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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 712, Czernowitz, 22.05.1906.

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Redaktion u. Administration:
Rathausstraße 16.




Telephon-Nummer 161.




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monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40,
halbj. K 10.80, ganzjähr. K 21.60.
(mit täglicher Postversendung)
monatl. K 2, vierteljähr. K 6,
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Für Deutschland:
vierteljähr ..... 7 Mark.

Für Rumänien und den Balkan:
vierteljährig ..... 10 Lei.




Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Ankündigungen
Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
Inseratenbureaux sowie die Ad-
ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Rat-
hausstr. 16) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.






Nr. 712. Czernowitz, Dienstag, den 22. Mai 1906.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Vom Tage.

Die Verhandlungen zwischen Prinzen Hohenlohe und
Dr. Wekerle haben kein positives Resultat ergeben.

Bunte Chronik.

Durch einen Waldbrand sind sieben Dörfer zerstört.

Letzte Telegramme.

Der ungarische Reichstag ist zusammengetreten. -- In
Frankreich fanden die Reichswahlen für die Kammer statt. --
Giolitti soll mit der Bildung des italienischen Kabinetts
betraut werden.




Das österreichische Problem.


(In reichsdeutscher Beleuchtung.)

Die österreichisch-ungarische Gesamtmonarchie trägt ein
großes und schweres Problem in sich: den ungarischen
Globus. Wenn dieser sich im Czardastakt um die eigene
Achse dreht, dann hallt es durch Europa: Finis Austriae!
Ruht er aber in seinem Gestell, müde von den Umdrehungen
des politischen Karussels, dann ist die "für das europäische
Gleichgewicht" unbedingt notwendige Existenz der Donau-
Doppelmonarchie wieder einmal aus dem Wasser. Magyar
und Oestereicher erinnern sich, daß sie die siamesischen
Zwillinge im europäischen Staatenpanoptikum sind und nicht
ohne Lebensgefahr auseinandergeschnitten werden können.
Doch die Ruhe "diesseits der Leitha" ist von kurzem Bestand,
denn kaum ist das Rattern des rasend gewordenen Globus
verklungen, so erhebt das zweite Problem sein schlangen-
haariges, stülpnasiges Haupt: die böhmische Frage. Und diese
ist die wahre Existenzfrage Oesterreichs.

Das Czechentum ist in seiner rapiden Entwicklung zu
einem Machtfaktor geworden, der wohl nicht mehr ausge-
schaltet werden kann. Dreißig Jahre einseitige Förderung
durch eine von Preußenfurcht angespornte Regierung, die
Intelligenz dieses tüchtigsten aller slavischen Stämme, seine
Energie im Verfolgen nationaler Ziele und im wirtschaft-





[Spaltenumbruch]

lichen Leben haben ihn von Jahrzehnt zu Jahrzehnt höher
gebracht. Heute ist dreiviertel der Beamtenschaft Oesterreichs
czechisch; czechische Richter urteilen in rein-deutschen Städten,
die Finanzverwaltung, die Steuerbehörden, die Post sind vom
Czechentum durchsetzt. Nun dringen sie auch in die hohen
Stellungen der Zentralverwaltung ein, und man macht sich
darüber nichts mehr vor, was über kurz oder lang aus dem
jetzt doch noch leidlich gewahrten deutschen Außencharakter
des österreichischen Staates werden soll, wenn dieser Er-
oberungszug in gleicher Kraft fortgesetzt wird. Zumal es in
der Natur der Sache liegt, daß die Deutschen sich dauernd
in der Defensive befinden, während die Czechen stürmisch-
offensive Gegner sind. Wer sich nur einige Zeit in den
bedrohten Punkten Böhmens aufhält, die "gemischtsprachigen"
Schlachtfelder besucht, auf denen der Kampf unausgesetzt tost,
oder die Stimmung in den beiderseitigen Heerlagern studiert,
hat bis jetzt auf der czechischen Seite einen kampffrohen
Uebermut, auf der deutschen einen gewissen resignierten
Fatalismus beobachten können. Die Resigniertheit derer, die
sich von oben herab systematisch bedrängt und mit Gleich-
gültigkeit einem protegierten Gegner ausgeliefert sehen. Dabei
selbst in gegnerische Lager geteilt. Alle Anstrengungen, die
klerikalen Deutschen der Alpenländer, die nationalindolenten
Wiener, die radikalen Deutschböhmen unter einen Hut zu
bringen, waren vergebens. Obendrein beging der linksradikale
Flügel den phantastischen Fehler: offen einzugestehen, daß er
Oesterreich in ein Vasallenstaats-Verhältnis zum Deutschen
Reiche bringen wolle. Diese "Wacht am Rhein"-Politik
bestätigte nur den Verdacht, den die Dynastie seit langem
hegt, und erzeugte einen nur noch schlimmeren Gegendruck.
Die deutsch-liberalen Heerführer, die sich zum Teil als
biegsame Portefeuille-Streber entpuppten, machten das
Deutschtum vollends zu einem laxen Ding mit schwarz-rot-
goldenem Aufputz. Der offensive Feind nahm Schanze um
Schanze, und die defensiven Verteidiger hatten weder einen
Kriegsplan, noch ein zu eroberndes Ziel. Die Idee, einen
Staat deutsch zu erhalten, der offenbar selbst nicht mehr
deutsch sein wollte, war nicht werbefähig.

Nun aber, da der Krieg schon fast zur Hälfte verloren
ist, bereitet sich ein Umschwung vor. Das gefährliche Spiel
der Nationalitätenverhetzung, die Methode: ein Volk immer
gegen das andere auszuspielen, bald diesem, bald jenem einen
Brocken in den Rachen zu werfen: dieses Erbteil der
Taaffeschen Aera hat sich als zweischneidige Waffe erwiesen.
[Spaltenumbruch] Der Verwundete ist jetzt der Fechter selbst: Der österreichische
Staat, der durch das vernunftwidrige Ausmerzen des
deutschen Ferments rapid zu bröckeln beginut. Welche Not-
wendigkeit dieses Ferment ist, hat eben erst die ungarische
Krise bewiesen, die um ein Dutzend deutscher Kommandoworte
ausgebrochen ist. Man beginnt sich oben der Deutschen wieder
zu erinnern und möchte wohl manches wieder gut machen.
An eine Lösung des Völkerproblems wagt man sich aber noch
immer nicht heran; man weiß, daß man Urältestes umstürzen
müßte, und man hängt doch am Hergekommenen. Daß man
aber trotzdem Experimente nicht scheut, das beweist die ange-
regte Wahlreform.

Nun ist es an den Deutschen, den günstigen Moment
auszunützen. Denn ihre Stunde scheint jetzt gekommen. Sie
haben eben in der deutsch-böhmischen Ausstellung zu Reichen-
berg, die als politische Demonstration, als schlagender Hinweis
auf ihre wirtschaftliche Macht und Ueberlegenheir geplant
war, für ihre Parteizersplitterung ein ungeahntes Einigungs-
mittel erhalten. Nicht nur die 1400 Aussteller, die sich hier
im bedeutendsten Handelskammerkreis der Monarchie zu-
sammengefunden haben, die vielen Tausende aus fernabliegen-
den Provinzen Oesterreichs werden erkennen, daß der politi-
sche Kampf nur im wirtschaftlichen Zusammenschluß die beste
Waffe erhalten kann. Der Reichstagsabgeordnete für Reichen-
berg, Prade, früher immer ein Heißsporn und Sonderparteiler,
äußerte sich mit den Worten: "Wir haben es bisher noch
nie verstanden, diese ungeheuere wirtschaftliche Kraft, die wir
repräsentieren, in politische Macht umzusetzen. Wie haben uns
zersplittert in Parteien und Fraktionen, aber wenn Sie das
gemeinsame Arbeitsfeld der Deutsch-Böhmischen Ausstellung
überblicken, so müssen Sie sagen, daß alle diese politischen
Unterschiede nichts bedeuten, daß sie Papierwände sind, die
wir niederreißen müssen!"

Der gleiche Ton beherrscht alle Aeußerungen, die
Stimmung ist zuversichtlich und kampfesfroh. An die Stelle
der Resignation ist seit längerer Zeit ein stolzes Kraftbewußt-
sein getreten, man ktagt nicht mehr, daß es in Böhmen und
damit in ganz Oesterreich nicht mehr so weiter gehen könne,
sondern man fordert die Abänderung. Ein Zusammenarbeiten
mit den Czechen ist nicht möglich, also endliche Abtrennung
des geschlossenen Sprachgebietes und Schaffen einer eigenen
Verwaltung. Dagegen werden sich natürlich die Czechen, die
an ihrem Staatsrecht und an dem unteilbaren Königreich
hängen, gewaltig zur Wehre setzen. Allein die Forderungen




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Gedanken über das Schöne.
(Vortrag, gehalten im "Allgemeinen Bildungsvereine" in
Radautz am 18. Jänner 1906 vom Vereinsmitgliede Advokat
Dr. Michael Menkes.)

(Fortsetzung).

Die Erfahrung lehrt aber, daß so oft wir ein Ding er-
blicken, welches wir für schön halten, dieser Anblick in uns
ein eigentümliches, angenehmes Gefühl hervorruft. Es ist das
instinktive Herausfühlen, daß diese Erscheinung mit der form-
gestaltenden Weltordnung übereinstimmt, ein Gefühl der Be-
friedigung, der Zustimmung über den Anblick einer Gestalt,
welche mit uns selbst im Einklange steht, die wir ja auch im
Zeichen des Ebenmaßes uns entwickelt haben. Man nennt
dieses angenehe Gefühl von dem griechischen Worte "aistha-
nomai",
ich nehme wahr, das ästhetische Gefühl. Kinder,
Wilde empfinden dieses Gefühl bei Anblick des Ebenmaßes
untester Ordnung, z. B. beim Anblick eines kugelförmigen
Balles; kulturell höher stehende Menschen empfinden dasselbe
Gefühl mehr beim Wahrnehmen symmetrischer, harmonischer
Formen. Im gewöhnlichen Leben wird dieses Gefühl "Ge-
fallen" genannt. Man sagt: Das Schöne gefällt. Wir können
diesen Satz erweitern und sagen: Alles Schöne gefällt. Aber
falsch wäre, es diesen Satz umzukehren und zu sagen: Alles,
was gefalle, sei schön. Gerade durch diese Verwechslung ge-
raten so Viele von dem Wege der richtigen Erkenntnis des
Schönheitsbegriffes auf Abwege. Sie meinen, weil so vielen
Menschen Verschiedenes gefalle, müsse es auch verschiedene
Arten von Schön geben. Dabei übersehen sie, daß zwar Alles,
was schön ist, allgemein gefällt, daß aber nicht Alles, was
[Spaltenumbruch] gefällt, schön ist. Gefallen ist eben ein viel weiterer Begriff,
als der Begriff des Schönen.

Die Voraussetzungen für das Gefallen können zwar auch
im Ebenmaße der Formen, also im Schönen, gelegen sein,
müssen aber nicht darin gelegen sein. Für das Gefallen, so-
gar für das Gefallenfinden an einem menschlichen Gesichte,
treten oft ganz andere Gründe ein als ästhetische. Physio-
logische Gründe, d. h. Gründe des Lebensprozesses, Gründe
der Sinnlichkeit, der Reflexion, der Bequemlichkeit können da
den Ausschlag geben. Eine Orange gefällt, weil man sich bei
ihrem Anblicke erinnert, daß sie aus dem herrlichen Italien
stamme; deshalb allein wird man aber eine Orange noch
nicht schön nennen. Im Sommer gefällt ein kühles Bad, im
Winter ein angenehm erwärmtes Zimmer; ja, ein herzens-
gutes, heiteres, geistreiches und gemütvolles weibliches Wesen
kann gefallen, obwohl es häßlich ist. Deswegen wird man
aber nicht sagen: Weil es gefalle, sei es schön. Sondern
man muß sagen, es gefalle, trotzdem es nicht schon sei. Nicht
Alles also, was gefällt, ist deswegen allein schon schön. Eines
aber steht fest, daß wir in die Definition des Schönen auch
jenen Eindruck aufnehmen müssen, welchen dasselbe beim An-
blicke auf den Beschauer macht und wir können daher sagen:
Schön ist jene äußere Erscheinung der Dinge, deren der
formgestaltenden Weltordnung entsprechendes Ebenmaß in
uns ein eigentümliches Gefühl der Befriedigung auslöst.

Die eben ausgesprochene Definition des Schönen bezieht
sich auf jene Formen in der Natur, welche nicht von
Menschenhand geschaffen sind. Man kann sie daher natur-
schön nennen.

Eine große Anzahl von Dingen erhält aber, wie wir
wissen, ihre äußere Gestalt durch Menschenhand. Gegenüber
den Naturformen heißen diese von Menschenhand geformten
Dinge Kunstformen. Sowie der Naturform das Naturschöne
entspricht, entspricht der Kunstform das Kunstschöne.


[Spaltenumbruch]

Schon nach der Etymologie dieses Wortes bedeutet "kunst-
schön" ein Mehreres als schön allein, denn zu dem Worte
"schön" ist das Wort "kunst" hinzugetreten.

Das Wort Kunst kommt von Können. Es bedeutet also
ursprünglich die technische Fertigkeit des schaffenden Künstlers,
also etwas Subjektives. Das Schöne ist, wie wir gesehen
haben, etwas Objektives. Das Wort Kunstschön besteht also
aus einem subjektiven, auf den Künstler bezüglichen Teile und
aus einem objektiven das Kunstwerk betreffenden Teile.

Man könnte also meinen, derjenige, welcher die technische
Fertigkeit besitze, das Naturschöne wiederzugeben, sei ein
Künstler und sein Werk ein Kunstwerk.

Dem ist aber nicht so.

Die knechtische Nachahmung der Natur, die noch so treue
Wiedergabe der Naturformen mag vielleicht bewundernswerte
Technik sein, ist aber keineswegs Kunst. Der Maler, der Bild-
hauer, welcher nur das wiedergibt, was er in der Sinneswelt
wahrnimmt, tut nichts anderes, als was das Licht bei der
Photographie, allenfalls viel genauer und treffender hervor-
bringt, ohne daß die Photographie ein Kunstwerk genannt
werden könnte. Ein solches Werk ist und bleibt nichts anderes
als mechanische Reproduktion, aber kein Kunstwerk.

Das Wort "kunstschön" bedeutet eben mehr, als die zwei
Worte uns sagen, aus denen es sich zusammensetzt. Ueber diesen
zwei Worten schwebt, sie erhebend und verklärend, ein dritter
Begriff, welcher dem Worte kunstschön erst seine eigentliche
Bedeutung verleiht, und dieser dritte Begriff ist die das Werk
des Künstlers durchgeistigende Idee.

Unser Auge, unser Ohr sind telegraphischen Aufnahms-
apparaten vergleichbar. Fällt ein Bild der äußeren Sinnenwelt
z. B. das Bild eines Baumes in unser Auge, so telegraphiert
das Auge diesen Sinnesreiz auf der Nervenleitung in die
Zentrale, in das Gehirn. So ein in das Gehirn einlangender
objektiver Nervenreiz wird im Gehirne zur subjektiven


Wir bringen diesen Artikel, der in der "Berliner Morgenpost"
erschienen und im Josephinischen Geiste gehalten zum Abdruck, weil
es ein interessantes Dokument zur Auffassung des österreichischen
Problems in unbeteiligten Kreisen darstellt.
[Spaltenumbruch]

Redaktion u. Adminiſtration:
Rathausſtraße 16.




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monatl. K 2, vierteljähr. K 6,
balbjähr. K 12, ganzjähr. K 24.

Für Deutſchland:
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Für Rumänien und den Balkan:
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Telegramme: Allgemeine, Czernowitz.


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Ankündigungen
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaux ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Rat-
hausſtr. 16) erhältlich. In Wien
im Zeitungsburean Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.






Nr. 712. Czernowitz, Dienstag, den 22. Mai 1906.



[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Vom Tage.

Die Verhandlungen zwiſchen Prinzen Hohenlohe und
Dr. Wekerle haben kein poſitives Reſultat ergeben.

Bunte Chronik.

Durch einen Waldbrand ſind ſieben Dörfer zerſtört.

Letzte Telegramme.

Der ungariſche Reichstag iſt zuſammengetreten. — In
Frankreich fanden die Reichswahlen für die Kammer ſtatt. —
Giolitti ſoll mit der Bildung des italieniſchen Kabinetts
betraut werden.




Das österreichiſche Problem.


(In reichsdeutſcher Beleuchtung.)

Die öſterreichiſch-ungariſche Geſamtmonarchie trägt ein
großes und ſchweres Problem in ſich: den ungariſchen
Globus. Wenn dieſer ſich im Czardastakt um die eigene
Achſe dreht, dann hallt es durch Europa: Finis Austriae!
Ruht er aber in ſeinem Geſtell, müde von den Umdrehungen
des politiſchen Karuſſels, dann iſt die „für das europäiſche
Gleichgewicht“ unbedingt notwendige Exiſtenz der Donau-
Doppelmonarchie wieder einmal aus dem Waſſer. Magyar
und Oeſtereicher erinnern ſich, daß ſie die ſiameſiſchen
Zwillinge im europäiſchen Staatenpanoptikum ſind und nicht
ohne Lebensgefahr auseinandergeſchnitten werden können.
Doch die Ruhe „diesſeits der Leitha“ iſt von kurzem Beſtand,
denn kaum iſt das Rattern des raſend gewordenen Globus
verklungen, ſo erhebt das zweite Problem ſein ſchlangen-
haariges, ſtülpnaſiges Haupt: die böhmiſche Frage. Und dieſe
iſt die wahre Exiſtenzfrage Oeſterreichs.

Das Czechentum iſt in ſeiner rapiden Entwicklung zu
einem Machtfaktor geworden, der wohl nicht mehr ausge-
ſchaltet werden kann. Dreißig Jahre einſeitige Förderung
durch eine von Preußenfurcht angeſpornte Regierung, die
Intelligenz dieſes tüchtigſten aller ſlaviſchen Stämme, ſeine
Energie im Verfolgen nationaler Ziele und im wirtſchaft-





[Spaltenumbruch]

lichen Leben haben ihn von Jahrzehnt zu Jahrzehnt höher
gebracht. Heute iſt dreiviertel der Beamtenſchaft Oeſterreichs
czechiſch; czechiſche Richter urteilen in rein-deutſchen Städten,
die Finanzverwaltung, die Steuerbehörden, die Poſt ſind vom
Czechentum durchſetzt. Nun dringen ſie auch in die hohen
Stellungen der Zentralverwaltung ein, und man macht ſich
darüber nichts mehr vor, was über kurz oder lang aus dem
jetzt doch noch leidlich gewahrten deutſchen Außencharakter
des öſterreichiſchen Staates werden ſoll, wenn dieſer Er-
oberungszug in gleicher Kraft fortgeſetzt wird. Zumal es in
der Natur der Sache liegt, daß die Deutſchen ſich dauernd
in der Defenſive befinden, während die Czechen ſtürmiſch-
offenſive Gegner ſind. Wer ſich nur einige Zeit in den
bedrohten Punkten Böhmens aufhält, die „gemiſchtſprachigen“
Schlachtfelder beſucht, auf denen der Kampf unausgeſetzt toſt,
oder die Stimmung in den beiderſeitigen Heerlagern ſtudiert,
hat bis jetzt auf der czechiſchen Seite einen kampffrohen
Uebermut, auf der deutſchen einen gewiſſen reſignierten
Fatalismus beobachten können. Die Reſigniertheit derer, die
ſich von oben herab ſyſtematiſch bedrängt und mit Gleich-
gültigkeit einem protegierten Gegner ausgeliefert ſehen. Dabei
ſelbſt in gegneriſche Lager geteilt. Alle Anſtrengungen, die
klerikalen Deutſchen der Alpenländer, die nationalindolenten
Wiener, die radikalen Deutſchböhmen unter einen Hut zu
bringen, waren vergebens. Obendrein beging der linksradikale
Flügel den phantaſtiſchen Fehler: offen einzugeſtehen, daß er
Oeſterreich in ein Vaſallenſtaats-Verhältnis zum Deutſchen
Reiche bringen wolle. Dieſe „Wacht am Rhein“-Politik
beſtätigte nur den Verdacht, den die Dynaſtie ſeit langem
hegt, und erzeugte einen nur noch ſchlimmeren Gegendruck.
Die deutſch-liberalen Heerführer, die ſich zum Teil als
biegſame Portefeuille-Streber entpuppten, machten das
Deutſchtum vollends zu einem laxen Ding mit ſchwarz-rot-
goldenem Aufputz. Der offenſive Feind nahm Schanze um
Schanze, und die defenſiven Verteidiger hatten weder einen
Kriegsplan, noch ein zu eroberndes Ziel. Die Idee, einen
Staat deutſch zu erhalten, der offenbar ſelbſt nicht mehr
deutſch ſein wollte, war nicht werbefähig.

Nun aber, da der Krieg ſchon faſt zur Hälfte verloren
iſt, bereitet ſich ein Umſchwung vor. Das gefährliche Spiel
der Nationalitätenverhetzung, die Methode: ein Volk immer
gegen das andere auszuſpielen, bald dieſem, bald jenem einen
Brocken in den Rachen zu werfen: dieſes Erbteil der
Taaffeſchen Aera hat ſich als zweiſchneidige Waffe erwieſen.
[Spaltenumbruch] Der Verwundete iſt jetzt der Fechter ſelbſt: Der öſterreichiſche
Staat, der durch das vernunftwidrige Ausmerzen des
deutſchen Ferments rapid zu bröckeln beginut. Welche Not-
wendigkeit dieſes Ferment iſt, hat eben erſt die ungariſche
Kriſe bewieſen, die um ein Dutzend deutſcher Kommandoworte
ausgebrochen iſt. Man beginnt ſich oben der Deutſchen wieder
zu erinnern und möchte wohl manches wieder gut machen.
An eine Löſung des Völkerproblems wagt man ſich aber noch
immer nicht heran; man weiß, daß man Urälteſtes umſtürzen
müßte, und man hängt doch am Hergekommenen. Daß man
aber trotzdem Experimente nicht ſcheut, das beweiſt die ange-
regte Wahlreform.

Nun iſt es an den Deutſchen, den günſtigen Moment
auszunützen. Denn ihre Stunde ſcheint jetzt gekommen. Sie
haben eben in der deutſch-böhmiſchen Ausſtellung zu Reichen-
berg, die als politiſche Demonſtration, als ſchlagender Hinweis
auf ihre wirtſchaftliche Macht und Ueberlegenheir geplant
war, für ihre Parteizerſplitterung ein ungeahntes Einigungs-
mittel erhalten. Nicht nur die 1400 Ausſteller, die ſich hier
im bedeutendſten Handelskammerkreis der Monarchie zu-
ſammengefunden haben, die vielen Tauſende aus fernabliegen-
den Provinzen Oeſterreichs werden erkennen, daß der politi-
ſche Kampf nur im wirtſchaftlichen Zuſammenſchluß die beſte
Waffe erhalten kann. Der Reichstagsabgeordnete für Reichen-
berg, Prade, früher immer ein Heißſporn und Sonderparteiler,
äußerte ſich mit den Worten: „Wir haben es bisher noch
nie verſtanden, dieſe ungeheuere wirtſchaftliche Kraft, die wir
repräſentieren, in politiſche Macht umzuſetzen. Wie haben uns
zerſplittert in Parteien und Fraktionen, aber wenn Sie das
gemeinſame Arbeitsfeld der Deutſch-Böhmiſchen Ausſtellung
überblicken, ſo müſſen Sie ſagen, daß alle dieſe politiſchen
Unterſchiede nichts bedeuten, daß ſie Papierwände ſind, die
wir niederreißen müſſen!“

Der gleiche Ton beherrſcht alle Aeußerungen, die
Stimmung iſt zuverſichtlich und kampfesfroh. An die Stelle
der Reſignation iſt ſeit längerer Zeit ein ſtolzes Kraftbewußt-
ſein getreten, man ktagt nicht mehr, daß es in Böhmen und
damit in ganz Oeſterreich nicht mehr ſo weiter gehen könne,
ſondern man fordert die Abänderung. Ein Zuſammenarbeiten
mit den Czechen iſt nicht möglich, alſo endliche Abtrennung
des geſchloſſenen Sprachgebietes und Schaffen einer eigenen
Verwaltung. Dagegen werden ſich natürlich die Czechen, die
an ihrem Staatsrecht und an dem unteilbaren Königreich
hängen, gewaltig zur Wehre ſetzen. Allein die Forderungen




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Gedanken über das Schöne.
(Vortrag, gehalten im „Allgemeinen Bildungsvereine“ in
Radautz am 18. Jänner 1906 vom Vereinsmitgliede Advokat
Dr. Michael Menkes.)

(Fortſetzung).

Die Erfahrung lehrt aber, daß ſo oft wir ein Ding er-
blicken, welches wir für ſchön halten, dieſer Anblick in uns
ein eigentümliches, angenehmes Gefühl hervorruft. Es iſt das
inſtinktive Herausfühlen, daß dieſe Erſcheinung mit der form-
geſtaltenden Weltordnung übereinſtimmt, ein Gefühl der Be-
friedigung, der Zuſtimmung über den Anblick einer Geſtalt,
welche mit uns ſelbſt im Einklange ſteht, die wir ja auch im
Zeichen des Ebenmaßes uns entwickelt haben. Man nennt
dieſes angenehe Gefühl von dem griechiſchen Worte „aistha-
nomai“,
ich nehme wahr, das äſthetiſche Gefühl. Kinder,
Wilde empfinden dieſes Gefühl bei Anblick des Ebenmaßes
unteſter Ordnung, z. B. beim Anblick eines kugelförmigen
Balles; kulturell höher ſtehende Menſchen empfinden dasſelbe
Gefühl mehr beim Wahrnehmen ſymmetriſcher, harmoniſcher
Formen. Im gewöhnlichen Leben wird dieſes Gefühl „Ge-
fallen“ genannt. Man ſagt: Das Schöne gefällt. Wir können
dieſen Satz erweitern und ſagen: Alles Schöne gefällt. Aber
falſch wäre, es dieſen Satz umzukehren und zu ſagen: Alles,
was gefalle, ſei ſchön. Gerade durch dieſe Verwechslung ge-
raten ſo Viele von dem Wege der richtigen Erkenntnis des
Schönheitsbegriffes auf Abwege. Sie meinen, weil ſo vielen
Menſchen Verſchiedenes gefalle, müſſe es auch verſchiedene
Arten von Schön geben. Dabei überſehen ſie, daß zwar Alles,
was ſchön iſt, allgemein gefällt, daß aber nicht Alles, was
[Spaltenumbruch] gefällt, ſchön iſt. Gefallen iſt eben ein viel weiterer Begriff,
als der Begriff des Schönen.

Die Vorausſetzungen für das Gefallen können zwar auch
im Ebenmaße der Formen, alſo im Schönen, gelegen ſein,
müſſen aber nicht darin gelegen ſein. Für das Gefallen, ſo-
gar für das Gefallenfinden an einem menſchlichen Geſichte,
treten oft ganz andere Gründe ein als äſthetiſche. Phyſio-
logiſche Gründe, d. h. Gründe des Lebensprozeſſes, Gründe
der Sinnlichkeit, der Reflexion, der Bequemlichkeit können da
den Ausſchlag geben. Eine Orange gefällt, weil man ſich bei
ihrem Anblicke erinnert, daß ſie aus dem herrlichen Italien
ſtamme; deshalb allein wird man aber eine Orange noch
nicht ſchön nennen. Im Sommer gefällt ein kühles Bad, im
Winter ein angenehm erwärmtes Zimmer; ja, ein herzens-
gutes, heiteres, geiſtreiches und gemütvolles weibliches Weſen
kann gefallen, obwohl es häßlich iſt. Deswegen wird man
aber nicht ſagen: Weil es gefalle, ſei es ſchön. Sondern
man muß ſagen, es gefalle, trotzdem es nicht ſchon ſei. Nicht
Alles alſo, was gefällt, iſt deswegen allein ſchon ſchön. Eines
aber ſteht feſt, daß wir in die Definition des Schönen auch
jenen Eindruck aufnehmen müſſen, welchen dasſelbe beim An-
blicke auf den Beſchauer macht und wir können daher ſagen:
Schön iſt jene äußere Erſcheinung der Dinge, deren der
formgeſtaltenden Weltordnung entſprechendes Ebenmaß in
uns ein eigentümliches Gefühl der Befriedigung auslöſt.

Die eben ausgeſprochene Definition des Schönen bezieht
ſich auf jene Formen in der Natur, welche nicht von
Menſchenhand geſchaffen ſind. Man kann ſie daher natur-
ſchön nennen.

Eine große Anzahl von Dingen erhält aber, wie wir
wiſſen, ihre äußere Geſtalt durch Menſchenhand. Gegenüber
den Naturformen heißen dieſe von Menſchenhand geformten
Dinge Kunſtformen. Sowie der Naturform das Naturſchöne
entſpricht, entſpricht der Kunſtform das Kunſtſchöne.


[Spaltenumbruch]

Schon nach der Etymologie dieſes Wortes bedeutet „kunſt-
ſchön“ ein Mehreres als ſchön allein, denn zu dem Worte
„ſchön“ iſt das Wort „kunſt“ hinzugetreten.

Das Wort Kunſt kommt von Können. Es bedeutet alſo
urſprünglich die techniſche Fertigkeit des ſchaffenden Künſtlers,
alſo etwas Subjektives. Das Schöne iſt, wie wir geſehen
haben, etwas Objektives. Das Wort Kunſtſchön beſteht alſo
aus einem ſubjektiven, auf den Künſtler bezüglichen Teile und
aus einem objektiven das Kunſtwerk betreffenden Teile.

Man könnte alſo meinen, derjenige, welcher die techniſche
Fertigkeit beſitze, das Naturſchöne wiederzugeben, ſei ein
Künſtler und ſein Werk ein Kunſtwerk.

Dem iſt aber nicht ſo.

Die knechtiſche Nachahmung der Natur, die noch ſo treue
Wiedergabe der Naturformen mag vielleicht bewundernswerte
Technik ſein, iſt aber keineswegs Kunſt. Der Maler, der Bild-
hauer, welcher nur das wiedergibt, was er in der Sinneswelt
wahrnimmt, tut nichts anderes, als was das Licht bei der
Photographie, allenfalls viel genauer und treffender hervor-
bringt, ohne daß die Photographie ein Kunſtwerk genannt
werden könnte. Ein ſolches Werk iſt und bleibt nichts anderes
als mechaniſche Reproduktion, aber kein Kunſtwerk.

Das Wort „kunſtſchön“ bedeutet eben mehr, als die zwei
Worte uns ſagen, aus denen es ſich zuſammenſetzt. Ueber dieſen
zwei Worten ſchwebt, ſie erhebend und verklärend, ein dritter
Begriff, welcher dem Worte kunſtſchön erſt ſeine eigentliche
Bedeutung verleiht, und dieſer dritte Begriff iſt die das Werk
des Künſtlers durchgeiſtigende Idee.

Unſer Auge, unſer Ohr ſind telegraphiſchen Aufnahms-
apparaten vergleichbar. Fällt ein Bild der äußeren Sinnenwelt
z. B. das Bild eines Baumes in unſer Auge, ſo telegraphiert
das Auge dieſen Sinnesreiz auf der Nervenleitung in die
Zentrale, in das Gehirn. So ein in das Gehirn einlangender
objektiver Nervenreiz wird im Gehirne zur ſubjektiven


Wir bringen dieſen Artikel, der in der „Berliner Morgenpoſt“
erſchienen und im Joſephiniſchen Geiſte gehalten zum Abdruck, weil
es ein intereſſantes Dokument zur Auffaſſung des öſterreichiſchen
Problems in unbeteiligten Kreiſen darſtellt.
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[[1]/0001] Redaktion u. Adminiſtration: Rathausſtraße 16. Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz (mit Zuſtellung ins Haus): monatl. K 1.80, vierteljähr. K 5.40, halbj. K 10.80, ganzjähr. K 21.60. (mit täglicher Poſtverſendung) monatl. K 2, vierteljähr. K 6, balbjähr. K 12, ganzjähr. K 24. Für Deutſchland: vierteljähr ..... 7 Mark. Für Rumänien und den Balkan: vierteljährig ..... 10 Lei. Telegramme: Allgemeine, Czernowitz. Czernowitzer Allgemeine Zeitung Ankündigungen Es koſtet im gewöhnlichen Inſe- ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei mehrmaliger Einſchaltung, für Re- klame 40 h die Petitzeile. Inſerate nehmen alle in- und ausländiſchen Inſeratenbureaux ſowie die Ad- miniſtration entgegen. — Einzel- exemplare ſind in allen Zeitungs- verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni- verſitätsbuchhandlung H. Pardini und in der Adminiſtration (Rat- hausſtr. 16) erhältlich. In Wien im Zeitungsburean Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 10 Heller für Czernowitz. Nr. 712. Czernowitz, Dienstag, den 22. Mai 1906. Ueberſicht. Vom Tage. Die Verhandlungen zwiſchen Prinzen Hohenlohe und Dr. Wekerle haben kein poſitives Reſultat ergeben. Bunte Chronik. Durch einen Waldbrand ſind ſieben Dörfer zerſtört. Letzte Telegramme. Der ungariſche Reichstag iſt zuſammengetreten. — In Frankreich fanden die Reichswahlen für die Kammer ſtatt. — Giolitti ſoll mit der Bildung des italieniſchen Kabinetts betraut werden. Das österreichiſche Problem. Czernowitz, 19. Mai. (In reichsdeutſcher Beleuchtung.) Die öſterreichiſch-ungariſche Geſamtmonarchie trägt ein großes und ſchweres Problem in ſich: den ungariſchen Globus. Wenn dieſer ſich im Czardastakt um die eigene Achſe dreht, dann hallt es durch Europa: Finis Austriae! Ruht er aber in ſeinem Geſtell, müde von den Umdrehungen des politiſchen Karuſſels, dann iſt die „für das europäiſche Gleichgewicht“ unbedingt notwendige Exiſtenz der Donau- Doppelmonarchie wieder einmal aus dem Waſſer. Magyar und Oeſtereicher erinnern ſich, daß ſie die ſiameſiſchen Zwillinge im europäiſchen Staatenpanoptikum ſind und nicht ohne Lebensgefahr auseinandergeſchnitten werden können. Doch die Ruhe „diesſeits der Leitha“ iſt von kurzem Beſtand, denn kaum iſt das Rattern des raſend gewordenen Globus verklungen, ſo erhebt das zweite Problem ſein ſchlangen- haariges, ſtülpnaſiges Haupt: die böhmiſche Frage. Und dieſe iſt die wahre Exiſtenzfrage Oeſterreichs. Das Czechentum iſt in ſeiner rapiden Entwicklung zu einem Machtfaktor geworden, der wohl nicht mehr ausge- ſchaltet werden kann. Dreißig Jahre einſeitige Förderung durch eine von Preußenfurcht angeſpornte Regierung, die Intelligenz dieſes tüchtigſten aller ſlaviſchen Stämme, ſeine Energie im Verfolgen nationaler Ziele und im wirtſchaft- lichen Leben haben ihn von Jahrzehnt zu Jahrzehnt höher gebracht. Heute iſt dreiviertel der Beamtenſchaft Oeſterreichs czechiſch; czechiſche Richter urteilen in rein-deutſchen Städten, die Finanzverwaltung, die Steuerbehörden, die Poſt ſind vom Czechentum durchſetzt. Nun dringen ſie auch in die hohen Stellungen der Zentralverwaltung ein, und man macht ſich darüber nichts mehr vor, was über kurz oder lang aus dem jetzt doch noch leidlich gewahrten deutſchen Außencharakter des öſterreichiſchen Staates werden ſoll, wenn dieſer Er- oberungszug in gleicher Kraft fortgeſetzt wird. Zumal es in der Natur der Sache liegt, daß die Deutſchen ſich dauernd in der Defenſive befinden, während die Czechen ſtürmiſch- offenſive Gegner ſind. Wer ſich nur einige Zeit in den bedrohten Punkten Böhmens aufhält, die „gemiſchtſprachigen“ Schlachtfelder beſucht, auf denen der Kampf unausgeſetzt toſt, oder die Stimmung in den beiderſeitigen Heerlagern ſtudiert, hat bis jetzt auf der czechiſchen Seite einen kampffrohen Uebermut, auf der deutſchen einen gewiſſen reſignierten Fatalismus beobachten können. Die Reſigniertheit derer, die ſich von oben herab ſyſtematiſch bedrängt und mit Gleich- gültigkeit einem protegierten Gegner ausgeliefert ſehen. Dabei ſelbſt in gegneriſche Lager geteilt. Alle Anſtrengungen, die klerikalen Deutſchen der Alpenländer, die nationalindolenten Wiener, die radikalen Deutſchböhmen unter einen Hut zu bringen, waren vergebens. Obendrein beging der linksradikale Flügel den phantaſtiſchen Fehler: offen einzugeſtehen, daß er Oeſterreich in ein Vaſallenſtaats-Verhältnis zum Deutſchen Reiche bringen wolle. Dieſe „Wacht am Rhein“-Politik beſtätigte nur den Verdacht, den die Dynaſtie ſeit langem hegt, und erzeugte einen nur noch ſchlimmeren Gegendruck. Die deutſch-liberalen Heerführer, die ſich zum Teil als biegſame Portefeuille-Streber entpuppten, machten das Deutſchtum vollends zu einem laxen Ding mit ſchwarz-rot- goldenem Aufputz. Der offenſive Feind nahm Schanze um Schanze, und die defenſiven Verteidiger hatten weder einen Kriegsplan, noch ein zu eroberndes Ziel. Die Idee, einen Staat deutſch zu erhalten, der offenbar ſelbſt nicht mehr deutſch ſein wollte, war nicht werbefähig. Nun aber, da der Krieg ſchon faſt zur Hälfte verloren iſt, bereitet ſich ein Umſchwung vor. Das gefährliche Spiel der Nationalitätenverhetzung, die Methode: ein Volk immer gegen das andere auszuſpielen, bald dieſem, bald jenem einen Brocken in den Rachen zu werfen: dieſes Erbteil der Taaffeſchen Aera hat ſich als zweiſchneidige Waffe erwieſen. Der Verwundete iſt jetzt der Fechter ſelbſt: Der öſterreichiſche Staat, der durch das vernunftwidrige Ausmerzen des deutſchen Ferments rapid zu bröckeln beginut. Welche Not- wendigkeit dieſes Ferment iſt, hat eben erſt die ungariſche Kriſe bewieſen, die um ein Dutzend deutſcher Kommandoworte ausgebrochen iſt. Man beginnt ſich oben der Deutſchen wieder zu erinnern und möchte wohl manches wieder gut machen. An eine Löſung des Völkerproblems wagt man ſich aber noch immer nicht heran; man weiß, daß man Urälteſtes umſtürzen müßte, und man hängt doch am Hergekommenen. Daß man aber trotzdem Experimente nicht ſcheut, das beweiſt die ange- regte Wahlreform. Nun iſt es an den Deutſchen, den günſtigen Moment auszunützen. Denn ihre Stunde ſcheint jetzt gekommen. Sie haben eben in der deutſch-böhmiſchen Ausſtellung zu Reichen- berg, die als politiſche Demonſtration, als ſchlagender Hinweis auf ihre wirtſchaftliche Macht und Ueberlegenheir geplant war, für ihre Parteizerſplitterung ein ungeahntes Einigungs- mittel erhalten. Nicht nur die 1400 Ausſteller, die ſich hier im bedeutendſten Handelskammerkreis der Monarchie zu- ſammengefunden haben, die vielen Tauſende aus fernabliegen- den Provinzen Oeſterreichs werden erkennen, daß der politi- ſche Kampf nur im wirtſchaftlichen Zuſammenſchluß die beſte Waffe erhalten kann. Der Reichstagsabgeordnete für Reichen- berg, Prade, früher immer ein Heißſporn und Sonderparteiler, äußerte ſich mit den Worten: „Wir haben es bisher noch nie verſtanden, dieſe ungeheuere wirtſchaftliche Kraft, die wir repräſentieren, in politiſche Macht umzuſetzen. Wie haben uns zerſplittert in Parteien und Fraktionen, aber wenn Sie das gemeinſame Arbeitsfeld der Deutſch-Böhmiſchen Ausſtellung überblicken, ſo müſſen Sie ſagen, daß alle dieſe politiſchen Unterſchiede nichts bedeuten, daß ſie Papierwände ſind, die wir niederreißen müſſen!“ Der gleiche Ton beherrſcht alle Aeußerungen, die Stimmung iſt zuverſichtlich und kampfesfroh. An die Stelle der Reſignation iſt ſeit längerer Zeit ein ſtolzes Kraftbewußt- ſein getreten, man ktagt nicht mehr, daß es in Böhmen und damit in ganz Oeſterreich nicht mehr ſo weiter gehen könne, ſondern man fordert die Abänderung. Ein Zuſammenarbeiten mit den Czechen iſt nicht möglich, alſo endliche Abtrennung des geſchloſſenen Sprachgebietes und Schaffen einer eigenen Verwaltung. Dagegen werden ſich natürlich die Czechen, die an ihrem Staatsrecht und an dem unteilbaren Königreich hängen, gewaltig zur Wehre ſetzen. Allein die Forderungen Feuilleton. Gedanken über das Schöne. (Vortrag, gehalten im „Allgemeinen Bildungsvereine“ in Radautz am 18. Jänner 1906 vom Vereinsmitgliede Advokat Dr. Michael Menkes.) (Fortſetzung). Die Erfahrung lehrt aber, daß ſo oft wir ein Ding er- blicken, welches wir für ſchön halten, dieſer Anblick in uns ein eigentümliches, angenehmes Gefühl hervorruft. Es iſt das inſtinktive Herausfühlen, daß dieſe Erſcheinung mit der form- geſtaltenden Weltordnung übereinſtimmt, ein Gefühl der Be- friedigung, der Zuſtimmung über den Anblick einer Geſtalt, welche mit uns ſelbſt im Einklange ſteht, die wir ja auch im Zeichen des Ebenmaßes uns entwickelt haben. Man nennt dieſes angenehe Gefühl von dem griechiſchen Worte „aistha- nomai“, ich nehme wahr, das äſthetiſche Gefühl. Kinder, Wilde empfinden dieſes Gefühl bei Anblick des Ebenmaßes unteſter Ordnung, z. B. beim Anblick eines kugelförmigen Balles; kulturell höher ſtehende Menſchen empfinden dasſelbe Gefühl mehr beim Wahrnehmen ſymmetriſcher, harmoniſcher Formen. Im gewöhnlichen Leben wird dieſes Gefühl „Ge- fallen“ genannt. Man ſagt: Das Schöne gefällt. Wir können dieſen Satz erweitern und ſagen: Alles Schöne gefällt. Aber falſch wäre, es dieſen Satz umzukehren und zu ſagen: Alles, was gefalle, ſei ſchön. Gerade durch dieſe Verwechslung ge- raten ſo Viele von dem Wege der richtigen Erkenntnis des Schönheitsbegriffes auf Abwege. Sie meinen, weil ſo vielen Menſchen Verſchiedenes gefalle, müſſe es auch verſchiedene Arten von Schön geben. Dabei überſehen ſie, daß zwar Alles, was ſchön iſt, allgemein gefällt, daß aber nicht Alles, was gefällt, ſchön iſt. Gefallen iſt eben ein viel weiterer Begriff, als der Begriff des Schönen. Die Vorausſetzungen für das Gefallen können zwar auch im Ebenmaße der Formen, alſo im Schönen, gelegen ſein, müſſen aber nicht darin gelegen ſein. Für das Gefallen, ſo- gar für das Gefallenfinden an einem menſchlichen Geſichte, treten oft ganz andere Gründe ein als äſthetiſche. Phyſio- logiſche Gründe, d. h. Gründe des Lebensprozeſſes, Gründe der Sinnlichkeit, der Reflexion, der Bequemlichkeit können da den Ausſchlag geben. Eine Orange gefällt, weil man ſich bei ihrem Anblicke erinnert, daß ſie aus dem herrlichen Italien ſtamme; deshalb allein wird man aber eine Orange noch nicht ſchön nennen. Im Sommer gefällt ein kühles Bad, im Winter ein angenehm erwärmtes Zimmer; ja, ein herzens- gutes, heiteres, geiſtreiches und gemütvolles weibliches Weſen kann gefallen, obwohl es häßlich iſt. Deswegen wird man aber nicht ſagen: Weil es gefalle, ſei es ſchön. Sondern man muß ſagen, es gefalle, trotzdem es nicht ſchon ſei. Nicht Alles alſo, was gefällt, iſt deswegen allein ſchon ſchön. Eines aber ſteht feſt, daß wir in die Definition des Schönen auch jenen Eindruck aufnehmen müſſen, welchen dasſelbe beim An- blicke auf den Beſchauer macht und wir können daher ſagen: Schön iſt jene äußere Erſcheinung der Dinge, deren der formgeſtaltenden Weltordnung entſprechendes Ebenmaß in uns ein eigentümliches Gefühl der Befriedigung auslöſt. Die eben ausgeſprochene Definition des Schönen bezieht ſich auf jene Formen in der Natur, welche nicht von Menſchenhand geſchaffen ſind. Man kann ſie daher natur- ſchön nennen. Eine große Anzahl von Dingen erhält aber, wie wir wiſſen, ihre äußere Geſtalt durch Menſchenhand. Gegenüber den Naturformen heißen dieſe von Menſchenhand geformten Dinge Kunſtformen. Sowie der Naturform das Naturſchöne entſpricht, entſpricht der Kunſtform das Kunſtſchöne. Schon nach der Etymologie dieſes Wortes bedeutet „kunſt- ſchön“ ein Mehreres als ſchön allein, denn zu dem Worte „ſchön“ iſt das Wort „kunſt“ hinzugetreten. Das Wort Kunſt kommt von Können. Es bedeutet alſo urſprünglich die techniſche Fertigkeit des ſchaffenden Künſtlers, alſo etwas Subjektives. Das Schöne iſt, wie wir geſehen haben, etwas Objektives. Das Wort Kunſtſchön beſteht alſo aus einem ſubjektiven, auf den Künſtler bezüglichen Teile und aus einem objektiven das Kunſtwerk betreffenden Teile. Man könnte alſo meinen, derjenige, welcher die techniſche Fertigkeit beſitze, das Naturſchöne wiederzugeben, ſei ein Künſtler und ſein Werk ein Kunſtwerk. Dem iſt aber nicht ſo. Die knechtiſche Nachahmung der Natur, die noch ſo treue Wiedergabe der Naturformen mag vielleicht bewundernswerte Technik ſein, iſt aber keineswegs Kunſt. Der Maler, der Bild- hauer, welcher nur das wiedergibt, was er in der Sinneswelt wahrnimmt, tut nichts anderes, als was das Licht bei der Photographie, allenfalls viel genauer und treffender hervor- bringt, ohne daß die Photographie ein Kunſtwerk genannt werden könnte. Ein ſolches Werk iſt und bleibt nichts anderes als mechaniſche Reproduktion, aber kein Kunſtwerk. Das Wort „kunſtſchön“ bedeutet eben mehr, als die zwei Worte uns ſagen, aus denen es ſich zuſammenſetzt. Ueber dieſen zwei Worten ſchwebt, ſie erhebend und verklärend, ein dritter Begriff, welcher dem Worte kunſtſchön erſt ſeine eigentliche Bedeutung verleiht, und dieſer dritte Begriff iſt die das Werk des Künſtlers durchgeiſtigende Idee. Unſer Auge, unſer Ohr ſind telegraphiſchen Aufnahms- apparaten vergleichbar. Fällt ein Bild der äußeren Sinnenwelt z. B. das Bild eines Baumes in unſer Auge, ſo telegraphiert das Auge dieſen Sinnesreiz auf der Nervenleitung in die Zentrale, in das Gehirn. So ein in das Gehirn einlangender objektiver Nervenreiz wird im Gehirne zur ſubjektiven Wir bringen dieſen Artikel, der in der „Berliner Morgenpoſt“ erſchienen und im Joſephiniſchen Geiſte gehalten zum Abdruck, weil es ein intereſſantes Dokument zur Auffaſſung des öſterreichiſchen Problems in unbeteiligten Kreiſen darſtellt.

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 712, Czernowitz, 22.05.1906, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer712_1906/1>, abgerufen am 28.03.2024.