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Mährisches Tagblatt. Nr. 15, Olmütz, 20.01.1890.

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Das
"Mährische Tagblatt"
mit der illustr. alle 14 Tage
1 Bogen stark erscheinenden
"Illustrirt. Sonntagsbeil."
erscheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
im Administrationslocale.
Niederring Nr. 41 neu
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Mährisches
Tagblatt.

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nach aufliegendem Tarif.




Außerhalb Olmütz überneh-
men Insertions-Aufträge.
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped. in Wi[e]n, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler
in Wien, Prag, Buda-
pest, Berlin, Fraukfurt a. M.,
Hamburg, Basel und Leipzig,
Alois Opellik, in Wien, Rud
Mosse
in Wien, München u
Berlin, M. Dukes, Wien, I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube
und Co.,
Franksurt a. M.
Adolf Steiner's Annoncen-
bureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes-




Manuscripte werden nicht zu
rückgestellt.




Nr. 15. Olmütz, Montag, den 20. Jänner 1890. 11. Jahrgang



[Spaltenumbruch]
Das sechzigste Geburtsfest des
Herrn Bürgermeisters Josef v.
Engel.


Der gestrige Tag, an welchem der Büger-
meister der Stadt Olmütz, Herr Josef v. Engel
sein sechzigstes Wiegenfest beging, brachte demsel-
ben eine außerordentlich große Anzahl von Ehrun-
gen, welche neuerdings den Beweis erbrachten,
welch' großer Werthschätzung und Hochachtung
sich das allverehrte Oberhaupt unserer Stadt er-
freut.

Alle Kreise der Stadt wetteiferten Herrn
Bürgermeister v. Engel ihre Sympathien zum
vollen Ausdruck zu bringen.

Besonders glänzend gestaltete sich die Gra-
tulationscour, welche gestern Vormittags 11 Uhr
im Bureau des Herrn Bürgermeisters v. Engel
stattfand.

Um die genannte Stunde versammelten sich
im Gemeindesaale die Herren Mitglieder des
Stadtverordneten-Collegiums mit Herrn Vicebür-
germeister Wilhelm Nather an der Spitze,
die städt. Beamtenschaft mit den Herren Stadt-
rath Franz Thometschek und Rechnungsre-
ferenten Franz Sitta an der Spitze, ferner
Abordnungen aller hiesigen deutschen Vereine und
mehrerer Corporationen um Herrn Bürgermei-
ster v. Engel ihre Glückwünsche zu seinem sech-
zigsten Geburtsfeste darzubringen.


[Spaltenumbruch]

Von den erschienenen Corporationen wurde
das Stadtverordneten-Collegium in
den mit exotischen Gewächsen hübsch geschmückten
Amts-Bureau des Herrn Bürgermeisters von
Engel zuerst empfangen.

Herr Vicebürgermeister Wilhelm Nather
welcher an der Spitze der Herren Stadtverord-
neten stand, richtete an Herrn Bürgermeister von
Engel folgende formvollendete Ansprache:

Euer Hochwohlgeboren!
Geehrter Herr Bürgermeister!

Gestatten sie heute, am Gedenktage Ihrer
Geburt, welchen Sie bis nun im vertrauten
Kreise Ihrer lieben Familie zu feiern pflegten,
daß diesem Feste sich diesmal ein weiterer
Kreis Ihrer Verehrer auschließen darf, jener
des Stadtverordneten-Collegiums von Olmütz,
dessen Mitglieder Ihr Geist, Ihre Liebenswür-
digkeit, gleichsam, zu einer Familie vereinigt
und zu dem Bestreben entflammte Ihren ge-
meinnützigen Ideen, hochgeehrter Herr Bür-
germeister zu folgen und dieselben nach Kräften
zu fördern und zu unterstützen.

Das löbliche Stadtverordneten-Collegium
hat mich mit der hochehrenden Mission betraut.
Ihnen, geehrtester Herr Bürgermeister, an Ihrem
für uns und die ganze Stadt so bedeutungs-
vollen 60. Geburtsfeste eine Beglückwünschungs-
Adresse zu überreichen, welche Ausdruck verleiht
unseren tiefempfundenen Gefühlen der Ver-
ehrung, der Dankbarkeit und Anerkennung
[Spaltenumbruch] Ihrer unvergänglichen Verdienste um die Stadt
Olmütz und deren Wiederaufblühen.

Möge Gott Ihrer hochgeachteten Familie
noch lange Jahre erhalten den geliebten Vater
und Gatten, der Stadt Olmütz den hochbegabten
Bürgermeister, dem Stadtverordneten-Collegium
seinen bewährten vortrefflichen Leiter und Führer
auf der Bahn des Fortschrittes.

Tiefbewegt nahm Herr Bürgermeister von
Engel die ihm überreichte Beglückwünschungs-
Adresse entgegen und erwiderte die Ansprache d[e]s
Herrn Vicebürgermeisters Nather mit folgen-
den Worten:

Meine hochgeehrten Herren und lieben Freunde!

Sie erweisen meinem Alter von 60 Jahren,
welches soeben erst eine Probe seiner Gebrech-
lichkeit und seines Anspruchs auf Ihre Nach-
sicht abgelegt hat, eine viel zu große Aufmerk-
samkeit, indem Sie demselben eine so herzliche,
feierliche und hochehrende Kundgebung widmen.
Sie gehen schon aus dem Grunde viel zu weit,
weil von den 60 Jahren meines Lebens doch
nur die letzten 28 Jahre meiner Thätigkeit
als Gemeindevertreter angehörten, in welcher
ich öffentlich zu wirken berufen war und welche
Sie mir vielleicht zu einigem Dienst und Ver-
dienst anrechnen. Und unter einer besonderen
Gunst der Verhältnisse standen sie allerdings,
diese 28 Jahre! Sie knüpften an die ersten
Regungen der wiedererwachten Gemeindeauto-
nomie, aus welcher im Gemeindeleben alles
Schöne und alles Ersprießliche herkommt; sie




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Vom Brünner Theater.
Erste Aufführung des vieractigen Schauspieles
"Der Schatten".

(Original-Feuilleton des "Mährischen Tagblattes".)

Wir leben in einer Zeit, in welcher sich auf
dramatischem Gebiete die absonderlichsten Erschei-
nungen zeigen; eine Unzahl von Schriftstellern
ist auf diesem Felde fieberhaft thätig, ohne daß
sie selbst, noch das Publicum die erhoffte Befrie-
digung gewännen und die wenig erfreuliche Lage
des Theatergeschäftes ist eine ständige. Ein kenn-
zeichnendes Merkmal ist auch die Verwischung
der natürlichen Grenzen zwischen den einzelnen
Gattungen des Drama's. Unsere Lustspiele sind
Schwänke, unsere Schwänke eigentlich Possen und
das, was man uns oft unter dieser letzteren
Etikette bietet, sehr häufig Unsinn. In entgegen-
gesetzter Richtung schweißen manche Dramatiker
in der Absicht, ein Lustspiel zu schreiben, die
ernstesten Scenen mit lustigen zusammen, so daß
eine neue Gattung entsteht, wie wir sie bis jetzt
nur als Volksstück gekannt haben, eine schwäch-
liche Nachahmung des französischen Salonstückes.
Das neue "Schauspiel" Lindau's. "Der Schatten",
ist nur im Beginne ein solches, nimmt auf der
Höhe d[e]r Entwicklung den Character eines
Trauerspieles an und endet auch als solches. Der
Regierungsrath Freiherr v. Brücken hat die in
jeder Beziehung vortreffliche Operettensängerin
[Spaltenumbruch] Edith Mühlberg kennen und lieben gelernt. Ihr
Haus ist sein Haus, zugleich ein Mittelpunct
für den ungezwungenen Verkehr näher und ferner
stehender Freunde. Solch ein Verhältniß ist aber
der sogenannten guten Gesellschaft schon lange
ein Stein des Anstoßes; und als der Ministe-
rialdirector Waldhofen seinem Freunde Brücken
dies so recht auseinandersetzt -- freilich nur
mit der geheimen Nebenabsicht, ihn mit seiner
Nichte Ellen zu verheiraten -- faßt Brücken den
raschen Entschluß, seine bisherige Freundin zu
seiner Frau zu machen und durch diese Aeußer-
lichkeit die bestandene "Unregelmäßigkeit" zu be-
seitigen. Edith hat darein gewilligt, nicht ohne
früher ihrem Freunde gestanden zu haben, daß
sie vor Jahren als unerfahrene Choristin das
Opfer des gewissenlosen Leopold Nehringen ge-
worden. Brücken hat sich damit abgefunden,
umso mehr, als die Welt nichts davon wissen
konnte und Nehringen weit weg ist.

Allein bald nach der Vermählung muß er
mit Befremden sehen, daß er mit diesem so gut
gemeinten Schritte nichts besser gemacht hat.
Alles zieht sich von ihm zurück, denn das Vor-
urtheil gegen die Operettensängerin wirkt zu
mächtig. Ein Schatten tritt unheimlich zwischen
ihn und seine Gattin; Brücken gibt seine amt-
liche Stellung auf und will der Gesellschaft den
Rücken wenden, allein nachgerade fehlt ihm die
rechte Energie, und als vollends der Verführer
Nehringen auf dem Plane erscheint, wird die
Lage eine verzweifelte. Edith, die alles mit tief-
stem Schmerze kommen gesehen, vermag den
jungen Nehringen nicht zum Weichen zu bewe-
gen, sie sieht aber auch keinen anderen Ausweg,
[Spaltenumbruch] um ihrem geliebten Gatten Stellung und Ruhe
zurückzubringen, als den Tod, den sie auch frei-
willig in den Wellen findet.

Das Stück hätte ein Schauspiel bleiben kön-
nen, wenn der Dichter den Conflict auf die
Weise gelöst hätte, daß Nehringen von Brückens
Hand beseitigt wird, worauf dieser selbst mit
seiner Gattin einen fern gelegenen, neuen Auf-
enthalt nimmt. Allein dadurch wäre die conse-
quente Zeichnung des vornehmen Characters der
Edith unmöglich geworden. Freilich wüßten wir
noch eine andere Lösung, die ganz modern, dabei
aber originell und vernünftig gewesen wäre. Da
die Vermählung Brückens mit einer Operetten-
sängerin als Scandal befunden wird, als ein
größeres Uebel im Verhältniß zu den früheren
-- gut, die Beiden lassen sich scheiden und lieben
sich und leben wie früher. Doch wie gesagt, dem
Dichter handelte es sich um seine Edith einzig
und allein; darum gerieth ihm auch ihr Gatte
so wenig gut in der gesammten Haltung. Edith
ist ein Opfer geworden; deshalb, sowie im Hin-
blick auf ihr tadelloses Leben seit jener Zeit, ist
das Maß der "Schuld" für den tragischen Zweck
zu gering geworden. Wenn sie dennoch, blos
durch die unglücklichen äußeren Umstände, in den
Tod getrieben wird, so überwiegt bei dem Zu-
hörer das Gefühl das Mitleids und die noth-
wendige poetische Gerechtigkeit ist verletzt, umso-
mehr als Nehringen unangefochten bleibt, das
Laster also triumphirt. Thatsächlich empfinden
wir am Schlusse nichts von jener gewissen Be-
friedigung, die wir haben müssen, wenn der
Held nicht nur durch widrige Verhältnisse, son-
dern auch durch eigene "Schuld" untergeht, son-


[Spaltenumbruch]

Das
“Mähriſche Tagblatt”
mit der illuſtr. alle 14 Tage
1 Bogen ſtark erſcheinenden
„Illuſtrirt. Sonntagsbeil.“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
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Mähriſches
Tagblatt.

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Außerhalb Olmütz überneh-
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cen-Exped. in Wi[e]n, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler
in Wien, Prag, Buda-
peſt, Berlin, Fraukfurt a. M.,
Hamburg, Baſel und Leipzig,
Alois Opellik, in Wien, Rud
Mosse
in Wien, München u
Berlin, M. Dukes, Wien, I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube
und Co.,
Frankſurt a. M.
Adolf Steiner’s Annoncen-
bureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes-




Manuſcripte werden nicht zu
rückgeſtellt.




Nr. 15. Olmütz, Montag, den 20. Jänner 1890. 11. Jahrgang



[Spaltenumbruch]
Das ſechzigſte Geburtsfeſt des
Herrn Bürgermeiſters Joſef v.
Engel.


Der geſtrige Tag, an welchem der Büger-
meiſter der Stadt Olmütz, Herr Joſef v. Engel
ſein ſechzigſtes Wiegenfeſt beging, brachte demſel-
ben eine außerordentlich große Anzahl von Ehrun-
gen, welche neuerdings den Beweis erbrachten,
welch’ großer Werthſchätzung und Hochachtung
ſich das allverehrte Oberhaupt unſerer Stadt er-
freut.

Alle Kreiſe der Stadt wetteiferten Herrn
Bürgermeiſter v. Engel ihre Sympathien zum
vollen Ausdruck zu bringen.

Beſonders glänzend geſtaltete ſich die Gra-
tulationscour, welche geſtern Vormittags 11 Uhr
im Bureau des Herrn Bürgermeiſters v. Engel
ſtattfand.

Um die genannte Stunde verſammelten ſich
im Gemeindeſaale die Herren Mitglieder des
Stadtverordneten-Collegiums mit Herrn Vicebür-
germeiſter Wilhelm Nather an der Spitze,
die ſtädt. Beamtenſchaft mit den Herren Stadt-
rath Franz Thometſchek und Rechnungsre-
ferenten Franz Sitta an der Spitze, ferner
Abordnungen aller hieſigen deutſchen Vereine und
mehrerer Corporationen um Herrn Bürgermei-
ſter v. Engel ihre Glückwünſche zu ſeinem ſech-
zigſten Geburtsfeſte darzubringen.


[Spaltenumbruch]

Von den erſchienenen Corporationen wurde
das Stadtverordneten-Collegium in
den mit exotiſchen Gewächſen hübſch geſchmückten
Amts-Bureau des Herrn Bürgermeiſters von
Engel zuerſt empfangen.

Herr Vicebürgermeiſter Wilhelm Nather
welcher an der Spitze der Herren Stadtverord-
neten ſtand, richtete an Herrn Bürgermeiſter von
Engel folgende formvollendete Anſprache:

Euer Hochwohlgeboren!
Geehrter Herr Bürgermeiſter!

Geſtatten ſie heute, am Gedenktage Ihrer
Geburt, welchen Sie bis nun im vertrauten
Kreiſe Ihrer lieben Familie zu feiern pflegten,
daß dieſem Feſte ſich diesmal ein weiterer
Kreis Ihrer Verehrer auſchließen darf, jener
des Stadtverordneten-Collegiums von Olmütz,
deſſen Mitglieder Ihr Geiſt, Ihre Liebenswür-
digkeit, gleichſam, zu einer Familie vereinigt
und zu dem Beſtreben entflammte Ihren ge-
meinnützigen Ideen, hochgeehrter Herr Bür-
germeiſter zu folgen und dieſelben nach Kräften
zu fördern und zu unterſtützen.

Das löbliche Stadtverordneten-Collegium
hat mich mit der hochehrenden Miſſion betraut.
Ihnen, geehrteſter Herr Bürgermeiſter, an Ihrem
für uns und die ganze Stadt ſo bedeutungs-
vollen 60. Geburtsfeſte eine Beglückwünſchungs-
Adreſſe zu überreichen, welche Ausdruck verleiht
unſeren tiefempfundenen Gefühlen der Ver-
ehrung, der Dankbarkeit und Anerkennung
[Spaltenumbruch] Ihrer unvergänglichen Verdienſte um die Stadt
Olmütz und deren Wiederaufblühen.

Möge Gott Ihrer hochgeachteten Familie
noch lange Jahre erhalten den geliebten Vater
und Gatten, der Stadt Olmütz den hochbegabten
Bürgermeiſter, dem Stadtverordneten-Collegium
ſeinen bewährten vortrefflichen Leiter und Führer
auf der Bahn des Fortſchrittes.

Tiefbewegt nahm Herr Bürgermeiſter von
Engel die ihm überreichte Beglückwünſchungs-
Adreſſe entgegen und erwiderte die Anſprache d[e]s
Herrn Vicebürgermeiſters Nather mit folgen-
den Worten:

Meine hochgeehrten Herren und lieben Freunde!

Sie erweiſen meinem Alter von 60 Jahren,
welches ſoeben erſt eine Probe ſeiner Gebrech-
lichkeit und ſeines Anſpruchs auf Ihre Nach-
ſicht abgelegt hat, eine viel zu große Aufmerk-
ſamkeit, indem Sie demſelben eine ſo herzliche,
feierliche und hochehrende Kundgebung widmen.
Sie gehen ſchon aus dem Grunde viel zu weit,
weil von den 60 Jahren meines Lebens doch
nur die letzten 28 Jahre meiner Thätigkeit
als Gemeindevertreter angehörten, in welcher
ich öffentlich zu wirken berufen war und welche
Sie mir vielleicht zu einigem Dienſt und Ver-
dienſt anrechnen. Und unter einer beſonderen
Gunſt der Verhältniſſe ſtanden ſie allerdings,
dieſe 28 Jahre! Sie knüpften an die erſten
Regungen der wiedererwachten Gemeindeauto-
nomie, aus welcher im Gemeindeleben alles
Schöne und alles Erſprießliche herkommt; ſie




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Vom Brünner Theater.
Erſte Aufführung des vieractigen Schauſpieles
„Der Schatten“.

(Original-Feuilleton des „Mähriſchen Tagblattes“.)

Wir leben in einer Zeit, in welcher ſich auf
dramatiſchem Gebiete die abſonderlichſten Erſchei-
nungen zeigen; eine Unzahl von Schriftſtellern
iſt auf dieſem Felde fieberhaft thätig, ohne daß
ſie ſelbſt, noch das Publicum die erhoffte Befrie-
digung gewännen und die wenig erfreuliche Lage
des Theatergeſchäftes iſt eine ſtändige. Ein kenn-
zeichnendes Merkmal iſt auch die Verwiſchung
der natürlichen Grenzen zwiſchen den einzelnen
Gattungen des Drama’s. Unſere Luſtſpiele ſind
Schwänke, unſere Schwänke eigentlich Poſſen und
das, was man uns oft unter dieſer letzteren
Etikette bietet, ſehr häufig Unſinn. In entgegen-
geſetzter Richtung ſchweißen manche Dramatiker
in der Abſicht, ein Luſtſpiel zu ſchreiben, die
ernſteſten Scenen mit luſtigen zuſammen, ſo daß
eine neue Gattung entſteht, wie wir ſie bis jetzt
nur als Volksſtück gekannt haben, eine ſchwäch-
liche Nachahmung des franzöſiſchen Salonſtückes.
Das neue „Schauſpiel“ Lindau’s. „Der Schatten“,
iſt nur im Beginne ein ſolches, nimmt auf der
Höhe d[e]r Entwicklung den Character eines
Trauerſpieles an und endet auch als ſolches. Der
Regierungsrath Freiherr v. Brücken hat die in
jeder Beziehung vortreffliche Operettenſängerin
[Spaltenumbruch] Edith Mühlberg kennen und lieben gelernt. Ihr
Haus iſt ſein Haus, zugleich ein Mittelpunct
für den ungezwungenen Verkehr näher und ferner
ſtehender Freunde. Solch ein Verhältniß iſt aber
der ſogenannten guten Geſellſchaft ſchon lange
ein Stein des Anſtoßes; und als der Miniſte-
rialdirector Waldhofen ſeinem Freunde Brücken
dies ſo recht auseinanderſetzt — freilich nur
mit der geheimen Nebenabſicht, ihn mit ſeiner
Nichte Ellen zu verheiraten — faßt Brücken den
raſchen Entſchluß, ſeine bisherige Freundin zu
ſeiner Frau zu machen und durch dieſe Aeußer-
lichkeit die beſtandene „Unregelmäßigkeit“ zu be-
ſeitigen. Edith hat darein gewilligt, nicht ohne
früher ihrem Freunde geſtanden zu haben, daß
ſie vor Jahren als unerfahrene Choriſtin das
Opfer des gewiſſenloſen Leopold Nehringen ge-
worden. Brücken hat ſich damit abgefunden,
umſo mehr, als die Welt nichts davon wiſſen
konnte und Nehringen weit weg iſt.

Allein bald nach der Vermählung muß er
mit Befremden ſehen, daß er mit dieſem ſo gut
gemeinten Schritte nichts beſſer gemacht hat.
Alles zieht ſich von ihm zurück, denn das Vor-
urtheil gegen die Operettenſängerin wirkt zu
mächtig. Ein Schatten tritt unheimlich zwiſchen
ihn und ſeine Gattin; Brücken gibt ſeine amt-
liche Stellung auf und will der Geſellſchaft den
Rücken wenden, allein nachgerade fehlt ihm die
rechte Energie, und als vollends der Verführer
Nehringen auf dem Plane erſcheint, wird die
Lage eine verzweifelte. Edith, die alles mit tief-
ſtem Schmerze kommen geſehen, vermag den
jungen Nehringen nicht zum Weichen zu bewe-
gen, ſie ſieht aber auch keinen anderen Ausweg,
[Spaltenumbruch] um ihrem geliebten Gatten Stellung und Ruhe
zurückzubringen, als den Tod, den ſie auch frei-
willig in den Wellen findet.

Das Stück hätte ein Schauſpiel bleiben kön-
nen, wenn der Dichter den Conflict auf die
Weiſe gelöſt hätte, daß Nehringen von Brückens
Hand beſeitigt wird, worauf dieſer ſelbſt mit
ſeiner Gattin einen fern gelegenen, neuen Auf-
enthalt nimmt. Allein dadurch wäre die conſe-
quente Zeichnung des vornehmen Characters der
Edith unmöglich geworden. Freilich wüßten wir
noch eine andere Löſung, die ganz modern, dabei
aber originell und vernünftig geweſen wäre. Da
die Vermählung Brückens mit einer Operetten-
ſängerin als Scandal befunden wird, als ein
größeres Uebel im Verhältniß zu den früheren
— gut, die Beiden laſſen ſich ſcheiden und lieben
ſich und leben wie früher. Doch wie geſagt, dem
Dichter handelte es ſich um ſeine Edith einzig
und allein; darum gerieth ihm auch ihr Gatte
ſo wenig gut in der geſammten Haltung. Edith
iſt ein Opfer geworden; deshalb, ſowie im Hin-
blick auf ihr tadelloſes Leben ſeit jener Zeit, iſt
das Maß der „Schuld“ für den tragiſchen Zweck
zu gering geworden. Wenn ſie dennoch, blos
durch die unglücklichen äußeren Umſtände, in den
Tod getrieben wird, ſo überwiegt bei dem Zu-
hörer das Gefühl das Mitleids und die noth-
wendige poetiſche Gerechtigkeit iſt verletzt, umſo-
mehr als Nehringen unangefochten bleibt, das
Laſter alſo triumphirt. Thatſächlich empfinden
wir am Schluſſe nichts von jener gewiſſen Be-
friedigung, die wir haben müſſen, wenn der
Held nicht nur durch widrige Verhältniſſe, ſon-
dern auch durch eigene „Schuld“ untergeht, ſon-


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[[1]/0001] Das “Mähriſche Tagblatt” mit der illuſtr. alle 14 Tage 1 Bogen ſtark erſcheinenden „Illuſtrirt. Sonntagsbeil.“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale. Niederring Nr. 41 neu ober den Fleiſchbänken. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5. Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 Kreuzer, Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummern 5 Kreuzer. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge. Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped. in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler in Wien, Prag, Buda- peſt, Berlin, Fraukfurt a. M., Hamburg, Baſel und Leipzig, Alois Opellik, in Wien, Rud Mosse in Wien, München u Berlin, M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube und Co., Frankſurt a. M. Adolf Steiner’s Annoncen- bureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes- Manuſcripte werden nicht zu rückgeſtellt. Nr. 15. Olmütz, Montag, den 20. Jänner 1890. 11. Jahrgang Das ſechzigſte Geburtsfeſt des Herrn Bürgermeiſters Joſef v. Engel. Olmütz, 20. Jänner. Der geſtrige Tag, an welchem der Büger- meiſter der Stadt Olmütz, Herr Joſef v. Engel ſein ſechzigſtes Wiegenfeſt beging, brachte demſel- ben eine außerordentlich große Anzahl von Ehrun- gen, welche neuerdings den Beweis erbrachten, welch’ großer Werthſchätzung und Hochachtung ſich das allverehrte Oberhaupt unſerer Stadt er- freut. Alle Kreiſe der Stadt wetteiferten Herrn Bürgermeiſter v. Engel ihre Sympathien zum vollen Ausdruck zu bringen. Beſonders glänzend geſtaltete ſich die Gra- tulationscour, welche geſtern Vormittags 11 Uhr im Bureau des Herrn Bürgermeiſters v. Engel ſtattfand. 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Geſtatten ſie heute, am Gedenktage Ihrer Geburt, welchen Sie bis nun im vertrauten Kreiſe Ihrer lieben Familie zu feiern pflegten, daß dieſem Feſte ſich diesmal ein weiterer Kreis Ihrer Verehrer auſchließen darf, jener des Stadtverordneten-Collegiums von Olmütz, deſſen Mitglieder Ihr Geiſt, Ihre Liebenswür- digkeit, gleichſam, zu einer Familie vereinigt und zu dem Beſtreben entflammte Ihren ge- meinnützigen Ideen, hochgeehrter Herr Bür- germeiſter zu folgen und dieſelben nach Kräften zu fördern und zu unterſtützen. Das löbliche Stadtverordneten-Collegium hat mich mit der hochehrenden Miſſion betraut. Ihnen, geehrteſter Herr Bürgermeiſter, an Ihrem für uns und die ganze Stadt ſo bedeutungs- vollen 60. Geburtsfeſte eine Beglückwünſchungs- Adreſſe zu überreichen, welche Ausdruck verleiht unſeren tiefempfundenen Gefühlen der Ver- ehrung, der Dankbarkeit und Anerkennung Ihrer unvergänglichen Verdienſte um die Stadt Olmütz und deren Wiederaufblühen. Möge Gott Ihrer hochgeachteten Familie noch lange Jahre erhalten den geliebten Vater und Gatten, der Stadt Olmütz den hochbegabten Bürgermeiſter, dem Stadtverordneten-Collegium ſeinen bewährten vortrefflichen Leiter und Führer auf der Bahn des Fortſchrittes. Tiefbewegt nahm Herr Bürgermeiſter von Engel die ihm überreichte Beglückwünſchungs- Adreſſe entgegen und erwiderte die Anſprache des Herrn Vicebürgermeiſters Nather mit folgen- den Worten: Meine hochgeehrten Herren und lieben Freunde! Sie erweiſen meinem Alter von 60 Jahren, welches ſoeben erſt eine Probe ſeiner Gebrech- lichkeit und ſeines Anſpruchs auf Ihre Nach- ſicht abgelegt hat, eine viel zu große Aufmerk- ſamkeit, indem Sie demſelben eine ſo herzliche, feierliche und hochehrende Kundgebung widmen. Sie gehen ſchon aus dem Grunde viel zu weit, weil von den 60 Jahren meines Lebens doch nur die letzten 28 Jahre meiner Thätigkeit als Gemeindevertreter angehörten, in welcher ich öffentlich zu wirken berufen war und welche Sie mir vielleicht zu einigem Dienſt und Ver- dienſt anrechnen. Und unter einer beſonderen Gunſt der Verhältniſſe ſtanden ſie allerdings, dieſe 28 Jahre! Sie knüpften an die erſten Regungen der wiedererwachten Gemeindeauto- nomie, aus welcher im Gemeindeleben alles Schöne und alles Erſprießliche herkommt; ſie Feuilleton. Vom Brünner Theater. Erſte Aufführung des vieractigen Schauſpieles „Der Schatten“. Von Paul Lindau. (Original-Feuilleton des „Mähriſchen Tagblattes“.) Wir leben in einer Zeit, in welcher ſich auf dramatiſchem Gebiete die abſonderlichſten Erſchei- nungen zeigen; eine Unzahl von Schriftſtellern iſt auf dieſem Felde fieberhaft thätig, ohne daß ſie ſelbſt, noch das Publicum die erhoffte Befrie- digung gewännen und die wenig erfreuliche Lage des Theatergeſchäftes iſt eine ſtändige. Ein kenn- zeichnendes Merkmal iſt auch die Verwiſchung der natürlichen Grenzen zwiſchen den einzelnen Gattungen des Drama’s. Unſere Luſtſpiele ſind Schwänke, unſere Schwänke eigentlich Poſſen und das, was man uns oft unter dieſer letzteren Etikette bietet, ſehr häufig Unſinn. In entgegen- geſetzter Richtung ſchweißen manche Dramatiker in der Abſicht, ein Luſtſpiel zu ſchreiben, die ernſteſten Scenen mit luſtigen zuſammen, ſo daß eine neue Gattung entſteht, wie wir ſie bis jetzt nur als Volksſtück gekannt haben, eine ſchwäch- liche Nachahmung des franzöſiſchen Salonſtückes. 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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 15, Olmütz, 20.01.1890, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches15_1890/1>, abgerufen am 29.03.2024.