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Mainzer Journal. Nr. 8. Mainz, 22. Juni 1848.

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Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den "Rheinischen Unterhaltungs-
blättern " schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 8. Donnerstag, den 22. Juni. 1848.


Wegen des hohen Frohnleichnamsfestes erscheint morgen keine Zeitung. Die
zu der heutigen Nummer gehörende Beilage wird Freitag Vormittag um
11 Uhr ausgegeben.



[Beginn Spaltensatz]
Der erste Artikel der Grundrechte des deutschen
Volkes nach dem Entwurf der Verfassungs-
commission1).

H Vom Rheine 20. Juni. "Dem deutschen Volke ist ge-
währleistet Freiheit des Bekenntnisses, vorbehaltlich der Bestra-
fung von Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser
Freiheit begangen werden, sowie vorbehaltlich aller staatsbürger-
lichen Pflichten. Einer Anerkennung des Bekenntnisses durch
den Staat bedarf es nicht. Für die Bekenner aller Religionen
Gleichheit vor dem Gesetz. Es ist ausdrücklich die Bildung neuer
Religionsgesellschaften gestattet. ( Das Verhältniß von Kirche und
Staat betreffend. ) Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung
oder Feierlichkeit gezwungen werden. Die Civilehe ist ausdrück-
lich aufzunehmen." Also lautet dieser Artikel.

Mit Freuden haben alle wahren und einsichtsvollen Freunde
des Vaterlandes und der Religion die Freiheit begrüßt, weil nur
auf dem Boden der Freiheit wahre Religiosität blühen kann.
Sie haben gehofft, daß jetzt endlich die unwürdige Bevormun-
dung der Religion durch die Staatspolizei aufhören, sie haben
mit Zuversicht erwartet, daß die deutsche Nationalversammlung
den großen und herrlichen Grundsatz der religiösen Freiheit und
der Unabhängigkeit der Kirche vom Staate, wie er in Belgien
und Nordamerika besteht, für alle Confessionen klar, bestimmt
und redlich aussprechen werde. Sie haben Letzteres um so zuver-
sichtlicher erwartet, als nur durch die volle und ehrliche Durch-
führung des Grundsatzes der religiösen Freiheit und der Unab-
hängigkeit der Kirche vom Staat eine aufrichtige und innige po-
litische Einheit Deutschlands möglich ist. Jn allen diesen Er-
wartungen aber hat sie der angeführte Artikel des Commissions-
entwurfes bitter getäuscht.

Statt jener klaren und großen Sätze der religiösen Freiheit,
finden wir nichts als geschraubte, bedeutungslose Bestimmungen
und hinterhaltsvolle Clauseln. Daß Jeder seine Religion frei
bekennen darf, versteht sich von selbst. Allein was wir for-
dern und verlangen müssen, ist unendlich mehr. Wir müssen
auch fordern, daß jede religiöse Gesellschaft, jede Confession,
jede Kirche als solche als Corporation in ihrer Verfassung,
Verwaltung, in ihrer Lehre, in ihrem Gottesdienst, in der
Wahl und Anstellung ihrer Diener, in dem Besitz, dem Erwerb
und der Verwaltung ihres Vermögens frei und unabhängig sey
und keinen anderen Beschränkungen unterliege, als denen, welche
das allgemeine Gesetz allen Staatsbürgern in privatrechtlicher
und staatsrechtlicher Beziehung auflegt, anstatt daß bisher der
Staat sich in alle kirchlichen Angelegenheiten einmischte, die Ab-
haltung von Synoden, die Erlassung kirchlicher Verfügungen
oder Schreiben, ja sogar die Gültigkeit aller kirchlichen Gesetze
von seiner Genehmigung abhängig machte, die Wahl und Anstel-
lung der Geistlichen vielfach sich selbst zueignete, die Vermögens-
verwaltung der Kirche seinen Behörden unterordnete, ja sogar die
Feier des Gottesdienstes betreffende Bestimmungen erließ. Allein
die Frankfurter Verfassungscommission scheint gar nichts dagegen
zu haben, daß dieser unfreie Zustand der Kirche auch unter der
Herrschaft der neuen Freiheit fortdauere. Oder meint man viel-

[Spaltenumbruch] leicht, daß in dem vagen Ausdruck "Freiheit des Bekenntnisses,"
auch schon die religiöse und kirchliche Freiheit enthalten sey? so
bedenke man, daß dasselbe Wort bisher in allen modernen Ge-
setzen, wenigstens für die Bekenner der drei Hauptbekenntnisse ge-
standen, aber die schreiendsten Eingriffe in die religiöse Freiheit
nicht gehindert hat.

Allein selbst diesem Ausdruck, "Freiheit des Bekenntnisses,"
hat die Commission noch Clauseln und Bestimmungen angehängt,
die, wenn sich nicht eine geheime, die volle Freiheit des Bekennt-
nisses beeinträchtigende Nebenabsicht dahinter verbirgt, mindestens
ungeeignet und überflüssig sind. Daß der Anhänger irgend einer
Confession, wenn er bei Gelegenheit von Religionsübungen ein
Verbrechen begeht, vor die ordentlichen Gerichte zu stellen und zu
strafen ist, und daß keine Religion ihre Bekenner von den allge-
mein=staatsbürgerlichen Pflichten befreie, ist etwas sich so von
selbst Verstehendes, daß gar nicht einzusehen, weßhalb es gerade
hier, wo von der Religion die Rede ist, ausgesprochen wird.
§. 3. steht: "Jeder darf Unterricht ertheilen," warum wird da
nicht beigefügt, "vorbehaltlich der Bestrafung der Verbrechen, die
er dabei begeht?" §. 2. steht: "Freie Wahl des Berufes für
Jeden;" warum nicht der Zusatz: "vorbehaltlich seiner staats-
bürgerlichen Pflichten." §. 4. steht: "Freiheit der Meinungs-
äußerung in Rede und Schrift," warum nicht wiederum der
gleiche Vorbehalt? Ohne Zweifel, weil solche sich von selbst ver-
stehenden Vorbehalte nicht blos überflüssig, sondern als einen
unwürdigen Verdacht aussprechend, selbst beleidigend sind für Die,
welche es angeht.

"Die Gleichheit der Bekenner aller Religionen vor dem Ge-
setz ist anerkannt." Wir verlangen aber die vollkommenste Pari-
tät nicht blos für die Einzelnen, sondern auch für die
kirchliche Gesammtheit.
Nicht mehr soll der Staat, wie
es bisher vielfach so sehr der Fall gewesen, eine Religionsge-
meinschaft vor der andern begünstigen; er soll vielmehr jede
Kirche frei gewähren lassen und sich darauf beschränken, ihr
rechtlichen Schutz gegen alle Gewalt, Beleidigung oder Berau-
bung angedeihen zu lassen. Aber nicht blos sollen die verschiedenen
Kirchen vor dem Staate gleich -- denn es gibt auch eine Gleichheit
in der Dienstbarkeit, -- sondern sie sollen auch frei seyn. Frei-
heit ist im Entwurfe ausdrücklich nur ausgesprochen, und sogar
zweimal, für die Bildung neuer Religionsgesellschaften. Wir sind
damit vollkommen einverstanden; dagegen fordern wir, daß auch
die alte christliche Kirche derselben Freiheit genieße, wie die neu
entstehenden Religionsparteien, und daß nicht mehr, wie es bis-
her der Fall war, z. B. der Staat nach seinem Gutdünken Pfarrer
einsetze, dem Ministerium mißliebige Geistliche absetze, während
neue Religionsparteien in der Wahl und Entfernung ihrer Diener
ganz frei und unbehindert sind.

Daß Niemand zu einer kirchlichen Handlung gezwungen wer-
den könne, hat unsere volle Billigung und hätten gewisse Re-
gierungen diesen Grundsatz, der zum A. B. C. der religiösen
Freiheit gehört, früher beherzigt, so hätten sie nicht Bischöfe und
Geistliche mit Absetzung und Gefängniß bestraft, weil sie gewisse
kirchliche Handlungen, als ihrem Gewissen widerstreitend, vorzu-
nehmen sich weigerten. Hingegen will uns bedünken, daß wir
auch das Umgekehrte fordern dürfen, daß nämlich auch Niemand
vom Staate verhindert werden dürfe, irgend eine religiöse Hand-
[Ende Spaltensatz]

1) Siehe Beilage 3. zum Mainzer Journal.
1 ) Siehe Beilage 3. zum Mainzer Journal.
Mainzer Journal.


Das Mainzer Journal erscheint täglich ( mit Ausnahme der höchsten Festtage ) und zwar so, daß das Hauptblatt mit den „Rheinischen Unterhaltungs-
blättern “ schon am Vorabende, die ständige Beilage am Vormittage des betreffenden Tages selbst ausgegeben wird. Bestellungen nehmen alle Postämter an;
für Mainz und die nächste Umgebung die Buchhandlung von Kirchheim, Schott und Thielmann am Leichhofe. Der Preiß des Blattes ist hier in Mainz
jährlich 8 fl. in vierteljährigen Vorausbezahlungen von 2 fl.; in dem gesammten Gebiete des Fürstlich Thurn= und Taxisschen Postbezirkes jährlich eben-
falls 8 fl. Jnserate aller Art werden aufgenommen und die dreispaltige Petitzeile oder deren Raum mit 3 kr. berechnet.



Nro 8. Donnerstag, den 22. Juni. 1848.


Wegen des hohen Frohnleichnamsfestes erscheint morgen keine Zeitung. Die
zu der heutigen Nummer gehörende Beilage wird Freitag Vormittag um
11 Uhr ausgegeben.



[Beginn Spaltensatz]
Der erste Artikel der Grundrechte des deutschen
Volkes nach dem Entwurf der Verfassungs-
commission1).

H Vom Rheine 20. Juni. „Dem deutschen Volke ist ge-
währleistet Freiheit des Bekenntnisses, vorbehaltlich der Bestra-
fung von Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser
Freiheit begangen werden, sowie vorbehaltlich aller staatsbürger-
lichen Pflichten. Einer Anerkennung des Bekenntnisses durch
den Staat bedarf es nicht. Für die Bekenner aller Religionen
Gleichheit vor dem Gesetz. Es ist ausdrücklich die Bildung neuer
Religionsgesellschaften gestattet. ( Das Verhältniß von Kirche und
Staat betreffend. ) Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung
oder Feierlichkeit gezwungen werden. Die Civilehe ist ausdrück-
lich aufzunehmen.“ Also lautet dieser Artikel.

Mit Freuden haben alle wahren und einsichtsvollen Freunde
des Vaterlandes und der Religion die Freiheit begrüßt, weil nur
auf dem Boden der Freiheit wahre Religiosität blühen kann.
Sie haben gehofft, daß jetzt endlich die unwürdige Bevormun-
dung der Religion durch die Staatspolizei aufhören, sie haben
mit Zuversicht erwartet, daß die deutsche Nationalversammlung
den großen und herrlichen Grundsatz der religiösen Freiheit und
der Unabhängigkeit der Kirche vom Staate, wie er in Belgien
und Nordamerika besteht, für alle Confessionen klar, bestimmt
und redlich aussprechen werde. Sie haben Letzteres um so zuver-
sichtlicher erwartet, als nur durch die volle und ehrliche Durch-
führung des Grundsatzes der religiösen Freiheit und der Unab-
hängigkeit der Kirche vom Staat eine aufrichtige und innige po-
litische Einheit Deutschlands möglich ist. Jn allen diesen Er-
wartungen aber hat sie der angeführte Artikel des Commissions-
entwurfes bitter getäuscht.

Statt jener klaren und großen Sätze der religiösen Freiheit,
finden wir nichts als geschraubte, bedeutungslose Bestimmungen
und hinterhaltsvolle Clauseln. Daß Jeder seine Religion frei
bekennen darf, versteht sich von selbst. Allein was wir for-
dern und verlangen müssen, ist unendlich mehr. Wir müssen
auch fordern, daß jede religiöse Gesellschaft, jede Confession,
jede Kirche als solche als Corporation in ihrer Verfassung,
Verwaltung, in ihrer Lehre, in ihrem Gottesdienst, in der
Wahl und Anstellung ihrer Diener, in dem Besitz, dem Erwerb
und der Verwaltung ihres Vermögens frei und unabhängig sey
und keinen anderen Beschränkungen unterliege, als denen, welche
das allgemeine Gesetz allen Staatsbürgern in privatrechtlicher
und staatsrechtlicher Beziehung auflegt, anstatt daß bisher der
Staat sich in alle kirchlichen Angelegenheiten einmischte, die Ab-
haltung von Synoden, die Erlassung kirchlicher Verfügungen
oder Schreiben, ja sogar die Gültigkeit aller kirchlichen Gesetze
von seiner Genehmigung abhängig machte, die Wahl und Anstel-
lung der Geistlichen vielfach sich selbst zueignete, die Vermögens-
verwaltung der Kirche seinen Behörden unterordnete, ja sogar die
Feier des Gottesdienstes betreffende Bestimmungen erließ. Allein
die Frankfurter Verfassungscommission scheint gar nichts dagegen
zu haben, daß dieser unfreie Zustand der Kirche auch unter der
Herrschaft der neuen Freiheit fortdauere. Oder meint man viel-

[Spaltenumbruch] leicht, daß in dem vagen Ausdruck „Freiheit des Bekenntnisses,“
auch schon die religiöse und kirchliche Freiheit enthalten sey? so
bedenke man, daß dasselbe Wort bisher in allen modernen Ge-
setzen, wenigstens für die Bekenner der drei Hauptbekenntnisse ge-
standen, aber die schreiendsten Eingriffe in die religiöse Freiheit
nicht gehindert hat.

Allein selbst diesem Ausdruck, „Freiheit des Bekenntnisses,“
hat die Commission noch Clauseln und Bestimmungen angehängt,
die, wenn sich nicht eine geheime, die volle Freiheit des Bekennt-
nisses beeinträchtigende Nebenabsicht dahinter verbirgt, mindestens
ungeeignet und überflüssig sind. Daß der Anhänger irgend einer
Confession, wenn er bei Gelegenheit von Religionsübungen ein
Verbrechen begeht, vor die ordentlichen Gerichte zu stellen und zu
strafen ist, und daß keine Religion ihre Bekenner von den allge-
mein=staatsbürgerlichen Pflichten befreie, ist etwas sich so von
selbst Verstehendes, daß gar nicht einzusehen, weßhalb es gerade
hier, wo von der Religion die Rede ist, ausgesprochen wird.
§. 3. steht: „Jeder darf Unterricht ertheilen,“ warum wird da
nicht beigefügt, „vorbehaltlich der Bestrafung der Verbrechen, die
er dabei begeht?“ §. 2. steht: „Freie Wahl des Berufes für
Jeden;“ warum nicht der Zusatz: „vorbehaltlich seiner staats-
bürgerlichen Pflichten.“ §. 4. steht: „Freiheit der Meinungs-
äußerung in Rede und Schrift,“ warum nicht wiederum der
gleiche Vorbehalt? Ohne Zweifel, weil solche sich von selbst ver-
stehenden Vorbehalte nicht blos überflüssig, sondern als einen
unwürdigen Verdacht aussprechend, selbst beleidigend sind für Die,
welche es angeht.

„Die Gleichheit der Bekenner aller Religionen vor dem Ge-
setz ist anerkannt.“ Wir verlangen aber die vollkommenste Pari-
tät nicht blos für die Einzelnen, sondern auch für die
kirchliche Gesammtheit.
Nicht mehr soll der Staat, wie
es bisher vielfach so sehr der Fall gewesen, eine Religionsge-
meinschaft vor der andern begünstigen; er soll vielmehr jede
Kirche frei gewähren lassen und sich darauf beschränken, ihr
rechtlichen Schutz gegen alle Gewalt, Beleidigung oder Berau-
bung angedeihen zu lassen. Aber nicht blos sollen die verschiedenen
Kirchen vor dem Staate gleich — denn es gibt auch eine Gleichheit
in der Dienstbarkeit, — sondern sie sollen auch frei seyn. Frei-
heit ist im Entwurfe ausdrücklich nur ausgesprochen, und sogar
zweimal, für die Bildung neuer Religionsgesellschaften. Wir sind
damit vollkommen einverstanden; dagegen fordern wir, daß auch
die alte christliche Kirche derselben Freiheit genieße, wie die neu
entstehenden Religionsparteien, und daß nicht mehr, wie es bis-
her der Fall war, z. B. der Staat nach seinem Gutdünken Pfarrer
einsetze, dem Ministerium mißliebige Geistliche absetze, während
neue Religionsparteien in der Wahl und Entfernung ihrer Diener
ganz frei und unbehindert sind.

Daß Niemand zu einer kirchlichen Handlung gezwungen wer-
den könne, hat unsere volle Billigung und hätten gewisse Re-
gierungen diesen Grundsatz, der zum A. B. C. der religiösen
Freiheit gehört, früher beherzigt, so hätten sie nicht Bischöfe und
Geistliche mit Absetzung und Gefängniß bestraft, weil sie gewisse
kirchliche Handlungen, als ihrem Gewissen widerstreitend, vorzu-
nehmen sich weigerten. Hingegen will uns bedünken, daß wir
auch das Umgekehrte fordern dürfen, daß nämlich auch Niemand
vom Staate verhindert werden dürfe, irgend eine religiöse Hand-
[Ende Spaltensatz]

1) Siehe Beilage 3. zum Mainzer Journal.
1 ) Siehe Beilage 3. zum Mainzer Journal.
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Der erste Artikel der Grundrechte des deutschen Volkes nach dem Entwurf der Verfassungs- commission 1). H Vom Rheine 20. Juni. „Dem deutschen Volke ist ge- währleistet Freiheit des Bekenntnisses, vorbehaltlich der Bestra- fung von Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sowie vorbehaltlich aller staatsbürger- lichen Pflichten. Einer Anerkennung des Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht. Für die Bekenner aller Religionen Gleichheit vor dem Gesetz. Es ist ausdrücklich die Bildung neuer Religionsgesellschaften gestattet. ( Das Verhältniß von Kirche und Staat betreffend. ) Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden. Die Civilehe ist ausdrück- lich aufzunehmen.“ Also lautet dieser Artikel. Mit Freuden haben alle wahren und einsichtsvollen Freunde des Vaterlandes und der Religion die Freiheit begrüßt, weil nur auf dem Boden der Freiheit wahre Religiosität blühen kann. Sie haben gehofft, daß jetzt endlich die unwürdige Bevormun- dung der Religion durch die Staatspolizei aufhören, sie haben mit Zuversicht erwartet, daß die deutsche Nationalversammlung den großen und herrlichen Grundsatz der religiösen Freiheit und der Unabhängigkeit der Kirche vom Staate, wie er in Belgien und Nordamerika besteht, für alle Confessionen klar, bestimmt und redlich aussprechen werde. Sie haben Letzteres um so zuver- sichtlicher erwartet, als nur durch die volle und ehrliche Durch- führung des Grundsatzes der religiösen Freiheit und der Unab- hängigkeit der Kirche vom Staat eine aufrichtige und innige po- litische Einheit Deutschlands möglich ist. Jn allen diesen Er- wartungen aber hat sie der angeführte Artikel des Commissions- entwurfes bitter getäuscht. Statt jener klaren und großen Sätze der religiösen Freiheit, finden wir nichts als geschraubte, bedeutungslose Bestimmungen und hinterhaltsvolle Clauseln. 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Wir müssen auch fordern, daß jede religiöse Gesellschaft, jede Confession, jede Kirche als solche als Corporation in ihrer Verfassung, Verwaltung, in ihrer Lehre, in ihrem Gottesdienst, in der Wahl und Anstellung ihrer Diener, in dem Besitz, dem Erwerb und der Verwaltung ihres Vermögens frei und unabhängig sey und keinen anderen Beschränkungen unterliege, als denen, welche das allgemeine Gesetz allen Staatsbürgern in privatrechtlicher und staatsrechtlicher Beziehung auflegt, anstatt daß bisher der Staat sich in alle kirchlichen Angelegenheiten einmischte, die Ab- haltung von Synoden, die Erlassung kirchlicher Verfügungen oder Schreiben, ja sogar die Gültigkeit aller kirchlichen Gesetze von seiner Genehmigung abhängig machte, die Wahl und Anstel- lung der Geistlichen vielfach sich selbst zueignete, die Vermögens- verwaltung der Kirche seinen Behörden unterordnete, ja sogar die Feier des Gottesdienstes betreffende Bestimmungen erließ. Allein die Frankfurter Verfassungscommission scheint gar nichts dagegen zu haben, daß dieser unfreie Zustand der Kirche auch unter der Herrschaft der neuen Freiheit fortdauere. Oder meint man viel- leicht, daß in dem vagen Ausdruck „Freiheit des Bekenntnisses,“ auch schon die religiöse und kirchliche Freiheit enthalten sey? so bedenke man, daß dasselbe Wort bisher in allen modernen Ge- setzen, wenigstens für die Bekenner der drei Hauptbekenntnisse ge- standen, aber die schreiendsten Eingriffe in die religiöse Freiheit nicht gehindert hat. Allein selbst diesem Ausdruck, „Freiheit des Bekenntnisses,“ hat die Commission noch Clauseln und Bestimmungen angehängt, die, wenn sich nicht eine geheime, die volle Freiheit des Bekennt- nisses beeinträchtigende Nebenabsicht dahinter verbirgt, mindestens ungeeignet und überflüssig sind. Daß der Anhänger irgend einer Confession, wenn er bei Gelegenheit von Religionsübungen ein Verbrechen begeht, vor die ordentlichen Gerichte zu stellen und zu strafen ist, und daß keine Religion ihre Bekenner von den allge- mein=staatsbürgerlichen Pflichten befreie, ist etwas sich so von selbst Verstehendes, daß gar nicht einzusehen, weßhalb es gerade hier, wo von der Religion die Rede ist, ausgesprochen wird. §. 3. steht: „Jeder darf Unterricht ertheilen,“ warum wird da nicht beigefügt, „vorbehaltlich der Bestrafung der Verbrechen, die er dabei begeht?“ §. 2. steht: „Freie Wahl des Berufes für Jeden;“ warum nicht der Zusatz: „vorbehaltlich seiner staats- bürgerlichen Pflichten.“ §. 4. steht: „Freiheit der Meinungs- äußerung in Rede und Schrift,“ warum nicht wiederum der gleiche Vorbehalt? Ohne Zweifel, weil solche sich von selbst ver- stehenden Vorbehalte nicht blos überflüssig, sondern als einen unwürdigen Verdacht aussprechend, selbst beleidigend sind für Die, welche es angeht. „Die Gleichheit der Bekenner aller Religionen vor dem Ge- setz ist anerkannt.“ Wir verlangen aber die vollkommenste Pari- tät nicht blos für die Einzelnen, sondern auch für die kirchliche Gesammtheit. Nicht mehr soll der Staat, wie es bisher vielfach so sehr der Fall gewesen, eine Religionsge- meinschaft vor der andern begünstigen; er soll vielmehr jede Kirche frei gewähren lassen und sich darauf beschränken, ihr rechtlichen Schutz gegen alle Gewalt, Beleidigung oder Berau- bung angedeihen zu lassen. Aber nicht blos sollen die verschiedenen Kirchen vor dem Staate gleich — denn es gibt auch eine Gleichheit in der Dienstbarkeit, — sondern sie sollen auch frei seyn. Frei- heit ist im Entwurfe ausdrücklich nur ausgesprochen, und sogar zweimal, für die Bildung neuer Religionsgesellschaften. Wir sind damit vollkommen einverstanden; dagegen fordern wir, daß auch die alte christliche Kirche derselben Freiheit genieße, wie die neu entstehenden Religionsparteien, und daß nicht mehr, wie es bis- her der Fall war, z. B. der Staat nach seinem Gutdünken Pfarrer einsetze, dem Ministerium mißliebige Geistliche absetze, während neue Religionsparteien in der Wahl und Entfernung ihrer Diener ganz frei und unbehindert sind. Daß Niemand zu einer kirchlichen Handlung gezwungen wer- den könne, hat unsere volle Billigung und hätten gewisse Re- gierungen diesen Grundsatz, der zum A. B. C. der religiösen Freiheit gehört, früher beherzigt, so hätten sie nicht Bischöfe und Geistliche mit Absetzung und Gefängniß bestraft, weil sie gewisse kirchliche Handlungen, als ihrem Gewissen widerstreitend, vorzu- nehmen sich weigerten. Hingegen will uns bedünken, daß wir auch das Umgekehrte fordern dürfen, daß nämlich auch Niemand vom Staate verhindert werden dürfe, irgend eine religiöse Hand- 1) Siehe Beilage 3. zum Mainzer Journal. 1 ) Siehe Beilage 3. zum Mainzer Journal.

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Zitationshilfe: Mainzer Journal. Nr. 8. Mainz, 22. Juni 1848, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_mainzerjournal008_1848/1>, abgerufen am 21.11.2024.