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Mährisches Tagblatt. Nr. 40, Olmütz, 18.02.1889.

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[Spaltenumbruch]

Gestern Abends
halb 7 Uhr herrschte in der Stadt bereits die
vollständigste Ruhe. Niagends fand eine An-
sammlung statt.




Zum 15. Februar.
(Zehn Jahre Taaffe.)

Unter diesem Titel schreibt man dem "Pester
Lloyd" am 14. d. M. aus Wien: Heute -- den
15. Februar 1889 -- sind es wohlgezählt zehn
Jahre, daß Graf Taaffe wieder, und zwar zum
dritten Male Minister ist. Er saß zuerst, nach
dem Unglücksjahre 1866, in dem Uebergangs-
Ministerium Beust, dem letzten gesammt-österrei-
chischen Ministerium als Minister des Innern
und ging von da aus als Präsidenten-Stellver-
treter und "Minister für Landesvertheidigung und
öffentliche Sicherheit" in das "Bürgerministerium"
über, dessen Präsident er nach des Fürsten Carlos
Auersperg Rücktritt wurde. Als das Bürgermi-
nisterium sich spaltete, schied er mit der Minorität
aus (Taaffe, Potocki, Berger), aber nur, um
nach einigen Monaten wieder im Ministerium
Potocki als Minister des Innern zu erscheinen.
Mit diesem fiel er und ging dann nach Innsbruck
als Statthalter, von wo aus er eben an dem
genannten 15. Februar 1879 wieder seinen Ein-
zug in das Gebäude der alten "böhmischen Hof-
kanzlei" am Judenplatz hielt. Das Ministerium
Taaffe datirt erst vom 12. August jenes Jahres,
bis dahin bestand ein Provisorium. In diesem
provisorischen Ministerium Stremayr spielte übri-
gens Graf Taaffe bereits die erste Violine.

In den Sessionen von 1877/78 und 1878/79
lag das Ministerium "Lasser", genannt "Auers-
perg" mit seiner eigenen Partei in heftigem
Streit. Durch die Erkrankung Lasser's war dem
Ministerium die hervorragendste politische Kraft
genommen; Fürst Adolf Auersperg hatte den besten
Willen, entsprach aber politisch und parlamen[-]
tarisch nicht den allerbescheidensten Anforderungen.
Der Riß wurde immer tiefer, die Opposition
bekämpfte den ungarischen Ausgleich.

Minister Dr. Unger erklärte im Namen der
Regierung im Abgeordnetenhause, daß sie nach
den Mißtrauensvoten, die sie in den drei Clubs
der Linken erhalten hatte, sich nicht länger als
parlamentarische Regierung betrachten und aus
dieser Erkenntniß die Cons[e]quenzen ziehen werde.
Von da an war der Bruch kaum mehr heilbar,
die bosnische Frage machte ihn natürlich ganz
unheilbar, der Ausgleich mit Ungarn wurde mit
Assistenz eines Theiles der Rechten tant bien
que mal
votirt, bei der bosnischen Frage spaltete
sich die Linke. Das G[r]os, die "historische Linke"
unter Herbst, widersetzte sich dem Geschehenen, in
ihrem Namen erklärte Dr. Sturm als Bericht-
erstatter des Adreß-Ausschusses, daß man einem
[Spaltenumbruch] Menschen, der im Privatleben so gehandelt hätte,
wie Graf Andrassy in der bosnischen Angelegen-
heit die bürgerliche Ehrenhaftigkeit absprechen würde!
Ein Theil der Linken indessen unter Herrn von
Plener, der mehr und mehr hervorzutreten be-
gann, stellte sich auf die Seite der Regierung und
Andrassy's, in der "bosnischen Linken" begann
man die "regierungsfähige Opposition" zu sehen.
Die Dinge aber sollten ganz anders kommen.
Mit Hilfe der "bosnischen Linken" und der Rech-
ten, in der Herr von Dunajewski eine erste Rolle
zu spielen begonnen hatte, setzte das Ministerium
seinen Willen durch, aber es war nunmehr
"fertig", es hatte, indem es sich von der Linken
getrennt hatte, den Ast, auf dem es gesessen, ab-
gesägt. --

Der Kaiser consultirte eine Reihe von her-
vorragenden parlamentarischen Führern und be-
traute dann den Finanzminister Freiherrn von
Pretis mit der Cabinetsbildung. Es wurde damals
erzählt, Dr. Herbst speciell habe den Baron
Pretis direct empfohlen, oder doch als den Ge-
eignetsten bezeichnet, doch soll Dr. Herbst diese
Behauptung Vertrauten gegenüber als unrichtig
bezeichnet haben und sein Auftreten im Schoße
der Verfassungspartei scheint dafür zu sprechen,
daß die Erzählung von einer stattgehabten Em-
pfehlung eine irrige ist. Baron Pretis unternahm
die einleitenden Schritte zur Bildung eines Mi-
nisteriums, er schien auf Baron Scharschmidt,
Baron Eichhoff (Mähren) eventuell auch auf
Professor Sueß reflectiren zu wollen. Zwischen
Herrn von Plener und ihm bestanden, wenn auch
nicht mehr schlechte, so doch ziemlich gespannte
Beziehungen, einige Mitglieder des alten Mini
steriums würde Herr von Pretis unbedingt zu
bleiben gebeten haben; die ganze Combination
aber fiel ins Wasser. Baron Pretis hatte für
sich die Minister-Präsidentschaft und das Mini-
sterium des Innern reservirt und dieser letztere
Umstand -- daß er in einem kritischen Moment
die Finanzen abgeben wollte -- wirkte einiger-
maßen verstimmend, trotzdem schien im Moment
Alles glatt gehen zu wollen, aber Baron Pretis
consultirte die drei Clubs der Linken, ob er auf
ihre Unterstützung rechnen könnte und erhielt von
allen dreien artige Körbchen, ein besonders böses
von der eigentlichen Linken. Damit war die
Combination Pretis abgethan.

Graf Taaffe wurde telegrafisch von Inns-
bruck nach Wien berufen. Er kam hier an und
nahm im dritten Stock des Hotels "Zur Stadt
Frankfurt" Quartier. Dort ist, in einem ziemlich
bescheidenen Zimmer die "neueste Aera" österrei-
chischer Geschichte geboren worden. Als echter
Opportunist scheint Geaf Taaffe an ein Coalitions-
Cabinet gedacht zu haben. Es ist interessant und
bezeichnend für den Wandel der Dinge, daß, wäh-
rend Baron Pretis sich an Männer des rechten
[Spaltenumbruch] Flügels der alten "Verfassungspartei", Graf
Taaffe sich an die zwei Politiker wendete, die
für die liberalsten Mitglieder der Linken damals
galten! An den Grafen Coronini nämlich und
an Herrn v. Plener! Man sieht, die Erde ist
rund und dreht sich.

Die Conferenzen in der "Stadt Frankfurt"
blieben resultatlos, Graf Coronini und Herr v.
Plener erklärten sich für solidarisch und gaben
dann solidarisch dem Grafen Taaffe einen Korb.
Herr v. Plener hätte Handelsminister werden
sollen, es wurde dann erzählt, er hatte refusirt,
weil man ihm nicht das Finanzportefeuille ange-
doten hatte. Diese Behauptung können wir als
falsch bezeichnen. Herr v. Plener hat ausdrücklich
und wiederholt versichert, daß keinerlei Erwägun-
gen persönlicher, sondern nur solche politischer und
parlamentarischer Natur ihn zu seinem Refus
veranlaßt hätten.

Nachdem Graf Coronini und Herr v. Plener
ihr endgiltiges "Nein" gesagt hatten, betrachtete
man die Combination Taaffe als aufgegeben.
Fürst Adolf Auersperg scheint sich merkwürdiger-
weise wieder für "möglich" gehalten zu haben,
vierundzwanzig Stunden lang sprach man von
einem Ministerium unter Präsidium des Fürsten
Josef Alexander Schönburg-Hartenstein, des jetzi-
gen Herrenhaus-Vicepräsidenten und auf einem
"jour" beim damaligen Erbprinzen Schwarzen-
berg nahm Fürst Adolf Auersperg Gratulationen
zu seiner unzweifelhaften Wiederernennung ent-
gegen! Ein besonders "schneidiger" Officiöser, der
am Tag darauf vermuthlich gern in ein Maus-
loch geschlüpft wäre, pries in einem Wiener Blatt
den Fürsten Auersperg als den Phönix, der seine
Auferstehung feiere und das damals noch von Erb
geleitete Preßbureau versendete an die Zeitungen
eine Notiz des Inhalts, daß Graf Taaffe, nach-
dem der Versuch desselben, ein Ministerium zu
bilden "gescheitert", nach Innsbruck abgereist sei.
Daß er nach Innsbruck abreisen werde, hätte
man allerdings zu sagen riskiren können, daß
er schon nach Innsbruck abgereist sei, war eine
etwas voreilige Behauptung. Von den alten Mi-
nistern, mit Ausnahme Unger's, der erklärt hatte,
unter keiner Bedingung bleiben zu wollen, wären
vielleicht einige bereit gewesen, mit dem Fürsten
Auersperg weiter zu dienen, aber nachdem Baron
Lasser, gerade der wichtigste, aus Gesundheits-
rücksichte[n] absolut nicht bleiben konnte, so faßte
man entscheidenden Ortes den Entschluß, das
Schiff einstweilen klar zu machen, um irgend
ein Definitivum heranreifen zu lassen. Die De-
missionsgesuche von Auersperg, Lasser und Unger
wurden genehmigt, Herr v. Stremayr als rang-
ältester Minister übernahm den "Vorsitz im Mi-
nisterrath", Graf Taaffe wurde Minister des
Innern an Stelle Lasser's.




[Spaltenumbruch]

die Herzogin von Duras. Ueber ihre unfrei-
willige Fahrt nach der Hauptstadt schreibt sie:
"Morgens um 10 Uhr -- es war am 5. April
1794 -- wurde ich gerufen. Die Karren waren
fast schon alle besetzt, und aus diesem Grunde
erhielt ich einen abscheulichen Platz, nämlich an
der Seite einer niedrig gesinnten Frau, die sich
rühmte, die Freundin Robespierre's zu sein,
und uns ankündigte, daß sie unterwegs Zeichen
der öffentlichen Theilnahme erhalten werde." ..
"Wir verließen den Schloßhof inmitten unserer
Leidensgefährten, die unseren Abschied bedauerten
und um unser Schicksal besorgt waren. Aus ihren
Augen flossen Thränen, aber mit einer Art Zu-
rückhaltung, da sie befürchteten, beobachtet zu
werden. Bei der Ausfahrt aus der Pforte machte
unser Zug Halt zum Zweck eines Namensauf-
rufes, damit Niemand von uns entwischen könnte.
Wir waren daran fast ebenso gewöhnt, wie die
Soldaten. Nationalgardisten umgaben uns, und
so verweilten wir etwa eine Stunde unter den
Fenstern des Schlosses, im Anblick der über die
Entraubung ihrer Töchter trostlosen Mutter,
welche die Hände zum Himmel emporhoben und
ihnen ihren Segen gaben. Dieses so herzzerrei-
ßende Schauspiel ist meinem Geiste noch gegen-
wärtig. Wie viele von Denen, die den Segen
ertheilten und von Denen, die zu ihnen empor-
blickten, verbluteten unter dem Beil des Henkers!
Ich möchte Alles schildern, was sich Schreckliches
und Rührendes im Augenblick unserer Abfahrt
ereignete, aber ich fühle, daß meine Fähigkeit
dazu nicht ausreicht."


[Spaltenumbruch]

Auf dieser angstvollen Fahrt nach der Haupt-
stadt wurden die unglücklichen Gefangenen von
der Bevölkerung der Städte und Dörfer, die sie
passirten, zum Theil mit lauten Verwünschungen
und den Zeichen des Halsabschneidens begleitet.
Zu nächtlicher Stunde und unter strömenden
Regen erreichten sie Paris, aber da das Sainte-
Pelagie-Gefängniß, für das sie bestimmt waren,
sich als überfüllt erwies, so zogen ihre Führer
mit ihnen weiter, um ein anderes Gewahrsam
für sie ausfindig zu machen. Ihre Angst erreichte
den Höhepunct, als diese die Richtung nach der
Concergerie, dem "Vorzimmer des Todes" ein-
schlugen, und ihre Erleichterung war deshalb eine
nicht geringe, als der Zug an der Pforte des
grauenvollsten aller Pariser Gefängnisse vorbei-
zog und schließlich vor einem ehemaligen Univer-
sitätsgebäude, das in einen Kerker umgewandelt
worden war, Halt machte.

Die Hoffnung der Herzogin von Duras,
daß ihr Gesuch an Robespierre um Ueberführung
nach dem Luxemburg-Gefängniß, in dem ihre
Eltern schon seit längerer Zeit schmachteten, be-
rücksichtigt werden würde, ging nicht in Erfül-
lung. Freilich war das zu ihrem Heil; denn sie
würde sonst ohne Zweifel das Schicksal derselben
auf dem Schaffot getheilt haben. -- Was die
Behandlung und Bewachung der Gefangenen an-
betrifft, so verfuhr man in Paris noch unmensch-
licher und strenger als in der Provinz. Frau
von Duras erhielt mit einer jungen Dame aus
vornehmer Familie eine Zelle angewiesen, die
gerade groß genug war, daß zwei Matratzen auf
[Spaltenumbruch] dem Boden derselben ausgebreitet werden konn-
ten. Die Mauer mußte ihnen als Kopfkissen die-
nen. Mit der Beköstigung war es in diesem Ge-
fängniß womöglich noch schlechter bestellt, als in
dem von Chantilly. Anfangs freilich war es den
Insassen desselben gestattet, gemäß ihren Mitteln
dafür selbst zu sorgen aber bald wurde wieder
eine allgemeine Tafel eingeführt, zu deren Cha-
racteristik die Thatsache genügen wird, daß eines
Tages an den Wänden des Speisesaales der Befehl
angeschlagen wurde, den Gefangenen nicht mehr Nah-
rung zu verabfolgen, als erforderlich wäre, um den
Hungertod zu verhindern. Die einzige Erholung, die
man ihnen gestattete, bestand in einem kurzen
Spaziergang auf einem engen Hofe. Als die
Herzogin von Duras hier einst, zur Zeit der
Selbstbeköstigung, mit mehreren Damen auf- und
niederging, hob eine derselben plötzlich einen Pa-
pierstreifen auf, der aus einem Kellerloche her-
ausgeworfen war. Auf dem Stück Papier waren
die fast unleserlichen Worte gekritzelt: "Drei Un-
glückliche, denen es an Allem fehlt, flehen um
Ihr Mitleid." Einer der Begleiterinnen der
Herzogin gelang es, einige Geldstücke, die diese
ihr überreicht hatte, den beklagenswerthen Lei-
densgenossen zuzuwerfen, indem sie sich den An-
schein gab, als ob sie einen Stein aufhöbe.

Mit der wachsenden Schreckensherrschaft stieg
auch die Todesangst der Gefangenen zu einem
immer höheren Grade. Während einerseits kein
Tag verstrich, ohne daß nicht aus allen Provin-
zen des Landes neue Zuzüge eintrafen, wurde
andererseits die Anzahl Derjenigen, die man


[Spaltenumbruch]

Geſtern Abends
halb 7 Uhr herrſchte in der Stadt bereits die
vollſtändigſte Ruhe. Niagends fand eine An-
ſammlung ſtatt.




Zum 15. Februar.
(Zehn Jahre Taaffe.)

Unter dieſem Titel ſchreibt man dem „Peſter
Lloyd“ am 14. d. M. aus Wien: Heute — den
15. Februar 1889 — ſind es wohlgezählt zehn
Jahre, daß Graf Taaffe wieder, und zwar zum
dritten Male Miniſter iſt. Er ſaß zuerſt, nach
dem Unglücksjahre 1866, in dem Uebergangs-
Miniſterium Beuſt, dem letzten geſammt-öſterrei-
chiſchen Miniſterium als Miniſter des Innern
und ging von da aus als Präſidenten-Stellver-
treter und „Miniſter für Landesvertheidigung und
öffentliche Sicherheit“ in das „Bürgerminiſterium“
über, deſſen Präſident er nach des Fürſten Carlos
Auersperg Rücktritt wurde. Als das Bürgermi-
niſterium ſich ſpaltete, ſchied er mit der Minorität
aus (Taaffe, Potocki, Berger), aber nur, um
nach einigen Monaten wieder im Miniſterium
Potocki als Miniſter des Innern zu erſcheinen.
Mit dieſem fiel er und ging dann nach Innsbruck
als Statthalter, von wo aus er eben an dem
genannten 15. Februar 1879 wieder ſeinen Ein-
zug in das Gebäude der alten „böhmiſchen Hof-
kanzlei“ am Judenplatz hielt. Das Miniſterium
Taaffe datirt erſt vom 12. Auguſt jenes Jahres,
bis dahin beſtand ein Proviſorium. In dieſem
proviſoriſchen Miniſterium Stremayr ſpielte übri-
gens Graf Taaffe bereits die erſte Violine.

In den Seſſionen von 1877/78 und 1878/79
lag das Miniſterium „Laſſer“, genannt „Auers-
perg“ mit ſeiner eigenen Partei in heftigem
Streit. Durch die Erkrankung Laſſer’s war dem
Miniſterium die hervorragendſte politiſche Kraft
genommen; Fürſt Adolf Auersperg hatte den beſten
Willen, entſprach aber politiſch und parlamen[-]
tariſch nicht den allerbeſcheidenſten Anforderungen.
Der Riß wurde immer tiefer, die Oppoſition
bekämpfte den ungariſchen Ausgleich.

Miniſter Dr. Unger erklärte im Namen der
Regierung im Abgeordnetenhauſe, daß ſie nach
den Mißtrauensvoten, die ſie in den drei Clubs
der Linken erhalten hatte, ſich nicht länger als
parlamentariſche Regierung betrachten und aus
dieſer Erkenntniß die Conſ[e]quenzen ziehen werde.
Von da an war der Bruch kaum mehr heilbar,
die bosniſche Frage machte ihn natürlich ganz
unheilbar, der Ausgleich mit Ungarn wurde mit
Aſſiſtenz eines Theiles der Rechten tant bien
que mal
votirt, bei der bosniſchen Frage ſpaltete
ſich die Linke. Das G[r]os, die „hiſtoriſche Linke“
unter Herbſt, widerſetzte ſich dem Geſchehenen, in
ihrem Namen erklärte Dr. Sturm als Bericht-
erſtatter des Adreß-Ausſchuſſes, daß man einem
[Spaltenumbruch] Menſchen, der im Privatleben ſo gehandelt hätte,
wie Graf Andraſſy in der bosniſchen Angelegen-
heit die bürgerliche Ehrenhaftigkeit abſprechen würde!
Ein Theil der Linken indeſſen unter Herrn von
Plener, der mehr und mehr hervorzutreten be-
gann, ſtellte ſich auf die Seite der Regierung und
Andraſſy’s, in der „bosniſchen Linken“ begann
man die „regierungsfähige Oppoſition“ zu ſehen.
Die Dinge aber ſollten ganz anders kommen.
Mit Hilfe der „bosniſchen Linken“ und der Rech-
ten, in der Herr von Dunajewski eine erſte Rolle
zu ſpielen begonnen hatte, ſetzte das Miniſterium
ſeinen Willen durch, aber es war nunmehr
„fertig“, es hatte, indem es ſich von der Linken
getrennt hatte, den Aſt, auf dem es geſeſſen, ab-
geſägt. —

Der Kaiſer conſultirte eine Reihe von her-
vorragenden parlamentariſchen Führern und be-
traute dann den Finanzminiſter Freiherrn von
Pretis mit der Cabinetsbildung. Es wurde damals
erzählt, Dr. Herbſt ſpeciell habe den Baron
Pretis direct empfohlen, oder doch als den Ge-
eignetſten bezeichnet, doch ſoll Dr. Herbſt dieſe
Behauptung Vertrauten gegenüber als unrichtig
bezeichnet haben und ſein Auftreten im Schoße
der Verfaſſungspartei ſcheint dafür zu ſprechen,
daß die Erzählung von einer ſtattgehabten Em-
pfehlung eine irrige iſt. Baron Pretis unternahm
die einleitenden Schritte zur Bildung eines Mi-
niſteriums, er ſchien auf Baron Scharſchmidt,
Baron Eichhoff (Mähren) eventuell auch auf
Profeſſor Sueß reflectiren zu wollen. Zwiſchen
Herrn von Plener und ihm beſtanden, wenn auch
nicht mehr ſchlechte, ſo doch ziemlich geſpannte
Beziehungen, einige Mitglieder des alten Mini
ſteriums würde Herr von Pretis unbedingt zu
bleiben gebeten haben; die ganze Combination
aber fiel ins Waſſer. Baron Pretis hatte für
ſich die Miniſter-Präſidentſchaft und das Mini-
ſterium des Innern reſervirt und dieſer letztere
Umſtand — daß er in einem kritiſchen Moment
die Finanzen abgeben wollte — wirkte einiger-
maßen verſtimmend, trotzdem ſchien im Moment
Alles glatt gehen zu wollen, aber Baron Pretis
conſultirte die drei Clubs der Linken, ob er auf
ihre Unterſtützung rechnen könnte und erhielt von
allen dreien artige Körbchen, ein beſonders böſes
von der eigentlichen Linken. Damit war die
Combination Pretis abgethan.

Graf Taaffe wurde telegrafiſch von Inns-
bruck nach Wien berufen. Er kam hier an und
nahm im dritten Stock des Hotels „Zur Stadt
Frankfurt“ Quartier. Dort iſt, in einem ziemlich
beſcheidenen Zimmer die „neueſte Aera“ öſterrei-
chiſcher Geſchichte geboren worden. Als echter
Opportuniſt ſcheint Geaf Taaffe an ein Coalitions-
Cabinet gedacht zu haben. Es iſt intereſſant und
bezeichnend für den Wandel der Dinge, daß, wäh-
rend Baron Pretis ſich an Männer des rechten
[Spaltenumbruch] Flügels der alten „Verfaſſungspartei“, Graf
Taaffe ſich an die zwei Politiker wendete, die
für die liberalſten Mitglieder der Linken damals
galten! An den Grafen Coronini nämlich und
an Herrn v. Plener! Man ſieht, die Erde iſt
rund und dreht ſich.

Die Conferenzen in der „Stadt Frankfurt“
blieben reſultatlos, Graf Coronini und Herr v.
Plener erklärten ſich für ſolidariſch und gaben
dann ſolidariſch dem Grafen Taaffe einen Korb.
Herr v. Plener hätte Handelsminiſter werden
ſollen, es wurde dann erzählt, er hatte refuſirt,
weil man ihm nicht das Finanzportefeuille ange-
doten hatte. Dieſe Behauptung können wir als
falſch bezeichnen. Herr v. Plener hat ausdrücklich
und wiederholt verſichert, daß keinerlei Erwägun-
gen perſönlicher, ſondern nur ſolche politiſcher und
parlamentariſcher Natur ihn zu ſeinem Refus
veranlaßt hätten.

Nachdem Graf Coronini und Herr v. Plener
ihr endgiltiges „Nein“ geſagt hatten, betrachtete
man die Combination Taaffe als aufgegeben.
Fürſt Adolf Auersperg ſcheint ſich merkwürdiger-
weiſe wieder für „möglich“ gehalten zu haben,
vierundzwanzig Stunden lang ſprach man von
einem Miniſterium unter Präſidium des Fürſten
Joſef Alexander Schönburg-Hartenſtein, des jetzi-
gen Herrenhaus-Vicepräſidenten und auf einem
„jour“ beim damaligen Erbprinzen Schwarzen-
berg nahm Fürſt Adolf Auersperg Gratulationen
zu ſeiner unzweifelhaften Wiederernennung ent-
gegen! Ein beſonders „ſchneidiger“ Officiöſer, der
am Tag darauf vermuthlich gern in ein Maus-
loch geſchlüpft wäre, pries in einem Wiener Blatt
den Fürſten Auersperg als den Phönix, der ſeine
Auferſtehung feiere und das damals noch von Erb
geleitete Preßbureau verſendete an die Zeitungen
eine Notiz des Inhalts, daß Graf Taaffe, nach-
dem der Verſuch desſelben, ein Miniſterium zu
bilden „geſcheitert“, nach Innsbruck abgereiſt ſei.
Daß er nach Innsbruck abreiſen werde, hätte
man allerdings zu ſagen riskiren können, daß
er ſchon nach Innsbruck abgereiſt ſei, war eine
etwas voreilige Behauptung. Von den alten Mi-
niſtern, mit Ausnahme Unger’s, der erklärt hatte,
unter keiner Bedingung bleiben zu wollen, wären
vielleicht einige bereit geweſen, mit dem Fürſten
Auersperg weiter zu dienen, aber nachdem Baron
Laſſer, gerade der wichtigſte, aus Geſundheits-
rückſichte[n] abſolut nicht bleiben konnte, ſo faßte
man entſcheidenden Ortes den Entſchluß, das
Schiff einſtweilen klar zu machen, um irgend
ein Definitivum heranreifen zu laſſen. Die De-
miſſionsgeſuche von Auersperg, Laſſer und Unger
wurden genehmigt, Herr v. Stremayr als rang-
älteſter Miniſter übernahm den „Vorſitz im Mi-
niſterrath“, Graf Taaffe wurde Miniſter des
Innern an Stelle Laſſer’s.




[Spaltenumbruch]

die Herzogin von Duras. Ueber ihre unfrei-
willige Fahrt nach der Hauptſtadt ſchreibt ſie:
„Morgens um 10 Uhr — es war am 5. April
1794 — wurde ich gerufen. Die Karren waren
faſt ſchon alle beſetzt, und aus dieſem Grunde
erhielt ich einen abſcheulichen Platz, nämlich an
der Seite einer niedrig geſinnten Frau, die ſich
rühmte, die Freundin Robespierre’s zu ſein,
und uns ankündigte, daß ſie unterwegs Zeichen
der öffentlichen Theilnahme erhalten werde.“ ..
„Wir verließen den Schloßhof inmitten unſerer
Leidensgefährten, die unſeren Abſchied bedauerten
und um unſer Schickſal beſorgt waren. Aus ihren
Augen floſſen Thränen, aber mit einer Art Zu-
rückhaltung, da ſie befürchteten, beobachtet zu
werden. Bei der Ausfahrt aus der Pforte machte
unſer Zug Halt zum Zweck eines Namensauf-
rufes, damit Niemand von uns entwiſchen könnte.
Wir waren daran faſt ebenſo gewöhnt, wie die
Soldaten. Nationalgardiſten umgaben uns, und
ſo verweilten wir etwa eine Stunde unter den
Fenſtern des Schloſſes, im Anblick der über die
Entraubung ihrer Töchter troſtloſen Mutter,
welche die Hände zum Himmel emporhoben und
ihnen ihren Segen gaben. Dieſes ſo herzzerrei-
ßende Schauſpiel iſt meinem Geiſte noch gegen-
wärtig. Wie viele von Denen, die den Segen
ertheilten und von Denen, die zu ihnen empor-
blickten, verbluteten unter dem Beil des Henkers!
Ich möchte Alles ſchildern, was ſich Schreckliches
und Rührendes im Augenblick unſerer Abfahrt
ereignete, aber ich fühle, daß meine Fähigkeit
dazu nicht ausreicht.“


[Spaltenumbruch]

Auf dieſer angſtvollen Fahrt nach der Haupt-
ſtadt wurden die unglücklichen Gefangenen von
der Bevölkerung der Städte und Dörfer, die ſie
paſſirten, zum Theil mit lauten Verwünſchungen
und den Zeichen des Halsabſchneidens begleitet.
Zu nächtlicher Stunde und unter ſtrömenden
Regen erreichten ſie Paris, aber da das Sainte-
Pelagie-Gefängniß, für das ſie beſtimmt waren,
ſich als überfüllt erwies, ſo zogen ihre Führer
mit ihnen weiter, um ein anderes Gewahrſam
für ſie ausfindig zu machen. Ihre Angſt erreichte
den Höhepunct, als dieſe die Richtung nach der
Concergerie, dem „Vorzimmer des Todes“ ein-
ſchlugen, und ihre Erleichterung war deshalb eine
nicht geringe, als der Zug an der Pforte des
grauenvollſten aller Pariſer Gefängniſſe vorbei-
zog und ſchließlich vor einem ehemaligen Univer-
ſitätsgebäude, das in einen Kerker umgewandelt
worden war, Halt machte.

Die Hoffnung der Herzogin von Duras,
daß ihr Geſuch an Robespierre um Ueberführung
nach dem Luxemburg-Gefängniß, in dem ihre
Eltern ſchon ſeit längerer Zeit ſchmachteten, be-
rückſichtigt werden würde, ging nicht in Erfül-
lung. Freilich war das zu ihrem Heil; denn ſie
würde ſonſt ohne Zweifel das Schickſal derſelben
auf dem Schaffot getheilt haben. — Was die
Behandlung und Bewachung der Gefangenen an-
betrifft, ſo verfuhr man in Paris noch unmenſch-
licher und ſtrenger als in der Provinz. Frau
von Duras erhielt mit einer jungen Dame aus
vornehmer Familie eine Zelle angewieſen, die
gerade groß genug war, daß zwei Matratzen auf
[Spaltenumbruch] dem Boden derſelben ausgebreitet werden konn-
ten. Die Mauer mußte ihnen als Kopfkiſſen die-
nen. Mit der Beköſtigung war es in dieſem Ge-
fängniß womöglich noch ſchlechter beſtellt, als in
dem von Chantilly. Anfangs freilich war es den
Inſaſſen desſelben geſtattet, gemäß ihren Mitteln
dafür ſelbſt zu ſorgen aber bald wurde wieder
eine allgemeine Tafel eingeführt, zu deren Cha-
racteriſtik die Thatſache genügen wird, daß eines
Tages an den Wänden des Speiſeſaales der Befehl
angeſchlagen wurde, den Gefangenen nicht mehr Nah-
rung zu verabfolgen, als erforderlich wäre, um den
Hungertod zu verhindern. Die einzige Erholung, die
man ihnen geſtattete, beſtand in einem kurzen
Spaziergang auf einem engen Hofe. Als die
Herzogin von Duras hier einſt, zur Zeit der
Selbſtbeköſtigung, mit mehreren Damen auf- und
niederging, hob eine derſelben plötzlich einen Pa-
pierſtreifen auf, der aus einem Kellerloche her-
ausgeworfen war. Auf dem Stück Papier waren
die faſt unleſerlichen Worte gekritzelt: „Drei Un-
glückliche, denen es an Allem fehlt, flehen um
Ihr Mitleid.“ Einer der Begleiterinnen der
Herzogin gelang es, einige Geldſtücke, die dieſe
ihr überreicht hatte, den beklagenswerthen Lei-
densgenoſſen zuzuwerfen, indem ſie ſich den An-
ſchein gab, als ob ſie einen Stein aufhöbe.

Mit der wachſenden Schreckensherrſchaft ſtieg
auch die Todesangſt der Gefangenen zu einem
immer höheren Grade. Während einerſeits kein
Tag verſtrich, ohne daß nicht aus allen Provin-
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andererſeits die Anzahl Derjenigen, die man


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[[2]/0002] Budapeſt, 18. Februar. Geſtern Abends halb 7 Uhr herrſchte in der Stadt bereits die vollſtändigſte Ruhe. Niagends fand eine An- ſammlung ſtatt. Zum 15. Februar. (Zehn Jahre Taaffe.) Unter dieſem Titel ſchreibt man dem „Peſter Lloyd“ am 14. d. M. aus Wien: Heute — den 15. Februar 1889 — ſind es wohlgezählt zehn Jahre, daß Graf Taaffe wieder, und zwar zum dritten Male Miniſter iſt. Er ſaß zuerſt, nach dem Unglücksjahre 1866, in dem Uebergangs- Miniſterium Beuſt, dem letzten geſammt-öſterrei- chiſchen Miniſterium als Miniſter des Innern und ging von da aus als Präſidenten-Stellver- treter und „Miniſter für Landesvertheidigung und öffentliche Sicherheit“ in das „Bürgerminiſterium“ über, deſſen Präſident er nach des Fürſten Carlos Auersperg Rücktritt wurde. Als das Bürgermi- niſterium ſich ſpaltete, ſchied er mit der Minorität aus (Taaffe, Potocki, Berger), aber nur, um nach einigen Monaten wieder im Miniſterium Potocki als Miniſter des Innern zu erſcheinen. Mit dieſem fiel er und ging dann nach Innsbruck als Statthalter, von wo aus er eben an dem genannten 15. Februar 1879 wieder ſeinen Ein- zug in das Gebäude der alten „böhmiſchen Hof- kanzlei“ am Judenplatz hielt. Das Miniſterium Taaffe datirt erſt vom 12. Auguſt jenes Jahres, bis dahin beſtand ein Proviſorium. In dieſem proviſoriſchen Miniſterium Stremayr ſpielte übri- gens Graf Taaffe bereits die erſte Violine. In den Seſſionen von 1877/78 und 1878/79 lag das Miniſterium „Laſſer“, genannt „Auers- perg“ mit ſeiner eigenen Partei in heftigem Streit. Durch die Erkrankung Laſſer’s war dem Miniſterium die hervorragendſte politiſche Kraft genommen; Fürſt Adolf Auersperg hatte den beſten Willen, entſprach aber politiſch und parlamen- tariſch nicht den allerbeſcheidenſten Anforderungen. Der Riß wurde immer tiefer, die Oppoſition bekämpfte den ungariſchen Ausgleich. Miniſter Dr. Unger erklärte im Namen der Regierung im Abgeordnetenhauſe, daß ſie nach den Mißtrauensvoten, die ſie in den drei Clubs der Linken erhalten hatte, ſich nicht länger als parlamentariſche Regierung betrachten und aus dieſer Erkenntniß die Conſequenzen ziehen werde. Von da an war der Bruch kaum mehr heilbar, die bosniſche Frage machte ihn natürlich ganz unheilbar, der Ausgleich mit Ungarn wurde mit Aſſiſtenz eines Theiles der Rechten tant bien que mal votirt, bei der bosniſchen Frage ſpaltete ſich die Linke. Das Gros, die „hiſtoriſche Linke“ unter Herbſt, widerſetzte ſich dem Geſchehenen, in ihrem Namen erklärte Dr. Sturm als Bericht- erſtatter des Adreß-Ausſchuſſes, daß man einem Menſchen, der im Privatleben ſo gehandelt hätte, wie Graf Andraſſy in der bosniſchen Angelegen- heit die bürgerliche Ehrenhaftigkeit abſprechen würde! Ein Theil der Linken indeſſen unter Herrn von Plener, der mehr und mehr hervorzutreten be- gann, ſtellte ſich auf die Seite der Regierung und Andraſſy’s, in der „bosniſchen Linken“ begann man die „regierungsfähige Oppoſition“ zu ſehen. Die Dinge aber ſollten ganz anders kommen. Mit Hilfe der „bosniſchen Linken“ und der Rech- ten, in der Herr von Dunajewski eine erſte Rolle zu ſpielen begonnen hatte, ſetzte das Miniſterium ſeinen Willen durch, aber es war nunmehr „fertig“, es hatte, indem es ſich von der Linken getrennt hatte, den Aſt, auf dem es geſeſſen, ab- geſägt. — Der Kaiſer conſultirte eine Reihe von her- vorragenden parlamentariſchen Führern und be- traute dann den Finanzminiſter Freiherrn von Pretis mit der Cabinetsbildung. Es wurde damals erzählt, Dr. Herbſt ſpeciell habe den Baron Pretis direct empfohlen, oder doch als den Ge- eignetſten bezeichnet, doch ſoll Dr. Herbſt dieſe Behauptung Vertrauten gegenüber als unrichtig bezeichnet haben und ſein Auftreten im Schoße der Verfaſſungspartei ſcheint dafür zu ſprechen, daß die Erzählung von einer ſtattgehabten Em- pfehlung eine irrige iſt. Baron Pretis unternahm die einleitenden Schritte zur Bildung eines Mi- niſteriums, er ſchien auf Baron Scharſchmidt, Baron Eichhoff (Mähren) eventuell auch auf Profeſſor Sueß reflectiren zu wollen. Zwiſchen Herrn von Plener und ihm beſtanden, wenn auch nicht mehr ſchlechte, ſo doch ziemlich geſpannte Beziehungen, einige Mitglieder des alten Mini ſteriums würde Herr von Pretis unbedingt zu bleiben gebeten haben; die ganze Combination aber fiel ins Waſſer. Baron Pretis hatte für ſich die Miniſter-Präſidentſchaft und das Mini- ſterium des Innern reſervirt und dieſer letztere Umſtand — daß er in einem kritiſchen Moment die Finanzen abgeben wollte — wirkte einiger- maßen verſtimmend, trotzdem ſchien im Moment Alles glatt gehen zu wollen, aber Baron Pretis conſultirte die drei Clubs der Linken, ob er auf ihre Unterſtützung rechnen könnte und erhielt von allen dreien artige Körbchen, ein beſonders böſes von der eigentlichen Linken. Damit war die Combination Pretis abgethan. Graf Taaffe wurde telegrafiſch von Inns- bruck nach Wien berufen. Er kam hier an und nahm im dritten Stock des Hotels „Zur Stadt Frankfurt“ Quartier. Dort iſt, in einem ziemlich beſcheidenen Zimmer die „neueſte Aera“ öſterrei- chiſcher Geſchichte geboren worden. Als echter Opportuniſt ſcheint Geaf Taaffe an ein Coalitions- Cabinet gedacht zu haben. Es iſt intereſſant und bezeichnend für den Wandel der Dinge, daß, wäh- rend Baron Pretis ſich an Männer des rechten Flügels der alten „Verfaſſungspartei“, Graf Taaffe ſich an die zwei Politiker wendete, die für die liberalſten Mitglieder der Linken damals galten! An den Grafen Coronini nämlich und an Herrn v. Plener! Man ſieht, die Erde iſt rund und dreht ſich. Die Conferenzen in der „Stadt Frankfurt“ blieben reſultatlos, Graf Coronini und Herr v. Plener erklärten ſich für ſolidariſch und gaben dann ſolidariſch dem Grafen Taaffe einen Korb. Herr v. Plener hätte Handelsminiſter werden ſollen, es wurde dann erzählt, er hatte refuſirt, weil man ihm nicht das Finanzportefeuille ange- doten hatte. Dieſe Behauptung können wir als falſch bezeichnen. Herr v. Plener hat ausdrücklich und wiederholt verſichert, daß keinerlei Erwägun- gen perſönlicher, ſondern nur ſolche politiſcher und parlamentariſcher Natur ihn zu ſeinem Refus veranlaßt hätten. Nachdem Graf Coronini und Herr v. Plener ihr endgiltiges „Nein“ geſagt hatten, betrachtete man die Combination Taaffe als aufgegeben. Fürſt Adolf Auersperg ſcheint ſich merkwürdiger- weiſe wieder für „möglich“ gehalten zu haben, vierundzwanzig Stunden lang ſprach man von einem Miniſterium unter Präſidium des Fürſten Joſef Alexander Schönburg-Hartenſtein, des jetzi- gen Herrenhaus-Vicepräſidenten und auf einem „jour“ beim damaligen Erbprinzen Schwarzen- berg nahm Fürſt Adolf Auersperg Gratulationen zu ſeiner unzweifelhaften Wiederernennung ent- gegen! Ein beſonders „ſchneidiger“ Officiöſer, der am Tag darauf vermuthlich gern in ein Maus- loch geſchlüpft wäre, pries in einem Wiener Blatt den Fürſten Auersperg als den Phönix, der ſeine Auferſtehung feiere und das damals noch von Erb geleitete Preßbureau verſendete an die Zeitungen eine Notiz des Inhalts, daß Graf Taaffe, nach- dem der Verſuch desſelben, ein Miniſterium zu bilden „geſcheitert“, nach Innsbruck abgereiſt ſei. Daß er nach Innsbruck abreiſen werde, hätte man allerdings zu ſagen riskiren können, daß er ſchon nach Innsbruck abgereiſt ſei, war eine etwas voreilige Behauptung. Von den alten Mi- niſtern, mit Ausnahme Unger’s, der erklärt hatte, unter keiner Bedingung bleiben zu wollen, wären vielleicht einige bereit geweſen, mit dem Fürſten Auersperg weiter zu dienen, aber nachdem Baron Laſſer, gerade der wichtigſte, aus Geſundheits- rückſichten abſolut nicht bleiben konnte, ſo faßte man entſcheidenden Ortes den Entſchluß, das Schiff einſtweilen klar zu machen, um irgend ein Definitivum heranreifen zu laſſen. Die De- miſſionsgeſuche von Auersperg, Laſſer und Unger wurden genehmigt, Herr v. Stremayr als rang- älteſter Miniſter übernahm den „Vorſitz im Mi- niſterrath“, Graf Taaffe wurde Miniſter des Innern an Stelle Laſſer’s. die Herzogin von Duras. Ueber ihre unfrei- willige Fahrt nach der Hauptſtadt ſchreibt ſie: „Morgens um 10 Uhr — es war am 5. April 1794 — wurde ich gerufen. Die Karren waren faſt ſchon alle beſetzt, und aus dieſem Grunde erhielt ich einen abſcheulichen Platz, nämlich an der Seite einer niedrig geſinnten Frau, die ſich rühmte, die Freundin Robespierre’s zu ſein, und uns ankündigte, daß ſie unterwegs Zeichen der öffentlichen Theilnahme erhalten werde.“ .. „Wir verließen den Schloßhof inmitten unſerer Leidensgefährten, die unſeren Abſchied bedauerten und um unſer Schickſal beſorgt waren. Aus ihren Augen floſſen Thränen, aber mit einer Art Zu- rückhaltung, da ſie befürchteten, beobachtet zu werden. Bei der Ausfahrt aus der Pforte machte unſer Zug Halt zum Zweck eines Namensauf- rufes, damit Niemand von uns entwiſchen könnte. Wir waren daran faſt ebenſo gewöhnt, wie die Soldaten. Nationalgardiſten umgaben uns, und ſo verweilten wir etwa eine Stunde unter den Fenſtern des Schloſſes, im Anblick der über die Entraubung ihrer Töchter troſtloſen Mutter, welche die Hände zum Himmel emporhoben und ihnen ihren Segen gaben. Dieſes ſo herzzerrei- ßende Schauſpiel iſt meinem Geiſte noch gegen- wärtig. Wie viele von Denen, die den Segen ertheilten und von Denen, die zu ihnen empor- blickten, verbluteten unter dem Beil des Henkers! Ich möchte Alles ſchildern, was ſich Schreckliches und Rührendes im Augenblick unſerer Abfahrt ereignete, aber ich fühle, daß meine Fähigkeit dazu nicht ausreicht.“ Auf dieſer angſtvollen Fahrt nach der Haupt- ſtadt wurden die unglücklichen Gefangenen von der Bevölkerung der Städte und Dörfer, die ſie paſſirten, zum Theil mit lauten Verwünſchungen und den Zeichen des Halsabſchneidens begleitet. Zu nächtlicher Stunde und unter ſtrömenden Regen erreichten ſie Paris, aber da das Sainte- Pelagie-Gefängniß, für das ſie beſtimmt waren, ſich als überfüllt erwies, ſo zogen ihre Führer mit ihnen weiter, um ein anderes Gewahrſam für ſie ausfindig zu machen. Ihre Angſt erreichte den Höhepunct, als dieſe die Richtung nach der Concergerie, dem „Vorzimmer des Todes“ ein- ſchlugen, und ihre Erleichterung war deshalb eine nicht geringe, als der Zug an der Pforte des grauenvollſten aller Pariſer Gefängniſſe vorbei- zog und ſchließlich vor einem ehemaligen Univer- ſitätsgebäude, das in einen Kerker umgewandelt worden war, Halt machte. Die Hoffnung der Herzogin von Duras, daß ihr Geſuch an Robespierre um Ueberführung nach dem Luxemburg-Gefängniß, in dem ihre Eltern ſchon ſeit längerer Zeit ſchmachteten, be- rückſichtigt werden würde, ging nicht in Erfül- lung. Freilich war das zu ihrem Heil; denn ſie würde ſonſt ohne Zweifel das Schickſal derſelben auf dem Schaffot getheilt haben. — Was die Behandlung und Bewachung der Gefangenen an- betrifft, ſo verfuhr man in Paris noch unmenſch- licher und ſtrenger als in der Provinz. Frau von Duras erhielt mit einer jungen Dame aus vornehmer Familie eine Zelle angewieſen, die gerade groß genug war, daß zwei Matratzen auf dem Boden derſelben ausgebreitet werden konn- ten. Die Mauer mußte ihnen als Kopfkiſſen die- nen. Mit der Beköſtigung war es in dieſem Ge- fängniß womöglich noch ſchlechter beſtellt, als in dem von Chantilly. Anfangs freilich war es den Inſaſſen desſelben geſtattet, gemäß ihren Mitteln dafür ſelbſt zu ſorgen aber bald wurde wieder eine allgemeine Tafel eingeführt, zu deren Cha- racteriſtik die Thatſache genügen wird, daß eines Tages an den Wänden des Speiſeſaales der Befehl angeſchlagen wurde, den Gefangenen nicht mehr Nah- rung zu verabfolgen, als erforderlich wäre, um den Hungertod zu verhindern. Die einzige Erholung, die man ihnen geſtattete, beſtand in einem kurzen Spaziergang auf einem engen Hofe. Als die Herzogin von Duras hier einſt, zur Zeit der Selbſtbeköſtigung, mit mehreren Damen auf- und niederging, hob eine derſelben plötzlich einen Pa- pierſtreifen auf, der aus einem Kellerloche her- ausgeworfen war. Auf dem Stück Papier waren die faſt unleſerlichen Worte gekritzelt: „Drei Un- glückliche, denen es an Allem fehlt, flehen um Ihr Mitleid.“ Einer der Begleiterinnen der Herzogin gelang es, einige Geldſtücke, die dieſe ihr überreicht hatte, den beklagenswerthen Lei- densgenoſſen zuzuwerfen, indem ſie ſich den An- ſchein gab, als ob ſie einen Stein aufhöbe. Mit der wachſenden Schreckensherrſchaft ſtieg auch die Todesangſt der Gefangenen zu einem immer höheren Grade. Während einerſeits kein Tag verſtrich, ohne daß nicht aus allen Provin- zen des Landes neue Zuzüge eintrafen, wurde andererſeits die Anzahl Derjenigen, die man

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 40, Olmütz, 18.02.1889, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches40_1889/2>, abgerufen am 23.11.2024.