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Mainzer Journal. Nr. 22. Mainz, 7. Juli 1848.

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[Beginn Spaltensatz] unseres innersten Gefühls der gleichen Selbstbeherrschung fähig
wären. Wir wollen, daß Gesetz und Recht ihr freier ungehemm-
ter Lauf gelassen werde, rasch und unnachsichtlich und ohne An-
sehen der Person, und daß der so fürchterlich und schändlich ver-
letzten öffentlichen Moral eine volle Genugthuung und Sühne zu
Theil werde."

Mannheim 5. Juli. ( D. Z. ) Gestern wurde auch in dem
hiesigen vaterländischen Verein eine Adresse an die Nationalver-
sammlung beschlossen, worin die entschiedenste Mißbilligung des
Aufrufs des Centralausschusses der demokratischen Vereine aus-
gesprochen und die Versicherung gegeben wird, daß die Mitglieder
entschlossen seyen, mit allen Mitteln, nöthigenfalls mit den Waf-
fen, den Beschlüssen der Nationalversammlung Achtung und Folge
zu verschaffen.

Hamburg 3. Juli. ( W. Z. ) Was wir im vorgestrigen Briefe
als muthmaßlich berührten, nämlich die freiwillige Räu-
mung Schleswigs von Seiten der Dänen,
erhielt
volle Bestätigung durch die heute hier angelangten Nachrichten,
denen zufolge Hadersleben von schleswig=holsteinischen Truppen
besetzt und Wrangels Hauptquartier bis nach Christiansfelde
vorgeschoben wurde. Die Dänen aber sollen sich schon jenseit der
Königsau befinden. Wer sollte in diesen rückgängigen Beweg-
ungen nicht den Einfluß des neulichen Depeschenwechsels zwischen
London, Petersburg und Kopenhagen vermuthen? -- Wem soll-
ten nicht die bisher schon im Schwung gewesenen Friedensge-
rüchte sich jetzt in die klingende Münze des Thatsächlichen -- min-
destens eines bevorstehenden Waffenstillstandes -- verwandeln?
Und dennoch: es mag ein zu weit gehendes, trotzdem aber wohl
zu rechtfertigendes Gefühl des Mißtrauens seyn -- wir sind sehr
argwöhnisch hinsichtlich der Schritte Dänemarks. Fügt es sich
augenblicklich den Weisungen der Großmächte, so ist sehr zu ver-
muthen, daß dadurch die Deutschland gegenüber geltend zu
machenden Ansprüche nur an Zähigkeit gewinnen sollen. Wir
resumiren kurz: der Friede scheint uns in ernstlicher Anbahnung,
aber sicher ist das Ziel der diplomatischen Verhandlungen keines-
wegs. Daß aber kein 28. Mai den Deutschen wiederkehre, dafür
wird Wrangels Feldherrnauge Sorge tragen. Sein Abzug aus
Jütland hatte übrigens einige Aehnlichkeit mit dem jetzigen der
Dänen aus Nordschleswig.

Ein Brief aus Hadersleben vom 1. Juli in der B. H.
berichtet, daß am Tage zuvor viele Bundestruppen nebst Artillerie
durch die Stadt gekommen und daß über 6000 Mann in dersel-
ben übernachtet haben, welche vom Norden hereinkamen und
am 1. wieder und zwar wahrscheinlich nach Sundewitt abgegan-
gen sind. Es sollen aber viele preußische Truppen und auch die
Holsteiner nördlich von Hadersleben seyn. Jn der Stadt selbst
lagen am 1. Juli nur ungefähr 800 Mann Freischaaren und
ungefähr 500 Mann anderes Militär. Vor ihrem Abzuge hatten
die Dänen die Brücke sprengen wollen, dies war ihnen aber nicht
geglückt; ein holsteinischer Jngenieur hat dieselbe nun gereinigt
und über 100 Pfd. Pulver in derselben gefunden.

Während die Dänen sich in der Nacht auf den 30. in aller
Eile bis hinter Koldings=Au zurückzogen, ist es, wie der Hamb.
Corr. erzählt, nur den holsteinischen Jägern und einigen Abthei-
lungen preußischer Husaren gelungen, den im Rückzuge bewun-
derungswerth schnellen Feind einzuholen und ihm einige Gefan-
gene abzunehmen. Die jütische Gränze beabsichtigt der
General v. Wrangel nicht zu überschreiten, weil ihm bis-
her nur ein sehr geringer Theil der vom deutschen Bunde ver-
heißenen Unterstützungen zugegangen ist, dagegen aber wird er
eine solche Vertheilung seiner Truppen vornehmen, daß dadurch
das nördliche Schleswig gegen erneuete Unternehmungen der
Dänen geschützt seyn dürfte.

Hamburg 1. Juli. ( D. A. Z. ) Freudige Sensation erregte
hier die Erklärung des größten Theiles der Hamburg=Altonaer
Mennoniten, welche dahin lautet, "daß sie jetzt, wo thaten-
loses Stillleben dem Verrath am deutschen Vaterlande gleich-
komme, sich veranlaßt fühlten, eine ihrer kirchlichen Regeln,
welche nicht mehr für die Jetztzeit passe, aufzugeben und mit den
Waffen in der Hand die Pflichten ihrer deutschen Brüder zu thei-
len." Fast sämmtliche Mennoniten Altonas sind kurz darauf in
die dortige Nationalgarde eingetreten.

Schweiz.

Zürich 29. Juni. ( D. A. Z. ) Die Schweiz befindet sich
den republikanischen Bewegungen in Deutschland gegenüber in
einer sonderbaren Lage. Sie möchte ihnen gern die Sympathie
widmen, mit der man gleichartige Bestrebungen gewöhnlich zu
begrüßen pflegt; andererseits fühlt sie sich aber von den unreinen
Elementen abgestoßen, die dabei auftreten. Man hat nämlich
bei uns hinlängliche Gelegenheit gehabt, jene pseudorepublika-
nischen Koryphäen kennen zu lernen, die sich jetzt damit zu brüsten
[Spaltenumbruch] suchen, daß sie die eigentlichen Vertreter des deutschen Volks
seyen. Bei uns haben sie nie Wurzel zu fassen vermocht: wir
betrachteten sie als verderbliches Unkraut und entledigten uns
ihrer in kürzester Zeit. Ruge's nihilistische Doctrinen fanden
bei uns kein Publicum, eben so wenig wie die communistisch ge-
arteten Fröbel's, der beiläufig gesagt Schweizerbürger ist,
und seines Schützlings Weitling; über Herwegh's Em-
porkömmlingsmanieren zuckten wir lächelnd die Achseln, Hein-
zen 's
terroristische Redensarten flößten uns keinen Schrecken
ein, und von des österreichischen Exstaatskanzlers
Namensvetter,
der Souffleur am hiesigen Theater
war ( jetzt ist er auf einmal Literat geworden! ) , ließen wir es
uns nicht im Traume einfallen, daß er sich unter den Pathen der
deutschen Republik so breit machen würde. Alle diese Herren
haben, wie gesagt, ihre Rolle bei uns sehr schnell ausgespielt;
in Deutschland scheinen sie erst beim Prologe zu seyn. Wird
man sie gewähren lassen? Wir stellen diese Frage, weil wir, so
sehr wir uns zu echten Republikanern hingezogen fühlen, eben
so tief jene Leute verabscheuen, die, um ihre verwerflichen Zwecke
zu erreichen, den heiligen Namen der Freiheit mißbrauchen.
Ueber die Beschaffenheit dieser Zwecke läßt uns aber die Thätig-
keit der in der Schweiz unter republikanischer Hülle ihr communi-
stisch anarchisches Wesen treibenden, unter dem Einfluß ihrer
Genossen stehenden Zweigvereine nicht den geringsten Zweifel.

Die seit dem 1. Juli in St. Gallen erscheinende, von Baum-
gartner redigirte "Neue Schweiz" sagt in ihrer ersten Nummer:
"Wie die schweizerische Neutralität in ausländischen Fehden ge-
halten wird, zeigt der Umstand, daß letztlich bei den Kämpfen
zwischen Jtalienern und Oesterreichern auf dem Stilfserjoch eine
Waadtländer Kanone gesehen worden. Die Deutschen in Biel
fahren fort, den bewaffneten Aufbruch nach Deutschland zu be-
treiben; die Kantonsregierungen weisen solche Leute nicht zum
Lande hinaus: das ist Handhabung der Neutralität!"

Rußland.

Breslau 1. Juli. ( B. Z. ) Durch gütige Mittheilung erfah-
ren wir so eben zuverlässige Details über das angebliche russi-
sche Grenzheer:
Die gesammte Heeresmacht, welche Ruß-
land überhaupt gegenwärtig mobil zu machen und ins Feld zu
stellen vermag, beläuft sich auf höchstens 600,000 M. Die mehr-
fach laut gewordene Behauptung, als sey Rußland nicht im Be-
sitze von tüchtigem Kriegsmaterial, ist falsch. Uniformirung,
Waffen, Pferde und Rüstzeug sind vortrefflich im Stande, Mund-
vorräthe in Masse vorhanden, die Unterhaltung der Truppen ko-
stet im Verhältnisse viel weuiger als bei uns und der Schatz des
Kaisers ist noch lange nicht erschöpft. Die Rüstungen im ganzen
Reich gehen kräftig vorwärts; allein es ist unrichtig, wenn von
der Aufstellung von 300,000 Mann im Königreiche die Rede ist.
Jn ganz russisch Polen stehen vielmehr gegenwärtig nur zwei Ar-
meecorps von je 50,000 Mann, also im Ganzen 100,000 Mann.
Warschau ist zwar sehr stark armirt, doch nur von höchstens
12,000 Mann besetzt. Gegen die schlesische Grenze hin ist ein ein-
ziges Bataillon vorgeschoben und ein nur eben so geringes Corps
gegen die Krakauer Grenze. Gegen Posen zu die Grenze entlang,
sind höchstens 25,000 Mann locirt. Dies ist also die bedrohliche
Macht, von der man hier träumt. Allerdings rücken aber fast täglich
Verstärkungen nach und es wird bis Ende September d. J. im Kö-
nigreiche die auch vom Ministerium behauptete Heeresmacht von
300,000 Mann schlagfertig versammelt seyn. Jm Königreiche be-
darf es zwar nur eines Funkens, um die polnische Bevölkerung zu
wecken; jetzt ist aber dort sowie auch in Galizien Grabesruhe, da
ein Aufstand fruchtlos seyn würde. Eine Fabel war daher auch
die von den Blättern verbreitete angebliche Verschwörung in
Warschau, sowie die angeblich stattgefundene Vernagelung aller
Geschütze auf der dortigen Citadelle. Die Absicht des Kaisers in
Beziehung auf die Aufgabe für diese Armee ist selbst den höchstge-
stellten Militärs ein Geheimniß. Darf man Vermuthungen
trauen, so ist keineswegs die Absicht, irgend welcher Jnvasion
Grund zu so gewaltigen Anstrengungen, vielmehr scheint die Be-
sorgniß vor einer deutschen Jnvasion nach Rußland den gewalti-
gen Koloß geweckt zu haben. Aber selbst für den Fall einer beab-
sichtigten Offensive ist jene Armee der 600,000 Mann wohlge-
rüsteter und geübter Truppen nicht zu fürchten, denn mindestens
100,000 Mann müssen im Königreiche bleiben, eben so viel am
Kaukasus, eben so viel gegen die Türkei, eben so viel endlich im
Jnnern des Reiches, soll dieses nicht durch innere oder jenseit der
Grenzen lauernde Feinde aufs äußerste gefährdet werden. Somit
bleiben zu einer Jnvasion höchstens 200,000 Mann verfügbar,
allerdings eine ansehnliche Macht, die indeß zu einer Bewältigung
auch nur eines Theils von Deutschland sicher nicht ausreichen
würde.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. -- Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. -- Druck von Florian Kupferberg.

[Beginn Spaltensatz] unseres innersten Gefühls der gleichen Selbstbeherrschung fähig
wären. Wir wollen, daß Gesetz und Recht ihr freier ungehemm-
ter Lauf gelassen werde, rasch und unnachsichtlich und ohne An-
sehen der Person, und daß der so fürchterlich und schändlich ver-
letzten öffentlichen Moral eine volle Genugthuung und Sühne zu
Theil werde.“

Mannheim 5. Juli. ( D. Z. ) Gestern wurde auch in dem
hiesigen vaterländischen Verein eine Adresse an die Nationalver-
sammlung beschlossen, worin die entschiedenste Mißbilligung des
Aufrufs des Centralausschusses der demokratischen Vereine aus-
gesprochen und die Versicherung gegeben wird, daß die Mitglieder
entschlossen seyen, mit allen Mitteln, nöthigenfalls mit den Waf-
fen, den Beschlüssen der Nationalversammlung Achtung und Folge
zu verschaffen.

Hamburg 3. Juli. ( W. Z. ) Was wir im vorgestrigen Briefe
als muthmaßlich berührten, nämlich die freiwillige Räu-
mung Schleswigs von Seiten der Dänen,
erhielt
volle Bestätigung durch die heute hier angelangten Nachrichten,
denen zufolge Hadersleben von schleswig=holsteinischen Truppen
besetzt und Wrangels Hauptquartier bis nach Christiansfelde
vorgeschoben wurde. Die Dänen aber sollen sich schon jenseit der
Königsau befinden. Wer sollte in diesen rückgängigen Beweg-
ungen nicht den Einfluß des neulichen Depeschenwechsels zwischen
London, Petersburg und Kopenhagen vermuthen? — Wem soll-
ten nicht die bisher schon im Schwung gewesenen Friedensge-
rüchte sich jetzt in die klingende Münze des Thatsächlichen — min-
destens eines bevorstehenden Waffenstillstandes — verwandeln?
Und dennoch: es mag ein zu weit gehendes, trotzdem aber wohl
zu rechtfertigendes Gefühl des Mißtrauens seyn — wir sind sehr
argwöhnisch hinsichtlich der Schritte Dänemarks. Fügt es sich
augenblicklich den Weisungen der Großmächte, so ist sehr zu ver-
muthen, daß dadurch die Deutschland gegenüber geltend zu
machenden Ansprüche nur an Zähigkeit gewinnen sollen. Wir
resumiren kurz: der Friede scheint uns in ernstlicher Anbahnung,
aber sicher ist das Ziel der diplomatischen Verhandlungen keines-
wegs. Daß aber kein 28. Mai den Deutschen wiederkehre, dafür
wird Wrangels Feldherrnauge Sorge tragen. Sein Abzug aus
Jütland hatte übrigens einige Aehnlichkeit mit dem jetzigen der
Dänen aus Nordschleswig.

Ein Brief aus Hadersleben vom 1. Juli in der B. H.
berichtet, daß am Tage zuvor viele Bundestruppen nebst Artillerie
durch die Stadt gekommen und daß über 6000 Mann in dersel-
ben übernachtet haben, welche vom Norden hereinkamen und
am 1. wieder und zwar wahrscheinlich nach Sundewitt abgegan-
gen sind. Es sollen aber viele preußische Truppen und auch die
Holsteiner nördlich von Hadersleben seyn. Jn der Stadt selbst
lagen am 1. Juli nur ungefähr 800 Mann Freischaaren und
ungefähr 500 Mann anderes Militär. Vor ihrem Abzuge hatten
die Dänen die Brücke sprengen wollen, dies war ihnen aber nicht
geglückt; ein holsteinischer Jngenieur hat dieselbe nun gereinigt
und über 100 Pfd. Pulver in derselben gefunden.

Während die Dänen sich in der Nacht auf den 30. in aller
Eile bis hinter Koldings=Au zurückzogen, ist es, wie der Hamb.
Corr. erzählt, nur den holsteinischen Jägern und einigen Abthei-
lungen preußischer Husaren gelungen, den im Rückzuge bewun-
derungswerth schnellen Feind einzuholen und ihm einige Gefan-
gene abzunehmen. Die jütische Gränze beabsichtigt der
General v. Wrangel nicht zu überschreiten, weil ihm bis-
her nur ein sehr geringer Theil der vom deutschen Bunde ver-
heißenen Unterstützungen zugegangen ist, dagegen aber wird er
eine solche Vertheilung seiner Truppen vornehmen, daß dadurch
das nördliche Schleswig gegen erneuete Unternehmungen der
Dänen geschützt seyn dürfte.

Hamburg 1. Juli. ( D. A. Z. ) Freudige Sensation erregte
hier die Erklärung des größten Theiles der Hamburg=Altonaer
Mennoniten, welche dahin lautet, „daß sie jetzt, wo thaten-
loses Stillleben dem Verrath am deutschen Vaterlande gleich-
komme, sich veranlaßt fühlten, eine ihrer kirchlichen Regeln,
welche nicht mehr für die Jetztzeit passe, aufzugeben und mit den
Waffen in der Hand die Pflichten ihrer deutschen Brüder zu thei-
len.“ Fast sämmtliche Mennoniten Altonas sind kurz darauf in
die dortige Nationalgarde eingetreten.

Schweiz.

Zürich 29. Juni. ( D. A. Z. ) Die Schweiz befindet sich
den republikanischen Bewegungen in Deutschland gegenüber in
einer sonderbaren Lage. Sie möchte ihnen gern die Sympathie
widmen, mit der man gleichartige Bestrebungen gewöhnlich zu
begrüßen pflegt; andererseits fühlt sie sich aber von den unreinen
Elementen abgestoßen, die dabei auftreten. Man hat nämlich
bei uns hinlängliche Gelegenheit gehabt, jene pseudorepublika-
nischen Koryphäen kennen zu lernen, die sich jetzt damit zu brüsten
[Spaltenumbruch] suchen, daß sie die eigentlichen Vertreter des deutschen Volks
seyen. Bei uns haben sie nie Wurzel zu fassen vermocht: wir
betrachteten sie als verderbliches Unkraut und entledigten uns
ihrer in kürzester Zeit. Ruge's nihilistische Doctrinen fanden
bei uns kein Publicum, eben so wenig wie die communistisch ge-
arteten Fröbel's, der beiläufig gesagt Schweizerbürger ist,
und seines Schützlings Weitling; über Herwegh's Em-
porkömmlingsmanieren zuckten wir lächelnd die Achseln, Hein-
zen 's
terroristische Redensarten flößten uns keinen Schrecken
ein, und von des österreichischen Exstaatskanzlers
Namensvetter,
der Souffleur am hiesigen Theater
war ( jetzt ist er auf einmal Literat geworden! ) , ließen wir es
uns nicht im Traume einfallen, daß er sich unter den Pathen der
deutschen Republik so breit machen würde. Alle diese Herren
haben, wie gesagt, ihre Rolle bei uns sehr schnell ausgespielt;
in Deutschland scheinen sie erst beim Prologe zu seyn. Wird
man sie gewähren lassen? Wir stellen diese Frage, weil wir, so
sehr wir uns zu echten Republikanern hingezogen fühlen, eben
so tief jene Leute verabscheuen, die, um ihre verwerflichen Zwecke
zu erreichen, den heiligen Namen der Freiheit mißbrauchen.
Ueber die Beschaffenheit dieser Zwecke läßt uns aber die Thätig-
keit der in der Schweiz unter republikanischer Hülle ihr communi-
stisch anarchisches Wesen treibenden, unter dem Einfluß ihrer
Genossen stehenden Zweigvereine nicht den geringsten Zweifel.

Die seit dem 1. Juli in St. Gallen erscheinende, von Baum-
gartner redigirte „Neue Schweiz“ sagt in ihrer ersten Nummer:
„Wie die schweizerische Neutralität in ausländischen Fehden ge-
halten wird, zeigt der Umstand, daß letztlich bei den Kämpfen
zwischen Jtalienern und Oesterreichern auf dem Stilfserjoch eine
Waadtländer Kanone gesehen worden. Die Deutschen in Biel
fahren fort, den bewaffneten Aufbruch nach Deutschland zu be-
treiben; die Kantonsregierungen weisen solche Leute nicht zum
Lande hinaus: das ist Handhabung der Neutralität!“

Rußland.

Breslau 1. Juli. ( B. Z. ) Durch gütige Mittheilung erfah-
ren wir so eben zuverlässige Details über das angebliche russi-
sche Grenzheer:
Die gesammte Heeresmacht, welche Ruß-
land überhaupt gegenwärtig mobil zu machen und ins Feld zu
stellen vermag, beläuft sich auf höchstens 600,000 M. Die mehr-
fach laut gewordene Behauptung, als sey Rußland nicht im Be-
sitze von tüchtigem Kriegsmaterial, ist falsch. Uniformirung,
Waffen, Pferde und Rüstzeug sind vortrefflich im Stande, Mund-
vorräthe in Masse vorhanden, die Unterhaltung der Truppen ko-
stet im Verhältnisse viel weuiger als bei uns und der Schatz des
Kaisers ist noch lange nicht erschöpft. Die Rüstungen im ganzen
Reich gehen kräftig vorwärts; allein es ist unrichtig, wenn von
der Aufstellung von 300,000 Mann im Königreiche die Rede ist.
Jn ganz russisch Polen stehen vielmehr gegenwärtig nur zwei Ar-
meecorps von je 50,000 Mann, also im Ganzen 100,000 Mann.
Warschau ist zwar sehr stark armirt, doch nur von höchstens
12,000 Mann besetzt. Gegen die schlesische Grenze hin ist ein ein-
ziges Bataillon vorgeschoben und ein nur eben so geringes Corps
gegen die Krakauer Grenze. Gegen Posen zu die Grenze entlang,
sind höchstens 25,000 Mann locirt. Dies ist also die bedrohliche
Macht, von der man hier träumt. Allerdings rücken aber fast täglich
Verstärkungen nach und es wird bis Ende September d. J. im Kö-
nigreiche die auch vom Ministerium behauptete Heeresmacht von
300,000 Mann schlagfertig versammelt seyn. Jm Königreiche be-
darf es zwar nur eines Funkens, um die polnische Bevölkerung zu
wecken; jetzt ist aber dort sowie auch in Galizien Grabesruhe, da
ein Aufstand fruchtlos seyn würde. Eine Fabel war daher auch
die von den Blättern verbreitete angebliche Verschwörung in
Warschau, sowie die angeblich stattgefundene Vernagelung aller
Geschütze auf der dortigen Citadelle. Die Absicht des Kaisers in
Beziehung auf die Aufgabe für diese Armee ist selbst den höchstge-
stellten Militärs ein Geheimniß. Darf man Vermuthungen
trauen, so ist keineswegs die Absicht, irgend welcher Jnvasion
Grund zu so gewaltigen Anstrengungen, vielmehr scheint die Be-
sorgniß vor einer deutschen Jnvasion nach Rußland den gewalti-
gen Koloß geweckt zu haben. Aber selbst für den Fall einer beab-
sichtigten Offensive ist jene Armee der 600,000 Mann wohlge-
rüsteter und geübter Truppen nicht zu fürchten, denn mindestens
100,000 Mann müssen im Königreiche bleiben, eben so viel am
Kaukasus, eben so viel gegen die Türkei, eben so viel endlich im
Jnnern des Reiches, soll dieses nicht durch innere oder jenseit der
Grenzen lauernde Feinde aufs äußerste gefährdet werden. Somit
bleiben zu einer Jnvasion höchstens 200,000 Mann verfügbar,
allerdings eine ansehnliche Macht, die indeß zu einer Bewältigung
auch nur eines Theils von Deutschland sicher nicht ausreichen
würde.

[Ende Spaltensatz]

Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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[0006] unseres innersten Gefühls der gleichen Selbstbeherrschung fähig wären. Wir wollen, daß Gesetz und Recht ihr freier ungehemm- ter Lauf gelassen werde, rasch und unnachsichtlich und ohne An- sehen der Person, und daß der so fürchterlich und schändlich ver- letzten öffentlichen Moral eine volle Genugthuung und Sühne zu Theil werde.“ Mannheim 5. Juli. ( D. Z. ) Gestern wurde auch in dem hiesigen vaterländischen Verein eine Adresse an die Nationalver- sammlung beschlossen, worin die entschiedenste Mißbilligung des Aufrufs des Centralausschusses der demokratischen Vereine aus- gesprochen und die Versicherung gegeben wird, daß die Mitglieder entschlossen seyen, mit allen Mitteln, nöthigenfalls mit den Waf- fen, den Beschlüssen der Nationalversammlung Achtung und Folge zu verschaffen. Hamburg 3. Juli. ( W. Z. ) Was wir im vorgestrigen Briefe als muthmaßlich berührten, nämlich die freiwillige Räu- mung Schleswigs von Seiten der Dänen, erhielt volle Bestätigung durch die heute hier angelangten Nachrichten, denen zufolge Hadersleben von schleswig=holsteinischen Truppen besetzt und Wrangels Hauptquartier bis nach Christiansfelde vorgeschoben wurde. Die Dänen aber sollen sich schon jenseit der Königsau befinden. Wer sollte in diesen rückgängigen Beweg- ungen nicht den Einfluß des neulichen Depeschenwechsels zwischen London, Petersburg und Kopenhagen vermuthen? — Wem soll- ten nicht die bisher schon im Schwung gewesenen Friedensge- rüchte sich jetzt in die klingende Münze des Thatsächlichen — min- destens eines bevorstehenden Waffenstillstandes — verwandeln? Und dennoch: es mag ein zu weit gehendes, trotzdem aber wohl zu rechtfertigendes Gefühl des Mißtrauens seyn — wir sind sehr argwöhnisch hinsichtlich der Schritte Dänemarks. Fügt es sich augenblicklich den Weisungen der Großmächte, so ist sehr zu ver- muthen, daß dadurch die Deutschland gegenüber geltend zu machenden Ansprüche nur an Zähigkeit gewinnen sollen. Wir resumiren kurz: der Friede scheint uns in ernstlicher Anbahnung, aber sicher ist das Ziel der diplomatischen Verhandlungen keines- wegs. Daß aber kein 28. Mai den Deutschen wiederkehre, dafür wird Wrangels Feldherrnauge Sorge tragen. Sein Abzug aus Jütland hatte übrigens einige Aehnlichkeit mit dem jetzigen der Dänen aus Nordschleswig. Ein Brief aus Hadersleben vom 1. Juli in der B. H. berichtet, daß am Tage zuvor viele Bundestruppen nebst Artillerie durch die Stadt gekommen und daß über 6000 Mann in dersel- ben übernachtet haben, welche vom Norden hereinkamen und am 1. wieder und zwar wahrscheinlich nach Sundewitt abgegan- gen sind. Es sollen aber viele preußische Truppen und auch die Holsteiner nördlich von Hadersleben seyn. Jn der Stadt selbst lagen am 1. Juli nur ungefähr 800 Mann Freischaaren und ungefähr 500 Mann anderes Militär. Vor ihrem Abzuge hatten die Dänen die Brücke sprengen wollen, dies war ihnen aber nicht geglückt; ein holsteinischer Jngenieur hat dieselbe nun gereinigt und über 100 Pfd. Pulver in derselben gefunden. Während die Dänen sich in der Nacht auf den 30. in aller Eile bis hinter Koldings=Au zurückzogen, ist es, wie der Hamb. Corr. erzählt, nur den holsteinischen Jägern und einigen Abthei- lungen preußischer Husaren gelungen, den im Rückzuge bewun- derungswerth schnellen Feind einzuholen und ihm einige Gefan- gene abzunehmen. Die jütische Gränze beabsichtigt der General v. Wrangel nicht zu überschreiten, weil ihm bis- her nur ein sehr geringer Theil der vom deutschen Bunde ver- heißenen Unterstützungen zugegangen ist, dagegen aber wird er eine solche Vertheilung seiner Truppen vornehmen, daß dadurch das nördliche Schleswig gegen erneuete Unternehmungen der Dänen geschützt seyn dürfte. Hamburg 1. Juli. ( D. A. Z. ) Freudige Sensation erregte hier die Erklärung des größten Theiles der Hamburg=Altonaer Mennoniten, welche dahin lautet, „daß sie jetzt, wo thaten- loses Stillleben dem Verrath am deutschen Vaterlande gleich- komme, sich veranlaßt fühlten, eine ihrer kirchlichen Regeln, welche nicht mehr für die Jetztzeit passe, aufzugeben und mit den Waffen in der Hand die Pflichten ihrer deutschen Brüder zu thei- len.“ Fast sämmtliche Mennoniten Altonas sind kurz darauf in die dortige Nationalgarde eingetreten. Schweiz. Zürich 29. Juni. ( D. A. Z. ) Die Schweiz befindet sich den republikanischen Bewegungen in Deutschland gegenüber in einer sonderbaren Lage. Sie möchte ihnen gern die Sympathie widmen, mit der man gleichartige Bestrebungen gewöhnlich zu begrüßen pflegt; andererseits fühlt sie sich aber von den unreinen Elementen abgestoßen, die dabei auftreten. Man hat nämlich bei uns hinlängliche Gelegenheit gehabt, jene pseudorepublika- nischen Koryphäen kennen zu lernen, die sich jetzt damit zu brüsten suchen, daß sie die eigentlichen Vertreter des deutschen Volks seyen. Bei uns haben sie nie Wurzel zu fassen vermocht: wir betrachteten sie als verderbliches Unkraut und entledigten uns ihrer in kürzester Zeit. Ruge's nihilistische Doctrinen fanden bei uns kein Publicum, eben so wenig wie die communistisch ge- arteten Fröbel's, der beiläufig gesagt Schweizerbürger ist, und seines Schützlings Weitling; über Herwegh's Em- porkömmlingsmanieren zuckten wir lächelnd die Achseln, Hein- zen 's terroristische Redensarten flößten uns keinen Schrecken ein, und von des österreichischen Exstaatskanzlers Namensvetter, der Souffleur am hiesigen Theater war ( jetzt ist er auf einmal Literat geworden! ) , ließen wir es uns nicht im Traume einfallen, daß er sich unter den Pathen der deutschen Republik so breit machen würde. Alle diese Herren haben, wie gesagt, ihre Rolle bei uns sehr schnell ausgespielt; in Deutschland scheinen sie erst beim Prologe zu seyn. Wird man sie gewähren lassen? Wir stellen diese Frage, weil wir, so sehr wir uns zu echten Republikanern hingezogen fühlen, eben so tief jene Leute verabscheuen, die, um ihre verwerflichen Zwecke zu erreichen, den heiligen Namen der Freiheit mißbrauchen. Ueber die Beschaffenheit dieser Zwecke läßt uns aber die Thätig- keit der in der Schweiz unter republikanischer Hülle ihr communi- stisch anarchisches Wesen treibenden, unter dem Einfluß ihrer Genossen stehenden Zweigvereine nicht den geringsten Zweifel. Die seit dem 1. Juli in St. Gallen erscheinende, von Baum- gartner redigirte „Neue Schweiz“ sagt in ihrer ersten Nummer: „Wie die schweizerische Neutralität in ausländischen Fehden ge- halten wird, zeigt der Umstand, daß letztlich bei den Kämpfen zwischen Jtalienern und Oesterreichern auf dem Stilfserjoch eine Waadtländer Kanone gesehen worden. Die Deutschen in Biel fahren fort, den bewaffneten Aufbruch nach Deutschland zu be- treiben; die Kantonsregierungen weisen solche Leute nicht zum Lande hinaus: das ist Handhabung der Neutralität!“ Rußland. Breslau 1. Juli. ( B. Z. ) Durch gütige Mittheilung erfah- ren wir so eben zuverlässige Details über das angebliche russi- sche Grenzheer: Die gesammte Heeresmacht, welche Ruß- land überhaupt gegenwärtig mobil zu machen und ins Feld zu stellen vermag, beläuft sich auf höchstens 600,000 M. Die mehr- fach laut gewordene Behauptung, als sey Rußland nicht im Be- sitze von tüchtigem Kriegsmaterial, ist falsch. Uniformirung, Waffen, Pferde und Rüstzeug sind vortrefflich im Stande, Mund- vorräthe in Masse vorhanden, die Unterhaltung der Truppen ko- stet im Verhältnisse viel weuiger als bei uns und der Schatz des Kaisers ist noch lange nicht erschöpft. Die Rüstungen im ganzen Reich gehen kräftig vorwärts; allein es ist unrichtig, wenn von der Aufstellung von 300,000 Mann im Königreiche die Rede ist. Jn ganz russisch Polen stehen vielmehr gegenwärtig nur zwei Ar- meecorps von je 50,000 Mann, also im Ganzen 100,000 Mann. Warschau ist zwar sehr stark armirt, doch nur von höchstens 12,000 Mann besetzt. Gegen die schlesische Grenze hin ist ein ein- ziges Bataillon vorgeschoben und ein nur eben so geringes Corps gegen die Krakauer Grenze. Gegen Posen zu die Grenze entlang, sind höchstens 25,000 Mann locirt. Dies ist also die bedrohliche Macht, von der man hier träumt. Allerdings rücken aber fast täglich Verstärkungen nach und es wird bis Ende September d. J. im Kö- nigreiche die auch vom Ministerium behauptete Heeresmacht von 300,000 Mann schlagfertig versammelt seyn. Jm Königreiche be- darf es zwar nur eines Funkens, um die polnische Bevölkerung zu wecken; jetzt ist aber dort sowie auch in Galizien Grabesruhe, da ein Aufstand fruchtlos seyn würde. Eine Fabel war daher auch die von den Blättern verbreitete angebliche Verschwörung in Warschau, sowie die angeblich stattgefundene Vernagelung aller Geschütze auf der dortigen Citadelle. Die Absicht des Kaisers in Beziehung auf die Aufgabe für diese Armee ist selbst den höchstge- stellten Militärs ein Geheimniß. Darf man Vermuthungen trauen, so ist keineswegs die Absicht, irgend welcher Jnvasion Grund zu so gewaltigen Anstrengungen, vielmehr scheint die Be- sorgniß vor einer deutschen Jnvasion nach Rußland den gewalti- gen Koloß geweckt zu haben. Aber selbst für den Fall einer beab- sichtigten Offensive ist jene Armee der 600,000 Mann wohlge- rüsteter und geübter Truppen nicht zu fürchten, denn mindestens 100,000 Mann müssen im Königreiche bleiben, eben so viel am Kaukasus, eben so viel gegen die Türkei, eben so viel endlich im Jnnern des Reiches, soll dieses nicht durch innere oder jenseit der Grenzen lauernde Feinde aufs äußerste gefährdet werden. Somit bleiben zu einer Jnvasion höchstens 200,000 Mann verfügbar, allerdings eine ansehnliche Macht, die indeß zu einer Bewältigung auch nur eines Theils von Deutschland sicher nicht ausreichen würde. Redacteur: Franz Sausen. — Verlag von Kirchheim und Schott in Mainz. — Druck von Florian Kupferberg.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 22. Mainz, 7. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal022_1848/6>, abgerufen am 06.06.2024.