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Mainzer Journal. Nr. 22. Mainz, 7. Juli 1848.

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[Beginn Spaltensatz] chem Geist die Familienväter und Gemeinden ihre Kinder woll-
ten erzogen haben, darnach ward wenig gefragt, Alles ging von
den Beamten, vom Cultus und Unterrichtsministerium aus,
Ferner wurde nun der Staat, statt der Corperationen und Asso-
ciationen Freund und Schützer, ihr Feind und Zerstörer, es sind
ja alle Corporationen lauter "Staaten im Staate!" -- Seitdem
aber nun die Handwerks= Gewerbs= nnd Handelsleute nicht selbst
mehr gemeinsam ihre Angelegenheiten besorgten, hat der liebe-
volle väterliche, allbevormundende Staat auch dafür die Sorge auf
sich genommen, seine Beamten angestellt, seine Reglements erlas-
sen. Die Kirchen= und Confessionen konnten bei diesem allgemei-
nen Vormundschaftswesen nicht ungeschoren bleiben; entweder zu
Gunsten der Gläubigkeit oder zu Gunsten der Aufklärerei mischte
sich nun der Staat ( resp. die Beamten ) in alle religiösen und
kirchlichen Dinge, von Unabhängigkeit und Freiheit der Religion
und Kirche zu reden, galt fast wie Hochverrath. Kann es bei
solchem System Wunder nehmen, daß auch Haus und Heerd nicht
mehr sicher blieben, sondern die väterliche Staatspolizei auch je-
den Einzelnen unter specielle Obhut nahm?

Sehet diese Allregiererei und Allmacht des Staates war der Tod
der ächten, der deutschen Freiheit. Allein dieses ist auch die Quelle
des ganzen politischen und socialen Jammers. Daher diese un-
förmliche und kostspielige Staatsmaschine, weil der Staat für
Alles sorgen soll; daher aber auch, daß vielfach so verkehrt und
schlecht gesorgt, so viel experimentirt und so viel verpfuscht wurde:
denn am Besten sorgt jeder für sich! Daher aber auch die
immer mehr sich häufende Unzufriedenheit mit der je regierenden
Behörde, sey sie monarchisch oder republikanisch; daher die nie
endenden Regierungsverlegenheiten. Die allerschlimmste Folge
dieser Staatsomnipotenz und Allbevormundung ist aber die, daß
sie das Volk in jeder Beziehung verdummt, verdorben und un-
tüchtig gemacht hat; so daß jetzt die eigentliche Bürgerschaft, wie
die neueste Geschichte bewiesen, vielfach so unaussprechlich unge-
schickt, muthlos und thatlos sich bewiesen, und daß viele so gar
nicht an die Freiheit sich gewöhnen können. Daher die sehr be-
denkliche Erscheinung, daß ein nur kleiner Haufe, oft sehr wenig
empfehlenswerther Leute, wenn sich ein kühner oder kecker Partei-
führer an die Spitze stellt, leichten Kaufes und wie zum Spaß den
Sieg über die unermeßliche Majorität einer philiströsen Bürger-
schaft davon trägt; daher können Proletarier und Communisten
die Gesellschaft an den Rand des Verderbens bringen, weil die
Gesellschaft keine lebendige Verfassung mehr hat; darum ist, so-
bald die löbliche Staatspolizei über'n Haufen fällt, keine Sicher-
heit mehr vorhanden, darum ist Alles so verzweifelt und ungewiß
und beweglich geworden und jede Stetigkeit und jeder Halt ver-
loren gegangen.

Aus dieser Unnatur des allregierenden Polizeistaates wird
uns nun, wir zweifeln nicht daran, der Reichstag erretten, indem
er durch das Gesetz über die Grundrechte dem deutschen
Volke seine alte Selbstherrlichkeit in der Garantie der persönlichen
Freiheit durch eine Habeas=Corpusacte, in der Gemeindefreiheit,
der Corporationsfreiheit, der Unterrichtsfreiheit und der Kirchen-
freiheit einfach und klar zurückgibt. Geschieht das und schützt dann
das Reichsoberhaupt mit Unerbittlichkeit und starkem Schwert
das allgemeine Recht gegen jedes Attentat, von welcher Seite es
komme, dann wird Deutschland neu aufblühen und wir werden
Wunder sehen! Nächstens mehr über diesen Gegenstand.



Deutschland.

Wien 1. Juli. ( A. Z. ) Es ist entschieden, daß der
Krieg in Jtalien mit allen zu Gebot stehenden
Mitteln fortgeführt werden wird,
und es ist den
Vorschlägen des Gegners kein Gehör gegeben worden. Unsere
Börse behauptet sich dennoch fest und es laufen von verschiedenen
Seiten Kaufsaufträge in Fonds und Eisenbahnactien ein.

Berlin 1. Juli. ( Karlsr. Z. ) Ueber den Zweck der Sen-
dung des Generals v. Pfuel nach Petersburg kann aus zuver-
lässiger Quelle mitgetheilt werden, daß ( wie auch der General
selbst bei seiner Abreise einem seiner Freunde versicherte ) der Auf-
trag unseres Königs dahin lautet, in Petersburg Alles aufzubie-
ten, um Rußland von jeder Feindseligkeit gegen Preußen oder
Deutschland abzuhalten. An dem Erfolg dieser Sendung dürfte
um so weniger zu zweifeln seyn, als bereits befriedigende Erklä-
rungen von Seiten Rußlands hier angelangt sind. Man will
indessen hier wissen, daß Rußland allerdings die Absicht habe,
die deutschen Gränzen zu überschreiten, wenn die constitu-
tionelle Monarchie
in Deutschland zum Sturz kommen
sollte. Die HH. Republikaner würden uns mithin unmittelbar
[Spaltenumbruch] mit den Kosaken und Baschkiren überraschen, für welche Beschee-
rung besonders unsere junge Freiheit, der sich unter der russischen
Knute die schönsten Aussichten eröffnen würden, ihnen zu Dank
verpflichtet wäre. Jndessen Scherz bei Seite, die wahren Freunde
der Freiheit mögen erwägen, wie die Sachen stehen, und das
deutsche Vaterland durch festes Zusammenhalten und enge Ver-
einigung vor drohendem Unheil bewahren.

Der Ministerpräsident v. Auerswald hat der aus sechzig Per-
sonen bestehenden Abordnung aus Rheinland und Westphalen die
beruhigende Versicherung gegeben, daß hinsichts der Sicherheit
des Nationaleigenthums in der Hauptstadt Vorkehrungen getroffen
seyen, welche jeder Gefährdung desselben durch irregeleitete Volks-
haufen aufs kräftigste zu begegnen geeignet seyen. Zugleich machte
die Abordnung den Ministerpräsidenten darauf aufmerksam, daß
das Ministerium darauf hinwirke, daß das durch Entstellung von
Thatsachen in der Hauptstadt theilweise geschwächte Vertrauen in
die Aufrichtigkeit des Königs, an welcher sie und ihre Committenten
nicht zweifeln, durch die geeigneten Mittel und Aufklärungen wie-
derum geweckt werde. Der rheinischen und westphälischen Abord-
nung folgte eine aus der Mark Brandenburg, welche gleiche Vor-
stellungen an den Ministerpräsidenten machte. Dieselbe theilte mit,
daß am künftigen Montag in Nauen eine große Versammlung der
Constitutionellen der Mark Brandenburg und anderer naheliegenden
Provinzen statthaben werde, um sich darüber zu berathen, wie
dem republikanischen Treiben kräftig entgegen zu treten sey. Die
rheinische und westphälische Abordnung hat mit der brandenbur-
gischen eine enge Vereinigung verabredet, damit die constitutionelle
Freiheit in dem Zusammenwirken gleichgesinnter freier Männer
eine kräftige Stütze finde. Zu den erfreulichen Erscheinungen ge-
hört, daß sich an der hiesigen Börse seit mehreren Tagen eine
gesteigerte Kauflust bemerkbar macht, und auch das Geld wieder
flüssiger zu werden scheint. Gestalten sich die europäischen Zu-
stände nur einigermaßen beruhigend, so wird man die Geschäfte
wieder einen raschen Aufschwung nehmen sehen.

g Vom Niederrhein 5. Juli. Es kann sich nicht fehlen,
daß in unserer ganzen Verwaltung große Veränderung vor sich
gehen werden, denn das seitherige Regierungswesen kann, so-
bald der Grundsatz der Selbstverwaltnng der Gemeinde ausge-
sprochen ist, unmöglich fortbestehen. Unsere seitherigen Provin-
zialregierungen hatten förmlich die Obervormundschaft über das
ganze Land zu führen, und wie wäre es möglich gewesen, daß
in einer Gemeinde auch nur das geringste geschehen wäre, ohne
die Anordnung und Genehmigung der hohen Regierung? Diese
ganze Thätigkeit der Staatsbeamten wird wegfallen, und wie
versichert wird, wird die Einrichtung, wie sie in Belgien besteht,
unserem Lande zum Muster dienen. Die Gemeinden werden frei;
und nur die allgemeinen Provinzialverwaltungssachen durch die
Regierungen erledigt werden. Man verspricht sich hievon einen
doppelten Gewinn, nämlich größere Freiheit, aber auch bedeu-
tende Ersparnisse, und darum wird diese Nachricht allerwärts
mit großer Freude vernommen.

Von der französischen Gränze 5. Juli. Jn der benach-
barten Bundesfestung Landau haben wir in den letzten Tagen
bedeutende Militärkrawalle gehabt, die uns klar an das Licht
brachten, wie weit der Geist der Willkür und des Aufruhres
bereits in die Massen des Heeres eingedrungen ist. Hier kann
nur energisches Einschreiten frommen. Oder kömmt auch dieß
vielleicht schon zu spät? Dieser Geist der Auflehnung kann
aber unmöglich in den letzten Monaten erst in die Truppen ein-
gezogen seyn; der Zündstoff muß bereit liegen, wenn der Blitz
zünden soll. Wir finden ihn hier in der Behandlung, die dem
Soldaten unter dem alten Regime zu Theil ward. Dazu
kömmt, daß jene " Kerls, " welche sehr oft wie Sachen, nicht
wie Personen traktirt wurden, nun merken, daß man sie als
conscribirte Bürger zu behandeln anfängt. Ziehen sie
ihren schlichten Verstand zu Rathe, so müssen sie einsehen zu-
gleich, daß man früher mit ihnen rechtlos verfahren und daß
eben weniger Gesinnungsänderung, als Furcht vorhanden sey.
Rechnen wir dazu, was die Wühler leisten, die unermüdlich sind,
das Heer zu einem "gesinnungstüchtigen" zu machen, und dem-
selben für den Casus der Barricaden eine "treffliche Haltung"
beizubringen, und denen dazu keine Kneipe zu schlecht und keine
Flasche zu theuer ist -- so werden wir die Scenen zu Landau
eher zu klein als zu bedeutend finden. Doch müssen wir wohl
auch eine kurze Schilderung der tumultuarischen Auftritte, welche,
wie wir hören, die Stadt in nicht wenig Schrecken versetzten,
nachtragen. Die Chevauxlegers jagten einen unbeliebten Wacht-
meister kraft der unveräußerlichen Souverainetät, welche jedem
Menschen, also auch den bayrischen leichten Reitern angeboren
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] chem Geist die Familienväter und Gemeinden ihre Kinder woll-
ten erzogen haben, darnach ward wenig gefragt, Alles ging von
den Beamten, vom Cultus und Unterrichtsministerium aus,
Ferner wurde nun der Staat, statt der Corperationen und Asso-
ciationen Freund und Schützer, ihr Feind und Zerstörer, es sind
ja alle Corporationen lauter „Staaten im Staate!“ — Seitdem
aber nun die Handwerks= Gewerbs= nnd Handelsleute nicht selbst
mehr gemeinsam ihre Angelegenheiten besorgten, hat der liebe-
volle väterliche, allbevormundende Staat auch dafür die Sorge auf
sich genommen, seine Beamten angestellt, seine Reglements erlas-
sen. Die Kirchen= und Confessionen konnten bei diesem allgemei-
nen Vormundschaftswesen nicht ungeschoren bleiben; entweder zu
Gunsten der Gläubigkeit oder zu Gunsten der Aufklärerei mischte
sich nun der Staat ( resp. die Beamten ) in alle religiösen und
kirchlichen Dinge, von Unabhängigkeit und Freiheit der Religion
und Kirche zu reden, galt fast wie Hochverrath. Kann es bei
solchem System Wunder nehmen, daß auch Haus und Heerd nicht
mehr sicher blieben, sondern die väterliche Staatspolizei auch je-
den Einzelnen unter specielle Obhut nahm?

Sehet diese Allregiererei und Allmacht des Staates war der Tod
der ächten, der deutschen Freiheit. Allein dieses ist auch die Quelle
des ganzen politischen und socialen Jammers. Daher diese un-
förmliche und kostspielige Staatsmaschine, weil der Staat für
Alles sorgen soll; daher aber auch, daß vielfach so verkehrt und
schlecht gesorgt, so viel experimentirt und so viel verpfuscht wurde:
denn am Besten sorgt jeder für sich! Daher aber auch die
immer mehr sich häufende Unzufriedenheit mit der je regierenden
Behörde, sey sie monarchisch oder republikanisch; daher die nie
endenden Regierungsverlegenheiten. Die allerschlimmste Folge
dieser Staatsomnipotenz und Allbevormundung ist aber die, daß
sie das Volk in jeder Beziehung verdummt, verdorben und un-
tüchtig gemacht hat; so daß jetzt die eigentliche Bürgerschaft, wie
die neueste Geschichte bewiesen, vielfach so unaussprechlich unge-
schickt, muthlos und thatlos sich bewiesen, und daß viele so gar
nicht an die Freiheit sich gewöhnen können. Daher die sehr be-
denkliche Erscheinung, daß ein nur kleiner Haufe, oft sehr wenig
empfehlenswerther Leute, wenn sich ein kühner oder kecker Partei-
führer an die Spitze stellt, leichten Kaufes und wie zum Spaß den
Sieg über die unermeßliche Majorität einer philiströsen Bürger-
schaft davon trägt; daher können Proletarier und Communisten
die Gesellschaft an den Rand des Verderbens bringen, weil die
Gesellschaft keine lebendige Verfassung mehr hat; darum ist, so-
bald die löbliche Staatspolizei über'n Haufen fällt, keine Sicher-
heit mehr vorhanden, darum ist Alles so verzweifelt und ungewiß
und beweglich geworden und jede Stetigkeit und jeder Halt ver-
loren gegangen.

Aus dieser Unnatur des allregierenden Polizeistaates wird
uns nun, wir zweifeln nicht daran, der Reichstag erretten, indem
er durch das Gesetz über die Grundrechte dem deutschen
Volke seine alte Selbstherrlichkeit in der Garantie der persönlichen
Freiheit durch eine Habeas=Corpusacte, in der Gemeindefreiheit,
der Corporationsfreiheit, der Unterrichtsfreiheit und der Kirchen-
freiheit einfach und klar zurückgibt. Geschieht das und schützt dann
das Reichsoberhaupt mit Unerbittlichkeit und starkem Schwert
das allgemeine Recht gegen jedes Attentat, von welcher Seite es
komme, dann wird Deutschland neu aufblühen und wir werden
Wunder sehen! Nächstens mehr über diesen Gegenstand.



Deutschland.

Wien 1. Juli. ( A. Z. ) Es ist entschieden, daß der
Krieg in Jtalien mit allen zu Gebot stehenden
Mitteln fortgeführt werden wird,
und es ist den
Vorschlägen des Gegners kein Gehör gegeben worden. Unsere
Börse behauptet sich dennoch fest und es laufen von verschiedenen
Seiten Kaufsaufträge in Fonds und Eisenbahnactien ein.

Berlin 1. Juli. ( Karlsr. Z. ) Ueber den Zweck der Sen-
dung des Generals v. Pfuel nach Petersburg kann aus zuver-
lässiger Quelle mitgetheilt werden, daß ( wie auch der General
selbst bei seiner Abreise einem seiner Freunde versicherte ) der Auf-
trag unseres Königs dahin lautet, in Petersburg Alles aufzubie-
ten, um Rußland von jeder Feindseligkeit gegen Preußen oder
Deutschland abzuhalten. An dem Erfolg dieser Sendung dürfte
um so weniger zu zweifeln seyn, als bereits befriedigende Erklä-
rungen von Seiten Rußlands hier angelangt sind. Man will
indessen hier wissen, daß Rußland allerdings die Absicht habe,
die deutschen Gränzen zu überschreiten, wenn die constitu-
tionelle Monarchie
in Deutschland zum Sturz kommen
sollte. Die HH. Republikaner würden uns mithin unmittelbar
[Spaltenumbruch] mit den Kosaken und Baschkiren überraschen, für welche Beschee-
rung besonders unsere junge Freiheit, der sich unter der russischen
Knute die schönsten Aussichten eröffnen würden, ihnen zu Dank
verpflichtet wäre. Jndessen Scherz bei Seite, die wahren Freunde
der Freiheit mögen erwägen, wie die Sachen stehen, und das
deutsche Vaterland durch festes Zusammenhalten und enge Ver-
einigung vor drohendem Unheil bewahren.

Der Ministerpräsident v. Auerswald hat der aus sechzig Per-
sonen bestehenden Abordnung aus Rheinland und Westphalen die
beruhigende Versicherung gegeben, daß hinsichts der Sicherheit
des Nationaleigenthums in der Hauptstadt Vorkehrungen getroffen
seyen, welche jeder Gefährdung desselben durch irregeleitete Volks-
haufen aufs kräftigste zu begegnen geeignet seyen. Zugleich machte
die Abordnung den Ministerpräsidenten darauf aufmerksam, daß
das Ministerium darauf hinwirke, daß das durch Entstellung von
Thatsachen in der Hauptstadt theilweise geschwächte Vertrauen in
die Aufrichtigkeit des Königs, an welcher sie und ihre Committenten
nicht zweifeln, durch die geeigneten Mittel und Aufklärungen wie-
derum geweckt werde. Der rheinischen und westphälischen Abord-
nung folgte eine aus der Mark Brandenburg, welche gleiche Vor-
stellungen an den Ministerpräsidenten machte. Dieselbe theilte mit,
daß am künftigen Montag in Nauen eine große Versammlung der
Constitutionellen der Mark Brandenburg und anderer naheliegenden
Provinzen statthaben werde, um sich darüber zu berathen, wie
dem republikanischen Treiben kräftig entgegen zu treten sey. Die
rheinische und westphälische Abordnung hat mit der brandenbur-
gischen eine enge Vereinigung verabredet, damit die constitutionelle
Freiheit in dem Zusammenwirken gleichgesinnter freier Männer
eine kräftige Stütze finde. Zu den erfreulichen Erscheinungen ge-
hört, daß sich an der hiesigen Börse seit mehreren Tagen eine
gesteigerte Kauflust bemerkbar macht, und auch das Geld wieder
flüssiger zu werden scheint. Gestalten sich die europäischen Zu-
stände nur einigermaßen beruhigend, so wird man die Geschäfte
wieder einen raschen Aufschwung nehmen sehen.

g Vom Niederrhein 5. Juli. Es kann sich nicht fehlen,
daß in unserer ganzen Verwaltung große Veränderung vor sich
gehen werden, denn das seitherige Regierungswesen kann, so-
bald der Grundsatz der Selbstverwaltnng der Gemeinde ausge-
sprochen ist, unmöglich fortbestehen. Unsere seitherigen Provin-
zialregierungen hatten förmlich die Obervormundschaft über das
ganze Land zu führen, und wie wäre es möglich gewesen, daß
in einer Gemeinde auch nur das geringste geschehen wäre, ohne
die Anordnung und Genehmigung der hohen Regierung? Diese
ganze Thätigkeit der Staatsbeamten wird wegfallen, und wie
versichert wird, wird die Einrichtung, wie sie in Belgien besteht,
unserem Lande zum Muster dienen. Die Gemeinden werden frei;
und nur die allgemeinen Provinzialverwaltungssachen durch die
Regierungen erledigt werden. Man verspricht sich hievon einen
doppelten Gewinn, nämlich größere Freiheit, aber auch bedeu-
tende Ersparnisse, und darum wird diese Nachricht allerwärts
mit großer Freude vernommen.

Von der französischen Gränze 5. Juli. Jn der benach-
barten Bundesfestung Landau haben wir in den letzten Tagen
bedeutende Militärkrawalle gehabt, die uns klar an das Licht
brachten, wie weit der Geist der Willkür und des Aufruhres
bereits in die Massen des Heeres eingedrungen ist. Hier kann
nur energisches Einschreiten frommen. Oder kömmt auch dieß
vielleicht schon zu spät? Dieser Geist der Auflehnung kann
aber unmöglich in den letzten Monaten erst in die Truppen ein-
gezogen seyn; der Zündstoff muß bereit liegen, wenn der Blitz
zünden soll. Wir finden ihn hier in der Behandlung, die dem
Soldaten unter dem alten Regime zu Theil ward. Dazu
kömmt, daß jene „ Kerls, “ welche sehr oft wie Sachen, nicht
wie Personen traktirt wurden, nun merken, daß man sie als
conscribirte Bürger zu behandeln anfängt. Ziehen sie
ihren schlichten Verstand zu Rathe, so müssen sie einsehen zu-
gleich, daß man früher mit ihnen rechtlos verfahren und daß
eben weniger Gesinnungsänderung, als Furcht vorhanden sey.
Rechnen wir dazu, was die Wühler leisten, die unermüdlich sind,
das Heer zu einem „gesinnungstüchtigen“ zu machen, und dem-
selben für den Casus der Barricaden eine „treffliche Haltung“
beizubringen, und denen dazu keine Kneipe zu schlecht und keine
Flasche zu theuer ist — so werden wir die Scenen zu Landau
eher zu klein als zu bedeutend finden. Doch müssen wir wohl
auch eine kurze Schilderung der tumultuarischen Auftritte, welche,
wie wir hören, die Stadt in nicht wenig Schrecken versetzten,
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[0002] chem Geist die Familienväter und Gemeinden ihre Kinder woll- ten erzogen haben, darnach ward wenig gefragt, Alles ging von den Beamten, vom Cultus und Unterrichtsministerium aus, Ferner wurde nun der Staat, statt der Corperationen und Asso- ciationen Freund und Schützer, ihr Feind und Zerstörer, es sind ja alle Corporationen lauter „Staaten im Staate!“ — Seitdem aber nun die Handwerks= Gewerbs= nnd Handelsleute nicht selbst mehr gemeinsam ihre Angelegenheiten besorgten, hat der liebe- volle väterliche, allbevormundende Staat auch dafür die Sorge auf sich genommen, seine Beamten angestellt, seine Reglements erlas- sen. Die Kirchen= und Confessionen konnten bei diesem allgemei- nen Vormundschaftswesen nicht ungeschoren bleiben; entweder zu Gunsten der Gläubigkeit oder zu Gunsten der Aufklärerei mischte sich nun der Staat ( resp. die Beamten ) in alle religiösen und kirchlichen Dinge, von Unabhängigkeit und Freiheit der Religion und Kirche zu reden, galt fast wie Hochverrath. Kann es bei solchem System Wunder nehmen, daß auch Haus und Heerd nicht mehr sicher blieben, sondern die väterliche Staatspolizei auch je- den Einzelnen unter specielle Obhut nahm? Sehet diese Allregiererei und Allmacht des Staates war der Tod der ächten, der deutschen Freiheit. Allein dieses ist auch die Quelle des ganzen politischen und socialen Jammers. Daher diese un- förmliche und kostspielige Staatsmaschine, weil der Staat für Alles sorgen soll; daher aber auch, daß vielfach so verkehrt und schlecht gesorgt, so viel experimentirt und so viel verpfuscht wurde: denn am Besten sorgt jeder für sich! Daher aber auch die immer mehr sich häufende Unzufriedenheit mit der je regierenden Behörde, sey sie monarchisch oder republikanisch; daher die nie endenden Regierungsverlegenheiten. Die allerschlimmste Folge dieser Staatsomnipotenz und Allbevormundung ist aber die, daß sie das Volk in jeder Beziehung verdummt, verdorben und un- tüchtig gemacht hat; so daß jetzt die eigentliche Bürgerschaft, wie die neueste Geschichte bewiesen, vielfach so unaussprechlich unge- schickt, muthlos und thatlos sich bewiesen, und daß viele so gar nicht an die Freiheit sich gewöhnen können. Daher die sehr be- denkliche Erscheinung, daß ein nur kleiner Haufe, oft sehr wenig empfehlenswerther Leute, wenn sich ein kühner oder kecker Partei- führer an die Spitze stellt, leichten Kaufes und wie zum Spaß den Sieg über die unermeßliche Majorität einer philiströsen Bürger- schaft davon trägt; daher können Proletarier und Communisten die Gesellschaft an den Rand des Verderbens bringen, weil die Gesellschaft keine lebendige Verfassung mehr hat; darum ist, so- bald die löbliche Staatspolizei über'n Haufen fällt, keine Sicher- heit mehr vorhanden, darum ist Alles so verzweifelt und ungewiß und beweglich geworden und jede Stetigkeit und jeder Halt ver- loren gegangen. Aus dieser Unnatur des allregierenden Polizeistaates wird uns nun, wir zweifeln nicht daran, der Reichstag erretten, indem er durch das Gesetz über die Grundrechte dem deutschen Volke seine alte Selbstherrlichkeit in der Garantie der persönlichen Freiheit durch eine Habeas=Corpusacte, in der Gemeindefreiheit, der Corporationsfreiheit, der Unterrichtsfreiheit und der Kirchen- freiheit einfach und klar zurückgibt. Geschieht das und schützt dann das Reichsoberhaupt mit Unerbittlichkeit und starkem Schwert das allgemeine Recht gegen jedes Attentat, von welcher Seite es komme, dann wird Deutschland neu aufblühen und wir werden Wunder sehen! Nächstens mehr über diesen Gegenstand. Deutschland. Wien 1. Juli. ( A. Z. ) Es ist entschieden, daß der Krieg in Jtalien mit allen zu Gebot stehenden Mitteln fortgeführt werden wird, und es ist den Vorschlägen des Gegners kein Gehör gegeben worden. Unsere Börse behauptet sich dennoch fest und es laufen von verschiedenen Seiten Kaufsaufträge in Fonds und Eisenbahnactien ein. Berlin 1. Juli. ( Karlsr. Z. ) Ueber den Zweck der Sen- dung des Generals v. Pfuel nach Petersburg kann aus zuver- lässiger Quelle mitgetheilt werden, daß ( wie auch der General selbst bei seiner Abreise einem seiner Freunde versicherte ) der Auf- trag unseres Königs dahin lautet, in Petersburg Alles aufzubie- ten, um Rußland von jeder Feindseligkeit gegen Preußen oder Deutschland abzuhalten. An dem Erfolg dieser Sendung dürfte um so weniger zu zweifeln seyn, als bereits befriedigende Erklä- rungen von Seiten Rußlands hier angelangt sind. Man will indessen hier wissen, daß Rußland allerdings die Absicht habe, die deutschen Gränzen zu überschreiten, wenn die constitu- tionelle Monarchie in Deutschland zum Sturz kommen sollte. Die HH. Republikaner würden uns mithin unmittelbar mit den Kosaken und Baschkiren überraschen, für welche Beschee- rung besonders unsere junge Freiheit, der sich unter der russischen Knute die schönsten Aussichten eröffnen würden, ihnen zu Dank verpflichtet wäre. Jndessen Scherz bei Seite, die wahren Freunde der Freiheit mögen erwägen, wie die Sachen stehen, und das deutsche Vaterland durch festes Zusammenhalten und enge Ver- einigung vor drohendem Unheil bewahren. Der Ministerpräsident v. Auerswald hat der aus sechzig Per- sonen bestehenden Abordnung aus Rheinland und Westphalen die beruhigende Versicherung gegeben, daß hinsichts der Sicherheit des Nationaleigenthums in der Hauptstadt Vorkehrungen getroffen seyen, welche jeder Gefährdung desselben durch irregeleitete Volks- haufen aufs kräftigste zu begegnen geeignet seyen. Zugleich machte die Abordnung den Ministerpräsidenten darauf aufmerksam, daß das Ministerium darauf hinwirke, daß das durch Entstellung von Thatsachen in der Hauptstadt theilweise geschwächte Vertrauen in die Aufrichtigkeit des Königs, an welcher sie und ihre Committenten nicht zweifeln, durch die geeigneten Mittel und Aufklärungen wie- derum geweckt werde. Der rheinischen und westphälischen Abord- nung folgte eine aus der Mark Brandenburg, welche gleiche Vor- stellungen an den Ministerpräsidenten machte. Dieselbe theilte mit, daß am künftigen Montag in Nauen eine große Versammlung der Constitutionellen der Mark Brandenburg und anderer naheliegenden Provinzen statthaben werde, um sich darüber zu berathen, wie dem republikanischen Treiben kräftig entgegen zu treten sey. Die rheinische und westphälische Abordnung hat mit der brandenbur- gischen eine enge Vereinigung verabredet, damit die constitutionelle Freiheit in dem Zusammenwirken gleichgesinnter freier Männer eine kräftige Stütze finde. Zu den erfreulichen Erscheinungen ge- hört, daß sich an der hiesigen Börse seit mehreren Tagen eine gesteigerte Kauflust bemerkbar macht, und auch das Geld wieder flüssiger zu werden scheint. Gestalten sich die europäischen Zu- stände nur einigermaßen beruhigend, so wird man die Geschäfte wieder einen raschen Aufschwung nehmen sehen. g Vom Niederrhein 5. Juli. Es kann sich nicht fehlen, daß in unserer ganzen Verwaltung große Veränderung vor sich gehen werden, denn das seitherige Regierungswesen kann, so- bald der Grundsatz der Selbstverwaltnng der Gemeinde ausge- sprochen ist, unmöglich fortbestehen. Unsere seitherigen Provin- zialregierungen hatten förmlich die Obervormundschaft über das ganze Land zu führen, und wie wäre es möglich gewesen, daß in einer Gemeinde auch nur das geringste geschehen wäre, ohne die Anordnung und Genehmigung der hohen Regierung? Diese ganze Thätigkeit der Staatsbeamten wird wegfallen, und wie versichert wird, wird die Einrichtung, wie sie in Belgien besteht, unserem Lande zum Muster dienen. Die Gemeinden werden frei; und nur die allgemeinen Provinzialverwaltungssachen durch die Regierungen erledigt werden. Man verspricht sich hievon einen doppelten Gewinn, nämlich größere Freiheit, aber auch bedeu- tende Ersparnisse, und darum wird diese Nachricht allerwärts mit großer Freude vernommen. Von der französischen Gränze 5. Juli. Jn der benach- barten Bundesfestung Landau haben wir in den letzten Tagen bedeutende Militärkrawalle gehabt, die uns klar an das Licht brachten, wie weit der Geist der Willkür und des Aufruhres bereits in die Massen des Heeres eingedrungen ist. Hier kann nur energisches Einschreiten frommen. Oder kömmt auch dieß vielleicht schon zu spät? Dieser Geist der Auflehnung kann aber unmöglich in den letzten Monaten erst in die Truppen ein- gezogen seyn; der Zündstoff muß bereit liegen, wenn der Blitz zünden soll. Wir finden ihn hier in der Behandlung, die dem Soldaten unter dem alten Regime zu Theil ward. Dazu kömmt, daß jene „ Kerls, “ welche sehr oft wie Sachen, nicht wie Personen traktirt wurden, nun merken, daß man sie als conscribirte Bürger zu behandeln anfängt. Ziehen sie ihren schlichten Verstand zu Rathe, so müssen sie einsehen zu- gleich, daß man früher mit ihnen rechtlos verfahren und daß eben weniger Gesinnungsänderung, als Furcht vorhanden sey. Rechnen wir dazu, was die Wühler leisten, die unermüdlich sind, das Heer zu einem „gesinnungstüchtigen“ zu machen, und dem- selben für den Casus der Barricaden eine „treffliche Haltung“ beizubringen, und denen dazu keine Kneipe zu schlecht und keine Flasche zu theuer ist — so werden wir die Scenen zu Landau eher zu klein als zu bedeutend finden. Doch müssen wir wohl auch eine kurze Schilderung der tumultuarischen Auftritte, welche, wie wir hören, die Stadt in nicht wenig Schrecken versetzten, nachtragen. Die Chevauxlegers jagten einen unbeliebten Wacht- meister kraft der unveräußerlichen Souverainetät, welche jedem Menschen, also auch den bayrischen leichten Reitern angeboren

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 22. Mainz, 7. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal022_1848/2>, abgerufen am 06.06.2024.