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Mainzer Journal. Nr. 161. Mainz, 11. Dezember 1848.

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[Beginn Spaltensatz] lieber mit Geringschätzung behandeln. Daher er die Nichtgenehmi-
gung der Untersuchung und Uebergang zur Tagesordnung über
die Ausschußanträge anräth. Langerfeldt bekämpft, Reh
aus Darmstadt unterstützt den Antrag von Vogt. v. Becke-
rath:
Eben der höhere politische Standpunkt, den uns Herr
Vogt einzunehmen räth, enthält die strengste Aufforderung dazu,
die Untersuchung weder zu unterdücken, noch zu verschieben. Denn
vor Allem haben wir dem sittlichen Bewußtseyn der Nation ge-
nugzuthun. Das Volk hat Preßfreiheit verlangt und sieht jetzt
diese Preßfreiheit zu den schnödesten Verleumdungen -- und von
Mitgliedern der Reichsversammlung selbst -- mißbraucht. "Jch
glaube nicht, daß das Privilegium der Mitglieder dieses Hauses
in der Ausdehnung zu verstehen ist, daß sie sich einer Untersuchung
wegen solcher Anklagen nicht zu unterwerfen haben sollten. Wenn
Herr Vogt ferner behauptet hat, daß ihre Thätigkeit an den Ge-
schäften der Versammlung dadurch beschränkt würde, daß sie für
ihre Vertheidigung zu sorgen hätten, so ist dies allerdings ge-
gründet. Wenn wir aber sehen, mit welcher Leichtigkeit die ange-
schuldigten Mitglieder täglich in öffentlichen Blättern die umfas-
sendsten Manifestationen zu Tage bringen, so dürfen wir auch
nicht zweifeln, daß sie dieselbe Thätigkeit für die Geschäfte des
Hauses an den Tag legen werden. Von dem höhern politischen
Standpunkte aus verlange ich, daß die Versammlung ihren Ver-
pflichtungen gegen die Nation nachkomme."

Nachdem noch Scharre aus Strehla, Jucho aus Frankfurt
und Justizminister v. Mohl sich an der Debatte betheiligt -- letzterer
nur kurz und um die formellen Einwände aus der Nationalver-
sammlung und an den Richter zu verweisen -- erhält der Bericht-
erstatter Zachariä das Wort. Bei der Abstimmung wird der
Ausschußantrag: "Die hohe Nationalversammlung wolle be-
schließen: daß sie zu der vom Appellationsgerichte der freien
Stadt Frankfurt wieder den Abgeordneten J. G. Günther als
Redacteur der deutschen Reichstagszeitung, wegen der in den
Nummern 104. und 106. dieser Zeitung enthaltenen Belei-
digungen
verfügten strafrechtlichen Untersuchung und bezieh-
ungsweise zur Fortsetzung dieser Untersuchung durch die com-
petente Behörde ihre Zustimmung ertheile" mit großer Mehrheit
angenommen, der Zusatz v. Watzdorfs aber abgelehnt, daß die
Einwilligung zur Untersuchung nur unter der Voraussetzung er-
theilt seyn solle, daß die Angeschuldigten selbst die Untersuchung
verlangten. Ehe zur Besprechuug des zweiten Falles überge-
gangen wird, erklärt der Redacteur der Flugblätter Jürgens,
daß er selbst auf der vom Abgeordneten Minkus wider ihn bean-
tragten Untersuchung im Jnteresse des Rechtes bestehe. ( Beifall. )
Das Ausschußerachten lautet auch hier dahin, daß die Versamm-
lung in die Untersuchung einwillige.

Das Wort erhält zuerst Schöder aus Stuttgart, dann
Rößler von Oels: Der Proceß des Herrn Minkus gegen Herrn
Jürgens ist keine Privatstreitigkeit. Er ist vielmehr eine Abwehr
wider die grenzenlosen Verleumdungen, denen wir, die linke Seite
des Hauses, seit dem unglücklichen 18. September ausgesetzt sind.
Rößler liest eine Stelle aus einem Meseritzer Localblatte vor,
ferner eine Stelle aus dem Lauenburger Kreisblatte, in denen die
ganze Partei der Vorbereitung zum Aufruhre und des Mordes
öffentlich bezichtigt wird. Gegen einzelne Mitglieder der Partei
seyen die Angriffe nicht minder hart gewesen. Beweis sey ein Ar-
tikel in der Oberpostamtszeitung gegen den Abgeordneten Minkus.
Nach solchen Schmähungen hätte man wahrlich keine Ursache ge-
habt, mit den erbitterten Erwiderungen der linken Partei so streng
ins Gericht zu gehen.

Bassermann: Schmähungen und Beleidigungen der Presse
muß man gewohnt werden, sie liegen in der Natur der Zeit und
wir wollen uns darüber keine Vorwürfe machen. Allein ich frage,
ist den Druckern, den Redacteuren der Partei, die Sie ( zur Lin-
ken ) vertreten, persönliche Gewalt angethan, sind sie terrorisirt
und gezwungen worden, wie es conservativen Blättern geschehen!
Und sind Aufforderungen zu blutiger Rache nicht etwas Anderes
und anders zu behandeln als falsche Nachrichten? Wir dürfen
nicht vergessen, daß durch solche Artikel unser Volk entsittlicht
und wir vielleicht dahin gebracht werden, wohin [unleserliches Material - 3 Zeichen fehlen]dte wahre Reac-
tion im Stillen wünscht. Wir können es nicht der Vergessenheit
anheimgeben, wir dürfen es nicht leicht nehmen, wenn zum Morde
aufgefordert oder derselbe gebilligt wird, wenn in einem Blatte,
das Jeder kennt, gesagt ist: die Kugeln sind ehrlich, welche Lich-
nowsky und Auerswald getödtet haben. ( Unruhe. ) Wir können
es nicht leicht nehmen oder der Vergessenheit anheimgeben, wenn
gleich nach dem 18. September, als noch jedes Gemüth von den
Greueln, welche hier vorfielen, tief erschüttert war, in einem Blatte,
welches von einem Mitgliede dieses Hauses redigirt wird, die
Blutschuld jener Thaten gerade auf die Männer gewälzt wird,
welche Alles thaten, um die Ordnung aufrecht zu erhalten; wenn
[Spaltenumbruch] darin gesagt wird, sie allein trügen Schuld, und wenn man
mit einer solchen Behauptung den eigentlichen Mördern die Schuld
vom Gewissen nehmen will. Und doch könnte man dieses viel-
leicht vergessen, könnte es auf Rechnung des Augenblickes setzen;
allein, meine Herren, zu unserm Erstaunen lasen wir bald nach-
her, nein, noch vor Kurzem, neue Aufreizungen von solcher Art,
daß man sie mit gewöhnlichen falschen Nachrichten gewiß nicht
verwechseln kann. Wir lasen da -- es war von Blum die Rede
-- Versöhnung über dieser Leiche wäre Verrath! Wie kann man im
Sinne des deutschen Volkes sprechen wollen, wenn man seinen
Tod der Mehrheit dieser Versammlung aufbürden will und aus-
ruft: Sein Blut komme über ihre Häupter! Jst dies etwa blos
eine falsche Nachricht? ( Unruhe. ) Und dann, wenn es heißt:
"Das Erbarmen solle verstummen auf den Lippen des siegreichen
Volkes," -- soll man dann [unleserliches Material - 11 Zeichen fehlen]gleichgütig seyn? Aber nicht blos
lasen wir solches nach dem Tode Blums, nein, noch vor zwei
Tagen lasen wir in demselben Blatte, welches von einem Mit-
gliede dieses Hauses redigirt wird, einen Artikel, worin aufgefordert
wird, über dem Grabe von Blum Hetakomben hinzurichten und
worin dem ganzen Zusammenhange nach auf uns hingewiesen
wird. Nehmen Sie nun dies mit den Drohungen zusammen,
welche hier ausgesprochen werden, ferner mit den Anzeigen, welche
Sie in Frankfurt kennen gelernt haben, so frage ich, ob man nicht
die höhere Pflicht hat, wenn man doch einmal von einem höheren
politischen Standpunkte spricht, -- ob nicht darin für uns Alle
die Pflicht und Aufforderung liegt, das Gegentheil zu thun von
dem, was hier geschieht und bezeichnet wird, ob wir nicht den
Sinn des deutschen Volkes zurückbringen sollten von solchen
Mord= und Blutgedanken, damit es nicht zur Freude der Reaction
heißt: Sehet, wie sie die Presse gebrauchen! Man kann und
darf nicht stillschweigen, man muß vor solchen Uebertreibungen
warnen; mögen Sie es Reaction nennen, so wird doch noch die
Zeit kommen, wo man sagt, Diejenigen, welche dies thaten, haben
die Freiheit vertheidigt, Diejenigen nicht, welche zu solchen Ueber-
treibungen und Verleumdungen greifen. Dann erst wird sich
zeigen, wer gethan hat, was der Freiheit würdig ist. ( Bravo-
ruf und Beifallsklatschen im Hause. )

Kerst aus Posen: Der Artikel im Meseritzer Wochenblatte
rührt von mir her. Es war ein vertraulicher Brief, unter dem
ersten Eindrucke der Septembereignisse geschrieben, der ohne mein
Vorwissen abgedruckt ward. Der Aufsatz ist aber von mir selbst
und auf Veranlassung des Herrn Rößler berichtigt worden. Jch
denke, ich habe damit gehandelt wie ein Ehrenmann. Die Ab-
stimmung entscheidet sich für das Ausschußerachten.

Der dritte Fall betrifft die Anklage gegen Levysohn aus Grün-
berg wegen Beleidigung der Majestät und Verletzung des Preß-
gesetzes. Der Angeschuldigte ist bereits in erster Jnstanz und zu
einem Jahre Festung verurtheilt und der Ausschuß räth, die Fort-
setzung der Untersuchung zu genehmigen. Levysohn sucht aus-
zuführen, die Untersuchung gegen ihn sey politischen Charakters,
und nur bei einer Untersuchung nach dem alten schriftlichen Ver-
fahren habe seine Verurtheilung erfolgen können. Werde der
Proceß fortgesetzt, so müsse er auf seine Vertheidigung oder auf
seinen Platz in der Reichsversammlung verzichten. Der Bericht-
erstatter Gombart tritt jedoch der Darstellung, die Herr Levy-
sohn vom Thatbestande gegeben, mit anderen Thatsachen auf das
Bestimmteste entgegen. Die Nationalversammlung aber dürfe
nicht damit anfangen, das Recht mit Füßen zu treten, indem sie
den Gang der Justiz hemme. Die Versammlung tritt schließlich
auch in diesem Falle dem Ausschußerachten bei. Eben so wird
auch von der Reichsversammlung die Verbindlichkeit ihrer Mit-
gieder anerkannt, über Vorgänge in Clubsitzungen allerdings er-
forderlichen Falles gerichtliches Zeugniß abzulegen.

Das Erachten des Legitimationsausschusses, welches die Aus-
schließung von fünf Mitgliedern
des Hauses, nämlich
der Herren Löw aus Posen, Caspers aus Coblenz, v. Pla-
ten
aus Neustadt, Küntzel aus Wolka und Heister aus
Siegburg beantragt, gründet sich wesentlich auf die Ansichten, welche
der Ausschuß über das Recht der Stellvertretung in der National-
versammlung überhaupt hegt. Diesen Ansichten geradezu entgegen-
stellt sich der Verbesserungsantrag von Waitz und Genossen:
"Die Nationalversammlung, in Uebereinstimmung mit §. 9. ihrer
Geschäftsordnung, so wie der bisher gehandhabten Praxis, er-
klärt: Die in Preußen gewählten Stellvertreter für die deutsche
Reichsversammlung sind berechtigt, beim Ausfalle eines Abgeord-
neten einzutreten; dieselbe erklärt ferner die angefochtenen Legiti-
mationen der Herren Löw u. s. w. für giltig." Die Abstimmung
erfolgt, nachdem von Salzwedell, Clausen, Fuchs, -- der sich aus-
führlich und mit Eifer des Professor Löw annimmt, welcher für
den General v. Brandt in die Nationalversammlung eingetreten
ist -- und Sellmer als Berichterstatter gesprochen. Der Aus-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] lieber mit Geringschätzung behandeln. Daher er die Nichtgenehmi-
gung der Untersuchung und Uebergang zur Tagesordnung über
die Ausschußanträge anräth. Langerfeldt bekämpft, Reh
aus Darmstadt unterstützt den Antrag von Vogt. v. Becke-
rath:
Eben der höhere politische Standpunkt, den uns Herr
Vogt einzunehmen räth, enthält die strengste Aufforderung dazu,
die Untersuchung weder zu unterdücken, noch zu verschieben. Denn
vor Allem haben wir dem sittlichen Bewußtseyn der Nation ge-
nugzuthun. Das Volk hat Preßfreiheit verlangt und sieht jetzt
diese Preßfreiheit zu den schnödesten Verleumdungen — und von
Mitgliedern der Reichsversammlung selbst — mißbraucht. „Jch
glaube nicht, daß das Privilegium der Mitglieder dieses Hauses
in der Ausdehnung zu verstehen ist, daß sie sich einer Untersuchung
wegen solcher Anklagen nicht zu unterwerfen haben sollten. Wenn
Herr Vogt ferner behauptet hat, daß ihre Thätigkeit an den Ge-
schäften der Versammlung dadurch beschränkt würde, daß sie für
ihre Vertheidigung zu sorgen hätten, so ist dies allerdings ge-
gründet. Wenn wir aber sehen, mit welcher Leichtigkeit die ange-
schuldigten Mitglieder täglich in öffentlichen Blättern die umfas-
sendsten Manifestationen zu Tage bringen, so dürfen wir auch
nicht zweifeln, daß sie dieselbe Thätigkeit für die Geschäfte des
Hauses an den Tag legen werden. Von dem höhern politischen
Standpunkte aus verlange ich, daß die Versammlung ihren Ver-
pflichtungen gegen die Nation nachkomme.“

Nachdem noch Scharre aus Strehla, Jucho aus Frankfurt
und Justizminister v. Mohl sich an der Debatte betheiligt — letzterer
nur kurz und um die formellen Einwände aus der Nationalver-
sammlung und an den Richter zu verweisen — erhält der Bericht-
erstatter Zachariä das Wort. Bei der Abstimmung wird der
Ausschußantrag: „Die hohe Nationalversammlung wolle be-
schließen: daß sie zu der vom Appellationsgerichte der freien
Stadt Frankfurt wieder den Abgeordneten J. G. Günther als
Redacteur der deutschen Reichstagszeitung, wegen der in den
Nummern 104. und 106. dieser Zeitung enthaltenen Belei-
digungen
verfügten strafrechtlichen Untersuchung und bezieh-
ungsweise zur Fortsetzung dieser Untersuchung durch die com-
petente Behörde ihre Zustimmung ertheile“ mit großer Mehrheit
angenommen, der Zusatz v. Watzdorfs aber abgelehnt, daß die
Einwilligung zur Untersuchung nur unter der Voraussetzung er-
theilt seyn solle, daß die Angeschuldigten selbst die Untersuchung
verlangten. Ehe zur Besprechuug des zweiten Falles überge-
gangen wird, erklärt der Redacteur der Flugblätter Jürgens,
daß er selbst auf der vom Abgeordneten Minkus wider ihn bean-
tragten Untersuchung im Jnteresse des Rechtes bestehe. ( Beifall. )
Das Ausschußerachten lautet auch hier dahin, daß die Versamm-
lung in die Untersuchung einwillige.

Das Wort erhält zuerst Schöder aus Stuttgart, dann
Rößler von Oels: Der Proceß des Herrn Minkus gegen Herrn
Jürgens ist keine Privatstreitigkeit. Er ist vielmehr eine Abwehr
wider die grenzenlosen Verleumdungen, denen wir, die linke Seite
des Hauses, seit dem unglücklichen 18. September ausgesetzt sind.
Rößler liest eine Stelle aus einem Meseritzer Localblatte vor,
ferner eine Stelle aus dem Lauenburger Kreisblatte, in denen die
ganze Partei der Vorbereitung zum Aufruhre und des Mordes
öffentlich bezichtigt wird. Gegen einzelne Mitglieder der Partei
seyen die Angriffe nicht minder hart gewesen. Beweis sey ein Ar-
tikel in der Oberpostamtszeitung gegen den Abgeordneten Minkus.
Nach solchen Schmähungen hätte man wahrlich keine Ursache ge-
habt, mit den erbitterten Erwiderungen der linken Partei so streng
ins Gericht zu gehen.

Bassermann: Schmähungen und Beleidigungen der Presse
muß man gewohnt werden, sie liegen in der Natur der Zeit und
wir wollen uns darüber keine Vorwürfe machen. Allein ich frage,
ist den Druckern, den Redacteuren der Partei, die Sie ( zur Lin-
ken ) vertreten, persönliche Gewalt angethan, sind sie terrorisirt
und gezwungen worden, wie es conservativen Blättern geschehen!
Und sind Aufforderungen zu blutiger Rache nicht etwas Anderes
und anders zu behandeln als falsche Nachrichten? Wir dürfen
nicht vergessen, daß durch solche Artikel unser Volk entsittlicht
und wir vielleicht dahin gebracht werden, wohin [unleserliches Material – 3 Zeichen fehlen]dte wahre Reac-
tion im Stillen wünscht. Wir können es nicht der Vergessenheit
anheimgeben, wir dürfen es nicht leicht nehmen, wenn zum Morde
aufgefordert oder derselbe gebilligt wird, wenn in einem Blatte,
das Jeder kennt, gesagt ist: die Kugeln sind ehrlich, welche Lich-
nowsky und Auerswald getödtet haben. ( Unruhe. ) Wir können
es nicht leicht nehmen oder der Vergessenheit anheimgeben, wenn
gleich nach dem 18. September, als noch jedes Gemüth von den
Greueln, welche hier vorfielen, tief erschüttert war, in einem Blatte,
welches von einem Mitgliede dieses Hauses redigirt wird, die
Blutschuld jener Thaten gerade auf die Männer gewälzt wird,
welche Alles thaten, um die Ordnung aufrecht zu erhalten; wenn
[Spaltenumbruch] darin gesagt wird, sie allein trügen Schuld, und wenn man
mit einer solchen Behauptung den eigentlichen Mördern die Schuld
vom Gewissen nehmen will. Und doch könnte man dieses viel-
leicht vergessen, könnte es auf Rechnung des Augenblickes setzen;
allein, meine Herren, zu unserm Erstaunen lasen wir bald nach-
her, nein, noch vor Kurzem, neue Aufreizungen von solcher Art,
daß man sie mit gewöhnlichen falschen Nachrichten gewiß nicht
verwechseln kann. Wir lasen da — es war von Blum die Rede
— Versöhnung über dieser Leiche wäre Verrath! Wie kann man im
Sinne des deutschen Volkes sprechen wollen, wenn man seinen
Tod der Mehrheit dieser Versammlung aufbürden will und aus-
ruft: Sein Blut komme über ihre Häupter! Jst dies etwa blos
eine falsche Nachricht? ( Unruhe. ) Und dann, wenn es heißt:
„Das Erbarmen solle verstummen auf den Lippen des siegreichen
Volkes,“ — soll man dann [unleserliches Material – 11 Zeichen fehlen]gleichgütig seyn? Aber nicht blos
lasen wir solches nach dem Tode Blums, nein, noch vor zwei
Tagen lasen wir in demselben Blatte, welches von einem Mit-
gliede dieses Hauses redigirt wird, einen Artikel, worin aufgefordert
wird, über dem Grabe von Blum Hetakomben hinzurichten und
worin dem ganzen Zusammenhange nach auf uns hingewiesen
wird. Nehmen Sie nun dies mit den Drohungen zusammen,
welche hier ausgesprochen werden, ferner mit den Anzeigen, welche
Sie in Frankfurt kennen gelernt haben, so frage ich, ob man nicht
die höhere Pflicht hat, wenn man doch einmal von einem höheren
politischen Standpunkte spricht, — ob nicht darin für uns Alle
die Pflicht und Aufforderung liegt, das Gegentheil zu thun von
dem, was hier geschieht und bezeichnet wird, ob wir nicht den
Sinn des deutschen Volkes zurückbringen sollten von solchen
Mord= und Blutgedanken, damit es nicht zur Freude der Reaction
heißt: Sehet, wie sie die Presse gebrauchen! Man kann und
darf nicht stillschweigen, man muß vor solchen Uebertreibungen
warnen; mögen Sie es Reaction nennen, so wird doch noch die
Zeit kommen, wo man sagt, Diejenigen, welche dies thaten, haben
die Freiheit vertheidigt, Diejenigen nicht, welche zu solchen Ueber-
treibungen und Verleumdungen greifen. Dann erst wird sich
zeigen, wer gethan hat, was der Freiheit würdig ist. ( Bravo-
ruf und Beifallsklatschen im Hause. )

Kerst aus Posen: Der Artikel im Meseritzer Wochenblatte
rührt von mir her. Es war ein vertraulicher Brief, unter dem
ersten Eindrucke der Septembereignisse geschrieben, der ohne mein
Vorwissen abgedruckt ward. Der Aufsatz ist aber von mir selbst
und auf Veranlassung des Herrn Rößler berichtigt worden. Jch
denke, ich habe damit gehandelt wie ein Ehrenmann. Die Ab-
stimmung entscheidet sich für das Ausschußerachten.

Der dritte Fall betrifft die Anklage gegen Levysohn aus Grün-
berg wegen Beleidigung der Majestät und Verletzung des Preß-
gesetzes. Der Angeschuldigte ist bereits in erster Jnstanz und zu
einem Jahre Festung verurtheilt und der Ausschuß räth, die Fort-
setzung der Untersuchung zu genehmigen. Levysohn sucht aus-
zuführen, die Untersuchung gegen ihn sey politischen Charakters,
und nur bei einer Untersuchung nach dem alten schriftlichen Ver-
fahren habe seine Verurtheilung erfolgen können. Werde der
Proceß fortgesetzt, so müsse er auf seine Vertheidigung oder auf
seinen Platz in der Reichsversammlung verzichten. Der Bericht-
erstatter Gombart tritt jedoch der Darstellung, die Herr Levy-
sohn vom Thatbestande gegeben, mit anderen Thatsachen auf das
Bestimmteste entgegen. Die Nationalversammlung aber dürfe
nicht damit anfangen, das Recht mit Füßen zu treten, indem sie
den Gang der Justiz hemme. Die Versammlung tritt schließlich
auch in diesem Falle dem Ausschußerachten bei. Eben so wird
auch von der Reichsversammlung die Verbindlichkeit ihrer Mit-
gieder anerkannt, über Vorgänge in Clubsitzungen allerdings er-
forderlichen Falles gerichtliches Zeugniß abzulegen.

Das Erachten des Legitimationsausschusses, welches die Aus-
schließung von fünf Mitgliedern
des Hauses, nämlich
der Herren Löw aus Posen, Caspers aus Coblenz, v. Pla-
ten
aus Neustadt, Küntzel aus Wolka und Heister aus
Siegburg beantragt, gründet sich wesentlich auf die Ansichten, welche
der Ausschuß über das Recht der Stellvertretung in der National-
versammlung überhaupt hegt. Diesen Ansichten geradezu entgegen-
stellt sich der Verbesserungsantrag von Waitz und Genossen:
„Die Nationalversammlung, in Uebereinstimmung mit §. 9. ihrer
Geschäftsordnung, so wie der bisher gehandhabten Praxis, er-
klärt: Die in Preußen gewählten Stellvertreter für die deutsche
Reichsversammlung sind berechtigt, beim Ausfalle eines Abgeord-
neten einzutreten; dieselbe erklärt ferner die angefochtenen Legiti-
mationen der Herren Löw u. s. w. für giltig.“ Die Abstimmung
erfolgt, nachdem von Salzwedell, Clausen, Fuchs, — der sich aus-
führlich und mit Eifer des Professor Löw annimmt, welcher für
den General v. Brandt in die Nationalversammlung eingetreten
ist — und Sellmer als Berichterstatter gesprochen. Der Aus-
[Ende Spaltensatz]

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[0002] lieber mit Geringschätzung behandeln. Daher er die Nichtgenehmi- gung der Untersuchung und Uebergang zur Tagesordnung über die Ausschußanträge anräth. Langerfeldt bekämpft, Reh aus Darmstadt unterstützt den Antrag von Vogt. v. Becke- rath: Eben der höhere politische Standpunkt, den uns Herr Vogt einzunehmen räth, enthält die strengste Aufforderung dazu, die Untersuchung weder zu unterdücken, noch zu verschieben. Denn vor Allem haben wir dem sittlichen Bewußtseyn der Nation ge- nugzuthun. Das Volk hat Preßfreiheit verlangt und sieht jetzt diese Preßfreiheit zu den schnödesten Verleumdungen — und von Mitgliedern der Reichsversammlung selbst — mißbraucht. „Jch glaube nicht, daß das Privilegium der Mitglieder dieses Hauses in der Ausdehnung zu verstehen ist, daß sie sich einer Untersuchung wegen solcher Anklagen nicht zu unterwerfen haben sollten. Wenn Herr Vogt ferner behauptet hat, daß ihre Thätigkeit an den Ge- schäften der Versammlung dadurch beschränkt würde, daß sie für ihre Vertheidigung zu sorgen hätten, so ist dies allerdings ge- gründet. Wenn wir aber sehen, mit welcher Leichtigkeit die ange- schuldigten Mitglieder täglich in öffentlichen Blättern die umfas- sendsten Manifestationen zu Tage bringen, so dürfen wir auch nicht zweifeln, daß sie dieselbe Thätigkeit für die Geschäfte des Hauses an den Tag legen werden. Von dem höhern politischen Standpunkte aus verlange ich, daß die Versammlung ihren Ver- pflichtungen gegen die Nation nachkomme.“ Nachdem noch Scharre aus Strehla, Jucho aus Frankfurt und Justizminister v. Mohl sich an der Debatte betheiligt — letzterer nur kurz und um die formellen Einwände aus der Nationalver- sammlung und an den Richter zu verweisen — erhält der Bericht- erstatter Zachariä das Wort. Bei der Abstimmung wird der Ausschußantrag: „Die hohe Nationalversammlung wolle be- schließen: daß sie zu der vom Appellationsgerichte der freien Stadt Frankfurt wieder den Abgeordneten J. G. Günther als Redacteur der deutschen Reichstagszeitung, wegen der in den Nummern 104. und 106. dieser Zeitung enthaltenen Belei- digungen verfügten strafrechtlichen Untersuchung und bezieh- ungsweise zur Fortsetzung dieser Untersuchung durch die com- petente Behörde ihre Zustimmung ertheile“ mit großer Mehrheit angenommen, der Zusatz v. Watzdorfs aber abgelehnt, daß die Einwilligung zur Untersuchung nur unter der Voraussetzung er- theilt seyn solle, daß die Angeschuldigten selbst die Untersuchung verlangten. Ehe zur Besprechuug des zweiten Falles überge- gangen wird, erklärt der Redacteur der Flugblätter Jürgens, daß er selbst auf der vom Abgeordneten Minkus wider ihn bean- tragten Untersuchung im Jnteresse des Rechtes bestehe. ( Beifall. ) Das Ausschußerachten lautet auch hier dahin, daß die Versamm- lung in die Untersuchung einwillige. Das Wort erhält zuerst Schöder aus Stuttgart, dann Rößler von Oels: Der Proceß des Herrn Minkus gegen Herrn Jürgens ist keine Privatstreitigkeit. Er ist vielmehr eine Abwehr wider die grenzenlosen Verleumdungen, denen wir, die linke Seite des Hauses, seit dem unglücklichen 18. September ausgesetzt sind. Rößler liest eine Stelle aus einem Meseritzer Localblatte vor, ferner eine Stelle aus dem Lauenburger Kreisblatte, in denen die ganze Partei der Vorbereitung zum Aufruhre und des Mordes öffentlich bezichtigt wird. Gegen einzelne Mitglieder der Partei seyen die Angriffe nicht minder hart gewesen. Beweis sey ein Ar- tikel in der Oberpostamtszeitung gegen den Abgeordneten Minkus. Nach solchen Schmähungen hätte man wahrlich keine Ursache ge- habt, mit den erbitterten Erwiderungen der linken Partei so streng ins Gericht zu gehen. Bassermann: Schmähungen und Beleidigungen der Presse muß man gewohnt werden, sie liegen in der Natur der Zeit und wir wollen uns darüber keine Vorwürfe machen. Allein ich frage, ist den Druckern, den Redacteuren der Partei, die Sie ( zur Lin- ken ) vertreten, persönliche Gewalt angethan, sind sie terrorisirt und gezwungen worden, wie es conservativen Blättern geschehen! Und sind Aufforderungen zu blutiger Rache nicht etwas Anderes und anders zu behandeln als falsche Nachrichten? Wir dürfen nicht vergessen, daß durch solche Artikel unser Volk entsittlicht und wir vielleicht dahin gebracht werden, wohin ___dte wahre Reac- tion im Stillen wünscht. Wir können es nicht der Vergessenheit anheimgeben, wir dürfen es nicht leicht nehmen, wenn zum Morde aufgefordert oder derselbe gebilligt wird, wenn in einem Blatte, das Jeder kennt, gesagt ist: die Kugeln sind ehrlich, welche Lich- nowsky und Auerswald getödtet haben. ( Unruhe. ) Wir können es nicht leicht nehmen oder der Vergessenheit anheimgeben, wenn gleich nach dem 18. September, als noch jedes Gemüth von den Greueln, welche hier vorfielen, tief erschüttert war, in einem Blatte, welches von einem Mitgliede dieses Hauses redigirt wird, die Blutschuld jener Thaten gerade auf die Männer gewälzt wird, welche Alles thaten, um die Ordnung aufrecht zu erhalten; wenn darin gesagt wird, sie allein trügen Schuld, und wenn man mit einer solchen Behauptung den eigentlichen Mördern die Schuld vom Gewissen nehmen will. Und doch könnte man dieses viel- leicht vergessen, könnte es auf Rechnung des Augenblickes setzen; allein, meine Herren, zu unserm Erstaunen lasen wir bald nach- her, nein, noch vor Kurzem, neue Aufreizungen von solcher Art, daß man sie mit gewöhnlichen falschen Nachrichten gewiß nicht verwechseln kann. Wir lasen da — es war von Blum die Rede — Versöhnung über dieser Leiche wäre Verrath! Wie kann man im Sinne des deutschen Volkes sprechen wollen, wenn man seinen Tod der Mehrheit dieser Versammlung aufbürden will und aus- ruft: Sein Blut komme über ihre Häupter! Jst dies etwa blos eine falsche Nachricht? ( Unruhe. ) Und dann, wenn es heißt: „Das Erbarmen solle verstummen auf den Lippen des siegreichen Volkes,“ — soll man dann ___________gleichgütig seyn? Aber nicht blos lasen wir solches nach dem Tode Blums, nein, noch vor zwei Tagen lasen wir in demselben Blatte, welches von einem Mit- gliede dieses Hauses redigirt wird, einen Artikel, worin aufgefordert wird, über dem Grabe von Blum Hetakomben hinzurichten und worin dem ganzen Zusammenhange nach auf uns hingewiesen wird. Nehmen Sie nun dies mit den Drohungen zusammen, welche hier ausgesprochen werden, ferner mit den Anzeigen, welche Sie in Frankfurt kennen gelernt haben, so frage ich, ob man nicht die höhere Pflicht hat, wenn man doch einmal von einem höheren politischen Standpunkte spricht, — ob nicht darin für uns Alle die Pflicht und Aufforderung liegt, das Gegentheil zu thun von dem, was hier geschieht und bezeichnet wird, ob wir nicht den Sinn des deutschen Volkes zurückbringen sollten von solchen Mord= und Blutgedanken, damit es nicht zur Freude der Reaction heißt: Sehet, wie sie die Presse gebrauchen! Man kann und darf nicht stillschweigen, man muß vor solchen Uebertreibungen warnen; mögen Sie es Reaction nennen, so wird doch noch die Zeit kommen, wo man sagt, Diejenigen, welche dies thaten, haben die Freiheit vertheidigt, Diejenigen nicht, welche zu solchen Ueber- treibungen und Verleumdungen greifen. Dann erst wird sich zeigen, wer gethan hat, was der Freiheit würdig ist. ( Bravo- ruf und Beifallsklatschen im Hause. ) Kerst aus Posen: Der Artikel im Meseritzer Wochenblatte rührt von mir her. Es war ein vertraulicher Brief, unter dem ersten Eindrucke der Septembereignisse geschrieben, der ohne mein Vorwissen abgedruckt ward. Der Aufsatz ist aber von mir selbst und auf Veranlassung des Herrn Rößler berichtigt worden. Jch denke, ich habe damit gehandelt wie ein Ehrenmann. Die Ab- stimmung entscheidet sich für das Ausschußerachten. Der dritte Fall betrifft die Anklage gegen Levysohn aus Grün- berg wegen Beleidigung der Majestät und Verletzung des Preß- gesetzes. Der Angeschuldigte ist bereits in erster Jnstanz und zu einem Jahre Festung verurtheilt und der Ausschuß räth, die Fort- setzung der Untersuchung zu genehmigen. Levysohn sucht aus- zuführen, die Untersuchung gegen ihn sey politischen Charakters, und nur bei einer Untersuchung nach dem alten schriftlichen Ver- fahren habe seine Verurtheilung erfolgen können. Werde der Proceß fortgesetzt, so müsse er auf seine Vertheidigung oder auf seinen Platz in der Reichsversammlung verzichten. Der Bericht- erstatter Gombart tritt jedoch der Darstellung, die Herr Levy- sohn vom Thatbestande gegeben, mit anderen Thatsachen auf das Bestimmteste entgegen. Die Nationalversammlung aber dürfe nicht damit anfangen, das Recht mit Füßen zu treten, indem sie den Gang der Justiz hemme. Die Versammlung tritt schließlich auch in diesem Falle dem Ausschußerachten bei. Eben so wird auch von der Reichsversammlung die Verbindlichkeit ihrer Mit- gieder anerkannt, über Vorgänge in Clubsitzungen allerdings er- forderlichen Falles gerichtliches Zeugniß abzulegen. Das Erachten des Legitimationsausschusses, welches die Aus- schließung von fünf Mitgliedern des Hauses, nämlich der Herren Löw aus Posen, Caspers aus Coblenz, v. Pla- ten aus Neustadt, Küntzel aus Wolka und Heister aus Siegburg beantragt, gründet sich wesentlich auf die Ansichten, welche der Ausschuß über das Recht der Stellvertretung in der National- versammlung überhaupt hegt. Diesen Ansichten geradezu entgegen- stellt sich der Verbesserungsantrag von Waitz und Genossen: „Die Nationalversammlung, in Uebereinstimmung mit §. 9. ihrer Geschäftsordnung, so wie der bisher gehandhabten Praxis, er- klärt: Die in Preußen gewählten Stellvertreter für die deutsche Reichsversammlung sind berechtigt, beim Ausfalle eines Abgeord- neten einzutreten; dieselbe erklärt ferner die angefochtenen Legiti- mationen der Herren Löw u. s. w. für giltig.“ Die Abstimmung erfolgt, nachdem von Salzwedell, Clausen, Fuchs, — der sich aus- führlich und mit Eifer des Professor Löw annimmt, welcher für den General v. Brandt in die Nationalversammlung eingetreten ist — und Sellmer als Berichterstatter gesprochen. Der Aus-

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 161. Mainz, 11. Dezember 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal161_1848/2>, abgerufen am 06.06.2024.