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Mährisches Tagblatt. Nr. 122, Olmütz, 28.05.1895.

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Tagblatt.

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Außerhalb Olmütz überneh-
men Insertions-Aufträge:
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cen-Exped. in Wien, I., Woll-
zeile Nr. 11, Haasenstein
& Vogler
in Wien, Buda-
pest, Berlin, Frankfurt a. M.,
Hamburg, Basel und Leipzig.
Alois Opellik, in Wien. Rud.
Messe
in Wien, München u.
Berlin, M. Dukes, Wien, I.
Schulerstraße 8. G. L. Daube
und Co.,
Frankfurt a. M.
Karoly u. Liebmann's Annon-
cenbureau in Hamburg, sowie
sämmtl. conc. Insertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes
Manuscripte werden nicht
zurückgestellt.


Telephon Nr. 9.




Nr. 122. Olmütz, Dienstag, den 28. Mai 1895. 16. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die neuen Steuern.


Wenngleich das Abgeordnetenhaus schon einen
großen Theil des Steuerreformwerkes erledigt
hat, so sind verzögernde Zwischenfälle noch immer
möglich. Auch im Jahre 1878 war man nach
den langwierigen und ziemlich bewegten Steuer-
debatten nahezu ans Ende gelangt, als durch
einen Rückverweisungsantrag die gesammte Steuer-
reform begraben wurde. Diesmal sind von den
sechs Hauptstücken des Entwurfes die vier wichtigsten
jene, über die allgemeine Erwerbsteuer, die Steuer
der zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten
Unternehmungen, die Rentensteuer und die Ein-
kommensteuer bereits votirt und erübrigt noch
das Hauptstück über die Strafbestimmungen und
jenes über die sogenannten allgemeinen Be-
stimmungen. Aber damit wären lange noch nicht
alle Fährlichkeiten umgangen. Denn noch erübrigt
der Finanzplan, und dieser birgt namentlich in
dem höchst überflüssigen Wahlrechtsantrag des
Abgeordneten Dipauli den Keim gefährlicher
Zerwürfnisse in sich. So viel scheint heute schon
festzustehen, daß der im Gesetzentwurf in Aussicht
genommene Termin für den Geltungsbeginn der
Steuerreform, der 1. Jänner 1896, kaum ein-
gehalten werden wird.

Während am Beginn, schreibt die "Bohemia",
alle Parteien in der Anerkennung der Nothwen-
digkeit ziemlich einig waren, die Steuerreform zu
beschließen, gibt sich, je länger die Berathung dauert,
eine immer lärmender auftretende Gegnerschaft
kund. Demgegenüber muß immer wieder an die
[Spaltenumbruch] Unzukömmlichkeiten erinnert werden, welche das
derzeit bestehende Steuersystem in Oesterreich mit
sich bringt. Der Uebergang von den Ertrag-
steuern zur Einkommensteuer, welcher durch das
zu beschließende Steuergesetz in Oesterreich einge-
leitet und allmählig herbeigeführt werden soll,
wurde stets als ein bedeutender Schritt zur Bes-
serung, als eine Erlösung begrüßt. Die social-
politische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat
der Auffassung den Weg geebnet, daß die Steuer-
politik des Staates ein Regulator der Volks-
wirthschaft sei, und es fehlt in der Literatur nicht
an Vorschlägen, welche bei dem Versuch, diesen
Gedanken in die Wirklichkeit zu übertragen, den
Grundsatz formulirten, eine gerechte Steuer
müsse das Erträgniß der Landwirthschaft im
einsachen Betrag, jedes der Industrie im 11/2-
fachen, des Handels im 13/4fachen, des Bankiers
im doppelten Betrag u. dgl. zur Besteuerung
heranziehen. Die Steuerlast sollte sonach eine
Abst[u]fung erfahren, nach der Einkommensart
und Erwerbsquelle. Gleichzeitig sollte der Staat
in die Lage kommen, bei der Erfüllung seiner
Obliegenheiten im Interesse der socialen Wohl-
fahrt durch die Steuern gewissermaßen eine
ausgleichende Gerechtigkeit zu üben. Es mag im
Allgemeinen zutreffen, daß zwei Häuser mit
gleichem Zinserträgniß gleich viel an Gebäude-
steuer zu leisten vermögen, aber es ist gewiß
nicht richtig, daß die Befitzer der beiden Häuser
in gleichem Grade steuerfähig sind. Hier eine ge-
rechte Vertheilung zu bewerkstelligen, den Einen
nach seiner Leistungsfähigkeit mehr, den Anderen
weniger zu belasten, kann nur vermöge der Per-
[Spaltenumbruch] sonaleinkommensteuer erreicht werden. Oesterreich
wird als nicht reif erachtet, seinen Staatshaus-
halt heute schon ausschließlich schon auf die Ein-
kommensteuer einzurichten. Deshalb werden vor-
läufig die Ertragssteuern, wie die Grund-, Ge-
bäude- und Erwerbsteuer beibehalten, und die
Personaleinkommensteuer kann nur als Ergänzung
zur Einführung kommen. Aber die künftige
Entwicklung muß darauf gerichtet sein, die erstere
gänzlich zu beseitigen, und nur letztere aus-
zubilden.

Als mustergiltig ist in dieser Beziehung die
Steuergesetzgebung Preußens zu erachten, woselbst
schon im Jahre 1820 mit der sogenannten Classen-
steuer der Anfang gemacht wurde zur allmäligen
Einführung der Einkommensteuer, wie sie heute
mit dem befriedigenden Ergebniß besteht. Eine der
letzten Reformmaßnahmen in Preußen, das Gesetz
vom 24. Jänner 1891 verfügt die Declarations-
pflicht, wonach Jeder verpflichtet ist, sein Ein-
kommen zu bekennen.

Die diesbezüglichen Bestimmungen im österrei-
chischen Steuerreformentwurf, welche das Abgeordne-
tenhaus in den letzten Sitzungen erörterte, sind genau
dem preußischen Gesetz nachgebildet; die Zweck-
mäßigkeit derselben ist durch den Erfolg erwiesen.
Nach Einführung der Declarationspflicht in
Preußen ergab die Einkommensteuer statt, wie
präliminirt war, 80 Millionen Mark nicht weni-
ger als 120 Millionen und dieser überraschende
Mehrertrag bot dem Staate die Möglichkeit, auf
die Ertragsteuern gänzlich zu verzichten und sie
den Gemeinden zu überlassen. Gegenwärtig beruht
das preußische Budget, soweit die Steuern in




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der italienische Bismarck.
Von Carl von Bruchhausen (Friedenau).

(Nachdruck verboten.)

Nicht nur Lügen, auch Prophezeihungen
haben oft genug kurze Beine. Kluge Leute hatten
mit großer Sicherheit vorausgesagt, das Fran-
cesco Crispis
Erdendasein nicht über 64
Jahre dauern werde, weil sowohl sein Vater,
wie seine Mutter in diesem Alter gestorben
waren. Nun hat er es aber bereits auf 75 nette Jahre
gebracht, und sein gestählter Körper, seine un-
verminderte geistige Regsamkeit, sein ungebro-
chenes Temperament scheinen noch eine Reihe
fruchtbarer Jahre zu verbürgen.

Dreiviertel Jahrhunderte schaut er das Licht
der Welt und nicht in müßiger Ruhe, nicht nach
fest verzeichneten Bahnen sind seine Tage ver-
laufen, sondern in Sturm und Kampf, in Noth
und Gefahr, bald ihn hoch hebend, bald ihn tief
niederschmetternd. Schwere Arbeit und unabläs-
siges Ringen sind zeitlebeus sein Loos gewesen.

Von Geburt ist Crispi ein Sicilianer albane-
sischer Herkunft; in Ribera bei Girgenti kam er
auf die Welt. Es hat nicht an Schmeichlern ge-
fehlt, die seinen Stammbaum auf den altrömi-
schen Crispus Salustius oder auf einen Fürsten
Crispi, der im 13. Jahrhundert Samos be-
[Spaltenumbruch] herrschte, zurückführen wollten, aber er selbst hat
einmal lächelnd erklärt, daß der Adel in seiner
Familie erst mit ihm selber beginne. Adelsstolz
würde freilich dem geschworenen Demokraten auch
schlecht anstehen!

Den jungen Crispi nahm, da zu seiner
Verwandtschaft ein paar Priester zählten, zunächst
ein geistliches Seminar auf und der spätere
Freidenker versuchte sein poetisches Talent zunächst
in religiösen Stimmungsdichtungen: ein Werde-
gang, mit dem er nicht allein auf der Welt steht.
Frühzeitig aber schüttelte er diese Richtung ab,
und der Achtzehnjährige bezog als Student
der Rechtswissentchaft die Universität Palermo.
Da spielt ihm sein heißes Herz den ersten
Streich. Rosina Sciarra, seiner "Phileuse"
jugendfrische Tochter hat es ihm angethan. Mit
der ihm schon in jungen Jahren eigenen Willens-
energie erklärt Francesco seinen Eltern, daß
er Rosina alsbald heimführen werde. Der ent-
setzte und erzürnte Vater ruft ihn natürlich sofort
nach Ribera zurück, und der Sohn gehorcht
trauernden Herzens. Die Gefahr scheint vorüber:
da dringt plötzlich in die Provinz das Gerücht
von einem entsetzlichen Wüthen der Cholera
in Palermo. Flugs zieht der junge Crispi ein
Pferd aus dem väterlichen Stall, und im Galopp
geht's nach der Hauptstadt Siciliens. Zwei Tage
später ist er dort, findet die Geliebte lebend und
reicht ihr sofort vor dem Altar die Hand. Um
sich nur die allernöthigsten Existenzmittel zu ver-
schaffen, verkaufte er das Pferd an die Postver-
waltung, und dieses Pferd führt die Eltern auf
die Spur des Flüchtlings. Zu ändern aber bleibt
[Spaltenumbruch] nichts mehr, denn die Ehe ist vollzogene That-
sache. -- Und noch nicht genug der Romantik!
Als Rosina nach zwei Jahren stirbt, will ihre
jüngere Schwester durchaus des zukünftigen Hel-
den Gattin werden, aber der Vormund ver-
sagt die Einwilligung, und sie nimmt den
Schleier ....

Der junge Ehemann hatte inzwischen --
1841 -- seine juristischen Studien abgeschlossen
und warf sich nun mit all' seinen Kräften --
als Revolutionär gegen die bourbonische Herr-
schaft auf seiner Heimatinsel -- der Politik in
die Arme. Heimliche Verschwörerei und offenes
Auftreten im ficilianischen Parlament bereiteten die
aufständischen Putsche des Jahres 1848--49 vor,
die mit dem vollen Siege der Regierung endeten.
Des jungen Rechtsanwalts Name stand auf der
Liste der Geächteten obenan. Damals -- im Mai
1849 -- war es, als der fliehende Crispi nach
einem letzten Blick auf sein geliebtes Palermo in
sein Taschenbuch schrieb:

Oh mia Sicilia! tra l'orror de 'mali
I figli tuoi ti lasciano frementi;
Sembra, che non ci resti speme alcuna
E sia notte funesta a noi isolani! *)

In abenteuerlicher Flucht gelangte der junge
Verschwörer nach Piemont, dem Asyl der "Pa-
trioten aus ganz Italien. In Turin sollte es
dem zukünftigen "Vetter des Königs" (der Annun-


*) In freier Uebersetzung etwa:
O mein Sicilien! Deine Söhne müssen
In Schmerz erknirschend Deine Scholle meiden,
Scheint's doch, als werde nie ein Hoffnungsstrahl
Erhellen Dir die dunkle Nacht der Leiden.
[Spaltenumbruch]

Das
„Mähriſche Tagblatt“
erſcheint mit Ausnahme der
Sonn- und Feiertage täglich.
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im Adminiſtrationslocale
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Mähriſches
Tagblatt.

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peſt, Berlin, Frankfurt a. M.,
Hamburg, Baſel und Leipzig.
Alois Opellik, in Wien. Rud.
Messe
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Berlin, M. Dukes, Wien, I.
Schulerſtraße 8. G. L. Daube
und Co.,
Frankfurt a. M.
Karoly u. Liebmann’s Annon-
cenbureau in Hamburg, ſowie
ſämmtl. conc. Inſertionsbu-
reaus des In- u. Auslandes
Manuſcripte werden nicht
zurückgeſtellt.


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Nr. 122. Olmütz, Dienstag, den 28. Mai 1895. 16. Jahrgang.


[Spaltenumbruch]
Die neuen Steuern.


Wenngleich das Abgeordnetenhaus ſchon einen
großen Theil des Steuerreformwerkes erledigt
hat, ſo ſind verzögernde Zwiſchenfälle noch immer
möglich. Auch im Jahre 1878 war man nach
den langwierigen und ziemlich bewegten Steuer-
debatten nahezu ans Ende gelangt, als durch
einen Rückverweiſungsantrag die geſammte Steuer-
reform begraben wurde. Diesmal ſind von den
ſechs Hauptſtücken des Entwurfes die vier wichtigſten
jene, über die allgemeine Erwerbſteuer, die Steuer
der zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten
Unternehmungen, die Rentenſteuer und die Ein-
kommenſteuer bereits votirt und erübrigt noch
das Hauptſtück über die Strafbeſtimmungen und
jenes über die ſogenannten allgemeinen Be-
ſtimmungen. Aber damit wären lange noch nicht
alle Fährlichkeiten umgangen. Denn noch erübrigt
der Finanzplan, und dieſer birgt namentlich in
dem höchſt überflüſſigen Wahlrechtsantrag des
Abgeordneten Dipauli den Keim gefährlicher
Zerwürfniſſe in ſich. So viel ſcheint heute ſchon
feſtzuſtehen, daß der im Geſetzentwurf in Ausſicht
genommene Termin für den Geltungsbeginn der
Steuerreform, der 1. Jänner 1896, kaum ein-
gehalten werden wird.

Während am Beginn, ſchreibt die „Bohemia“,
alle Parteien in der Anerkennung der Nothwen-
digkeit ziemlich einig waren, die Steuerreform zu
beſchließen, gibt ſich, je länger die Berathung dauert,
eine immer lärmender auftretende Gegnerſchaft
kund. Demgegenüber muß immer wieder an die
[Spaltenumbruch] Unzukömmlichkeiten erinnert werden, welche das
derzeit beſtehende Steuerſyſtem in Oeſterreich mit
ſich bringt. Der Uebergang von den Ertrag-
ſteuern zur Einkommenſteuer, welcher durch das
zu beſchließende Steuergeſetz in Oeſterreich einge-
leitet und allmählig herbeigeführt werden ſoll,
wurde ſtets als ein bedeutender Schritt zur Beſ-
ſerung, als eine Erlöſung begrüßt. Die ſocial-
politiſche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat
der Auffaſſung den Weg geebnet, daß die Steuer-
politik des Staates ein Regulator der Volks-
wirthſchaft ſei, und es fehlt in der Literatur nicht
an Vorſchlägen, welche bei dem Verſuch, dieſen
Gedanken in die Wirklichkeit zu übertragen, den
Grundſatz formulirten, eine gerechte Steuer
müſſe das Erträgniß der Landwirthſchaft im
einſachen Betrag, jedes der Induſtrie im 1½-
fachen, des Handels im 1¾fachen, des Bankiers
im doppelten Betrag u. dgl. zur Beſteuerung
heranziehen. Die Steuerlaſt ſollte ſonach eine
Abſt[u]fung erfahren, nach der Einkommensart
und Erwerbsquelle. Gleichzeitig ſollte der Staat
in die Lage kommen, bei der Erfüllung ſeiner
Obliegenheiten im Intereſſe der ſocialen Wohl-
fahrt durch die Steuern gewiſſermaßen eine
ausgleichende Gerechtigkeit zu üben. Es mag im
Allgemeinen zutreffen, daß zwei Häuſer mit
gleichem Zinserträgniß gleich viel an Gebäude-
ſteuer zu leiſten vermögen, aber es iſt gewiß
nicht richtig, daß die Befitzer der beiden Häuſer
in gleichem Grade ſteuerfähig ſind. Hier eine ge-
rechte Vertheilung zu bewerkſtelligen, den Einen
nach ſeiner Leiſtungsfähigkeit mehr, den Anderen
weniger zu belaſten, kann nur vermöge der Per-
[Spaltenumbruch] ſonaleinkommenſteuer erreicht werden. Oeſterreich
wird als nicht reif erachtet, ſeinen Staatshaus-
halt heute ſchon ausſchließlich ſchon auf die Ein-
kommenſteuer einzurichten. Deshalb werden vor-
läufig die Ertragsſteuern, wie die Grund-, Ge-
bäude- und Erwerbſteuer beibehalten, und die
Perſonaleinkommenſteuer kann nur als Ergänzung
zur Einführung kommen. Aber die künftige
Entwicklung muß darauf gerichtet ſein, die erſtere
gänzlich zu beſeitigen, und nur letztere aus-
zubilden.

Als muſtergiltig iſt in dieſer Beziehung die
Steuergeſetzgebung Preußens zu erachten, woſelbſt
ſchon im Jahre 1820 mit der ſogenannten Claſſen-
ſteuer der Anfang gemacht wurde zur allmäligen
Einführung der Einkommenſteuer, wie ſie heute
mit dem befriedigenden Ergebniß beſteht. Eine der
letzten Reformmaßnahmen in Preußen, das Geſetz
vom 24. Jänner 1891 verfügt die Declarations-
pflicht, wonach Jeder verpflichtet iſt, ſein Ein-
kommen zu bekennen.

Die diesbezüglichen Beſtimmungen im öſterrei-
chiſchen Steuerreformentwurf, welche das Abgeordne-
tenhaus in den letzten Sitzungen erörterte, ſind genau
dem preußiſchen Geſetz nachgebildet; die Zweck-
mäßigkeit derſelben iſt durch den Erfolg erwieſen.
Nach Einführung der Declarationspflicht in
Preußen ergab die Einkommenſteuer ſtatt, wie
präliminirt war, 80 Millionen Mark nicht weni-
ger als 120 Millionen und dieſer überraſchende
Mehrertrag bot dem Staate die Möglichkeit, auf
die Ertragſteuern gänzlich zu verzichten und ſie
den Gemeinden zu überlaſſen. Gegenwärtig beruht
das preußiſche Budget, ſoweit die Steuern in




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.



Der italieniſche Bismarck.
Von Carl von Bruchhauſen (Friedenau).

(Nachdruck verboten.)

Nicht nur Lügen, auch Prophezeihungen
haben oft genug kurze Beine. Kluge Leute hatten
mit großer Sicherheit vorausgeſagt, das Fran-
cesco Crispis
Erdendaſein nicht über 64
Jahre dauern werde, weil ſowohl ſein Vater,
wie ſeine Mutter in dieſem Alter geſtorben
waren. Nun hat er es aber bereits auf 75 nette Jahre
gebracht, und ſein geſtählter Körper, ſeine un-
verminderte geiſtige Regſamkeit, ſein ungebro-
chenes Temperament ſcheinen noch eine Reihe
fruchtbarer Jahre zu verbürgen.

Dreiviertel Jahrhunderte ſchaut er das Licht
der Welt und nicht in müßiger Ruhe, nicht nach
feſt verzeichneten Bahnen ſind ſeine Tage ver-
laufen, ſondern in Sturm und Kampf, in Noth
und Gefahr, bald ihn hoch hebend, bald ihn tief
niederſchmetternd. Schwere Arbeit und unabläſ-
ſiges Ringen ſind zeitlebeus ſein Loos geweſen.

Von Geburt iſt Crispi ein Sicilianer albane-
ſiſcher Herkunft; in Ribera bei Girgenti kam er
auf die Welt. Es hat nicht an Schmeichlern ge-
fehlt, die ſeinen Stammbaum auf den altrömi-
ſchen Crispus Saluſtius oder auf einen Fürſten
Crispi, der im 13. Jahrhundert Samos be-
[Spaltenumbruch] herrſchte, zurückführen wollten, aber er ſelbſt hat
einmal lächelnd erklärt, daß der Adel in ſeiner
Familie erſt mit ihm ſelber beginne. Adelsſtolz
würde freilich dem geſchworenen Demokraten auch
ſchlecht anſtehen!

Den jungen Crispi nahm, da zu ſeiner
Verwandtſchaft ein paar Prieſter zählten, zunächſt
ein geiſtliches Seminar auf und der ſpätere
Freidenker verſuchte ſein poetiſches Talent zunächſt
in religiöſen Stimmungsdichtungen: ein Werde-
gang, mit dem er nicht allein auf der Welt ſteht.
Frühzeitig aber ſchüttelte er dieſe Richtung ab,
und der Achtzehnjährige bezog als Student
der Rechtswiſſentchaft die Univerſität Palermo.
Da ſpielt ihm ſein heißes Herz den erſten
Streich. Roſina Sciarra, ſeiner „Phileuſe“
jugendfriſche Tochter hat es ihm angethan. Mit
der ihm ſchon in jungen Jahren eigenen Willens-
energie erklärt Francesco ſeinen Eltern, daß
er Roſina alsbald heimführen werde. Der ent-
ſetzte und erzürnte Vater ruft ihn natürlich ſofort
nach Ribera zurück, und der Sohn gehorcht
trauernden Herzens. Die Gefahr ſcheint vorüber:
da dringt plötzlich in die Provinz das Gerücht
von einem entſetzlichen Wüthen der Cholera
in Palermo. Flugs zieht der junge Crispi ein
Pferd aus dem väterlichen Stall, und im Galopp
geht’s nach der Hauptſtadt Siciliens. Zwei Tage
ſpäter iſt er dort, findet die Geliebte lebend und
reicht ihr ſofort vor dem Altar die Hand. Um
ſich nur die allernöthigſten Exiſtenzmittel zu ver-
ſchaffen, verkaufte er das Pferd an die Poſtver-
waltung, und dieſes Pferd führt die Eltern auf
die Spur des Flüchtlings. Zu ändern aber bleibt
[Spaltenumbruch] nichts mehr, denn die Ehe iſt vollzogene That-
ſache. — Und noch nicht genug der Romantik!
Als Roſina nach zwei Jahren ſtirbt, will ihre
jüngere Schweſter durchaus des zukünftigen Hel-
den Gattin werden, aber der Vormund ver-
ſagt die Einwilligung, und ſie nimmt den
Schleier ....

Der junge Ehemann hatte inzwiſchen —
1841 — ſeine juriſtiſchen Studien abgeſchloſſen
und warf ſich nun mit all’ ſeinen Kräften —
als Revolutionär gegen die bourboniſche Herr-
ſchaft auf ſeiner Heimatinſel — der Politik in
die Arme. Heimliche Verſchwörerei und offenes
Auftreten im ficilianiſchen Parlament bereiteten die
aufſtändiſchen Putſche des Jahres 1848—49 vor,
die mit dem vollen Siege der Regierung endeten.
Des jungen Rechtsanwalts Name ſtand auf der
Liſte der Geächteten obenan. Damals — im Mai
1849 — war es, als der fliehende Crispi nach
einem letzten Blick auf ſein geliebtes Palermo in
ſein Taſchenbuch ſchrieb:

Oh mia Sicilia! tra l’orror de ’mali
I figli tuoi ti lasciano frementi;
Sembra, che non ci resti speme alcuna
E sia notte funesta a noi isolani! *)

In abenteuerlicher Flucht gelangte der junge
Verſchwörer nach Piemont, dem Aſyl der „Pa-
trioten aus ganz Italien. In Turin ſollte es
dem zukünftigen „Vetter des Königs“ (der Annun-


*) In freier Ueberſetzung etwa:
O mein Sicilien! Deine Söhne müſſen
In Schmerz erknirſchend Deine Scholle meiden,
Scheint’s doch, als werde nie ein Hoffnungsſtrahl
Erhellen Dir die dunkle Nacht der Leiden.
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[[1]/0001] Das „Mähriſche Tagblatt“ erſcheint mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage täglich. Ausgabe 2 Uhr Nachmittag im Adminiſtrationslocale Niederring Nr. 41 neu. Abonnement für Olmütz: Ganzjährig fl. 10.— Halbjährig „ 5.— Vierteljährig „ 2.50 Monatlich „ —.90 Zuſtellung ins Haus monat- lich 10 kr. Auswärts durch die Poſt: Ganzjährig fl. 14.— Halbjährig „ 7.— Vierteljährig „ 3.50 Einzelne Nummer 5 kr. Telephon Nr. 9. Mähriſches Tagblatt. Inſertionsgebühren nach aufliegendem Tarif. Außerhalb Olmütz überneh- men Inſertions-Aufträge: Heinrich Schalek, Annon- cen-Exped. in Wien, I., Woll- zeile Nr. 11, Haasenstein & Vogler in Wien, Buda- peſt, Berlin, Frankfurt a. M., Hamburg, Baſel und Leipzig. Alois Opellik, in Wien. Rud. Messe in Wien, München u. Berlin, M. Dukes, Wien, I. Schulerſtraße 8. G. L. Daube und Co., Frankfurt a. M. Karoly u. Liebmann’s Annon- cenbureau in Hamburg, ſowie ſämmtl. conc. Inſertionsbu- reaus des In- u. Auslandes Manuſcripte werden nicht zurückgeſtellt. Telephon Nr. 9. Nr. 122. Olmütz, Dienstag, den 28. Mai 1895. 16. Jahrgang. Die neuen Steuern. Olmütz, 28. Mai. Wenngleich das Abgeordnetenhaus ſchon einen großen Theil des Steuerreformwerkes erledigt hat, ſo ſind verzögernde Zwiſchenfälle noch immer möglich. Auch im Jahre 1878 war man nach den langwierigen und ziemlich bewegten Steuer- debatten nahezu ans Ende gelangt, als durch einen Rückverweiſungsantrag die geſammte Steuer- reform begraben wurde. Diesmal ſind von den ſechs Hauptſtücken des Entwurfes die vier wichtigſten jene, über die allgemeine Erwerbſteuer, die Steuer der zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichteten Unternehmungen, die Rentenſteuer und die Ein- kommenſteuer bereits votirt und erübrigt noch das Hauptſtück über die Strafbeſtimmungen und jenes über die ſogenannten allgemeinen Be- ſtimmungen. Aber damit wären lange noch nicht alle Fährlichkeiten umgangen. Denn noch erübrigt der Finanzplan, und dieſer birgt namentlich in dem höchſt überflüſſigen Wahlrechtsantrag des Abgeordneten Dipauli den Keim gefährlicher Zerwürfniſſe in ſich. So viel ſcheint heute ſchon feſtzuſtehen, daß der im Geſetzentwurf in Ausſicht genommene Termin für den Geltungsbeginn der Steuerreform, der 1. Jänner 1896, kaum ein- gehalten werden wird. Während am Beginn, ſchreibt die „Bohemia“, alle Parteien in der Anerkennung der Nothwen- digkeit ziemlich einig waren, die Steuerreform zu beſchließen, gibt ſich, je länger die Berathung dauert, eine immer lärmender auftretende Gegnerſchaft kund. Demgegenüber muß immer wieder an die Unzukömmlichkeiten erinnert werden, welche das derzeit beſtehende Steuerſyſtem in Oeſterreich mit ſich bringt. Der Uebergang von den Ertrag- ſteuern zur Einkommenſteuer, welcher durch das zu beſchließende Steuergeſetz in Oeſterreich einge- leitet und allmählig herbeigeführt werden ſoll, wurde ſtets als ein bedeutender Schritt zur Beſ- ſerung, als eine Erlöſung begrüßt. Die ſocial- politiſche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat der Auffaſſung den Weg geebnet, daß die Steuer- politik des Staates ein Regulator der Volks- wirthſchaft ſei, und es fehlt in der Literatur nicht an Vorſchlägen, welche bei dem Verſuch, dieſen Gedanken in die Wirklichkeit zu übertragen, den Grundſatz formulirten, eine gerechte Steuer müſſe das Erträgniß der Landwirthſchaft im einſachen Betrag, jedes der Induſtrie im 1½- fachen, des Handels im 1¾fachen, des Bankiers im doppelten Betrag u. dgl. zur Beſteuerung heranziehen. Die Steuerlaſt ſollte ſonach eine Abſtufung erfahren, nach der Einkommensart und Erwerbsquelle. 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Aber die künftige Entwicklung muß darauf gerichtet ſein, die erſtere gänzlich zu beſeitigen, und nur letztere aus- zubilden. Als muſtergiltig iſt in dieſer Beziehung die Steuergeſetzgebung Preußens zu erachten, woſelbſt ſchon im Jahre 1820 mit der ſogenannten Claſſen- ſteuer der Anfang gemacht wurde zur allmäligen Einführung der Einkommenſteuer, wie ſie heute mit dem befriedigenden Ergebniß beſteht. Eine der letzten Reformmaßnahmen in Preußen, das Geſetz vom 24. Jänner 1891 verfügt die Declarations- pflicht, wonach Jeder verpflichtet iſt, ſein Ein- kommen zu bekennen. Die diesbezüglichen Beſtimmungen im öſterrei- chiſchen Steuerreformentwurf, welche das Abgeordne- tenhaus in den letzten Sitzungen erörterte, ſind genau dem preußiſchen Geſetz nachgebildet; die Zweck- mäßigkeit derſelben iſt durch den Erfolg erwieſen. Nach Einführung der Declarationspflicht in Preußen ergab die Einkommenſteuer ſtatt, wie präliminirt war, 80 Millionen Mark nicht weni- ger als 120 Millionen und dieſer überraſchende Mehrertrag bot dem Staate die Möglichkeit, auf die Ertragſteuern gänzlich zu verzichten und ſie den Gemeinden zu überlaſſen. Gegenwärtig beruht das preußiſche Budget, ſoweit die Steuern in Feuilleton. Der italieniſche Bismarck. Von Carl von Bruchhauſen (Friedenau). (Nachdruck verboten.) Nicht nur Lügen, auch Prophezeihungen haben oft genug kurze Beine. Kluge Leute hatten mit großer Sicherheit vorausgeſagt, das Fran- cesco Crispis Erdendaſein nicht über 64 Jahre dauern werde, weil ſowohl ſein Vater, wie ſeine Mutter in dieſem Alter geſtorben waren. Nun hat er es aber bereits auf 75 nette Jahre gebracht, und ſein geſtählter Körper, ſeine un- verminderte geiſtige Regſamkeit, ſein ungebro- chenes Temperament ſcheinen noch eine Reihe fruchtbarer Jahre zu verbürgen. Dreiviertel Jahrhunderte ſchaut er das Licht der Welt und nicht in müßiger Ruhe, nicht nach feſt verzeichneten Bahnen ſind ſeine Tage ver- laufen, ſondern in Sturm und Kampf, in Noth und Gefahr, bald ihn hoch hebend, bald ihn tief niederſchmetternd. Schwere Arbeit und unabläſ- ſiges Ringen ſind zeitlebeus ſein Loos geweſen. Von Geburt iſt Crispi ein Sicilianer albane- ſiſcher Herkunft; in Ribera bei Girgenti kam er auf die Welt. Es hat nicht an Schmeichlern ge- fehlt, die ſeinen Stammbaum auf den altrömi- ſchen Crispus Saluſtius oder auf einen Fürſten Crispi, der im 13. Jahrhundert Samos be- herrſchte, zurückführen wollten, aber er ſelbſt hat einmal lächelnd erklärt, daß der Adel in ſeiner Familie erſt mit ihm ſelber beginne. Adelsſtolz würde freilich dem geſchworenen Demokraten auch ſchlecht anſtehen! Den jungen Crispi nahm, da zu ſeiner Verwandtſchaft ein paar Prieſter zählten, zunächſt ein geiſtliches Seminar auf und der ſpätere Freidenker verſuchte ſein poetiſches Talent zunächſt in religiöſen Stimmungsdichtungen: ein Werde- gang, mit dem er nicht allein auf der Welt ſteht. Frühzeitig aber ſchüttelte er dieſe Richtung ab, und der Achtzehnjährige bezog als Student der Rechtswiſſentchaft die Univerſität Palermo. Da ſpielt ihm ſein heißes Herz den erſten Streich. Roſina Sciarra, ſeiner „Phileuſe“ jugendfriſche Tochter hat es ihm angethan. Mit der ihm ſchon in jungen Jahren eigenen Willens- energie erklärt Francesco ſeinen Eltern, daß er Roſina alsbald heimführen werde. Der ent- ſetzte und erzürnte Vater ruft ihn natürlich ſofort nach Ribera zurück, und der Sohn gehorcht trauernden Herzens. Die Gefahr ſcheint vorüber: da dringt plötzlich in die Provinz das Gerücht von einem entſetzlichen Wüthen der Cholera in Palermo. Flugs zieht der junge Crispi ein Pferd aus dem väterlichen Stall, und im Galopp geht’s nach der Hauptſtadt Siciliens. Zwei Tage ſpäter iſt er dort, findet die Geliebte lebend und reicht ihr ſofort vor dem Altar die Hand. Um ſich nur die allernöthigſten Exiſtenzmittel zu ver- ſchaffen, verkaufte er das Pferd an die Poſtver- waltung, und dieſes Pferd führt die Eltern auf die Spur des Flüchtlings. Zu ändern aber bleibt nichts mehr, denn die Ehe iſt vollzogene That- ſache. — Und noch nicht genug der Romantik! Als Roſina nach zwei Jahren ſtirbt, will ihre jüngere Schweſter durchaus des zukünftigen Hel- den Gattin werden, aber der Vormund ver- ſagt die Einwilligung, und ſie nimmt den Schleier .... Der junge Ehemann hatte inzwiſchen — 1841 — ſeine juriſtiſchen Studien abgeſchloſſen und warf ſich nun mit all’ ſeinen Kräften — als Revolutionär gegen die bourboniſche Herr- ſchaft auf ſeiner Heimatinſel — der Politik in die Arme. Heimliche Verſchwörerei und offenes Auftreten im ficilianiſchen Parlament bereiteten die aufſtändiſchen Putſche des Jahres 1848—49 vor, die mit dem vollen Siege der Regierung endeten. Des jungen Rechtsanwalts Name ſtand auf der Liſte der Geächteten obenan. Damals — im Mai 1849 — war es, als der fliehende Crispi nach einem letzten Blick auf ſein geliebtes Palermo in ſein Taſchenbuch ſchrieb: Oh mia Sicilia! tra l’orror de ’mali I figli tuoi ti lasciano frementi; Sembra, che non ci resti speme alcuna E sia notte funesta a noi isolani! *) In abenteuerlicher Flucht gelangte der junge Verſchwörer nach Piemont, dem Aſyl der „Pa- trioten aus ganz Italien. In Turin ſollte es dem zukünftigen „Vetter des Königs“ (der Annun- *) In freier Ueberſetzung etwa: O mein Sicilien! Deine Söhne müſſen In Schmerz erknirſchend Deine Scholle meiden, Scheint’s doch, als werde nie ein Hoffnungsſtrahl Erhellen Dir die dunkle Nacht der Leiden.

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 122, Olmütz, 28.05.1895, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches122_1895/1>, abgerufen am 21.11.2024.