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Mainzer Journal. Nr. 37. Mainz, 22. Juli 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 37. Samstag, den 22. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Herzensergießung über die Gemeindefreiheit.

# # Jn der Reichsversammlung und in den Ständekam-
mern wird getagt und viel berathen über Gemeindeverfassung
und Gemeindefreiheit. Die Gemeinden sollen freier, selbststän-
diger werden. Danach verlangen als nach der einzig soliden
Grundlage wie der Freiheit, so der Ordnung alle ernsten, red-
lichen Patrioten, die nicht Herrschaft für sich, sondern des Vol-
kes Glück und Deutschlands Ehre suchen. Danach rufen auch,
weil es so der Zeitgeist mit sich bringt, die hohlen Schreier und
das große Publikum stimmt ein und macht Chorus.

Wir könnten also guter Hoffnung seyn und einer Neuerweckung
des deutschen freien Gemeindewesens und Gemeindelebens getrost
entgegensehen. Allein bei dieser frohen Aussicht fällt uns ein
Stein schwer auf's Herz und der besteht in nichts Anderem, als
daß Alles von oben herab, vom Staat, vom Reichstag und den
Kammern beschlossen und gemacht werden soll, indessen die
Gemeinden selbst so gar unthätig bleiben.
Die alten
freien deutschen Gemeinden, insbesondere jene hochberühmten und
herrlichen freien Städte haben sich ihre Verfassung
selbst geschaffen, errungen und behauptet;
darum
war diese alte Gemeindefreiheit nicht ein papiernes Wesen, son-
dern ein leibhaftig Leben. Selbstständig und eigenthümlich haben
die verschiedenen Städte, ja selbst die verschiedenen freien Bauern-
gemeinden ihr Recht sich gestaltet, nach ihrem Sinn und ihrem
Bedürfniß und es ist auch nicht einzusehen, warum alle Gemein-
den von den Alpen bis zur Nordsee eine Uniform tragen sollen.

Aber ach, von diesem freien, selbstständigen Gemein-
degeist ist jetzt bei uns wenig mehr zu finden! Es werden
die wichtigsten Rechte, die höchsten Jnteressen der Gemeinden
berathen; dagegen die Gemeinden selbst bleiben fast theil-
nahmlos. Sind etwa aus den großen deutschen Städten groß-
artige und tüchtige Adressen an das Parlament abgegangen,
worin sie auch nur sagen, was sie wollen und be-
dürfen?
Jn den letzten Monaten allgemeiner Auflösung, wo
man fast nothwendig auf Selbsthülfe angewiesen war, was haben
die Gemeinden als solche, was haben die Städte Tüchtiges ge-
than, um selbst ihr Gemeindewesen neu und besser zu ordnen und
größere Freiheit sich zu erringen? Haben nicht im Gegentheil fast
allerwärts die Gemeindevorstände die größte Schwäche an den
Tag gelegt und haben statt zu handeln, gejammert? Und wo fin-
den sich klare Begriffe auch nur vom A B C der wesentlichen Ge-
meinderechte und von dem was einer Gemeinde Noth thut? Welch
ein wesentlicheres Recht und höheres Jnteresse kann z. B. eine Ge-
meinde haben, als daß sie und sie allein frei entscheide über
die Aufnahme in's Ortsbürgerrecht? Allein wie wenige sehen das
ein, ja es ist sogar liberale Mode für unbedingte Freiheit jedes
Einzelnen zur Ansässigmachung in jeder beliebigen Gemeinde zu
schwärmen.

O, jammervoll ist der Zustand des Gemeindewesens fast
überall; der praktische selbstständige Gemeinde= und Bürgergeist
fehlt. Die freie Zeit, die gleichsam vom Himmel über uns herab-
geregnet ist, hat nicht auch zugleich den Geist wahrer Freiheit in
Stadt und Land gebracht. Vor Kurzem noch wurden Gemeinden
und Gemeindevorstände von Land= und Kreisräthen am Gängel-
band geführt; jetzt haben gar vielfach nur andere Leute, ein
Volksmann oder ein Club das Gängelband in die Hand genom-
men -- und so ist denn meist unter der Vormundschaft der Demo-
kratie so wenig, als unter der der Bureaukratie -- der freie, kräf-
tige, selbstständige Bürger= und Gemeindegeist zu finden, der doch
allein uns Heil bringen kann. Ja liberal, radikal, republikanisch
sind Viele, aber frei und selbstständig zu seyn in ihrem Haus,
[Spaltenumbruch] in ihrer Gemeinde,
davon verstehen sie nichts. Wenn man
auf dieses verfahrene und unselbstständige Wesen in unseren Ge-
meinden, freilich eine Frucht des langen Polizeiregimentes, hinsieht,
so möchte man wohl mit Göthes Worten den deutschen Gemeinden
( in Frankreich ist ohnedieß von Gemeindefreiheit keine Spur )
zurufen:

" Jhr habt eures Ursprungs vergessen,
Habt euch zu Sklaven versessen....
Kennet die goldenen Zeiten
Nur noch als Mährchen von Weitem!"

Doch wir wollen nicht verzagen! Jn's Wasser geworfen,
müssen wir schwimmen lernen! Und so wollen wir die Hoffnung
nicht aufgeben, daß nachdem, wie kürzlich die allbeglückende und
bevormundente Bureaukratie, so auch recht bald die kaum minder
beglückungs=und bevormundungslustige vage und Allerwelts De-
magogie mit ihren fabelhaften Verheißungen Bankrutt gemacht,
endlich einmal die eigentliche Bürgerschaft in Gemeinde und Jn-
nung sich selbst helfen und sich selbst regieren, die Freiheit zu
allererst in ihrem eigenen Haushalte sich erringen und behaupten,
Ordnung und Recht in ihrem Weichbilde selber handhaben, und
für ihre nächsten und wichtigsten Jnteressen selber sorgen werde.



§ Aus Starkenburg 20. Juli. Mit Freuden haben wir in
einer der jüngsten Nummern den Aufsatz begrüßt, welcher die
Freiheit auf der Grundlage der Gemeinde aufbauen will.
Allbekannt ist es ja, daß gerade hierin die Franzosen es bei ihrer
ersten Revolution versehen haben. Ueber dem Bestreben, mittelst
Stärkung der Centralgewalt die Uniformität des Systems und
die Einheit des Gesammtstaates zu erreichen, offenbarte sich ihnen
die Freiheit nur in der momentanen Abstreifung des Lästigen
aus der alten Feudalmonarchie, und in dem Enthusiasmus gegen
das ihnen als freiheitsmörderisch bezeichnete Ausland; dagegen
entkam ihnen die ächte innere, die dauernde Freiheit,
welche auf der freien Gemeinde als nöthiger Grundlage anfängt
und sich dann in die Spitzen des Staates hinaufbaut, weil umge-
kehrt das Streben nach kräftiger Centralgewalt dermaßen in das
widrige Gegenbild, die Centralisation ausartete, daß
gerade die Gemeinden und ihr Vermögen völlig unter und zu
Grunde gingen, ein Ruin, zu welchem Napoleon als Mittel für
seine Kriege die letzten Trümmer brach.

Es hat nicht den Anschein, daß die Februarrevolution die
Franzosen zu besserer Einsicht geleitet hätte, im Gegentheil liefert
der mißglückte Versuch der Arbeitsorganisation einen Beleg für
die Steigerung des verderblichen Centralisationssystems. Hoffen
wir zu Gott, daß von den Gründern der deutschen Verfassung zu
Frankfurt diese gefährliche Klippe vermieden werde! Dem deut-
schen Verstande leuchtet es durchaus ein, daß Freiheit und ma-
terielle Stärke der Gemeinde nichts weniger als unverträglich
mit einer starken Centralgewalk ist; im Gegentheil wird diese
durch starke und kräftige Gemeinden gehoben und getragen
werden.

Was unser specielles Vaterland und die Revision der Ge-
meindeordnung betrifft, so mögen einige wenige Bemerkungen
Platz finden:

1 ) Jm Allgemeinen beruht unsere Gemeindeordnung auf
wahrhaft freisinnigen Jdeen, indem sie die Wahl der Gemeinde-
beamten und die Verwaltung des Gemeindevermögens wie die
Beschlußnahme über das Gemeindebudget, und dessen Ausführ-
ung in die Hände der Gemeinde selbst, beziehungsweise der ge-
wählten Gemeindebeamten legt. Wenn daher der Verwaltung
der letztverflossenen Zeit der Vorwurf der Jlliberalität gemacht
wird, so trifft dieser Vorwurf weniger die Gemeindeordnung
[Ende Spaltensatz]

Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 37. Samstag, den 22. Juli. 1848.


[Beginn Spaltensatz]
Herzensergießung über die Gemeindefreiheit.

# # Jn der Reichsversammlung und in den Ständekam-
mern wird getagt und viel berathen über Gemeindeverfassung
und Gemeindefreiheit. Die Gemeinden sollen freier, selbststän-
diger werden. Danach verlangen als nach der einzig soliden
Grundlage wie der Freiheit, so der Ordnung alle ernsten, red-
lichen Patrioten, die nicht Herrschaft für sich, sondern des Vol-
kes Glück und Deutschlands Ehre suchen. Danach rufen auch,
weil es so der Zeitgeist mit sich bringt, die hohlen Schreier und
das große Publikum stimmt ein und macht Chorus.

Wir könnten also guter Hoffnung seyn und einer Neuerweckung
des deutschen freien Gemeindewesens und Gemeindelebens getrost
entgegensehen. Allein bei dieser frohen Aussicht fällt uns ein
Stein schwer auf's Herz und der besteht in nichts Anderem, als
daß Alles von oben herab, vom Staat, vom Reichstag und den
Kammern beschlossen und gemacht werden soll, indessen die
Gemeinden selbst so gar unthätig bleiben.
Die alten
freien deutschen Gemeinden, insbesondere jene hochberühmten und
herrlichen freien Städte haben sich ihre Verfassung
selbst geschaffen, errungen und behauptet;
darum
war diese alte Gemeindefreiheit nicht ein papiernes Wesen, son-
dern ein leibhaftig Leben. Selbstständig und eigenthümlich haben
die verschiedenen Städte, ja selbst die verschiedenen freien Bauern-
gemeinden ihr Recht sich gestaltet, nach ihrem Sinn und ihrem
Bedürfniß und es ist auch nicht einzusehen, warum alle Gemein-
den von den Alpen bis zur Nordsee eine Uniform tragen sollen.

Aber ach, von diesem freien, selbstständigen Gemein-
degeist ist jetzt bei uns wenig mehr zu finden! Es werden
die wichtigsten Rechte, die höchsten Jnteressen der Gemeinden
berathen; dagegen die Gemeinden selbst bleiben fast theil-
nahmlos. Sind etwa aus den großen deutschen Städten groß-
artige und tüchtige Adressen an das Parlament abgegangen,
worin sie auch nur sagen, was sie wollen und be-
dürfen?
Jn den letzten Monaten allgemeiner Auflösung, wo
man fast nothwendig auf Selbsthülfe angewiesen war, was haben
die Gemeinden als solche, was haben die Städte Tüchtiges ge-
than, um selbst ihr Gemeindewesen neu und besser zu ordnen und
größere Freiheit sich zu erringen? Haben nicht im Gegentheil fast
allerwärts die Gemeindevorstände die größte Schwäche an den
Tag gelegt und haben statt zu handeln, gejammert? Und wo fin-
den sich klare Begriffe auch nur vom A B C der wesentlichen Ge-
meinderechte und von dem was einer Gemeinde Noth thut? Welch
ein wesentlicheres Recht und höheres Jnteresse kann z. B. eine Ge-
meinde haben, als daß sie und sie allein frei entscheide über
die Aufnahme in's Ortsbürgerrecht? Allein wie wenige sehen das
ein, ja es ist sogar liberale Mode für unbedingte Freiheit jedes
Einzelnen zur Ansässigmachung in jeder beliebigen Gemeinde zu
schwärmen.

O, jammervoll ist der Zustand des Gemeindewesens fast
überall; der praktische selbstständige Gemeinde= und Bürgergeist
fehlt. Die freie Zeit, die gleichsam vom Himmel über uns herab-
geregnet ist, hat nicht auch zugleich den Geist wahrer Freiheit in
Stadt und Land gebracht. Vor Kurzem noch wurden Gemeinden
und Gemeindevorstände von Land= und Kreisräthen am Gängel-
band geführt; jetzt haben gar vielfach nur andere Leute, ein
Volksmann oder ein Club das Gängelband in die Hand genom-
men — und so ist denn meist unter der Vormundschaft der Demo-
kratie so wenig, als unter der der Bureaukratie — der freie, kräf-
tige, selbstständige Bürger= und Gemeindegeist zu finden, der doch
allein uns Heil bringen kann. Ja liberal, radikal, republikanisch
sind Viele, aber frei und selbstständig zu seyn in ihrem Haus,
[Spaltenumbruch] in ihrer Gemeinde,
davon verstehen sie nichts. Wenn man
auf dieses verfahrene und unselbstständige Wesen in unseren Ge-
meinden, freilich eine Frucht des langen Polizeiregimentes, hinsieht,
so möchte man wohl mit Göthes Worten den deutschen Gemeinden
( in Frankreich ist ohnedieß von Gemeindefreiheit keine Spur )
zurufen:

„ Jhr habt eures Ursprungs vergessen,
Habt euch zu Sklaven versessen....
Kennet die goldenen Zeiten
Nur noch als Mährchen von Weitem!“

Doch wir wollen nicht verzagen! Jn's Wasser geworfen,
müssen wir schwimmen lernen! Und so wollen wir die Hoffnung
nicht aufgeben, daß nachdem, wie kürzlich die allbeglückende und
bevormundente Bureaukratie, so auch recht bald die kaum minder
beglückungs=und bevormundungslustige vage und Allerwelts De-
magogie mit ihren fabelhaften Verheißungen Bankrutt gemacht,
endlich einmal die eigentliche Bürgerschaft in Gemeinde und Jn-
nung sich selbst helfen und sich selbst regieren, die Freiheit zu
allererst in ihrem eigenen Haushalte sich erringen und behaupten,
Ordnung und Recht in ihrem Weichbilde selber handhaben, und
für ihre nächsten und wichtigsten Jnteressen selber sorgen werde.



§ Aus Starkenburg 20. Juli. Mit Freuden haben wir in
einer der jüngsten Nummern den Aufsatz begrüßt, welcher die
Freiheit auf der Grundlage der Gemeinde aufbauen will.
Allbekannt ist es ja, daß gerade hierin die Franzosen es bei ihrer
ersten Revolution versehen haben. Ueber dem Bestreben, mittelst
Stärkung der Centralgewalt die Uniformität des Systems und
die Einheit des Gesammtstaates zu erreichen, offenbarte sich ihnen
die Freiheit nur in der momentanen Abstreifung des Lästigen
aus der alten Feudalmonarchie, und in dem Enthusiasmus gegen
das ihnen als freiheitsmörderisch bezeichnete Ausland; dagegen
entkam ihnen die ächte innere, die dauernde Freiheit,
welche auf der freien Gemeinde als nöthiger Grundlage anfängt
und sich dann in die Spitzen des Staates hinaufbaut, weil umge-
kehrt das Streben nach kräftiger Centralgewalt dermaßen in das
widrige Gegenbild, die Centralisation ausartete, daß
gerade die Gemeinden und ihr Vermögen völlig unter und zu
Grunde gingen, ein Ruin, zu welchem Napoleon als Mittel für
seine Kriege die letzten Trümmer brach.

Es hat nicht den Anschein, daß die Februarrevolution die
Franzosen zu besserer Einsicht geleitet hätte, im Gegentheil liefert
der mißglückte Versuch der Arbeitsorganisation einen Beleg für
die Steigerung des verderblichen Centralisationssystems. Hoffen
wir zu Gott, daß von den Gründern der deutschen Verfassung zu
Frankfurt diese gefährliche Klippe vermieden werde! Dem deut-
schen Verstande leuchtet es durchaus ein, daß Freiheit und ma-
terielle Stärke der Gemeinde nichts weniger als unverträglich
mit einer starken Centralgewalk ist; im Gegentheil wird diese
durch starke und kräftige Gemeinden gehoben und getragen
werden.

Was unser specielles Vaterland und die Revision der Ge-
meindeordnung betrifft, so mögen einige wenige Bemerkungen
Platz finden:

1 ) Jm Allgemeinen beruht unsere Gemeindeordnung auf
wahrhaft freisinnigen Jdeen, indem sie die Wahl der Gemeinde-
beamten und die Verwaltung des Gemeindevermögens wie die
Beschlußnahme über das Gemeindebudget, und dessen Ausführ-
ung in die Hände der Gemeinde selbst, beziehungsweise der ge-
wählten Gemeindebeamten legt. Wenn daher der Verwaltung
der letztverflossenen Zeit der Vorwurf der Jlliberalität gemacht
wird, so trifft dieser Vorwurf weniger die Gemeindeordnung
[Ende Spaltensatz]

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Die Gemeinden sollen freier, selbststän- diger werden. Danach verlangen als nach der einzig soliden Grundlage wie der Freiheit, so der Ordnung alle ernsten, red- lichen Patrioten, die nicht Herrschaft für sich, sondern des Vol- kes Glück und Deutschlands Ehre suchen. Danach rufen auch, weil es so der Zeitgeist mit sich bringt, die hohlen Schreier und das große Publikum stimmt ein und macht Chorus. Wir könnten also guter Hoffnung seyn und einer Neuerweckung des deutschen freien Gemeindewesens und Gemeindelebens getrost entgegensehen. Allein bei dieser frohen Aussicht fällt uns ein Stein schwer auf's Herz und der besteht in nichts Anderem, als daß Alles von oben herab, vom Staat, vom Reichstag und den Kammern beschlossen und gemacht werden soll, indessen die Gemeinden selbst so gar unthätig bleiben. Die alten freien deutschen Gemeinden, insbesondere jene hochberühmten und herrlichen freien Städte haben sich ihre Verfassung selbst geschaffen, errungen und behauptet; darum war diese alte Gemeindefreiheit nicht ein papiernes Wesen, son- dern ein leibhaftig Leben. Selbstständig und eigenthümlich haben die verschiedenen Städte, ja selbst die verschiedenen freien Bauern- gemeinden ihr Recht sich gestaltet, nach ihrem Sinn und ihrem Bedürfniß und es ist auch nicht einzusehen, warum alle Gemein- den von den Alpen bis zur Nordsee eine Uniform tragen sollen. Aber ach, von diesem freien, selbstständigen Gemein- degeist ist jetzt bei uns wenig mehr zu finden! Es werden die wichtigsten Rechte, die höchsten Jnteressen der Gemeinden berathen; dagegen die Gemeinden selbst bleiben fast theil- nahmlos. Sind etwa aus den großen deutschen Städten groß- artige und tüchtige Adressen an das Parlament abgegangen, worin sie auch nur sagen, was sie wollen und be- dürfen? Jn den letzten Monaten allgemeiner Auflösung, wo man fast nothwendig auf Selbsthülfe angewiesen war, was haben die Gemeinden als solche, was haben die Städte Tüchtiges ge- than, um selbst ihr Gemeindewesen neu und besser zu ordnen und größere Freiheit sich zu erringen? Haben nicht im Gegentheil fast allerwärts die Gemeindevorstände die größte Schwäche an den Tag gelegt und haben statt zu handeln, gejammert? Und wo fin- den sich klare Begriffe auch nur vom A B C der wesentlichen Ge- meinderechte und von dem was einer Gemeinde Noth thut? Welch ein wesentlicheres Recht und höheres Jnteresse kann z. B. eine Ge- meinde haben, als daß sie und sie allein frei entscheide über die Aufnahme in's Ortsbürgerrecht? Allein wie wenige sehen das ein, ja es ist sogar liberale Mode für unbedingte Freiheit jedes Einzelnen zur Ansässigmachung in jeder beliebigen Gemeinde zu schwärmen. O, jammervoll ist der Zustand des Gemeindewesens fast überall; der praktische selbstständige Gemeinde= und Bürgergeist fehlt. Die freie Zeit, die gleichsam vom Himmel über uns herab- geregnet ist, hat nicht auch zugleich den Geist wahrer Freiheit in Stadt und Land gebracht. Vor Kurzem noch wurden Gemeinden und Gemeindevorstände von Land= und Kreisräthen am Gängel- band geführt; jetzt haben gar vielfach nur andere Leute, ein Volksmann oder ein Club das Gängelband in die Hand genom- men — und so ist denn meist unter der Vormundschaft der Demo- kratie so wenig, als unter der der Bureaukratie — der freie, kräf- tige, selbstständige Bürger= und Gemeindegeist zu finden, der doch allein uns Heil bringen kann. Ja liberal, radikal, republikanisch sind Viele, aber frei und selbstständig zu seyn in ihrem Haus, in ihrer Gemeinde, davon verstehen sie nichts. Wenn man auf dieses verfahrene und unselbstständige Wesen in unseren Ge- meinden, freilich eine Frucht des langen Polizeiregimentes, hinsieht, so möchte man wohl mit Göthes Worten den deutschen Gemeinden ( in Frankreich ist ohnedieß von Gemeindefreiheit keine Spur ) zurufen: „ Jhr habt eures Ursprungs vergessen, Habt euch zu Sklaven versessen.... Kennet die goldenen Zeiten Nur noch als Mährchen von Weitem!“ Doch wir wollen nicht verzagen! Jn's Wasser geworfen, müssen wir schwimmen lernen! Und so wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben, daß nachdem, wie kürzlich die allbeglückende und bevormundente Bureaukratie, so auch recht bald die kaum minder beglückungs=und bevormundungslustige vage und Allerwelts De- magogie mit ihren fabelhaften Verheißungen Bankrutt gemacht, endlich einmal die eigentliche Bürgerschaft in Gemeinde und Jn- nung sich selbst helfen und sich selbst regieren, die Freiheit zu allererst in ihrem eigenen Haushalte sich erringen und behaupten, Ordnung und Recht in ihrem Weichbilde selber handhaben, und für ihre nächsten und wichtigsten Jnteressen selber sorgen werde. § Aus Starkenburg 20. Juli. Mit Freuden haben wir in einer der jüngsten Nummern den Aufsatz begrüßt, welcher die Freiheit auf der Grundlage der Gemeinde aufbauen will. Allbekannt ist es ja, daß gerade hierin die Franzosen es bei ihrer ersten Revolution versehen haben. Ueber dem Bestreben, mittelst Stärkung der Centralgewalt die Uniformität des Systems und die Einheit des Gesammtstaates zu erreichen, offenbarte sich ihnen die Freiheit nur in der momentanen Abstreifung des Lästigen aus der alten Feudalmonarchie, und in dem Enthusiasmus gegen das ihnen als freiheitsmörderisch bezeichnete Ausland; dagegen entkam ihnen die ächte innere, die dauernde Freiheit, welche auf der freien Gemeinde als nöthiger Grundlage anfängt und sich dann in die Spitzen des Staates hinaufbaut, weil umge- kehrt das Streben nach kräftiger Centralgewalt dermaßen in das widrige Gegenbild, die Centralisation ausartete, daß gerade die Gemeinden und ihr Vermögen völlig unter und zu Grunde gingen, ein Ruin, zu welchem Napoleon als Mittel für seine Kriege die letzten Trümmer brach. Es hat nicht den Anschein, daß die Februarrevolution die Franzosen zu besserer Einsicht geleitet hätte, im Gegentheil liefert der mißglückte Versuch der Arbeitsorganisation einen Beleg für die Steigerung des verderblichen Centralisationssystems. Hoffen wir zu Gott, daß von den Gründern der deutschen Verfassung zu Frankfurt diese gefährliche Klippe vermieden werde! Dem deut- schen Verstande leuchtet es durchaus ein, daß Freiheit und ma- terielle Stärke der Gemeinde nichts weniger als unverträglich mit einer starken Centralgewalk ist; im Gegentheil wird diese durch starke und kräftige Gemeinden gehoben und getragen werden. Was unser specielles Vaterland und die Revision der Ge- meindeordnung betrifft, so mögen einige wenige Bemerkungen Platz finden: 1 ) Jm Allgemeinen beruht unsere Gemeindeordnung auf wahrhaft freisinnigen Jdeen, indem sie die Wahl der Gemeinde- beamten und die Verwaltung des Gemeindevermögens wie die Beschlußnahme über das Gemeindebudget, und dessen Ausführ- ung in die Hände der Gemeinde selbst, beziehungsweise der ge- wählten Gemeindebeamten legt. Wenn daher der Verwaltung der letztverflossenen Zeit der Vorwurf der Jlliberalität gemacht wird, so trifft dieser Vorwurf weniger die Gemeindeordnung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 37. Mainz, 22. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal037_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.