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Mährisches Tagblatt. Nr. 132, Olmütz, 12.06.1891.

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Mährisches
Tagblatt.

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nach aufliegendem Tarif.




Außerhalb Olmütz überneh-
men Insertions-Aufträge:
Heinrich Schalek, Annon-
cen-Exped in Wien, I. Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein &
Vogler,
in Wien, Prag, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.
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Alois Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
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Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube,
und Co,
Frankfurt a. M.
Adolf Steiner's Annoncen-
bureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes.

Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.




Telephon Nr. 9.




Nr. 132. Olmütz, Freitag den 12. Juni 1891. 12. Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Die Freundschaft mit Italien.


Die Antwort des italienischen leitenden Mi-
nisters Marchese di Rudini auf die Interpellation
des Irredensisten Barzilai über das Andreas
Hofer-Denkmal in Mantua, hat in Oesterreich
den besten Eindruck gemacht und die Freunde
Italiens in Oesterreich, zu denen vor Allem die
Deutschen in Oesterreich zählen, haben ihrer Ge-
nugthuung über die Antwort Rudini's lauten
Ausdruck gegeben. Bei den Clericalen und Sla-
ven, den Gegnern des Dreibundes konnte natür-
lich darüber keine große Freude aufkommen und
sie begnügten sich daher, von dieser Antwort nur
Kenntniß zu nehmen. Das ist erklärlich -- denn
Rudini hat nicht nur der Treue des Volkshelden
Andreas Hofer ein herrliches Zeugniß ausgestellt,
er hat auch die Bundestreue Oesterreich Italien
gegenüber hervorgehoben und das Wort gespro-
chen: "Unsere Freundschaft mit Oesterreich-Ungarn
ist eine solche, daß ein Uebelwollen unseres Allir-
ten gegenüber Italien ausgeschlossen ist." Das ist
gar nicht nach dem Geschmacke der Clericalen in
Oesterreich, welche sich unausgesetzt bemühen,
Italien in Oesterreich herabzusetzen, Streitfälle
zwischen den beiden Verbündeten zu suchen und
wenn sie solche gefunden, aufzubauschen, Italien
überhaupt als einen Raubstaat hinzustellen, der das
Mißfallen des Himmels erregt hat und darum
auch dem Fluche der Menschen verfallen müsse.


[Spaltenumbruch]

Die irredentistischen Stänkereien in Italien
werden von Niemand sorgsamer beachtet, als von
unseren Clericalen; fleißig wird darüber in den
clericalen Blättern Bericht erstattet. Es soll da-
mit gezeigt werden, daß Oesterreich an Italien
keinen aufrichtigen, verläßlichen Bundesgenossen
habe. Die Finanzlage Italiens und seine Schwie-
rigkeiten in Afrika finden in unseren Clericalen
aufmerksame Beobachter und jedes clericale Blätt-
chen, das man zur Hand nimmt, ist mit irgend
einer Schauermähr ausgestattet, welche den
italienischen Nationalstaat verkleinert, herabsetzt,
verdächtigt. Ganze Nester von clericalen Corre-
spondenten sitzen in Rom und in den größeren
italienischen Städten und machen aus jeder ver-
bogenen Stecknadel einen Zwischenfall, welcher
auf den baldigen Untergang Italiens schließen
läßt. Damit wird natürlich nur dem Irredentis-
mus in die Hände gearbeitet, der es auf einen
Umsturz in Italien abgesehen hat -- und der
französischen Politik, welche die größten Anstren-
gungen macht, Italien vom Dreibunde loszu-
reißen. So sind unsere Clericalen durch ihr
Treiben gegen Italien die auswätigen Bundes-
genossen der Irredenta und der Französlinge
in Italien geworden und die Schädiger des
Dreibundes, auf welchem der Friede in Europa
beruht.

Und da kommt nun Rudini, der Nachfol-
ger des von den Clericalen über Alles gehaßten
Crispi, läßt Andreas Hofers-Gedenktafel aus
Staatsmitteln erneuern und hält dem deutschen
[Spaltenumbruch] und tirolischen Helden, der seine Vaterlandsliebe
zu Mantua mit dem Blute besiegelt hat, eine
Ehrenrede, nennt ihn einen "edlen Helden", der
schlicht und treu für die Unabhängigkeit seines
Landes gekämpft hat und gefallen ist. Aber er
geht noch weiter: er stellt die Bundesgenossen-
schaft zwischen Oesterreich und Deutschland thurm-
hoch über den Krakehl, welchen anzuzetteln die
Irredentisten und Französlinge jederzeit befließen
sind. Hat er damit nicht auch diese Bundesge-
nossenschaft über die Nergeleien und Zwietrachts-
bemühungen unserer Clericalen hinausgerückt?
Gewiß -- und eben darum finden weder
diese noch ihre Verbündeten, die anderen
Widersacher des Dreibundes, die Slaven,
Worte der Anerkennung für die mehr als ver-
bindlichen, für die aufrichtig freundschaftlichen
Aeußerungen des Ministerpräsidenten Rudini für
Oesterreich. Was er gegen den Irredentisten
Barzilai gesagt hat, das kehrt sich auch gegen
die österreichischen Widersacher des Dreibundes
und der Freundschaft mit dem von ihnen so ge-
schmähten Italien. Freilich zu Barzilai sagte
Rudini: Sie sind jung und werden weiser wer-
den. Das hätte er von unseren Clericalen nicht
sagen können, die ihre Verbohrtheiten auf Be-
stimmungen von Ewigkeit zurückführen und ihren
Willen als Gesetze für alle kommenden Ewig-
keiten betrachten. Bei ihnen ist jeder Fortschritt
in ihren Anschauungen ausgeschlossen.






[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der Postbeutel.
(Aus dem Russischen.)

Wer einmal auf der Poststraße zwischen
B ... und T ... gefahren ist, entsinnt sich
wohl der Andrejev'schen Mühle, welche einsam
am Ufer des Flüßchens Kosavka steht -- einer
kleinen Mühle mit zwei Gängen. Aelter als
hundert Jahre, seit langer Zeit nicht mehr im
Betrieb, ähnelt sie einer kleinen gebückten Alten
in veschlissenem Kleid, die sich kaum noch auf
den Füßen hält. Längst wäre die Mühle eingefal-
len, wenn sie nicht an einer alten Weide eine
Stütze hätte -- einer Osterpalme, wie sie in
Rußland sagen. So breit ist diese Weide, daß
nicht zwei Männer den wuchtigen Stamm zu
umschlingen vermögen. Ihr glänzendes Laub be-
schattet das Dach der Mühle und berührt den
Fahrweg, während die untersten Zweige im
Wasser sich baden. Auch sie ist alt und gebückt;
den höckrigen Stamm verunstaltet eine große
dunkle Höhlung; steckst Du Deine Hand hinein,
so glitscht sie in schwarzem Honig; wilde Bie-
nen umsummen und stechen Dich. Wie alt mag
sie wohl sein? Archipp, ihr Freund, sagt, schon
damals sei sie alt gewesen, als er noch bei dem
Herrn als "Franzose" und bei der Herrin als
"Neger" diente; und das ist schon sehr lang her.

Noch eine andere Ruine stützt die Weide --
den alten Archipp, welcher an ihrer Wurzel von
Anfang bis Niedergang der Sonne sitzt und
angelt. Gebückt ist er wie die Weide, und sein
[Spaltenumbruch] zahnloser Mund ähnelt einer Höhlung. Tagüber
angelt er, in der Nacht sitzt er am Fuße des
Baumes und gibt sich seinen Gedanken hin.
Tag und Nacht haben die alte Weide und der
alte Archipp zu raunen und zu flüstern ....
Manches erlebten sie gemeinsam in ihrem langen
Leben.

Dreißig Jahre möge es her sein ... es war
Palmsonntag, der Namenstag der Weide, der
Osterpalme ... der Alte hockte auf seinem Platz,
sah auf den jungen Frühling und angelte. Stille
ringsum ... nur das Flüstern der beiden Alten
war zu hören und mitunter das Plätschern eines
Fisches. Um die Mittagsstunde kochte Archipp
seine Fischsuppe. Wich der Schatten der Weide
vom Ufer zurück so war Mittag ... auch am
Geklingel der Post, welche am Mittag über den
Damm fuhr, erkannte er die rechte Zeit.

Archipp hörte das Geklingel, legte die Angel
bei Seite und lugte auf den Damm. Hügelauf
jagte das Dreigespann und fuhr im Schritt herab.
Der Conducteur schlief. Auf dem Damm ange-
kommen, hielt der Postwagen plötzlich still. Schon
seit Langem wunderte sich Archipp über nichts
mehr, dieses Halten aber kam ihm höchst sonder-
bar vor. Außerordentliches mußte geschehen sein.
Unruhig schaute der Kutscher umher, vom Ge-
sichte des Conducteurs zog er hastig ein Tuch
ab und schwang einen Riemen mit eiserner
Wurfkugel. Der Conducteur gab kein Lebenszei-
chen von sich; auf seiner Stirn klaffte eine breite
Wunde. Der Kutscher sprang ab und führte noch
einen wuchtigen Schlag. Nach etwa einer Minute
hörte Archipp nahende Schritte; der Kutscher kam
gerade auf ihn zu ... die Augen in dem sonn-
verbrannten Gesichte stierten, der Himmel weiß,
[Spaltenumbruch] wohin. Bebend am ganzen Körper lief er zur
Weide und warf, ohne Archipp zu bemerken, den
Postsack in die Höhlung; dann eilte er wieder
zurück und schwang sich auf den Wagen. Archipp,
welcher die Augen nicht von dem Mörder ließ,
schauerte zusammen, als derselbe jetzt einen Schlag
gegen die eigene Schläfe führte, so daß Blut
sein Gesicht überrieselte, dann "Hilfe! Mord!"
schrie und auf die Pfer[d]e einhieb ...

-- Hilfe! Mord!" schrie antwortend das
Echo ... noch lange hörte Archipp den grau-
sen Ruf.




Nach etwa sechs Tagen kam eine Untersuchungs-
commission; man nahm den Plan von der Mühle
auf und maß aus irgend einem Grunde die Tiefe
des Flusses; nachdem die Herren unter der
Weide ihr Mittagsmahl eingenommen, fuhren sie
wieder fort. Während der ganzen Zeit der Un-
tersuchung saß Archipp am Mühlrade und sah
zitternd vor Grauen, auf den zerrissenen Post-
beutel in der Höhlung ... er sah die Umschläge
der Geldbriefe mit ihren fünf Siegeln ... und
nun saß er ruhelos Tag und Nacht ... blickte
auf die Siegel ... blickte auf die Weide, die
tagsüber schwieg und in der Nacht seufzte.
Närrin! dachte er und horchte auf. Nach einer
Woche nahm er den Postbeutel aus der Höhlung
ging in die nahegelegene Kreisstadt und erkun-
digte sich nach dem Sitz der Behörde.

Man zeigte ihm ein großes gelbes Gebäude
mit einem Schilderhäuschen an der Pforte. Im
Vorzimmer traf er einen Beamten in Uniform
mit blanken Knöpfen, welcher den Thürwächter
herunterzankte, wobei er dicke Wolken aus seiner
Pfeife dampfte, Aengstlich näherte sich ihm Archipp


[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
Ausgabe 2 Uhr Nachmittag
im Adminiſtrationslocale
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Monatlich „ —.90

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Auswärts durch die Poſt:
Ganzjährig fl. 14.—
Halbjährig „ 7.—
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Telephon Nr. 9.


[Spaltenumbruch]
Mähriſches
Tagblatt.

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Inſertionsgebühren
nach aufliegendem Tarif.




Außerhalb Olmütz überneh-
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peſt, Berlin, Frankfurt a. M.
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Alois Opellik, in Wien. Rud.
Mosse,
in Wien, München u.
Berlin. M. Dukes, Wien, I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube,
und Co,
Frankfurt a. M.
Adolf Steiner’s Annoncen-
bureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes.

Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.




Telephon Nr. 9.




Nr. 132. Olmütz, Freitag den 12. Juni 1891. 12. Jahrgang.



[Spaltenumbruch]
Die Freundſchaft mit Italien.


Die Antwort des italieniſchen leitenden Mi-
niſters Marcheſe di Rudini auf die Interpellation
des Irredenſiſten Barzilai über das Andreas
Hofer-Denkmal in Mantua, hat in Oeſterreich
den beſten Eindruck gemacht und die Freunde
Italiens in Oeſterreich, zu denen vor Allem die
Deutſchen in Oeſterreich zählen, haben ihrer Ge-
nugthuung über die Antwort Rudini’s lauten
Ausdruck gegeben. Bei den Clericalen und Sla-
ven, den Gegnern des Dreibundes konnte natür-
lich darüber keine große Freude aufkommen und
ſie begnügten ſich daher, von dieſer Antwort nur
Kenntniß zu nehmen. Das iſt erklärlich — denn
Rudini hat nicht nur der Treue des Volkshelden
Andreas Hofer ein herrliches Zeugniß ausgeſtellt,
er hat auch die Bundestreue Oeſterreich Italien
gegenüber hervorgehoben und das Wort geſpro-
chen: „Unſere Freundſchaft mit Oeſterreich-Ungarn
iſt eine ſolche, daß ein Uebelwollen unſeres Allir-
ten gegenüber Italien ausgeſchloſſen iſt.“ Das iſt
gar nicht nach dem Geſchmacke der Clericalen in
Oeſterreich, welche ſich unausgeſetzt bemühen,
Italien in Oeſterreich herabzuſetzen, Streitfälle
zwiſchen den beiden Verbündeten zu ſuchen und
wenn ſie ſolche gefunden, aufzubauſchen, Italien
überhaupt als einen Raubſtaat hinzuſtellen, der das
Mißfallen des Himmels erregt hat und darum
auch dem Fluche der Menſchen verfallen müſſe.


[Spaltenumbruch]

Die irredentiſtiſchen Stänkereien in Italien
werden von Niemand ſorgſamer beachtet, als von
unſeren Clericalen; fleißig wird darüber in den
clericalen Blättern Bericht erſtattet. Es ſoll da-
mit gezeigt werden, daß Oeſterreich an Italien
keinen aufrichtigen, verläßlichen Bundesgenoſſen
habe. Die Finanzlage Italiens und ſeine Schwie-
rigkeiten in Afrika finden in unſeren Clericalen
aufmerkſame Beobachter und jedes clericale Blätt-
chen, das man zur Hand nimmt, iſt mit irgend
einer Schauermähr ausgeſtattet, welche den
italieniſchen Nationalſtaat verkleinert, herabſetzt,
verdächtigt. Ganze Neſter von clericalen Corre-
ſpondenten ſitzen in Rom und in den größeren
italieniſchen Städten und machen aus jeder ver-
bogenen Stecknadel einen Zwiſchenfall, welcher
auf den baldigen Untergang Italiens ſchließen
läßt. Damit wird natürlich nur dem Irredentis-
mus in die Hände gearbeitet, der es auf einen
Umſturz in Italien abgeſehen hat — und der
franzöſiſchen Politik, welche die größten Anſtren-
gungen macht, Italien vom Dreibunde loszu-
reißen. So ſind unſere Clericalen durch ihr
Treiben gegen Italien die auswätigen Bundes-
genoſſen der Irredenta und der Französlinge
in Italien geworden und die Schädiger des
Dreibundes, auf welchem der Friede in Europa
beruht.

Und da kommt nun Rudini, der Nachfol-
ger des von den Clericalen über Alles gehaßten
Crispi, läßt Andreas Hofers-Gedenktafel aus
Staatsmitteln erneuern und hält dem deutſchen
[Spaltenumbruch] und tiroliſchen Helden, der ſeine Vaterlandsliebe
zu Mantua mit dem Blute beſiegelt hat, eine
Ehrenrede, nennt ihn einen „edlen Helden“, der
ſchlicht und treu für die Unabhängigkeit ſeines
Landes gekämpft hat und gefallen iſt. Aber er
geht noch weiter: er ſtellt die Bundesgenoſſen-
ſchaft zwiſchen Oeſterreich und Deutſchland thurm-
hoch über den Krakehl, welchen anzuzetteln die
Irredentiſten und Französlinge jederzeit befließen
ſind. Hat er damit nicht auch dieſe Bundesge-
noſſenſchaft über die Nergeleien und Zwietrachts-
bemühungen unſerer Clericalen hinausgerückt?
Gewiß — und eben darum finden weder
dieſe noch ihre Verbündeten, die anderen
Widerſacher des Dreibundes, die Slaven,
Worte der Anerkennung für die mehr als ver-
bindlichen, für die aufrichtig freundſchaftlichen
Aeußerungen des Miniſterpräſidenten Rudini für
Oeſterreich. Was er gegen den Irredentiſten
Barzilai geſagt hat, das kehrt ſich auch gegen
die öſterreichiſchen Widerſacher des Dreibundes
und der Freundſchaft mit dem von ihnen ſo ge-
ſchmähten Italien. Freilich zu Barzilai ſagte
Rudini: Sie ſind jung und werden weiſer wer-
den. Das hätte er von unſeren Clericalen nicht
ſagen können, die ihre Verbohrtheiten auf Be-
ſtimmungen von Ewigkeit zurückführen und ihren
Willen als Geſetze für alle kommenden Ewig-
keiten betrachten. Bei ihnen iſt jeder Fortſchritt
in ihren Anſchauungen ausgeſchloſſen.






[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der Poſtbeutel.
(Aus dem Ruſſiſchen.)

Wer einmal auf der Poſtſtraße zwiſchen
B ... und T ... gefahren iſt, entſinnt ſich
wohl der Andrejev’ſchen Mühle, welche einſam
am Ufer des Flüßchens Koſavka ſteht — einer
kleinen Mühle mit zwei Gängen. Aelter als
hundert Jahre, ſeit langer Zeit nicht mehr im
Betrieb, ähnelt ſie einer kleinen gebückten Alten
in veſchliſſenem Kleid, die ſich kaum noch auf
den Füßen hält. Längſt wäre die Mühle eingefal-
len, wenn ſie nicht an einer alten Weide eine
Stütze hätte — einer Oſterpalme, wie ſie in
Rußland ſagen. So breit iſt dieſe Weide, daß
nicht zwei Männer den wuchtigen Stamm zu
umſchlingen vermögen. Ihr glänzendes Laub be-
ſchattet das Dach der Mühle und berührt den
Fahrweg, während die unterſten Zweige im
Waſſer ſich baden. Auch ſie iſt alt und gebückt;
den höckrigen Stamm verunſtaltet eine große
dunkle Höhlung; ſteckſt Du Deine Hand hinein,
ſo glitſcht ſie in ſchwarzem Honig; wilde Bie-
nen umſummen und ſtechen Dich. Wie alt mag
ſie wohl ſein? Archipp, ihr Freund, ſagt, ſchon
damals ſei ſie alt geweſen, als er noch bei dem
Herrn als „Franzoſe“ und bei der Herrin als
„Neger“ diente; und das iſt ſchon ſehr lang her.

Noch eine andere Ruine ſtützt die Weide —
den alten Archipp, welcher an ihrer Wurzel von
Anfang bis Niedergang der Sonne ſitzt und
angelt. Gebückt iſt er wie die Weide, und ſein
[Spaltenumbruch] zahnloſer Mund ähnelt einer Höhlung. Tagüber
angelt er, in der Nacht ſitzt er am Fuße des
Baumes und gibt ſich ſeinen Gedanken hin.
Tag und Nacht haben die alte Weide und der
alte Archipp zu raunen und zu flüſtern ....
Manches erlebten ſie gemeinſam in ihrem langen
Leben.

Dreißig Jahre möge es her ſein ... es war
Palmſonntag, der Namenstag der Weide, der
Oſterpalme ... der Alte hockte auf ſeinem Platz,
ſah auf den jungen Frühling und angelte. Stille
ringsum ... nur das Flüſtern der beiden Alten
war zu hören und mitunter das Plätſchern eines
Fiſches. Um die Mittagsſtunde kochte Archipp
ſeine Fiſchſuppe. Wich der Schatten der Weide
vom Ufer zurück ſo war Mittag ... auch am
Geklingel der Poſt, welche am Mittag über den
Damm fuhr, erkannte er die rechte Zeit.

Archipp hörte das Geklingel, legte die Angel
bei Seite und lugte auf den Damm. Hügelauf
jagte das Dreigeſpann und fuhr im Schritt herab.
Der Conducteur ſchlief. Auf dem Damm ange-
kommen, hielt der Poſtwagen plötzlich ſtill. Schon
ſeit Langem wunderte ſich Archipp über nichts
mehr, dieſes Halten aber kam ihm höchſt ſonder-
bar vor. Außerordentliches mußte geſchehen ſein.
Unruhig ſchaute der Kutſcher umher, vom Ge-
ſichte des Conducteurs zog er haſtig ein Tuch
ab und ſchwang einen Riemen mit eiſerner
Wurfkugel. Der Conducteur gab kein Lebenszei-
chen von ſich; auf ſeiner Stirn klaffte eine breite
Wunde. Der Kutſcher ſprang ab und führte noch
einen wuchtigen Schlag. Nach etwa einer Minute
hörte Archipp nahende Schritte; der Kutſcher kam
gerade auf ihn zu ... die Augen in dem ſonn-
verbrannten Geſichte ſtierten, der Himmel weiß,
[Spaltenumbruch] wohin. Bebend am ganzen Körper lief er zur
Weide und warf, ohne Archipp zu bemerken, den
Poſtſack in die Höhlung; dann eilte er wieder
zurück und ſchwang ſich auf den Wagen. Archipp,
welcher die Augen nicht von dem Mörder ließ,
ſchauerte zuſammen, als derſelbe jetzt einen Schlag
gegen die eigene Schläfe führte, ſo daß Blut
ſein Geſicht überrieſelte, dann „Hilfe! Mord!“
ſchrie und auf die Pfer[d]e einhieb ...

— Hilfe! Mord!“ ſchrie antwortend das
Echo ... noch lange hörte Archipp den grau-
ſen Ruf.




Nach etwa ſechs Tagen kam eine Unterſuchungs-
commiſſion; man nahm den Plan von der Mühle
auf und maß aus irgend einem Grunde die Tiefe
des Fluſſes; nachdem die Herren unter der
Weide ihr Mittagsmahl eingenommen, fuhren ſie
wieder fort. Während der ganzen Zeit der Un-
terſuchung ſaß Archipp am Mühlrade und ſah
zitternd vor Grauen, auf den zerriſſenen Poſt-
beutel in der Höhlung ... er ſah die Umſchläge
der Geldbriefe mit ihren fünf Siegeln ... und
nun ſaß er ruhelos Tag und Nacht ... blickte
auf die Siegel ... blickte auf die Weide, die
tagsüber ſchwieg und in der Nacht ſeufzte.
Närrin! dachte er und horchte auf. Nach einer
Woche nahm er den Poſtbeutel aus der Höhlung
ging in die nahegelegene Kreisſtadt und erkun-
digte ſich nach dem Sitz der Behörde.

Man zeigte ihm ein großes gelbes Gebäude
mit einem Schilderhäuschen an der Pforte. Im
Vorzimmer traf er einen Beamten in Uniform
mit blanken Knöpfen, welcher den Thürwächter
herunterzankte, wobei er dicke Wolken aus ſeiner
Pfeife dampfte, Aengſtlich näherte ſich ihm Archipp


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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale Niederring Nr. 41 neu. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 kr. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummern 5 kr. Telephon Nr. 9. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped in Wien, I. Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler, in Wien, Prag, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M. Hamburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Mosse, in Wien, München u. Berlin. M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube, und Co, Frankfurt a. M. Adolf Steiner’s Annoncen- bureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes. Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 132. Olmütz, Freitag den 12. Juni 1891. 12. Jahrgang. Die Freundſchaft mit Italien. Olmütz, 12. Juni. Die Antwort des italieniſchen leitenden Mi- niſters Marcheſe di Rudini auf die Interpellation des Irredenſiſten Barzilai über das Andreas Hofer-Denkmal in Mantua, hat in Oeſterreich den beſten Eindruck gemacht und die Freunde Italiens in Oeſterreich, zu denen vor Allem die Deutſchen in Oeſterreich zählen, haben ihrer Ge- nugthuung über die Antwort Rudini’s lauten Ausdruck gegeben. Bei den Clericalen und Sla- ven, den Gegnern des Dreibundes konnte natür- lich darüber keine große Freude aufkommen und ſie begnügten ſich daher, von dieſer Antwort nur Kenntniß zu nehmen. 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Gewiß — und eben darum finden weder dieſe noch ihre Verbündeten, die anderen Widerſacher des Dreibundes, die Slaven, Worte der Anerkennung für die mehr als ver- bindlichen, für die aufrichtig freundſchaftlichen Aeußerungen des Miniſterpräſidenten Rudini für Oeſterreich. Was er gegen den Irredentiſten Barzilai geſagt hat, das kehrt ſich auch gegen die öſterreichiſchen Widerſacher des Dreibundes und der Freundſchaft mit dem von ihnen ſo ge- ſchmähten Italien. Freilich zu Barzilai ſagte Rudini: Sie ſind jung und werden weiſer wer- den. Das hätte er von unſeren Clericalen nicht ſagen können, die ihre Verbohrtheiten auf Be- ſtimmungen von Ewigkeit zurückführen und ihren Willen als Geſetze für alle kommenden Ewig- keiten betrachten. Bei ihnen iſt jeder Fortſchritt in ihren Anſchauungen ausgeſchloſſen. Feuilleton. Der Poſtbeutel. (Aus dem Ruſſiſchen.) Wer einmal auf der Poſtſtraße zwiſchen B ... und T ... gefahren iſt, entſinnt ſich wohl der Andrejev’ſchen Mühle, welche einſam am Ufer des Flüßchens Koſavka ſteht — einer kleinen Mühle mit zwei Gängen. Aelter als hundert Jahre, ſeit langer Zeit nicht mehr im Betrieb, ähnelt ſie einer kleinen gebückten Alten in veſchliſſenem Kleid, die ſich kaum noch auf den Füßen hält. Längſt wäre die Mühle eingefal- len, wenn ſie nicht an einer alten Weide eine Stütze hätte — einer Oſterpalme, wie ſie in Rußland ſagen. So breit iſt dieſe Weide, daß nicht zwei Männer den wuchtigen Stamm zu umſchlingen vermögen. Ihr glänzendes Laub be- ſchattet das Dach der Mühle und berührt den Fahrweg, während die unterſten Zweige im Waſſer ſich baden. Auch ſie iſt alt und gebückt; den höckrigen Stamm verunſtaltet eine große dunkle Höhlung; ſteckſt Du Deine Hand hinein, ſo glitſcht ſie in ſchwarzem Honig; wilde Bie- nen umſummen und ſtechen Dich. Wie alt mag ſie wohl ſein? Archipp, ihr Freund, ſagt, ſchon damals ſei ſie alt geweſen, als er noch bei dem Herrn als „Franzoſe“ und bei der Herrin als „Neger“ diente; und das iſt ſchon ſehr lang her. Noch eine andere Ruine ſtützt die Weide — den alten Archipp, welcher an ihrer Wurzel von Anfang bis Niedergang der Sonne ſitzt und angelt. Gebückt iſt er wie die Weide, und ſein zahnloſer Mund ähnelt einer Höhlung. Tagüber angelt er, in der Nacht ſitzt er am Fuße des Baumes und gibt ſich ſeinen Gedanken hin. Tag und Nacht haben die alte Weide und der alte Archipp zu raunen und zu flüſtern .... Manches erlebten ſie gemeinſam in ihrem langen Leben. Dreißig Jahre möge es her ſein ... es war Palmſonntag, der Namenstag der Weide, der Oſterpalme ... der Alte hockte auf ſeinem Platz, ſah auf den jungen Frühling und angelte. Stille ringsum ... nur das Flüſtern der beiden Alten war zu hören und mitunter das Plätſchern eines Fiſches. Um die Mittagsſtunde kochte Archipp ſeine Fiſchſuppe. Wich der Schatten der Weide vom Ufer zurück ſo war Mittag ... auch am Geklingel der Poſt, welche am Mittag über den Damm fuhr, erkannte er die rechte Zeit. Archipp hörte das Geklingel, legte die Angel bei Seite und lugte auf den Damm. Hügelauf jagte das Dreigeſpann und fuhr im Schritt herab. Der Conducteur ſchlief. Auf dem Damm ange- kommen, hielt der Poſtwagen plötzlich ſtill. Schon ſeit Langem wunderte ſich Archipp über nichts mehr, dieſes Halten aber kam ihm höchſt ſonder- bar vor. Außerordentliches mußte geſchehen ſein. Unruhig ſchaute der Kutſcher umher, vom Ge- ſichte des Conducteurs zog er haſtig ein Tuch ab und ſchwang einen Riemen mit eiſerner Wurfkugel. Der Conducteur gab kein Lebenszei- chen von ſich; auf ſeiner Stirn klaffte eine breite Wunde. Der Kutſcher ſprang ab und führte noch einen wuchtigen Schlag. Nach etwa einer Minute hörte Archipp nahende Schritte; der Kutſcher kam gerade auf ihn zu ... die Augen in dem ſonn- verbrannten Geſichte ſtierten, der Himmel weiß, wohin. Bebend am ganzen Körper lief er zur Weide und warf, ohne Archipp zu bemerken, den Poſtſack in die Höhlung; dann eilte er wieder zurück und ſchwang ſich auf den Wagen. Archipp, welcher die Augen nicht von dem Mörder ließ, ſchauerte zuſammen, als derſelbe jetzt einen Schlag gegen die eigene Schläfe führte, ſo daß Blut ſein Geſicht überrieſelte, dann „Hilfe! Mord!“ ſchrie und auf die Pferde einhieb ... — Hilfe! Mord!“ ſchrie antwortend das Echo ... noch lange hörte Archipp den grau- ſen Ruf. Nach etwa ſechs Tagen kam eine Unterſuchungs- commiſſion; man nahm den Plan von der Mühle auf und maß aus irgend einem Grunde die Tiefe des Fluſſes; nachdem die Herren unter der Weide ihr Mittagsmahl eingenommen, fuhren ſie wieder fort. Während der ganzen Zeit der Un- terſuchung ſaß Archipp am Mühlrade und ſah zitternd vor Grauen, auf den zerriſſenen Poſt- beutel in der Höhlung ... er ſah die Umſchläge der Geldbriefe mit ihren fünf Siegeln ... und nun ſaß er ruhelos Tag und Nacht ... blickte auf die Siegel ... blickte auf die Weide, die tagsüber ſchwieg und in der Nacht ſeufzte. Närrin! dachte er und horchte auf. Nach einer Woche nahm er den Poſtbeutel aus der Höhlung ging in die nahegelegene Kreisſtadt und erkun- digte ſich nach dem Sitz der Behörde. Man zeigte ihm ein großes gelbes Gebäude mit einem Schilderhäuschen an der Pforte. Im Vorzimmer traf er einen Beamten in Uniform mit blanken Knöpfen, welcher den Thürwächter herunterzankte, wobei er dicke Wolken aus ſeiner Pfeife dampfte, Aengſtlich näherte ſich ihm Archipp

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 132, Olmütz, 12.06.1891, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches132_1891/1>, abgerufen am 21.11.2024.