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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Dr. A. Kalthoff: Religionswissenschaft.
äußerlichsten aller äußeren Schulangelegenheiten, die Benutzung der Schul-
räume außerhalb der Schulzeit, auszudehnen beabsichtigt. Um so mehr sollten
die Städte darauf bestehen, eine rein städtische Deputation zur Verwaltung
ihrer Schulangelegenheiten zu errichten. Sie würden dadurch klarere Rechts-
verhältnisse schaffen, und durch die Logik der Dinge selbst würde die Regierung
gezwungen werden, diesen städtischen Deputationen, deren Mitarbeit gar nicht
entbehrt werden kann, einen erheblichen Einfluß auf die Schule einzuräumen.
Bis zur gesetzlichen Regelung der Schulverhältnisse ist dies der Boden, auf
dem die Städte den Eingriffen der Regierung in ihre Selbstverwaltung den
zähesten Widerstand entgegensetzen müssen. Nicht aus schwächlichem Nach-
geben, nur aus energischem Kampf kann der Anfang zur Besserung kommen.

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Religionswissenschaft.
Von Pastor Dr. A. Kalthoff, Bremen.

Die moderne Entwickelungslehre betrachtet alle Erscheinungen des Lebens
ausnahmslos als Umformungen vorangegangener Gebilde, indem sie so weit
als möglich auf die Urformen zurückgeht, aus denen sie auf Grund feststehender
Bildungsgesetze die späteren verwickelteren Erscheinungen abzuleiten sucht. Wie
die einzelne Pflanze in ihren Blättern und Blüten die Grundform der Zelle
wiedererkennen läßt, so geht die Gesamtheit aller organischen Bildungen auf
einfachste Organismen zurück; so ist auch der komplizierteste Staats= und Ge-
sellschaftsorganismus eine Weiterbildung elementarster sozialer Gebilde; so ist
auch das vollendetste Kunstwerk der Sprache eine Transformation einfacher
Urlaute und Sprachwurzeln. Das ist die unermeßliche Aufgabe der heutigen
Wissenschaft: dem unendlichen Leben in allen seinen einzelnen Verzweigungen
nachzugehen. Darin beruht aber auch die Zuversicht, die den modernen For-
scher im Agesichte seiner Riesenaufgabe nicht verläßt, daß in diesem großen,
unendlichen Lebensprozeß doch nirgends eine Lücke sich findet, vor der er mit
seiner Forschung endgültig Halt machen oder gar umkehren müßte.

Auch die Religionswissenschaft hat sich der Einordnung ihres Gegen-
standes in das Entwickelungsgesetz nicht entziehen können. Sie hat als ver-
gleichende Religionswissenschaft die einzelnen Religionen auf die zwischen
ihnen bestehenden inneren Verbindungen hin angesehen. Sie hat dadurch die
Gewißheit gewonnen, daß auch hier organische Umbildungen elementarer reli-
giöser Lebensformen vorliegen, und sie ist heute eifrig dabei, diese religiöse
Urzelle aufzusuchen und die Bedingungen, unter denen der weitere Entwicke-
lungsprozeß der Religion sich vollzogen hat, festzustellen.

Dr. A. Kalthoff: Religionswissenschaft.
äußerlichsten aller äußeren Schulangelegenheiten, die Benutzung der Schul-
räume außerhalb der Schulzeit, auszudehnen beabsichtigt. Um so mehr sollten
die Städte darauf bestehen, eine rein städtische Deputation zur Verwaltung
ihrer Schulangelegenheiten zu errichten. Sie würden dadurch klarere Rechts-
verhältnisse schaffen, und durch die Logik der Dinge selbst würde die Regierung
gezwungen werden, diesen städtischen Deputationen, deren Mitarbeit gar nicht
entbehrt werden kann, einen erheblichen Einfluß auf die Schule einzuräumen.
Bis zur gesetzlichen Regelung der Schulverhältnisse ist dies der Boden, auf
dem die Städte den Eingriffen der Regierung in ihre Selbstverwaltung den
zähesten Widerstand entgegensetzen müssen. Nicht aus schwächlichem Nach-
geben, nur aus energischem Kampf kann der Anfang zur Besserung kommen.

[Abbildung]
Religionswissenschaft.
Von Pastor Dr. A. Kalthoff, Bremen.

Die moderne Entwickelungslehre betrachtet alle Erscheinungen des Lebens
ausnahmslos als Umformungen vorangegangener Gebilde, indem sie so weit
als möglich auf die Urformen zurückgeht, aus denen sie auf Grund feststehender
Bildungsgesetze die späteren verwickelteren Erscheinungen abzuleiten sucht. Wie
die einzelne Pflanze in ihren Blättern und Blüten die Grundform der Zelle
wiedererkennen läßt, so geht die Gesamtheit aller organischen Bildungen auf
einfachste Organismen zurück; so ist auch der komplizierteste Staats= und Ge-
sellschaftsorganismus eine Weiterbildung elementarster sozialer Gebilde; so ist
auch das vollendetste Kunstwerk der Sprache eine Transformation einfacher
Urlaute und Sprachwurzeln. Das ist die unermeßliche Aufgabe der heutigen
Wissenschaft: dem unendlichen Leben in allen seinen einzelnen Verzweigungen
nachzugehen. Darin beruht aber auch die Zuversicht, die den modernen For-
scher im Agesichte seiner Riesenaufgabe nicht verläßt, daß in diesem großen,
unendlichen Lebensprozeß doch nirgends eine Lücke sich findet, vor der er mit
seiner Forschung endgültig Halt machen oder gar umkehren müßte.

Auch die Religionswissenschaft hat sich der Einordnung ihres Gegen-
standes in das Entwickelungsgesetz nicht entziehen können. Sie hat als ver-
gleichende Religionswissenschaft die einzelnen Religionen auf die zwischen
ihnen bestehenden inneren Verbindungen hin angesehen. Sie hat dadurch die
Gewißheit gewonnen, daß auch hier organische Umbildungen elementarer reli-
giöser Lebensformen vorliegen, und sie ist heute eifrig dabei, diese religiöse
Urzelle aufzusuchen und die Bedingungen, unter denen der weitere Entwicke-
lungsprozeß der Religion sich vollzogen hat, festzustellen.

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[270/0030] Dr. A. Kalthoff: Religionswissenschaft. äußerlichsten aller äußeren Schulangelegenheiten, die Benutzung der Schul- räume außerhalb der Schulzeit, auszudehnen beabsichtigt. Um so mehr sollten die Städte darauf bestehen, eine rein städtische Deputation zur Verwaltung ihrer Schulangelegenheiten zu errichten. Sie würden dadurch klarere Rechts- verhältnisse schaffen, und durch die Logik der Dinge selbst würde die Regierung gezwungen werden, diesen städtischen Deputationen, deren Mitarbeit gar nicht entbehrt werden kann, einen erheblichen Einfluß auf die Schule einzuräumen. Bis zur gesetzlichen Regelung der Schulverhältnisse ist dies der Boden, auf dem die Städte den Eingriffen der Regierung in ihre Selbstverwaltung den zähesten Widerstand entgegensetzen müssen. Nicht aus schwächlichem Nach- geben, nur aus energischem Kampf kann der Anfang zur Besserung kommen. [Abbildung] Religionswissenschaft. Von Pastor Dr. A. Kalthoff, Bremen. Die moderne Entwickelungslehre betrachtet alle Erscheinungen des Lebens ausnahmslos als Umformungen vorangegangener Gebilde, indem sie so weit als möglich auf die Urformen zurückgeht, aus denen sie auf Grund feststehender Bildungsgesetze die späteren verwickelteren Erscheinungen abzuleiten sucht. Wie die einzelne Pflanze in ihren Blättern und Blüten die Grundform der Zelle wiedererkennen läßt, so geht die Gesamtheit aller organischen Bildungen auf einfachste Organismen zurück; so ist auch der komplizierteste Staats= und Ge- sellschaftsorganismus eine Weiterbildung elementarster sozialer Gebilde; so ist auch das vollendetste Kunstwerk der Sprache eine Transformation einfacher Urlaute und Sprachwurzeln. Das ist die unermeßliche Aufgabe der heutigen Wissenschaft: dem unendlichen Leben in allen seinen einzelnen Verzweigungen nachzugehen. Darin beruht aber auch die Zuversicht, die den modernen For- scher im Agesichte seiner Riesenaufgabe nicht verläßt, daß in diesem großen, unendlichen Lebensprozeß doch nirgends eine Lücke sich findet, vor der er mit seiner Forschung endgültig Halt machen oder gar umkehren müßte. Auch die Religionswissenschaft hat sich der Einordnung ihres Gegen- standes in das Entwickelungsgesetz nicht entziehen können. Sie hat als ver- gleichende Religionswissenschaft die einzelnen Religionen auf die zwischen ihnen bestehenden inneren Verbindungen hin angesehen. Sie hat dadurch die Gewißheit gewonnen, daß auch hier organische Umbildungen elementarer reli- giöser Lebensformen vorliegen, und sie ist heute eifrig dabei, diese religiöse Urzelle aufzusuchen und die Bedingungen, unter denen der weitere Entwicke- lungsprozeß der Religion sich vollzogen hat, festzustellen.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/30>, abgerufen am 22.11.2024.