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Mährisches Tagblatt. Nr. 204, Olmütz, 05.09.1888.

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[Spaltenumbruch]

wurde Prinzessin von Wales und eines Tages wird
sie Königin von Großbrittanien und Irland und
Kaiserin von Indien sein. Vorläufig ist sie heiter,
elegant, die Königin der Mode; die Leiterin aller
gesellschaftlichen Vergnügungen des Hochadels, und
was noch mehr als Alles, eine glückliche Frau ...
Aus Sophie-Marie aber ist Maria-Feodorowna-
Dagmar, Kaiserin von Rußland, geworden. Ihre
Macht erstreckt sich von einem Ende der Welt bis
zum andern urd der sanfte Muschik, wie der wilde
Tartar sehen in ihr die Kaiserin, die gute Kaiserin
die, ohne daß es den Anschein hätte, Alles beherrscht,
was in ihren Bannkreis tritt, und auch der Czar
selbst macht keine Ausnahme von dieser Regel; sie
ist sanft, gütig und schön geblieben, wie sie es vor
fünfundzwanzig Jahren war, als sie nach Moskau
kam; ihren langen Hals gebeugt unter der Last der
Perlen und Brillanten, glich sie nicht einer Frau,
sondern einem jener von Edelsteinen umrahmten Hei-
ligenbilder, wie man sie in russischen Sanctuarien
findet; ihre großen schwarzen Augen leuchteten aus
einem Antlitz hervor, das an diesem Tage noch
bleicher war, als gewöhnlich! sie war gleichsam das
lebende Bildniß mildthätiger Größe. Und in diesem
Rußland, wo es so Viele gibt, die gar nichts ver-
ehren, fiel nie ein Wort gegen die Czarin. Man
weiß, daß sie gütig ist gegen die Armen, hilfreich
den Betrübten und trostspendend den Verzweifelnden
und deshalb liebt man Maria-Feodorowna überall,
wo man der Hoffnung bedarf ... Und das dritte
kleine Mädchen ist Thyra, Herzogin von Cumberland
geworden; sie wäre heute Königin von Hannover,
wenn das Schicksal es nicht anders gewollt hätte.
In Jugenheim nannte man sie die "Kleine" und
das ist sie für die Familie noch immer geblieben.
Man liebt und verhätschelt sie; die beiden großen
Schwestern vergöttern sie. Sie haben immer die
Miene, als wollten sie Verzeihung von ihr erbitten,
daß sie keine Krone für sie haben. Was kümmert
sie aber eine Krone, trägt sie doch eine andere, die
Dornenkrone. Sie ist bleich und kränklich und be-
trauert wohl die schönen Tage der Vergangenheit,
wo sie ein kleines Mädchen, wo sie glücklich war.
Und jüngst befanden sich diese drei Schwestern ver-
einigt in der reizenden Gegend von Gmunden; Arm
in Arm wandelten Alexandra, Dagmar und Thyra
durch die Wunder der Alpenwelt. Hier sind sie nicht
Kaiserin, Prinzessin und Herzogin, sondern bloß drei
Schwestern, die kleinen Mädchen von Jugenheim!

(Wolkenbrüche und Hochwasser.)

Aus
Budweis wird unterm 3. d. M. berichtet: Gestern
Nachts ist ein verheerender Wolkenbruch über
Gutwasser und die umliegenden Anhöhen nieder-
gegangen. Die von dort nach Budweis fließenden
Bäche sind ausgetreten und haben die ganze
Wiener Vorstadt überfluthet. Um 5 Uhr Morgens
wurde die Feuerwehr alarmirt und eilte mit
Kähnen den Gefährdeten zu Hilfe. Die ebenerdigen
Wohnungen stehen unter Wasser; auf den Straßen
strömt das Wasser um mehr als Meterhöhe. Ganz
Budweis ist in Aufregung. Das Wasser ist auch
in der Wiener Vorstadt noch im Stcigen. Durch
die Maltsch wurde ein anderer Stadttheil unter
Wasser gesetzt. Die große neue hölzerne Brücke
über die Maltsch wurde vom Wasser mit Gewalt
weggerissen. Die anderen Brücken, selbst die Eisen-
brücken sind sehr gefährdet. Nebst dem östlichen ist auch
der westliche Stadttheil unter Wasser. Ringsum ist
Alles überfluthet. -- Die letzten Nachrichten aus
Budweis melden, daß die ganze Stadt unter Wasser
stehe und einen trostlosen Anblick biete. Der Ver-
kehr ist nur mittels Kähnen möglich. Der Bahn-
verkehr nach Linz und Pilsen ist unterbrochen.
Durch die Moldau, Maltsch und Wottawa sind
weile Strecken überfluthet. Die Teiche bei Pisek,
welche die Dämme durchbrachen, überschwemmen
weite Gegenden. Nach Nachrichten aus Schrems
sind die meisten Ortschaften an der Thaya, Leinsitz
und Braunau und deren Zuflüssen überschwemmt.
Auch Theile von Gmünd, Schwarzenau, Schrems
und Waidhofen stehen unter Wasser. -- Aus
Troppau wird berichtet: Infolge anhaltenden
starken Regens ist der Wasserstand der Oppa
und Mohra bedenklich gestiegen. Falls der Regen
weiter anhält, ist ein Austreten der beiden Flüsse
bevorstehend. Soeben beginnt es wieder zu regnen.

(Schlußsteinlegung in Budweis.)

Ver-
flossenen Montag wurde vom k. k. Statthalterei-
rath und Bezirkshauptmann von Budweis, Herrn
Franz Paris, die Schlußsteinlegung der vom
Wiener Architecten Herrn Max Fleischer, einem
geborenen Proßnitzer, daselbst erbauten Synagoge
vorgenommen. Der Tempel ist ein bauliches
[Spaltenumbruch] Unicum und bildet einen entschiedenen Fortschritt
in der Geschichte des modernen Kirchenbaues. Im
gothischen Styl, aus rothem geschlemmtem Back-
steinmaterial hergestellt, erinnert er äußerlich an
eine katholische Kirche. Die zwei mächtigen Thürme,
die noch mit Uhren versehen werden sollen, sind
weithin sichtbar und tragen an der Spitze ein
goldenes Doppeldreieck, den Schild König David's.
An der Hauptfacade befinden sich, in Karststein
gehauen, die zehn Gebote in Goldschrift und die
mit Glasmalereien gezierten Zinnen haben alle
Blechschutzgitter. Der Bau ist ganz freistehend
und besitzt die denkbar praktischesten und modern-
sten Einrichtungen, wie Sonnenbrenner, die mit
einem Luftreinigungs-Apparate in Verbindung
stehen, sieben Eingänge, treffliche Akustik und
äußerst zweckmäßige Sitze, bei denen die Betpulte
nach oben geöffnet werden. Es gibt nur eine
Orgelgallerie, wo zugleich der trefflich geschulte
Damenchor fungirt. Die Frauen sitzen gleich den
Männern im Parterre, dessen rückwärtige Hälfte
für sie bestimmt ist. Der Fassungsraum ist vorläufig
nur für 500 Personen berechnet, kann aber, wenn die
durch Bronceluster erleuchteten Seitengänge mit
Sitzplätzen versehen werden, im Bedarfsfalle auch
vermehrt werden. Die Budweiser Commune hat den
1500 Quadratklafter umfassenden Bauplatz der
jüdischen Gemeinde um den billigen, in fünf
unverzinslichen Raten (jedes Jahr eine Rate) zu
entrichtenden Kaufschilling von 2500 fl. überlassen
und der ganze, eine Zierde für Budweis bildende
Bau kostete nicht mehr als 75 000 fl. Der feier-
lichen Schlußsteinlegung wohnten nebst den Ge-
meindevorstehern viele Persönlichkeiten, unter An-
deren Dr. Riha Ritter v. Mühlenau, Obmann
des Bezirks-Ausschusses, Schützenhauptmann
Knapp, Major Maroschek, Frau v. Hardtmuth,
die Vertreter des Kreisgerichtes, der Sparkasse,
der Post, Feuerwehr etc. bei.

(Ein seltsames Grabdenkmal.)

Dieser
Tage, so schreibt ein russisches Blatt, entdeckte ein
Beamter des Bezirks von Wologda bei seiner
Revisionsfahrt ein höchst seltsames Grabdenkmal,
eine Tanne mit abgesägtem Gipfel; durch den
beständigen Regen hatte sich die Erde gesetzt und
der Stamm war umgefallen, indem er ein frisches
Grab aufdeckte; hier lag ein reicher Bauer,
Nikolai Afonassjeff, begraben, die Leiche war in
Leinwandstreifen eingewickelt und dann eine Bast-
matte eingenäht. Dieser Modus der Bestat-
tung ist einer Secte, den sogenannten "Krass-
nosmerty", eigen, die sich hauptsächlich da-
durch auszeichnen, daß sie ihre Anhänger,
gewöhnlich einen reichen Bauern, den sie beerben
können, einfach umbringen. Auch der betreffende
Nikolai Afonassjeff scheint ein Opfer dieser
scheußlichen Sectirer zu sein, da sein Sohn bei
der geric[h]tlichen Untersuchung aussagte, daß sein
Vater von den "Fremden", wie man die
Führer der Sectirer nennt, überredet worden
war, sein Haus zu verlassen.

(Wie ein Gerücht entsteht.)

Folgendes
ergötzliche Quidproquo lesen wir in der Esseger
"Drau": "Anfangs der eben abgelaufenen Woche
war hier das Gerücht verbreitet, daß Hauptmann
Lisac vom 78. Infanterie-Regiment in Daruvar
während der Manöver von einem Corporal meuch-
lings erschossen worden sei. Das Gerücht wurde
vielfach geglaubt und erregte begreiflicherweise in
allen Kreisen der Bevölkerung große Sensation.
Jetzt, da uns ein verläßlicher, wenn auch
nichtofficieller Bericht aus Daruvar vorliegt,
können wir dieses Gerücht kurz als unwahr
bezeichnen und gleichzeitig die Entstehung die-
ses Gerüchtes auf seinen wahren Werth zurück-
führen. Thatsache ist, daß ein Husarenpferd mit
einer Blässe zufällig einer Kugel zum Opfer fiel.
Ein Pferd mit einer Blässe wird auf kroatisch
"Lisast koni", oder kurz "lisac" genannt, und
so wurde dann in Daruvar erzählt, daß "lisac"
erschossen wurde. Eingeweihte Kreise wußten
wohl, daß sich dies auf das Pferd bezog, die
Nicht-Eingeweihten aber nahmen mit aufrichtigem
Bedauern zur Kenntnis, daß Hauptmann Lisac
einer ruchlosen Hand zum Opfer fiel! Nun be-
findet sich Hauptmann Lisac ganz wohl und lacht
recht gemüthlich über das Gerücht, das ihn todt
sagte."

(Die Kaffeehaussliege,)

dieses Geschöpf,
welches in dem Tabaksqualm der Cafes sein Dasein
fristet, auf den Billards und den Marmortischen
herumspaziert, ist ein Insect von ganz besonderen
Lebensgewohnheiten und geradezu lasterhaften Nei-
[Spaltenumbruch] gungen. Sie ist nicht dieses interessante kleine Thier-
chen, welches sich im Sonnenstrahl badet und mit
seinen schlanken Beinen die glänzenden Flügel von
jedem Stäubchen säubert, an allen Blumen nascht
und in der lauen Sommerluft seine phantastischen
Tänze ausführt -- das ist sie Alles nicht, sondern
eine unangenehme, schmutziggraue Bestie von einem
ausgeprägten Materialismus, der es gar nicht ein-
fällt, sich die Flügel oder gar die Nase zu putzen.
Außerdem ist sie eine unverbesserliche Trunkenboldin:
jetzt ist sie damit beschäftigt, von der Marmorplatte
des Tisches einen Tropfen Kaffee mit Cognac auf-
zuschlürfen, im nächsten Augenblick nascht sie an
einem Bierreste in einem Glasuntersatze, um sofort
weiter zu fliegen und ihren Rüssel in eine verschüttete
Absinthlache zu tauchen. Sie wird zu einer ganz
unerträglichen Plage der Gäste, zehn, zwanzigmal
kommt sie wieder, um sich hartuäckig auf dieselbe
Nase, denselben Glatzkopf zu setzen. Ihr Ende ist
meistens ein tragisches: die stete Trunkenheit, in der
sie sich befindet, läßt sie zur leichten Beute eines
wohlgezielten Schlages der Kellnerserviette werden
-- im Morgengrauen fegt sie dann das Reinigungs-
personal sammt anderem Unrath aus den Winkeln
zusammen.

(Gustav Freytag)

veröffentlicht ein Schrei-
ben, worin es heißt: "Mir sei die artige Bemer-
kung gestattet, daß die Verleihung des Ernestinischen
Hausordens nicht die Verpflichtung zur Annahme
des Adels auferlegt und daß meinem gütigen Her-
zoge die loyalen Bedenken seines Getreuen gegen
alle Adelsverleihungen seit Jahren bekannt sind."

(Das rothe Tuch.)

Man meldet aus Sophia:
Noch immer steckt die Furcht vor den Räubern un-
serer Bevölkerung in allen Gliedern. Man erzählt
ganz laut auf Straßen und Plätzen, daß sich drei
oder vier Mitglieder jener Bande, welche Ländler
und Consorten gefangen hielt, hier in der Haupt-
stadt frei herumtreiben. Vor einigen Tagen, so be-
richten sehr ernsthafte Leute, habe ein hiesiger wohl-
habender Kaufmann in seinem Comptoir einen
Zettel folgenden Inhaltes gefunden: "Wenn ich
nicht morgen Abends dreihundert Lire auf dem
Grabe Deines Vaters im hiesigen Friedhofe finde,
so bist Du vogelfrei und keine Stunde Deines Lebens
sicher. Du wirst über die 300 Lire ein rothes Tuch
breiten und einen Stein darüber legen." Der Zettel
trug statt der Unterschrift einen Todtenkopf. Der
Kaufmann machte sofort die Anzeige. Es wurden
in Folge dessen sechs [S]oldaten beauftragt, sich hinter
Grabsteinen zu verbergen. Sie warteten nicht lange,
da kam ein europäisch gekleideter Herr und stieß wie
zufällig mit seinem Stocke auf den Stein, unter
welchem sich wohl das rothe Tuch, aber kein Geld
befand. Sofort stürzten die Soldaten auf ihn los
und banden ihm die Hände. Ueber die Persönlichkeit
des Verhafteten erfährt man weder amtlich, noch
auf privatem Wege das Geringste. Gerüchtweise ver-
lautet, daß er ein Mann von Distinktion sei. Man
ist hier sehr begierig, wann die Behörden sich ent-
schließen werden, das Orakel zu lüften, welches über
dieser neuesten Räuber-Affaire schwebt.




Telegramme.
(Orig.-Teleg. des
"M. Tagbl.")

In diplomatischen Kreisen ver-
lautet, daß die Prinzessin Clementine von Co-
burg alle Anstrengungen macht, daß ihr Sohn der
Fürst von Bulgarien, die Prinzessin Louise von
Flandern heirathet.




Telegraphischer Coursbericht
des Telegraphen-Correspondenz-Bureau
vom 4. September 1888.

Rente, Papier ..82.--
Ung. Papierente5%91.60
Ung. Goldrente 4%101.80
5% Papierrente .98.10
Silber-Rente ...82.95
1874. Wiener-Lose142.75
Ung. Prämien-Lose129.50
Theiß-Lose ...125.75
Anglo-österr. Bank112.50
Wiener Bankverein99.--
Credit-Actien ..313 80
Ung. Credit-Actien306.50
Länderbank ...245.--
Unionbank ...216 50
Nordbahn ...248.75
Staatsbahn ..253.75
Südbahn ...111.--
Elbethal ....198.75
Nordwestb. lit. A 165.50
Carl-Ludwigsb.211.--
London ....122.80
Napoleon ....9.71·5
Reichs-Mark ..59.92
Münzducaten5.83, 5.85


[irrelevantes Material]
[Spaltenumbruch]

wurde Prinzeſſin von Wales und eines Tages wird
ſie Königin von Großbrittanien und Irland und
Kaiſerin von Indien ſein. Vorläufig iſt ſie heiter,
elegant, die Königin der Mode; die Leiterin aller
geſellſchaftlichen Vergnügungen des Hochadels, und
was noch mehr als Alles, eine glückliche Frau ...
Aus Sophie-Marie aber iſt Maria-Feodorowna-
Dagmar, Kaiſerin von Rußland, geworden. Ihre
Macht erſtreckt ſich von einem Ende der Welt bis
zum andern urd der ſanfte Muſchik, wie der wilde
Tartar ſehen in ihr die Kaiſerin, die gute Kaiſerin
die, ohne daß es den Anſchein hätte, Alles beherrſcht,
was in ihren Bannkreis tritt, und auch der Czar
ſelbſt macht keine Ausnahme von dieſer Regel; ſie
iſt ſanft, gütig und ſchön geblieben, wie ſie es vor
fünfundzwanzig Jahren war, als ſie nach Moskau
kam; ihren langen Hals gebeugt unter der Laſt der
Perlen und Brillanten, glich ſie nicht einer Frau,
ſondern einem jener von Edelſteinen umrahmten Hei-
ligenbilder, wie man ſie in ruſſiſchen Sanctuarien
findet; ihre großen ſchwarzen Augen leuchteten aus
einem Antlitz hervor, das an dieſem Tage noch
bleicher war, als gewöhnlich! ſie war gleichſam das
lebende Bildniß mildthätiger Größe. Und in dieſem
Rußland, wo es ſo Viele gibt, die gar nichts ver-
ehren, fiel nie ein Wort gegen die Czarin. Man
weiß, daß ſie gütig iſt gegen die Armen, hilfreich
den Betrübten und troſtſpendend den Verzweifelnden
und deshalb liebt man Maria-Feodorowna überall,
wo man der Hoffnung bedarf ... Und das dritte
kleine Mädchen iſt Thyra, Herzogin von Cumberland
geworden; ſie wäre heute Königin von Hannover,
wenn das Schickſal es nicht anders gewollt hätte.
In Jugenheim nannte man ſie die „Kleine“ und
das iſt ſie für die Familie noch immer geblieben.
Man liebt und verhätſchelt ſie; die beiden großen
Schweſtern vergöttern ſie. Sie haben immer die
Miene, als wollten ſie Verzeihung von ihr erbitten,
daß ſie keine Krone für ſie haben. Was kümmert
ſie aber eine Krone, trägt ſie doch eine andere, die
Dornenkrone. Sie iſt bleich und kränklich und be-
trauert wohl die ſchönen Tage der Vergangenheit,
wo ſie ein kleines Mädchen, wo ſie glücklich war.
Und jüngſt befanden ſich dieſe drei Schweſtern ver-
einigt in der reizenden Gegend von Gmunden; Arm
in Arm wandelten Alexandra, Dagmar und Thyra
durch die Wunder der Alpenwelt. Hier ſind ſie nicht
Kaiſerin, Prinzeſſin und Herzogin, ſondern bloß drei
Schweſtern, die kleinen Mädchen von Jugenheim!

(Wolkenbrüche und Hochwaſſer.)

Aus
Budweis wird unterm 3. d. M. berichtet: Geſtern
Nachts iſt ein verheerender Wolkenbruch über
Gutwaſſer und die umliegenden Anhöhen nieder-
gegangen. Die von dort nach Budweis fließenden
Bäche ſind ausgetreten und haben die ganze
Wiener Vorſtadt überfluthet. Um 5 Uhr Morgens
wurde die Feuerwehr alarmirt und eilte mit
Kähnen den Gefährdeten zu Hilfe. Die ebenerdigen
Wohnungen ſtehen unter Waſſer; auf den Straßen
ſtrömt das Waſſer um mehr als Meterhöhe. Ganz
Budweis iſt in Aufregung. Das Waſſer iſt auch
in der Wiener Vorſtadt noch im Stcigen. Durch
die Maltſch wurde ein anderer Stadttheil unter
Waſſer geſetzt. Die große neue hölzerne Brücke
über die Maltſch wurde vom Waſſer mit Gewalt
weggeriſſen. Die anderen Brücken, ſelbſt die Eiſen-
brücken ſind ſehr gefährdet. Nebſt dem öſtlichen iſt auch
der weſtliche Stadttheil unter Waſſer. Ringsum iſt
Alles überfluthet. — Die letzten Nachrichten aus
Budweis melden, daß die ganze Stadt unter Waſſer
ſtehe und einen troſtloſen Anblick biete. Der Ver-
kehr iſt nur mittels Kähnen möglich. Der Bahn-
verkehr nach Linz und Pilſen iſt unterbrochen.
Durch die Moldau, Maltſch und Wottawa ſind
weile Strecken überfluthet. Die Teiche bei Piſek,
welche die Dämme durchbrachen, überſchwemmen
weite Gegenden. Nach Nachrichten aus Schrems
ſind die meiſten Ortſchaften an der Thaya, Leinſitz
und Braunau und deren Zuflüſſen überſchwemmt.
Auch Theile von Gmünd, Schwarzenau, Schrems
und Waidhofen ſtehen unter Waſſer. — Aus
Troppau wird berichtet: Infolge anhaltenden
ſtarken Regens iſt der Waſſerſtand der Oppa
und Mohra bedenklich geſtiegen. Falls der Regen
weiter anhält, iſt ein Austreten der beiden Flüſſe
bevorſtehend. Soeben beginnt es wieder zu regnen.

(Schlußſteinlegung in Budweis.)

Ver-
floſſenen Montag wurde vom k. k. Statthalterei-
rath und Bezirkshauptmann von Budweis, Herrn
Franz Paris, die Schlußſteinlegung der vom
Wiener Architecten Herrn Max Fleiſcher, einem
geborenen Proßnitzer, daſelbſt erbauten Synagoge
vorgenommen. Der Tempel iſt ein bauliches
[Spaltenumbruch] Unicum und bildet einen entſchiedenen Fortſchritt
in der Geſchichte des modernen Kirchenbaues. Im
gothiſchen Styl, aus rothem geſchlemmtem Back-
ſteinmaterial hergeſtellt, erinnert er äußerlich an
eine katholiſche Kirche. Die zwei mächtigen Thürme,
die noch mit Uhren verſehen werden ſollen, ſind
weithin ſichtbar und tragen an der Spitze ein
goldenes Doppeldreieck, den Schild König David’s.
An der Hauptfaçade befinden ſich, in Karſtſtein
gehauen, die zehn Gebote in Goldſchrift und die
mit Glasmalereien gezierten Zinnen haben alle
Blechſchutzgitter. Der Bau iſt ganz freiſtehend
und beſitzt die denkbar praktiſcheſten und modern-
ſten Einrichtungen, wie Sonnenbrenner, die mit
einem Luftreinigungs-Apparate in Verbindung
ſtehen, ſieben Eingänge, treffliche Akuſtik und
äußerſt zweckmäßige Sitze, bei denen die Betpulte
nach oben geöffnet werden. Es gibt nur eine
Orgelgallerie, wo zugleich der trefflich geſchulte
Damenchor fungirt. Die Frauen ſitzen gleich den
Männern im Parterre, deſſen rückwärtige Hälfte
für ſie beſtimmt iſt. Der Faſſungsraum iſt vorläufig
nur für 500 Perſonen berechnet, kann aber, wenn die
durch Bronceluſter erleuchteten Seitengänge mit
Sitzplätzen verſehen werden, im Bedarfsfalle auch
vermehrt werden. Die Budweiſer Commune hat den
1500 Quadratklafter umfaſſenden Bauplatz der
jüdiſchen Gemeinde um den billigen, in fünf
unverzinslichen Raten (jedes Jahr eine Rate) zu
entrichtenden Kaufſchilling von 2500 fl. überlaſſen
und der ganze, eine Zierde für Budweis bildende
Bau koſtete nicht mehr als 75 000 fl. Der feier-
lichen Schlußſteinlegung wohnten nebſt den Ge-
meindevorſtehern viele Perſönlichkeiten, unter An-
deren Dr. Riha Ritter v. Mühlenau, Obmann
des Bezirks-Ausſchuſſes, Schützenhauptmann
Knapp, Major Maroſchek, Frau v. Hardtmuth,
die Vertreter des Kreisgerichtes, der Sparkaſſe,
der Poſt, Feuerwehr ꝛc. bei.

(Ein ſeltſames Grabdenkmal.)

Dieſer
Tage, ſo ſchreibt ein ruſſiſches Blatt, entdeckte ein
Beamter des Bezirks von Wologda bei ſeiner
Reviſionsfahrt ein höchſt ſeltſames Grabdenkmal,
eine Tanne mit abgeſägtem Gipfel; durch den
beſtändigen Regen hatte ſich die Erde geſetzt und
der Stamm war umgefallen, indem er ein friſches
Grab aufdeckte; hier lag ein reicher Bauer,
Nikolai Afonaſſjeff, begraben, die Leiche war in
Leinwandſtreifen eingewickelt und dann eine Baſt-
matte eingenäht. Dieſer Modus der Beſtat-
tung iſt einer Secte, den ſogenannten „Kraſſ-
noſmerty“, eigen, die ſich hauptſächlich da-
durch auszeichnen, daß ſie ihre Anhänger,
gewöhnlich einen reichen Bauern, den ſie beerben
können, einfach umbringen. Auch der betreffende
Nikolai Afonaſſjeff ſcheint ein Opfer dieſer
ſcheußlichen Sectirer zu ſein, da ſein Sohn bei
der geric[h]tlichen Unterſuchung ausſagte, daß ſein
Vater von den „Fremden“, wie man die
Führer der Sectirer nennt, überredet worden
war, ſein Haus zu verlaſſen.

(Wie ein Gerücht entſteht.)

Folgendes
ergötzliche Quidproquo leſen wir in der Eſſeger
„Drau“: „Anfangs der eben abgelaufenen Woche
war hier das Gerücht verbreitet, daß Hauptmann
Liſac vom 78. Infanterie-Regiment in Daruvár
während der Manöver von einem Corporal meuch-
lings erſchoſſen worden ſei. Das Gerücht wurde
vielfach geglaubt und erregte begreiflicherweiſe in
allen Kreiſen der Bevölkerung große Senſation.
Jetzt, da uns ein verläßlicher, wenn auch
nichtofficieller Bericht aus Daruvár vorliegt,
können wir dieſes Gerücht kurz als unwahr
bezeichnen und gleichzeitig die Entſtehung die-
ſes Gerüchtes auf ſeinen wahren Werth zurück-
führen. Thatſache iſt, daß ein Huſarenpferd mit
einer Bläſſe zufällig einer Kugel zum Opfer fiel.
Ein Pferd mit einer Bläſſe wird auf kroatiſch
Lisast koni“, oder kurz „lisac“ genannt, und
ſo wurde dann in Daruvár erzählt, daß „lisac
erſchoſſen wurde. Eingeweihte Kreiſe wußten
wohl, daß ſich dies auf das Pferd bezog, die
Nicht-Eingeweihten aber nahmen mit aufrichtigem
Bedauern zur Kenntnis, daß Hauptmann Liſac
einer ruchloſen Hand zum Opfer fiel! Nun be-
findet ſich Hauptmann Liſac ganz wohl und lacht
recht gemüthlich über das Gerücht, das ihn todt
ſagte.“

(Die Kaffeehausſliege,)

dieſes Geſchöpf,
welches in dem Tabaksqualm der Cafés ſein Daſein
friſtet, auf den Billards und den Marmortiſchen
herumſpaziert, iſt ein Inſect von ganz beſonderen
Lebensgewohnheiten und geradezu laſterhaften Nei-
[Spaltenumbruch] gungen. Sie iſt nicht dieſes intereſſante kleine Thier-
chen, welches ſich im Sonnenſtrahl badet und mit
ſeinen ſchlanken Beinen die glänzenden Flügel von
jedem Stäubchen ſäubert, an allen Blumen naſcht
und in der lauen Sommerluft ſeine phantaſtiſchen
Tänze ausführt — das iſt ſie Alles nicht, ſondern
eine unangenehme, ſchmutziggraue Beſtie von einem
ausgeprägten Materialismus, der es gar nicht ein-
fällt, ſich die Flügel oder gar die Naſe zu putzen.
Außerdem iſt ſie eine unverbeſſerliche Trunkenboldin:
jetzt iſt ſie damit beſchäftigt, von der Marmorplatte
des Tiſches einen Tropfen Kaffee mit Cognac auf-
zuſchlürfen, im nächſten Augenblick naſcht ſie an
einem Bierreſte in einem Glasunterſatze, um ſofort
weiter zu fliegen und ihren Rüſſel in eine verſchüttete
Abſinthlache zu tauchen. Sie wird zu einer ganz
unerträglichen Plage der Gäſte, zehn, zwanzigmal
kommt ſie wieder, um ſich hartuäckig auf dieſelbe
Naſe, denſelben Glatzkopf zu ſetzen. Ihr Ende iſt
meiſtens ein tragiſches: die ſtete Trunkenheit, in der
ſie ſich befindet, läßt ſie zur leichten Beute eines
wohlgezielten Schlages der Kellnerſerviette werden
— im Morgengrauen fegt ſie dann das Reinigungs-
perſonal ſammt anderem Unrath aus den Winkeln
zuſammen.

(Guſtav Freytag)

veröffentlicht ein Schrei-
ben, worin es heißt: „Mir ſei die artige Bemer-
kung geſtattet, daß die Verleihung des Erneſtiniſchen
Hausordens nicht die Verpflichtung zur Annahme
des Adels auferlegt und daß meinem gütigen Her-
zoge die loyalen Bedenken ſeines Getreuen gegen
alle Adelsverleihungen ſeit Jahren bekannt ſind.“

(Das rothe Tuch.)

Man meldet aus Sophia:
Noch immer ſteckt die Furcht vor den Räubern un-
ſerer Bevölkerung in allen Gliedern. Man erzählt
ganz laut auf Straßen und Plätzen, daß ſich drei
oder vier Mitglieder jener Bande, welche Ländler
und Conſorten gefangen hielt, hier in der Haupt-
ſtadt frei herumtreiben. Vor einigen Tagen, ſo be-
richten ſehr ernſthafte Leute, habe ein hieſiger wohl-
habender Kaufmann in ſeinem Comptoir einen
Zettel folgenden Inhaltes gefunden: „Wenn ich
nicht morgen Abends dreihundert Lire auf dem
Grabe Deines Vaters im hieſigen Friedhofe finde,
ſo biſt Du vogelfrei und keine Stunde Deines Lebens
ſicher. Du wirſt über die 300 Lire ein rothes Tuch
breiten und einen Stein darüber legen.“ Der Zettel
trug ſtatt der Unterſchrift einen Todtenkopf. Der
Kaufmann machte ſofort die Anzeige. Es wurden
in Folge deſſen ſechs [S]oldaten beauftragt, ſich hinter
Grabſteinen zu verbergen. Sie warteten nicht lange,
da kam ein europäiſch gekleideter Herr und ſtieß wie
zufällig mit ſeinem Stocke auf den Stein, unter
welchem ſich wohl das rothe Tuch, aber kein Geld
befand. Sofort ſtürzten die Soldaten auf ihn los
und banden ihm die Hände. Ueber die Perſönlichkeit
des Verhafteten erfährt man weder amtlich, noch
auf privatem Wege das Geringſte. Gerüchtweiſe ver-
lautet, daß er ein Mann von Diſtinktion ſei. Man
iſt hier ſehr begierig, wann die Behörden ſich ent-
ſchließen werden, das Orakel zu lüften, welches über
dieſer neueſten Räuber-Affaire ſchwebt.




Telegramme.
(Orig.-Teleg. des
„M. Tagbl.“)

In diplomatiſchen Kreiſen ver-
lautet, daß die Prinzeſſin Clementine von Co-
burg alle Anſtrengungen macht, daß ihr Sohn der
Fürſt von Bulgarien, die Prinzeſſin Louiſe von
Flandern heirathet.




Telegraphiſcher Coursbericht
des Telegraphen-Correſpondenz-Bureau
vom 4. September 1888.

Rente, Papier ..82.—
Ung. Papierente5%91.60
Ung. Goldrente 4%101.80
5% Papierrente .98.10
Silber-Rente ...82.95
1874. Wiener-Loſe142.75
Ung. Prämien-Loſe129.50
Theiß-Loſe ...125.75
Anglo-öſterr. Bank112.50
Wiener Bankverein99.—
Credit-Actien ..313 80
Ung. Credit-Actien306.50
Länderbank ...245.—
Unionbank ...216 50
Nordbahn ...248.75
Staatsbahn ..253.75
Südbahn ...111.—
Elbethal ....198.75
Nordweſtb. lit. A 165.50
Carl-Ludwigsb.211.—
London ....122.80
Napoleon ....9.71·5
Reichs-Mark ..59.92
Münzducaten5.83, 5.85


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Aus Sophie-Marie aber i&#x017F;t Maria-Feodorowna-<lb/>
Dagmar, Kai&#x017F;erin von Rußland, geworden. Ihre<lb/>
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Man liebt und verhät&#x017F;chelt &#x017F;ie; die beiden großen<lb/>
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[[6]/0006] wurde Prinzeſſin von Wales und eines Tages wird ſie Königin von Großbrittanien und Irland und Kaiſerin von Indien ſein. Vorläufig iſt ſie heiter, elegant, die Königin der Mode; die Leiterin aller geſellſchaftlichen Vergnügungen des Hochadels, und was noch mehr als Alles, eine glückliche Frau ... Aus Sophie-Marie aber iſt Maria-Feodorowna- Dagmar, Kaiſerin von Rußland, geworden. Ihre Macht erſtreckt ſich von einem Ende der Welt bis zum andern urd der ſanfte Muſchik, wie der wilde Tartar ſehen in ihr die Kaiſerin, die gute Kaiſerin die, ohne daß es den Anſchein hätte, Alles beherrſcht, was in ihren Bannkreis tritt, und auch der Czar ſelbſt macht keine Ausnahme von dieſer Regel; ſie iſt ſanft, gütig und ſchön geblieben, wie ſie es vor fünfundzwanzig Jahren war, als ſie nach Moskau kam; ihren langen Hals gebeugt unter der Laſt der Perlen und Brillanten, glich ſie nicht einer Frau, ſondern einem jener von Edelſteinen umrahmten Hei- ligenbilder, wie man ſie in ruſſiſchen Sanctuarien findet; ihre großen ſchwarzen Augen leuchteten aus einem Antlitz hervor, das an dieſem Tage noch bleicher war, als gewöhnlich! ſie war gleichſam das lebende Bildniß mildthätiger Größe. Und in dieſem Rußland, wo es ſo Viele gibt, die gar nichts ver- ehren, fiel nie ein Wort gegen die Czarin. Man weiß, daß ſie gütig iſt gegen die Armen, hilfreich den Betrübten und troſtſpendend den Verzweifelnden und deshalb liebt man Maria-Feodorowna überall, wo man der Hoffnung bedarf ... Und das dritte kleine Mädchen iſt Thyra, Herzogin von Cumberland geworden; ſie wäre heute Königin von Hannover, wenn das Schickſal es nicht anders gewollt hätte. In Jugenheim nannte man ſie die „Kleine“ und das iſt ſie für die Familie noch immer geblieben. Man liebt und verhätſchelt ſie; die beiden großen Schweſtern vergöttern ſie. Sie haben immer die Miene, als wollten ſie Verzeihung von ihr erbitten, daß ſie keine Krone für ſie haben. Was kümmert ſie aber eine Krone, trägt ſie doch eine andere, die Dornenkrone. Sie iſt bleich und kränklich und be- trauert wohl die ſchönen Tage der Vergangenheit, wo ſie ein kleines Mädchen, wo ſie glücklich war. Und jüngſt befanden ſich dieſe drei Schweſtern ver- einigt in der reizenden Gegend von Gmunden; Arm in Arm wandelten Alexandra, Dagmar und Thyra durch die Wunder der Alpenwelt. Hier ſind ſie nicht Kaiſerin, Prinzeſſin und Herzogin, ſondern bloß drei Schweſtern, die kleinen Mädchen von Jugenheim! (Wolkenbrüche und Hochwaſſer.) Aus Budweis wird unterm 3. d. M. berichtet: Geſtern Nachts iſt ein verheerender Wolkenbruch über Gutwaſſer und die umliegenden Anhöhen nieder- gegangen. Die von dort nach Budweis fließenden Bäche ſind ausgetreten und haben die ganze Wiener Vorſtadt überfluthet. Um 5 Uhr Morgens wurde die Feuerwehr alarmirt und eilte mit Kähnen den Gefährdeten zu Hilfe. Die ebenerdigen Wohnungen ſtehen unter Waſſer; auf den Straßen ſtrömt das Waſſer um mehr als Meterhöhe. Ganz Budweis iſt in Aufregung. Das Waſſer iſt auch in der Wiener Vorſtadt noch im Stcigen. Durch die Maltſch wurde ein anderer Stadttheil unter Waſſer geſetzt. Die große neue hölzerne Brücke über die Maltſch wurde vom Waſſer mit Gewalt weggeriſſen. Die anderen Brücken, ſelbſt die Eiſen- brücken ſind ſehr gefährdet. Nebſt dem öſtlichen iſt auch der weſtliche Stadttheil unter Waſſer. Ringsum iſt Alles überfluthet. — Die letzten Nachrichten aus Budweis melden, daß die ganze Stadt unter Waſſer ſtehe und einen troſtloſen Anblick biete. Der Ver- kehr iſt nur mittels Kähnen möglich. Der Bahn- verkehr nach Linz und Pilſen iſt unterbrochen. Durch die Moldau, Maltſch und Wottawa ſind weile Strecken überfluthet. Die Teiche bei Piſek, welche die Dämme durchbrachen, überſchwemmen weite Gegenden. Nach Nachrichten aus Schrems ſind die meiſten Ortſchaften an der Thaya, Leinſitz und Braunau und deren Zuflüſſen überſchwemmt. Auch Theile von Gmünd, Schwarzenau, Schrems und Waidhofen ſtehen unter Waſſer. — Aus Troppau wird berichtet: Infolge anhaltenden ſtarken Regens iſt der Waſſerſtand der Oppa und Mohra bedenklich geſtiegen. Falls der Regen weiter anhält, iſt ein Austreten der beiden Flüſſe bevorſtehend. Soeben beginnt es wieder zu regnen. (Schlußſteinlegung in Budweis.) Ver- floſſenen Montag wurde vom k. k. Statthalterei- rath und Bezirkshauptmann von Budweis, Herrn Franz Paris, die Schlußſteinlegung der vom Wiener Architecten Herrn Max Fleiſcher, einem geborenen Proßnitzer, daſelbſt erbauten Synagoge vorgenommen. Der Tempel iſt ein bauliches Unicum und bildet einen entſchiedenen Fortſchritt in der Geſchichte des modernen Kirchenbaues. Im gothiſchen Styl, aus rothem geſchlemmtem Back- ſteinmaterial hergeſtellt, erinnert er äußerlich an eine katholiſche Kirche. Die zwei mächtigen Thürme, die noch mit Uhren verſehen werden ſollen, ſind weithin ſichtbar und tragen an der Spitze ein goldenes Doppeldreieck, den Schild König David’s. An der Hauptfaçade befinden ſich, in Karſtſtein gehauen, die zehn Gebote in Goldſchrift und die mit Glasmalereien gezierten Zinnen haben alle Blechſchutzgitter. Der Bau iſt ganz freiſtehend und beſitzt die denkbar praktiſcheſten und modern- ſten Einrichtungen, wie Sonnenbrenner, die mit einem Luftreinigungs-Apparate in Verbindung ſtehen, ſieben Eingänge, treffliche Akuſtik und äußerſt zweckmäßige Sitze, bei denen die Betpulte nach oben geöffnet werden. Es gibt nur eine Orgelgallerie, wo zugleich der trefflich geſchulte Damenchor fungirt. Die Frauen ſitzen gleich den Männern im Parterre, deſſen rückwärtige Hälfte für ſie beſtimmt iſt. Der Faſſungsraum iſt vorläufig nur für 500 Perſonen berechnet, kann aber, wenn die durch Bronceluſter erleuchteten Seitengänge mit Sitzplätzen verſehen werden, im Bedarfsfalle auch vermehrt werden. Die Budweiſer Commune hat den 1500 Quadratklafter umfaſſenden Bauplatz der jüdiſchen Gemeinde um den billigen, in fünf unverzinslichen Raten (jedes Jahr eine Rate) zu entrichtenden Kaufſchilling von 2500 fl. überlaſſen und der ganze, eine Zierde für Budweis bildende Bau koſtete nicht mehr als 75 000 fl. Der feier- lichen Schlußſteinlegung wohnten nebſt den Ge- meindevorſtehern viele Perſönlichkeiten, unter An- deren Dr. Riha Ritter v. Mühlenau, Obmann des Bezirks-Ausſchuſſes, Schützenhauptmann Knapp, Major Maroſchek, Frau v. Hardtmuth, die Vertreter des Kreisgerichtes, der Sparkaſſe, der Poſt, Feuerwehr ꝛc. bei. (Ein ſeltſames Grabdenkmal.) Dieſer Tage, ſo ſchreibt ein ruſſiſches Blatt, entdeckte ein Beamter des Bezirks von Wologda bei ſeiner Reviſionsfahrt ein höchſt ſeltſames Grabdenkmal, eine Tanne mit abgeſägtem Gipfel; durch den beſtändigen Regen hatte ſich die Erde geſetzt und der Stamm war umgefallen, indem er ein friſches Grab aufdeckte; hier lag ein reicher Bauer, Nikolai Afonaſſjeff, begraben, die Leiche war in Leinwandſtreifen eingewickelt und dann eine Baſt- matte eingenäht. Dieſer Modus der Beſtat- tung iſt einer Secte, den ſogenannten „Kraſſ- noſmerty“, eigen, die ſich hauptſächlich da- durch auszeichnen, daß ſie ihre Anhänger, gewöhnlich einen reichen Bauern, den ſie beerben können, einfach umbringen. Auch der betreffende Nikolai Afonaſſjeff ſcheint ein Opfer dieſer ſcheußlichen Sectirer zu ſein, da ſein Sohn bei der gerichtlichen Unterſuchung ausſagte, daß ſein Vater von den „Fremden“, wie man die Führer der Sectirer nennt, überredet worden war, ſein Haus zu verlaſſen. (Wie ein Gerücht entſteht.) Folgendes ergötzliche Quidproquo leſen wir in der Eſſeger „Drau“: „Anfangs der eben abgelaufenen Woche war hier das Gerücht verbreitet, daß Hauptmann Liſac vom 78. Infanterie-Regiment in Daruvár während der Manöver von einem Corporal meuch- lings erſchoſſen worden ſei. Das Gerücht wurde vielfach geglaubt und erregte begreiflicherweiſe in allen Kreiſen der Bevölkerung große Senſation. Jetzt, da uns ein verläßlicher, wenn auch nichtofficieller Bericht aus Daruvár vorliegt, können wir dieſes Gerücht kurz als unwahr bezeichnen und gleichzeitig die Entſtehung die- ſes Gerüchtes auf ſeinen wahren Werth zurück- führen. Thatſache iſt, daß ein Huſarenpferd mit einer Bläſſe zufällig einer Kugel zum Opfer fiel. Ein Pferd mit einer Bläſſe wird auf kroatiſch „Lisast koni“, oder kurz „lisac“ genannt, und ſo wurde dann in Daruvár erzählt, daß „lisac“ erſchoſſen wurde. Eingeweihte Kreiſe wußten wohl, daß ſich dies auf das Pferd bezog, die Nicht-Eingeweihten aber nahmen mit aufrichtigem Bedauern zur Kenntnis, daß Hauptmann Liſac einer ruchloſen Hand zum Opfer fiel! Nun be- findet ſich Hauptmann Liſac ganz wohl und lacht recht gemüthlich über das Gerücht, das ihn todt ſagte.“ (Die Kaffeehausſliege,) dieſes Geſchöpf, welches in dem Tabaksqualm der Cafés ſein Daſein friſtet, auf den Billards und den Marmortiſchen herumſpaziert, iſt ein Inſect von ganz beſonderen Lebensgewohnheiten und geradezu laſterhaften Nei- gungen. Sie iſt nicht dieſes intereſſante kleine Thier- chen, welches ſich im Sonnenſtrahl badet und mit ſeinen ſchlanken Beinen die glänzenden Flügel von jedem Stäubchen ſäubert, an allen Blumen naſcht und in der lauen Sommerluft ſeine phantaſtiſchen Tänze ausführt — das iſt ſie Alles nicht, ſondern eine unangenehme, ſchmutziggraue Beſtie von einem ausgeprägten Materialismus, der es gar nicht ein- fällt, ſich die Flügel oder gar die Naſe zu putzen. Außerdem iſt ſie eine unverbeſſerliche Trunkenboldin: jetzt iſt ſie damit beſchäftigt, von der Marmorplatte des Tiſches einen Tropfen Kaffee mit Cognac auf- zuſchlürfen, im nächſten Augenblick naſcht ſie an einem Bierreſte in einem Glasunterſatze, um ſofort weiter zu fliegen und ihren Rüſſel in eine verſchüttete Abſinthlache zu tauchen. Sie wird zu einer ganz unerträglichen Plage der Gäſte, zehn, zwanzigmal kommt ſie wieder, um ſich hartuäckig auf dieſelbe Naſe, denſelben Glatzkopf zu ſetzen. Ihr Ende iſt meiſtens ein tragiſches: die ſtete Trunkenheit, in der ſie ſich befindet, läßt ſie zur leichten Beute eines wohlgezielten Schlages der Kellnerſerviette werden — im Morgengrauen fegt ſie dann das Reinigungs- perſonal ſammt anderem Unrath aus den Winkeln zuſammen. (Guſtav Freytag) veröffentlicht ein Schrei- ben, worin es heißt: „Mir ſei die artige Bemer- kung geſtattet, daß die Verleihung des Erneſtiniſchen Hausordens nicht die Verpflichtung zur Annahme des Adels auferlegt und daß meinem gütigen Her- zoge die loyalen Bedenken ſeines Getreuen gegen alle Adelsverleihungen ſeit Jahren bekannt ſind.“ (Das rothe Tuch.) Man meldet aus Sophia: Noch immer ſteckt die Furcht vor den Räubern un- ſerer Bevölkerung in allen Gliedern. Man erzählt ganz laut auf Straßen und Plätzen, daß ſich drei oder vier Mitglieder jener Bande, welche Ländler und Conſorten gefangen hielt, hier in der Haupt- ſtadt frei herumtreiben. Vor einigen Tagen, ſo be- richten ſehr ernſthafte Leute, habe ein hieſiger wohl- habender Kaufmann in ſeinem Comptoir einen Zettel folgenden Inhaltes gefunden: „Wenn ich nicht morgen Abends dreihundert Lire auf dem Grabe Deines Vaters im hieſigen Friedhofe finde, ſo biſt Du vogelfrei und keine Stunde Deines Lebens ſicher. Du wirſt über die 300 Lire ein rothes Tuch breiten und einen Stein darüber legen.“ Der Zettel trug ſtatt der Unterſchrift einen Todtenkopf. Der Kaufmann machte ſofort die Anzeige. Es wurden in Folge deſſen ſechs Soldaten beauftragt, ſich hinter Grabſteinen zu verbergen. Sie warteten nicht lange, da kam ein europäiſch gekleideter Herr und ſtieß wie zufällig mit ſeinem Stocke auf den Stein, unter welchem ſich wohl das rothe Tuch, aber kein Geld befand. Sofort ſtürzten die Soldaten auf ihn los und banden ihm die Hände. Ueber die Perſönlichkeit des Verhafteten erfährt man weder amtlich, noch auf privatem Wege das Geringſte. Gerüchtweiſe ver- lautet, daß er ein Mann von Diſtinktion ſei. Man iſt hier ſehr begierig, wann die Behörden ſich ent- ſchließen werden, das Orakel zu lüften, welches über dieſer neueſten Räuber-Affaire ſchwebt. Telegramme. Wien, 5 September. (Orig.-Teleg. des „M. Tagbl.“) In diplomatiſchen Kreiſen ver- lautet, daß die Prinzeſſin Clementine von Co- burg alle Anſtrengungen macht, daß ihr Sohn der Fürſt von Bulgarien, die Prinzeſſin Louiſe von Flandern heirathet. Telegraphiſcher Coursbericht des Telegraphen-Correſpondenz-Bureau vom 4. September 1888. Rente, Papier .. 82.— Ung. Papierente5% 91.60 Ung. Goldrente 4% 101.80 5% Papierrente . 98.10 Silber-Rente ... 82.95 1874. Wiener-Loſe 142.75 Ung. Prämien-Loſe 129.50 Theiß-Loſe ... 125.75 Anglo-öſterr. Bank 112.50 Wiener Bankverein 99.— Credit-Actien .. 313 80 Ung. Credit-Actien 306.50 Länderbank ... 245.— Unionbank ... 216 50 Nordbahn ... 248.75 Staatsbahn .. 253.75 Südbahn ... 111.— Elbethal .... 198.75 Nordweſtb. lit. A 165.50 Carl-Ludwigsb. 211.— London .... 122.80 Napoleon .... 9.71·5 Reichs-Mark .. 59.92 Münzducaten 5.83, 5.85 _

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 204, Olmütz, 05.09.1888, S. [6]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches204_1888/6>, abgerufen am 23.11.2024.