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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905.

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J. Schaumberger: Die große Liebe.
mich entschlossen, fest entschlossen, meinem Gatten treu zu bleiben, und zwar,
wie Du jetzt verstehen wirst, wieder nicht aus moralischen oder gar aus sen-
timentalen Gründen, sondern einfach deshalb, weil ich eingesehen habe, daß es
dumm und geschmacklos wäre, wenn ich meinen Mann mit "Jhm" betrügen
würde. Wäre es nicht töricht, die Position aufs Spiel zu setzen, die ich meinem
Gatten zu verdanken habe und die allen meinen Ambitionen in dieser Beziehung
vollkommen entspricht? Aufs Spiel zu setzen, ja! Denn Robert würde, davon
bin ich überzeugt, in diesem Punkte keinen Spaß verstehen, und wenn ich mich
auch sonst auf meine Klugheit so ziemlich verlassen kann, auf diesem Gebiete
leistet sie mir doch keine Garantie gegen eine zufällige Entdeckung. Und dann:
"Er" ist durch und durch Artist, das heißt ein Mensch, der sich von seinen Jn-
stinkten total beherrschen läßt; also das direkte Gegenteil von mir. Auf diesem
Kontrast beruht es vielleicht, ja höchst wahrscheinlich, daß wir einander gefallen;
aber im intimen Verkehr könnten, ja würden sich daraus die abscheulichsten
Dissonanzen ergeben. Endlich finde ich es geschmacklos, mit einem Manne
zusammen zu leben, der der Betrogene ist, ohne es zu wissen. Mein Mann
würde mir lächerlich erscheinen und dadurch unausstehlich werden, während
er mir jetzt durch seine Stellung Respekt, durch sein tadelloses Benehmen mir
gegenüber sogar eine gewisse Sympathie einflößt.

So, nun wirst Du mich verstehen. Jedenfalls wirst Du, fromme Seele,
Dich freuen, daß durch meinen Entschluß die Tugend gesiegt hat und mein
Seelenheil gerettet ist.

Mit tausend Küssen

    Deine Lena.

PS. "Er" soll es sogleich erfahren. Ob ich ihm schreiben oder es ihm
sagen werde? Nous verrons.


Mein liebe Ottilie!

Jch habe mit "Jhm" gesprochen, ganz offen und ehrlich. Die Sache
brieflich zu erledigen, erschien mir doch zu gefahrvoll. Jch ging also zu ihm.
Mein Porträt steht ja noch in seinem Atelier, und ein Künstler wie er wird
nie fertig. Jn der Tat entdeckte er auch wieder etwas in meinen Zügen,
was ihm bisher entgangen war. Jch ließ ihn diese Entdeckung, diese letzte
Entdeckung -- denn wir werden uns nie wiedersehen -- fixieren; dann fing
ich an, zu sprechen, ruhig und freundlich wie eine ältere Schwester. Er ist
ja auch wirklich noch so jung, im Vergleich zu mir, obwohl er zwei Jahre
älter ist als ich. Ein Kind mit dreißig Jahren! O, diese Künstler! Wie
naiv er war, ich kann es Dir gar nicht sagen. Bezaubernd! Jch war nie so
verliebt in ihn, wie in dieser letzten Stunde. Aber mein Entschluß war ge-
faßt, und ich fühlte mich sicher. Es war ein eigenes Vergnügen, so mit der
Gefahr zu spielen, zu wissen, daß je mehr sie wuchs, desto größer auch der
Reiz wurde, ihr zu begegnen, der Lockung zu widerstehen. Eine köstliche Sen-
sation! -- Wie er es aufnahm? Mein Gott! Wie nimmt ein Kind es auf,
wenn man ihm sein Lieblingsspielzeug wegnimmt mit der Begründung, es
könnte sich damit wehtun. Was würde ihm denn, meint es, größeren Schmerz

J. Schaumberger: Die große Liebe.
mich entschlossen, fest entschlossen, meinem Gatten treu zu bleiben, und zwar,
wie Du jetzt verstehen wirst, wieder nicht aus moralischen oder gar aus sen-
timentalen Gründen, sondern einfach deshalb, weil ich eingesehen habe, daß es
dumm und geschmacklos wäre, wenn ich meinen Mann mit „Jhm“ betrügen
würde. Wäre es nicht töricht, die Position aufs Spiel zu setzen, die ich meinem
Gatten zu verdanken habe und die allen meinen Ambitionen in dieser Beziehung
vollkommen entspricht? Aufs Spiel zu setzen, ja! Denn Robert würde, davon
bin ich überzeugt, in diesem Punkte keinen Spaß verstehen, und wenn ich mich
auch sonst auf meine Klugheit so ziemlich verlassen kann, auf diesem Gebiete
leistet sie mir doch keine Garantie gegen eine zufällige Entdeckung. Und dann:
„Er“ ist durch und durch Artist, das heißt ein Mensch, der sich von seinen Jn-
stinkten total beherrschen läßt; also das direkte Gegenteil von mir. Auf diesem
Kontrast beruht es vielleicht, ja höchst wahrscheinlich, daß wir einander gefallen;
aber im intimen Verkehr könnten, ja würden sich daraus die abscheulichsten
Dissonanzen ergeben. Endlich finde ich es geschmacklos, mit einem Manne
zusammen zu leben, der der Betrogene ist, ohne es zu wissen. Mein Mann
würde mir lächerlich erscheinen und dadurch unausstehlich werden, während
er mir jetzt durch seine Stellung Respekt, durch sein tadelloses Benehmen mir
gegenüber sogar eine gewisse Sympathie einflößt.

So, nun wirst Du mich verstehen. Jedenfalls wirst Du, fromme Seele,
Dich freuen, daß durch meinen Entschluß die Tugend gesiegt hat und mein
Seelenheil gerettet ist.

Mit tausend Küssen

    Deine Lena.

PS. „Er“ soll es sogleich erfahren. Ob ich ihm schreiben oder es ihm
sagen werde? Nous verrons.


Mein liebe Ottilie!

Jch habe mit „Jhm“ gesprochen, ganz offen und ehrlich. Die Sache
brieflich zu erledigen, erschien mir doch zu gefahrvoll. Jch ging also zu ihm.
Mein Porträt steht ja noch in seinem Atelier, und ein Künstler wie er wird
nie fertig. Jn der Tat entdeckte er auch wieder etwas in meinen Zügen,
was ihm bisher entgangen war. Jch ließ ihn diese Entdeckung, diese letzte
Entdeckung — denn wir werden uns nie wiedersehen — fixieren; dann fing
ich an, zu sprechen, ruhig und freundlich wie eine ältere Schwester. Er ist
ja auch wirklich noch so jung, im Vergleich zu mir, obwohl er zwei Jahre
älter ist als ich. Ein Kind mit dreißig Jahren! O, diese Künstler! Wie
naiv er war, ich kann es Dir gar nicht sagen. Bezaubernd! Jch war nie so
verliebt in ihn, wie in dieser letzten Stunde. Aber mein Entschluß war ge-
faßt, und ich fühlte mich sicher. Es war ein eigenes Vergnügen, so mit der
Gefahr zu spielen, zu wissen, daß je mehr sie wuchs, desto größer auch der
Reiz wurde, ihr zu begegnen, der Lockung zu widerstehen. Eine köstliche Sen-
sation! — Wie er es aufnahm? Mein Gott! Wie nimmt ein Kind es auf,
wenn man ihm sein Lieblingsspielzeug wegnimmt mit der Begründung, es
könnte sich damit wehtun. Was würde ihm denn, meint es, größeren Schmerz

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[469/0037] J. Schaumberger: Die große Liebe. mich entschlossen, fest entschlossen, meinem Gatten treu zu bleiben, und zwar, wie Du jetzt verstehen wirst, wieder nicht aus moralischen oder gar aus sen- timentalen Gründen, sondern einfach deshalb, weil ich eingesehen habe, daß es dumm und geschmacklos wäre, wenn ich meinen Mann mit „Jhm“ betrügen würde. Wäre es nicht töricht, die Position aufs Spiel zu setzen, die ich meinem Gatten zu verdanken habe und die allen meinen Ambitionen in dieser Beziehung vollkommen entspricht? Aufs Spiel zu setzen, ja! Denn Robert würde, davon bin ich überzeugt, in diesem Punkte keinen Spaß verstehen, und wenn ich mich auch sonst auf meine Klugheit so ziemlich verlassen kann, auf diesem Gebiete leistet sie mir doch keine Garantie gegen eine zufällige Entdeckung. Und dann: „Er“ ist durch und durch Artist, das heißt ein Mensch, der sich von seinen Jn- stinkten total beherrschen läßt; also das direkte Gegenteil von mir. Auf diesem Kontrast beruht es vielleicht, ja höchst wahrscheinlich, daß wir einander gefallen; aber im intimen Verkehr könnten, ja würden sich daraus die abscheulichsten Dissonanzen ergeben. Endlich finde ich es geschmacklos, mit einem Manne zusammen zu leben, der der Betrogene ist, ohne es zu wissen. Mein Mann würde mir lächerlich erscheinen und dadurch unausstehlich werden, während er mir jetzt durch seine Stellung Respekt, durch sein tadelloses Benehmen mir gegenüber sogar eine gewisse Sympathie einflößt. So, nun wirst Du mich verstehen. Jedenfalls wirst Du, fromme Seele, Dich freuen, daß durch meinen Entschluß die Tugend gesiegt hat und mein Seelenheil gerettet ist. Mit tausend Küssen Deine Lena. PS. „Er“ soll es sogleich erfahren. Ob ich ihm schreiben oder es ihm sagen werde? Nous verrons. den 21. Sept. 04. Mein liebe Ottilie! Jch habe mit „Jhm“ gesprochen, ganz offen und ehrlich. Die Sache brieflich zu erledigen, erschien mir doch zu gefahrvoll. Jch ging also zu ihm. Mein Porträt steht ja noch in seinem Atelier, und ein Künstler wie er wird nie fertig. Jn der Tat entdeckte er auch wieder etwas in meinen Zügen, was ihm bisher entgangen war. Jch ließ ihn diese Entdeckung, diese letzte Entdeckung — denn wir werden uns nie wiedersehen — fixieren; dann fing ich an, zu sprechen, ruhig und freundlich wie eine ältere Schwester. Er ist ja auch wirklich noch so jung, im Vergleich zu mir, obwohl er zwei Jahre älter ist als ich. Ein Kind mit dreißig Jahren! O, diese Künstler! Wie naiv er war, ich kann es Dir gar nicht sagen. Bezaubernd! Jch war nie so verliebt in ihn, wie in dieser letzten Stunde. Aber mein Entschluß war ge- faßt, und ich fühlte mich sicher. Es war ein eigenes Vergnügen, so mit der Gefahr zu spielen, zu wissen, daß je mehr sie wuchs, desto größer auch der Reiz wurde, ihr zu begegnen, der Lockung zu widerstehen. Eine köstliche Sen- sation! — Wie er es aufnahm? Mein Gott! Wie nimmt ein Kind es auf, wenn man ihm sein Lieblingsspielzeug wegnimmt mit der Begründung, es könnte sich damit wehtun. Was würde ihm denn, meint es, größeren Schmerz

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 10. Berlin-Charlottenburg, 23. März 1905, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0110_1905/37>, abgerufen am 27.11.2024.