Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

Bild:
<< vorherige Seite

Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol.
werden Flugblätter verbreitet, die die Arbeiter auffordern, während der ganzen
Dauer des Streiks Bier und Schnaps zu meiden. Die Arbeiter befolgen diesen Rat
getreulich, in der Erkenntnis, daß jeder Alkoholexzeß die Stimmung gegen die
Streikenden wenden und so den Unternehmern zu gute kommen würde. Bei den
Versammlungen wird kein Bier ausgeschänkt." Und das in einer solch alkohol-
durchseuchten Gegend! Wirklich ein glänzendes Zeichen für die Energie und die
sittliche Kraft der Arbeiterschaft!

Es mag gestattet sein, hier mit ein paar Worten auf die Stellung der Sozial-
demokratie zur Alkoholfrage einzugehen. Außerdeutsche Führer haben seit längerer
Zeit die Wichtigkeit der Alkoholfrage erkannt und sind mit aller Schärfe für die
Abstinenz eingetreten, in der Schweiz Oberrichter Otto Lang, in Belgien Vandervelde,
in Österreich Viktor Adler, zu schweigen von den englischen Gewerkschaftsführern.
Die deutschen Führer haben sich zunächst zur Abstinenzbewegung nicht sehr wohl-
wollend gestellt. Letzteres wurde von den Alkoholinteressenten in Deutschland mit
unverhohlener Freude begrüßt. Höhnisch wurden die Alkoholbekämpfer immer wieder
darauf hingewiesen, daß, wenn sie auch in allen sonstigen Kreisen der Bevölkerung
Anhänger gewinnen würden, ihre Agitation in der Arbeiterschaft wegen der Haltung
der Führer vergeblich sein würde. Jmmer wieder wurde von bürgerlichen Politikern
ausgeführt, daß die sozialdemokratische Partei auf die Mitarbeit der kleinen Partei-
wirte, der sogenannten "Hetzwirte" angewiesen sei, dieselben hätten in der Zeit des
Sozialistengesetzes unbezahlbare Dienste getan und seien auch jetzt unentbehrlich, es
sei auch viel zu wichtig für die Partei, verdiente Genossen, die außer Verdienst ge-
kommen seien und denen man nichts anderes verschaffen könne, als Wirte unter-
zubringen. Die sozialdemokratischen Führer wünschten, daß die Massen durch den
Alkohol stumpf und dumm blieben, weil sie dann leichter zu leiten seien, -- sie
wünschten, daß die Massen durch den Alkohol in Elend und Ruin kämen, weil sie
dann unzufrieden mit der herrschenden Ordnung der Dinge und geneigter, alles Be-
stehende über den Haufen zu werfen und auf den Trümmern eine neue Welt auf-
zubauen sein würden. -- Wie weit es sich bei diesen Ausführungen um eine Ver-
kennung der Verhältnisse handelt, oder ob hier teilweise ein Kern von Tatsachen
vorhanden ist, der nur mehr oder weniger gehässig dargestellt wird, braucht hier
nicht untersucht zu werden. Eine unverrückbare Tatsache bleibt bestehen: Keine
politische Partei außer der sozialdemokratischen hat mit solchem Ernst die Alkohol-
frage in der letzten Zeit behandelt, in keiner bereitet man sich so energisch auf eine
radikale Lösung im Sinne der Abstinenz vor. Auf dem letzten sozialdemokratischen
Parteitage konnte man deutlich bemerken, wie stark die Strömung in den Massen
geworden ist.

Wenn daher bei dieser allgemeinen Sachlage die Streikführer die Parole gegen
den Alkohol ausgegeben haben, so konnte man besonders bei der wunderbaren Dis-
ziplinierung innerhalb der Arbeiterschaft wohl erwarten, daß die Parole befolgt
würde, selbst in einer Gegend, in der lokal bisher so gut wie nichts zur Aufklärung
über den Alkoholismus und Bekämpfung desselben geschehen war. Der Deutsche
Arbeiter=Abstinenten=Bund -- der, nebenbei bemerkt, nach seiner vor 2 Jahren er-
folgten Gründung jetzt schon etwa 1500 Mitglieder zählt -- hat ein wirksames
Flugblatt in 100_000 Exemplaren verbreitet. Der frühere Vorsitzende dieses Bundes,
W. Miethke, und Frau Dr. Wegscheider=Ziegler haben eine ununterbrochene Agi-
tationstätigkeit entfaltet, in Streikversammlungen gesprochen oder besondere Ver-
sammlungen über die Alkoholfrage abgehalten. Es ist nicht immer leicht gewesen,
die Arbeiterschaft zu gewinnen. Oft haben die Leute im Hintergrunde sich zugetuschelt:
"Jn bürgerlichen Kreisen wird noch viel mehr getrunken." Alle Schwierigkeiten sind
jedoch überwunden worden. Es ist außerordentlich viel erreicht worden. Die Be-
wegung gegen den Alkohol ist in alle Kreise der Arbeiterschaft hineingetragen.

Soweit das Bild in der ersten Phase des Streiks bis zum Beschluß der
Siebenerkommission, die Arbeit wieder aufzunehmen. Unterdessen ist die Erbitterung

Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol.
werden Flugblätter verbreitet, die die Arbeiter auffordern, während der ganzen
Dauer des Streiks Bier und Schnaps zu meiden. Die Arbeiter befolgen diesen Rat
getreulich, in der Erkenntnis, daß jeder Alkoholexzeß die Stimmung gegen die
Streikenden wenden und so den Unternehmern zu gute kommen würde. Bei den
Versammlungen wird kein Bier ausgeschänkt.“ Und das in einer solch alkohol-
durchseuchten Gegend! Wirklich ein glänzendes Zeichen für die Energie und die
sittliche Kraft der Arbeiterschaft!

Es mag gestattet sein, hier mit ein paar Worten auf die Stellung der Sozial-
demokratie zur Alkoholfrage einzugehen. Außerdeutsche Führer haben seit längerer
Zeit die Wichtigkeit der Alkoholfrage erkannt und sind mit aller Schärfe für die
Abstinenz eingetreten, in der Schweiz Oberrichter Otto Lang, in Belgien Vandervelde,
in Österreich Viktor Adler, zu schweigen von den englischen Gewerkschaftsführern.
Die deutschen Führer haben sich zunächst zur Abstinenzbewegung nicht sehr wohl-
wollend gestellt. Letzteres wurde von den Alkoholinteressenten in Deutschland mit
unverhohlener Freude begrüßt. Höhnisch wurden die Alkoholbekämpfer immer wieder
darauf hingewiesen, daß, wenn sie auch in allen sonstigen Kreisen der Bevölkerung
Anhänger gewinnen würden, ihre Agitation in der Arbeiterschaft wegen der Haltung
der Führer vergeblich sein würde. Jmmer wieder wurde von bürgerlichen Politikern
ausgeführt, daß die sozialdemokratische Partei auf die Mitarbeit der kleinen Partei-
wirte, der sogenannten „Hetzwirte“ angewiesen sei, dieselben hätten in der Zeit des
Sozialistengesetzes unbezahlbare Dienste getan und seien auch jetzt unentbehrlich, es
sei auch viel zu wichtig für die Partei, verdiente Genossen, die außer Verdienst ge-
kommen seien und denen man nichts anderes verschaffen könne, als Wirte unter-
zubringen. Die sozialdemokratischen Führer wünschten, daß die Massen durch den
Alkohol stumpf und dumm blieben, weil sie dann leichter zu leiten seien, — sie
wünschten, daß die Massen durch den Alkohol in Elend und Ruin kämen, weil sie
dann unzufrieden mit der herrschenden Ordnung der Dinge und geneigter, alles Be-
stehende über den Haufen zu werfen und auf den Trümmern eine neue Welt auf-
zubauen sein würden. — Wie weit es sich bei diesen Ausführungen um eine Ver-
kennung der Verhältnisse handelt, oder ob hier teilweise ein Kern von Tatsachen
vorhanden ist, der nur mehr oder weniger gehässig dargestellt wird, braucht hier
nicht untersucht zu werden. Eine unverrückbare Tatsache bleibt bestehen: Keine
politische Partei außer der sozialdemokratischen hat mit solchem Ernst die Alkohol-
frage in der letzten Zeit behandelt, in keiner bereitet man sich so energisch auf eine
radikale Lösung im Sinne der Abstinenz vor. Auf dem letzten sozialdemokratischen
Parteitage konnte man deutlich bemerken, wie stark die Strömung in den Massen
geworden ist.

Wenn daher bei dieser allgemeinen Sachlage die Streikführer die Parole gegen
den Alkohol ausgegeben haben, so konnte man besonders bei der wunderbaren Dis-
ziplinierung innerhalb der Arbeiterschaft wohl erwarten, daß die Parole befolgt
würde, selbst in einer Gegend, in der lokal bisher so gut wie nichts zur Aufklärung
über den Alkoholismus und Bekämpfung desselben geschehen war. Der Deutsche
Arbeiter=Abstinenten=Bund — der, nebenbei bemerkt, nach seiner vor 2 Jahren er-
folgten Gründung jetzt schon etwa 1500 Mitglieder zählt — hat ein wirksames
Flugblatt in 100_000 Exemplaren verbreitet. Der frühere Vorsitzende dieses Bundes,
W. Miethke, und Frau Dr. Wegscheider=Ziegler haben eine ununterbrochene Agi-
tationstätigkeit entfaltet, in Streikversammlungen gesprochen oder besondere Ver-
sammlungen über die Alkoholfrage abgehalten. Es ist nicht immer leicht gewesen,
die Arbeiterschaft zu gewinnen. Oft haben die Leute im Hintergrunde sich zugetuschelt:
„Jn bürgerlichen Kreisen wird noch viel mehr getrunken.“ Alle Schwierigkeiten sind
jedoch überwunden worden. Es ist außerordentlich viel erreicht worden. Die Be-
wegung gegen den Alkohol ist in alle Kreise der Arbeiterschaft hineingetragen.

Soweit das Bild in der ersten Phase des Streiks bis zum Beschluß der
Siebenerkommission, die Arbeit wieder aufzunehmen. Unterdessen ist die Erbitterung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="276"/><fw type="header" place="top">Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol.</fw><lb/>
werden Flugblätter verbreitet, die die Arbeiter auffordern, während der ganzen<lb/>
Dauer des Streiks Bier und Schnaps zu meiden. Die Arbeiter befolgen diesen Rat<lb/>
getreulich, in der Erkenntnis, daß jeder Alkoholexzeß die Stimmung gegen die<lb/>
Streikenden wenden und so den Unternehmern zu gute kommen würde. Bei den<lb/>
Versammlungen wird kein Bier ausgeschänkt.&#x201C; Und das in einer solch alkohol-<lb/>
durchseuchten Gegend! Wirklich ein glänzendes Zeichen für die Energie und die<lb/>
sittliche Kraft der Arbeiterschaft!</p><lb/>
        <p>Es mag gestattet sein, hier mit ein paar Worten auf die Stellung der Sozial-<lb/>
demokratie zur Alkoholfrage einzugehen. Außerdeutsche Führer haben seit längerer<lb/>
Zeit die Wichtigkeit der Alkoholfrage erkannt und sind mit aller Schärfe für die<lb/>
Abstinenz eingetreten, in der Schweiz Oberrichter Otto Lang, in Belgien Vandervelde,<lb/>
in Österreich Viktor Adler, zu schweigen von den englischen Gewerkschaftsführern.<lb/>
Die deutschen Führer haben sich zunächst zur Abstinenzbewegung nicht sehr wohl-<lb/>
wollend gestellt. Letzteres wurde von den Alkoholinteressenten in Deutschland mit<lb/>
unverhohlener Freude begrüßt. Höhnisch wurden die Alkoholbekämpfer immer wieder<lb/>
darauf hingewiesen, daß, wenn sie auch in allen sonstigen Kreisen der Bevölkerung<lb/>
Anhänger gewinnen würden, ihre Agitation in der Arbeiterschaft wegen der Haltung<lb/>
der Führer vergeblich sein würde. Jmmer wieder wurde von bürgerlichen Politikern<lb/>
ausgeführt, daß die sozialdemokratische Partei auf die Mitarbeit der kleinen Partei-<lb/>
wirte, der sogenannten &#x201E;Hetzwirte&#x201C; angewiesen sei, dieselben hätten in der Zeit des<lb/>
Sozialistengesetzes unbezahlbare Dienste getan und seien auch jetzt unentbehrlich, es<lb/>
sei auch viel zu wichtig für die Partei, verdiente Genossen, die außer Verdienst ge-<lb/>
kommen seien und denen man nichts anderes verschaffen könne, als Wirte unter-<lb/>
zubringen. Die sozialdemokratischen Führer wünschten, daß die Massen durch den<lb/>
Alkohol stumpf und dumm blieben, weil sie dann leichter zu leiten seien, &#x2014; sie<lb/>
wünschten, daß die Massen durch den Alkohol in Elend und Ruin kämen, weil sie<lb/>
dann unzufrieden mit der herrschenden Ordnung der Dinge und geneigter, alles Be-<lb/>
stehende über den Haufen zu werfen und auf den Trümmern eine neue Welt auf-<lb/>
zubauen sein würden. &#x2014; Wie weit es sich bei diesen Ausführungen um eine Ver-<lb/>
kennung der Verhältnisse handelt, oder ob hier teilweise ein Kern von Tatsachen<lb/>
vorhanden ist, der nur mehr oder weniger gehässig dargestellt wird, braucht hier<lb/>
nicht untersucht zu werden. Eine unverrückbare Tatsache bleibt bestehen: Keine<lb/>
politische Partei außer der sozialdemokratischen hat mit solchem Ernst die Alkohol-<lb/>
frage in der letzten Zeit behandelt, in keiner bereitet man sich so energisch auf eine<lb/>
radikale Lösung im Sinne der Abstinenz vor. Auf dem letzten sozialdemokratischen<lb/>
Parteitage konnte man deutlich bemerken, wie stark die Strömung in den Massen<lb/>
geworden ist.</p><lb/>
        <p>Wenn daher bei dieser allgemeinen Sachlage die Streikführer die Parole gegen<lb/>
den Alkohol ausgegeben haben, so konnte man besonders bei der wunderbaren Dis-<lb/>
ziplinierung innerhalb der Arbeiterschaft wohl erwarten, daß die Parole befolgt<lb/>
würde, selbst in einer Gegend, in der lokal bisher so gut wie nichts zur Aufklärung<lb/>
über den Alkoholismus und Bekämpfung desselben geschehen war. Der Deutsche<lb/>
Arbeiter=Abstinenten=Bund &#x2014; der, nebenbei bemerkt, nach seiner vor 2 Jahren er-<lb/>
folgten Gründung jetzt schon etwa 1500 Mitglieder zählt &#x2014; hat ein wirksames<lb/>
Flugblatt in 100_000 Exemplaren verbreitet. Der frühere Vorsitzende dieses Bundes,<lb/>
W. Miethke, und Frau <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Wegscheider=Ziegler haben eine ununterbrochene Agi-<lb/>
tationstätigkeit entfaltet, in Streikversammlungen gesprochen oder besondere Ver-<lb/>
sammlungen über die Alkoholfrage abgehalten. Es ist nicht immer leicht gewesen,<lb/>
die Arbeiterschaft zu gewinnen. Oft haben die Leute im Hintergrunde sich zugetuschelt:<lb/>
&#x201E;Jn bürgerlichen Kreisen wird noch viel mehr getrunken.&#x201C; Alle Schwierigkeiten sind<lb/>
jedoch überwunden worden. Es ist außerordentlich viel erreicht worden. Die Be-<lb/>
wegung gegen den Alkohol ist in alle Kreise der Arbeiterschaft hineingetragen.</p><lb/>
        <p>Soweit das Bild in der ersten Phase des Streiks bis zum Beschluß der<lb/>
Siebenerkommission, die Arbeit wieder aufzunehmen. Unterdessen ist die Erbitterung
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[276/0036] Dr. Eggers: Der Streik gegen den Alkohol. werden Flugblätter verbreitet, die die Arbeiter auffordern, während der ganzen Dauer des Streiks Bier und Schnaps zu meiden. Die Arbeiter befolgen diesen Rat getreulich, in der Erkenntnis, daß jeder Alkoholexzeß die Stimmung gegen die Streikenden wenden und so den Unternehmern zu gute kommen würde. Bei den Versammlungen wird kein Bier ausgeschänkt.“ Und das in einer solch alkohol- durchseuchten Gegend! Wirklich ein glänzendes Zeichen für die Energie und die sittliche Kraft der Arbeiterschaft! Es mag gestattet sein, hier mit ein paar Worten auf die Stellung der Sozial- demokratie zur Alkoholfrage einzugehen. Außerdeutsche Führer haben seit längerer Zeit die Wichtigkeit der Alkoholfrage erkannt und sind mit aller Schärfe für die Abstinenz eingetreten, in der Schweiz Oberrichter Otto Lang, in Belgien Vandervelde, in Österreich Viktor Adler, zu schweigen von den englischen Gewerkschaftsführern. Die deutschen Führer haben sich zunächst zur Abstinenzbewegung nicht sehr wohl- wollend gestellt. Letzteres wurde von den Alkoholinteressenten in Deutschland mit unverhohlener Freude begrüßt. Höhnisch wurden die Alkoholbekämpfer immer wieder darauf hingewiesen, daß, wenn sie auch in allen sonstigen Kreisen der Bevölkerung Anhänger gewinnen würden, ihre Agitation in der Arbeiterschaft wegen der Haltung der Führer vergeblich sein würde. Jmmer wieder wurde von bürgerlichen Politikern ausgeführt, daß die sozialdemokratische Partei auf die Mitarbeit der kleinen Partei- wirte, der sogenannten „Hetzwirte“ angewiesen sei, dieselben hätten in der Zeit des Sozialistengesetzes unbezahlbare Dienste getan und seien auch jetzt unentbehrlich, es sei auch viel zu wichtig für die Partei, verdiente Genossen, die außer Verdienst ge- kommen seien und denen man nichts anderes verschaffen könne, als Wirte unter- zubringen. Die sozialdemokratischen Führer wünschten, daß die Massen durch den Alkohol stumpf und dumm blieben, weil sie dann leichter zu leiten seien, — sie wünschten, daß die Massen durch den Alkohol in Elend und Ruin kämen, weil sie dann unzufrieden mit der herrschenden Ordnung der Dinge und geneigter, alles Be- stehende über den Haufen zu werfen und auf den Trümmern eine neue Welt auf- zubauen sein würden. — Wie weit es sich bei diesen Ausführungen um eine Ver- kennung der Verhältnisse handelt, oder ob hier teilweise ein Kern von Tatsachen vorhanden ist, der nur mehr oder weniger gehässig dargestellt wird, braucht hier nicht untersucht zu werden. Eine unverrückbare Tatsache bleibt bestehen: Keine politische Partei außer der sozialdemokratischen hat mit solchem Ernst die Alkohol- frage in der letzten Zeit behandelt, in keiner bereitet man sich so energisch auf eine radikale Lösung im Sinne der Abstinenz vor. Auf dem letzten sozialdemokratischen Parteitage konnte man deutlich bemerken, wie stark die Strömung in den Massen geworden ist. Wenn daher bei dieser allgemeinen Sachlage die Streikführer die Parole gegen den Alkohol ausgegeben haben, so konnte man besonders bei der wunderbaren Dis- ziplinierung innerhalb der Arbeiterschaft wohl erwarten, daß die Parole befolgt würde, selbst in einer Gegend, in der lokal bisher so gut wie nichts zur Aufklärung über den Alkoholismus und Bekämpfung desselben geschehen war. Der Deutsche Arbeiter=Abstinenten=Bund — der, nebenbei bemerkt, nach seiner vor 2 Jahren er- folgten Gründung jetzt schon etwa 1500 Mitglieder zählt — hat ein wirksames Flugblatt in 100_000 Exemplaren verbreitet. Der frühere Vorsitzende dieses Bundes, W. Miethke, und Frau Dr. Wegscheider=Ziegler haben eine ununterbrochene Agi- tationstätigkeit entfaltet, in Streikversammlungen gesprochen oder besondere Ver- sammlungen über die Alkoholfrage abgehalten. Es ist nicht immer leicht gewesen, die Arbeiterschaft zu gewinnen. Oft haben die Leute im Hintergrunde sich zugetuschelt: „Jn bürgerlichen Kreisen wird noch viel mehr getrunken.“ Alle Schwierigkeiten sind jedoch überwunden worden. Es ist außerordentlich viel erreicht worden. Die Be- wegung gegen den Alkohol ist in alle Kreise der Arbeiterschaft hineingetragen. Soweit das Bild in der ersten Phase des Streiks bis zum Beschluß der Siebenerkommission, die Arbeit wieder aufzunehmen. Unterdessen ist die Erbitterung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/36
Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/36>, abgerufen am 09.06.2024.