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Mainzer Journal. Nr. 16. Mainz, 7. Juli 1848.

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[Beginn Spaltensatz] land; Posen mit über 40,000 Bewohner, Bromberg, Lissa, Ra-
wicz, die ziemlich volkreich sind, würden diesem Theile schon eine
überwiegende Bevölkerung sichern; für die Reorganisation blei-
ben aber nur 8 Kreise übrig, die keineswegs die größern sind und
von diesen werden noch möglichst viele Parzellen, nicht Städte,
abgezwackt, so daß die Polen kaum über den dritten Theil des
Landes behalten. Wer auch die Verhältnisse nicht aus eigener
Anschauung kennt, wird diese neue Theilung Polens zu würdigen
wissen, wenn er Folgendes erwägt. Die Deutschen selbst geben
die polnische Bevölkerung als die zahlreichere an, nämlich 700,000
neben 500,000 Deutschen, nach den von der Gazeta Polska mit-
getheilten, aus Kirchenbüchern entnommenen statistischen Angaben
beträgt die polnische Bevölkerung gegen 900,000 Seelen. Daß
also in den 9 Kreisen mehr Polen als Deutsche leben, wird nicht
als eine zu gewagte Behauptung erscheinen und jedenfalls ist ge-
wiß, daß die Mehrheit nicht auf dem kleinen Terrain wohnt und
daß Hunderttausende von Polen dem deutschen Reiche förm-
lich einverleibt werden sollen. Das wäre es also, was ihnen die
königliche Verheißung gebracht, dies der Weg, auf dem die Ver-
brüderung beider Nationen herbeigeführt werden soll! Wir wer-
fen den Polen ihre Fehler und Gebrechen vor; man braucht sie
nicht in Abrede zu stellen, aber fragen wir uns doch: ob wir
nicht einen Theil der Schuld daran tragen? Wenn alle Hoff-
nungen Polens mit Täuschungen enden, wenn jede nationale
Erhebung eine neue Unterjochung nach sich zieht, wenn jede gün-
stige Gelegenheit, ihnen gerecht zu werden, unbenützt vorübergeht,
ist da zu erwarten, daß es uns mit großem Vertrauen entgegen
komme, ist da zu verwundern, wenn es sich einem Mißmuth
hingibt, der an aller bestehenden Ordnung rüttelt, da diese
Ordnung für dasselbe seit Menschenaltern eine Unordnung, eine
Anomalie ist? Ja, viele von ihnen sind durch und durch revolu-
tionär; aber während sie in allen Ländern des Continents und
jenseits der Meere umherirren und sich nach einem unabhängigen
Vaterlande sehnen, was haben wir ohne Revolution gethan,
um ihnen ihre nationale Selbstständigkeit und Unabhängigkeit
zurückzugeben? -- Die ganze angebliche Reorganisation ist ein
todtgeborenes Unternehmen, das nur zum Beweise dient, wie
wenig die Beamtenherrschaft geeignet ist, die Bewegungen der
Zeit zu verstehen und den Willen des Königs zum guten Ziele zu
leiten. ( A. O. Z. )

Mannheim 28. Juni. Um übertreibenden Gerüchten vorzu-
beugen, melde ich Jhnen, daß gestern Abend gegen neun Uhr in
Folge der Arretirung mehrerer Personen durch bayerische Soldaten
ein Auflauf stattfand, der aber ohne Folgen blieb. Es wird er-
zählt, die Soldaten hätten die Arretirten mißhandelt, was allge-
meinen Unwillen hervorrief. Die Untersuchung wird wohl den
Thatbestand aufklären. Aus mehreren Vorfällen scheint soviel
hervorzugehen, daß das bayerische Militär sehr erbittert gegen
die Bewohner Mannheims ist und dieser Stimmung in manchen
unüberlegten Redensarten Raum gibt. Andererseits reizt man
dieses durch Absingen der bekannten Hecker'schen Lieder, durch
Ausbringen von Toasten auf die Republik, auf Hecker u. s. w.
Es sind eben zwei feindliche Elemente nebeneinander gelagert,
welche bei dem geringsten Anlaß in Kampf gerathen können.

( D. Z. )

Wiesbaden 28. Juni. Der nassauische Landtag ist jetzt
vier Wochen versammelt. Er ist keine Fortsetzung des ehemaligen
aus Herrenbank und Deputirtenkammer zusammengesetzten Land-
tages, sondern er ist ein Produkt der Märzbewegung, indem das
noch mit den alten Ständen vereinbarte neue Wahlgesetz das
Einkammersystem und Verwerfung eines jeden Census zu Grund-
lagen hat. Auf ungefähr 10,000 Seelen kommt Ein Deputirter;
die Zahl derselben beträgt 41. Nur drei derselben gehörten schon
früher der Deputirtenversammlung an; kein einziges Mitglied
der ehemaligen Herrenbank ist in die jetzige Volkskammer gewählt
worden. Jn derselben befinden sich 5 Staatsdiener, 5 Advokaten,
1 Offizier ( der letztere und 2 Advokaten sind die einzigen Adligen
in der Kammer ) , 3 protestantische Geistliche ( kein katholischer ) ,
2 Professoren, 12 Kaufleute und Gewerbtreibende, 13 Gutsbe-
sitzer und Bauern. Katholiken sind 13, die übrigen 28 sind Pro-
testanten. Zum Präsidenten war Procurator Schenck von Dil-
lenburg gewählt worden, welcher jedoch, als bei der Revision der
Geschäftsordnung die Bestimmung getroffen wurde, daß der Prä-
sident alle vier Wochen neu gewählt werden solle, es für gut fand,
seinen Sitz in der nassauischen Ständekammer ganz aufzugeben
und in die Nationalversammlung, wohin er ebenfalls gewählt
war, einzutreten. Jetzt führt Amtssecretär Wirth von Selters,
ein Mann von gediegenen staatswissenschaftlichen Kenntnissen und
ehrenwerther Gesinnung, den Vorsitz; die Sekretäre sind Pro-
fessor Bellinger von Hadamar und Procurator v. Schütz aus
Rüdesheim.

[Spaltenumbruch]

Wenn auch bis jetzt eine feste, erkennbare Sonderung in Par-
teien noch nicht stattgefunden hat, und insbesondere die Regierung
bei keiner Frage zum Voraus weiß, ob sie sich der Majorität
versichert halten kann: so hat sich doch wenigstens schon eine
"äußerste Linke" gebildet, welche in Wortstreitigkeiten und im
Scandalmachen großes Talent entwickelt. Jhr verdankt das
Land einen mehr als achttägigen Streit über die Worte der
Adresse auf die Thronrede und die dadurch an manchen Orten
entstandene Aufregung. Die Herren fanden es unverantwortlich,
daß die Adresse mit der bisherigen Formel: "Jn tiefster Ehrfurcht
verharrt Ew. Hoheit treuunterthänigste Ständeversammlung"
schließen sollte, während sie selbst wahrscheinlich sehr oft sich in
Briefen "ergebenste Diener" nennen. Auch sollten nach ihrem
Antrage die Regierungscommissarien in den Sitzungen der Stän-
deversammlung nur dann das Wort ergreifen dürfen, wenn sie
gefragt würden ( !! ) . Begreiflicherweise fielen die fünf von der
äußersten Linken mit diesen Anträgen durch. Bei der Adreßdebatte
entspann sich ein nur zu lebhafter Streit zwischen dem Ministerial-
präsidenten Hergenhahn und dem Abgeordneten Procurator
Lang, einem der Fünf, indem Hergenhahn dem letzteren, welcher
früher als Gehülfe auf seinem Advokatenbüreau arbeitete, zu
schroff, ja beleidigend entgegentrat und sich selbst dadurch unend-
lich geschadet hat. Seit jener Sitzung ist Hergenhahn nicht wieder
in der Kammer erschienen. Gelegentlich der Abstimmung über ein
die Landescreditcasse betreffendes Gesetz beantragt der Abgeord-
nete Professor Fresenius, daß in Zukunft bei der Eingangs-
formel der Edicte die Worte "von Gottes Gnaden" wegfallen
und es einfach heißen soll: "Wir Adolph, Herzog zu Nassau";
die Kammer schritt hierüber, fast ohne Diskussion, zur Abstimmung,
welche, gegen gegen die Erwartung von Manchem, die Annahme
jenes Antrages zum Resultate hatte. Ob nun der Herzog es sich
gefallen läßt, daß ihm von der Ständeversammlung vorgeschrie-
ben wird, wie er sich selbst nennen solle, ist noch nicht bekannt, da
jenes Gesetz bis jetzt noch nicht publicirt worden ist.

Jn einer der letzten Sitzungen hat sich die Linke eine große
Blöße gegeben; sie beantragte nämlich, daß der Abgeordnete
Großmann, welcher zum Oberappellationsgerichtsprocurator
kürzlich ernannt worden ist, sich einer neuen Wahl unterwerfe,
weil das Wahlgesetz die Bestimmung enthalte, daß jeder,
der nach seiner Wahl zum Landesdeputirten eine Anstellnng
im öffentlichen Dienste erhalte oder in demselben befördert werde,
sich einer neuen Wahl unterwerfen müsse; die Linke beries sich da-
bei auf eine Stelle im Proceßgesetz, aus welcher sie ( aber sonst
wohl Niemand! ) den Schluß zog, daß bei uns die Procura-
toren
( Anwälte ) Staatsdiener seyen! Die Advocaten
als Staatsdiener zu betrachten ist sogar der gestürzten Regierung
nie eingefallen, dieselben galten vielmehr stets als völlig unab-
hängige Männer; nur die Herren von der äußersten Linken,
welche doch den Liberalismus monopolisirt zu haben sich einbilden,
war es vorbehalten, dieses schöne Paradoxon aufzustellen: aber
es paßte ihnen gerade in ihren Kram, da Herr Großmann einer
der besten Redner von der Rechten und jenen in jeder Beziehung
überlegen, folglich ihnen sehr unbequem ist. Der Antrag fiel
übrigens verdientermaßen durch. -- So viel einstweilen zur all-
gemeinen Charakterisirung der Versammlung; in meiner nächsten
Mittheilung werde ich die Berathungen über specielle Gesetzes-
vorschläge besprechen.

Frankreich.

Straßburg 28. Juni,9 1 / 2 Uhr Abends. Nachstehende tele-
graphische Depesche ist hier eingegangen und sogleich veröffent-
licht worden: " Paris 28. Juni 1848,6 1 / 2 Uhr Abends. Der
Minister des Jnnern an den Präfecten des niederrheinischen De-
partements. General Cavaignac ist so eben durch einen Be-
schluß der Kammer mit der vollstreckenden Gewalt, unter dem
Titel Ministerrathspräsident betraut worden. Er wird
seine Minister ernennen.

Straßburg 29. Juni, 9 Uhr Vormittag. Telegraphische De-
pesche: " Paris, 28. Juni 1848,6 1 / 2 Uhr Abends. Der Mini-
ster der auswärtigen Angelegenheiten an die Präfecten. Die
Nationalversammlung hat ein Decret folgenden Jnhalts ange-
nommen: Die Nationalversammlung betraut mit der vollstrecken-
den Gewalt den General Cavaignac, welcher den Titel Minister-
präsident annehmen und das Ministerium ernennen wird. Mini-
sterium:
auswärtige Angelegenheiten Julius Bastide, Ge-
rechtigkeitspflege Bethmont, Jnneres Senart, Kriegswesen
Lamorciere, Marine Le Blanc, Finanzen Goudchaur,
öffentliche Arbeiten Recurt, Handel Tourret.

Unsere Pariser Blätter sind bis zur Stunde ( vier Uhr
Nachmittags ) noch nicht eingetroffen. Wir beschränken uns daher
vorläufig auf eine Nachlese aus den Zeitungen.

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] land; Posen mit über 40,000 Bewohner, Bromberg, Lissa, Ra-
wicz, die ziemlich volkreich sind, würden diesem Theile schon eine
überwiegende Bevölkerung sichern; für die Reorganisation blei-
ben aber nur 8 Kreise übrig, die keineswegs die größern sind und
von diesen werden noch möglichst viele Parzellen, nicht Städte,
abgezwackt, so daß die Polen kaum über den dritten Theil des
Landes behalten. Wer auch die Verhältnisse nicht aus eigener
Anschauung kennt, wird diese neue Theilung Polens zu würdigen
wissen, wenn er Folgendes erwägt. Die Deutschen selbst geben
die polnische Bevölkerung als die zahlreichere an, nämlich 700,000
neben 500,000 Deutschen, nach den von der Gazeta Polska mit-
getheilten, aus Kirchenbüchern entnommenen statistischen Angaben
beträgt die polnische Bevölkerung gegen 900,000 Seelen. Daß
also in den 9 Kreisen mehr Polen als Deutsche leben, wird nicht
als eine zu gewagte Behauptung erscheinen und jedenfalls ist ge-
wiß, daß die Mehrheit nicht auf dem kleinen Terrain wohnt und
daß Hunderttausende von Polen dem deutschen Reiche förm-
lich einverleibt werden sollen. Das wäre es also, was ihnen die
königliche Verheißung gebracht, dies der Weg, auf dem die Ver-
brüderung beider Nationen herbeigeführt werden soll! Wir wer-
fen den Polen ihre Fehler und Gebrechen vor; man braucht sie
nicht in Abrede zu stellen, aber fragen wir uns doch: ob wir
nicht einen Theil der Schuld daran tragen? Wenn alle Hoff-
nungen Polens mit Täuschungen enden, wenn jede nationale
Erhebung eine neue Unterjochung nach sich zieht, wenn jede gün-
stige Gelegenheit, ihnen gerecht zu werden, unbenützt vorübergeht,
ist da zu erwarten, daß es uns mit großem Vertrauen entgegen
komme, ist da zu verwundern, wenn es sich einem Mißmuth
hingibt, der an aller bestehenden Ordnung rüttelt, da diese
Ordnung für dasselbe seit Menschenaltern eine Unordnung, eine
Anomalie ist? Ja, viele von ihnen sind durch und durch revolu-
tionär; aber während sie in allen Ländern des Continents und
jenseits der Meere umherirren und sich nach einem unabhängigen
Vaterlande sehnen, was haben wir ohne Revolution gethan,
um ihnen ihre nationale Selbstständigkeit und Unabhängigkeit
zurückzugeben? — Die ganze angebliche Reorganisation ist ein
todtgeborenes Unternehmen, das nur zum Beweise dient, wie
wenig die Beamtenherrschaft geeignet ist, die Bewegungen der
Zeit zu verstehen und den Willen des Königs zum guten Ziele zu
leiten. ( A. O. Z. )

Mannheim 28. Juni. Um übertreibenden Gerüchten vorzu-
beugen, melde ich Jhnen, daß gestern Abend gegen neun Uhr in
Folge der Arretirung mehrerer Personen durch bayerische Soldaten
ein Auflauf stattfand, der aber ohne Folgen blieb. Es wird er-
zählt, die Soldaten hätten die Arretirten mißhandelt, was allge-
meinen Unwillen hervorrief. Die Untersuchung wird wohl den
Thatbestand aufklären. Aus mehreren Vorfällen scheint soviel
hervorzugehen, daß das bayerische Militär sehr erbittert gegen
die Bewohner Mannheims ist und dieser Stimmung in manchen
unüberlegten Redensarten Raum gibt. Andererseits reizt man
dieses durch Absingen der bekannten Hecker'schen Lieder, durch
Ausbringen von Toasten auf die Republik, auf Hecker u. s. w.
Es sind eben zwei feindliche Elemente nebeneinander gelagert,
welche bei dem geringsten Anlaß in Kampf gerathen können.

( D. Z. )

♀ Wiesbaden 28. Juni. Der nassauische Landtag ist jetzt
vier Wochen versammelt. Er ist keine Fortsetzung des ehemaligen
aus Herrenbank und Deputirtenkammer zusammengesetzten Land-
tages, sondern er ist ein Produkt der Märzbewegung, indem das
noch mit den alten Ständen vereinbarte neue Wahlgesetz das
Einkammersystem und Verwerfung eines jeden Census zu Grund-
lagen hat. Auf ungefähr 10,000 Seelen kommt Ein Deputirter;
die Zahl derselben beträgt 41. Nur drei derselben gehörten schon
früher der Deputirtenversammlung an; kein einziges Mitglied
der ehemaligen Herrenbank ist in die jetzige Volkskammer gewählt
worden. Jn derselben befinden sich 5 Staatsdiener, 5 Advokaten,
1 Offizier ( der letztere und 2 Advokaten sind die einzigen Adligen
in der Kammer ) , 3 protestantische Geistliche ( kein katholischer ) ,
2 Professoren, 12 Kaufleute und Gewerbtreibende, 13 Gutsbe-
sitzer und Bauern. Katholiken sind 13, die übrigen 28 sind Pro-
testanten. Zum Präsidenten war Procurator Schenck von Dil-
lenburg gewählt worden, welcher jedoch, als bei der Revision der
Geschäftsordnung die Bestimmung getroffen wurde, daß der Prä-
sident alle vier Wochen neu gewählt werden solle, es für gut fand,
seinen Sitz in der nassauischen Ständekammer ganz aufzugeben
und in die Nationalversammlung, wohin er ebenfalls gewählt
war, einzutreten. Jetzt führt Amtssecretär Wirth von Selters,
ein Mann von gediegenen staatswissenschaftlichen Kenntnissen und
ehrenwerther Gesinnung, den Vorsitz; die Sekretäre sind Pro-
fessor Bellinger von Hadamar und Procurator v. Schütz aus
Rüdesheim.

[Spaltenumbruch]

Wenn auch bis jetzt eine feste, erkennbare Sonderung in Par-
teien noch nicht stattgefunden hat, und insbesondere die Regierung
bei keiner Frage zum Voraus weiß, ob sie sich der Majorität
versichert halten kann: so hat sich doch wenigstens schon eine
„äußerste Linke“ gebildet, welche in Wortstreitigkeiten und im
Scandalmachen großes Talent entwickelt. Jhr verdankt das
Land einen mehr als achttägigen Streit über die Worte der
Adresse auf die Thronrede und die dadurch an manchen Orten
entstandene Aufregung. Die Herren fanden es unverantwortlich,
daß die Adresse mit der bisherigen Formel: „Jn tiefster Ehrfurcht
verharrt Ew. Hoheit treuunterthänigste Ständeversammlung“
schließen sollte, während sie selbst wahrscheinlich sehr oft sich in
Briefen „ergebenste Diener“ nennen. Auch sollten nach ihrem
Antrage die Regierungscommissarien in den Sitzungen der Stän-
deversammlung nur dann das Wort ergreifen dürfen, wenn sie
gefragt würden ( !! ) . Begreiflicherweise fielen die fünf von der
äußersten Linken mit diesen Anträgen durch. Bei der Adreßdebatte
entspann sich ein nur zu lebhafter Streit zwischen dem Ministerial-
präsidenten Hergenhahn und dem Abgeordneten Procurator
Lang, einem der Fünf, indem Hergenhahn dem letzteren, welcher
früher als Gehülfe auf seinem Advokatenbüreau arbeitete, zu
schroff, ja beleidigend entgegentrat und sich selbst dadurch unend-
lich geschadet hat. Seit jener Sitzung ist Hergenhahn nicht wieder
in der Kammer erschienen. Gelegentlich der Abstimmung über ein
die Landescreditcasse betreffendes Gesetz beantragt der Abgeord-
nete Professor Fresenius, daß in Zukunft bei der Eingangs-
formel der Edicte die Worte „von Gottes Gnaden“ wegfallen
und es einfach heißen soll: „Wir Adolph, Herzog zu Nassau“;
die Kammer schritt hierüber, fast ohne Diskussion, zur Abstimmung,
welche, gegen gegen die Erwartung von Manchem, die Annahme
jenes Antrages zum Resultate hatte. Ob nun der Herzog es sich
gefallen läßt, daß ihm von der Ständeversammlung vorgeschrie-
ben wird, wie er sich selbst nennen solle, ist noch nicht bekannt, da
jenes Gesetz bis jetzt noch nicht publicirt worden ist.

Jn einer der letzten Sitzungen hat sich die Linke eine große
Blöße gegeben; sie beantragte nämlich, daß der Abgeordnete
Großmann, welcher zum Oberappellationsgerichtsprocurator
kürzlich ernannt worden ist, sich einer neuen Wahl unterwerfe,
weil das Wahlgesetz die Bestimmung enthalte, daß jeder,
der nach seiner Wahl zum Landesdeputirten eine Anstellnng
im öffentlichen Dienste erhalte oder in demselben befördert werde,
sich einer neuen Wahl unterwerfen müsse; die Linke beries sich da-
bei auf eine Stelle im Proceßgesetz, aus welcher sie ( aber sonst
wohl Niemand! ) den Schluß zog, daß bei uns die Procura-
toren
( Anwälte ) Staatsdiener seyen! Die Advocaten
als Staatsdiener zu betrachten ist sogar der gestürzten Regierung
nie eingefallen, dieselben galten vielmehr stets als völlig unab-
hängige Männer; nur die Herren von der äußersten Linken,
welche doch den Liberalismus monopolisirt zu haben sich einbilden,
war es vorbehalten, dieses schöne Paradoxon aufzustellen: aber
es paßte ihnen gerade in ihren Kram, da Herr Großmann einer
der besten Redner von der Rechten und jenen in jeder Beziehung
überlegen, folglich ihnen sehr unbequem ist. Der Antrag fiel
übrigens verdientermaßen durch. — So viel einstweilen zur all-
gemeinen Charakterisirung der Versammlung; in meiner nächsten
Mittheilung werde ich die Berathungen über specielle Gesetzes-
vorschläge besprechen.

Frankreich.

Straßburg 28. Juni,9 1 / 2 Uhr Abends. Nachstehende tele-
graphische Depesche ist hier eingegangen und sogleich veröffent-
licht worden: „ Paris 28. Juni 1848,6 1 / 2 Uhr Abends. Der
Minister des Jnnern an den Präfecten des niederrheinischen De-
partements. General Cavaignac ist so eben durch einen Be-
schluß der Kammer mit der vollstreckenden Gewalt, unter dem
Titel Ministerrathspräsident betraut worden. Er wird
seine Minister ernennen.

Straßburg 29. Juni, 9 Uhr Vormittag. Telegraphische De-
pesche: „ Paris, 28. Juni 1848,6 1 / 2 Uhr Abends. Der Mini-
ster der auswärtigen Angelegenheiten an die Präfecten. Die
Nationalversammlung hat ein Decret folgenden Jnhalts ange-
nommen: Die Nationalversammlung betraut mit der vollstrecken-
den Gewalt den General Cavaignac, welcher den Titel Minister-
präsident annehmen und das Ministerium ernennen wird. Mini-
sterium:
auswärtige Angelegenheiten Julius Bastide, Ge-
rechtigkeitspflege Bethmont, Jnneres Senart, Kriegswesen
Lamorcière, Marine Le Blanc, Finanzen Goudchaur,
öffentliche Arbeiten Recurt, Handel Tourret.

Unsere Pariser Blätter sind bis zur Stunde ( vier Uhr
Nachmittags ) noch nicht eingetroffen. Wir beschränken uns daher
vorläufig auf eine Nachlese aus den Zeitungen.

[Ende Spaltensatz]
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[0003] land; Posen mit über 40,000 Bewohner, Bromberg, Lissa, Ra- wicz, die ziemlich volkreich sind, würden diesem Theile schon eine überwiegende Bevölkerung sichern; für die Reorganisation blei- ben aber nur 8 Kreise übrig, die keineswegs die größern sind und von diesen werden noch möglichst viele Parzellen, nicht Städte, abgezwackt, so daß die Polen kaum über den dritten Theil des Landes behalten. Wer auch die Verhältnisse nicht aus eigener Anschauung kennt, wird diese neue Theilung Polens zu würdigen wissen, wenn er Folgendes erwägt. Die Deutschen selbst geben die polnische Bevölkerung als die zahlreichere an, nämlich 700,000 neben 500,000 Deutschen, nach den von der Gazeta Polska mit- getheilten, aus Kirchenbüchern entnommenen statistischen Angaben beträgt die polnische Bevölkerung gegen 900,000 Seelen. Daß also in den 9 Kreisen mehr Polen als Deutsche leben, wird nicht als eine zu gewagte Behauptung erscheinen und jedenfalls ist ge- wiß, daß die Mehrheit nicht auf dem kleinen Terrain wohnt und daß Hunderttausende von Polen dem deutschen Reiche förm- lich einverleibt werden sollen. Das wäre es also, was ihnen die königliche Verheißung gebracht, dies der Weg, auf dem die Ver- brüderung beider Nationen herbeigeführt werden soll! Wir wer- fen den Polen ihre Fehler und Gebrechen vor; man braucht sie nicht in Abrede zu stellen, aber fragen wir uns doch: ob wir nicht einen Theil der Schuld daran tragen? Wenn alle Hoff- nungen Polens mit Täuschungen enden, wenn jede nationale Erhebung eine neue Unterjochung nach sich zieht, wenn jede gün- stige Gelegenheit, ihnen gerecht zu werden, unbenützt vorübergeht, ist da zu erwarten, daß es uns mit großem Vertrauen entgegen komme, ist da zu verwundern, wenn es sich einem Mißmuth hingibt, der an aller bestehenden Ordnung rüttelt, da diese Ordnung für dasselbe seit Menschenaltern eine Unordnung, eine Anomalie ist? Ja, viele von ihnen sind durch und durch revolu- tionär; aber während sie in allen Ländern des Continents und jenseits der Meere umherirren und sich nach einem unabhängigen Vaterlande sehnen, was haben wir ohne Revolution gethan, um ihnen ihre nationale Selbstständigkeit und Unabhängigkeit zurückzugeben? — Die ganze angebliche Reorganisation ist ein todtgeborenes Unternehmen, das nur zum Beweise dient, wie wenig die Beamtenherrschaft geeignet ist, die Bewegungen der Zeit zu verstehen und den Willen des Königs zum guten Ziele zu leiten. ( A. O. Z. ) Mannheim 28. Juni. Um übertreibenden Gerüchten vorzu- beugen, melde ich Jhnen, daß gestern Abend gegen neun Uhr in Folge der Arretirung mehrerer Personen durch bayerische Soldaten ein Auflauf stattfand, der aber ohne Folgen blieb. Es wird er- zählt, die Soldaten hätten die Arretirten mißhandelt, was allge- meinen Unwillen hervorrief. Die Untersuchung wird wohl den Thatbestand aufklären. Aus mehreren Vorfällen scheint soviel hervorzugehen, daß das bayerische Militär sehr erbittert gegen die Bewohner Mannheims ist und dieser Stimmung in manchen unüberlegten Redensarten Raum gibt. Andererseits reizt man dieses durch Absingen der bekannten Hecker'schen Lieder, durch Ausbringen von Toasten auf die Republik, auf Hecker u. s. w. Es sind eben zwei feindliche Elemente nebeneinander gelagert, welche bei dem geringsten Anlaß in Kampf gerathen können. ( D. Z. ) ♀ Wiesbaden 28. Juni. Der nassauische Landtag ist jetzt vier Wochen versammelt. Er ist keine Fortsetzung des ehemaligen aus Herrenbank und Deputirtenkammer zusammengesetzten Land- tages, sondern er ist ein Produkt der Märzbewegung, indem das noch mit den alten Ständen vereinbarte neue Wahlgesetz das Einkammersystem und Verwerfung eines jeden Census zu Grund- lagen hat. Auf ungefähr 10,000 Seelen kommt Ein Deputirter; die Zahl derselben beträgt 41. Nur drei derselben gehörten schon früher der Deputirtenversammlung an; kein einziges Mitglied der ehemaligen Herrenbank ist in die jetzige Volkskammer gewählt worden. Jn derselben befinden sich 5 Staatsdiener, 5 Advokaten, 1 Offizier ( der letztere und 2 Advokaten sind die einzigen Adligen in der Kammer ) , 3 protestantische Geistliche ( kein katholischer ) , 2 Professoren, 12 Kaufleute und Gewerbtreibende, 13 Gutsbe- sitzer und Bauern. Katholiken sind 13, die übrigen 28 sind Pro- testanten. Zum Präsidenten war Procurator Schenck von Dil- lenburg gewählt worden, welcher jedoch, als bei der Revision der Geschäftsordnung die Bestimmung getroffen wurde, daß der Prä- sident alle vier Wochen neu gewählt werden solle, es für gut fand, seinen Sitz in der nassauischen Ständekammer ganz aufzugeben und in die Nationalversammlung, wohin er ebenfalls gewählt war, einzutreten. Jetzt führt Amtssecretär Wirth von Selters, ein Mann von gediegenen staatswissenschaftlichen Kenntnissen und ehrenwerther Gesinnung, den Vorsitz; die Sekretäre sind Pro- fessor Bellinger von Hadamar und Procurator v. Schütz aus Rüdesheim. Wenn auch bis jetzt eine feste, erkennbare Sonderung in Par- teien noch nicht stattgefunden hat, und insbesondere die Regierung bei keiner Frage zum Voraus weiß, ob sie sich der Majorität versichert halten kann: so hat sich doch wenigstens schon eine „äußerste Linke“ gebildet, welche in Wortstreitigkeiten und im Scandalmachen großes Talent entwickelt. Jhr verdankt das Land einen mehr als achttägigen Streit über die Worte der Adresse auf die Thronrede und die dadurch an manchen Orten entstandene Aufregung. Die Herren fanden es unverantwortlich, daß die Adresse mit der bisherigen Formel: „Jn tiefster Ehrfurcht verharrt Ew. Hoheit treuunterthänigste Ständeversammlung“ schließen sollte, während sie selbst wahrscheinlich sehr oft sich in Briefen „ergebenste Diener“ nennen. Auch sollten nach ihrem Antrage die Regierungscommissarien in den Sitzungen der Stän- deversammlung nur dann das Wort ergreifen dürfen, wenn sie gefragt würden ( !! ) . Begreiflicherweise fielen die fünf von der äußersten Linken mit diesen Anträgen durch. Bei der Adreßdebatte entspann sich ein nur zu lebhafter Streit zwischen dem Ministerial- präsidenten Hergenhahn und dem Abgeordneten Procurator Lang, einem der Fünf, indem Hergenhahn dem letzteren, welcher früher als Gehülfe auf seinem Advokatenbüreau arbeitete, zu schroff, ja beleidigend entgegentrat und sich selbst dadurch unend- lich geschadet hat. Seit jener Sitzung ist Hergenhahn nicht wieder in der Kammer erschienen. Gelegentlich der Abstimmung über ein die Landescreditcasse betreffendes Gesetz beantragt der Abgeord- nete Professor Fresenius, daß in Zukunft bei der Eingangs- formel der Edicte die Worte „von Gottes Gnaden“ wegfallen und es einfach heißen soll: „Wir Adolph, Herzog zu Nassau“; die Kammer schritt hierüber, fast ohne Diskussion, zur Abstimmung, welche, gegen gegen die Erwartung von Manchem, die Annahme jenes Antrages zum Resultate hatte. Ob nun der Herzog es sich gefallen läßt, daß ihm von der Ständeversammlung vorgeschrie- ben wird, wie er sich selbst nennen solle, ist noch nicht bekannt, da jenes Gesetz bis jetzt noch nicht publicirt worden ist. Jn einer der letzten Sitzungen hat sich die Linke eine große Blöße gegeben; sie beantragte nämlich, daß der Abgeordnete Großmann, welcher zum Oberappellationsgerichtsprocurator kürzlich ernannt worden ist, sich einer neuen Wahl unterwerfe, weil das Wahlgesetz die Bestimmung enthalte, daß jeder, der nach seiner Wahl zum Landesdeputirten eine Anstellnng im öffentlichen Dienste erhalte oder in demselben befördert werde, sich einer neuen Wahl unterwerfen müsse; die Linke beries sich da- bei auf eine Stelle im Proceßgesetz, aus welcher sie ( aber sonst wohl Niemand! ) den Schluß zog, daß bei uns die Procura- toren ( Anwälte ) Staatsdiener seyen! Die Advocaten als Staatsdiener zu betrachten ist sogar der gestürzten Regierung nie eingefallen, dieselben galten vielmehr stets als völlig unab- hängige Männer; nur die Herren von der äußersten Linken, welche doch den Liberalismus monopolisirt zu haben sich einbilden, war es vorbehalten, dieses schöne Paradoxon aufzustellen: aber es paßte ihnen gerade in ihren Kram, da Herr Großmann einer der besten Redner von der Rechten und jenen in jeder Beziehung überlegen, folglich ihnen sehr unbequem ist. Der Antrag fiel übrigens verdientermaßen durch. — So viel einstweilen zur all- gemeinen Charakterisirung der Versammlung; in meiner nächsten Mittheilung werde ich die Berathungen über specielle Gesetzes- vorschläge besprechen. Frankreich. Straßburg 28. Juni,9 1 / 2 Uhr Abends. Nachstehende tele- graphische Depesche ist hier eingegangen und sogleich veröffent- licht worden: „ Paris 28. Juni 1848,6 1 / 2 Uhr Abends. Der Minister des Jnnern an den Präfecten des niederrheinischen De- partements. General Cavaignac ist so eben durch einen Be- schluß der Kammer mit der vollstreckenden Gewalt, unter dem Titel Ministerrathspräsident betraut worden. Er wird seine Minister ernennen. Straßburg 29. Juni, 9 Uhr Vormittag. Telegraphische De- pesche: „ Paris, 28. Juni 1848,6 1 / 2 Uhr Abends. Der Mini- ster der auswärtigen Angelegenheiten an die Präfecten. Die Nationalversammlung hat ein Decret folgenden Jnhalts ange- nommen: Die Nationalversammlung betraut mit der vollstrecken- den Gewalt den General Cavaignac, welcher den Titel Minister- präsident annehmen und das Ministerium ernennen wird. Mini- sterium: auswärtige Angelegenheiten Julius Bastide, Ge- rechtigkeitspflege Bethmont, Jnneres Senart, Kriegswesen Lamorcière, Marine Le Blanc, Finanzen Goudchaur, öffentliche Arbeiten Recurt, Handel Tourret. Unsere Pariser Blätter sind bis zur Stunde ( vier Uhr Nachmittags ) noch nicht eingetroffen. Wir beschränken uns daher vorläufig auf eine Nachlese aus den Zeitungen.

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Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
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Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 16. Mainz, 7. Juli 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal016_1848/3>, abgerufen am 01.06.2024.