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Mainzer Journal. Nr. 251. Mainz, 22. Oktober 1849.

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Mainzer Journal.


Nro 251. Montag, den 22. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Gagerns Bekenntnisse beim Festmahle in
Bremen.

Wir bedauern, so bemerkt die "Weserzeitung," die Rede Ga-
gerns nicht wörtlich mittheilen zu können, was indessen unsere
Leser entschuldigen werden, wenn wir bemerken, daß dieselbe einen
Rückblick auf seine gesammte politische Thätigkeit seit dem März
1848, eine Rechenschaftsablage gleichsam von seinen Leistungen
umfaßte und sich von den Anfängen eines Toastes zu einer voll-
ständigen politischen Rede erhob. Der Gedankengang dieses Vor-
trages, welcher über anderthalb Stunden währte, war in Kürze
folgender:

Der Redner wies zunächst die Anwendung zurück, welche der
erste Trinkspruch nach der Schilderung eines deutschen Muster-
staatsmannes auf seine Person gemacht hatte, nicht aus Beschei-
denheit, sagte er, sondern weil er überzeugt sey, daß dieser
Schilderung in Deutschland keiner der Lebenden entspreche. Wenn
er hätte ahnen können, an welchen Posten die letzten zwei Jahre
ihn stellen würden, so würde er jetzt im Nordwesten Deutschlands
nicht als Fremdling erscheinen, er würde es für seine Pflicht ge-
halten haben, schon längst die wichtigen Jnteressen, die der Nord-
westen vertritt, durch eigene Anschauung kennen zu lernen. Nicht
innerer Beruf aber, nicht Bewußtseyn überragender Kraft, son-
dern äußere Nothwendigkeit habe ihn im vorigen Jahre an seinen
Platz gestellt, und oft genug habe er schmerzlich beklagt, daß so
ungeheuere Aufgaben so kleine Kräfte vorfanden. Auch nichts
Neues, nicht eigene Gedanken habe er verfolgt, sondern nur was
seit Jahrzehenden in den Besten und Einsichtsvollsten der Nation
von lange her vorbereitet wurde. Nicht der Februarsturm in
Frankreich sey es, der die deutsche Bewegung hervorgerufen, son-
dern im Vaterlande selbst, in den deutschen Gemüthern sey sie zur
Reife gediehen. Er fühle sich gedrungen, vor dieser Versamm-
lung einmal ausführlich über seine und seiner Freunde Bestre-
bungen, die Zielscheibe der verschiedenartigsten Angriffe, sich aus-
zusprechen, wenn auch auf die Gefahr hin die Geduld der Zuhörer
allzusehr in Anspruch zu nehmen.

Der Redner schilderte nun die unruhige Zeit des Vorparla-
mentes, des Fünfzigerausschusses, von deren Anarchie und Ver-
wirrung man hier im Norden sich kaum einen Begriff mache.
Alle Autorität verschwunden, der Bundestag ohnmächtig, Preu-
ßen den Geboten des Fünfzigerausschusses gehorchend. Da habe
er eingesehen, daß um dem einbrechenden Chaos -- schon stand
in Baden die Revolution und der Vaterlandsverrath in Waffen
-- einen Damm entgegenzusetzen, eine höchste Autorität herge-
stellt werden müsse, deren Gewalt die Gesammtheit des Vater-
landes vertrete, gegen deren Aussprüche ein einzelnes Bruchtheil
des Ganzen sich nur rebellirend erheben dürfe. Jn diesem Sinne,
in dem Sinne, daß die Theile dem Ganzen untergeordnet seyen,
habe er in der Paulskirche die Nationalsouveränität pro-
clamirt, die Souveränität der gesammten Nation im Ge-
gensatze zu einzelnen Factionen und Theilen, nicht, wie man es
ihm so oft auslege, die Volkssouveränität. Diese Natio-
nalsouveränität zu vertreten, sey in ganz Deutschland keine an-
dere Autorität vorhanden gewesen, als das Parlament; dem
Parlamente habe er sie daher vindicirt. Damals habe man hoffen
können, daß dies Parlament, auf den Bahnen der Mäßigung
wandelnd, Deutschland in einen geordneten Zustand hinüberfüh-
ren werde. Man habe ihn damals in der hessischen Ständever-
sammlung gefragt: "Wird man den Beschlüssen des Parlamen-
tes gehorchen?" Er habe geantwortet: "Ja, man wird ihnen
gehorchen, wenn die Beschlüsse mit großen Majoritäten und mit
Rücksicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Nation gefaßt wer-
den." Von Haus aus war die Majorität des Parlamentes con-
servativ gesinnt; unglücklicher Weise aber hatte sie keine starke
Regierung zur Seite, an der sie einen Rückhalt hätte finden, von
welcher sie auf diesem Wege hätte erhalten werden können. Jm
Gegentheile schwächte sich allmälig ohne die Schuld ( ? ) der con-
servativen Partei im Laufe der Begebenheiten dieser Charakter
[Spaltenumbruch] der Versammlung. Die katholische Partei verließ die Paulskirche,
sobald sie die Kirchen= und Schulfrage entschieden sah; die öster-
reichische Partei ging sogar in das Heerlager der Gegner über,
als sie sah, daß die Majorität darauf ausgehe, Preußen an die
Spitze Deutschlands zu stellen.

Der Redner entwickelte nun ausführlich seine Ansicht über die
preußische Hegemonie und das Verhältniß Oesterreichs zu Deutsch-
land. Nachdem er gezeigt, wie man Oesterreich nicht habe zu-
muthen können seine vielgestaltigen Jnteressen abhängig zu machen
von einer rein deutschen Centralregierung, erörterte er Preußens
Beruf
diese rein deutsche Centralregierung zu übernehmen. Nur
darauf habe es ankommen müssen in die Verfassung des Reiches
solche Bestimmungen aufzunehmen, welche eine Garantie dafür
böten, daß diese Macht auch wirklich die Jnteressen der Nation
wahrnehme, daß nicht unter dem Titel einer deutschen eine preu-
ßische Verwaltung sich festsetze. Gegen eine solche preußische Ver-
waltung würde man im Süden ebenso eingenommen seyn wie nur
immer in Hannover oder den Hansestädten. Solche Garantien habe
nun die in Frankfurt festgestellte Verfassung dargeboten; er seiner-
seits glaube, wenn man diese Verfassung hingenommen hätte als
einen Compromiß zwischen den Parteien, das Werk
würde wohl gelungen seyn. Man mache es dem Parlamente zum
Vorwurfe, daß es sich auf Vereinbarung mit den Re-
gierungen
nicht habe einlassen wollen; darauf antworte er,
die Majorität des Parlamentes würde von Herzen gern die Hand
zur Vereinbarung geboten haben, wenn nicht eine solche Verein-
barung eine absolute Unmöglichkeit gewesen wäre. Eine
Unmöglichkeit, das lehre die heutige Zeit. Das Parlament habe
nur sagen können: da ist unser Werk, hervorgegangen aus end-
losen Anstrengungen und Parteikämpfen: wir übergeben es der
Nation; es ins Leben zu führen, fehlt uns die Macht.

Wenn man nun ihn frage, ob er dieses Werk in allen Stücken
billige, so müsse er entschieden mit Nein antworten. Nicht
allein, daß er sehr wohl wisse, wie die Grundrechte gar
vieles Verderbliche und Schädliche enthielten, auch gegen die
Verfssung selbst seyen der Bedenken mehrere. Was nun seine
Person betreffe, so müsse er erinnern, daß er im Verfassungsaus-
schusse selbst nicht thätig gewesen sey, und er könne nicht verhehlen,
daß es namentlich drei Punkte seyen, welche er nicht gebilligt
habe. Zunächst das suspensive Veto. Es möge seyn, daß
an diesem suspensiven Veto die ganze Verfassung gescheitert sey.
Er mache dem Könige von Preußen einen Vorwurf nicht daraus.
daß er die Krone mit dieser Verfassung nicht angenommen hat;
er beklage es vielleicht, aber er könne auch nicht verkennen, daß
der König große und gewichtige Rücksichten habe nehmen müssen.
Dann das Wahlgesetz. Die Erfahrung, wenigstens im
Süden Deutschlands, lehre, daß bei Wahlen auf der so-
genannten breitesten Grundlage diejenigen Clas-
sen der Bevölkerung zur Geltung kämen, bei denen
politische Einsicht am wenigsten verbreitet sey.

Aber, um nur zu Etwas zu kommen, habe er geglaubt, dies
Wahlgesetz sich gefallen lassen zu dürfen, er habe gehofft, wenn
nun im Mai die Verfassung angenommen, der Reichstag berufen
worden wäre, bei der damaligen Stimmung, dem herrschenden
Enthusiasmus, gute Wahlen zu Stande gekommen seyn würden.
Auch gegen den Kaisertitel sey er gewesen, aber seine Freunde
hätten darauf bestanden, diesen Titel, der einmal in der Geschichte
unseres Volkes gegeben sey, dessen Bedeutung wenigstens in den
Gebildeten fortlebe, beizubehalten. Er erlaube sich bei dieser Ge-
legenheit eines Wortes Erwähnung zu thun, was Se. Maj. der
König von Preußen ihm in einer Privatunterredung geäußert
habe, weil es den König hoch ehre: "Wie können Sie von mir
verlangen, daß ich Kaiser werde, während sich die Vorgänger
mit ihrem Kaisertitel Mehrer des Reiches nannten?"

Der Redner fuhr hierauf folgendermaßen fort: Was ist denn
nun der Stand der Dinge? An was können sich unsere Hoff-
nungen noch halten? Es ist von der preußischen Regierung ein
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Nro 251. Montag, den 22. October. 1849.


[Beginn Spaltensatz]
Gagerns Bekenntnisse beim Festmahle in
Bremen.

Wir bedauern, so bemerkt die „Weserzeitung,“ die Rede Ga-
gerns nicht wörtlich mittheilen zu können, was indessen unsere
Leser entschuldigen werden, wenn wir bemerken, daß dieselbe einen
Rückblick auf seine gesammte politische Thätigkeit seit dem März
1848, eine Rechenschaftsablage gleichsam von seinen Leistungen
umfaßte und sich von den Anfängen eines Toastes zu einer voll-
ständigen politischen Rede erhob. Der Gedankengang dieses Vor-
trages, welcher über anderthalb Stunden währte, war in Kürze
folgender:

Der Redner wies zunächst die Anwendung zurück, welche der
erste Trinkspruch nach der Schilderung eines deutschen Muster-
staatsmannes auf seine Person gemacht hatte, nicht aus Beschei-
denheit, sagte er, sondern weil er überzeugt sey, daß dieser
Schilderung in Deutschland keiner der Lebenden entspreche. Wenn
er hätte ahnen können, an welchen Posten die letzten zwei Jahre
ihn stellen würden, so würde er jetzt im Nordwesten Deutschlands
nicht als Fremdling erscheinen, er würde es für seine Pflicht ge-
halten haben, schon längst die wichtigen Jnteressen, die der Nord-
westen vertritt, durch eigene Anschauung kennen zu lernen. Nicht
innerer Beruf aber, nicht Bewußtseyn überragender Kraft, son-
dern äußere Nothwendigkeit habe ihn im vorigen Jahre an seinen
Platz gestellt, und oft genug habe er schmerzlich beklagt, daß so
ungeheuere Aufgaben so kleine Kräfte vorfanden. Auch nichts
Neues, nicht eigene Gedanken habe er verfolgt, sondern nur was
seit Jahrzehenden in den Besten und Einsichtsvollsten der Nation
von lange her vorbereitet wurde. Nicht der Februarsturm in
Frankreich sey es, der die deutsche Bewegung hervorgerufen, son-
dern im Vaterlande selbst, in den deutschen Gemüthern sey sie zur
Reife gediehen. Er fühle sich gedrungen, vor dieser Versamm-
lung einmal ausführlich über seine und seiner Freunde Bestre-
bungen, die Zielscheibe der verschiedenartigsten Angriffe, sich aus-
zusprechen, wenn auch auf die Gefahr hin die Geduld der Zuhörer
allzusehr in Anspruch zu nehmen.

Der Redner schilderte nun die unruhige Zeit des Vorparla-
mentes, des Fünfzigerausschusses, von deren Anarchie und Ver-
wirrung man hier im Norden sich kaum einen Begriff mache.
Alle Autorität verschwunden, der Bundestag ohnmächtig, Preu-
ßen den Geboten des Fünfzigerausschusses gehorchend. Da habe
er eingesehen, daß um dem einbrechenden Chaos — schon stand
in Baden die Revolution und der Vaterlandsverrath in Waffen
— einen Damm entgegenzusetzen, eine höchste Autorität herge-
stellt werden müsse, deren Gewalt die Gesammtheit des Vater-
landes vertrete, gegen deren Aussprüche ein einzelnes Bruchtheil
des Ganzen sich nur rebellirend erheben dürfe. Jn diesem Sinne,
in dem Sinne, daß die Theile dem Ganzen untergeordnet seyen,
habe er in der Paulskirche die Nationalsouveränität pro-
clamirt, die Souveränität der gesammten Nation im Ge-
gensatze zu einzelnen Factionen und Theilen, nicht, wie man es
ihm so oft auslege, die Volkssouveränität. Diese Natio-
nalsouveränität zu vertreten, sey in ganz Deutschland keine an-
dere Autorität vorhanden gewesen, als das Parlament; dem
Parlamente habe er sie daher vindicirt. Damals habe man hoffen
können, daß dies Parlament, auf den Bahnen der Mäßigung
wandelnd, Deutschland in einen geordneten Zustand hinüberfüh-
ren werde. Man habe ihn damals in der hessischen Ständever-
sammlung gefragt: „Wird man den Beschlüssen des Parlamen-
tes gehorchen?“ Er habe geantwortet: „Ja, man wird ihnen
gehorchen, wenn die Beschlüsse mit großen Majoritäten und mit
Rücksicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Nation gefaßt wer-
den.“ Von Haus aus war die Majorität des Parlamentes con-
servativ gesinnt; unglücklicher Weise aber hatte sie keine starke
Regierung zur Seite, an der sie einen Rückhalt hätte finden, von
welcher sie auf diesem Wege hätte erhalten werden können. Jm
Gegentheile schwächte sich allmälig ohne die Schuld ( ? ) der con-
servativen Partei im Laufe der Begebenheiten dieser Charakter
[Spaltenumbruch] der Versammlung. Die katholische Partei verließ die Paulskirche,
sobald sie die Kirchen= und Schulfrage entschieden sah; die öster-
reichische Partei ging sogar in das Heerlager der Gegner über,
als sie sah, daß die Majorität darauf ausgehe, Preußen an die
Spitze Deutschlands zu stellen.

Der Redner entwickelte nun ausführlich seine Ansicht über die
preußische Hegemonie und das Verhältniß Oesterreichs zu Deutsch-
land. Nachdem er gezeigt, wie man Oesterreich nicht habe zu-
muthen können seine vielgestaltigen Jnteressen abhängig zu machen
von einer rein deutschen Centralregierung, erörterte er Preußens
Beruf
diese rein deutsche Centralregierung zu übernehmen. Nur
darauf habe es ankommen müssen in die Verfassung des Reiches
solche Bestimmungen aufzunehmen, welche eine Garantie dafür
böten, daß diese Macht auch wirklich die Jnteressen der Nation
wahrnehme, daß nicht unter dem Titel einer deutschen eine preu-
ßische Verwaltung sich festsetze. Gegen eine solche preußische Ver-
waltung würde man im Süden ebenso eingenommen seyn wie nur
immer in Hannover oder den Hansestädten. Solche Garantien habe
nun die in Frankfurt festgestellte Verfassung dargeboten; er seiner-
seits glaube, wenn man diese Verfassung hingenommen hätte als
einen Compromiß zwischen den Parteien, das Werk
würde wohl gelungen seyn. Man mache es dem Parlamente zum
Vorwurfe, daß es sich auf Vereinbarung mit den Re-
gierungen
nicht habe einlassen wollen; darauf antworte er,
die Majorität des Parlamentes würde von Herzen gern die Hand
zur Vereinbarung geboten haben, wenn nicht eine solche Verein-
barung eine absolute Unmöglichkeit gewesen wäre. Eine
Unmöglichkeit, das lehre die heutige Zeit. Das Parlament habe
nur sagen können: da ist unser Werk, hervorgegangen aus end-
losen Anstrengungen und Parteikämpfen: wir übergeben es der
Nation; es ins Leben zu führen, fehlt uns die Macht.

Wenn man nun ihn frage, ob er dieses Werk in allen Stücken
billige, so müsse er entschieden mit Nein antworten. Nicht
allein, daß er sehr wohl wisse, wie die Grundrechte gar
vieles Verderbliche und Schädliche enthielten, auch gegen die
Verfssung selbst seyen der Bedenken mehrere. Was nun seine
Person betreffe, so müsse er erinnern, daß er im Verfassungsaus-
schusse selbst nicht thätig gewesen sey, und er könne nicht verhehlen,
daß es namentlich drei Punkte seyen, welche er nicht gebilligt
habe. Zunächst das suspensive Veto. Es möge seyn, daß
an diesem suspensiven Veto die ganze Verfassung gescheitert sey.
Er mache dem Könige von Preußen einen Vorwurf nicht daraus.
daß er die Krone mit dieser Verfassung nicht angenommen hat;
er beklage es vielleicht, aber er könne auch nicht verkennen, daß
der König große und gewichtige Rücksichten habe nehmen müssen.
Dann das Wahlgesetz. Die Erfahrung, wenigstens im
Süden Deutschlands, lehre, daß bei Wahlen auf der so-
genannten breitesten Grundlage diejenigen Clas-
sen der Bevölkerung zur Geltung kämen, bei denen
politische Einsicht am wenigsten verbreitet sey.

Aber, um nur zu Etwas zu kommen, habe er geglaubt, dies
Wahlgesetz sich gefallen lassen zu dürfen, er habe gehofft, wenn
nun im Mai die Verfassung angenommen, der Reichstag berufen
worden wäre, bei der damaligen Stimmung, dem herrschenden
Enthusiasmus, gute Wahlen zu Stande gekommen seyn würden.
Auch gegen den Kaisertitel sey er gewesen, aber seine Freunde
hätten darauf bestanden, diesen Titel, der einmal in der Geschichte
unseres Volkes gegeben sey, dessen Bedeutung wenigstens in den
Gebildeten fortlebe, beizubehalten. Er erlaube sich bei dieser Ge-
legenheit eines Wortes Erwähnung zu thun, was Se. Maj. der
König von Preußen ihm in einer Privatunterredung geäußert
habe, weil es den König hoch ehre: „Wie können Sie von mir
verlangen, daß ich Kaiser werde, während sich die Vorgänger
mit ihrem Kaisertitel Mehrer des Reiches nannten?“

Der Redner fuhr hierauf folgendermaßen fort: Was ist denn
nun der Stand der Dinge? An was können sich unsere Hoff-
nungen noch halten? Es ist von der preußischen Regierung ein
[Ende Spaltensatz]

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Er fühle sich gedrungen, vor dieser Versamm- lung einmal ausführlich über seine und seiner Freunde Bestre- bungen, die Zielscheibe der verschiedenartigsten Angriffe, sich aus- zusprechen, wenn auch auf die Gefahr hin die Geduld der Zuhörer allzusehr in Anspruch zu nehmen. Der Redner schilderte nun die unruhige Zeit des Vorparla- mentes, des Fünfzigerausschusses, von deren Anarchie und Ver- wirrung man hier im Norden sich kaum einen Begriff mache. Alle Autorität verschwunden, der Bundestag ohnmächtig, Preu- ßen den Geboten des Fünfzigerausschusses gehorchend. Da habe er eingesehen, daß um dem einbrechenden Chaos — schon stand in Baden die Revolution und der Vaterlandsverrath in Waffen — einen Damm entgegenzusetzen, eine höchste Autorität herge- stellt werden müsse, deren Gewalt die Gesammtheit des Vater- landes vertrete, gegen deren Aussprüche ein einzelnes Bruchtheil des Ganzen sich nur rebellirend erheben dürfe. Jn diesem Sinne, in dem Sinne, daß die Theile dem Ganzen untergeordnet seyen, habe er in der Paulskirche die Nationalsouveränität pro- clamirt, die Souveränität der gesammten Nation im Ge- gensatze zu einzelnen Factionen und Theilen, nicht, wie man es ihm so oft auslege, die Volkssouveränität. Diese Natio- nalsouveränität zu vertreten, sey in ganz Deutschland keine an- dere Autorität vorhanden gewesen, als das Parlament; dem Parlamente habe er sie daher vindicirt. Damals habe man hoffen können, daß dies Parlament, auf den Bahnen der Mäßigung wandelnd, Deutschland in einen geordneten Zustand hinüberfüh- ren werde. Man habe ihn damals in der hessischen Ständever- sammlung gefragt: „Wird man den Beschlüssen des Parlamen- tes gehorchen?“ Er habe geantwortet: „Ja, man wird ihnen gehorchen, wenn die Beschlüsse mit großen Majoritäten und mit Rücksicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Nation gefaßt wer- den.“ Von Haus aus war die Majorität des Parlamentes con- servativ gesinnt; unglücklicher Weise aber hatte sie keine starke Regierung zur Seite, an der sie einen Rückhalt hätte finden, von welcher sie auf diesem Wege hätte erhalten werden können. Jm Gegentheile schwächte sich allmälig ohne die Schuld ( ? ) der con- servativen Partei im Laufe der Begebenheiten dieser Charakter der Versammlung. Die katholische Partei verließ die Paulskirche, sobald sie die Kirchen= und Schulfrage entschieden sah; die öster- reichische Partei ging sogar in das Heerlager der Gegner über, als sie sah, daß die Majorität darauf ausgehe, Preußen an die Spitze Deutschlands zu stellen. Der Redner entwickelte nun ausführlich seine Ansicht über die preußische Hegemonie und das Verhältniß Oesterreichs zu Deutsch- land. Nachdem er gezeigt, wie man Oesterreich nicht habe zu- muthen können seine vielgestaltigen Jnteressen abhängig zu machen von einer rein deutschen Centralregierung, erörterte er Preußens Beruf diese rein deutsche Centralregierung zu übernehmen. Nur darauf habe es ankommen müssen in die Verfassung des Reiches solche Bestimmungen aufzunehmen, welche eine Garantie dafür böten, daß diese Macht auch wirklich die Jnteressen der Nation wahrnehme, daß nicht unter dem Titel einer deutschen eine preu- ßische Verwaltung sich festsetze. Gegen eine solche preußische Ver- waltung würde man im Süden ebenso eingenommen seyn wie nur immer in Hannover oder den Hansestädten. Solche Garantien habe nun die in Frankfurt festgestellte Verfassung dargeboten; er seiner- seits glaube, wenn man diese Verfassung hingenommen hätte als einen Compromiß zwischen den Parteien, das Werk würde wohl gelungen seyn. Man mache es dem Parlamente zum Vorwurfe, daß es sich auf Vereinbarung mit den Re- gierungen nicht habe einlassen wollen; darauf antworte er, die Majorität des Parlamentes würde von Herzen gern die Hand zur Vereinbarung geboten haben, wenn nicht eine solche Verein- barung eine absolute Unmöglichkeit gewesen wäre. Eine Unmöglichkeit, das lehre die heutige Zeit. Das Parlament habe nur sagen können: da ist unser Werk, hervorgegangen aus end- losen Anstrengungen und Parteikämpfen: wir übergeben es der Nation; es ins Leben zu führen, fehlt uns die Macht. Wenn man nun ihn frage, ob er dieses Werk in allen Stücken billige, so müsse er entschieden mit Nein antworten. Nicht allein, daß er sehr wohl wisse, wie die Grundrechte gar vieles Verderbliche und Schädliche enthielten, auch gegen die Verfssung selbst seyen der Bedenken mehrere. Was nun seine Person betreffe, so müsse er erinnern, daß er im Verfassungsaus- schusse selbst nicht thätig gewesen sey, und er könne nicht verhehlen, daß es namentlich drei Punkte seyen, welche er nicht gebilligt habe. Zunächst das suspensive Veto. Es möge seyn, daß an diesem suspensiven Veto die ganze Verfassung gescheitert sey. Er mache dem Könige von Preußen einen Vorwurf nicht daraus. daß er die Krone mit dieser Verfassung nicht angenommen hat; er beklage es vielleicht, aber er könne auch nicht verkennen, daß der König große und gewichtige Rücksichten habe nehmen müssen. Dann das Wahlgesetz. Die Erfahrung, wenigstens im Süden Deutschlands, lehre, daß bei Wahlen auf der so- genannten breitesten Grundlage diejenigen Clas- sen der Bevölkerung zur Geltung kämen, bei denen politische Einsicht am wenigsten verbreitet sey. Aber, um nur zu Etwas zu kommen, habe er geglaubt, dies Wahlgesetz sich gefallen lassen zu dürfen, er habe gehofft, wenn nun im Mai die Verfassung angenommen, der Reichstag berufen worden wäre, bei der damaligen Stimmung, dem herrschenden Enthusiasmus, gute Wahlen zu Stande gekommen seyn würden. Auch gegen den Kaisertitel sey er gewesen, aber seine Freunde hätten darauf bestanden, diesen Titel, der einmal in der Geschichte unseres Volkes gegeben sey, dessen Bedeutung wenigstens in den Gebildeten fortlebe, beizubehalten. Er erlaube sich bei dieser Ge- legenheit eines Wortes Erwähnung zu thun, was Se. Maj. der König von Preußen ihm in einer Privatunterredung geäußert habe, weil es den König hoch ehre: „Wie können Sie von mir verlangen, daß ich Kaiser werde, während sich die Vorgänger mit ihrem Kaisertitel Mehrer des Reiches nannten?“ Der Redner fuhr hierauf folgendermaßen fort: Was ist denn nun der Stand der Dinge? An was können sich unsere Hoff- nungen noch halten? Es ist von der preußischen Regierung ein

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 251. Mainz, 22. Oktober 1849, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal251_1849/1>, abgerufen am 15.05.2024.