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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905.

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Allostis: Der Zweck heiligt das Mittel.
[Abbildung]
Der Zweck heiligt das Mittel.
Von Allostis.

Das Oberlandesgericht zu Köln hat entschieden, daß die Jesuiten nicht
den Grundsatz gelehrt haben, jede an sich verwerfliche Handlung sei dadurch
erlaubt, daß sie zu einem guten Zwecke vollbracht werde, genauer gesprochen, daß
sich dieser Grundsatz in dem vom Grafen Hoensbroech vorgelegten Material
nicht formell ( ausdrücklich und ganz allgemein ) ausgesprochen finde. Die sämt-
lichen vom Grafen Hoensbroech vorgebrachten Stellen befaßten sich vielmehr
ausschließlich mit bestimmten, einzelnen Handlungen, und es werde
von den Jesuiten die Frage beantwortet, ob diese unter bestimmten Voraus-
setzungen erlaubt seien. So sagt Escobar: "Jch weiß, daß ein guter Zweck
zuweilen von der Sünde des Aergernisses entschuldigt." Tamburini be-
gründet die Erlaubtheit der Knabenentmannung damit, daß es "ein genügen-
der Grund zu sein scheine, im Staate und auch in der Kirche solche klang-
vollen Sänger zu haben, um das Lob Gottes zu singen." Castropalao erklärte
es für erlaubt, wenn eine Partei die Maitresse des Richters unter Geschenken
bittet, inbezug auf einen Prozeß beim Richter Fürsprache einzulegen, wenn
es kein anderes Mittel gibt, den der Partei ungünstig gesinnten Richter zur
Wahrung ihres Rechtes zu bewegen. Auch der Fürstenmord wird von Sa,
Toletus und Mariana nur unter bestimmten Voraussetzungen verteidigt, und
nur unter gewissen Umständen hält es Palmieri für erlaubt, dem Nächsten
ein Uebel zu wünschen, z. B. dem Ketzerführer den Tod.

Die Richter scheinen mir die ihnen gestellte Frage richtig beantwortet
zu haben. So dumm sind die Jesuiten nicht, daß sie ganz allgemein behaupten
könnten, jede an sich verwerfliche Handlung werde durch jeden guten Zweck
erlaubt. Blickt man aber etwas tiefer, so findet man einen ganzen Ratten-
könig von Fragen auf dem Grunde des umstrittenen Satzes liegen. Und man
muß sich über die Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit sonst kluger Männer
wundern, die aufeinander losschlagen, ohne durch die Schale der Mißverständ-
nisse auf den Kern des Streites gedrungen zu sein. Das ist der Fluch aller
Schlagworte, ja schließlich fast jedes Wortes unserer Sprache, daß sie Ab-
kürzungen von Vorstellungen und Vorstellungsweisen sind, die bei der Ver-
schiedenheit der Menschen und ihrer Erfahrungen bei jedem anders sind.

Daß aus den Schriften der Jesuiten der Gedanke entnommen werden
kann: der Zweck heiligt die Mittel ( richtiger hieße es: der Zweck heiligt
das Mittel ) , hat Graf Hoensbroech zweifellos bewiesen für jeden, der diesen
Satz in vernünftigem Sinne auffaßt. Aber darum hat er noch nicht recht,
wenn er schrieb: "Ausschlaggebend war die unbestreitbare Wahrheit, daß es von

Allostis: Der Zweck heiligt das Mittel.
[Abbildung]
Der Zweck heiligt das Mittel.
Von Allostis.

Das Oberlandesgericht zu Köln hat entschieden, daß die Jesuiten nicht
den Grundsatz gelehrt haben, jede an sich verwerfliche Handlung sei dadurch
erlaubt, daß sie zu einem guten Zwecke vollbracht werde, genauer gesprochen, daß
sich dieser Grundsatz in dem vom Grafen Hoensbroech vorgelegten Material
nicht formell ( ausdrücklich und ganz allgemein ) ausgesprochen finde. Die sämt-
lichen vom Grafen Hoensbroech vorgebrachten Stellen befaßten sich vielmehr
ausschließlich mit bestimmten, einzelnen Handlungen, und es werde
von den Jesuiten die Frage beantwortet, ob diese unter bestimmten Voraus-
setzungen erlaubt seien. So sagt Escobar: „Jch weiß, daß ein guter Zweck
zuweilen von der Sünde des Aergernisses entschuldigt.“ Tamburini be-
gründet die Erlaubtheit der Knabenentmannung damit, daß es „ein genügen-
der Grund zu sein scheine, im Staate und auch in der Kirche solche klang-
vollen Sänger zu haben, um das Lob Gottes zu singen.“ Castropalao erklärte
es für erlaubt, wenn eine Partei die Maitresse des Richters unter Geschenken
bittet, inbezug auf einen Prozeß beim Richter Fürsprache einzulegen, wenn
es kein anderes Mittel gibt, den der Partei ungünstig gesinnten Richter zur
Wahrung ihres Rechtes zu bewegen. Auch der Fürstenmord wird von Sa,
Toletus und Mariana nur unter bestimmten Voraussetzungen verteidigt, und
nur unter gewissen Umständen hält es Palmieri für erlaubt, dem Nächsten
ein Uebel zu wünschen, z. B. dem Ketzerführer den Tod.

Die Richter scheinen mir die ihnen gestellte Frage richtig beantwortet
zu haben. So dumm sind die Jesuiten nicht, daß sie ganz allgemein behaupten
könnten, jede an sich verwerfliche Handlung werde durch jeden guten Zweck
erlaubt. Blickt man aber etwas tiefer, so findet man einen ganzen Ratten-
könig von Fragen auf dem Grunde des umstrittenen Satzes liegen. Und man
muß sich über die Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit sonst kluger Männer
wundern, die aufeinander losschlagen, ohne durch die Schale der Mißverständ-
nisse auf den Kern des Streites gedrungen zu sein. Das ist der Fluch aller
Schlagworte, ja schließlich fast jedes Wortes unserer Sprache, daß sie Ab-
kürzungen von Vorstellungen und Vorstellungsweisen sind, die bei der Ver-
schiedenheit der Menschen und ihrer Erfahrungen bei jedem anders sind.

Daß aus den Schriften der Jesuiten der Gedanke entnommen werden
kann: der Zweck heiligt die Mittel ( richtiger hieße es: der Zweck heiligt
das Mittel ) , hat Graf Hoensbroech zweifellos bewiesen für jeden, der diesen
Satz in vernünftigem Sinne auffaßt. Aber darum hat er noch nicht recht,
wenn er schrieb: „Ausschlaggebend war die unbestreitbare Wahrheit, daß es von

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[621/0029] Allostis: Der Zweck heiligt das Mittel. [Abbildung] Der Zweck heiligt das Mittel. Von Allostis. Das Oberlandesgericht zu Köln hat entschieden, daß die Jesuiten nicht den Grundsatz gelehrt haben, jede an sich verwerfliche Handlung sei dadurch erlaubt, daß sie zu einem guten Zwecke vollbracht werde, genauer gesprochen, daß sich dieser Grundsatz in dem vom Grafen Hoensbroech vorgelegten Material nicht formell ( ausdrücklich und ganz allgemein ) ausgesprochen finde. Die sämt- lichen vom Grafen Hoensbroech vorgebrachten Stellen befaßten sich vielmehr ausschließlich mit bestimmten, einzelnen Handlungen, und es werde von den Jesuiten die Frage beantwortet, ob diese unter bestimmten Voraus- setzungen erlaubt seien. So sagt Escobar: „Jch weiß, daß ein guter Zweck zuweilen von der Sünde des Aergernisses entschuldigt.“ Tamburini be- gründet die Erlaubtheit der Knabenentmannung damit, daß es „ein genügen- der Grund zu sein scheine, im Staate und auch in der Kirche solche klang- vollen Sänger zu haben, um das Lob Gottes zu singen.“ Castropalao erklärte es für erlaubt, wenn eine Partei die Maitresse des Richters unter Geschenken bittet, inbezug auf einen Prozeß beim Richter Fürsprache einzulegen, wenn es kein anderes Mittel gibt, den der Partei ungünstig gesinnten Richter zur Wahrung ihres Rechtes zu bewegen. Auch der Fürstenmord wird von Sa, Toletus und Mariana nur unter bestimmten Voraussetzungen verteidigt, und nur unter gewissen Umständen hält es Palmieri für erlaubt, dem Nächsten ein Uebel zu wünschen, z. B. dem Ketzerführer den Tod. Die Richter scheinen mir die ihnen gestellte Frage richtig beantwortet zu haben. So dumm sind die Jesuiten nicht, daß sie ganz allgemein behaupten könnten, jede an sich verwerfliche Handlung werde durch jeden guten Zweck erlaubt. Blickt man aber etwas tiefer, so findet man einen ganzen Ratten- könig von Fragen auf dem Grunde des umstrittenen Satzes liegen. Und man muß sich über die Oberflächlichkeit und Gedankenlosigkeit sonst kluger Männer wundern, die aufeinander losschlagen, ohne durch die Schale der Mißverständ- nisse auf den Kern des Streites gedrungen zu sein. Das ist der Fluch aller Schlagworte, ja schließlich fast jedes Wortes unserer Sprache, daß sie Ab- kürzungen von Vorstellungen und Vorstellungsweisen sind, die bei der Ver- schiedenheit der Menschen und ihrer Erfahrungen bei jedem anders sind. Daß aus den Schriften der Jesuiten der Gedanke entnommen werden kann: der Zweck heiligt die Mittel ( richtiger hieße es: der Zweck heiligt das Mittel ) , hat Graf Hoensbroech zweifellos bewiesen für jeden, der diesen Satz in vernünftigem Sinne auffaßt. Aber darum hat er noch nicht recht, wenn er schrieb: „Ausschlaggebend war die unbestreitbare Wahrheit, daß es von

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 13. Berlin-Charlottenburg, 13. April 1905, S. 621. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0113_1905/29>, abgerufen am 24.11.2024.