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Mainzer Journal. Nr. 172. Mainz, 23. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] Gewerbsfrage einige Kenntniß hatte, im Voraus wissen, wie die
geforderte allgemeine deutsche Gewerbe=Ordnung ausfallen würde,
nämlich etwas abweichend vom Princip unbedingter Gewerbefrei-
heit. Jetzt soll jene Gewerbeordnung durch Adressen aus der Pfalz
für diese rückgängig gemacht werden. Es erinnert uns dies Ge-
bahren an die bekannte Erfahrung, daß der Spruch von Schieds-
richtern, denen sich zwei streitende Parteien unterwerfen zu wollen
erklärt haben, hintendrein von derjenigen, die Unrecht erhalten
hat, nicht angenommen werden will; "so sey es ja nicht gemeint
gewesen, daß die Entscheidung entgegengesetzt ausfalle, als man
es in petto gehabt." Der Abgeordnete Glaß von Landau dage-
gen, der, um den Pfälzern die Gewerbefreiheit ungeschmälert zu
erhalten, in Uebereinstimmung mit den bewährten Nationalöko-
nomen v. Hermann und Stahl gefordert hatte, das Gewerbewe-
sen nicht von oben herab für ganz Deutschland gleichmäßig zu re-
guliren, -- wie ward er nicht von der "Speyerer Zeitung" um
dieses bornirten, particularistischen Standpunktes willen angegrif-
fen, welche Feindschaft ward gegen ihn auch um deswillen in sei-
nem Wahlbezirke erregt, und wie sehr scheint sich in die-
sem Punkte seine damals kund gegebene Ansicht
heute schon zu rechtfertigen!

# Bingen 22. December. Morgen, Samstag, soll dahier
die Wahl eines Parlamentsmitgliedes für Frankfurt, an die
Stelle des verlebten Brunck stattfinden. Jn einer zu Gensingen,
am 16. gehaltenen Berathung mehrerer Wahlmänner einigten sich
35 Stimmen für Dr. Langen, 5 für Lehne und 1 für Glaub-
rech. Vollmar
von Kempten, der auch Lust hatte, im Parla-
mente zu sitzen, meldete sich zum Rücktritte, ebenso auch Eber-
hard Soherr
von Bingen, welcher den ehemaligen Redacteur
Schütz von Mainz empfahl, weil derselbe schon so große Ver-
dienste um Deutschland und auch die Stimmen der Demokraten
für sich habe. Wahrscheinlich mußten die Versammelten die gro-
ßen Verdienste des Bürgers Schütz nicht gekannt, oder sonst keine
Freude an ihm gehabt haben, es zeigte sich nur Eine Person dem-
selben geneigt -- der Arzt Dr. Menninger, Haupt der Demo-
kraten von Gaualgesheim. Auch seine, wie Vollmars, warme
Empfehlung von Schütz und die Erzählung vieler rühmlichen
Thaten und Eigenschaften brachten keine Wirkung hervor. Am
Wahltage selbst wollen sich die Demokraten zur Besprechung,
Morgens acht Uhr, im Englischen Hofe und die Andersdenkenden
in der Victoria versammeln. Es wird an beiden Orten gut her-
gehen. Da die Demokraten bei der Wahl des Bezirksrathes ihn nicht
durchsetzten und jetzt schon einen bedeutenden Theil der Wahlmän-
ner ungläubig finden gegenüber ihrer ungeheuren Loopreisungen
des Bürgers Schütz, so versuchen sie alle Mittel, um doch viel-
leicht zu ihrem Ziele zu gelangen. Sie erklären, Langen wolle
ja eigentlich gar nicht gewählt seyn; er sey auch ein Freund des
ehemaligen Bürgerministers Heinrich Gagern, nun aber Reichs-
ministerspräsidenten Freiherrn von Gagern; wie könne er ihm
entgegentreten, oder solle er bei Bassermann sitzen und ein
Diplomat, Commissär werden! Da gehöre Langen nicht hin,
es werde sich seiner Zeit eine bessere Gelegenheit finden, ihn zu
verwenden. Nachdem man auf diese Art geködert hat, schlägt
man auch einen schärfern Ton an und spricht in beliebter Weise
vom "Volkswillen," der Schütz begehre. So droht auch ein
Straßenanschlag mit den Folgen, welche die Verachtung des
Volkswillens herbeiführen könne und ist unterzeichnet: die Binger
Bürger! Die "Einige," welche diesen Anschlag gearbeitet haben,
verwechseln sich, wie billig, mit dem "Volke" und den "Binger
Bürgern," welche in der großen Mehrzahl von dem ganzen Trei-
ben gar nichts wissen. Vielleicht ist der ganze Streit wieder, wie
bei Mohr und Brunck, blos ein Proceß um des Esels Schatten,
doch ich kenne Langen nicht. Wenn sich seine Wähler nicht genau
mit ihm verständigt haben, dann gibts wahrscheinlich wieder
"viel Lärm um Nichts" und da ist am Ende der Unterschied zwi-
schen ihm und seinem Gegner nicht der Rede werth und er sitzt
vielleicht nicht auf der linksten Linken, aber doch noch auf der
Linken.

Jtalien.

Ein Schreiben aus Genua von 17. meldet, daß man daselbst
die Nachricht von der Abdankung Karl Alberts zu
Gunsten seines ältesten Sohnes, des Herzogs von
Savoyen,
erhalten habe. Jn Genua selbst stieg die Gährung
immer höher.

Frankreich.

sqrt Paris 20. December. Zu der heutigen Sitzung der Na-
tionalversammlung waren von der Regierung die nöthigen mili-
[Spaltenumbruch] tärischen Vorkehrungen getroffen worden, um Ruhestörungen,
welche man befürchtete, mit Energie entgegen treten zu können.
Es wollte nämlich die Polizei einem kaiserlich=socialistischen Com-
plotte auf die Spur gekommen seyn, dessen Ausbruch auf den heu-
tigen Tag bestimmt gewesen. Aus diesem Grunde nun hielten
sich einige Bataillone der Mobilgarde und der Linie im Tuile-
riengarten schlagfertig, vor der Brücke stellte sich das Dragoner-
regiment vom Quai d'Orsay auf. Das Sitzungsgebäude selbst
war mit Truppen und Artillerie angefüllt. Um 3 Uhr wurde
die Sitzung von Marrast eröffnet. Nach Verlesung des Proto-
kolles und Erledigung mehrerer Anträge, denen aber die Versamm-
lung wenig Aufmerksamkeit schenkte, gab der Vorsitzende dem Ab-
geordneten Waldeck Rousseau das Wort, um den Bericht
über die Präsidentenwahl vorzulesen. Mittlerweile hatten sich auf
dem Concordienplatze 20,000 Mann Truppen aufgestellt. Der Be-
richterstatter Rousseau hob also an: Bürger Repräsentanten! Sie
haben einen großen Theil ihres patriotischen Mandates durch die
Schaffung der Constitution erfüllt und beschlossen, daß ein Präsident
der Republik zur Ausführung der Verfassung gewählt werde.
7,326,345 Wähler, welche die Wahl vorgenommen haben, sichern
die Zukunft der Republik. Jn diesem Augenblicke tritt Louis
Napoleon Bonaparte
ein, er trägt an seinem schwarzen
Rocke das Abgeordnetenband und einen Stern und nimmt bei
Odilon Barrot Platz, mit welchem er ein vertrauliches Gespräch
anknüpft. Es haben gestimmt, fährt der Berichterstatter fort
7,326,345. Hr. Louis Napoleon Bonaparte hat erhal-
ten 5,434,226 Stimmen, Hr. Cavaignac 1,448,107, Hr.
Ledru=Rollin 370,119, Hr. Raspail 36,220, Hr. La-
martine
17,910, Hr. Changarnier 4000. 12,600 Stim-
men sind verloren gegangen. Die Wahl ist, mit Ausnahme von
Grenoble, überall ruhig vollzogen worden. Ueber einige Protesta-
tionen, welche erhoben wurden, ist Jhre Commission zur Tagesord-
nung übergegangen. Der Bürger Louis Napoleon Bona-
parte ist demnach von Frankreich zum Präsiden-
ten erwählt.
Die Regierung wird ihm von den Männern,
welche sie bisher mit Aufopferung und Patriotismus, wofür das
Land ihnen dankbar ist, geleitet haben, übertragen werden.
Haben wir Vertrauen, meine Herren. Gott beschütze Frankreich!
Hierauf sprach Cavaignac: Jch habe die Ehre, der Ver-
sammlung anzuzeigen, daß sämmtliche Minister mir soeben ihre
Entlassung eingegeben haben. Jch meinerseits lege in die Hände
der Versammlung die Macht nieder, mit der es ihr gefallen hat,
mich zu betrauen. Bei Postabgang dauerte die Sitzung noch fort.
Die Ruhe wurde keinen Augenblick gestört.

* * * Paris 21. December. Das neue Ministerium ist endlich
officiell bekannt. Gestern Abend um sechs Uhr erhielt der
Präsident der Nationalversammlung eine Botschaft von dem Prä-
sidenten der Republik, welche ihm die Bildung desselben anzeigte.
Es sind die Herren: Odilon Barrot, für die Justiz, zugleich
Präsident des Ministerrathes in Abwesenheit des Präsidenten der
Republik; Drouyn de Lhuys, für die auswärtigen Ange-
legenheiten; Leon de Maleville für das Jnnere; General
Rulhieres für den Krieg; de Tracy für die Marine und
die Colonien; de Falloux für Cultus und öffentlichen Unter-
richt; Leon Faucher für die öffentlichen Arbeiten; Bixio
für Ackerbau und Handel; Hippolyt Passy für die Finanzen.
Marschall Bugeaud ist Commandant der Alpenarmee, Chan-
garnier
commandirender General der ersten Militärdivision, der
Pariser Nationalgarde und der Mobilgarde, der Gensdarmerie-
oberst Rebillot Polizeipräfect geworden. Der Präfect der Seine
Recurt und der Director der Posten Arago haben ihre Stellen
niedergelegt. Nachdem der neue Präsident in der Nationalversamm-
lung gestern die Verfassung beschworen, hielt er eine kurze vom Geiste
der Versöhnung durchdrungene Rede, die mit großem Beifall aufge-
nommen wurde. " Mit Hülfe des Friedens und der
Ordnung, bemerkte er unter Anderem, kann unser Land sich wieder
erholen, seine Wunden ausheilen, die Verirrten zur Besinnung
zurückbringen und die Leidenschaften versöhnen." Am Schlusse
seiner Rede ging der neue Präsident auf Cavaignac zu und
drückte ihm herzlich die Hand, was den lauten Beifall der
Versammlung hervorrief. Die Gefahr einer neuen Emeute
war gestern sehr groß und Louis Bonaparte wurde, um aus
dieser unsicheren Lage herauszukommen, auf Antrag des Mini-
sters des Jnnern und des Commandanten der Nationalgarde so
zu sagen über Hals und Kopf zum Präsidenten proclamirt, ob-
gleich über den Ausfall der Wahlen im Departement des Aveyron,
des Oberrheins und der Somme, sowie in Corsika noch keine
Verbalprocesse, sondern blos telegraphische Nachrichten einge-
laufen waren.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] Gewerbsfrage einige Kenntniß hatte, im Voraus wissen, wie die
geforderte allgemeine deutsche Gewerbe=Ordnung ausfallen würde,
nämlich etwas abweichend vom Princip unbedingter Gewerbefrei-
heit. Jetzt soll jene Gewerbeordnung durch Adressen aus der Pfalz
für diese rückgängig gemacht werden. Es erinnert uns dies Ge-
bahren an die bekannte Erfahrung, daß der Spruch von Schieds-
richtern, denen sich zwei streitende Parteien unterwerfen zu wollen
erklärt haben, hintendrein von derjenigen, die Unrecht erhalten
hat, nicht angenommen werden will; „so sey es ja nicht gemeint
gewesen, daß die Entscheidung entgegengesetzt ausfalle, als man
es in petto gehabt.“ Der Abgeordnete Glaß von Landau dage-
gen, der, um den Pfälzern die Gewerbefreiheit ungeschmälert zu
erhalten, in Uebereinstimmung mit den bewährten Nationalöko-
nomen v. Hermann und Stahl gefordert hatte, das Gewerbewe-
sen nicht von oben herab für ganz Deutschland gleichmäßig zu re-
guliren, — wie ward er nicht von der „Speyerer Zeitung“ um
dieses bornirten, particularistischen Standpunktes willen angegrif-
fen, welche Feindschaft ward gegen ihn auch um deswillen in sei-
nem Wahlbezirke erregt, und wie sehr scheint sich in die-
sem Punkte seine damals kund gegebene Ansicht
heute schon zu rechtfertigen!

# Bingen 22. December. Morgen, Samstag, soll dahier
die Wahl eines Parlamentsmitgliedes für Frankfurt, an die
Stelle des verlebten Brunck stattfinden. Jn einer zu Gensingen,
am 16. gehaltenen Berathung mehrerer Wahlmänner einigten sich
35 Stimmen für Dr. Langen, 5 für Lehne und 1 für Glaub-
rech. Vollmar
von Kempten, der auch Lust hatte, im Parla-
mente zu sitzen, meldete sich zum Rücktritte, ebenso auch Eber-
hard Soherr
von Bingen, welcher den ehemaligen Redacteur
Schütz von Mainz empfahl, weil derselbe schon so große Ver-
dienste um Deutschland und auch die Stimmen der Demokraten
für sich habe. Wahrscheinlich mußten die Versammelten die gro-
ßen Verdienste des Bürgers Schütz nicht gekannt, oder sonst keine
Freude an ihm gehabt haben, es zeigte sich nur Eine Person dem-
selben geneigt — der Arzt Dr. Menninger, Haupt der Demo-
kraten von Gaualgesheim. Auch seine, wie Vollmars, warme
Empfehlung von Schütz und die Erzählung vieler rühmlichen
Thaten und Eigenschaften brachten keine Wirkung hervor. Am
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Morgens acht Uhr, im Englischen Hofe und die Andersdenkenden
in der Victoria versammeln. Es wird an beiden Orten gut her-
gehen. Da die Demokraten bei der Wahl des Bezirksrathes ihn nicht
durchsetzten und jetzt schon einen bedeutenden Theil der Wahlmän-
ner ungläubig finden gegenüber ihrer ungeheuren Loopreisungen
des Bürgers Schütz, so versuchen sie alle Mittel, um doch viel-
leicht zu ihrem Ziele zu gelangen. Sie erklären, Langen wolle
ja eigentlich gar nicht gewählt seyn; er sey auch ein Freund des
ehemaligen Bürgerministers Heinrich Gagern, nun aber Reichs-
ministerspräsidenten Freiherrn von Gagern; wie könne er ihm
entgegentreten, oder solle er bei Bassermann sitzen und ein
Diplomat, Commissär werden! Da gehöre Langen nicht hin,
es werde sich seiner Zeit eine bessere Gelegenheit finden, ihn zu
verwenden. Nachdem man auf diese Art geködert hat, schlägt
man auch einen schärfern Ton an und spricht in beliebter Weise
vom „Volkswillen,“ der Schütz begehre. So droht auch ein
Straßenanschlag mit den Folgen, welche die Verachtung des
Volkswillens herbeiführen könne und ist unterzeichnet: die Binger
Bürger! Die „Einige,“ welche diesen Anschlag gearbeitet haben,
verwechseln sich, wie billig, mit dem „Volke“ und den „Binger
Bürgern,“ welche in der großen Mehrzahl von dem ganzen Trei-
ben gar nichts wissen. Vielleicht ist der ganze Streit wieder, wie
bei Mohr und Brunck, blos ein Proceß um des Esels Schatten,
doch ich kenne Langen nicht. Wenn sich seine Wähler nicht genau
mit ihm verständigt haben, dann gibts wahrscheinlich wieder
„viel Lärm um Nichts“ und da ist am Ende der Unterschied zwi-
schen ihm und seinem Gegner nicht der Rede werth und er sitzt
vielleicht nicht auf der linksten Linken, aber doch noch auf der
Linken.

Jtalien.

Ein Schreiben aus Genua von 17. meldet, daß man daselbst
die Nachricht von der Abdankung Karl Alberts zu
Gunsten seines ältesten Sohnes, des Herzogs von
Savoyen,
erhalten habe. Jn Genua selbst stieg die Gährung
immer höher.

Frankreich.

√ Paris 20. December. Zu der heutigen Sitzung der Na-
tionalversammlung waren von der Regierung die nöthigen mili-
[Spaltenumbruch] tärischen Vorkehrungen getroffen worden, um Ruhestörungen,
welche man befürchtete, mit Energie entgegen treten zu können.
Es wollte nämlich die Polizei einem kaiserlich=socialistischen Com-
plotte auf die Spur gekommen seyn, dessen Ausbruch auf den heu-
tigen Tag bestimmt gewesen. Aus diesem Grunde nun hielten
sich einige Bataillone der Mobilgarde und der Linie im Tuile-
riengarten schlagfertig, vor der Brücke stellte sich das Dragoner-
regiment vom Quai d'Orsay auf. Das Sitzungsgebäude selbst
war mit Truppen und Artillerie angefüllt. Um 3 Uhr wurde
die Sitzung von Marrast eröffnet. Nach Verlesung des Proto-
kolles und Erledigung mehrerer Anträge, denen aber die Versamm-
lung wenig Aufmerksamkeit schenkte, gab der Vorsitzende dem Ab-
geordneten Waldeck Rousseau das Wort, um den Bericht
über die Präsidentenwahl vorzulesen. Mittlerweile hatten sich auf
dem Concordienplatze 20,000 Mann Truppen aufgestellt. Der Be-
richterstatter Rousseau hob also an: Bürger Repräsentanten! Sie
haben einen großen Theil ihres patriotischen Mandates durch die
Schaffung der Constitution erfüllt und beschlossen, daß ein Präsident
der Republik zur Ausführung der Verfassung gewählt werde.
7,326,345 Wähler, welche die Wahl vorgenommen haben, sichern
die Zukunft der Republik. Jn diesem Augenblicke tritt Louis
Napoleon Bonaparte
ein, er trägt an seinem schwarzen
Rocke das Abgeordnetenband und einen Stern und nimmt bei
Odilon Barrot Platz, mit welchem er ein vertrauliches Gespräch
anknüpft. Es haben gestimmt, fährt der Berichterstatter fort
7,326,345. Hr. Louis Napoleon Bonaparte hat erhal-
ten 5,434,226 Stimmen, Hr. Cavaignac 1,448,107, Hr.
Ledru=Rollin 370,119, Hr. Raspail 36,220, Hr. La-
martine
17,910, Hr. Changarnier 4000. 12,600 Stim-
men sind verloren gegangen. Die Wahl ist, mit Ausnahme von
Grenoble, überall ruhig vollzogen worden. Ueber einige Protesta-
tionen, welche erhoben wurden, ist Jhre Commission zur Tagesord-
nung übergegangen. Der Bürger Louis Napoleon Bona-
parte ist demnach von Frankreich zum Präsiden-
ten erwählt.
Die Regierung wird ihm von den Männern,
welche sie bisher mit Aufopferung und Patriotismus, wofür das
Land ihnen dankbar ist, geleitet haben, übertragen werden.
Haben wir Vertrauen, meine Herren. Gott beschütze Frankreich!
Hierauf sprach Cavaignac: Jch habe die Ehre, der Ver-
sammlung anzuzeigen, daß sämmtliche Minister mir soeben ihre
Entlassung eingegeben haben. Jch meinerseits lege in die Hände
der Versammlung die Macht nieder, mit der es ihr gefallen hat,
mich zu betrauen. Bei Postabgang dauerte die Sitzung noch fort.
Die Ruhe wurde keinen Augenblick gestört.

* * * Paris 21. December. Das neue Ministerium ist endlich
officiell bekannt. Gestern Abend um sechs Uhr erhielt der
Präsident der Nationalversammlung eine Botschaft von dem Prä-
sidenten der Republik, welche ihm die Bildung desselben anzeigte.
Es sind die Herren: Odilon Barrot, für die Justiz, zugleich
Präsident des Ministerrathes in Abwesenheit des Präsidenten der
Republik; Drouyn de Lhuys, für die auswärtigen Ange-
legenheiten; Leon de Maleville für das Jnnere; General
Rulhières für den Krieg; de Tracy für die Marine und
die Colonien; de Falloux für Cultus und öffentlichen Unter-
richt; Leon Faucher für die öffentlichen Arbeiten; Bixio
für Ackerbau und Handel; Hippolyt Passy für die Finanzen.
Marschall Bugeaud ist Commandant der Alpenarmee, Chan-
garnier
commandirender General der ersten Militärdivision, der
Pariser Nationalgarde und der Mobilgarde, der Gensdarmerie-
oberst Rebillot Polizeipräfect geworden. Der Präfect der Seine
Recurt und der Director der Posten Arago haben ihre Stellen
niedergelegt. Nachdem der neue Präsident in der Nationalversamm-
lung gestern die Verfassung beschworen, hielt er eine kurze vom Geiste
der Versöhnung durchdrungene Rede, die mit großem Beifall aufge-
nommen wurde. „ Mit Hülfe des Friedens und der
Ordnung, bemerkte er unter Anderem, kann unser Land sich wieder
erholen, seine Wunden ausheilen, die Verirrten zur Besinnung
zurückbringen und die Leidenschaften versöhnen.“ Am Schlusse
seiner Rede ging der neue Präsident auf Cavaignac zu und
drückte ihm herzlich die Hand, was den lauten Beifall der
Versammlung hervorrief. Die Gefahr einer neuen Emeute
war gestern sehr groß und Louis Bonaparte wurde, um aus
dieser unsicheren Lage herauszukommen, auf Antrag des Mini-
sters des Jnnern und des Commandanten der Nationalgarde so
zu sagen über Hals und Kopf zum Präsidenten proclamirt, ob-
gleich über den Ausfall der Wahlen im Departement des Aveyron,
des Oberrheins und der Somme, sowie in Corsika noch keine
Verbalprocesse, sondern blos telegraphische Nachrichten einge-
laufen waren.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0004] Gewerbsfrage einige Kenntniß hatte, im Voraus wissen, wie die geforderte allgemeine deutsche Gewerbe=Ordnung ausfallen würde, nämlich etwas abweichend vom Princip unbedingter Gewerbefrei- heit. Jetzt soll jene Gewerbeordnung durch Adressen aus der Pfalz für diese rückgängig gemacht werden. Es erinnert uns dies Ge- bahren an die bekannte Erfahrung, daß der Spruch von Schieds- richtern, denen sich zwei streitende Parteien unterwerfen zu wollen erklärt haben, hintendrein von derjenigen, die Unrecht erhalten hat, nicht angenommen werden will; „so sey es ja nicht gemeint gewesen, daß die Entscheidung entgegengesetzt ausfalle, als man es in petto gehabt.“ Der Abgeordnete Glaß von Landau dage- gen, der, um den Pfälzern die Gewerbefreiheit ungeschmälert zu erhalten, in Uebereinstimmung mit den bewährten Nationalöko- nomen v. Hermann und Stahl gefordert hatte, das Gewerbewe- sen nicht von oben herab für ganz Deutschland gleichmäßig zu re- guliren, — wie ward er nicht von der „Speyerer Zeitung“ um dieses bornirten, particularistischen Standpunktes willen angegrif- fen, welche Feindschaft ward gegen ihn auch um deswillen in sei- nem Wahlbezirke erregt, und wie sehr scheint sich in die- sem Punkte seine damals kund gegebene Ansicht heute schon zu rechtfertigen! # Bingen 22. December. Morgen, Samstag, soll dahier die Wahl eines Parlamentsmitgliedes für Frankfurt, an die Stelle des verlebten Brunck stattfinden. Jn einer zu Gensingen, am 16. gehaltenen Berathung mehrerer Wahlmänner einigten sich 35 Stimmen für Dr. Langen, 5 für Lehne und 1 für Glaub- rech. Vollmar von Kempten, der auch Lust hatte, im Parla- mente zu sitzen, meldete sich zum Rücktritte, ebenso auch Eber- hard Soherr von Bingen, welcher den ehemaligen Redacteur Schütz von Mainz empfahl, weil derselbe schon so große Ver- dienste um Deutschland und auch die Stimmen der Demokraten für sich habe. Wahrscheinlich mußten die Versammelten die gro- ßen Verdienste des Bürgers Schütz nicht gekannt, oder sonst keine Freude an ihm gehabt haben, es zeigte sich nur Eine Person dem- selben geneigt — der Arzt Dr. Menninger, Haupt der Demo- kraten von Gaualgesheim. Auch seine, wie Vollmars, warme Empfehlung von Schütz und die Erzählung vieler rühmlichen Thaten und Eigenschaften brachten keine Wirkung hervor. Am Wahltage selbst wollen sich die Demokraten zur Besprechung, Morgens acht Uhr, im Englischen Hofe und die Andersdenkenden in der Victoria versammeln. Es wird an beiden Orten gut her- gehen. Da die Demokraten bei der Wahl des Bezirksrathes ihn nicht durchsetzten und jetzt schon einen bedeutenden Theil der Wahlmän- ner ungläubig finden gegenüber ihrer ungeheuren Loopreisungen des Bürgers Schütz, so versuchen sie alle Mittel, um doch viel- leicht zu ihrem Ziele zu gelangen. Sie erklären, Langen wolle ja eigentlich gar nicht gewählt seyn; er sey auch ein Freund des ehemaligen Bürgerministers Heinrich Gagern, nun aber Reichs- ministerspräsidenten Freiherrn von Gagern; wie könne er ihm entgegentreten, oder solle er bei Bassermann sitzen und ein Diplomat, Commissär werden! Da gehöre Langen nicht hin, es werde sich seiner Zeit eine bessere Gelegenheit finden, ihn zu verwenden. Nachdem man auf diese Art geködert hat, schlägt man auch einen schärfern Ton an und spricht in beliebter Weise vom „Volkswillen,“ der Schütz begehre. So droht auch ein Straßenanschlag mit den Folgen, welche die Verachtung des Volkswillens herbeiführen könne und ist unterzeichnet: die Binger Bürger! Die „Einige,“ welche diesen Anschlag gearbeitet haben, verwechseln sich, wie billig, mit dem „Volke“ und den „Binger Bürgern,“ welche in der großen Mehrzahl von dem ganzen Trei- ben gar nichts wissen. Vielleicht ist der ganze Streit wieder, wie bei Mohr und Brunck, blos ein Proceß um des Esels Schatten, doch ich kenne Langen nicht. Wenn sich seine Wähler nicht genau mit ihm verständigt haben, dann gibts wahrscheinlich wieder „viel Lärm um Nichts“ und da ist am Ende der Unterschied zwi- schen ihm und seinem Gegner nicht der Rede werth und er sitzt vielleicht nicht auf der linksten Linken, aber doch noch auf der Linken. Jtalien. Ein Schreiben aus Genua von 17. meldet, daß man daselbst die Nachricht von der Abdankung Karl Alberts zu Gunsten seines ältesten Sohnes, des Herzogs von Savoyen, erhalten habe. Jn Genua selbst stieg die Gährung immer höher. Frankreich. √ Paris 20. December. Zu der heutigen Sitzung der Na- tionalversammlung waren von der Regierung die nöthigen mili- tärischen Vorkehrungen getroffen worden, um Ruhestörungen, welche man befürchtete, mit Energie entgegen treten zu können. Es wollte nämlich die Polizei einem kaiserlich=socialistischen Com- plotte auf die Spur gekommen seyn, dessen Ausbruch auf den heu- tigen Tag bestimmt gewesen. Aus diesem Grunde nun hielten sich einige Bataillone der Mobilgarde und der Linie im Tuile- riengarten schlagfertig, vor der Brücke stellte sich das Dragoner- regiment vom Quai d'Orsay auf. Das Sitzungsgebäude selbst war mit Truppen und Artillerie angefüllt. Um 3 Uhr wurde die Sitzung von Marrast eröffnet. Nach Verlesung des Proto- kolles und Erledigung mehrerer Anträge, denen aber die Versamm- lung wenig Aufmerksamkeit schenkte, gab der Vorsitzende dem Ab- geordneten Waldeck Rousseau das Wort, um den Bericht über die Präsidentenwahl vorzulesen. Mittlerweile hatten sich auf dem Concordienplatze 20,000 Mann Truppen aufgestellt. Der Be- richterstatter Rousseau hob also an: Bürger Repräsentanten! Sie haben einen großen Theil ihres patriotischen Mandates durch die Schaffung der Constitution erfüllt und beschlossen, daß ein Präsident der Republik zur Ausführung der Verfassung gewählt werde. 7,326,345 Wähler, welche die Wahl vorgenommen haben, sichern die Zukunft der Republik. Jn diesem Augenblicke tritt Louis Napoleon Bonaparte ein, er trägt an seinem schwarzen Rocke das Abgeordnetenband und einen Stern und nimmt bei Odilon Barrot Platz, mit welchem er ein vertrauliches Gespräch anknüpft. Es haben gestimmt, fährt der Berichterstatter fort 7,326,345. Hr. Louis Napoleon Bonaparte hat erhal- ten 5,434,226 Stimmen, Hr. Cavaignac 1,448,107, Hr. Ledru=Rollin 370,119, Hr. Raspail 36,220, Hr. La- martine 17,910, Hr. Changarnier 4000. 12,600 Stim- men sind verloren gegangen. Die Wahl ist, mit Ausnahme von Grenoble, überall ruhig vollzogen worden. Ueber einige Protesta- tionen, welche erhoben wurden, ist Jhre Commission zur Tagesord- nung übergegangen. Der Bürger Louis Napoleon Bona- parte ist demnach von Frankreich zum Präsiden- ten erwählt. Die Regierung wird ihm von den Männern, welche sie bisher mit Aufopferung und Patriotismus, wofür das Land ihnen dankbar ist, geleitet haben, übertragen werden. Haben wir Vertrauen, meine Herren. Gott beschütze Frankreich! Hierauf sprach Cavaignac: Jch habe die Ehre, der Ver- sammlung anzuzeigen, daß sämmtliche Minister mir soeben ihre Entlassung eingegeben haben. Jch meinerseits lege in die Hände der Versammlung die Macht nieder, mit der es ihr gefallen hat, mich zu betrauen. Bei Postabgang dauerte die Sitzung noch fort. Die Ruhe wurde keinen Augenblick gestört. * * * Paris 21. December. Das neue Ministerium ist endlich officiell bekannt. Gestern Abend um sechs Uhr erhielt der Präsident der Nationalversammlung eine Botschaft von dem Prä- sidenten der Republik, welche ihm die Bildung desselben anzeigte. Es sind die Herren: Odilon Barrot, für die Justiz, zugleich Präsident des Ministerrathes in Abwesenheit des Präsidenten der Republik; Drouyn de Lhuys, für die auswärtigen Ange- legenheiten; Leon de Maleville für das Jnnere; General Rulhières für den Krieg; de Tracy für die Marine und die Colonien; de Falloux für Cultus und öffentlichen Unter- richt; Leon Faucher für die öffentlichen Arbeiten; Bixio für Ackerbau und Handel; Hippolyt Passy für die Finanzen. Marschall Bugeaud ist Commandant der Alpenarmee, Chan- garnier commandirender General der ersten Militärdivision, der Pariser Nationalgarde und der Mobilgarde, der Gensdarmerie- oberst Rebillot Polizeipräfect geworden. Der Präfect der Seine Recurt und der Director der Posten Arago haben ihre Stellen niedergelegt. Nachdem der neue Präsident in der Nationalversamm- lung gestern die Verfassung beschworen, hielt er eine kurze vom Geiste der Versöhnung durchdrungene Rede, die mit großem Beifall aufge- nommen wurde. „ Mit Hülfe des Friedens und der Ordnung, bemerkte er unter Anderem, kann unser Land sich wieder erholen, seine Wunden ausheilen, die Verirrten zur Besinnung zurückbringen und die Leidenschaften versöhnen.“ Am Schlusse seiner Rede ging der neue Präsident auf Cavaignac zu und drückte ihm herzlich die Hand, was den lauten Beifall der Versammlung hervorrief. Die Gefahr einer neuen Emeute war gestern sehr groß und Louis Bonaparte wurde, um aus dieser unsicheren Lage herauszukommen, auf Antrag des Mini- sters des Jnnern und des Commandanten der Nationalgarde so zu sagen über Hals und Kopf zum Präsidenten proclamirt, ob- gleich über den Ausfall der Wahlen im Departement des Aveyron, des Oberrheins und der Somme, sowie in Corsika noch keine Verbalprocesse, sondern blos telegraphische Nachrichten einge- laufen waren. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 172. Mainz, 23. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal172_1848/4>, abgerufen am 02.10.2024.