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Mainzer Journal. Nr. 265. Mainz, 8. November 1849.

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[Beginn Spaltensatz] unseren Wohlstand in Trümmer, unsere Civilisation in Barbarei
verwandeln. Seit länger als einem Jahre hören wir das unab-
lässige Dröhnen der Art, die Gebäude für Gebäude einschlägt;
Niemand aber ist da, der wieder aufbaut und wo auch der Wille
nicht fehlt, Neues wieder aufzubauen, da fehlen die Fähigkeit und
die Jntelligenz. Das Volk leidet an einer schweren Krankheit,
die kräftiger Heilmittel bedarf. Aber -- seltsamer Wahn! -- der
Fieberkranke glaubt, wenn er sein Lager oder sein Gewand wech-
selt, wenn er sich aus einem Gemache in das andere tragen läßt,
seines Leidens ledig zu werden. Nein, die innersten und edelsten
Lebensorgane sind von der [unleserliches Material - 4 Zeichen fehlen]Pest ergriffen! Während die Quelle
der Krankheit in der Entsittlichung liegt, in der seit Jahren syste-
matisch von der schlechten Presse eingeimpften Verachtung aller
Autorität und Gesetze in Kirche und Staat, in dem Luxus und
dem mit demselben Hand in Hand gehenden Pauperismus, in
dem Uebermuthe einer dünkelhaften, zuchtlosen Jugend, die sich
vermißt, in die wichtigsten Angelegenheiten des öffentlichen Lebens
maßgebend mit einzugreifen und, in der Familie selbst bevormun-
det, im Staate alle Behörden zu bevormunden; -- während dem
gibt man sich dem Wahne hin, durch äußere Dinge, durch poli-
tische Reformen, durch Verfassungsveränderungen den giftigen
Wurm zu tödten, der im Jnnersten der Familien seinen Sitz hat
und von da aus die Lebensorgane des Volkes zerstört. Alles
drängt nur nach dem politischen Gebiete; Alles sinnt nur politische
Associationen, politische Adressen, politische Wahlen -- die höheren
Jnteressen des Menschen, Zucht und Sitte, die Pflege der Reli-
gion, der Künste und Wissenschaften, sind vergessen. Man will
neue und immer neue bürgerliche Rechte, man sammelt reiche
Schätze politischer Berechtigungen -- aber man gewinnt die
elendeste Armuth an Humanität!

Wahrlich, es ist hohe Zeit, daß wir in dem Wettlaufe, in wel-
chem wir athemlos seit dem März vorigen Jahres immer neuen
Errungenschaften nachjagen, einmal stille stehen und einen Blick
zurückwerfen auf die Trümmer, die unsere Bahn bezeichnen. Aber
die Schuld trifft die vormärzliche Opposition, die, als
sie durch die revolutionären Bewegungen in die Ministerien be-
rufen wurde, nun keine höhere Aufgabe kannte, als um jeden Preis
ihre Popularität und damit ihre Ministersitze durch allen mög-
lichen Fluter zu befestigen, den man ohne Wahl und unbesorgt
um die an jeden zerstörenden Eingriff in das System der Staats-
zustände sich knüpfenden Folgen, in das Volk hinausschleuderte.
Die an das Ruder gelangten Herren von der vormärzlichen Op-
position errötheten nicht, Grundsätze gegenüber den Fürsten auf-
zustellen, die sie gegenüber dem Volke verleugneten und umgekehrt.
Ohne festes Princip durch das Drängen der großen Ereignisse
seit dem März v. J. hindurchsteuernd, hatten sie nur ein Ziel vor
Augen, für jede Eventualität ihr Ansehen, ihren Einfluß, ihre
Stellungen zu behaupten und den Glanz ihrer illüstren Namen
zu bewahren. Als vor einem Jahre Freiherr von Lepel zu
Frankfurt in seinem so bekannt gewordenen Promemoria das
Princip der Vereinbarung mit den deutschen Fürsten aufstellte
und darin aussprach, was Redlichkeit und Achtung der Rechte
Anderer anzuerkennen gebieten, da entstand ein Sturm gegen den
Ehrenmann in der Tagespresse; der Großh. hessische Minister
von Gagern rief ihn alsbald von seinem Posten zurück, er ließ
ihn fallen, er desavouirte, was er gesagt, denn es war nicht
zeitgemäß. Zeitgemäß
war es, als später der Präsident der
Nationalversammlung, Herr von Gagern, feierlich versicherte,
daß die Reichsverfassung von den Vertretern der Nation endgiltig
beschlossen und unter allen Umständen mit oder ohne Zustimmung
der Fürsten vom Volke festzuhalten sey. Und als mittlerweile die
Nationalversammlung in sich zerfalleu, die Gewalt der Fürsten wie-
der gekräftigt war, da sprach das Mitglied des ehemaligen Centrums,
Herr von Gagern, in der Gothaer Versammlung nun zeitge-
mäß
dasselbe Princip aus, was Herr von Lepel ein Jahr zuvor
in seinem Promemoria unzeitgemäß ausgesprochen und der
damalige hessische Minister zeitgemäß desavouirt hatte. Es
gibt eine Rückkehr von Monsheim, denkt Herr von Gagern.
Aber der Himmel möge mit seiner Weisheit den Sinn der deut-
schen Fürsten erleuchten, daß sie sich mit Räthen umgeben, die
nach festen Principien handeln und das Wohl des Volkes dem
jauchzenden Applaus einer unverständigen, politisch berauschten
Menge vorziehen!



Deutschland.

Wien 3. November. ( A. Z. ) Die Regierung hat durch einen
schönen Gnadenact bewiesen, daß sie auf dem Wege der Versöh-
nung in Ungarn vorwärtsschreiten will. Alle, welche zu Arrest-
strafen bis zu einem Jahre verurtheilt sind, haben bereits ihre
Freiheit erhalten. Bedenkt man, daß diese Kategorie in den ver-
schiedenen Gefängnissen ziemlich vertreten war, so kann man leicht
ermessen, daß ein nicht unbedeutender Theil der Gefängnißinsassen
[Spaltenumbruch] ihren Familien zurückgegeben worden ist. Durch die Bekannt-
machung der Reichsverfassung in Ungarn hat die Regierung end-
lich alle Zweifel über die künftige Stellung dieses jetzigen Kron-
landes gelöst. F. Z. M. Haynau wiederholt in der darauf be-
züglichen Proclamation den Ungarn die hochherzigen Worte aus
dem kaiserlichen Manifeste vom 4. März: "Völker Oesterreichs!
Schaaret euch um eueren Kaiser, umgebet ihn mit euerer Anhäng-
lichkeit und thätigen Mitwirkung, und die Reichsverfassung wird
kein todter Buchstabe bleiben. Sie wird zum Bollwerke werden
euerer Freiheit, zur Bürgschaft für die Macht, den Glanz, die
Einheit der Monarchie. Groß ist das Werk, aber gelingen wird
es den vereinten Kräften." Heute Nacht sind JJ. MM. der
Kaiser Ferdinand und Kaiserin Maria Anna hier angekommen
und sofort nach Schönbrunn gefahren. -- Es heißt, daß in näch-
ster Woche sämmtliche Provincialverfassungen in der Wiener
Zeitung erscheinen werden.

Mit dem 1. Januar soll der Belagerungszustand definitiv
aufgehoben werden. Eines der Hindernisse war bisher der Man-
gel an Gensdarmerie, deren Errichtung vorangehen muß. Die
Armee wird bereits in der Art reducirt, daß die "auf Kriegszeit"
Angeworbenen Entlassung nehmen können. Die Minister ent-
wickeln die regste Thätigkeit, aber in den mittleren Stellen gibt
sich eine Renitenz gegen die constitutionellen Neuerungen kund,
welche den Ministerien bereits Verlegenheiten bereitet. An unsere
Universität sollen viele Notabilitäten des Auslandes berufen
werden, Robert Mohl, Wackernagel, Hagen ( ? ) ; Wachsmuth
ist definitiv berufen, sowie Steinheil von München. Dieser
geniale Mann ist zwar zunächst zur Leitung des Telegraphen-
wesens bestimmt, aber auch in anderer Beziehung ein unschätz-
barer Gewinn für uns. Er hat bereits angenommen.

Wien 4. November. Die Königinnen von Preußen und
Sachsen wurden vom Kaiser in Feldmarschallsuniform mit der
Decoration des preußischen Schwarzen Adlerordens im Bahn-
hofe empfangen. Der Graf Grünne, der preußische und sächsische
Gesandte mit ihren Attaches in Uniform waren in des Kaisers
Begleitung. Der Kaiser begrüßte die Ankommenden auf das
Herzlichste und küßte denselben unter Entblösung des Hauptes zu
wiederholten Malen die Hände, worauf er von den hohen Frauen
auf die Wangen geküßt wurde. Erzherzog Ludwig wird noch im
Laufe des heutigen Tages in Schönbrunn erwartet. Es strö-
men Tausende von Menschen dorthin, um wo möglich einem
Theile der Festlichkeiten beizuwohnen. Se. K. H., der Erzher-
zog Franz Karl, hat aus Anlaß dieser Feier dem Gemeinderathe
der Stadt Wien einen Betrag von sechshundert Gulden C. M.
aus seiner Privatcasse mit der Widmung übergeben lassen, davon
fünfundzwanzig dürftige und würdige Ehepaare, welche Kinder
haben und in diesem Jahre dieselbe Feier begehen, nämlich
25 Jahre verheirathet sind -- und zwar jedes Paar mit 25 fl.
zu vertheilen.

Es wird das Gerücht von einer Hierherberufung des Pro-
fessors Phillips aus München verbreitet. Die "Ostdeutsche
Post," die gerade so stupid freisinnig zu seyn scheint wie das
Frankfurter Journal, äußert schon ihre [unleserliches Material - 9 Zeichen fehlen]Besorgniß darüber!

Der "Lloyd" dringt in den Handelsminister wegen der ver-
heißenen Berufung einer Commission aus verschiedenen Theilen
des Landes zur Herstellung der Landeswährung und besonders
zur Regelung der Bankverhältnisse, welche ein großer Theil des
Volkes sehnlich erwarte.

Die hiesigen Blätter legen ein großes Gewicht auf die Kund-
gebungen der "preußisch=deutschen" Organe über die österreichi-
schen "Vorschläge zur Zolleinigung." Es macht sich die Annahme
geltend, daß diese Vorschläge in Preußen Schrecken verbreitet und
der österreichischen Politik große Chancen bereiten müßten.

Berlin 6. November. ( N. Pr. Z. ) Die "Neue Preußische
Zeitung" hat die Reise des Herrn von Gagern bisher nur ironi-
sirt und es ist wahr, es liegt etwas unendlich Komisches in dieser
Zweckessentour des ehemaligen Präsidenten der Frankfurter Na-
tionalversammlung. Sie hat aber auch ihre ernstere Seite. Ga-
gern streut der Bremer und Hamburger Einwohnerschaft Weih-
rauch und spricht da bezeichnende Sachen. Zuerst deprecirt er,
als habe er in der Paulskirche das Princip der Volkssouveräni-
tät proclamirt: dann erklärt er, daß die Grundrechte gar vieles
Verderbliche und Schädliche enthielten: dann spricht er sich gegen
das suspensive Veto und gegen das Wahlgesetz auf der breitesten
Grundlage aus: endlich schließt er sich dem Dreikönigsentwurfe
an, weil die Hauptsache sey, nur erst wieder eine Volksvertretung
zu gewinnen; das Weitere werde sich dann finden, Preußens
Uebergewicht brauche man nicht zu fürchten, denn seine Volksstämme
bildeten kein compactes homogenes Ganze und die Deputirten der
Rheinlande, Westphalens, Schlesiens und Sachsens würden eher
mit Bayern und Württemberg als im Preußischen Jnteresse stimmen.
Prüfen wir nun die ersteren Sätzen genauer, so stoßen wir auf
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] unseren Wohlstand in Trümmer, unsere Civilisation in Barbarei
verwandeln. Seit länger als einem Jahre hören wir das unab-
lässige Dröhnen der Art, die Gebäude für Gebäude einschlägt;
Niemand aber ist da, der wieder aufbaut und wo auch der Wille
nicht fehlt, Neues wieder aufzubauen, da fehlen die Fähigkeit und
die Jntelligenz. Das Volk leidet an einer schweren Krankheit,
die kräftiger Heilmittel bedarf. Aber — seltsamer Wahn! — der
Fieberkranke glaubt, wenn er sein Lager oder sein Gewand wech-
selt, wenn er sich aus einem Gemache in das andere tragen läßt,
seines Leidens ledig zu werden. Nein, die innersten und edelsten
Lebensorgane sind von der [unleserliches Material – 4 Zeichen fehlen]Pest ergriffen! Während die Quelle
der Krankheit in der Entsittlichung liegt, in der seit Jahren syste-
matisch von der schlechten Presse eingeimpften Verachtung aller
Autorität und Gesetze in Kirche und Staat, in dem Luxus und
dem mit demselben Hand in Hand gehenden Pauperismus, in
dem Uebermuthe einer dünkelhaften, zuchtlosen Jugend, die sich
vermißt, in die wichtigsten Angelegenheiten des öffentlichen Lebens
maßgebend mit einzugreifen und, in der Familie selbst bevormun-
det, im Staate alle Behörden zu bevormunden; — während dem
gibt man sich dem Wahne hin, durch äußere Dinge, durch poli-
tische Reformen, durch Verfassungsveränderungen den giftigen
Wurm zu tödten, der im Jnnersten der Familien seinen Sitz hat
und von da aus die Lebensorgane des Volkes zerstört. Alles
drängt nur nach dem politischen Gebiete; Alles sinnt nur politische
Associationen, politische Adressen, politische Wahlen — die höheren
Jnteressen des Menschen, Zucht und Sitte, die Pflege der Reli-
gion, der Künste und Wissenschaften, sind vergessen. Man will
neue und immer neue bürgerliche Rechte, man sammelt reiche
Schätze politischer Berechtigungen — aber man gewinnt die
elendeste Armuth an Humanität!

Wahrlich, es ist hohe Zeit, daß wir in dem Wettlaufe, in wel-
chem wir athemlos seit dem März vorigen Jahres immer neuen
Errungenschaften nachjagen, einmal stille stehen und einen Blick
zurückwerfen auf die Trümmer, die unsere Bahn bezeichnen. Aber
die Schuld trifft die vormärzliche Opposition, die, als
sie durch die revolutionären Bewegungen in die Ministerien be-
rufen wurde, nun keine höhere Aufgabe kannte, als um jeden Preis
ihre Popularität und damit ihre Ministersitze durch allen mög-
lichen Fluter zu befestigen, den man ohne Wahl und unbesorgt
um die an jeden zerstörenden Eingriff in das System der Staats-
zustände sich knüpfenden Folgen, in das Volk hinausschleuderte.
Die an das Ruder gelangten Herren von der vormärzlichen Op-
position errötheten nicht, Grundsätze gegenüber den Fürsten auf-
zustellen, die sie gegenüber dem Volke verleugneten und umgekehrt.
Ohne festes Princip durch das Drängen der großen Ereignisse
seit dem März v. J. hindurchsteuernd, hatten sie nur ein Ziel vor
Augen, für jede Eventualität ihr Ansehen, ihren Einfluß, ihre
Stellungen zu behaupten und den Glanz ihrer illüstren Namen
zu bewahren. Als vor einem Jahre Freiherr von Lepel zu
Frankfurt in seinem so bekannt gewordenen Promemoria das
Princip der Vereinbarung mit den deutschen Fürsten aufstellte
und darin aussprach, was Redlichkeit und Achtung der Rechte
Anderer anzuerkennen gebieten, da entstand ein Sturm gegen den
Ehrenmann in der Tagespresse; der Großh. hessische Minister
von Gagern rief ihn alsbald von seinem Posten zurück, er ließ
ihn fallen, er desavouirte, was er gesagt, denn es war nicht
zeitgemäß. Zeitgemäß
war es, als später der Präsident der
Nationalversammlung, Herr von Gagern, feierlich versicherte,
daß die Reichsverfassung von den Vertretern der Nation endgiltig
beschlossen und unter allen Umständen mit oder ohne Zustimmung
der Fürsten vom Volke festzuhalten sey. Und als mittlerweile die
Nationalversammlung in sich zerfalleu, die Gewalt der Fürsten wie-
der gekräftigt war, da sprach das Mitglied des ehemaligen Centrums,
Herr von Gagern, in der Gothaer Versammlung nun zeitge-
mäß
dasselbe Princip aus, was Herr von Lepel ein Jahr zuvor
in seinem Promemoria unzeitgemäß ausgesprochen und der
damalige hessische Minister zeitgemäß desavouirt hatte. Es
gibt eine Rückkehr von Monsheim, denkt Herr von Gagern.
Aber der Himmel möge mit seiner Weisheit den Sinn der deut-
schen Fürsten erleuchten, daß sie sich mit Räthen umgeben, die
nach festen Principien handeln und das Wohl des Volkes dem
jauchzenden Applaus einer unverständigen, politisch berauschten
Menge vorziehen!



Deutschland.

Wien 3. November. ( A. Z. ) Die Regierung hat durch einen
schönen Gnadenact bewiesen, daß sie auf dem Wege der Versöh-
nung in Ungarn vorwärtsschreiten will. Alle, welche zu Arrest-
strafen bis zu einem Jahre verurtheilt sind, haben bereits ihre
Freiheit erhalten. Bedenkt man, daß diese Kategorie in den ver-
schiedenen Gefängnissen ziemlich vertreten war, so kann man leicht
ermessen, daß ein nicht unbedeutender Theil der Gefängnißinsassen
[Spaltenumbruch] ihren Familien zurückgegeben worden ist. Durch die Bekannt-
machung der Reichsverfassung in Ungarn hat die Regierung end-
lich alle Zweifel über die künftige Stellung dieses jetzigen Kron-
landes gelöst. F. Z. M. Haynau wiederholt in der darauf be-
züglichen Proclamation den Ungarn die hochherzigen Worte aus
dem kaiserlichen Manifeste vom 4. März: „Völker Oesterreichs!
Schaaret euch um eueren Kaiser, umgebet ihn mit euerer Anhäng-
lichkeit und thätigen Mitwirkung, und die Reichsverfassung wird
kein todter Buchstabe bleiben. Sie wird zum Bollwerke werden
euerer Freiheit, zur Bürgschaft für die Macht, den Glanz, die
Einheit der Monarchie. Groß ist das Werk, aber gelingen wird
es den vereinten Kräften.“ Heute Nacht sind JJ. MM. der
Kaiser Ferdinand und Kaiserin Maria Anna hier angekommen
und sofort nach Schönbrunn gefahren. — Es heißt, daß in näch-
ster Woche sämmtliche Provincialverfassungen in der Wiener
Zeitung erscheinen werden.

Mit dem 1. Januar soll der Belagerungszustand definitiv
aufgehoben werden. Eines der Hindernisse war bisher der Man-
gel an Gensdarmerie, deren Errichtung vorangehen muß. Die
Armee wird bereits in der Art reducirt, daß die „auf Kriegszeit“
Angeworbenen Entlassung nehmen können. Die Minister ent-
wickeln die regste Thätigkeit, aber in den mittleren Stellen gibt
sich eine Renitenz gegen die constitutionellen Neuerungen kund,
welche den Ministerien bereits Verlegenheiten bereitet. An unsere
Universität sollen viele Notabilitäten des Auslandes berufen
werden, Robert Mohl, Wackernagel, Hagen ( ? ) ; Wachsmuth
ist definitiv berufen, sowie Steinheil von München. Dieser
geniale Mann ist zwar zunächst zur Leitung des Telegraphen-
wesens bestimmt, aber auch in anderer Beziehung ein unschätz-
barer Gewinn für uns. Er hat bereits angenommen.

Wien 4. November. Die Königinnen von Preußen und
Sachsen wurden vom Kaiser in Feldmarschallsuniform mit der
Decoration des preußischen Schwarzen Adlerordens im Bahn-
hofe empfangen. Der Graf Grünne, der preußische und sächsische
Gesandte mit ihren Attachés in Uniform waren in des Kaisers
Begleitung. Der Kaiser begrüßte die Ankommenden auf das
Herzlichste und küßte denselben unter Entblösung des Hauptes zu
wiederholten Malen die Hände, worauf er von den hohen Frauen
auf die Wangen geküßt wurde. Erzherzog Ludwig wird noch im
Laufe des heutigen Tages in Schönbrunn erwartet. Es strö-
men Tausende von Menschen dorthin, um wo möglich einem
Theile der Festlichkeiten beizuwohnen. Se. K. H., der Erzher-
zog Franz Karl, hat aus Anlaß dieser Feier dem Gemeinderathe
der Stadt Wien einen Betrag von sechshundert Gulden C. M.
aus seiner Privatcasse mit der Widmung übergeben lassen, davon
fünfundzwanzig dürftige und würdige Ehepaare, welche Kinder
haben und in diesem Jahre dieselbe Feier begehen, nämlich
25 Jahre verheirathet sind — und zwar jedes Paar mit 25 fl.
zu vertheilen.

Es wird das Gerücht von einer Hierherberufung des Pro-
fessors Phillips aus München verbreitet. Die „Ostdeutsche
Post,“ die gerade so stupid freisinnig zu seyn scheint wie das
Frankfurter Journal, äußert schon ihre [unleserliches Material – 9 Zeichen fehlen]Besorgniß darüber!

Der „Lloyd“ dringt in den Handelsminister wegen der ver-
heißenen Berufung einer Commission aus verschiedenen Theilen
des Landes zur Herstellung der Landeswährung und besonders
zur Regelung der Bankverhältnisse, welche ein großer Theil des
Volkes sehnlich erwarte.

Die hiesigen Blätter legen ein großes Gewicht auf die Kund-
gebungen der „preußisch=deutschen“ Organe über die österreichi-
schen „Vorschläge zur Zolleinigung.“ Es macht sich die Annahme
geltend, daß diese Vorschläge in Preußen Schrecken verbreitet und
der österreichischen Politik große Chancen bereiten müßten.

Berlin 6. November. ( N. Pr. Z. ) Die „Neue Preußische
Zeitung“ hat die Reise des Herrn von Gagern bisher nur ironi-
sirt und es ist wahr, es liegt etwas unendlich Komisches in dieser
Zweckessentour des ehemaligen Präsidenten der Frankfurter Na-
tionalversammlung. Sie hat aber auch ihre ernstere Seite. Ga-
gern streut der Bremer und Hamburger Einwohnerschaft Weih-
rauch und spricht da bezeichnende Sachen. Zuerst deprecirt er,
als habe er in der Paulskirche das Princip der Volkssouveräni-
tät proclamirt: dann erklärt er, daß die Grundrechte gar vieles
Verderbliche und Schädliche enthielten: dann spricht er sich gegen
das suspensive Veto und gegen das Wahlgesetz auf der breitesten
Grundlage aus: endlich schließt er sich dem Dreikönigsentwurfe
an, weil die Hauptsache sey, nur erst wieder eine Volksvertretung
zu gewinnen; das Weitere werde sich dann finden, Preußens
Uebergewicht brauche man nicht zu fürchten, denn seine Volksstämme
bildeten kein compactes homogenes Ganze und die Deputirten der
Rheinlande, Westphalens, Schlesiens und Sachsens würden eher
mit Bayern und Württemberg als im Preußischen Jnteresse stimmen.
Prüfen wir nun die ersteren Sätzen genauer, so stoßen wir auf
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[0002] unseren Wohlstand in Trümmer, unsere Civilisation in Barbarei verwandeln. Seit länger als einem Jahre hören wir das unab- lässige Dröhnen der Art, die Gebäude für Gebäude einschlägt; Niemand aber ist da, der wieder aufbaut und wo auch der Wille nicht fehlt, Neues wieder aufzubauen, da fehlen die Fähigkeit und die Jntelligenz. Das Volk leidet an einer schweren Krankheit, die kräftiger Heilmittel bedarf. Aber — seltsamer Wahn! — der Fieberkranke glaubt, wenn er sein Lager oder sein Gewand wech- selt, wenn er sich aus einem Gemache in das andere tragen läßt, seines Leidens ledig zu werden. Nein, die innersten und edelsten Lebensorgane sind von der ____Pest ergriffen! Während die Quelle der Krankheit in der Entsittlichung liegt, in der seit Jahren syste- matisch von der schlechten Presse eingeimpften Verachtung aller Autorität und Gesetze in Kirche und Staat, in dem Luxus und dem mit demselben Hand in Hand gehenden Pauperismus, in dem Uebermuthe einer dünkelhaften, zuchtlosen Jugend, die sich vermißt, in die wichtigsten Angelegenheiten des öffentlichen Lebens maßgebend mit einzugreifen und, in der Familie selbst bevormun- det, im Staate alle Behörden zu bevormunden; — während dem gibt man sich dem Wahne hin, durch äußere Dinge, durch poli- tische Reformen, durch Verfassungsveränderungen den giftigen Wurm zu tödten, der im Jnnersten der Familien seinen Sitz hat und von da aus die Lebensorgane des Volkes zerstört. Alles drängt nur nach dem politischen Gebiete; Alles sinnt nur politische Associationen, politische Adressen, politische Wahlen — die höheren Jnteressen des Menschen, Zucht und Sitte, die Pflege der Reli- gion, der Künste und Wissenschaften, sind vergessen. Man will neue und immer neue bürgerliche Rechte, man sammelt reiche Schätze politischer Berechtigungen — aber man gewinnt die elendeste Armuth an Humanität! Wahrlich, es ist hohe Zeit, daß wir in dem Wettlaufe, in wel- chem wir athemlos seit dem März vorigen Jahres immer neuen Errungenschaften nachjagen, einmal stille stehen und einen Blick zurückwerfen auf die Trümmer, die unsere Bahn bezeichnen. Aber die Schuld trifft die vormärzliche Opposition, die, als sie durch die revolutionären Bewegungen in die Ministerien be- rufen wurde, nun keine höhere Aufgabe kannte, als um jeden Preis ihre Popularität und damit ihre Ministersitze durch allen mög- lichen Fluter zu befestigen, den man ohne Wahl und unbesorgt um die an jeden zerstörenden Eingriff in das System der Staats- zustände sich knüpfenden Folgen, in das Volk hinausschleuderte. Die an das Ruder gelangten Herren von der vormärzlichen Op- position errötheten nicht, Grundsätze gegenüber den Fürsten auf- zustellen, die sie gegenüber dem Volke verleugneten und umgekehrt. Ohne festes Princip durch das Drängen der großen Ereignisse seit dem März v. J. hindurchsteuernd, hatten sie nur ein Ziel vor Augen, für jede Eventualität ihr Ansehen, ihren Einfluß, ihre Stellungen zu behaupten und den Glanz ihrer illüstren Namen zu bewahren. Als vor einem Jahre Freiherr von Lepel zu Frankfurt in seinem so bekannt gewordenen Promemoria das Princip der Vereinbarung mit den deutschen Fürsten aufstellte und darin aussprach, was Redlichkeit und Achtung der Rechte Anderer anzuerkennen gebieten, da entstand ein Sturm gegen den Ehrenmann in der Tagespresse; der Großh. hessische Minister von Gagern rief ihn alsbald von seinem Posten zurück, er ließ ihn fallen, er desavouirte, was er gesagt, denn es war nicht zeitgemäß. Zeitgemäß war es, als später der Präsident der Nationalversammlung, Herr von Gagern, feierlich versicherte, daß die Reichsverfassung von den Vertretern der Nation endgiltig beschlossen und unter allen Umständen mit oder ohne Zustimmung der Fürsten vom Volke festzuhalten sey. Und als mittlerweile die Nationalversammlung in sich zerfalleu, die Gewalt der Fürsten wie- der gekräftigt war, da sprach das Mitglied des ehemaligen Centrums, Herr von Gagern, in der Gothaer Versammlung nun zeitge- mäß dasselbe Princip aus, was Herr von Lepel ein Jahr zuvor in seinem Promemoria unzeitgemäß ausgesprochen und der damalige hessische Minister zeitgemäß desavouirt hatte. Es gibt eine Rückkehr von Monsheim, denkt Herr von Gagern. Aber der Himmel möge mit seiner Weisheit den Sinn der deut- schen Fürsten erleuchten, daß sie sich mit Räthen umgeben, die nach festen Principien handeln und das Wohl des Volkes dem jauchzenden Applaus einer unverständigen, politisch berauschten Menge vorziehen! Deutschland. Wien 3. November. ( A. Z. ) Die Regierung hat durch einen schönen Gnadenact bewiesen, daß sie auf dem Wege der Versöh- nung in Ungarn vorwärtsschreiten will. Alle, welche zu Arrest- strafen bis zu einem Jahre verurtheilt sind, haben bereits ihre Freiheit erhalten. Bedenkt man, daß diese Kategorie in den ver- schiedenen Gefängnissen ziemlich vertreten war, so kann man leicht ermessen, daß ein nicht unbedeutender Theil der Gefängnißinsassen ihren Familien zurückgegeben worden ist. Durch die Bekannt- machung der Reichsverfassung in Ungarn hat die Regierung end- lich alle Zweifel über die künftige Stellung dieses jetzigen Kron- landes gelöst. F. Z. M. Haynau wiederholt in der darauf be- züglichen Proclamation den Ungarn die hochherzigen Worte aus dem kaiserlichen Manifeste vom 4. März: „Völker Oesterreichs! Schaaret euch um eueren Kaiser, umgebet ihn mit euerer Anhäng- lichkeit und thätigen Mitwirkung, und die Reichsverfassung wird kein todter Buchstabe bleiben. Sie wird zum Bollwerke werden euerer Freiheit, zur Bürgschaft für die Macht, den Glanz, die Einheit der Monarchie. Groß ist das Werk, aber gelingen wird es den vereinten Kräften.“ Heute Nacht sind JJ. MM. der Kaiser Ferdinand und Kaiserin Maria Anna hier angekommen und sofort nach Schönbrunn gefahren. — Es heißt, daß in näch- ster Woche sämmtliche Provincialverfassungen in der Wiener Zeitung erscheinen werden. Mit dem 1. Januar soll der Belagerungszustand definitiv aufgehoben werden. Eines der Hindernisse war bisher der Man- gel an Gensdarmerie, deren Errichtung vorangehen muß. Die Armee wird bereits in der Art reducirt, daß die „auf Kriegszeit“ Angeworbenen Entlassung nehmen können. Die Minister ent- wickeln die regste Thätigkeit, aber in den mittleren Stellen gibt sich eine Renitenz gegen die constitutionellen Neuerungen kund, welche den Ministerien bereits Verlegenheiten bereitet. An unsere Universität sollen viele Notabilitäten des Auslandes berufen werden, Robert Mohl, Wackernagel, Hagen ( ? ) ; Wachsmuth ist definitiv berufen, sowie Steinheil von München. Dieser geniale Mann ist zwar zunächst zur Leitung des Telegraphen- wesens bestimmt, aber auch in anderer Beziehung ein unschätz- barer Gewinn für uns. Er hat bereits angenommen. Wien 4. November. Die Königinnen von Preußen und Sachsen wurden vom Kaiser in Feldmarschallsuniform mit der Decoration des preußischen Schwarzen Adlerordens im Bahn- hofe empfangen. Der Graf Grünne, der preußische und sächsische Gesandte mit ihren Attachés in Uniform waren in des Kaisers Begleitung. Der Kaiser begrüßte die Ankommenden auf das Herzlichste und küßte denselben unter Entblösung des Hauptes zu wiederholten Malen die Hände, worauf er von den hohen Frauen auf die Wangen geküßt wurde. Erzherzog Ludwig wird noch im Laufe des heutigen Tages in Schönbrunn erwartet. Es strö- men Tausende von Menschen dorthin, um wo möglich einem Theile der Festlichkeiten beizuwohnen. Se. K. H., der Erzher- zog Franz Karl, hat aus Anlaß dieser Feier dem Gemeinderathe der Stadt Wien einen Betrag von sechshundert Gulden C. M. aus seiner Privatcasse mit der Widmung übergeben lassen, davon fünfundzwanzig dürftige und würdige Ehepaare, welche Kinder haben und in diesem Jahre dieselbe Feier begehen, nämlich 25 Jahre verheirathet sind — und zwar jedes Paar mit 25 fl. zu vertheilen. Es wird das Gerücht von einer Hierherberufung des Pro- fessors Phillips aus München verbreitet. Die „Ostdeutsche Post,“ die gerade so stupid freisinnig zu seyn scheint wie das Frankfurter Journal, äußert schon ihre _________Besorgniß darüber! Der „Lloyd“ dringt in den Handelsminister wegen der ver- heißenen Berufung einer Commission aus verschiedenen Theilen des Landes zur Herstellung der Landeswährung und besonders zur Regelung der Bankverhältnisse, welche ein großer Theil des Volkes sehnlich erwarte. Die hiesigen Blätter legen ein großes Gewicht auf die Kund- gebungen der „preußisch=deutschen“ Organe über die österreichi- schen „Vorschläge zur Zolleinigung.“ Es macht sich die Annahme geltend, daß diese Vorschläge in Preußen Schrecken verbreitet und der österreichischen Politik große Chancen bereiten müßten. Berlin 6. November. ( N. Pr. Z. ) Die „Neue Preußische Zeitung“ hat die Reise des Herrn von Gagern bisher nur ironi- sirt und es ist wahr, es liegt etwas unendlich Komisches in dieser Zweckessentour des ehemaligen Präsidenten der Frankfurter Na- tionalversammlung. Sie hat aber auch ihre ernstere Seite. Ga- gern streut der Bremer und Hamburger Einwohnerschaft Weih- rauch und spricht da bezeichnende Sachen. Zuerst deprecirt er, als habe er in der Paulskirche das Princip der Volkssouveräni- tät proclamirt: dann erklärt er, daß die Grundrechte gar vieles Verderbliche und Schädliche enthielten: dann spricht er sich gegen das suspensive Veto und gegen das Wahlgesetz auf der breitesten Grundlage aus: endlich schließt er sich dem Dreikönigsentwurfe an, weil die Hauptsache sey, nur erst wieder eine Volksvertretung zu gewinnen; das Weitere werde sich dann finden, Preußens Uebergewicht brauche man nicht zu fürchten, denn seine Volksstämme bildeten kein compactes homogenes Ganze und die Deputirten der Rheinlande, Westphalens, Schlesiens und Sachsens würden eher mit Bayern und Württemberg als im Preußischen Jnteresse stimmen. Prüfen wir nun die ersteren Sätzen genauer, so stoßen wir auf

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 265. Mainz, 8. November 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal265_1849/2>, abgerufen am 04.06.2024.