissenssache, auch Soldat zu werden, um für Recht
und Freiheit meines bedrängten Vaterlandes zu kämpfen.
Ich machte die Kriegsjahre von 48 bis 50 als
Jägerleutnant mit und wurde nach dem unglücklichen
Friedensschluß als Rebell aus dem Staatsdienst
entlassen. Als Offizier weiter zu dienen in anderen
deutschen Landen, war mir, da ich ohne Mittel bin,
nicht möglich. Und so suche ich denn seit Jahresfrist
nach einer Stellung, die mich ernähren kann und
[Spaltenumbruch] mir Gelegenheit bietet, für drei noch unerwachsene
Geschwister mitsorgen zu helfen. Sollte die ausge-
schriebene Stelle eine solche sein, so bitte ich, falls
man nicht andere bevorzugt, umgehend um Bescheid.

"Hm, das ist interessant", murmelte der Graf
vor sich hin. "Der dürfte ein Mann nach meinem
Geschmack sein: Kurz, geradeaus -- und ein
Freiheitskämpfer für die gute Sache. Schreiben wir
ihm zu."

Das geschah denn auch sehr kurz und bündig.

Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten
Damenhandschrift an die Reihe: "Liebes, gutes,
bestes Papachen! Nach dir und der goldenen Freiheit
habe ich eine solche Sehnsucht, daß der Herr Leibarzt
schon Bleichsucht bei mir befürchtet. Wie es bei Hofe
zugeht und was die Residenz alles zu bieten vermag,
weiß ich jetzt ganz genau. Ich glaube aber, daß ich
für dieses Leben nicht so recht geschaffen bin.
Durchlaucht, unser gütiger, edler Landesherr, tun
mir zwar viel Ehre an, auch lassen es die Herren
Leutnants und andere Würdenträger nicht daran
fehlen, aber dennoch sehne ich mich nach meinem
schönen, grünen Wald zurück. -- Du, lieber Papa,
wirst meine Bitte, jetzt wieder heimkehren zu dürfen,
gewiß nicht abschlagen. Annette leidet sehr an ihren
Nerven. Sie ist allezeit mürrisch und unzufrieden,
trotzdem ihr alter Herr Gemahl sie auf Händen
tragen würde, wenn seine Kraft nicht schon zu sehr
verbraucht wäre."

Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen
Seufzer schob er den Brief beiseite, schlug die Stirn
[Spaltenumbruch] in tiefe Falten und hing trüben Gedanken nach.
War es denn nicht sein grenzenloser Ehrgeiz gewesen,
der Annette alle Lebensfreude verdorben? Hatte er
seine Tochter nicht geradezu gezwungen, jenes alten
Mannes Gattin zu werden, weil derselbe in großen
Ehren stand und viel Geld besaß? Ja, mochte er
es drehen und wenden wie er wollte, sein Gewissen
konnte ihn nun einmal nicht freisprechen. Daß sein
"Wildfang" sich in der Residenz nicht wohl fühlte,
paßte ihm ganz und gar nicht. Als er Ilse vor
einem halben Jahre dorthin schickte, da war er der
festen Überzeugung, sie als Braut eines vornehmen
Hofbeamten wiederkehren zu sehen. Ihr Herz konnte
sie also, wo sie sich so sehr nach den heimatlichen
Fluren sehnte, noch nicht verloren haben. Aber was
half es, ihre Bitte mochte er ihr nicht abschlagen.

Der Diener meldete, daß die Förster zur Stelle
wären. Mit vielen Bücklingen nahte zuerst der
Revierförster Otto, ein großer hagerer Mann, mit
langem fuchsrotem Bart und ein paar Augen, in
denen ein Menschenkenner unschwer Falschheit und
Heuchelei gelesen hätte. Der Waldläufer Heyse folgte
zaghaft und sein noch fast knabenhaftes Gesicht trug
deutlich die Anzeichen größter Erregung und Furcht.
Otto wußte bereits oder ahnte es gut genug, um
was es sich handelte. Der Diener hatte ihm
gewisse Andeutungen gemacht.

"Ihr wart gestern Abend in der Waldschenke?"
fragte der Graf und schaute die beiden Grünröcke
so durchdringend an, daß sie ihre Blicke senkten.
"Was hattet Ihr da zu tun?"    Forts. f.


Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909

[Spaltenumbruch]
Politiſche Umſchau.
Aus der ſteiriſchen Landſtube.
Auslieferung des Abg. Kukovetz.

Über eine Anzahl von Verhandlungsgegenſtänden
der vorgeſtrigen Landtagsſitzung berichten wir unter
den Marburger Nachrichten der heutigen Nummer.
Von beſonderem politiſchen Intereſſe für das Unter-
land war in jener Sitzung die Verhandlung über
das vom Kreisgerichte Cilli geſtellte Auslieferungs-
begehren hinſichtlich der werten Perſon des win-
diſchliberalen Landtagsabgeordneten Kukovetz. Für
die „Tätigkeit“ dieſes Mannes iſt es bezeichnend,
daß gegen ihn 21 Ehrenbeleidigungskla-
gen
eingebracht wurden. Der Berichterſtatter Abg.
v. Mayr-Melnhof zählte alle 21 Klagen auf, unter
denen ſich auch eine ſeines ſloweniſchklerikalen Kol-
legen Roſchkar befindet, und ſtellte den Antrag,
die Auslieferung in allen Fällen zu bewil-
ligen.
Als Abgeordneter Kukowetz dies hörte,
fiel ihm, der ſo Großes leiſtete im Denunzieren,
das Herz in die Hoſen; er fürchtet ſich, vor Gericht
das verantworten zu müſſen, was er in ſkrupelloſer
Weiſe verbrochen hat. Kukovetz hatte ſich, als er
ſoviele Männer verleumdete, offenbar in der Hoffnung
gewiegt: Bin ich erſt Landtagsabgeordneter, dann
bin ich immun, dann können mich die Verbündeten
und die ſchwer in ihrer Ehre gekränkten Männer
nicht zur Rechenſchaft ziehen! Als der Ehrenmann
aber ſah, daß dieſe ſeine Rechnung nicht ſtimmte
und ſeine Auslieferung beantragt wird, da wurde
er klein und kleiner und er verlegte ſich aufs Bitten
und Flehen, ihn doch um Gotteswillen nicht aus-
zuliefern, ihn doch nicht bei Gericht das vertreten
zu laſſen, was er behauptet hatte. Er jammerte,
daß es ſich um „politiſche“ Angelegenheiten handle;
der Landtag habe noch nie jemanden ausgeliefert,
der in Erfüllung ſeiner politiſchen und moraliſchen (!)
Pflichten gehandelt habe. Abg. Waſtian: Schöne
moraliſche Pflichten!
Nun kam es zu einer
Auseinanderſetzung zwiſchen Dr. Kukovetz und ſeinen
ſloweniſchklerikalen Kollegen; ein Verſchleppungs-
antrag des Dr. Kukovetz wurde einſtimmig abgelehnt.
Abg. Waſtian entwarf ſodann ein getreues und
daher für Dr. Kukovetz geradezu vernichtendes Bild
des Auszuliefernden. Er führte die abſcheulichen
Denunziationen an, welche Kukovetz gegen Cillier
Bürger bei der Staatsanwaltſchaft Cilli einbrachte
und jeder Begründung entbehrten, die Denunzierten
aber als Verbrecher darſtellten. Dieſe Anzeigen
fanden bei der Cillier Staatsanwaltſchaft die liebe-
vollſte Aufmerkſamkeit. Man müſſe ſagen: Für Doktor
Kukovetz habe die Gerechtigkeit wohl eine Binde vor
den Augen, aber kein Schwert in der Hand! (Rufe:
„Sehr gut!“) Für 99 Fälle von 100, die Doktor
Kukovetz zur Anzeige brachte, wurde gerichtsordnungs-
mäßig feſtgeſtellt, daß ſie vollſtändig erfunden ſind.
Alle dieſe Fälle ſind durchaus keine politiſchen An-
gelegenheiten, ſondern ehrabſchneideriſche
Dinge, die nach Sühne ſchreien. Es iſt geradezu
eine Pflicht des Landtages, den gekränkten Per-
[Spaltenumbruch] ſonen Gelegenheit zu geben, ſich bei Gericht Genug-
tuung zu verſchaffen. Von Herrn Dr. Kukovetz aber
ſage er: Er iſt ein Mann, nehmt alles nur in
allem! Ihr werdet nie mehr ſeinesgleichen ſehen!
(Heiterkeit und Beifall.) Vergeblich wehrte ſich der
klein und angſtvoll gewordene Kukovetz gegen die
Auslieferung; in 20 Fällen, welche ſeine gegen Deutſche
gerichteten Tathandlungen betrafen, wurde ſeine Aus-
lieferung mit den Stimmen aller Parteien (Deutſch-
freiheitliche, Chriſtlichſoziale, Großgrundbeſitz, Sozial-
demokraten) mit Ausnahme der Slowenen ange-
nommen; bei der Abſtimmung über den Fall
Roſchker, der ihren eigenen von Kukovetz angegriffenen
Genoſſen Roſchker betraf, entfernten ſich die Slo-
weniſchklerikalen, worauf auch in dieſem Falle die
Auslieferung beſchloſſen wurde. (Der Fall Roſchker
betrifft einen Vorwurf, den Kukovetz dem Roſchker
machte, dahingehend, daß er einen Monat im Arreſte
geſeſſen ſei. Es bezieht ſich dies auf jenen bekannten
Fall, in welchem Roſchker nicht wegen Totſchlag,
wie manchmal irrtümlich behauptet wurde, ſondern
wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des
Lebens verurteilt wurde; die betreffende, von Roſchker,
als dieſer noch Knecht bei Feldkirchen war, unab-
ſichtlich totgeſchoſſene Bäuerin war die Dienſtgeberin
des nunmehrigen Abg. Roſchker.) Mit Intereſſe und
Befriedigung wird man nun den Gerichtsverhand-
lungen gegen Dr. Kukovetz entgegenſehen können.

Ein kraftvoller deutſcher Stamm.

Über die Entwicklung der ungarländiſchen
Schwaben im Banat und in der Batſchka melden
die „Mitteilungen des Vereines für das Deutſchtum
im Auslande“ folgende feſſelnde Tatſachen: Als
Maria Thereſia 1764 die Neubeſiedelung der in
den Türkenkriegen verödeten Landſtriche des Banat
in Angriff nahm, verpflanzte ſie 30.000 ſchwäbiſche
Bauern nach dort, denen in den nächſten Jahren
noch weitere 10.000 folgten. Heute nach 135 Jahren
ſind dieſe 40.000 allein im Temeſer Komitat auf
über 600.000 angewachſen. Insgeſamt ſind die
Schwaben in Südungarn über 900.000 Köpfe ſtark.
Dazu kommen die 250.000 Deutſchen in und um
Ofenpeſt, die 150.000 Deutſchen in Nordungarn,
die 600.000 Deutſchen in Weſtungarn. Die im
Gebiet der Schwaben angelegten franzöſiſchen Ko-
lonien Charleville, Lovrin, Seultour, St. Hubert
und die ſerbiſchen bezw. rumäniſchen Dörfer Per-
jamos, Peszak, Grabarcz u. a. m., tragen jetzt
deutſchen Charakter. Von den Schwaben ſind Tau-
ſende hinüber nach Slavonien gezogen und haben
in Syrmien deutſches Land geſchaffen. Selbſt in
Bosnien, an der Schwelle des Orients, leben heute
ſchon über 6000 ſchwäbiſche Koloniſten.




Eigenberichte.
(Kaffee- und
Gaſthauseröffnung.)

Das früher im Beſitze
der Frau Marie Wilhelmer geweſene ebenerdige
Gaſthaus ging ſamt den dazugehörigen Grundſtücken
in das Eigentum der Eheleute Karl und Ottilie
[Spaltenumbruch] Stelzer über. Die Letztgenannten haben das Ge-
bäude mit einem Stockwerke ausbauen laſſen, ſo
daß der Markt um ein ſchmuckes einſtöckiges Ge-
bäude bereichert wurde. In dieſem Hauſe wurde
ein Gaſthaus und ein Kaffeehaus errichtet, welche
am 10. Oktober eröffnet worden ſind.

(Steinwürfe ge-
gen die deutſche Schule.)

Heute um dreiviertel
1 Uhr nachts wurde die deutſche Schule mit fauſt-
großen Steinen beworfen. Dieſem Bombardement
fielen mehrere Fenſter im Erdgeſchoß zum Opfer.
Daß dieſer Anſchlag planmäßig vorbereitet war, er-
hellt daraus, daß die in den Lehrzimmern gefun-
denen Steine von ſolcher Beſchaffenheit ſind, wie
ſie in der Nähe des Tatortes nicht vorkommen. Die
Steinwürfe erfolgten aus nächſter Nähe und mit
ſolcher Wucht, daß ſelbſt die Türſtöcke beſchädigt
wurden. — An die deutſche Bevölkerung ergeht die
Bitte, dieſe „Kulturtat“ mit Spenden von Büchern
uſw. für die exponierte deutſche Schule zu beant-
worten.




Pettauer Nachrichten.
Theaternachricht.

„Renaiſſance“. Das
Debut der erſten Liebhaberin Frl. Ida Günther-
Kunſt als Marcheſa vollzog ſich vor einem vollen
Hauſe. Die Künſtlerin, deren routiniertes Sptel von
einer ſchönen Figur unterſtützt wird, erntete reichen
Beifall, an welchem auch die übrigen Darſteller mit
vollem Recht teilnahmen. Die prächtige Ausſtattung,
die neuen Dekorationen und Goldgarnitur gaben
der ausgezeichneten Darſtellung einen prächtigen
Rahmen, ſo daß man von einer Renaiſſance —
Wiedergeburt — unſeres Theaters ſprechen kann.
Allgemein freut man ſich über die Wandlung un-
ſeres Muſentempels und zollt der rührigen Direktion
volles und ungeteiltes Lob. Samstag den 16. Ok-
tober geht das Shakeſpeareſche Trauerſpiel „Othello“
mit den Damen Lützow, Lörentzy und den Herren
Mathaeus, Stippinger, Renner (Regie), Heim,
Mraſchner und Lichtenberg in Szene. Sonntag den
17. Oktober, nachmittag 3 Uhr, wird das Görner-
ſche Märchen „Aſchenbrödel“ bei kleinen Preiſen
als zweite Kindervorſtellung aufgeführt. Abends 8
Uhr wird der zugkräftige Schwank „Die blaue
Maus“ mit Frau Franziska Fleiſcher in der Titel-
rolle wiederholt.

Fahrraddiebſtahl.

Am 11. Oktober in der
Zeit von 1—5 Uhr nachmittags wurde aus dem
Eingang des Hauſes Florianigaſſe 2 ein Fahrrad,
Type Neger, Freilauf mit Rücktrittbremſe, Halb-
renner, Wert 90 K., geſtohlen. Das Fahrrad hat
ſchwarzlackierten Rahmenbau, ſchwarz-rote Felgen,
roten Vorder- und weißen Hintermantel, ſowie Ge-
birgsdecke, vernickelte leere Scheibe, durch Sturz
auf der rechten Seite etwas ſchadhafte und ver-
bogene Lenkſtange. Handbremſe und Werkzeugtaſche
fehlte. Die Glocke iſt in der Mitte der Lenkſtange
angebracht und hat das Zeichen Neger. Von der
Nummer iſt bloß 32 kennbar, während die anderen
drei Zahlen unkennbar ſind. Die Anzeige wurde




[Spaltenumbruch]

den Brief ſeines Lieblings beiſeite, um erſt das
„Geſchäftliche“ zu leſen.

Oberförſter a. D. Winkelmann. Früher in kgl.
preußiſchen Dienſten, wegen Differenzen mit den
Behörden vorzeitig penſioniert.

„Fort damit!“ brummte der alte Herr. „Mag
keinen Menſchen in meinem Revier haben, der für
andere nicht mehr brauchbar.“

Dann der zweite Brief: Forſtreferendar Glück-
mann, Württemberger, ſucht Stellung als Privat-
oberförſter, da ſein Aſſeſſorexamen dreimal nicht
beſtanden — „Weg damit, Dummköpfe und Lüderjane
habe ich ohnehin genug.“ Damit flog das ſehr ſchön
und ſtiliſtiſch großartig verfaßte zweite Schriftſtück
auch erbarmungslos in den gräflichen Papierkorb.

Und nun das dritte. Nach kurzer formeller
Einleitung hieß es darin: „Ich bin Schleswig-
holſteiner, ſtand in däniſchen Dienſten als Forſt-
referendar und durfte auf gute Karriere mit einiger
Beſtimmtheit rechnen. Als dann vor vier Jahren
der Freiheitskrieg ausbrach, der leider ſo erfolglos
enden ſollte, da hielt ich es für Ehren- und Ge-
wiſſensſache, auch Soldat zu werden, um für Recht
und Freiheit meines bedrängten Vaterlandes zu kämpfen.
Ich machte die Kriegsjahre von 48 bis 50 als
Jägerleutnant mit und wurde nach dem unglücklichen
Friedensſchluß als Rebell aus dem Staatsdienſt
entlaſſen. Als Offizier weiter zu dienen in anderen
deutſchen Landen, war mir, da ich ohne Mittel bin,
nicht möglich. Und ſo ſuche ich denn ſeit Jahresfriſt
nach einer Stellung, die mich ernähren kann und
[Spaltenumbruch] mir Gelegenheit bietet, für drei noch unerwachſene
Geſchwiſter mitſorgen zu helfen. Sollte die ausge-
ſchriebene Stelle eine ſolche ſein, ſo bitte ich, falls
man nicht andere bevorzugt, umgehend um Beſcheid.

„Hm, das iſt intereſſant“, murmelte der Graf
vor ſich hin. „Der dürfte ein Mann nach meinem
Geſchmack ſein: Kurz, geradeaus — und ein
Freiheitskämpfer für die gute Sache. Schreiben wir
ihm zu.“

Das geſchah denn auch ſehr kurz und bündig.

Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten
Damenhandſchrift an die Reihe: „Liebes, gutes,
beſtes Papachen! Nach dir und der goldenen Freiheit
habe ich eine ſolche Sehnſucht, daß der Herr Leibarzt
ſchon Bleichſucht bei mir befürchtet. Wie es bei Hofe
zugeht und was die Reſidenz alles zu bieten vermag,
weiß ich jetzt ganz genau. Ich glaube aber, daß ich
für dieſes Leben nicht ſo recht geſchaffen bin.
Durchlaucht, unſer gütiger, edler Landesherr, tun
mir zwar viel Ehre an, auch laſſen es die Herren
Leutnants und andere Würdenträger nicht daran
fehlen, aber dennoch ſehne ich mich nach meinem
ſchönen, grünen Wald zurück. — Du, lieber Papa,
wirſt meine Bitte, jetzt wieder heimkehren zu dürfen,
gewiß nicht abſchlagen. Annette leidet ſehr an ihren
Nerven. Sie iſt allezeit mürriſch und unzufrieden,
trotzdem ihr alter Herr Gemahl ſie auf Händen
tragen würde, wenn ſeine Kraft nicht ſchon zu ſehr
verbraucht wäre.“

Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen
Seufzer ſchob er den Brief beiſeite, ſchlug die Stirn
[Spaltenumbruch] in tiefe Falten und hing trüben Gedanken nach.
War es denn nicht ſein grenzenloſer Ehrgeiz geweſen,
der Annette alle Lebensfreude verdorben? Hatte er
ſeine Tochter nicht geradezu gezwungen, jenes alten
Mannes Gattin zu werden, weil derſelbe in großen
Ehren ſtand und viel Geld beſaß? Ja, mochte er
es drehen und wenden wie er wollte, ſein Gewiſſen
konnte ihn nun einmal nicht freiſprechen. Daß ſein
„Wildfang“ ſich in der Reſidenz nicht wohl fühlte,
paßte ihm ganz und gar nicht. Als er Ilſe vor
einem halben Jahre dorthin ſchickte, da war er der
feſten Überzeugung, ſie als Braut eines vornehmen
Hofbeamten wiederkehren zu ſehen. Ihr Herz konnte
ſie alſo, wo ſie ſich ſo ſehr nach den heimatlichen
Fluren ſehnte, noch nicht verloren haben. Aber was
half es, ihre Bitte mochte er ihr nicht abſchlagen.

Der Diener meldete, daß die Förſter zur Stelle
wären. Mit vielen Bücklingen nahte zuerſt der
Revierförſter Otto, ein großer hagerer Mann, mit
langem fuchsrotem Bart und ein paar Augen, in
denen ein Menſchenkenner unſchwer Falſchheit und
Heuchelei geleſen hätte. Der Waldläufer Heyſe folgte
zaghaft und ſein noch faſt knabenhaftes Geſicht trug
deutlich die Anzeichen größter Erregung und Furcht.
Otto wußte bereits oder ahnte es gut genug, um
was es ſich handelte. Der Diener hatte ihm
gewiſſe Andeutungen gemacht.

„Ihr wart geſtern Abend in der Waldſchenke?“
fragte der Graf und ſchaute die beiden Grünröcke
ſo durchdringend an, daß ſie ihre Blicke ſenkten.
„Was hattet Ihr da zu tun?“    Fortſ. f.


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[2/0002] Marburger Zeitung Nr. 123, 14. Oktober 1909 Politiſche Umſchau. Aus der ſteiriſchen Landſtube. Auslieferung des Abg. Kukovetz. Über eine Anzahl von Verhandlungsgegenſtänden der vorgeſtrigen Landtagsſitzung berichten wir unter den Marburger Nachrichten der heutigen Nummer. Von beſonderem politiſchen Intereſſe für das Unter- land war in jener Sitzung die Verhandlung über das vom Kreisgerichte Cilli geſtellte Auslieferungs- begehren hinſichtlich der werten Perſon des win- diſchliberalen Landtagsabgeordneten Kukovetz. Für die „Tätigkeit“ dieſes Mannes iſt es bezeichnend, daß gegen ihn 21 Ehrenbeleidigungskla- gen eingebracht wurden. Der Berichterſtatter Abg. v. Mayr-Melnhof zählte alle 21 Klagen auf, unter denen ſich auch eine ſeines ſloweniſchklerikalen Kol- legen Roſchkar befindet, und ſtellte den Antrag, die Auslieferung in allen Fällen zu bewil- ligen. Als Abgeordneter Kukowetz dies hörte, fiel ihm, der ſo Großes leiſtete im Denunzieren, das Herz in die Hoſen; er fürchtet ſich, vor Gericht das verantworten zu müſſen, was er in ſkrupelloſer Weiſe verbrochen hat. Kukovetz hatte ſich, als er ſoviele Männer verleumdete, offenbar in der Hoffnung gewiegt: Bin ich erſt Landtagsabgeordneter, dann bin ich immun, dann können mich die Verbündeten und die ſchwer in ihrer Ehre gekränkten Männer nicht zur Rechenſchaft ziehen! Als der Ehrenmann aber ſah, daß dieſe ſeine Rechnung nicht ſtimmte und ſeine Auslieferung beantragt wird, da wurde er klein und kleiner und er verlegte ſich aufs Bitten und Flehen, ihn doch um Gotteswillen nicht aus- zuliefern, ihn doch nicht bei Gericht das vertreten zu laſſen, was er behauptet hatte. Er jammerte, daß es ſich um „politiſche“ Angelegenheiten handle; der Landtag habe noch nie jemanden ausgeliefert, der in Erfüllung ſeiner politiſchen und moraliſchen (!) Pflichten gehandelt habe. Abg. Waſtian: Schöne moraliſche Pflichten! Nun kam es zu einer Auseinanderſetzung zwiſchen Dr. Kukovetz und ſeinen ſloweniſchklerikalen Kollegen; ein Verſchleppungs- antrag des Dr. Kukovetz wurde einſtimmig abgelehnt. Abg. Waſtian entwarf ſodann ein getreues und daher für Dr. Kukovetz geradezu vernichtendes Bild des Auszuliefernden. Er führte die abſcheulichen Denunziationen an, welche Kukovetz gegen Cillier Bürger bei der Staatsanwaltſchaft Cilli einbrachte und jeder Begründung entbehrten, die Denunzierten aber als Verbrecher darſtellten. Dieſe Anzeigen fanden bei der Cillier Staatsanwaltſchaft die liebe- vollſte Aufmerkſamkeit. Man müſſe ſagen: Für Doktor Kukovetz habe die Gerechtigkeit wohl eine Binde vor den Augen, aber kein Schwert in der Hand! (Rufe: „Sehr gut!“) Für 99 Fälle von 100, die Doktor Kukovetz zur Anzeige brachte, wurde gerichtsordnungs- mäßig feſtgeſtellt, daß ſie vollſtändig erfunden ſind. Alle dieſe Fälle ſind durchaus keine politiſchen An- gelegenheiten, ſondern ehrabſchneideriſche Dinge, die nach Sühne ſchreien. Es iſt geradezu eine Pflicht des Landtages, den gekränkten Per- ſonen Gelegenheit zu geben, ſich bei Gericht Genug- tuung zu verſchaffen. Von Herrn Dr. Kukovetz aber ſage er: Er iſt ein Mann, nehmt alles nur in allem! Ihr werdet nie mehr ſeinesgleichen ſehen! (Heiterkeit und Beifall.) Vergeblich wehrte ſich der klein und angſtvoll gewordene Kukovetz gegen die Auslieferung; in 20 Fällen, welche ſeine gegen Deutſche gerichteten Tathandlungen betrafen, wurde ſeine Aus- lieferung mit den Stimmen aller Parteien (Deutſch- freiheitliche, Chriſtlichſoziale, Großgrundbeſitz, Sozial- demokraten) mit Ausnahme der Slowenen ange- nommen; bei der Abſtimmung über den Fall Roſchker, der ihren eigenen von Kukovetz angegriffenen Genoſſen Roſchker betraf, entfernten ſich die Slo- weniſchklerikalen, worauf auch in dieſem Falle die Auslieferung beſchloſſen wurde. (Der Fall Roſchker betrifft einen Vorwurf, den Kukovetz dem Roſchker machte, dahingehend, daß er einen Monat im Arreſte geſeſſen ſei. Es bezieht ſich dies auf jenen bekannten Fall, in welchem Roſchker nicht wegen Totſchlag, wie manchmal irrtümlich behauptet wurde, ſondern wegen des Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens verurteilt wurde; die betreffende, von Roſchker, als dieſer noch Knecht bei Feldkirchen war, unab- ſichtlich totgeſchoſſene Bäuerin war die Dienſtgeberin des nunmehrigen Abg. Roſchker.) Mit Intereſſe und Befriedigung wird man nun den Gerichtsverhand- lungen gegen Dr. Kukovetz entgegenſehen können. Ein kraftvoller deutſcher Stamm. Über die Entwicklung der ungarländiſchen Schwaben im Banat und in der Batſchka melden die „Mitteilungen des Vereines für das Deutſchtum im Auslande“ folgende feſſelnde Tatſachen: Als Maria Thereſia 1764 die Neubeſiedelung der in den Türkenkriegen verödeten Landſtriche des Banat in Angriff nahm, verpflanzte ſie 30.000 ſchwäbiſche Bauern nach dort, denen in den nächſten Jahren noch weitere 10.000 folgten. Heute nach 135 Jahren ſind dieſe 40.000 allein im Temeſer Komitat auf über 600.000 angewachſen. Insgeſamt ſind die Schwaben in Südungarn über 900.000 Köpfe ſtark. Dazu kommen die 250.000 Deutſchen in und um Ofenpeſt, die 150.000 Deutſchen in Nordungarn, die 600.000 Deutſchen in Weſtungarn. Die im Gebiet der Schwaben angelegten franzöſiſchen Ko- lonien Charleville, Lovrin, Seultour, St. Hubert und die ſerbiſchen bezw. rumäniſchen Dörfer Per- jamos, Peszak, Grabarcz u. a. m., tragen jetzt deutſchen Charakter. Von den Schwaben ſind Tau- ſende hinüber nach Slavonien gezogen und haben in Syrmien deutſches Land geſchaffen. Selbſt in Bosnien, an der Schwelle des Orients, leben heute ſchon über 6000 ſchwäbiſche Koloniſten. Eigenberichte. Arnfels, 11. Oktober. (Kaffee- und Gaſthauseröffnung.) Das früher im Beſitze der Frau Marie Wilhelmer geweſene ebenerdige Gaſthaus ging ſamt den dazugehörigen Grundſtücken in das Eigentum der Eheleute Karl und Ottilie Stelzer über. Die Letztgenannten haben das Ge- bäude mit einem Stockwerke ausbauen laſſen, ſo daß der Markt um ein ſchmuckes einſtöckiges Ge- bäude bereichert wurde. In dieſem Hauſe wurde ein Gaſthaus und ein Kaffeehaus errichtet, welche am 10. Oktober eröffnet worden ſind. Hraſtnigg, 13. Oktober. (Steinwürfe ge- gen die deutſche Schule.) Heute um dreiviertel 1 Uhr nachts wurde die deutſche Schule mit fauſt- großen Steinen beworfen. Dieſem Bombardement fielen mehrere Fenſter im Erdgeſchoß zum Opfer. Daß dieſer Anſchlag planmäßig vorbereitet war, er- hellt daraus, daß die in den Lehrzimmern gefun- denen Steine von ſolcher Beſchaffenheit ſind, wie ſie in der Nähe des Tatortes nicht vorkommen. Die Steinwürfe erfolgten aus nächſter Nähe und mit ſolcher Wucht, daß ſelbſt die Türſtöcke beſchädigt wurden. — An die deutſche Bevölkerung ergeht die Bitte, dieſe „Kulturtat“ mit Spenden von Büchern uſw. für die exponierte deutſche Schule zu beant- worten. Pettauer Nachrichten. Theaternachricht. „Renaiſſance“. Das Debut der erſten Liebhaberin Frl. Ida Günther- Kunſt als Marcheſa vollzog ſich vor einem vollen Hauſe. Die Künſtlerin, deren routiniertes Sptel von einer ſchönen Figur unterſtützt wird, erntete reichen Beifall, an welchem auch die übrigen Darſteller mit vollem Recht teilnahmen. Die prächtige Ausſtattung, die neuen Dekorationen und Goldgarnitur gaben der ausgezeichneten Darſtellung einen prächtigen Rahmen, ſo daß man von einer Renaiſſance — Wiedergeburt — unſeres Theaters ſprechen kann. Allgemein freut man ſich über die Wandlung un- ſeres Muſentempels und zollt der rührigen Direktion volles und ungeteiltes Lob. Samstag den 16. Ok- tober geht das Shakeſpeareſche Trauerſpiel „Othello“ mit den Damen Lützow, Lörentzy und den Herren Mathaeus, Stippinger, Renner (Regie), Heim, Mraſchner und Lichtenberg in Szene. Sonntag den 17. Oktober, nachmittag 3 Uhr, wird das Görner- ſche Märchen „Aſchenbrödel“ bei kleinen Preiſen als zweite Kindervorſtellung aufgeführt. Abends 8 Uhr wird der zugkräftige Schwank „Die blaue Maus“ mit Frau Franziska Fleiſcher in der Titel- rolle wiederholt. Fahrraddiebſtahl. Am 11. Oktober in der Zeit von 1—5 Uhr nachmittags wurde aus dem Eingang des Hauſes Florianigaſſe 2 ein Fahrrad, Type Neger, Freilauf mit Rücktrittbremſe, Halb- renner, Wert 90 K., geſtohlen. Das Fahrrad hat ſchwarzlackierten Rahmenbau, ſchwarz-rote Felgen, roten Vorder- und weißen Hintermantel, ſowie Ge- birgsdecke, vernickelte leere Scheibe, durch Sturz auf der rechten Seite etwas ſchadhafte und ver- bogene Lenkſtange. Handbremſe und Werkzeugtaſche fehlte. Die Glocke iſt in der Mitte der Lenkſtange angebracht und hat das Zeichen Neger. Von der Nummer iſt bloß 32 kennbar, während die anderen drei Zahlen unkennbar ſind. Die Anzeige wurde den Brief ſeines Lieblings beiſeite, um erſt das „Geſchäftliche“ zu leſen. Oberförſter a. D. Winkelmann. Früher in kgl. preußiſchen Dienſten, wegen Differenzen mit den Behörden vorzeitig penſioniert. „Fort damit!“ brummte der alte Herr. „Mag keinen Menſchen in meinem Revier haben, der für andere nicht mehr brauchbar.“ Dann der zweite Brief: Forſtreferendar Glück- mann, Württemberger, ſucht Stellung als Privat- oberförſter, da ſein Aſſeſſorexamen dreimal nicht beſtanden — „Weg damit, Dummköpfe und Lüderjane habe ich ohnehin genug.“ Damit flog das ſehr ſchön und ſtiliſtiſch großartig verfaßte zweite Schriftſtück auch erbarmungslos in den gräflichen Papierkorb. Und nun das dritte. Nach kurzer formeller Einleitung hieß es darin: „Ich bin Schleswig- holſteiner, ſtand in däniſchen Dienſten als Forſt- referendar und durfte auf gute Karriere mit einiger Beſtimmtheit rechnen. Als dann vor vier Jahren der Freiheitskrieg ausbrach, der leider ſo erfolglos enden ſollte, da hielt ich es für Ehren- und Ge- wiſſensſache, auch Soldat zu werden, um für Recht und Freiheit meines bedrängten Vaterlandes zu kämpfen. Ich machte die Kriegsjahre von 48 bis 50 als Jägerleutnant mit und wurde nach dem unglücklichen Friedensſchluß als Rebell aus dem Staatsdienſt entlaſſen. Als Offizier weiter zu dienen in anderen deutſchen Landen, war mir, da ich ohne Mittel bin, nicht möglich. Und ſo ſuche ich denn ſeit Jahresfriſt nach einer Stellung, die mich ernähren kann und mir Gelegenheit bietet, für drei noch unerwachſene Geſchwiſter mitſorgen zu helfen. Sollte die ausge- ſchriebene Stelle eine ſolche ſein, ſo bitte ich, falls man nicht andere bevorzugt, umgehend um Beſcheid. „Hm, das iſt intereſſant“, murmelte der Graf vor ſich hin. „Der dürfte ein Mann nach meinem Geſchmack ſein: Kurz, geradeaus — und ein Freiheitskämpfer für die gute Sache. Schreiben wir ihm zu.“ Das geſchah denn auch ſehr kurz und bündig. Jetzt kam der zierliche Brief mit der korrekten Damenhandſchrift an die Reihe: „Liebes, gutes, beſtes Papachen! Nach dir und der goldenen Freiheit habe ich eine ſolche Sehnſucht, daß der Herr Leibarzt ſchon Bleichſucht bei mir befürchtet. Wie es bei Hofe zugeht und was die Reſidenz alles zu bieten vermag, weiß ich jetzt ganz genau. Ich glaube aber, daß ich für dieſes Leben nicht ſo recht geſchaffen bin. Durchlaucht, unſer gütiger, edler Landesherr, tun mir zwar viel Ehre an, auch laſſen es die Herren Leutnants und andere Würdenträger nicht daran fehlen, aber dennoch ſehne ich mich nach meinem ſchönen, grünen Wald zurück. — Du, lieber Papa, wirſt meine Bitte, jetzt wieder heimkehren zu dürfen, gewiß nicht abſchlagen. Annette leidet ſehr an ihren Nerven. Sie iſt allezeit mürriſch und unzufrieden, trotzdem ihr alter Herr Gemahl ſie auf Händen tragen würde, wenn ſeine Kraft nicht ſchon zu ſehr verbraucht wäre.“ Weiter las der Graf nicht. Mit einem tiefen Seufzer ſchob er den Brief beiſeite, ſchlug die Stirn in tiefe Falten und hing trüben Gedanken nach. War es denn nicht ſein grenzenloſer Ehrgeiz geweſen, der Annette alle Lebensfreude verdorben? Hatte er ſeine Tochter nicht geradezu gezwungen, jenes alten Mannes Gattin zu werden, weil derſelbe in großen Ehren ſtand und viel Geld beſaß? Ja, mochte er es drehen und wenden wie er wollte, ſein Gewiſſen konnte ihn nun einmal nicht freiſprechen. Daß ſein „Wildfang“ ſich in der Reſidenz nicht wohl fühlte, paßte ihm ganz und gar nicht. Als er Ilſe vor einem halben Jahre dorthin ſchickte, da war er der feſten Überzeugung, ſie als Braut eines vornehmen Hofbeamten wiederkehren zu ſehen. Ihr Herz konnte ſie alſo, wo ſie ſich ſo ſehr nach den heimatlichen Fluren ſehnte, noch nicht verloren haben. Aber was half es, ihre Bitte mochte er ihr nicht abſchlagen. Der Diener meldete, daß die Förſter zur Stelle wären. Mit vielen Bücklingen nahte zuerſt der Revierförſter Otto, ein großer hagerer Mann, mit langem fuchsrotem Bart und ein paar Augen, in denen ein Menſchenkenner unſchwer Falſchheit und Heuchelei geleſen hätte. Der Waldläufer Heyſe folgte zaghaft und ſein noch faſt knabenhaftes Geſicht trug deutlich die Anzeichen größter Erregung und Furcht. Otto wußte bereits oder ahnte es gut genug, um was es ſich handelte. Der Diener hatte ihm gewiſſe Andeutungen gemacht. „Ihr wart geſtern Abend in der Waldſchenke?“ fragte der Graf und ſchaute die beiden Grünröcke ſo durchdringend an, daß ſie ihre Blicke ſenkten. „Was hattet Ihr da zu tun?“ Fortſ. f.

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 123, Marburg, 14.10.1909, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger123_1909/2>, abgerufen am 26.04.2024.