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Mährisches Tagblatt. Nr. 206, Olmütz, 10.09.1897.

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[Spaltenumbruch]
daf

nomie begnügen müssen und auch die Ansprüche
der Pforte werden sich viel leichter nach, als vor
dem Friedensschlusse behandeln lassen. In jedem
Falle kann der bevorstehende Abschluß des Friedens
als eines jener Ereignisse betrachtet werden, zu
welchem sich nicht nur die betheiligten Parteien,
sondern auch Europa Glück wünschen kann, weil
durch denselben einer Situation ein Ende gemacht
wird, welche schwere Nachtheile, vielleicht sogar
Gefahren für dasselbe hätte im Gefolge haben
können.




Der ultramontane Zauberlehrling.


Der Fürstbischof von Breslau, Dr. Kopp,
ist zweifellos ein treuer Diener seiner Kirche und
wird von den Machtansprüchen derselben auch
nicht das Geringste preisgeben. Er sucht nur ein
leidliches Verhältniß zur Staatsgewalt zu erhalten
und die oberschlesischen Katholiken, die sich des
wasserpolakischen Dialektes bedienen, nicht dem an-
griffslustigen Polonismus anheimfallen zu lassen.
Nicht etwa, weil die deutsche Gesinnung in ihnen
vorherrschend ist, sondern in Erkenntniß der Ge-
fahren, die ein Ueberfluthen des nationalpolnischen
Elementes den kirchlichen Interessen selbst be-
reiten müßte. Abgesehen von der argen Zwie-
tracht, die zwischen deutschen und polnischen Bauern
oder Arbeitern katholischer Confession bereits
heraufbeschworen worden ist, hat es sich gezeigt,
daß dem Clerus immer mehr die Zügel der po-
litischen Führung entgleiten. Das trat schon bei
den letzten Reichstagswahlen auffällig hervor,
als in verschiedenen Wahlkreisen die ultramon-
tanen Candidaten ihren national-polnischen Gegnern
unterlagen. Das Centrum, das in Posen dem
Polonismus Handlangerdienste leistete, kam dadurch
in schlimme Verlegenheiten, über die es sich nun
hinaushalf, indem es beide Augen zudrückte und
die Sieger, trotz ihrer Widerhaarigkeit gegen die
Parteiordre, in seine Reihen aufnahm.

Seitdem machte die polnische Propaganda
in Oberschlesien weitere Fortschritte, schuf sich
eine eigene Publicistik und nützte zugleich die für
ultramontane Zwecke geschaffenen Organisationen
nach Kräften aus. Dem Bischof Kopp wird all-
mählich bange vor der agitatorischen Unver-
schämtheit, welche die Schäfchen aus seinem Stalle
entwendet und auf die Weide des nationalen
Kampfes hinaustreibt. Er will aufräumen mit
jenen Vereinen, welche rein clerikalen Bestrebungen
dienen sollten, nun aber angesteckt sind durch den
umsichgreifenden Polonismus. Und da zeigt sich
zur allgemeinen Ueberraschung, daß der kirchliche
Einfluß, die fromme Bevormundung in diesen
Vereinen bereits völlig gebrochen sind, daß die
Unbotmäßigkeit wider bischöfliche Anordnungen
dagegen erwacht ist.


[Spaltenumbruch]

Dr. Kopp hat seinen ersten Versuch mit den
polnisch-katholischen "Aloysius-Vereinen" unter-
nommen und ist kläglich gescheitert. Diese Vereine
sollten Halbwüchsige und Jünglinge für den
ultramontanen Heerbann drillen, marschiren aber
jetzt unter der Fahne des weißen polnischen
Adlers. Um sie wieder in Zucht zu nehmen,
gedachte Kopp sie in "Marianische Congregationen"
zu verwandeln, die bekannten jesuitischen Jugend-
wehren. Als verflossene Woche der von Kopp
beauftragte Erzpriester in Beuthen den Willen
des Bischofs kundgab und die Auflösung des
dortigen Aloysius-Vereines, Zuwendung seines
Vermögens für einen Kirchenbau verlangte, stieß
der Bevollmächtigte auf den heftigsten Widerstand.
Die Geistlichen entfernten sich und nun beschloß
der Verein, seine Satzungen zu ändern. Der
Vorsitz, den bisher nur ein Cleriker führen
durfte, wurde auch Laien zugänglich gemacht und
sogleich ein solcher erwählt. Das Vereins-Schoß-
kind r[e]bellirte somit gegen den kirchlichen Vater.
Zwei andere Vereine gleicher Art verweigerten
ebenfalls die Auflösung und nur einer unterwarf
sich der Anordnung des Bischofs. In der "Ger-
mania" lesen wir die bewegliche Klage: "Der
Beuthener Verein hat sich von der Führung der
Geistlichkeit losgesagt, der Autorität der höchsten
kirchlichen Behörde die Anerkennung versagt."
Sind wir auch wenig erbaut von der Ausbreitung
polonisirender Tendenzen in Oberschlesien, so
bereitet es uns doch einige Schadenfreude,
daß der Ultramontanismus, der so lange mit
dem Feuer des slavischen Chauvinismus gespielt
hat, sich jetzt endlich tüchtig die Finger ver-
brennt.

Es ist nicht zu übersehen, schreibt man der
"Grazer Tagespost" aus Berlin, daß die Vor-
gänge im Hause des Nachbars wesentlich zur
Erstarkung des Polonismus in Schlesien bei-
getragen haben. Ohne das Badeni'sche System in
Oesterreich, welches den slavischen Größenwahn
nährt und in erster Linie die Hoffnungen des
Großpolenthums fördert, wären die schlesischen
Wasserpolaken nicht der gewohnten Kirchenzucht
entschlüpft. Die Ansteckungsstoff kommt von jen-
seits der schwarzgelben Grenze herüber und erfüllt
die unterwürfigen Aloysier mit phantastischen Zu-
kunftsträumen. Es ist kein Zufall, daß die kleine
Revolution im clericalen Lager sich unmittelbar nach
dem Polentag in Teschen einstellt. Man sieht
daraus, daß die polnische Strömung in Oester-
reich nicht nur die stammesbrüderlichen Sympa-
thien für die bedrängten Deutschösterreicher wach
rüttelt, sondern bereits unsere innere Politik
ernstlich zu beschäftigen beginnt. Was dem B[r]es-
lauer Bischof nicht gelang, kann die preußische
Staatsverwaltung nachholen, indem sie gegen die
geduldeten Vereine einschreitet, die ausschließlich
zu Werkzeugen [d]es Polonismus geworden sind
und den Frieden in Oberschlesien ernsthaftstören.
[Spaltenumbruch] Wir gehen kaum irre in der Annahme, daß zur
Stunde ein solches Einschreiten erwogen wird.
Hätten sich die preußische Regierung und der
wenig geschickte Minister von der Recke begnügt,
bei der Vereinsgesetzvorlage das nationalliberale
Angebot des Ausschlusses von Minderjährigen
aus Vereinen anzunehmen, die politische Zwecke
verfolgen, sie besäßen heute eine recht brauchbare
Handhabe wider die oberschlesische Conföderation,
welche auch dem Nachwuchse großpolnische Em-
pfindungen einprägt. Weil man durchaus ein
kleines Ausnahmsgesetz haben wollte, entbehrt
man zuletzt der wirksamsten Waffe.

Ob das Centrum nach dieser neuen bitteren
Erfahrung seiner Vorliebe für die polnischen
Störenfriede treu bleiben wird? Wir fürchten, ja.
Die Ultramontanen glauben, des nationalen
Sauerteiges der Polen nicht entbehren zu können,
um sich ein gutes Brot zu backen. Das Partei-
interesse überwiegt längst das rein kirchliche
Interesse. In Oesterreich offen, in Deutschland
versteckt, arbeiten die Ultramontanen an der
Lockerung des Reichsgefüges. Der Lohn für diese
untergrabende Thätigkeit wird hüben und drüben
nicht ausbleiben. Man ruft die nationalen Geister,
die man schließlich nicht zu bannen weiß.




Politische Nachrichten.
(Einberufung des Reichsrathes.)

Der
Reichsrath, soll wie nun officiös gemeldet wird,
für Donnerstag, den 23. September zu seiner
neuen Session einberufen werden. Das ist die
einzige positive Meldung, welche über die Ergeb-
nisse des österreichischen Ministerrathes vorliegt,
welcher vorgestern unter dem Vorsitze des Kaisers
stattgefunden hat.

(Die innere Lage.)

Nach der "Politik"
hatte der Präses der parlamentarischen Com-
mission der Rechten und Obmann des von der-
selben gewählten Subcomites Ritter v. Jaworski
eine längere Conserenz mit dem Ministerpräsidente[n]
Grafen Badeni. Die "Politik" fügt hinzu, es
gelte nun, für das Mitte dieses Monats wieder
zusammentretende Subcomite das noch aufzu-
arbeitende Material zusammenzustellen. Dasselbe
betrifft vornehmlich die Frage, auf welche Weise
die fortgesetzte Obstruction im Abgeordnetenhause
zu verhindern wäre. Die in dieser Richtung
zwischen der Regierung und dem Obmanne des
Subcomites der Rechten vereinbarten definitiven
Vorschläge werden dann dem Subcomite, respective
dem Plenum der parlamentarischen Commission
und den Clubs der Majorität zur Genehmigung
vorgelegt werden. Ja, haben denn die Herren
überhaupt eine Ahnung, wie sie der Obstruction
beikommen wollen? Wir glauben es nicht. -- Den
Jungtschechen widerfährt abermals ein Mißgeschick.
Die tschechischen Radicalen sehen ihnen auf
die Finger. Sie gründeten in Prag einen




[Spaltenumbruch]
ff

Die fast 13/4 Millionen Gulden (138.000
Pfd. St.) betragenden Kosten der Expedition und
der Herausgabe der Reports wurden vom eng-
lischen Parlament votirt. Leider trübt das Ver-
halten der englischen Tories das reine Bild der
Opferwilligkeit für ideale, wissenschaftliche Zwecke;
das Haus der Peers bereitete der Votirung dieser
Summe durch sein Veto wiederholt Schwierigkeiten.

Nach 19 Jahren der angestrengten fleißigen
Arbeit in den bedeutendsten zoologischen Instituten
Europas steht aber nun dennoch dieses Colossal-
werk des empirischen Wissens fertig da, als ein
für alle Zeiten den Ruhm unserer Cultur ver-
kündender Grundstein der Wissenschaft.

Gar manches schwierige und früher uner-
reichbar scheinende Problem wurde gelöst oder
doch der Lösung nahe geführt und der Forschung
wurde eine Reihe neuer Gesichtspunkte eröffnet,
welche Vieles in anderem Lichte erscheinen lassen,
worüber schon abgeklärte und fest gegründete
Ansichten existirten. Dadurch eröffnete sich uns
ein tieferes, richtigeres Verständniß des oceanischen
Haushaltes.

Vor unserem Auge ersteht beim Studium
dieser gewaltigen Folianten ein übersichtliches,
farbenprächtiges und plastisches Bild jener Welt,
die das zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckende
Weltmeer bevölkert. Die Hauptbedeutung der
Challenger-Forschungen liegt nicht in der
außerordentlichen Erweiterung des Wissens
durch die Beschreibung Tausender und aber
[Spaltenumbruch] Tausender neuer, bisher ungekannter Thier-
und Pflanzenformen, sondern darin, daß die
wissenschaftliche Erkenntniß der Natur dadurch be-
deutend an Tiefe gewonnen hat. Denn die Menge
der gekannten oceanischen Wesen bleibt nur ein
chaotisches, unverständliches Gewimmel ohne die
Kenntniß jener ewigen Gesetze, welche deren Ver-
breitung bestimmen, nach denen die Bedeutung
und die Rolle jedes einzelnen Mitgliedes dieser
Fauna und Flora sich richtet und auf welchen
der durch die Organismenwelt vermittelte Stoff-
umsatz der Oceane basirt.

Wir wissen jetzt, daß die Ufer der Welt-
meere von anderen lebenden Wesen bewohnt sind,
als der freie Spiegel dieser Meere; daß die
Oberfläche eine andere Thiergenossenschaft beher-
bergt, als die unteren Wasserschichten; wir er-
kannten, daß die ewige Finsterniß der tiefsten
Meeresgründe nicht öde und verlassen, sondern
von eigenartigen, urweltlich und absonderlich ge-
formten Wesen bevölkert ist, und wir können nun
auch in großen Zügen jenen Nexus, der zwischen
der Formenvariabilität und den ökologischen Be-
dingungen der Meeresfauna besteht. Die Millio-
nen lebender Meeresgeschöpfe sind keine von Zufall
zusammengetragene Menge, sondern in ihrer Ge-
sammtheit ein, durch tausend Fäden gegenseitiger
Beziehungen verknüpfter wirksamer, mächtiger
und unentbehrlicher Factor des organischen Lebens.
Der Platz, das Verhältniß jedes einzelnen Mit-
gliedes dieser Welt ist bestimmt, hat seine Auf-
gabe und resultirt Wechselwirkungen in dem großen
[Spaltenumbruch] und in Vielem noch so räthselhaften Kreislaufe
der Natur.

Um jedoch zu diesem höheren Standpunkte
zu gelangen und einen Einblick in dieses so
wundersam zweckmäßige Getriebe einer großen
Lebensmaschinerie zu gewinnen, bedurfte es einer
so zweckbewußten und von einheitlichen Gesichts-
puncten geleiteten Durchforschung der Weltmeere,
wie sie eben die Challenger-Expedition vollführte,
Sie brachte die bis dahin bekannten unzähligen
Details in einen einheitlichen Rahmen und zeigte
uns zuerst den Ocean als einen Organismus,
als einenen Staat, in dem Jeder, für sich allein
auch noch so unbedeutende Bürger nothwendig,
wichtig und ohne Störung des Ganzen nicht zu
missen ist.

Aus dem scheinbar so nutzlosen Wust von
einzelnen trockenen Daten krystallifirten sich Ideen
von allgemeiner Bedeutung, aus dem Studium
Tausender absonderlicher Geschöpfe resultirten fest-
stehende Gesetze des Werdens und Vergehens und
aus den stillen Arbeitszimmern quoll eine
Gedankenfülle, erhob sich ein ungeheures, gran-
dioses Geistesgebäude. Es verkündet den edelsten
Fortschritt: die tiefere Erkenntniß des ewig Vor-
handenen, dessen, was wir eben Natur nennen.

Die Challenger-Expedition hob [e]ndgiltig den
Schleier von den in ewige Nacht gehüllten, tief-
sten Abgründen des Meeres.

Ein Bild, so bizarr und seltsam, wie es
nur fiebernde Phantasien ersinnen könnte, ersteht
vor unseren Augen, das Bild längst entschwundener


[Spaltenumbruch]
daf

nomie begnügen müſſen und auch die Anſprüche
der Pforte werden ſich viel leichter nach, als vor
dem Friedensſchluſſe behandeln laſſen. In jedem
Falle kann der bevorſtehende Abſchluß des Friedens
als eines jener Ereigniſſe betrachtet werden, zu
welchem ſich nicht nur die betheiligten Parteien,
ſondern auch Europa Glück wünſchen kann, weil
durch denſelben einer Situation ein Ende gemacht
wird, welche ſchwere Nachtheile, vielleicht ſogar
Gefahren für dasſelbe hätte im Gefolge haben
können.




Der ultramontane Zauberlehrling.


Der Fürſtbiſchof von Breslau, Dr. Kopp,
iſt zweifellos ein treuer Diener ſeiner Kirche und
wird von den Machtanſprüchen derſelben auch
nicht das Geringſte preisgeben. Er ſucht nur ein
leidliches Verhältniß zur Staatsgewalt zu erhalten
und die oberſchleſiſchen Katholiken, die ſich des
waſſerpolakiſchen Dialektes bedienen, nicht dem an-
griffsluſtigen Polonismus anheimfallen zu laſſen.
Nicht etwa, weil die deutſche Geſinnung in ihnen
vorherrſchend iſt, ſondern in Erkenntniß der Ge-
fahren, die ein Ueberfluthen des nationalpolniſchen
Elementes den kirchlichen Intereſſen ſelbſt be-
reiten müßte. Abgeſehen von der argen Zwie-
tracht, die zwiſchen deutſchen und polniſchen Bauern
oder Arbeitern katholiſcher Confeſſion bereits
heraufbeſchworen worden iſt, hat es ſich gezeigt,
daß dem Clerus immer mehr die Zügel der po-
litiſchen Führung entgleiten. Das trat ſchon bei
den letzten Reichstagswahlen auffällig hervor,
als in verſchiedenen Wahlkreiſen die ultramon-
tanen Candidaten ihren national-polniſchen Gegnern
unterlagen. Das Centrum, das in Poſen dem
Polonismus Handlangerdienſte leiſtete, kam dadurch
in ſchlimme Verlegenheiten, über die es ſich nun
hinaushalf, indem es beide Augen zudrückte und
die Sieger, trotz ihrer Widerhaarigkeit gegen die
Parteiordre, in ſeine Reihen aufnahm.

Seitdem machte die polniſche Propaganda
in Oberſchleſien weitere Fortſchritte, ſchuf ſich
eine eigene Publiciſtik und nützte zugleich die für
ultramontane Zwecke geſchaffenen Organiſationen
nach Kräften aus. Dem Biſchof Kopp wird all-
mählich bange vor der agitatoriſchen Unver-
ſchämtheit, welche die Schäfchen aus ſeinem Stalle
entwendet und auf die Weide des nationalen
Kampfes hinaustreibt. Er will aufräumen mit
jenen Vereinen, welche rein clerikalen Beſtrebungen
dienen ſollten, nun aber angeſteckt ſind durch den
umſichgreifenden Polonismus. Und da zeigt ſich
zur allgemeinen Ueberraſchung, daß der kirchliche
Einfluß, die fromme Bevormundung in dieſen
Vereinen bereits völlig gebrochen ſind, daß die
Unbotmäßigkeit wider biſchöfliche Anordnungen
dagegen erwacht iſt.


[Spaltenumbruch]

Dr. Kopp hat ſeinen erſten Verſuch mit den
polniſch-katholiſchen „Aloyſius-Vereinen“ unter-
nommen und iſt kläglich geſcheitert. Dieſe Vereine
ſollten Halbwüchſige und Jünglinge für den
ultramontanen Heerbann drillen, marſchiren aber
jetzt unter der Fahne des weißen polniſchen
Adlers. Um ſie wieder in Zucht zu nehmen,
gedachte Kopp ſie in „Marianiſche Congregationen“
zu verwandeln, die bekannten jeſuitiſchen Jugend-
wehren. Als verfloſſene Woche der von Kopp
beauftragte Erzprieſter in Beuthen den Willen
des Biſchofs kundgab und die Auflöſung des
dortigen Aloyſius-Vereines, Zuwendung ſeines
Vermögens für einen Kirchenbau verlangte, ſtieß
der Bevollmächtigte auf den heftigſten Widerſtand.
Die Geiſtlichen entfernten ſich und nun beſchloß
der Verein, ſeine Satzungen zu ändern. Der
Vorſitz, den bisher nur ein Cleriker führen
durfte, wurde auch Laien zugänglich gemacht und
ſogleich ein ſolcher erwählt. Das Vereins-Schoß-
kind r[e]bellirte ſomit gegen den kirchlichen Vater.
Zwei andere Vereine gleicher Art verweigerten
ebenfalls die Auflöſung und nur einer unterwarf
ſich der Anordnung des Biſchofs. In der „Ger-
mania“ leſen wir die bewegliche Klage: „Der
Beuthener Verein hat ſich von der Führung der
Geiſtlichkeit losgeſagt, der Autorität der höchſten
kirchlichen Behörde die Anerkennung verſagt.“
Sind wir auch wenig erbaut von der Ausbreitung
poloniſirender Tendenzen in Oberſchleſien, ſo
bereitet es uns doch einige Schadenfreude,
daß der Ultramontanismus, der ſo lange mit
dem Feuer des ſlaviſchen Chauvinismus geſpielt
hat, ſich jetzt endlich tüchtig die Finger ver-
brennt.

Es iſt nicht zu überſehen, ſchreibt man der
„Grazer Tagespoſt“ aus Berlin, daß die Vor-
gänge im Hauſe des Nachbars weſentlich zur
Erſtarkung des Polonismus in Schleſien bei-
getragen haben. Ohne das Badeni’ſche Syſtem in
Oeſterreich, welches den ſlaviſchen Größenwahn
nährt und in erſter Linie die Hoffnungen des
Großpolenthums fördert, wären die ſchleſiſchen
Waſſerpolaken nicht der gewohnten Kirchenzucht
entſchlüpft. Die Anſteckungsſtoff kommt von jen-
ſeits der ſchwarzgelben Grenze herüber und erfüllt
die unterwürfigen Aloyſier mit phantaſtiſchen Zu-
kunftsträumen. Es iſt kein Zufall, daß die kleine
Revolution im clericalen Lager ſich unmittelbar nach
dem Polentag in Teſchen einſtellt. Man ſieht
daraus, daß die polniſche Strömung in Oeſter-
reich nicht nur die ſtammesbrüderlichen Sympa-
thien für die bedrängten Deutſchöſterreicher wach
rüttelt, ſondern bereits unſere innere Politik
ernſtlich zu beſchäftigen beginnt. Was dem B[r]es-
lauer Biſchof nicht gelang, kann die preußiſche
Staatsverwaltung nachholen, indem ſie gegen die
geduldeten Vereine einſchreitet, die ausſchließlich
zu Werkzeugen [d]es Polonismus geworden ſind
und den Frieden in Oberſchleſien ernſthaftſtören.
[Spaltenumbruch] Wir gehen kaum irre in der Annahme, daß zur
Stunde ein ſolches Einſchreiten erwogen wird.
Hätten ſich die preußiſche Regierung und der
wenig geſchickte Miniſter von der Recke begnügt,
bei der Vereinsgeſetzvorlage das nationalliberale
Angebot des Ausſchluſſes von Minderjährigen
aus Vereinen anzunehmen, die politiſche Zwecke
verfolgen, ſie beſäßen heute eine recht brauchbare
Handhabe wider die oberſchleſiſche Conföderation,
welche auch dem Nachwuchſe großpolniſche Em-
pfindungen einprägt. Weil man durchaus ein
kleines Ausnahmsgeſetz haben wollte, entbehrt
man zuletzt der wirkſamſten Waffe.

Ob das Centrum nach dieſer neuen bitteren
Erfahrung ſeiner Vorliebe für die polniſchen
Störenfriede treu bleiben wird? Wir fürchten, ja.
Die Ultramontanen glauben, des nationalen
Sauerteiges der Polen nicht entbehren zu können,
um ſich ein gutes Brot zu backen. Das Partei-
intereſſe überwiegt längſt das rein kirchliche
Intereſſe. In Oeſterreich offen, in Deutſchland
verſteckt, arbeiten die Ultramontanen an der
Lockerung des Reichsgefüges. Der Lohn für dieſe
untergrabende Thätigkeit wird hüben und drüben
nicht ausbleiben. Man ruft die nationalen Geiſter,
die man ſchließlich nicht zu bannen weiß.




Politiſche Nachrichten.
(Einberufung des Reichsrathes.)

Der
Reichsrath, ſoll wie nun officiös gemeldet wird,
für Donnerſtag, den 23. September zu ſeiner
neuen Seſſion einberufen werden. Das iſt die
einzige poſitive Meldung, welche über die Ergeb-
niſſe des öſterreichiſchen Miniſterrathes vorliegt,
welcher vorgeſtern unter dem Vorſitze des Kaiſers
ſtattgefunden hat.

(Die innere Lage.)

Nach der „Politik“
hatte der Präſes der parlamentariſchen Com-
miſſion der Rechten und Obmann des von der-
ſelben gewählten Subcomités Ritter v. Jaworski
eine längere Conſerenz mit dem Miniſterpräſidente[n]
Grafen Badeni. Die „Politik“ fügt hinzu, es
gelte nun, für das Mitte dieſes Monats wieder
zuſammentretende Subcomité das noch aufzu-
arbeitende Material zuſammenzuſtellen. Dasſelbe
betrifft vornehmlich die Frage, auf welche Weiſe
die fortgeſetzte Obſtruction im Abgeordnetenhauſe
zu verhindern wäre. Die in dieſer Richtung
zwiſchen der Regierung und dem Obmanne des
Subcomités der Rechten vereinbarten definitiven
Vorſchläge werden dann dem Subcomité, reſpective
dem Plenum der parlamentariſchen Commiſſion
und den Clubs der Majorität zur Genehmigung
vorgelegt werden. Ja, haben denn die Herren
überhaupt eine Ahnung, wie ſie der Obſtruction
beikommen wollen? Wir glauben es nicht. — Den
Jungtſchechen widerfährt abermals ein Mißgeſchick.
Die tſchechiſchen Radicalen ſehen ihnen auf
die Finger. Sie gründeten in Prag einen




[Spaltenumbruch]
ff

Die faſt 1¾ Millionen Gulden (138.000
Pfd. St.) betragenden Koſten der Expedition und
der Herausgabe der Reports wurden vom eng-
liſchen Parlament votirt. Leider trübt das Ver-
halten der engliſchen Tories das reine Bild der
Opferwilligkeit für ideale, wiſſenſchaftliche Zwecke;
das Haus der Peers bereitete der Votirung dieſer
Summe durch ſein Veto wiederholt Schwierigkeiten.

Nach 19 Jahren der angeſtrengten fleißigen
Arbeit in den bedeutendſten zoologiſchen Inſtituten
Europas ſteht aber nun dennoch dieſes Coloſſal-
werk des empiriſchen Wiſſens fertig da, als ein
für alle Zeiten den Ruhm unſerer Cultur ver-
kündender Grundſtein der Wiſſenſchaft.

Gar manches ſchwierige und früher uner-
reichbar ſcheinende Problem wurde gelöſt oder
doch der Löſung nahe geführt und der Forſchung
wurde eine Reihe neuer Geſichtspunkte eröffnet,
welche Vieles in anderem Lichte erſcheinen laſſen,
worüber ſchon abgeklärte und feſt gegründete
Anſichten exiſtirten. Dadurch eröffnete ſich uns
ein tieferes, richtigeres Verſtändniß des oceaniſchen
Haushaltes.

Vor unſerem Auge erſteht beim Studium
dieſer gewaltigen Folianten ein überſichtliches,
farbenprächtiges und plaſtiſches Bild jener Welt,
die das zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckende
Weltmeer bevölkert. Die Hauptbedeutung der
Challenger-Forſchungen liegt nicht in der
außerordentlichen Erweiterung des Wiſſens
durch die Beſchreibung Tauſender und aber
[Spaltenumbruch] Tauſender neuer, bisher ungekannter Thier-
und Pflanzenformen, ſondern darin, daß die
wiſſenſchaftliche Erkenntniß der Natur dadurch be-
deutend an Tiefe gewonnen hat. Denn die Menge
der gekannten oceaniſchen Weſen bleibt nur ein
chaotiſches, unverſtändliches Gewimmel ohne die
Kenntniß jener ewigen Geſetze, welche deren Ver-
breitung beſtimmen, nach denen die Bedeutung
und die Rolle jedes einzelnen Mitgliedes dieſer
Fauna und Flora ſich richtet und auf welchen
der durch die Organismenwelt vermittelte Stoff-
umſatz der Oceane baſirt.

Wir wiſſen jetzt, daß die Ufer der Welt-
meere von anderen lebenden Weſen bewohnt ſind,
als der freie Spiegel dieſer Meere; daß die
Oberfläche eine andere Thiergenoſſenſchaft beher-
bergt, als die unteren Waſſerſchichten; wir er-
kannten, daß die ewige Finſterniß der tiefſten
Meeresgründe nicht öde und verlaſſen, ſondern
von eigenartigen, urweltlich und abſonderlich ge-
formten Weſen bevölkert iſt, und wir können nun
auch in großen Zügen jenen Nexus, der zwiſchen
der Formenvariabilität und den ökologiſchen Be-
dingungen der Meeresfauna beſteht. Die Millio-
nen lebender Meeresgeſchöpfe ſind keine von Zufall
zuſammengetragene Menge, ſondern in ihrer Ge-
ſammtheit ein, durch tauſend Fäden gegenſeitiger
Beziehungen verknüpfter wirkſamer, mächtiger
und unentbehrlicher Factor des organiſchen Lebens.
Der Platz, das Verhältniß jedes einzelnen Mit-
gliedes dieſer Welt iſt beſtimmt, hat ſeine Auf-
gabe und reſultirt Wechſelwirkungen in dem großen
[Spaltenumbruch] und in Vielem noch ſo räthſelhaften Kreislaufe
der Natur.

Um jedoch zu dieſem höheren Standpunkte
zu gelangen und einen Einblick in dieſes ſo
wunderſam zweckmäßige Getriebe einer großen
Lebensmaſchinerie zu gewinnen, bedurfte es einer
ſo zweckbewußten und von einheitlichen Geſichts-
puncten geleiteten Durchforſchung der Weltmeere,
wie ſie eben die Challenger-Expedition vollführte,
Sie brachte die bis dahin bekannten unzähligen
Details in einen einheitlichen Rahmen und zeigte
uns zuerſt den Ocean als einen Organismus,
als einenen Staat, in dem Jeder, für ſich allein
auch noch ſo unbedeutende Bürger nothwendig,
wichtig und ohne Störung des Ganzen nicht zu
miſſen iſt.

Aus dem ſcheinbar ſo nutzloſen Wuſt von
einzelnen trockenen Daten kryſtallifirten ſich Ideen
von allgemeiner Bedeutung, aus dem Studium
Tauſender abſonderlicher Geſchöpfe reſultirten feſt-
ſtehende Geſetze des Werdens und Vergehens und
aus den ſtillen Arbeitszimmern quoll eine
Gedankenfülle, erhob ſich ein ungeheures, gran-
dioſes Geiſtesgebäude. Es verkündet den edelſten
Fortſchritt: die tiefere Erkenntniß des ewig Vor-
handenen, deſſen, was wir eben Natur nennen.

Die Challenger-Expedition hob [e]ndgiltig den
Schleier von den in ewige Nacht gehüllten, tief-
ſten Abgründen des Meeres.

Ein Bild, ſo bizarr und ſeltſam, wie es
nur fiebernde Phantaſien erſinnen könnte, erſteht
vor unſeren Augen, das Bild längſt entſchwundener


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[[2]/0002] daf nomie begnügen müſſen und auch die Anſprüche der Pforte werden ſich viel leichter nach, als vor dem Friedensſchluſſe behandeln laſſen. In jedem Falle kann der bevorſtehende Abſchluß des Friedens als eines jener Ereigniſſe betrachtet werden, zu welchem ſich nicht nur die betheiligten Parteien, ſondern auch Europa Glück wünſchen kann, weil durch denſelben einer Situation ein Ende gemacht wird, welche ſchwere Nachtheile, vielleicht ſogar Gefahren für dasſelbe hätte im Gefolge haben können. Der ultramontane Zauberlehrling. Olmütz, 10. September. Der Fürſtbiſchof von Breslau, Dr. Kopp, iſt zweifellos ein treuer Diener ſeiner Kirche und wird von den Machtanſprüchen derſelben auch nicht das Geringſte preisgeben. Er ſucht nur ein leidliches Verhältniß zur Staatsgewalt zu erhalten und die oberſchleſiſchen Katholiken, die ſich des waſſerpolakiſchen Dialektes bedienen, nicht dem an- griffsluſtigen Polonismus anheimfallen zu laſſen. Nicht etwa, weil die deutſche Geſinnung in ihnen vorherrſchend iſt, ſondern in Erkenntniß der Ge- fahren, die ein Ueberfluthen des nationalpolniſchen Elementes den kirchlichen Intereſſen ſelbſt be- reiten müßte. Abgeſehen von der argen Zwie- tracht, die zwiſchen deutſchen und polniſchen Bauern oder Arbeitern katholiſcher Confeſſion bereits heraufbeſchworen worden iſt, hat es ſich gezeigt, daß dem Clerus immer mehr die Zügel der po- litiſchen Führung entgleiten. Das trat ſchon bei den letzten Reichstagswahlen auffällig hervor, als in verſchiedenen Wahlkreiſen die ultramon- tanen Candidaten ihren national-polniſchen Gegnern unterlagen. Das Centrum, das in Poſen dem Polonismus Handlangerdienſte leiſtete, kam dadurch in ſchlimme Verlegenheiten, über die es ſich nun hinaushalf, indem es beide Augen zudrückte und die Sieger, trotz ihrer Widerhaarigkeit gegen die Parteiordre, in ſeine Reihen aufnahm. Seitdem machte die polniſche Propaganda in Oberſchleſien weitere Fortſchritte, ſchuf ſich eine eigene Publiciſtik und nützte zugleich die für ultramontane Zwecke geſchaffenen Organiſationen nach Kräften aus. Dem Biſchof Kopp wird all- mählich bange vor der agitatoriſchen Unver- ſchämtheit, welche die Schäfchen aus ſeinem Stalle entwendet und auf die Weide des nationalen Kampfes hinaustreibt. Er will aufräumen mit jenen Vereinen, welche rein clerikalen Beſtrebungen dienen ſollten, nun aber angeſteckt ſind durch den umſichgreifenden Polonismus. Und da zeigt ſich zur allgemeinen Ueberraſchung, daß der kirchliche Einfluß, die fromme Bevormundung in dieſen Vereinen bereits völlig gebrochen ſind, daß die Unbotmäßigkeit wider biſchöfliche Anordnungen dagegen erwacht iſt. Dr. Kopp hat ſeinen erſten Verſuch mit den polniſch-katholiſchen „Aloyſius-Vereinen“ unter- nommen und iſt kläglich geſcheitert. Dieſe Vereine ſollten Halbwüchſige und Jünglinge für den ultramontanen Heerbann drillen, marſchiren aber jetzt unter der Fahne des weißen polniſchen Adlers. Um ſie wieder in Zucht zu nehmen, gedachte Kopp ſie in „Marianiſche Congregationen“ zu verwandeln, die bekannten jeſuitiſchen Jugend- wehren. Als verfloſſene Woche der von Kopp beauftragte Erzprieſter in Beuthen den Willen des Biſchofs kundgab und die Auflöſung des dortigen Aloyſius-Vereines, Zuwendung ſeines Vermögens für einen Kirchenbau verlangte, ſtieß der Bevollmächtigte auf den heftigſten Widerſtand. Die Geiſtlichen entfernten ſich und nun beſchloß der Verein, ſeine Satzungen zu ändern. Der Vorſitz, den bisher nur ein Cleriker führen durfte, wurde auch Laien zugänglich gemacht und ſogleich ein ſolcher erwählt. Das Vereins-Schoß- kind rebellirte ſomit gegen den kirchlichen Vater. Zwei andere Vereine gleicher Art verweigerten ebenfalls die Auflöſung und nur einer unterwarf ſich der Anordnung des Biſchofs. In der „Ger- mania“ leſen wir die bewegliche Klage: „Der Beuthener Verein hat ſich von der Führung der Geiſtlichkeit losgeſagt, der Autorität der höchſten kirchlichen Behörde die Anerkennung verſagt.“ Sind wir auch wenig erbaut von der Ausbreitung poloniſirender Tendenzen in Oberſchleſien, ſo bereitet es uns doch einige Schadenfreude, daß der Ultramontanismus, der ſo lange mit dem Feuer des ſlaviſchen Chauvinismus geſpielt hat, ſich jetzt endlich tüchtig die Finger ver- brennt. Es iſt nicht zu überſehen, ſchreibt man der „Grazer Tagespoſt“ aus Berlin, daß die Vor- gänge im Hauſe des Nachbars weſentlich zur Erſtarkung des Polonismus in Schleſien bei- getragen haben. Ohne das Badeni’ſche Syſtem in Oeſterreich, welches den ſlaviſchen Größenwahn nährt und in erſter Linie die Hoffnungen des Großpolenthums fördert, wären die ſchleſiſchen Waſſerpolaken nicht der gewohnten Kirchenzucht entſchlüpft. Die Anſteckungsſtoff kommt von jen- ſeits der ſchwarzgelben Grenze herüber und erfüllt die unterwürfigen Aloyſier mit phantaſtiſchen Zu- kunftsträumen. Es iſt kein Zufall, daß die kleine Revolution im clericalen Lager ſich unmittelbar nach dem Polentag in Teſchen einſtellt. Man ſieht daraus, daß die polniſche Strömung in Oeſter- reich nicht nur die ſtammesbrüderlichen Sympa- thien für die bedrängten Deutſchöſterreicher wach rüttelt, ſondern bereits unſere innere Politik ernſtlich zu beſchäftigen beginnt. Was dem Bres- lauer Biſchof nicht gelang, kann die preußiſche Staatsverwaltung nachholen, indem ſie gegen die geduldeten Vereine einſchreitet, die ausſchließlich zu Werkzeugen des Polonismus geworden ſind und den Frieden in Oberſchleſien ernſthaftſtören. Wir gehen kaum irre in der Annahme, daß zur Stunde ein ſolches Einſchreiten erwogen wird. Hätten ſich die preußiſche Regierung und der wenig geſchickte Miniſter von der Recke begnügt, bei der Vereinsgeſetzvorlage das nationalliberale Angebot des Ausſchluſſes von Minderjährigen aus Vereinen anzunehmen, die politiſche Zwecke verfolgen, ſie beſäßen heute eine recht brauchbare Handhabe wider die oberſchleſiſche Conföderation, welche auch dem Nachwuchſe großpolniſche Em- pfindungen einprägt. Weil man durchaus ein kleines Ausnahmsgeſetz haben wollte, entbehrt man zuletzt der wirkſamſten Waffe. Ob das Centrum nach dieſer neuen bitteren Erfahrung ſeiner Vorliebe für die polniſchen Störenfriede treu bleiben wird? Wir fürchten, ja. Die Ultramontanen glauben, des nationalen Sauerteiges der Polen nicht entbehren zu können, um ſich ein gutes Brot zu backen. Das Partei- intereſſe überwiegt längſt das rein kirchliche Intereſſe. In Oeſterreich offen, in Deutſchland verſteckt, arbeiten die Ultramontanen an der Lockerung des Reichsgefüges. Der Lohn für dieſe untergrabende Thätigkeit wird hüben und drüben nicht ausbleiben. Man ruft die nationalen Geiſter, die man ſchließlich nicht zu bannen weiß. Politiſche Nachrichten. (Einberufung des Reichsrathes.) Der Reichsrath, ſoll wie nun officiös gemeldet wird, für Donnerſtag, den 23. September zu ſeiner neuen Seſſion einberufen werden. Das iſt die einzige poſitive Meldung, welche über die Ergeb- niſſe des öſterreichiſchen Miniſterrathes vorliegt, welcher vorgeſtern unter dem Vorſitze des Kaiſers ſtattgefunden hat. (Die innere Lage.) Nach der „Politik“ hatte der Präſes der parlamentariſchen Com- miſſion der Rechten und Obmann des von der- ſelben gewählten Subcomités Ritter v. Jaworski eine längere Conſerenz mit dem Miniſterpräſidenten Grafen Badeni. Die „Politik“ fügt hinzu, es gelte nun, für das Mitte dieſes Monats wieder zuſammentretende Subcomité das noch aufzu- arbeitende Material zuſammenzuſtellen. Dasſelbe betrifft vornehmlich die Frage, auf welche Weiſe die fortgeſetzte Obſtruction im Abgeordnetenhauſe zu verhindern wäre. Die in dieſer Richtung zwiſchen der Regierung und dem Obmanne des Subcomités der Rechten vereinbarten definitiven Vorſchläge werden dann dem Subcomité, reſpective dem Plenum der parlamentariſchen Commiſſion und den Clubs der Majorität zur Genehmigung vorgelegt werden. Ja, haben denn die Herren überhaupt eine Ahnung, wie ſie der Obſtruction beikommen wollen? Wir glauben es nicht. — Den Jungtſchechen widerfährt abermals ein Mißgeſchick. Die tſchechiſchen Radicalen ſehen ihnen auf die Finger. Sie gründeten in Prag einen ff Die faſt 1¾ Millionen Gulden (138.000 Pfd. St.) betragenden Koſten der Expedition und der Herausgabe der Reports wurden vom eng- liſchen Parlament votirt. Leider trübt das Ver- halten der engliſchen Tories das reine Bild der Opferwilligkeit für ideale, wiſſenſchaftliche Zwecke; das Haus der Peers bereitete der Votirung dieſer Summe durch ſein Veto wiederholt Schwierigkeiten. Nach 19 Jahren der angeſtrengten fleißigen Arbeit in den bedeutendſten zoologiſchen Inſtituten Europas ſteht aber nun dennoch dieſes Coloſſal- werk des empiriſchen Wiſſens fertig da, als ein für alle Zeiten den Ruhm unſerer Cultur ver- kündender Grundſtein der Wiſſenſchaft. Gar manches ſchwierige und früher uner- reichbar ſcheinende Problem wurde gelöſt oder doch der Löſung nahe geführt und der Forſchung wurde eine Reihe neuer Geſichtspunkte eröffnet, welche Vieles in anderem Lichte erſcheinen laſſen, worüber ſchon abgeklärte und feſt gegründete Anſichten exiſtirten. Dadurch eröffnete ſich uns ein tieferes, richtigeres Verſtändniß des oceaniſchen Haushaltes. Vor unſerem Auge erſteht beim Studium dieſer gewaltigen Folianten ein überſichtliches, farbenprächtiges und plaſtiſches Bild jener Welt, die das zwei Drittel der Erdoberfläche bedeckende Weltmeer bevölkert. Die Hauptbedeutung der Challenger-Forſchungen liegt nicht in der außerordentlichen Erweiterung des Wiſſens durch die Beſchreibung Tauſender und aber Tauſender neuer, bisher ungekannter Thier- und Pflanzenformen, ſondern darin, daß die wiſſenſchaftliche Erkenntniß der Natur dadurch be- deutend an Tiefe gewonnen hat. Denn die Menge der gekannten oceaniſchen Weſen bleibt nur ein chaotiſches, unverſtändliches Gewimmel ohne die Kenntniß jener ewigen Geſetze, welche deren Ver- breitung beſtimmen, nach denen die Bedeutung und die Rolle jedes einzelnen Mitgliedes dieſer Fauna und Flora ſich richtet und auf welchen der durch die Organismenwelt vermittelte Stoff- umſatz der Oceane baſirt. Wir wiſſen jetzt, daß die Ufer der Welt- meere von anderen lebenden Weſen bewohnt ſind, als der freie Spiegel dieſer Meere; daß die Oberfläche eine andere Thiergenoſſenſchaft beher- bergt, als die unteren Waſſerſchichten; wir er- kannten, daß die ewige Finſterniß der tiefſten Meeresgründe nicht öde und verlaſſen, ſondern von eigenartigen, urweltlich und abſonderlich ge- formten Weſen bevölkert iſt, und wir können nun auch in großen Zügen jenen Nexus, der zwiſchen der Formenvariabilität und den ökologiſchen Be- dingungen der Meeresfauna beſteht. Die Millio- nen lebender Meeresgeſchöpfe ſind keine von Zufall zuſammengetragene Menge, ſondern in ihrer Ge- ſammtheit ein, durch tauſend Fäden gegenſeitiger Beziehungen verknüpfter wirkſamer, mächtiger und unentbehrlicher Factor des organiſchen Lebens. Der Platz, das Verhältniß jedes einzelnen Mit- gliedes dieſer Welt iſt beſtimmt, hat ſeine Auf- gabe und reſultirt Wechſelwirkungen in dem großen und in Vielem noch ſo räthſelhaften Kreislaufe der Natur. Um jedoch zu dieſem höheren Standpunkte zu gelangen und einen Einblick in dieſes ſo wunderſam zweckmäßige Getriebe einer großen Lebensmaſchinerie zu gewinnen, bedurfte es einer ſo zweckbewußten und von einheitlichen Geſichts- puncten geleiteten Durchforſchung der Weltmeere, wie ſie eben die Challenger-Expedition vollführte, Sie brachte die bis dahin bekannten unzähligen Details in einen einheitlichen Rahmen und zeigte uns zuerſt den Ocean als einen Organismus, als einenen Staat, in dem Jeder, für ſich allein auch noch ſo unbedeutende Bürger nothwendig, wichtig und ohne Störung des Ganzen nicht zu miſſen iſt. Aus dem ſcheinbar ſo nutzloſen Wuſt von einzelnen trockenen Daten kryſtallifirten ſich Ideen von allgemeiner Bedeutung, aus dem Studium Tauſender abſonderlicher Geſchöpfe reſultirten feſt- ſtehende Geſetze des Werdens und Vergehens und aus den ſtillen Arbeitszimmern quoll eine Gedankenfülle, erhob ſich ein ungeheures, gran- dioſes Geiſtesgebäude. Es verkündet den edelſten Fortſchritt: die tiefere Erkenntniß des ewig Vor- handenen, deſſen, was wir eben Natur nennen. Die Challenger-Expedition hob endgiltig den Schleier von den in ewige Nacht gehüllten, tief- ſten Abgründen des Meeres. Ein Bild, ſo bizarr und ſeltſam, wie es nur fiebernde Phantaſien erſinnen könnte, erſteht vor unſeren Augen, das Bild längſt entſchwundener

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 206, Olmütz, 10.09.1897, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches206_1897/2>, abgerufen am 22.11.2024.