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Das Heller-Blatt. Nr. 26. Breslau, 28. Juni 1834.

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Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] großen schwarzen Fleck in der Mitte; um den Rachen
zogen sich gelbe Streifen, und um den Hals ein gelber
Kreis, wie ein Halsband; die Seiten waren von einer
dunklen Olivenfarbe; der Rücken prangte in den schön-
sten Farben, z. B. mit einer Kette hellgelber, blut-
rother Flecken besprengt. Der Kopf war flach, aber
äußerst breit, und die Augen ungeheuer groß, weit und
fürchterlich. So waren die Farben, wenn es ganz
ruhig da lag; wenn es sich aber in der Sonne umher-
bewegte, war es noch tausend Mal schöner; die Farben
schillerten und vermannigfaltigten sich durch die ver-
schiedenen Lichtschattirungen ins Unendliche.

Wir zielten nun, wie es so dalag, Alle auf den
Kopf und schossen los; aber wir verfehlten es entweder,
oder brachten ihm keine Wunde bei; das Thier achtete
auf unser Feuern gar nicht. Wir gaben für heute un-
sere Angriffe auf.

Am andern Morgen rückten wir zeitig aus, mehr
als hundert an der Zahl, und fanden unsern zu erle-
genden Feind noch auf dem alten Posten. Er schien
heute sehr grimmig und hungrig, und wir, im Hinter-
grunde lauernd, hatten bald Gelegenheit, Proben seiner
Furchtbarkeit zu sehen. Es giebt auf dieser üppigen
Jnsel viele Tiger; einer derselben, von außerordent-
licher Größe, fast so hoch wie eine junge Kuh, kam jetzt
in die Nähe des Baumes der Anakonda. Alsbald ver-
nahmen wir ein schauerliches Rasseln. Schnell, wie
ein Pfeil, stürzte die Schlange auf ihn nieder und packte
ihn fest. - Der Tiger brüllte fürchterlich vor Todes-
angst, und kam zu unserm Entsetzen mit seinem Feinde
auf uns zugerannt, jedoch nicht weit; denn die behende
Schlange wand augenblicklich ihren Leib um den des
Tigers drei bis vier Mal, und schnürte ihn so fest zu-
sammen, daß er niederstürzte. Nun packte sie den
Kopf des Tigers, den sie jämmerlich zurichtete; doch
dieser erhob sich wieder und krümmte und wand sich
umher, aber vergebens. Sein hohles Gebrüll in dem
Rachen des Ungeheuers war furchtbar, und es kündete
uns die schrecklichen Qualen seines gräßlichen Marter-
todes an. Mein Vorschlag, jetzt loszuschießen, ward von
meinen Begleitern widerrathen, welche meinten, wenn
wir sie jetzt störten, so würde sie so wild werden, daß
es leicht Einigen von uns das Leben kosten könnte, wohl
aber könne die auf solche Art gesättigte Schlange sich
dann kaum bewegen und sei am Ende leicht zu erlegen.
Der Tiger war von der stärksten und grimmigsten Art;
er machte seinem Feinde unendlich viel zu schaffen, aber
er konnte ihm nicht entgehn und keinen Schaden zufügen.

Wohl hundert Mal stand er auf und lief eine kleine
Strecke, fiel aber bald wieder, durch die vielen Win-
dungen gehemmt, unter der Last des Ungeheuers nieder.
Endlich nach vielem Streben schien er sehr entkräftet
und lag wie todt da. Da sich die Schlange lange ver-
geblich bemüht hatte, seine Knochen zu zerbrechen, so
zog sie ihn am Ende mit vieler Kraftanstrengung nach
[Spaltenumbruch] dem Baume zurück, und jetzt erst zeigte sich der dop-
pelte Nutzen, den ihr derselbe gewährte. Wenn diese
Bestie auch stark genug ist, so große Geschöpfe zu erle-
gen, so ist sie doch nicht im Stande, sie zu verschlin-
gen, ehe sie ihnen die Knochen zerbrochen hat, und diese
Kunst scheint ihr die Natur gelehrt zu haben. Als die
Schlange das Thier nach und nach zum Baume hinge-
schleppt hatte, stellte sie es auf die Füße, umschlang
Baum und Tiger mehrere Male, und schnürte Beide
mit solcher Gewalt zusammen, daß die Rippen und an-
dern Knochen sich bogen, und endlich nach wiederholten
Anstrengungen brachen. Einige Beine zerbrach sie auf
diese Weise an fünf verschiedenen Stellen. Dies dauerte
mehrere Stunden, während der das zähe Leben des Ti-
gers noch nicht ganz erloschen war. Bei jedem Ber-
sten eines Knochens stieß er ein Geheul aus, das zwar
nicht stark, aber jämmerlich anzuhören war. Sie ver-
suchte
endlich ihre Kräfte an dem Schädel, der ihr aber
so viele Arbeit machte, daß sie vor Erschöpfung davon
abstand und dann auf dem Baume ihr Nachtlager nahm.
Wir begaben uns nun nach Hause. Als wir am an-
dern Morgen wieder hinkamen, bemerkten wir eine
große Veränderung; der Körper des Tigers, der jetzt
einer rothen formlosen Masse glich, lag nun in einiger
Entfernung vom Baume, und glänzte, als wäre er
mit Leim überzogen. Durch ihren schäumenden Geifer
wurde die ganze Masse schlüpfrig, und ganz zum Ver-
schlingen eingerichtet. Sie richtete sich dann auf, er-
griff erst den Kopf, und zog diesen und dann den gan-
zen Körper in den Rachen. Es wurde aber Nacht, ehe
sie alles ganz hinunter geschlungen hatte.

Am folgenden Tage versammelten wir uns zum
letzten Male; die Schlange war dick aufgeschwollen,
und so überladen, daß sie uns weder angreifen noch sich
wehren konnte. Als wir uns näherten, suchte sie auf
den Baum zu kommen; dies ließen aber ihre Kräfte
nicht zu. Es ward ihr sogleich der Garaus gemacht,
indem man ihr mit Holzblöcken den Kopf einschlug.
Jch maß sie nun, und fand sie 36 Fuß lang. Sie
wurde sogleich aufgeschnitten, ihr Fleisch war so weiß,
wie Kalbfleisch, und nach der Versicherung der Einge-
bornen, die sie verzehrten, wohlschmeckender als jedes
andere Fleisch, das sie noch je genossen hatten."

Die Anakonda bewohnt Ostindien, Afrika und
Mittel=Amerika; sie ist die größte und schönste unter
den Schlangen, von furchtbarer Kraft, dicker als der
Leib eines Mannes und erreicht die Länge von 40 bis
50 Fuß. Jhr länglicher Kopf ist einem Krokodill nicht
unähnlich. Jn beiden Kiefern stecken viele lange, ge-
krümmte und scharfe spitzige Zähne. Am Bauche be-
finden sich 240, unter dem Schwanze aber 60 Schilde.
Sie heißt auch die Abgottsschlange, weil die süd-
amerikanischen Jndianer sie theilweise göttlich verehren.



[Ende Spaltensatz]

Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] großen schwarzen Fleck in der Mitte; um den Rachen
zogen sich gelbe Streifen, und um den Hals ein gelber
Kreis, wie ein Halsband; die Seiten waren von einer
dunklen Olivenfarbe; der Rücken prangte in den schön-
sten Farben, z. B. mit einer Kette hellgelber, blut-
rother Flecken besprengt. Der Kopf war flach, aber
äußerst breit, und die Augen ungeheuer groß, weit und
fürchterlich. So waren die Farben, wenn es ganz
ruhig da lag; wenn es sich aber in der Sonne umher-
bewegte, war es noch tausend Mal schöner; die Farben
schillerten und vermannigfaltigten sich durch die ver-
schiedenen Lichtschattirungen ins Unendliche.

Wir zielten nun, wie es so dalag, Alle auf den
Kopf und schossen los; aber wir verfehlten es entweder,
oder brachten ihm keine Wunde bei; das Thier achtete
auf unser Feuern gar nicht. Wir gaben für heute un-
sere Angriffe auf.

Am andern Morgen rückten wir zeitig aus, mehr
als hundert an der Zahl, und fanden unsern zu erle-
genden Feind noch auf dem alten Posten. Er schien
heute sehr grimmig und hungrig, und wir, im Hinter-
grunde lauernd, hatten bald Gelegenheit, Proben seiner
Furchtbarkeit zu sehen. Es giebt auf dieser üppigen
Jnsel viele Tiger; einer derselben, von außerordent-
licher Größe, fast so hoch wie eine junge Kuh, kam jetzt
in die Nähe des Baumes der Anakonda. Alsbald ver-
nahmen wir ein schauerliches Rasseln. Schnell, wie
ein Pfeil, stürzte die Schlange auf ihn nieder und packte
ihn fest. – Der Tiger brüllte fürchterlich vor Todes-
angst, und kam zu unserm Entsetzen mit seinem Feinde
auf uns zugerannt, jedoch nicht weit; denn die behende
Schlange wand augenblicklich ihren Leib um den des
Tigers drei bis vier Mal, und schnürte ihn so fest zu-
sammen, daß er niederstürzte. Nun packte sie den
Kopf des Tigers, den sie jämmerlich zurichtete; doch
dieser erhob sich wieder und krümmte und wand sich
umher, aber vergebens. Sein hohles Gebrüll in dem
Rachen des Ungeheuers war furchtbar, und es kündete
uns die schrecklichen Qualen seines gräßlichen Marter-
todes an. Mein Vorschlag, jetzt loszuschießen, ward von
meinen Begleitern widerrathen, welche meinten, wenn
wir sie jetzt störten, so würde sie so wild werden, daß
es leicht Einigen von uns das Leben kosten könnte, wohl
aber könne die auf solche Art gesättigte Schlange sich
dann kaum bewegen und sei am Ende leicht zu erlegen.
Der Tiger war von der stärksten und grimmigsten Art;
er machte seinem Feinde unendlich viel zu schaffen, aber
er konnte ihm nicht entgehn und keinen Schaden zufügen.

Wohl hundert Mal stand er auf und lief eine kleine
Strecke, fiel aber bald wieder, durch die vielen Win-
dungen gehemmt, unter der Last des Ungeheuers nieder.
Endlich nach vielem Streben schien er sehr entkräftet
und lag wie todt da. Da sich die Schlange lange ver-
geblich bemüht hatte, seine Knochen zu zerbrechen, so
zog sie ihn am Ende mit vieler Kraftanstrengung nach
[Spaltenumbruch] dem Baume zurück, und jetzt erst zeigte sich der dop-
pelte Nutzen, den ihr derselbe gewährte. Wenn diese
Bestie auch stark genug ist, so große Geschöpfe zu erle-
gen, so ist sie doch nicht im Stande, sie zu verschlin-
gen, ehe sie ihnen die Knochen zerbrochen hat, und diese
Kunst scheint ihr die Natur gelehrt zu haben. Als die
Schlange das Thier nach und nach zum Baume hinge-
schleppt hatte, stellte sie es auf die Füße, umschlang
Baum und Tiger mehrere Male, und schnürte Beide
mit solcher Gewalt zusammen, daß die Rippen und an-
dern Knochen sich bogen, und endlich nach wiederholten
Anstrengungen brachen. Einige Beine zerbrach sie auf
diese Weise an fünf verschiedenen Stellen. Dies dauerte
mehrere Stunden, während der das zähe Leben des Ti-
gers noch nicht ganz erloschen war. Bei jedem Ber-
sten eines Knochens stieß er ein Geheul aus, das zwar
nicht stark, aber jämmerlich anzuhören war. Sie ver-
suchte
endlich ihre Kräfte an dem Schädel, der ihr aber
so viele Arbeit machte, daß sie vor Erschöpfung davon
abstand und dann auf dem Baume ihr Nachtlager nahm.
Wir begaben uns nun nach Hause. Als wir am an-
dern Morgen wieder hinkamen, bemerkten wir eine
große Veränderung; der Körper des Tigers, der jetzt
einer rothen formlosen Masse glich, lag nun in einiger
Entfernung vom Baume, und glänzte, als wäre er
mit Leim überzogen. Durch ihren schäumenden Geifer
wurde die ganze Masse schlüpfrig, und ganz zum Ver-
schlingen eingerichtet. Sie richtete sich dann auf, er-
griff erst den Kopf, und zog diesen und dann den gan-
zen Körper in den Rachen. Es wurde aber Nacht, ehe
sie alles ganz hinunter geschlungen hatte.

Am folgenden Tage versammelten wir uns zum
letzten Male; die Schlange war dick aufgeschwollen,
und so überladen, daß sie uns weder angreifen noch sich
wehren konnte. Als wir uns näherten, suchte sie auf
den Baum zu kommen; dies ließen aber ihre Kräfte
nicht zu. Es ward ihr sogleich der Garaus gemacht,
indem man ihr mit Holzblöcken den Kopf einschlug.
Jch maß sie nun, und fand sie 36 Fuß lang. Sie
wurde sogleich aufgeschnitten, ihr Fleisch war so weiß,
wie Kalbfleisch, und nach der Versicherung der Einge-
bornen, die sie verzehrten, wohlschmeckender als jedes
andere Fleisch, das sie noch je genossen hatten.“

Die Anakonda bewohnt Ostindien, Afrika und
Mittel=Amerika; sie ist die größte und schönste unter
den Schlangen, von furchtbarer Kraft, dicker als der
Leib eines Mannes und erreicht die Länge von 40 bis
50 Fuß. Jhr länglicher Kopf ist einem Krokodill nicht
unähnlich. Jn beiden Kiefern stecken viele lange, ge-
krümmte und scharfe spitzige Zähne. Am Bauche be-
finden sich 240, unter dem Schwanze aber 60 Schilde.
Sie heißt auch die Abgottsschlange, weil die süd-
amerikanischen Jndianer sie theilweise göttlich verehren.



[Ende Spaltensatz]
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Am folgenden Tage versammelten wir uns zum letzten Male; die Schlange war dick aufgeschwollen, und so überladen, daß sie uns weder angreifen noch sich wehren konnte. Als wir uns näherten, suchte sie auf den Baum zu kommen; dies ließen aber ihre Kräfte nicht zu. Es ward ihr sogleich der Garaus gemacht, indem man ihr mit Holzblöcken den Kopf einschlug. Jch maß sie nun, und fand sie 36 Fuß lang. Sie wurde sogleich aufgeschnitten, ihr Fleisch war so weiß, wie Kalbfleisch, und nach der Versicherung der Einge- bornen, die sie verzehrten, wohlschmeckender als jedes andere Fleisch, das sie noch je genossen hatten.“ Die Anakonda bewohnt Ostindien, Afrika und Mittel=Amerika; sie ist die größte und schönste unter den Schlangen, von furchtbarer Kraft, dicker als der Leib eines Mannes und erreicht die Länge von 40 bis 50 Fuß. Jhr länglicher Kopf ist einem Krokodill nicht unähnlich. Jn beiden Kiefern stecken viele lange, ge- krümmte und scharfe spitzige Zähne. 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Zitationshilfe: Das Heller-Blatt. Nr. 26. Breslau, 28. Juni 1834, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_heller26_1834/6>, abgerufen am 06.06.2024.