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Märkische Blätter. Nr. 39. Hattingen, 15. Mai 1850.

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Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 39.Hattingen, Mittwoch, den 15. Mai 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Die Adamiten.

Unter diesem Namen besteht im südöstlichen Theile
von Böhmen eine merkwürdige Sekte, die sehr alt zu sein
scheint. Man schreibt ihren Ursprung von Sektirern aus
der Pikardie her, die zur Zeit der Husitenunruhen einwan-
derten, in geheimen Konventikeln ihren Gottesdienst hiel-
ten und sich allen Verfolgungen zum Trotz erhielten. Zu-
letzt ließ man sie in Ruhe, da sie die ruhigsten Untertha-
nen der Gutsherrschaften waren, diesen, wie dem Staat
gegenüber ihre Pflichten auf das gewissenhafteste erfüllten
und nie Anlaß zu einem Streite gaben. Man bemerkte,
daß der Gesellschaft Männer jeder Altersklasse angehörten,
daß sie meistens Bauern oder Handwerker waren und in
der Wahl ihrer Frauen, die jung, schön, kräftig und von
sanfter Gemüthsart sein mußten, die größte Sorgfalt ver-
riethen. Beide Geschlechter waren sehr thätig, besorgten
Handwerk, Feld und häusliche Arbeiten mit unendlichem
Fleiße, kleideten sich auffallend reinlich und waren äußerst
schweigsam und verschlossen. Alle waren Tschechen oder
hatten, wenn ihr französischer Ursprung richtig sein sollte,
tschechische Sitten und Sprache angenommen. Am zahl-
reichsten waren sie im Chrudimer Kreise, auf den Herr-
schaften Rychenburg, Chraußowitz, Leutomischl und Lands-
kron. Nachdem die Verfassung Religionsfreiheit aller Kulte
proklamirt hatte, traten sie einigermaßen aus dem Dunkel
hervor. Dadurch und durch die gerichtlichen Verfolgungen,
die später über sie verhängt wurden, ist über sie Näheres
bekannt worden. Jhre religiösen Grundsätze sind ein son-
derbares Gemisch von Nihilismus, Quietismus, Kommu-
nismus, Adamiterei und dem krassesten Unglauben. Sie
glauben an keinen Gott, ja, es ist selbst verboten, den
Namen zu nennen. Dagegen kennen sie eine Macht ( Moc ) ,
die das Weltall geschaffen hat, um nach gewissen Gesetzen
zu bestehen. Die Welt besteht, wie sie nach den Gesetzen
bestehen muß, aber selbstständig, ohne von der Macht regiert
zu werden. Jeder Mensch trägt in sich die Gottheit, alle
Adamiten haben einen eigenen Geist, die sie regiert, und
die von diesem Geiste regierten sind sündenfrei. Die Un-
sterblichkeit der Seele nennen sie Rauch, doch scheint Un-
sterblichkeit des Körpers zu ihren Dogmen zu gehören.
Wenigstens glauben sie an einen Messias, den wir unter
dem Namen Marokan angeführt finden, einen marokani-
schen Prinzen, der nächstens unvermuthet mit einem ge-
waltigen Heere anrücken und alle Menschen vertilgen
wird, ausgenommen die Adamiten, die aus den Fenstern
[Spaltenumbruch] der herrenlosen Schlösser wohlgefällig zuschauen werden.
Jn ihrer Prophezeiung heißt es: "Es werden große blutige
Religionskriege ausbrechen, die grausam verheerend wie
eine Pest über den Erdball hinziehen, und wenn die Gott-
losen die höchste Macht erlangt haben, dann erscheint der
Erlöser Marokan und hält ein Gericht, daß alle Flüsse
blutig sich färben. Von nun an werden die Menschen ein
paradiesisches Leben führen, Hader, Falschheit, Lüge und
Bosheit werden verschwinden, die Menschen werden in
den Naturzustand zurückkehren, und sich liebend umschlin-
gen." Der Unterschied zwischen Eltern und Kindern ist
nach ihrer Lehre thöricht, die Eltern heißen einfach: die
Vorfahren. Die Weiber, auch die Mütter, gelten für Jung-
frauen. Die Heiligenbilder verbrennen sie, und dulden in
ihren Wohnungen nichts von einem christlichen Zeichen,
die Kinder werden nicht getauft, Namen haben sie unter
einander nicht, sondern nennen sich gegenseitig Adam und
Eva. Sie leisten nie einen Eid, beobachten das tiefste
Stillschweigen über ihre Lehre, und trotzen häufig selbst
Martern, ehe sie ihre Geheimnisse verrathen. Ein Mäd-
chen von 24 Jahren, das im Sommer 1849 als Ada-
mitin nach dem Städtchen Chrast eingebracht wurde,
ertrug geduldig, daß ihr der Untersuchungsrichter zweimal
vierundzwanzig Stunden lang Speise und Trank entzog,
und eröffnete sich dann nur dem freundlichen Zureden
des Gefängnißarztes. Wenn sie ihr Haus verlassen, ver-
schließen sie dasselbe nie, alle Theile nach Jnnen bleiben
ebenfalls geöffnet. Jhr Eigenthum ist das jedes Andern,
sie üben diesen Kommunismus als sich etwas ganz von
selbst verstehendes. Die Adamitin in Chrast antwortete
auf die Frage des Arztes, ob eine ihrer Schwe-
stern ihr ein Lieblingskleidungsstück, das sie eben gekauft
hatte, nehmen dürfe: "Nun, was liegt daran, so wird sie
so lange in dessen Besitz bleiben, bis eine dritte Schwester
Neigung hat, dasselbe zu tragen." Jhre Ruhe kann nichts
stören; sie bleiben, wo man sie hinstellt, stundenlang re-
gungslos stehen. Sie sehen ungemein auf Rechtlichkeit,
ein als Spieler oder sonst Verrufener, oder Jemand, der
sich einer hervorragenden Leidenschaft hingibt, wird in die
Gesellschaft nicht aufgenommen. Unter gar keinen Verhält-
nissen ist denjenigen der Zutritt gestattet, die dem Trunk
ergeben sind. Jhre Zusammenkünfte finden um Mitternacht
statt, in einem bestimmten Hause, abwechselnd in verschie-
denen Nächten. Jedem wird nach einem leisen Klopfen
auf die Frage? Wer sucht? bei der Antwort Adam oder
Eva die Pforte geöffnet. Jn der Vorhalle entkleiden sie
[Ende Spaltensatz]

Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 39.Hattingen, Mittwoch, den 15. Mai 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Die Adamiten.

Unter diesem Namen besteht im südöstlichen Theile
von Böhmen eine merkwürdige Sekte, die sehr alt zu sein
scheint. Man schreibt ihren Ursprung von Sektirern aus
der Pikardie her, die zur Zeit der Husitenunruhen einwan-
derten, in geheimen Konventikeln ihren Gottesdienst hiel-
ten und sich allen Verfolgungen zum Trotz erhielten. Zu-
letzt ließ man sie in Ruhe, da sie die ruhigsten Untertha-
nen der Gutsherrschaften waren, diesen, wie dem Staat
gegenüber ihre Pflichten auf das gewissenhafteste erfüllten
und nie Anlaß zu einem Streite gaben. Man bemerkte,
daß der Gesellschaft Männer jeder Altersklasse angehörten,
daß sie meistens Bauern oder Handwerker waren und in
der Wahl ihrer Frauen, die jung, schön, kräftig und von
sanfter Gemüthsart sein mußten, die größte Sorgfalt ver-
riethen. Beide Geschlechter waren sehr thätig, besorgten
Handwerk, Feld und häusliche Arbeiten mit unendlichem
Fleiße, kleideten sich auffallend reinlich und waren äußerst
schweigsam und verschlossen. Alle waren Tschechen oder
hatten, wenn ihr französischer Ursprung richtig sein sollte,
tschechische Sitten und Sprache angenommen. Am zahl-
reichsten waren sie im Chrudimer Kreise, auf den Herr-
schaften Rychenburg, Chraußowitz, Leutomischl und Lands-
kron. Nachdem die Verfassung Religionsfreiheit aller Kulte
proklamirt hatte, traten sie einigermaßen aus dem Dunkel
hervor. Dadurch und durch die gerichtlichen Verfolgungen,
die später über sie verhängt wurden, ist über sie Näheres
bekannt worden. Jhre religiösen Grundsätze sind ein son-
derbares Gemisch von Nihilismus, Quietismus, Kommu-
nismus, Adamiterei und dem krassesten Unglauben. Sie
glauben an keinen Gott, ja, es ist selbst verboten, den
Namen zu nennen. Dagegen kennen sie eine Macht ( Moc ) ,
die das Weltall geschaffen hat, um nach gewissen Gesetzen
zu bestehen. Die Welt besteht, wie sie nach den Gesetzen
bestehen muß, aber selbstständig, ohne von der Macht regiert
zu werden. Jeder Mensch trägt in sich die Gottheit, alle
Adamiten haben einen eigenen Geist, die sie regiert, und
die von diesem Geiste regierten sind sündenfrei. Die Un-
sterblichkeit der Seele nennen sie Rauch, doch scheint Un-
sterblichkeit des Körpers zu ihren Dogmen zu gehören.
Wenigstens glauben sie an einen Messias, den wir unter
dem Namen Marokan angeführt finden, einen marokani-
schen Prinzen, der nächstens unvermuthet mit einem ge-
waltigen Heere anrücken und alle Menschen vertilgen
wird, ausgenommen die Adamiten, die aus den Fenstern
[Spaltenumbruch] der herrenlosen Schlösser wohlgefällig zuschauen werden.
Jn ihrer Prophezeiung heißt es: „Es werden große blutige
Religionskriege ausbrechen, die grausam verheerend wie
eine Pest über den Erdball hinziehen, und wenn die Gott-
losen die höchste Macht erlangt haben, dann erscheint der
Erlöser Marokan und hält ein Gericht, daß alle Flüsse
blutig sich färben. Von nun an werden die Menschen ein
paradiesisches Leben führen, Hader, Falschheit, Lüge und
Bosheit werden verschwinden, die Menschen werden in
den Naturzustand zurückkehren, und sich liebend umschlin-
gen.“ Der Unterschied zwischen Eltern und Kindern ist
nach ihrer Lehre thöricht, die Eltern heißen einfach: die
Vorfahren. Die Weiber, auch die Mütter, gelten für Jung-
frauen. Die Heiligenbilder verbrennen sie, und dulden in
ihren Wohnungen nichts von einem christlichen Zeichen,
die Kinder werden nicht getauft, Namen haben sie unter
einander nicht, sondern nennen sich gegenseitig Adam und
Eva. Sie leisten nie einen Eid, beobachten das tiefste
Stillschweigen über ihre Lehre, und trotzen häufig selbst
Martern, ehe sie ihre Geheimnisse verrathen. Ein Mäd-
chen von 24 Jahren, das im Sommer 1849 als Ada-
mitin nach dem Städtchen Chrast eingebracht wurde,
ertrug geduldig, daß ihr der Untersuchungsrichter zweimal
vierundzwanzig Stunden lang Speise und Trank entzog,
und eröffnete sich dann nur dem freundlichen Zureden
des Gefängnißarztes. Wenn sie ihr Haus verlassen, ver-
schließen sie dasselbe nie, alle Theile nach Jnnen bleiben
ebenfalls geöffnet. Jhr Eigenthum ist das jedes Andern,
sie üben diesen Kommunismus als sich etwas ganz von
selbst verstehendes. Die Adamitin in Chrast antwortete
auf die Frage des Arztes, ob eine ihrer Schwe-
stern ihr ein Lieblingskleidungsstück, das sie eben gekauft
hatte, nehmen dürfe: „Nun, was liegt daran, so wird sie
so lange in dessen Besitz bleiben, bis eine dritte Schwester
Neigung hat, dasselbe zu tragen.“ Jhre Ruhe kann nichts
stören; sie bleiben, wo man sie hinstellt, stundenlang re-
gungslos stehen. Sie sehen ungemein auf Rechtlichkeit,
ein als Spieler oder sonst Verrufener, oder Jemand, der
sich einer hervorragenden Leidenschaft hingibt, wird in die
Gesellschaft nicht aufgenommen. Unter gar keinen Verhält-
nissen ist denjenigen der Zutritt gestattet, die dem Trunk
ergeben sind. Jhre Zusammenkünfte finden um Mitternacht
statt, in einem bestimmten Hause, abwechselnd in verschie-
denen Nächten. Jedem wird nach einem leisen Klopfen
auf die Frage? Wer sucht? bei der Antwort Adam oder
Eva die Pforte geöffnet. Jn der Vorhalle entkleiden sie
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Sie leisten nie einen Eid, beobachten das tiefste Stillschweigen über ihre Lehre, und trotzen häufig selbst Martern, ehe sie ihre Geheimnisse verrathen. Ein Mäd- chen von 24 Jahren, das im Sommer 1849 als Ada- mitin nach dem Städtchen Chrast eingebracht wurde, ertrug geduldig, daß ihr der Untersuchungsrichter zweimal vierundzwanzig Stunden lang Speise und Trank entzog, und eröffnete sich dann nur dem freundlichen Zureden des Gefängnißarztes. Wenn sie ihr Haus verlassen, ver- schließen sie dasselbe nie, alle Theile nach Jnnen bleiben ebenfalls geöffnet. Jhr Eigenthum ist das jedes Andern, sie üben diesen Kommunismus als sich etwas ganz von selbst verstehendes. Die Adamitin in Chrast antwortete auf die Frage des Arztes, ob eine ihrer Schwe- stern ihr ein Lieblingskleidungsstück, das sie eben gekauft hatte, nehmen dürfe: „Nun, was liegt daran, so wird sie so lange in dessen Besitz bleiben, bis eine dritte Schwester Neigung hat, dasselbe zu tragen.“ Jhre Ruhe kann nichts stören; sie bleiben, wo man sie hinstellt, stundenlang re- gungslos stehen. Sie sehen ungemein auf Rechtlichkeit, ein als Spieler oder sonst Verrufener, oder Jemand, der sich einer hervorragenden Leidenschaft hingibt, wird in die Gesellschaft nicht aufgenommen. Unter gar keinen Verhält- nissen ist denjenigen der Zutritt gestattet, die dem Trunk ergeben sind. Jhre Zusammenkünfte finden um Mitternacht statt, in einem bestimmten Hause, abwechselnd in verschie- denen Nächten. Jedem wird nach einem leisen Klopfen auf die Frage? Wer sucht? bei der Antwort Adam oder Eva die Pforte geöffnet. Jn der Vorhalle entkleiden sie

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 39. Hattingen, 15. Mai 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische039_1850/1>, abgerufen am 21.11.2024.