Mainzer Journal. Nr. 95. Mainz, 25. September 1848.[Beginn Spaltensatz]
fehl zum Trotz Waffen verborgen hatten. Radetzky spaßt nicht. Frankreich. * * * Paris 22. September. Die Discussion über die neue * * * Paris 23. September. Die gestrige Sitzung sollte mit Die "Patrie" berichtete neulich, Hr. Pascal Duprat hätte Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg. [Beginn Spaltensatz]
fehl zum Trotz Waffen verborgen hatten. Radetzky spaßt nicht. Frankreich. * * * Paris 22. September. Die Discussion über die neue * * * Paris 23. September. Die gestrige Sitzung sollte mit Die „Patrie“ berichtete neulich, Hr. Pascal Duprat hätte Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg. <TEI> <text> <body> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <p><pb facs="#f0004"/><cb type="start"/> fehl zum Trotz Waffen verborgen hatten. Radetzky spaßt nicht.<lb/> Einige Mailänder, welche tabakrauchende Soldaten insultirten,<lb/> wurden nach Mantua gebracht, und bleiben dort in achtmonat-<lb/> licher Haft bei schmaler Kost. Seitdem muckst niemand mehr,<lb/> und die Oesterreicher rauchen im Frieden ihre Cigarren. Sämmt-<lb/> liche Schweizer aus dem Kanton Tessin haben Befehl erhalten die<lb/> Lombardei binnen 24 Stunden zu verlassen. Es ist eine Re-<lb/> pressalie Radetzky's wegen der unhöflichen Antwort, welche die<lb/> Regierung dieses Kantons auf seine gerechte Beschwerde gegeben.<lb/> Die Maßregel trifft sehr hart. Hunderte von Tessinern waren<lb/> seit vielen Jahren als Gastwirthe hier ansäßig. Möge die<lb/> Schweiz dabei lernen, daß es unklug ist eine Großmacht, wie<lb/> Oesterreich, bei jeder Gelegenheit zu reizen und gerechten Vor-<lb/> stellungen immer nur den barschen Trotz entgegenzusetzen, der<lb/> auch dem Kleinen nur dann gut ansteht, wenn er eine durch-<lb/> aus lautere Sache vertheidigt. Auch das Verbot der Getreide<lb/> ausfuhr nach der Schweiz und nach Piemont wird einige Kantone<lb/> hart treffen.</p> </div><lb/> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#g">Frankreich.</hi> </head><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p><hi rendition="#sup">* * *</hi> Paris 22. September. Die Discussion über die neue<lb/> Verfassung rennt in Siebenmeilenstiefeln voran und in der Regel<lb/> werden alle Vorschläge der Verfassungscommission genehmigt,<lb/> was, wenn auch keine gründlichen und allseitigen Erörterungen<lb/> bei einem solchen Verfahren gepflogen werden können, doch<lb/> wenigstens das Gute hat, daß die Sache rasch vorwärts geht.<lb/> Die Franzosen denken eben auch: lieber eine mittelmäßige Ver-<lb/> fassung als gar keine. Jn der gestrigen Sitzung wurde die Dis-<lb/> cussion bei Art. 9. fortgesetzt, welcher lautet: „Der Unterricht ist<lb/> frei. Die Unterrichtsfreiheit wird ausgeübt unter der Garantie<lb/> der Gesetze und der Aufsicht des Staates. Diese Aufsicht erstreckt<lb/> sich auf alle Erziehungs= und Unterrichtsanstalten, ohne irgend<lb/> eine Ausnahme.“ Der Bischof von Langres, <hi rendition="#g">Parisis,</hi> schlug<lb/> vor, den Artikel bloß auf die Worte „der Unterricht ist frei“ zu<lb/> beschränken. Bisher habe man die Bischöfe beschuldigt, daß sie<lb/> die Freiheit nur wollten, um ihre Herrschaft zu begründen; es<lb/> liege ihnen daran, diesen Vorwurf zu widerlegen. Der Redner<lb/> versicherte, daß er einzig im Jnteresse Aller sein Amendement<lb/> vorgeschlagen habe; er nahm dasselbe jedoch zurück, weil die<lb/> Entwickelung seiner Gedanken bei Erörterung des organischen<lb/> Gesetzes über den Unterricht mehr an ihrem Platze seyn werde.<lb/> Hr. <hi rendition="#g">Mauvais</hi> beantragte ebenfalls eine andere Fassung des<lb/> Artikels, welche dem Staate nur eine beschränkte und indirecte<lb/> Aufsicht über den Unterricht zuzugestehen bezweckt, und Hr. <hi rendition="#g">de<lb/> Tracy</hi> schlug vor, dieser Fassung noch beizufügen. „Der Un-<lb/> terricht kann nur im Jnteresse der Moral und der Achtung vor den<lb/> Gesetzen ertheilt werden.“ Hr. de Tracy äußerte, er habe stets die<lb/> Unterrichtsfreiheit vertreten und es sey wohl an der Zeit dieselbe end-<lb/> lich zu gewähren, damit auch die Masse einer gehörigen Erziehung<lb/> theilhaftig werde. Er tadelte zugleich die seitherige Ueberschätzung<lb/> des classischen Unterrichts, der die Jugend mit Griechisch und Latein<lb/> vollpfropfe, ohne ihr die heut zu Tage nöthigen Kenntnisse beizu-<lb/> bringen. Es thue Noth, den Unterricht mehr praktisch zu machen<lb/> und den Bedürfnissen des Lebens anzubequemen. Nachdem noch<lb/> Herr Saint=Hilaire dem Staate den ganzen Unterricht in die<lb/> Hände zu spielen gesucht, entschied die Versammlung durch Ab-<lb/> stimmung für den Schluß der allgemeinen Erörterung und der<lb/> Artikel 9. in seiner Gesammtheit wurde genehmigt: Art. 10.<lb/> ward sodann in folgender Fassung genehmigt; „Alle Bürger sind<lb/> gleich zulässig zu allen öffentlichen Aemtern, ohne andere Be-<lb/> dingung als ihr Verdienst, und gemäß den durch die organischen<lb/> Gesetze festzustellenden Bedingungen. Die Verfassung erkennt<lb/> weder Titel noch Unterschied der Geburt, Classe oder Kaste<lb/> an.“ Die Art. 11. in Bezug auf die Unverletzlichkeit des<lb/> Eigenthums und 12. in Bezug auf die Confiscation wurden fast ohne<lb/> Erörterung genehmigt. Zu dem auf die Freiheit der Arbeit und der<lb/> Jndustrie bezüglichen Artikel 13. waren drei Amendements vorge-<lb/> schlagen. Ein Amendement <hi rendition="#g">Reynaud's,</hi> welches vorschlug, daß<lb/> diese Freiheit unter Garantie der Gesetze und Staatsaufsicht aus-<lb/> geübt werde, wurde als communistisch bezeichnet, von Corbon be-<lb/> kämpft und verworfen. Gleiches Schicksal hatte ein ähnliches<lb/> Amendement von Alphonse Blanc. Der Art. 13. wurde geneh-<lb/> migt. Zu Art. 14.: „Die öffentliche Schuld wird garantirt,“ be-<lb/> antragte Hr. Pongeard als Amendement den Zusatz: „Jede Art<lb/> von Verpflichtung, welche der Staat gegen seine Gläubiger über-<lb/> nommen, ist unverletzlich“ und der Artikel wurde mit diesem von<lb/> der Commission genehmigten Amendement angenommen. Zu Art.<lb/> 15. in Betreff der Steuern beantragte Hr. <hi rendition="#g">Person</hi> folgendes<lb/> Amendement: „Jede Steuer wird zum allgemeinen Nutzen auf-<lb/> erlegt. Jedes Einkommen ist der Steuer unterworfen. Jede Steuer<lb/> steht im Verhältnisse zum Einkommen. Jeder Bürger schuldet<lb/> eine persönliche Steuer.“ Es entspann sich eine lange Erörterung<lb/><cb n="2"/> über fortschreitende Besteuerung und indirecte Steuern, die jedoch<lb/> bis zum Schlusse der Sitzung zu keinem Ergebnisse führte.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p><hi rendition="#sup">* * *</hi> Paris 23. September. Die gestrige Sitzung sollte mit<lb/> Unterbrechung der Berathung über die Constitution wichtigen ma-<lb/> teriellen Fragen gewidmet seyn und die Kammer hatte eben sechs<lb/> Millionen für Anlegung von Vicinalwegen, die zur Hebung des<lb/> Ackerbaues so wichtig sind, bewilligt, — als auf einmal eine Jn-<lb/> terpellation an das Ministerium dazwischentrat. Jch muß hier,<lb/> um Jhnen dieselbe klar zu machen, einiges Andere einflechten.<lb/> Betrachten Sie alle Parteien, in welche das gegenwärtige Frank-<lb/> reich zerfällt, Bonapartisten, Legitimisten, Philippisten, Socialisten<lb/> und rothe Republikaner, so werden sie bei allen diesen, so haltlos<lb/> sie auch an und für sich seyn mögen, immerhin <hi rendition="#g">eine Jdee</hi> finden,<lb/> womit sie auf die Massen einwirken, und wenn der Bonapartist<lb/> den militärischen Ruhm und Glanz der Kaiserzeit, der Legitimist<lb/> die Herrlichkeit der alten Zeit, wo jeder Bauer ein Huhn im Topf<lb/> hatte und die Herzensgüte und Redlichkeit der gefallenen Dynastie<lb/> preist, wenn der Philippist als Ritter der Jndustrie und des mate-<lb/> riellen Wohlstandes auftritt, wenn der Socialist dem Volke goldene<lb/> Berge verspricht und der Rothrepublikaner Wuth und Rache gegen<lb/> alles Bestehende schnaubt, — so können alle diese Leute mit ihrer hand-<lb/> greiflichen Weisheit auf einen gewissen Anhang unter den Mas-<lb/> sen zählen. Anders aber ist es mit der gegenwärtigen Repu-<lb/> blik, die im Grunde weiter nichts als die Regierung einer in<lb/> lauter abstracten Dingen herumtappenden Journalistenschule ist,<lb/> die ihre Jdeale in Athen, Sparta und Rom sucht. Athen und<lb/> Sparta liegen aber trotz der Universität der gegenwärtigen Ge-<lb/> neration sehr fern und so kommt es, daß die Republik, die<lb/> honette Republik, die Massen so kalt läßt, wie ein mythologi-<lb/> sches Bild von Davi oder eine Götterstatüe aus irgend einer<lb/> akademischen Schule, zumal da die neue Regierungsform unseren<lb/> guten Franzosen noch weiter nichts gebracht hat als schwere<lb/> Noth die Menge und große Kosten. Das allgemeine Gefühl in<lb/> Frankreich ist in Folge von alle dem jetzt — Unbehaglichkeit, die<lb/> sich in allerlei Gerüchten vorläufig Luft zu machen sucht. So circu-<lb/> lirten dieser Tage zwei neue Ministerlisten, von denen die eine sich<lb/> mehr den Philippisten, die andere mehr dem Berge nähert; wieder<lb/> hieß es, Cavaignac solle, um schnell zu einer gewissen Ordnung<lb/> zu kommen, von der Nationalversammlung zum Präsidenten<lb/> ausgerufen werden, und gestern brachte Herr Sauteyra seine Jn-<lb/> terpellation, das heißt, er klagte: im Lande herrschten Unruhe<lb/> und Befürchtungen aller Art, alle Parteien sollten doch ihres<lb/> Privathaders vergessen und aufrichtig an Republik und Regier-<lb/> ung sich anschließen. Was die Regierung unter den obwaltenden<lb/> Umständen zu thun gedenke? Cavaignac antwortete tröstend:<lb/> Wolken seyen allerdings dagewesen, allein sie hätten sich wieder<lb/> zerstreut, alle guten Bürger möchten um die republikanische Fahne<lb/> sich schaaren und dort sich brüderlich die Hand reichen. Schön<lb/> gesagt, wenn nur die Ausführung eben so leicht wäre! Am Ende<lb/> gab die Kammer zu den vielen Vertrauensvoten, die sie der Re-<lb/> gierung schon gegeben, noch ein neues und erklärte in motivirter<lb/> Tagesordnung, „daß die Regierung fortwährend ihr volles Ver-<lb/> trauen besitze.“ Was ist damit gewonnen? Uns kommen Regier-<lb/> ung und Nationalversammlung wie zwei Berauschte vor, die sich<lb/> gegenseitig zu stützen suchen und am Ende miteinander in die<lb/> Grube fallen.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <p>Die „Patrie“ berichtete neulich, Hr. Pascal Duprat hätte<lb/> den Auftrag erhalten, sich nach Pesth zu begeben, wo Frankreich<lb/> einen Geschäftsträger bei der ungarischen Regierung zn unterhal-<lb/> ten gedenke. Das Gerücht, welches die Patrie auf solche Art<lb/> in die Welt streute, ist rein aus der Luft gegriffen, denn ich erfahre<lb/> aus authentischer Quelle, daß die Ungarn mit der Absendung des<lb/> Grafen Teleky nach Paris gänzlich Fiasco machen werden. Hr.<lb/> Bastide, unser Minister des Auswärtigen, hat den ungarischen<lb/> Abgeordneten bisher nicht einmal empfangen wollen; noch weni-<lb/> ger mochte General Cavaignac ihm eine Audienz ertheilen. Graf<lb/> Teleky konnte Nichts weiter erringen, als Hrn. Hetzel, Chef des<lb/> Privatkabinets des Herrn Bastide, zu sprechen, was ohnehin nicht<lb/> schwer hält, da die Thüre des Hrn. Hetzel beinahe Jedermann of-<lb/> fen steht. Jndessen hat die französische Regierung auf indirectem<lb/> Wege dem Grafen Teleky deutlich zu verstehen gegeben, daß sie<lb/> nicht recht begreife, was eigentlich der Zweck seiner Sendung seyn<lb/> soll. Denn handelt es sich um die Anerkennung der politischen<lb/> Selbstständigkeit Ungarns, so mag die französische Regierung, welche<lb/> ungeachtet der dringendsten Aufforderungen weder die Reoolution<lb/> von Mailand, noch jene von Venedig förmlich anerkennen wollte, noch<lb/> weniger das durch den Banus von Kroatien im Schach gehaltene<lb/> Sonderwesen der Magyaren in Schutz nehmen. Frankreich hat mit<lb/> der italienischen Frage, die es weit näher angeht, hinlänglich zu<lb/> thun, um sich nicht auch noch die Angelegenheiten der Magyaren<lb/> auf den Hals laden zu wollen.</p> </div> </div><lb/> <cb type="end"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> <back> <div type="imprint" n="1"> <p>Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.</p> </div><lb/> </back> </text> </TEI> [0004]
fehl zum Trotz Waffen verborgen hatten. Radetzky spaßt nicht.
Einige Mailänder, welche tabakrauchende Soldaten insultirten,
wurden nach Mantua gebracht, und bleiben dort in achtmonat-
licher Haft bei schmaler Kost. Seitdem muckst niemand mehr,
und die Oesterreicher rauchen im Frieden ihre Cigarren. Sämmt-
liche Schweizer aus dem Kanton Tessin haben Befehl erhalten die
Lombardei binnen 24 Stunden zu verlassen. Es ist eine Re-
pressalie Radetzky's wegen der unhöflichen Antwort, welche die
Regierung dieses Kantons auf seine gerechte Beschwerde gegeben.
Die Maßregel trifft sehr hart. Hunderte von Tessinern waren
seit vielen Jahren als Gastwirthe hier ansäßig. Möge die
Schweiz dabei lernen, daß es unklug ist eine Großmacht, wie
Oesterreich, bei jeder Gelegenheit zu reizen und gerechten Vor-
stellungen immer nur den barschen Trotz entgegenzusetzen, der
auch dem Kleinen nur dann gut ansteht, wenn er eine durch-
aus lautere Sache vertheidigt. Auch das Verbot der Getreide
ausfuhr nach der Schweiz und nach Piemont wird einige Kantone
hart treffen.
Frankreich.
* * * Paris 22. September. Die Discussion über die neue
Verfassung rennt in Siebenmeilenstiefeln voran und in der Regel
werden alle Vorschläge der Verfassungscommission genehmigt,
was, wenn auch keine gründlichen und allseitigen Erörterungen
bei einem solchen Verfahren gepflogen werden können, doch
wenigstens das Gute hat, daß die Sache rasch vorwärts geht.
Die Franzosen denken eben auch: lieber eine mittelmäßige Ver-
fassung als gar keine. Jn der gestrigen Sitzung wurde die Dis-
cussion bei Art. 9. fortgesetzt, welcher lautet: „Der Unterricht ist
frei. Die Unterrichtsfreiheit wird ausgeübt unter der Garantie
der Gesetze und der Aufsicht des Staates. Diese Aufsicht erstreckt
sich auf alle Erziehungs= und Unterrichtsanstalten, ohne irgend
eine Ausnahme.“ Der Bischof von Langres, Parisis, schlug
vor, den Artikel bloß auf die Worte „der Unterricht ist frei“ zu
beschränken. Bisher habe man die Bischöfe beschuldigt, daß sie
die Freiheit nur wollten, um ihre Herrschaft zu begründen; es
liege ihnen daran, diesen Vorwurf zu widerlegen. Der Redner
versicherte, daß er einzig im Jnteresse Aller sein Amendement
vorgeschlagen habe; er nahm dasselbe jedoch zurück, weil die
Entwickelung seiner Gedanken bei Erörterung des organischen
Gesetzes über den Unterricht mehr an ihrem Platze seyn werde.
Hr. Mauvais beantragte ebenfalls eine andere Fassung des
Artikels, welche dem Staate nur eine beschränkte und indirecte
Aufsicht über den Unterricht zuzugestehen bezweckt, und Hr. de
Tracy schlug vor, dieser Fassung noch beizufügen. „Der Un-
terricht kann nur im Jnteresse der Moral und der Achtung vor den
Gesetzen ertheilt werden.“ Hr. de Tracy äußerte, er habe stets die
Unterrichtsfreiheit vertreten und es sey wohl an der Zeit dieselbe end-
lich zu gewähren, damit auch die Masse einer gehörigen Erziehung
theilhaftig werde. Er tadelte zugleich die seitherige Ueberschätzung
des classischen Unterrichts, der die Jugend mit Griechisch und Latein
vollpfropfe, ohne ihr die heut zu Tage nöthigen Kenntnisse beizu-
bringen. Es thue Noth, den Unterricht mehr praktisch zu machen
und den Bedürfnissen des Lebens anzubequemen. Nachdem noch
Herr Saint=Hilaire dem Staate den ganzen Unterricht in die
Hände zu spielen gesucht, entschied die Versammlung durch Ab-
stimmung für den Schluß der allgemeinen Erörterung und der
Artikel 9. in seiner Gesammtheit wurde genehmigt: Art. 10.
ward sodann in folgender Fassung genehmigt; „Alle Bürger sind
gleich zulässig zu allen öffentlichen Aemtern, ohne andere Be-
dingung als ihr Verdienst, und gemäß den durch die organischen
Gesetze festzustellenden Bedingungen. Die Verfassung erkennt
weder Titel noch Unterschied der Geburt, Classe oder Kaste
an.“ Die Art. 11. in Bezug auf die Unverletzlichkeit des
Eigenthums und 12. in Bezug auf die Confiscation wurden fast ohne
Erörterung genehmigt. Zu dem auf die Freiheit der Arbeit und der
Jndustrie bezüglichen Artikel 13. waren drei Amendements vorge-
schlagen. Ein Amendement Reynaud's, welches vorschlug, daß
diese Freiheit unter Garantie der Gesetze und Staatsaufsicht aus-
geübt werde, wurde als communistisch bezeichnet, von Corbon be-
kämpft und verworfen. Gleiches Schicksal hatte ein ähnliches
Amendement von Alphonse Blanc. Der Art. 13. wurde geneh-
migt. Zu Art. 14.: „Die öffentliche Schuld wird garantirt,“ be-
antragte Hr. Pongeard als Amendement den Zusatz: „Jede Art
von Verpflichtung, welche der Staat gegen seine Gläubiger über-
nommen, ist unverletzlich“ und der Artikel wurde mit diesem von
der Commission genehmigten Amendement angenommen. Zu Art.
15. in Betreff der Steuern beantragte Hr. Person folgendes
Amendement: „Jede Steuer wird zum allgemeinen Nutzen auf-
erlegt. Jedes Einkommen ist der Steuer unterworfen. Jede Steuer
steht im Verhältnisse zum Einkommen. Jeder Bürger schuldet
eine persönliche Steuer.“ Es entspann sich eine lange Erörterung
über fortschreitende Besteuerung und indirecte Steuern, die jedoch
bis zum Schlusse der Sitzung zu keinem Ergebnisse führte.
* * * Paris 23. September. Die gestrige Sitzung sollte mit
Unterbrechung der Berathung über die Constitution wichtigen ma-
teriellen Fragen gewidmet seyn und die Kammer hatte eben sechs
Millionen für Anlegung von Vicinalwegen, die zur Hebung des
Ackerbaues so wichtig sind, bewilligt, — als auf einmal eine Jn-
terpellation an das Ministerium dazwischentrat. Jch muß hier,
um Jhnen dieselbe klar zu machen, einiges Andere einflechten.
Betrachten Sie alle Parteien, in welche das gegenwärtige Frank-
reich zerfällt, Bonapartisten, Legitimisten, Philippisten, Socialisten
und rothe Republikaner, so werden sie bei allen diesen, so haltlos
sie auch an und für sich seyn mögen, immerhin eine Jdee finden,
womit sie auf die Massen einwirken, und wenn der Bonapartist
den militärischen Ruhm und Glanz der Kaiserzeit, der Legitimist
die Herrlichkeit der alten Zeit, wo jeder Bauer ein Huhn im Topf
hatte und die Herzensgüte und Redlichkeit der gefallenen Dynastie
preist, wenn der Philippist als Ritter der Jndustrie und des mate-
riellen Wohlstandes auftritt, wenn der Socialist dem Volke goldene
Berge verspricht und der Rothrepublikaner Wuth und Rache gegen
alles Bestehende schnaubt, — so können alle diese Leute mit ihrer hand-
greiflichen Weisheit auf einen gewissen Anhang unter den Mas-
sen zählen. Anders aber ist es mit der gegenwärtigen Repu-
blik, die im Grunde weiter nichts als die Regierung einer in
lauter abstracten Dingen herumtappenden Journalistenschule ist,
die ihre Jdeale in Athen, Sparta und Rom sucht. Athen und
Sparta liegen aber trotz der Universität der gegenwärtigen Ge-
neration sehr fern und so kommt es, daß die Republik, die
honette Republik, die Massen so kalt läßt, wie ein mythologi-
sches Bild von Davi oder eine Götterstatüe aus irgend einer
akademischen Schule, zumal da die neue Regierungsform unseren
guten Franzosen noch weiter nichts gebracht hat als schwere
Noth die Menge und große Kosten. Das allgemeine Gefühl in
Frankreich ist in Folge von alle dem jetzt — Unbehaglichkeit, die
sich in allerlei Gerüchten vorläufig Luft zu machen sucht. So circu-
lirten dieser Tage zwei neue Ministerlisten, von denen die eine sich
mehr den Philippisten, die andere mehr dem Berge nähert; wieder
hieß es, Cavaignac solle, um schnell zu einer gewissen Ordnung
zu kommen, von der Nationalversammlung zum Präsidenten
ausgerufen werden, und gestern brachte Herr Sauteyra seine Jn-
terpellation, das heißt, er klagte: im Lande herrschten Unruhe
und Befürchtungen aller Art, alle Parteien sollten doch ihres
Privathaders vergessen und aufrichtig an Republik und Regier-
ung sich anschließen. Was die Regierung unter den obwaltenden
Umständen zu thun gedenke? Cavaignac antwortete tröstend:
Wolken seyen allerdings dagewesen, allein sie hätten sich wieder
zerstreut, alle guten Bürger möchten um die republikanische Fahne
sich schaaren und dort sich brüderlich die Hand reichen. Schön
gesagt, wenn nur die Ausführung eben so leicht wäre! Am Ende
gab die Kammer zu den vielen Vertrauensvoten, die sie der Re-
gierung schon gegeben, noch ein neues und erklärte in motivirter
Tagesordnung, „daß die Regierung fortwährend ihr volles Ver-
trauen besitze.“ Was ist damit gewonnen? Uns kommen Regier-
ung und Nationalversammlung wie zwei Berauschte vor, die sich
gegenseitig zu stützen suchen und am Ende miteinander in die
Grube fallen.
Die „Patrie“ berichtete neulich, Hr. Pascal Duprat hätte
den Auftrag erhalten, sich nach Pesth zu begeben, wo Frankreich
einen Geschäftsträger bei der ungarischen Regierung zn unterhal-
ten gedenke. Das Gerücht, welches die Patrie auf solche Art
in die Welt streute, ist rein aus der Luft gegriffen, denn ich erfahre
aus authentischer Quelle, daß die Ungarn mit der Absendung des
Grafen Teleky nach Paris gänzlich Fiasco machen werden. Hr.
Bastide, unser Minister des Auswärtigen, hat den ungarischen
Abgeordneten bisher nicht einmal empfangen wollen; noch weni-
ger mochte General Cavaignac ihm eine Audienz ertheilen. Graf
Teleky konnte Nichts weiter erringen, als Hrn. Hetzel, Chef des
Privatkabinets des Herrn Bastide, zu sprechen, was ohnehin nicht
schwer hält, da die Thüre des Hrn. Hetzel beinahe Jedermann of-
fen steht. Jndessen hat die französische Regierung auf indirectem
Wege dem Grafen Teleky deutlich zu verstehen gegeben, daß sie
nicht recht begreife, was eigentlich der Zweck seiner Sendung seyn
soll. Denn handelt es sich um die Anerkennung der politischen
Selbstständigkeit Ungarns, so mag die französische Regierung, welche
ungeachtet der dringendsten Aufforderungen weder die Reoolution
von Mailand, noch jene von Venedig förmlich anerkennen wollte, noch
weniger das durch den Banus von Kroatien im Schach gehaltene
Sonderwesen der Magyaren in Schutz nehmen. Frankreich hat mit
der italienischen Frage, die es weit näher angeht, hinlänglich zu
thun, um sich nicht auch noch die Angelegenheiten der Magyaren
auf den Hals laden zu wollen.
Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.
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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
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