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Märkische Blätter. Nr. 32. Hattingen, 20. April 1850.

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Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 32.Hattingen, Sonnabend, den 20. April 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Ueber den Sozialismus

hat so eben der französische Volksvertreter Bonjeau ein
Werk veröffentlicht, aus welchem das Mag. f. Lit. d. Ausl.
einige Auszüge gibt. Bonjeau schreibt: "Wir wollen übri-
gens die Heilmittel untersuchen, die ihr in Vorschlag
bringt.

1. Erste Form des Sozialismus: die
Dismembristen.

Es genügt nicht, sagen sie, daß alle Franzosen "vor
dem Gesetze" gleich sind; sie müssen es auch "vor dem
Geschick" sein. Diese Lehre predigten schon die Wieder-
täufer, welche im 16. Jahrhundert Deutschland mit Mord
und Brand erfüllten; schon sie träumten von einer glei-
chen Theilung aller irdischen Güter.

Dies ist die roheste und am wenigsten gefährliche Form
des Kommunismus, welche nur bei beschränkten Köpfen
Anklang finden kann. Diese Lehre ist so absurd, daß sie
noch durch keinen Schriftsteller vertreten wird; die Thei-
lungsprojekte scheitern nämlich an einer zwiefachen Un-
möglichkeit.

Zunächst läßt sich die Theilung selbst nicht vornehmen.
... Wie sollte man unter 35 Millionen Franzosen die
Ländereien, Häuser, Maschinen u. s. w. vertheilen?

Nach den wahrscheinlichsten Berechnungen beläuft sich
das gesammte Nationalvermögen auf 70,000 Millionen
Fr.; dies würde für jeden Einzelnen 2000 Fr. ausma-
chen; wie sollte man 35 Millionen Loose ordnen? wie
die Theilung zur Zufriedenheit Aller vornehmen, da sich
ja nur selten zwei oder drei Erben ohne Einmischung des
Richters vereinigen können?

Nehmen wir aber an, daß die Theilung gut von
Statten gegangen sei, wie lange hätte sie Bestand? --
Einen Tag? Nein; denn der Trunkenbold, der Spieler,
der Faule würde schon früher sein Vermögen angegriffen
und damit den Sparsamen, Thätigen und Verständigen
bereichert haben.

Was dann? Soll man etwa die Theilung von Zeit
zu Zeit wiederholen?... Das hieße jedenfalls eine
ganze Nation träge und verschwenderisch machen: wozu
sollte ich arbeiten und sparen, wenn ich nicht für meinen
Unterhalt sorgen muß? Das wäre ja Dummheit.

Jch wiederhole, daß ich diese Lehre nur der Vollstän-
digkeit wegen aufführe, denn, außer einigen Klubs, wird
ihr wohl Niemand Bedeutung einräumen.

[Spaltenumbruch]
2. Der eigentliche Kommunismus: Der
Staat ist alleiniger Eigenthümer.

Der wahre Kommunismus von Morelly, Babeuf und
Cabet verlangt nicht eine unmögliche Theilung; auf einem
anderen Wege hofft er zu einer Gleichheit des Besitzes
zu gelangen: man muß sich mit diesem bekannt machen,
weil er den Typus für alle übrigen socialistischen Sy-
steme bildet.

Da sich eine Gleichheit des Besitzes wegen der Ver-
schiedenheit der Fähigkeiten, der Körperbeschaffenheiten u.
s. w. nicht herstellen läßt, so muß man das Pri-
vateigenthum ganz abschaffen und Alles dem Staate geben.

Da der Staat nun alle beweglichen und unbewegli-
chen Güter besitzt, so wird er auch der einzige Fabrikherr,
der einzige Kaufmann sein. Jeder von uns wird die ihm
aufgetragene Arbeit ausführen und dafür an jedem Tage
die nöthigen Subsistenzmittel erhalten. Keine Familiensorge
soll fortan sein, sondern der Staat wird unsere Kinder
auf allgemeine Kosten erziehen.

Wie viele Wohlthaten sind in dieser einfachen Jdee
enthalten!... Keine Sorgen, kein Streit, keine Steuern,
kein Neid, keine Prozesse, keine Advokaten... denn wo-
rüber sollten wir streiten, da ja Niemand etwas hat?

Ein solches irdisches Paradies verspricht uns der
Kommunismus: untersuchen wir dies indeß sorgfältig.

Die Kommunisten können sich dabei auf das Beispiel
gewisser indischen Kasten und das Sparta's berufen; aber
hier, wie dort beruhte dies auf der Eintheilung des Vol-
kes in Freie und Sklaven; wir aber wollen keine Skla-
ven mehr.

Sie können noch im Allgemeinen das Leben in den
Klöstern und den Heeren anführen: aber Mönche und
Soldaten können nicht als Richtschnur dienen. Den Mönch
treibt ein religiöser Eifer zur Entsagung; der Soldat
unterzieht sich ihr für einige Zeit; aber meistentheils kehrt
er nach dem Ablauf seiner Dienstzeit, zum größten Er-
staunen der Herren Kommunisten, in den Schooß der
Familie zurück und entsagt mit Freuden dem Kasernenle-
ben. Erwägen wir noch dies, daß Klöster und Heere nicht
bestehen könnten, wenn nicht die Anderen für sie arbeite-
ten. -- Diese beiden Beispiele beweisen also nichts.

Gehen wir zu anderen Beispielen über:

Die Jesuiten hatten in Paraguay eine Judianer=Ko-
lonie nach den Grundsätzen des Kommunismus gegrün-
det. Es gab dort kein Privat=Eigenthum; Arbeit, Gebet,
Vergnügen waren gemeinsam; die Arbeit des Einzelnen
war der Vortheil Aller und Jeder bekam seinen Unter-
[Ende Spaltensatz]

Märkische Blätter.
Wochenblatt


für belehrende und angenehme Unterhaltung.



ro 32.Hattingen, Sonnabend, den 20. April 1850.


[Beginn Spaltensatz]
Ueber den Sozialismus

hat so eben der französische Volksvertreter Bonjeau ein
Werk veröffentlicht, aus welchem das Mag. f. Lit. d. Ausl.
einige Auszüge gibt. Bonjeau schreibt: „Wir wollen übri-
gens die Heilmittel untersuchen, die ihr in Vorschlag
bringt.

1. Erste Form des Sozialismus: die
Dismembristen.

Es genügt nicht, sagen sie, daß alle Franzosen „vor
dem Gesetze“ gleich sind; sie müssen es auch „vor dem
Geschick“ sein. Diese Lehre predigten schon die Wieder-
täufer, welche im 16. Jahrhundert Deutschland mit Mord
und Brand erfüllten; schon sie träumten von einer glei-
chen Theilung aller irdischen Güter.

Dies ist die roheste und am wenigsten gefährliche Form
des Kommunismus, welche nur bei beschränkten Köpfen
Anklang finden kann. Diese Lehre ist so absurd, daß sie
noch durch keinen Schriftsteller vertreten wird; die Thei-
lungsprojekte scheitern nämlich an einer zwiefachen Un-
möglichkeit.

Zunächst läßt sich die Theilung selbst nicht vornehmen.
... Wie sollte man unter 35 Millionen Franzosen die
Ländereien, Häuser, Maschinen u. s. w. vertheilen?

Nach den wahrscheinlichsten Berechnungen beläuft sich
das gesammte Nationalvermögen auf 70,000 Millionen
Fr.; dies würde für jeden Einzelnen 2000 Fr. ausma-
chen; wie sollte man 35 Millionen Loose ordnen? wie
die Theilung zur Zufriedenheit Aller vornehmen, da sich
ja nur selten zwei oder drei Erben ohne Einmischung des
Richters vereinigen können?

Nehmen wir aber an, daß die Theilung gut von
Statten gegangen sei, wie lange hätte sie Bestand? —
Einen Tag? Nein; denn der Trunkenbold, der Spieler,
der Faule würde schon früher sein Vermögen angegriffen
und damit den Sparsamen, Thätigen und Verständigen
bereichert haben.

Was dann? Soll man etwa die Theilung von Zeit
zu Zeit wiederholen?... Das hieße jedenfalls eine
ganze Nation träge und verschwenderisch machen: wozu
sollte ich arbeiten und sparen, wenn ich nicht für meinen
Unterhalt sorgen muß? Das wäre ja Dummheit.

Jch wiederhole, daß ich diese Lehre nur der Vollstän-
digkeit wegen aufführe, denn, außer einigen Klubs, wird
ihr wohl Niemand Bedeutung einräumen.

[Spaltenumbruch]
2. Der eigentliche Kommunismus: Der
Staat ist alleiniger Eigenthümer.

Der wahre Kommunismus von Morelly, Babeuf und
Cabet verlangt nicht eine unmögliche Theilung; auf einem
anderen Wege hofft er zu einer Gleichheit des Besitzes
zu gelangen: man muß sich mit diesem bekannt machen,
weil er den Typus für alle übrigen socialistischen Sy-
steme bildet.

Da sich eine Gleichheit des Besitzes wegen der Ver-
schiedenheit der Fähigkeiten, der Körperbeschaffenheiten u.
s. w. nicht herstellen läßt, so muß man das Pri-
vateigenthum ganz abschaffen und Alles dem Staate geben.

Da der Staat nun alle beweglichen und unbewegli-
chen Güter besitzt, so wird er auch der einzige Fabrikherr,
der einzige Kaufmann sein. Jeder von uns wird die ihm
aufgetragene Arbeit ausführen und dafür an jedem Tage
die nöthigen Subsistenzmittel erhalten. Keine Familiensorge
soll fortan sein, sondern der Staat wird unsere Kinder
auf allgemeine Kosten erziehen.

Wie viele Wohlthaten sind in dieser einfachen Jdee
enthalten!... Keine Sorgen, kein Streit, keine Steuern,
kein Neid, keine Prozesse, keine Advokaten... denn wo-
rüber sollten wir streiten, da ja Niemand etwas hat?

Ein solches irdisches Paradies verspricht uns der
Kommunismus: untersuchen wir dies indeß sorgfältig.

Die Kommunisten können sich dabei auf das Beispiel
gewisser indischen Kasten und das Sparta's berufen; aber
hier, wie dort beruhte dies auf der Eintheilung des Vol-
kes in Freie und Sklaven; wir aber wollen keine Skla-
ven mehr.

Sie können noch im Allgemeinen das Leben in den
Klöstern und den Heeren anführen: aber Mönche und
Soldaten können nicht als Richtschnur dienen. Den Mönch
treibt ein religiöser Eifer zur Entsagung; der Soldat
unterzieht sich ihr für einige Zeit; aber meistentheils kehrt
er nach dem Ablauf seiner Dienstzeit, zum größten Er-
staunen der Herren Kommunisten, in den Schooß der
Familie zurück und entsagt mit Freuden dem Kasernenle-
ben. Erwägen wir noch dies, daß Klöster und Heere nicht
bestehen könnten, wenn nicht die Anderen für sie arbeite-
ten. — Diese beiden Beispiele beweisen also nichts.

Gehen wir zu anderen Beispielen über:

Die Jesuiten hatten in Paraguay eine Judianer=Ko-
lonie nach den Grundsätzen des Kommunismus gegrün-
det. Es gab dort kein Privat=Eigenthum; Arbeit, Gebet,
Vergnügen waren gemeinsam; die Arbeit des Einzelnen
war der Vortheil Aller und Jeder bekam seinen Unter-
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Märkische Blätter. Nr. 32. Hattingen, 20. April 1850, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maerkische032_1850/1>, abgerufen am 21.11.2024.