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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905.

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Richard Calwer: Wirtschaftspolitische Rundschau.
sind aber auch von anderer Seite Angriffe auf die Siebenerkommission erfolgt,
daß sie die Flinte gewissermaßen zur Unzeit ins Korn geworfen hätte. Der-
artige Angriffe sind gänzlich haltlos, da sie eine gänzliche Verkennung der
Streiklage verraten. Man sollte doch mit dem Verlauf und den Ergebnissen des
Streiks namentlich dort zufrieden sein, wo man die Bergleute in einen ziemlich
ungewissen Kampf förmlich hineingedrängt hat. Wir wissen, die Bergarbeiter-
führer sahen den Zeitpunkt, an dem der Streik ausbrach, nicht als chancenreich
für die Arbeiter an. Und sie hatten durchaus recht: die Marktlage war für einen
Streik keineswegs günstig. Die Nachfrage nach Kohle war nicht stark, die
Förderung blieb hinter der Leistungsfähigkeit der Gruben weit zurück. Trotz
dem hatten sich große Vorräte angesammelt, die eine alsbaldige Verlegenheit
in der Kohlenversorgung ausschlossen. Dazu kam die verschärfte Konkurrenz
Großbritanniens, dem eine Steigerung der Kohlennachfrage aus Deutschland
äußerst gelegen kam. Das alles sind Umstände, die sich die Führer der Berg-
leute vor Augen hielten. Und deswegen suchten sie die aufgeregten Gemüter
der Bergleute zu beruhigen. Es zeugt von ihrem ausgesprochenen Verant-
wortlichkeitsgefühl, daß sie bis zum letzten Augenblicke vom Streik abmahnten.
Jch bin heute noch der Meinung, daß eine genaue Kenntnis der damaligen
Marktlage, wenn sie allen Bergleuten in gleichem Maße zugänglich gewesen
wäre, den Ausbruch des Streiks im vorigen Monat verhindert hätte. Daß
die Unzufriedenheit der Bergleute aber noch gesteigert und mit Erfolg gesteigert
werden konnte, das liegt hauptsächlich daran, daß die Arbeiter die Lage des
Waren= und Arbeitsmarktes noch nicht in der Weise verfolgen, wie es z. B.
seitens der Kapitalbesitzer geschieht. Jn dieser Beziehung ist die den Arbeitern
zugängliche Presse noch sehr verbesserungsbedürftig.

Nachdem der Generalausstand nun aber begonnen hatte, trat für die
Siebenerkommission die finanzielle Frage in den Vordergrund. Wie lange
konnte mit den vorhandenen Mitteln und den eingehenden Unterstützungen
gestreikt werden? So lange die Arbeiter noch von ihren Löhnen, die um den
20. Januar herum vollends ausbezahlt wurden, lebten, so lange konnte man
ohne Bedenken streiken. Das war etwa bis Anfang Februar. Dann aber
hieß es, für jede Woche mindestens zwei Millionen Mark aufbringen. Die
Bergleute streikten schon von Mitte Januar an, aber Anfang Februar waren
noch nicht einmal Streikmittel für eine einzige Woche vorhanden. Das mochte
recht bedauerlich sein, aber es war eine Tatsache, mit der die Mitglieder der
Siebenerkommission als gewissenhafte Männer zu rechnen hatten. Und wenn
ihnen das Wohl und Wehe der Bergarbeiter am Herzen lag, wenn sie sich von
sachlichen Gründen bestimmen ließen, die auch vom parteipolitischen Stand-
punkte aus immer die besten sind, so mußten sie die Konsequenzen aus dieser
finanziellen Situation so zeitig ziehen, daß nicht die Gefahr unermeßlicher
Schädigung über die Bergleute und die Kraft ihrer Organisation herauf-
beschworen wurde. Wie die Unterstützungen flossen, war nicht anzunehmen,
daß die Opferwilligkeit groß genug sei, um die streikenden Bergleute über
Wasser zu halten. Warum war die Opferwilligkeit nicht größer? Darüber
mag man Betrachtungen anstellen, darüber mag man hadern, aber man mache
die Bergarbeiterführer nicht dafür verantwortlich, daß sie in einer ganz klaren
Situation den für das Jnteresse der Bergleute einzig richtigen Entschluß ge-
faßt haben. Jhrem Verhalten ist es zuzuschreiben, daß der Kampf zwischen den

Richard Calwer: Wirtschaftspolitische Rundschau.
sind aber auch von anderer Seite Angriffe auf die Siebenerkommission erfolgt,
daß sie die Flinte gewissermaßen zur Unzeit ins Korn geworfen hätte. Der-
artige Angriffe sind gänzlich haltlos, da sie eine gänzliche Verkennung der
Streiklage verraten. Man sollte doch mit dem Verlauf und den Ergebnissen des
Streiks namentlich dort zufrieden sein, wo man die Bergleute in einen ziemlich
ungewissen Kampf förmlich hineingedrängt hat. Wir wissen, die Bergarbeiter-
führer sahen den Zeitpunkt, an dem der Streik ausbrach, nicht als chancenreich
für die Arbeiter an. Und sie hatten durchaus recht: die Marktlage war für einen
Streik keineswegs günstig. Die Nachfrage nach Kohle war nicht stark, die
Förderung blieb hinter der Leistungsfähigkeit der Gruben weit zurück. Trotz
dem hatten sich große Vorräte angesammelt, die eine alsbaldige Verlegenheit
in der Kohlenversorgung ausschlossen. Dazu kam die verschärfte Konkurrenz
Großbritanniens, dem eine Steigerung der Kohlennachfrage aus Deutschland
äußerst gelegen kam. Das alles sind Umstände, die sich die Führer der Berg-
leute vor Augen hielten. Und deswegen suchten sie die aufgeregten Gemüter
der Bergleute zu beruhigen. Es zeugt von ihrem ausgesprochenen Verant-
wortlichkeitsgefühl, daß sie bis zum letzten Augenblicke vom Streik abmahnten.
Jch bin heute noch der Meinung, daß eine genaue Kenntnis der damaligen
Marktlage, wenn sie allen Bergleuten in gleichem Maße zugänglich gewesen
wäre, den Ausbruch des Streiks im vorigen Monat verhindert hätte. Daß
die Unzufriedenheit der Bergleute aber noch gesteigert und mit Erfolg gesteigert
werden konnte, das liegt hauptsächlich daran, daß die Arbeiter die Lage des
Waren= und Arbeitsmarktes noch nicht in der Weise verfolgen, wie es z. B.
seitens der Kapitalbesitzer geschieht. Jn dieser Beziehung ist die den Arbeitern
zugängliche Presse noch sehr verbesserungsbedürftig.

Nachdem der Generalausstand nun aber begonnen hatte, trat für die
Siebenerkommission die finanzielle Frage in den Vordergrund. Wie lange
konnte mit den vorhandenen Mitteln und den eingehenden Unterstützungen
gestreikt werden? So lange die Arbeiter noch von ihren Löhnen, die um den
20. Januar herum vollends ausbezahlt wurden, lebten, so lange konnte man
ohne Bedenken streiken. Das war etwa bis Anfang Februar. Dann aber
hieß es, für jede Woche mindestens zwei Millionen Mark aufbringen. Die
Bergleute streikten schon von Mitte Januar an, aber Anfang Februar waren
noch nicht einmal Streikmittel für eine einzige Woche vorhanden. Das mochte
recht bedauerlich sein, aber es war eine Tatsache, mit der die Mitglieder der
Siebenerkommission als gewissenhafte Männer zu rechnen hatten. Und wenn
ihnen das Wohl und Wehe der Bergarbeiter am Herzen lag, wenn sie sich von
sachlichen Gründen bestimmen ließen, die auch vom parteipolitischen Stand-
punkte aus immer die besten sind, so mußten sie die Konsequenzen aus dieser
finanziellen Situation so zeitig ziehen, daß nicht die Gefahr unermeßlicher
Schädigung über die Bergleute und die Kraft ihrer Organisation herauf-
beschworen wurde. Wie die Unterstützungen flossen, war nicht anzunehmen,
daß die Opferwilligkeit groß genug sei, um die streikenden Bergleute über
Wasser zu halten. Warum war die Opferwilligkeit nicht größer? Darüber
mag man Betrachtungen anstellen, darüber mag man hadern, aber man mache
die Bergarbeiterführer nicht dafür verantwortlich, daß sie in einer ganz klaren
Situation den für das Jnteresse der Bergleute einzig richtigen Entschluß ge-
faßt haben. Jhrem Verhalten ist es zuzuschreiben, daß der Kampf zwischen den

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[251/0011] Richard Calwer: Wirtschaftspolitische Rundschau. sind aber auch von anderer Seite Angriffe auf die Siebenerkommission erfolgt, daß sie die Flinte gewissermaßen zur Unzeit ins Korn geworfen hätte. Der- artige Angriffe sind gänzlich haltlos, da sie eine gänzliche Verkennung der Streiklage verraten. Man sollte doch mit dem Verlauf und den Ergebnissen des Streiks namentlich dort zufrieden sein, wo man die Bergleute in einen ziemlich ungewissen Kampf förmlich hineingedrängt hat. Wir wissen, die Bergarbeiter- führer sahen den Zeitpunkt, an dem der Streik ausbrach, nicht als chancenreich für die Arbeiter an. Und sie hatten durchaus recht: die Marktlage war für einen Streik keineswegs günstig. Die Nachfrage nach Kohle war nicht stark, die Förderung blieb hinter der Leistungsfähigkeit der Gruben weit zurück. Trotz dem hatten sich große Vorräte angesammelt, die eine alsbaldige Verlegenheit in der Kohlenversorgung ausschlossen. Dazu kam die verschärfte Konkurrenz Großbritanniens, dem eine Steigerung der Kohlennachfrage aus Deutschland äußerst gelegen kam. Das alles sind Umstände, die sich die Führer der Berg- leute vor Augen hielten. Und deswegen suchten sie die aufgeregten Gemüter der Bergleute zu beruhigen. Es zeugt von ihrem ausgesprochenen Verant- wortlichkeitsgefühl, daß sie bis zum letzten Augenblicke vom Streik abmahnten. Jch bin heute noch der Meinung, daß eine genaue Kenntnis der damaligen Marktlage, wenn sie allen Bergleuten in gleichem Maße zugänglich gewesen wäre, den Ausbruch des Streiks im vorigen Monat verhindert hätte. Daß die Unzufriedenheit der Bergleute aber noch gesteigert und mit Erfolg gesteigert werden konnte, das liegt hauptsächlich daran, daß die Arbeiter die Lage des Waren= und Arbeitsmarktes noch nicht in der Weise verfolgen, wie es z. B. seitens der Kapitalbesitzer geschieht. Jn dieser Beziehung ist die den Arbeitern zugängliche Presse noch sehr verbesserungsbedürftig. Nachdem der Generalausstand nun aber begonnen hatte, trat für die Siebenerkommission die finanzielle Frage in den Vordergrund. Wie lange konnte mit den vorhandenen Mitteln und den eingehenden Unterstützungen gestreikt werden? So lange die Arbeiter noch von ihren Löhnen, die um den 20. Januar herum vollends ausbezahlt wurden, lebten, so lange konnte man ohne Bedenken streiken. Das war etwa bis Anfang Februar. Dann aber hieß es, für jede Woche mindestens zwei Millionen Mark aufbringen. Die Bergleute streikten schon von Mitte Januar an, aber Anfang Februar waren noch nicht einmal Streikmittel für eine einzige Woche vorhanden. Das mochte recht bedauerlich sein, aber es war eine Tatsache, mit der die Mitglieder der Siebenerkommission als gewissenhafte Männer zu rechnen hatten. Und wenn ihnen das Wohl und Wehe der Bergarbeiter am Herzen lag, wenn sie sich von sachlichen Gründen bestimmen ließen, die auch vom parteipolitischen Stand- punkte aus immer die besten sind, so mußten sie die Konsequenzen aus dieser finanziellen Situation so zeitig ziehen, daß nicht die Gefahr unermeßlicher Schädigung über die Bergleute und die Kraft ihrer Organisation herauf- beschworen wurde. Wie die Unterstützungen flossen, war nicht anzunehmen, daß die Opferwilligkeit groß genug sei, um die streikenden Bergleute über Wasser zu halten. Warum war die Opferwilligkeit nicht größer? Darüber mag man Betrachtungen anstellen, darüber mag man hadern, aber man mache die Bergarbeiterführer nicht dafür verantwortlich, daß sie in einer ganz klaren Situation den für das Jnteresse der Bergleute einzig richtigen Entschluß ge- faßt haben. Jhrem Verhalten ist es zuzuschreiben, daß der Kampf zwischen den

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 6. Berlin-Charlottenburg, 23. Februar 1905, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0106_1905/11>, abgerufen am 25.11.2024.