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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 421, Czernowitz, 25.05.1905.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 25. Mai 1905

[Spaltenumbruch]

anderes verlangt er von ihr, als daß sie ihr in der Adresse
niedergelegtes Programm präziser gestalte und einen Ver-
trauensmann designiere, welcher berufen und entschlossen sei,
die Regierungsgeschäfte auf Grund dieses Programmes zu
übernehmen. Es ist unter solchen Umständen begreiflich, daß
die Koalition die Tatsache, daß der Kaiser geneigt ist, ihr
die Kabinettsbildung zu überlassen, mit Freude begrüßte und
sich dem Kaiser zur Verfügung stellte. Bemerkenswert ist
auch, daß der Kaiser den Wunsch ausgesprochen hat, die
Kabinettsbildung an Kossuth selbst zu übertragen. Kossuth
hat sich immer das Vertrauen derer, die mit ihm politisch
zu unterhandeln hatten, errungen, auch das Vertrauen des
Kaisers. Und es ist ein nicht gewöhnlicher Zug des Monarchen,
daß er den Sohn des Rebellen, der die Dynastie auf dem
Debrecziner Reichstag des Thrones für verlustig erklärte, zu
seinem ungarischen Ministerpräsidenten zu ernennen wünscht.
Der leitende Ausschuß der Opposition ersuchte aber den
Grafen Julius Andrassy, das Programm der Koalition vor
dem Kaiser zu vertreten. Ihm fällt die schwierige Aufgabe
zu, das Programm der Adresse in ein Regierungsprogramm
umzuwandeln.

Alles in Allem, sind die Propositionen, welche die Krone
macht, derart günstig, so zum Aeußersten versöhnlich und
nachgiebig, daß die Koalition mit Blindheit geschlagen sein
müßte, wenn sie nicht die Situation zu ihren Gunsten aus-
nützen würde. Aber verbürgen läßt sich nichts. Vom heiß-
blütigen ungarischen Chauvinismus hat man sich noch mancher
Torheiten zu versehen.




Wir lassen die auf die Beendigung der Mission
Burians und der Berufung des Grafen Andrassy be-
züglichen Nachrichten folgen:

Das Ergebnis der Mission Burians.

Freiherr von Burian wurde
gestern vom Kaiser in besonderer Audienz empfangen, die
dreiviertel Stunden dauerte und in der Burian einen er-
schöpfenden
Bericht über den Verlauf seiner Mission in
Budapest erstattete, den der Kaiser schweigend anhörte. Nur
am Schlusse, als Burian verkündigte, daß Graf Julius
Andrassy als Vertrauensmann der Koalition neuerdings vor
der Krone erscheinen werde, stellte der Kaiser einige infor-
mative Fragen. Ueber das Resultat der Mission selbst
äußerte sich der Kaiser nicht, doch sprach er dem Freiherrn
von Burian, was dessen Tätigkeit anbelangt, seine vollste
Zufriedenheit aus.

Die Berufung des Grafen Andrassy nach Wien ist
bereits erfolgt und dessen Audienz wird noch heute statt-
finden.

Die Tatsache, daß die Bemühungen zur Lösung der
Krise abermals in Fluß gekommen sind, wird von der un-
garischen Opposition freudig begrüßt; doch herrscht bezüglich
des Ausganges der neuen Entwirrungsunterhandlungen in
den weitesten Kreisen starke Skepsis und es ist auch nicht
wahrscheinlich, daß es gelingen werde, die Krise diesmal
endgiltig ihrer Lösung zuzuführen.

Der leitende Ausschuß
der verbündeten Opposition
hielt gestern eine
zweistündige Sitzung ab, welcher seitens der Dissidenten die
Abgeordneten Daranyi und Graf Julius Andrassy
beiwohnten. Letzterer wurde in offizieller Form ersucht, das
Programm der Koalition vor dem Monarchen zu vertreten.
[Spaltenumbruch] Andrassy erklärte sich hiezu berreit, und richtete an die
Kabinettskanzlei das Ersuchen um eine Audienz. In der
Umgebung Andrassys verlautet, daß er nur ein Programm
vor dem Monarchen vertreten werde, welches von der ver-
bündeten Opposition mit Genugtuung aufgenommen werden
könnte. In den Kreisen der Opposition verhehlt man sich
nicht die Schwierigkeiten der Kabinettsbildung, sieht aber
die Notwendigkeit einer Zusammenstellung eines Ministeriums
ein, damit das Kabinett Tisza beseitigt werde. Man hofft,
daß sich bei einem Kabinett Andrassy Teile der Dissidenten
und der liberalen Partei der Unabhängigkeitspartei an-
schließen werden. Ein solches Kabinett würde in sein Pro-
gramm einen Passus aufnehmen, in welchem es heißt, daß
der nationale Charakter des ungarischen Teiles des Heeres
in Zukunst prägnanter als bisher zum Ausdruck kommen
müsse, jedoch stufenweise und auf Grund von Erlässen des
Königs, die auf dessen Majestätsrechte fußen. Baron Burian
soll den Führern der Opposition folgende Konzessionen an-
geboten haben: Der Kaiser würde eine Kommission ernennen,
welche die Waffen- und die Fahnenfrage im Sinne des
ungarischen Staatsrechts regelt: die ungarische Sprache
würde besonders in den unteren Einheiten eine größere
Geltung als bisher erfahren. Auch im Militärstrafverfahren
würde die ungarische Sprache eine weitgehende Berücksich-
tigung finden.




Die Vorgänge in Rußland.
Judenfrage und Bulygin-Kommission.

Einer der schwierigsten Fragen,
der Judenfrage nämlich, hat sich das Ministerkomitee einfach
entzogen. Einige besonders dringliche Erscheinungen auf
diesem Gebiete wurden dem Senate zur Beratung zugeschoben,
die grundsätzliche Seite der Angelegenheit aber soll "den im
Herbst zusammentretenden Volksvertretern zugewiesen werden."
Wir haben also in den nächsten Wochen einen Erlaß über
die Judenfrage zu erwarten, der, wie der letzte, dem Aus-
lande Sand in die Augen streuen soll. Von der Volksver-
tretung des Herrn Bulygin haben die Juden nichts zu er-
warten. Wie ich höre, sollen von den Ständen jedes Gouver-
nements 10 bis 14 Personen für die sogenannte Vorver-
sammlung, d. h. für die Bulygin-Kommission, gewählt werden,
aus deren Zahl der Kaiser 2 bis 3 zur Teilnahme an der
Vorversammlung bestimmen soll. Auf diese Weise hätte
das Volk seine "gewählten Vertreter" und der Selbstherrscher
seine "vom Vertrauen getragenen besten Männer aus der
Nation". Was eine solche Versammlung für den Fortschritt
tun kann und wird, ist unschwer zu erraten, und was gar
für die Juden dabei heraus käme, bedarf keiner Erläuterung.

Zur Polenfrage.

In der russischen nationalen
Presse wird der letzte Polenerlaß im allgemeinen sympathisch
begrüßt. Umso stärker ist der Unwille, den das Verhalten
des Primas der katholischen Kirche, Bischofs Popiel, hervor-
gerufen hat. Eine Abordnung mit dem Bischof an der
Spitze erschien beim Generalgouverneur von Warschau, um
für den Erlaß zu danken. Die Ansprache des Bischofs sowie
die dem Generalgouverneur überreichte Adresse waren in
französischer Sprache abgefaßt. "Slowo" bemerkt zutreffend,
entweder hätte die russische oder die polnische Sprache ange-
wendet werden müssen; das Benehmen des Bischofs deute
auf den Mangel an Entgegenkommen hin, den das russische
Volk seitens der polnischen Führer zu erwarten habe. Gegen
den Generalgouverneur wird der Vorwurf der Schwäche
erhoben.




[Spaltenumbruch]

dumpfer Untätigkeit, in der beängstigenden Stille ihres
Zimmers die langsam dahinschleichenden Minuten zu ver-
folgen. Sie mußte unter Menschen, hinaus auf die Straße,
zum Dom, um so rasch als möglich die Gewißheit zu er-
langen.

Hastig hüllte sie sich in den kostbaren Pelz, zog die
Kapuze tief in ihr bleiches, liebliches Gesichtchen und huschte
die Stiegen hinunter zum Tore hinaus.

Je näher sie dem Stephansdome kam, desto belebter
wurden die Gassen, durch welche der Graf seinen Siegeseinzug
halten mußte. Auf dem Domplatze aber wogte eine vieltausend-
köpfige Menge erwartungsvoll auf und nieder. Die Kampf-
richtertribüne war bereits dicht besetzt. Sie kannte hier alle
die Herren, die dort oben in lebhaftem Disput standen. Und
da ragte auch die Gestalt ihres Vaters, der ebenfalls von
der Unruhe über das Schicksal seines Schwiegersohns, und
nicht zum mindesten über das Geschick seines Kindes, hinaus-
getrieben war. Auch den Lord Kenilworth konnte sie erkennen,
wie er mit seinem kalten Lächeln schon im Voraus über
seinen Gegner zu triumphieren schien. O, wie sie ihn haßte
diesen Mann, der ihr bis vor wenigen Tagen so gleichgiltig,
so nebensächlich gewesen war, daß sie ihn, nur der konven-
tionellen Form gehorchend, überhaupt bisher beachtet hatte!

Sie biß die weißen Perlzähnchen krampfhaft im auf-
steigenden Schmerze zusammen und schluckte tapfer die hervor-
quellenden Tränen hinunter. Ganz vorn hier, in die ersten
Reihen der Neugierigen, dicht neben der Tribüne hatte sie
sich gedrängt.

Halb elf kündeten die Glocken. Noch fünfzehn Minuten!
Doch, was war das? Klang es nicht wie fernes, gedämpftes
Brausen, der bewegten See gleich, an ihr Ohr? War es das
Blut, das ihr fiebernd durch die Pulse raste? Doch, da klang
es wieder und wieder, und näher und näher rollte das Tosen
[Spaltenumbruch] lauter und brausender tönte es an ihr Ohr. Die Nächst-
stehenden hoben sich auf die Zehenspitzen und reckten die
Köpfe. Die Herren auf der Tribüne brachen ihr Gespräch
ab. Aller Augen wandten sich nach einer Richtung, und da
scholl es plötzlich neben ihr, hunderttausendstimmig, ein
brausendes, nicht endenwollendes Hurra.

Mit flimmernden Blicken schaute sie hin über den Platz.
Die Kniee begannen ihr zu zittern vor freudigem Ahnen
und dort, bei Gott, da war er, um den sich all ihr Denken
und Fühlen drehte. Stolz, mit dem Lächeln des Siegers auf
den Lippen, sprengte er heran, auf mutigem, feurige Rosse,
seinem Pluto.

Die Gedanken schienen sich ihr zu verwirren. Die
Freude schien sie förmlich zu berauschen. Wie ein Kreis begann
sich alles um sie zu drehen in wirbelndem Tanze. Noch
einmal schlug sie die Augen empor zu ihm, der fast un-
mittelbar in ihre Nähe gelangt war. Eine heißer Strahl
unendlichen Glücks senkte sich in seinen Blick; dann um-
nachteten sich ihre Sinne und ohnmächtig sank sie in die
Arme ihres Geliebten, der sie erkennend, sich blitzschnell aus
dem Sattel schwang, um sie aufzufangen. Graf Otto von
Limpurg-Styrum hatte die Wette gewonnen. Nicht 1 dreiviertel
Stunden, nein, sogar schon in 95 Minuten hatte er sein
Ziel erreicht, trotz Schnee und Sturm, trotz heimtückischer
Bosheit. Mit saurem Gesichte zahlte Lord Kenilworth die
tausend Gold-Dukaten aus, die der Graf Limpurg aber
sofort unter die Armen verteilen ließ. Nicht des gleißenden
Goldes wegen hatte er den Ritt unternommen; nein, nur um
der Ehre der deutschen Reiterei willen. Und er hatte sie ge-
rettet, kühn, unerschrocken, wenn auch mit dem Einsatze eines
hohen Preises.




[Spaltenumbruch]
Der Krieg.


Wladiwostok.

Die Ernennung des Admirals
Birillew als Chef der Flotte des Stillen Ozeans ist vom
Zaren bereits unterschrieben und wird in diesen Tagen ver-
öffentlicht werden. Birillew ist an Stelle Skrydlows
ernannt, dessen Posten seit seiner Rückberufung bis heute
unbesetzt geblieben ist. Der Kommandant von Wladiwostok
wird Birillew unterstellt werden, um Zwistigkeiten, wie sie in
Port Arthur vorgekommen, zu vermeiden.

Vor der Entscheidung.

Von geschätzter militärischer Seite wird
uns geschrieben:

Wenn es vor der Vereinigung des Geschwaders Rosch-
djestwenskys
mit jenem Nebogatows noch zweifelhaft
war, ob die Japaner nicht eine gegen die Transportschiffe der
russischen Flotte gerichtete Taktik einem Linienkampfe vorziehen
würden, so kann nach dem ohne japanische Intervention er-
folgten Zusammenschlusse mit Sicherheit angenommen werden,
daß Togo es zu einem offenen Kampfe kommen lassen will.
Das Problem, das sich der japanische Admiral auf diese
Weise gestellt hat, ist kein leichtes. Er muß trachten,
die russische Flotte an einem Punkte, an dem sich die gesamte
japanische Streitmacht konzentriert hat, zum Kampfe zu
zwingen. Erschwert wird ihm diese Aufgabe dadurch, daß er über
die Pläne seines Gegners vollständig im Unklaren ist und
sich gezwungen sieht, seinen Ueberwachungsdienst, der das
ganze japanische Meer und seine Zugänge umspannen muß,
zum Nachteil der Konzentrationsidee bedeutend auszudehnen.
Auf welchem Wege wird die russische Flotte Wladiwostok zu
erreichen suchen? Wird sie geschlossen vorgehen oder sich in
Flottenabteilungen von verschiedenem militärischen Werte auf-
lösen? Erst wenn Admiral Togo sich über die grundlegenden
Fragen genau orientiert hat, ist er in der Lage einen
bestimmten Kriegsplan zu entwerfen. Was die Chancen der
in absehbarer Zeit zu erwartenden Seeschlacht anbelangt, so
stehen dieselben für Rußland nicht so schlecht, wie man
ursprünglich annehmen konnte. Eine Uebersicht über die ein-
ander gegenüberstehenden Streitkräfte mag das näher ver-
anschaulichen. Die beiden vereinigten russischen Flotten ver-
fügen, wenn man nur die Schlachtschiffe im engeren Sinne
in Betracht zieht, über 20 Einheiten, die sich folgendermaßen
verteilen: 8 Panzer, 3 Küstenschiffe, 3 gepanzerte und 6 ge-
schützte Kreuzer. In Bezug auf Tonnengewicht, Schnelligkeit
und Höhe der Bemannung zeigen diese Schiffe unter einander
charakteristische Abweichungen. Den 7 Panzern Roschdjestwenskys,
von denen vier ein Deplazement von 13.730 Tonnen, die
übrigen ein solches von 11--12000 haben (die Geschwindigkeit
beträgt im ersteren Fall 18, im letzteren 16 bis 18 Knoten)
steht der von Nebogatow herbeigeführte Panzer "Nicolas I."
mit einem Deplazement von 9800 und einer Schnelligkeit
von 15 Knoten nicht ganz ebenbürtig zur Seite. Dagegen
besitzt der zur Nachhut gehörige Panzer-Kreuzer "Wladimir
Monomach" eine größere Geschwindigkeit, als die gepanzerten
Kreuzer, über die Roschdjestwensky bereits vor Ankunft Nebo-
gatows verfügte. Die Bemannung der vereinigten Flotten ist
durch die 200 Mann Nebogatows auf 11.050 gebracht
worden. Die Zahl der von den Japanern aufgestellten
Schlachtschiffe beträgt 31 bei folgender Aufteilung: 5 Panzer,
1 Küstenschiff, 8 gepanzerte und 17 geschützte Kreuzer. Die
Panzer haben ein Deplacement von 12 bis 15.000 Tonnen
und (mit Ausnahme des Panzers Schin-Yen) eine Ge-
schwindigkeit, die über 18 Knoten hinausgeht. Die Geschwindigkeit
der japanischen gepanzerten Kreuzer beläuft sich 20 bis 21
Knoten, während die entsprechenden russischen Typen nur
16 bis 17 Knoten zurückzulegen vermögen. Dagegen beträgt
die Höchstgeschwindigkeit der russischen geschützten Kreuzer 24,
die der japanischen nur 22 Knoten. Im Ganzen stehen den
23 russischen Schiffen mit einem Tonnengehalt von insgesamt
158.440 Tonen, 31 japanische mit einem solchen von 203.850
Tonnen und einer Bemannung von 15.073 Mann gegenüber.
Diese Nebeneinanderstellung zeigt, daß die japanischen Streit-
kräfte den russischen zwar überlegen sind, aber doch nicht in
einem Verhältnis, das nicht durch unerwartete Ereignisse
leicht verschoben werden könnte. Der Umstand, daß die
Japaner zur Behauptung ihres Uebergewichtes ihre gesamten
maritimen Streitkräfte aufbieten müssen, ist ein strategischer
Nachteil, der bei den kommenden Operationen unter Umständen
zum Verhängnis werden könnte.

Roschdjestwensky und die deutsche Karto-
graphie.
(Orig.-Korr.)

Anläßlich
der Gerüchte über den angeblich bevorstehenden Rücktritt
Roschdjestwenskys von der Leitung des baltischen Geschaders
will man hier wissen, daß zwischen der Admiralität in

Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 25. Mai 1905

[Spaltenumbruch]

anderes verlangt er von ihr, als daß ſie ihr in der Adreſſe
niedergelegtes Programm präziſer geſtalte und einen Ver-
trauensmann deſigniere, welcher berufen und entſchloſſen ſei,
die Regierungsgeſchäfte auf Grund dieſes Programmes zu
übernehmen. Es iſt unter ſolchen Umſtänden begreiflich, daß
die Koalition die Tatſache, daß der Kaiſer geneigt iſt, ihr
die Kabinettsbildung zu überlaſſen, mit Freude begrüßte und
ſich dem Kaiſer zur Verfügung ſtellte. Bemerkenswert iſt
auch, daß der Kaiſer den Wunſch ausgeſprochen hat, die
Kabinettsbildung an Koſſuth ſelbſt zu übertragen. Koſſuth
hat ſich immer das Vertrauen derer, die mit ihm politiſch
zu unterhandeln hatten, errungen, auch das Vertrauen des
Kaiſers. Und es iſt ein nicht gewöhnlicher Zug des Monarchen,
daß er den Sohn des Rebellen, der die Dynaſtie auf dem
Debrecziner Reichstag des Thrones für verluſtig erklärte, zu
ſeinem ungariſchen Miniſterpräſidenten zu ernennen wünſcht.
Der leitende Ausſchuß der Oppoſition erſuchte aber den
Grafen Julius Andraſſy, das Programm der Koalition vor
dem Kaiſer zu vertreten. Ihm fällt die ſchwierige Aufgabe
zu, das Programm der Adreſſe in ein Regierungsprogramm
umzuwandeln.

Alles in Allem, ſind die Propoſitionen, welche die Krone
macht, derart günſtig, ſo zum Aeußerſten verſöhnlich und
nachgiebig, daß die Koalition mit Blindheit geſchlagen ſein
müßte, wenn ſie nicht die Situation zu ihren Gunſten aus-
nützen würde. Aber verbürgen läßt ſich nichts. Vom heiß-
blütigen ungariſchen Chauvinismus hat man ſich noch mancher
Torheiten zu verſehen.




Wir laſſen die auf die Beendigung der Miſſion
Burians und der Berufung des Grafen Andraſſy be-
züglichen Nachrichten folgen:

Das Ergebnis der Miſſion Burians.

Freiherr von Burian wurde
geſtern vom Kaiſer in beſonderer Audienz empfangen, die
dreiviertel Stunden dauerte und in der Burian einen er-
ſchöpfenden
Bericht über den Verlauf ſeiner Miſſion in
Budapeſt erſtattete, den der Kaiſer ſchweigend anhörte. Nur
am Schluſſe, als Burian verkündigte, daß Graf Julius
Andraſſy als Vertrauensmann der Koalition neuerdings vor
der Krone erſcheinen werde, ſtellte der Kaiſer einige infor-
mative Fragen. Ueber das Reſultat der Miſſion ſelbſt
äußerte ſich der Kaiſer nicht, doch ſprach er dem Freiherrn
von Burian, was deſſen Tätigkeit anbelangt, ſeine vollſte
Zufriedenheit aus.

Die Berufung des Grafen Andraſſy nach Wien iſt
bereits erfolgt und deſſen Audienz wird noch heute ſtatt-
finden.

Die Tatſache, daß die Bemühungen zur Löſung der
Kriſe abermals in Fluß gekommen ſind, wird von der un-
gariſchen Oppoſition freudig begrüßt; doch herrſcht bezüglich
des Ausganges der neuen Entwirrungsunterhandlungen in
den weiteſten Kreiſen ſtarke Skepſis und es iſt auch nicht
wahrſcheinlich, daß es gelingen werde, die Kriſe diesmal
endgiltig ihrer Löſung zuzuführen.

Der leitende Ausſchuß
der verbündeten Oppoſition
hielt geſtern eine
zweiſtündige Sitzung ab, welcher ſeitens der Diſſidenten die
Abgeordneten Daranyi und Graf Julius Andraſſy
beiwohnten. Letzterer wurde in offizieller Form erſucht, das
Programm der Koalition vor dem Monarchen zu vertreten.
[Spaltenumbruch] Andraſſy erklärte ſich hiezu berreit, und richtete an die
Kabinettskanzlei das Erſuchen um eine Audienz. In der
Umgebung Andraſſys verlautet, daß er nur ein Programm
vor dem Monarchen vertreten werde, welches von der ver-
bündeten Oppoſition mit Genugtuung aufgenommen werden
könnte. In den Kreiſen der Oppoſition verhehlt man ſich
nicht die Schwierigkeiten der Kabinettsbildung, ſieht aber
die Notwendigkeit einer Zuſammenſtellung eines Miniſteriums
ein, damit das Kabinett Tisza beſeitigt werde. Man hofft,
daß ſich bei einem Kabinett Andraſſy Teile der Diſſidenten
und der liberalen Partei der Unabhängigkeitspartei an-
ſchließen werden. Ein ſolches Kabinett würde in ſein Pro-
gramm einen Paſſus aufnehmen, in welchem es heißt, daß
der nationale Charakter des ungariſchen Teiles des Heeres
in Zukunſt prägnanter als bisher zum Ausdruck kommen
müſſe, jedoch ſtufenweiſe und auf Grund von Erläſſen des
Königs, die auf deſſen Majeſtätsrechte fußen. Baron Burian
ſoll den Führern der Oppoſition folgende Konzeſſionen an-
geboten haben: Der Kaiſer würde eine Kommiſſion ernennen,
welche die Waffen- und die Fahnenfrage im Sinne des
ungariſchen Staatsrechts regelt: die ungariſche Sprache
würde beſonders in den unteren Einheiten eine größere
Geltung als bisher erfahren. Auch im Militärſtrafverfahren
würde die ungariſche Sprache eine weitgehende Berückſich-
tigung finden.




Die Vorgänge in Rußland.
Judenfrage und Bulygin-Kommiſſion.

Einer der ſchwierigſten Fragen,
der Judenfrage nämlich, hat ſich das Miniſterkomitee einfach
entzogen. Einige beſonders dringliche Erſcheinungen auf
dieſem Gebiete wurden dem Senate zur Beratung zugeſchoben,
die grundſätzliche Seite der Angelegenheit aber ſoll „den im
Herbſt zuſammentretenden Volksvertretern zugewieſen werden.“
Wir haben alſo in den nächſten Wochen einen Erlaß über
die Judenfrage zu erwarten, der, wie der letzte, dem Aus-
lande Sand in die Augen ſtreuen ſoll. Von der Volksver-
tretung des Herrn Bulygin haben die Juden nichts zu er-
warten. Wie ich höre, ſollen von den Ständen jedes Gouver-
nements 10 bis 14 Perſonen für die ſogenannte Vorver-
ſammlung, d. h. für die Bulygin-Kommiſſion, gewählt werden,
aus deren Zahl der Kaiſer 2 bis 3 zur Teilnahme an der
Vorverſammlung beſtimmen ſoll. Auf dieſe Weiſe hätte
das Volk ſeine „gewählten Vertreter“ und der Selbſtherrſcher
ſeine „vom Vertrauen getragenen beſten Männer aus der
Nation“. Was eine ſolche Verſammlung für den Fortſchritt
tun kann und wird, iſt unſchwer zu erraten, und was gar
für die Juden dabei heraus käme, bedarf keiner Erläuterung.

Zur Polenfrage.

In der ruſſiſchen nationalen
Preſſe wird der letzte Polenerlaß im allgemeinen ſympathiſch
begrüßt. Umſo ſtärker iſt der Unwille, den das Verhalten
des Primas der katholiſchen Kirche, Biſchofs Popiel, hervor-
gerufen hat. Eine Abordnung mit dem Biſchof an der
Spitze erſchien beim Generalgouverneur von Warſchau, um
für den Erlaß zu danken. Die Anſprache des Biſchofs ſowie
die dem Generalgouverneur überreichte Adreſſe waren in
franzöſiſcher Sprache abgefaßt. „Slowo“ bemerkt zutreffend,
entweder hätte die ruſſiſche oder die polniſche Sprache ange-
wendet werden müſſen; das Benehmen des Biſchofs deute
auf den Mangel an Entgegenkommen hin, den das ruſſiſche
Volk ſeitens der polniſchen Führer zu erwarten habe. Gegen
den Generalgouverneur wird der Vorwurf der Schwäche
erhoben.




[Spaltenumbruch]

dumpfer Untätigkeit, in der beängſtigenden Stille ihres
Zimmers die langſam dahinſchleichenden Minuten zu ver-
folgen. Sie mußte unter Menſchen, hinaus auf die Straße,
zum Dom, um ſo raſch als möglich die Gewißheit zu er-
langen.

Haſtig hüllte ſie ſich in den koſtbaren Pelz, zog die
Kapuze tief in ihr bleiches, liebliches Geſichtchen und huſchte
die Stiegen hinunter zum Tore hinaus.

Je näher ſie dem Stephansdome kam, deſto belebter
wurden die Gaſſen, durch welche der Graf ſeinen Siegeseinzug
halten mußte. Auf dem Domplatze aber wogte eine vieltauſend-
köpfige Menge erwartungsvoll auf und nieder. Die Kampf-
richtertribüne war bereits dicht beſetzt. Sie kannte hier alle
die Herren, die dort oben in lebhaftem Disput ſtanden. Und
da ragte auch die Geſtalt ihres Vaters, der ebenfalls von
der Unruhe über das Schickſal ſeines Schwiegerſohns, und
nicht zum mindeſten über das Geſchick ſeines Kindes, hinaus-
getrieben war. Auch den Lord Kenilworth konnte ſie erkennen,
wie er mit ſeinem kalten Lächeln ſchon im Voraus über
ſeinen Gegner zu triumphieren ſchien. O, wie ſie ihn haßte
dieſen Mann, der ihr bis vor wenigen Tagen ſo gleichgiltig,
ſo nebenſächlich geweſen war, daß ſie ihn, nur der konven-
tionellen Form gehorchend, überhaupt bisher beachtet hatte!

Sie biß die weißen Perlzähnchen krampfhaft im auf-
ſteigenden Schmerze zuſammen und ſchluckte tapfer die hervor-
quellenden Tränen hinunter. Ganz vorn hier, in die erſten
Reihen der Neugierigen, dicht neben der Tribüne hatte ſie
ſich gedrängt.

Halb elf kündeten die Glocken. Noch fünfzehn Minuten!
Doch, was war das? Klang es nicht wie fernes, gedämpftes
Brauſen, der bewegten See gleich, an ihr Ohr? War es das
Blut, das ihr fiebernd durch die Pulſe raſte? Doch, da klang
es wieder und wieder, und näher und näher rollte das Toſen
[Spaltenumbruch] lauter und brauſender tönte es an ihr Ohr. Die Nächſt-
ſtehenden hoben ſich auf die Zehenſpitzen und reckten die
Köpfe. Die Herren auf der Tribüne brachen ihr Geſpräch
ab. Aller Augen wandten ſich nach einer Richtung, und da
ſcholl es plötzlich neben ihr, hunderttauſendſtimmig, ein
brauſendes, nicht endenwollendes Hurra.

Mit flimmernden Blicken ſchaute ſie hin über den Platz.
Die Kniee begannen ihr zu zittern vor freudigem Ahnen
und dort, bei Gott, da war er, um den ſich all ihr Denken
und Fühlen drehte. Stolz, mit dem Lächeln des Siegers auf
den Lippen, ſprengte er heran, auf mutigem, feurige Roſſe,
ſeinem Pluto.

Die Gedanken ſchienen ſich ihr zu verwirren. Die
Freude ſchien ſie förmlich zu berauſchen. Wie ein Kreis begann
ſich alles um ſie zu drehen in wirbelndem Tanze. Noch
einmal ſchlug ſie die Augen empor zu ihm, der faſt un-
mittelbar in ihre Nähe gelangt war. Eine heißer Strahl
unendlichen Glücks ſenkte ſich in ſeinen Blick; dann um-
nachteten ſich ihre Sinne und ohnmächtig ſank ſie in die
Arme ihres Geliebten, der ſie erkennend, ſich blitzſchnell aus
dem Sattel ſchwang, um ſie aufzufangen. Graf Otto von
Limpurg-Styrum hatte die Wette gewonnen. Nicht 1 dreiviertel
Stunden, nein, ſogar ſchon in 95 Minuten hatte er ſein
Ziel erreicht, trotz Schnee und Sturm, trotz heimtückiſcher
Bosheit. Mit ſaurem Geſichte zahlte Lord Kenilworth die
tauſend Gold-Dukaten aus, die der Graf Limpurg aber
ſofort unter die Armen verteilen ließ. Nicht des gleißenden
Goldes wegen hatte er den Ritt unternommen; nein, nur um
der Ehre der deutſchen Reiterei willen. Und er hatte ſie ge-
rettet, kühn, unerſchrocken, wenn auch mit dem Einſatze eines
hohen Preiſes.




[Spaltenumbruch]
Der Krieg.


Wladiwoſtok.

Die Ernennung des Admirals
Birillew als Chef der Flotte des Stillen Ozeans iſt vom
Zaren bereits unterſchrieben und wird in dieſen Tagen ver-
öffentlicht werden. Birillew iſt an Stelle Skrydlows
ernannt, deſſen Poſten ſeit ſeiner Rückberufung bis heute
unbeſetzt geblieben iſt. Der Kommandant von Wladiwoſtok
wird Birillew unterſtellt werden, um Zwiſtigkeiten, wie ſie in
Port Arthur vorgekommen, zu vermeiden.

Vor der Entſcheidung.

Von geſchätzter militäriſcher Seite wird
uns geſchrieben:

Wenn es vor der Vereinigung des Geſchwaders Roſch-
djeſtwenskys
mit jenem Nebogatows noch zweifelhaft
war, ob die Japaner nicht eine gegen die Transportſchiffe der
ruſſiſchen Flotte gerichtete Taktik einem Linienkampfe vorziehen
würden, ſo kann nach dem ohne japaniſche Intervention er-
folgten Zuſammenſchluſſe mit Sicherheit angenommen werden,
daß Togo es zu einem offenen Kampfe kommen laſſen will.
Das Problem, das ſich der japaniſche Admiral auf dieſe
Weiſe geſtellt hat, iſt kein leichtes. Er muß trachten,
die ruſſiſche Flotte an einem Punkte, an dem ſich die geſamte
japaniſche Streitmacht konzentriert hat, zum Kampfe zu
zwingen. Erſchwert wird ihm dieſe Aufgabe dadurch, daß er über
die Pläne ſeines Gegners vollſtändig im Unklaren iſt und
ſich gezwungen ſieht, ſeinen Ueberwachungsdienſt, der das
ganze japaniſche Meer und ſeine Zugänge umſpannen muß,
zum Nachteil der Konzentrationsidee bedeutend auszudehnen.
Auf welchem Wege wird die ruſſiſche Flotte Wladiwoſtok zu
erreichen ſuchen? Wird ſie geſchloſſen vorgehen oder ſich in
Flottenabteilungen von verſchiedenem militäriſchen Werte auf-
löſen? Erſt wenn Admiral Togo ſich über die grundlegenden
Fragen genau orientiert hat, iſt er in der Lage einen
beſtimmten Kriegsplan zu entwerfen. Was die Chancen der
in abſehbarer Zeit zu erwartenden Seeſchlacht anbelangt, ſo
ſtehen dieſelben für Rußland nicht ſo ſchlecht, wie man
urſprünglich annehmen konnte. Eine Ueberſicht über die ein-
ander gegenüberſtehenden Streitkräfte mag das näher ver-
anſchaulichen. Die beiden vereinigten ruſſiſchen Flotten ver-
fügen, wenn man nur die Schlachtſchiffe im engeren Sinne
in Betracht zieht, über 20 Einheiten, die ſich folgendermaßen
verteilen: 8 Panzer, 3 Küſtenſchiffe, 3 gepanzerte und 6 ge-
ſchützte Kreuzer. In Bezug auf Tonnengewicht, Schnelligkeit
und Höhe der Bemannung zeigen dieſe Schiffe unter einander
charakteriſtiſche Abweichungen. Den 7 Panzern Roſchdjeſtwenskys,
von denen vier ein Deplazement von 13.730 Tonnen, die
übrigen ein ſolches von 11—12000 haben (die Geſchwindigkeit
beträgt im erſteren Fall 18, im letzteren 16 bis 18 Knoten)
ſteht der von Nebogatow herbeigeführte Panzer „Nicolas I.
mit einem Deplazement von 9800 und einer Schnelligkeit
von 15 Knoten nicht ganz ebenbürtig zur Seite. Dagegen
beſitzt der zur Nachhut gehörige Panzer-Kreuzer „Wladimir
Monomach“ eine größere Geſchwindigkeit, als die gepanzerten
Kreuzer, über die Roſchdjeſtwensky bereits vor Ankunft Nebo-
gatows verfügte. Die Bemannung der vereinigten Flotten iſt
durch die 200 Mann Nebogatows auf 11.050 gebracht
worden. Die Zahl der von den Japanern aufgeſtellten
Schlachtſchiffe beträgt 31 bei folgender Aufteilung: 5 Panzer,
1 Küſtenſchiff, 8 gepanzerte und 17 geſchützte Kreuzer. Die
Panzer haben ein Deplacement von 12 bis 15.000 Tonnen
und (mit Ausnahme des Panzers Schin-Yen) eine Ge-
ſchwindigkeit, die über 18 Knoten hinausgeht. Die Geſchwindigkeit
der japaniſchen gepanzerten Kreuzer beläuft ſich 20 bis 21
Knoten, während die entſprechenden ruſſiſchen Typen nur
16 bis 17 Knoten zurückzulegen vermögen. Dagegen beträgt
die Höchſtgeſchwindigkeit der ruſſiſchen geſchützten Kreuzer 24,
die der japaniſchen nur 22 Knoten. Im Ganzen ſtehen den
23 ruſſiſchen Schiffen mit einem Tonnengehalt von insgeſamt
158.440 Tonen, 31 japaniſche mit einem ſolchen von 203.850
Tonnen und einer Bemannung von 15.073 Mann gegenüber.
Dieſe Nebeneinanderſtellung zeigt, daß die japaniſchen Streit-
kräfte den ruſſiſchen zwar überlegen ſind, aber doch nicht in
einem Verhältnis, das nicht durch unerwartete Ereigniſſe
leicht verſchoben werden könnte. Der Umſtand, daß die
Japaner zur Behauptung ihres Uebergewichtes ihre geſamten
maritimen Streitkräfte aufbieten müſſen, iſt ein ſtrategiſcher
Nachteil, der bei den kommenden Operationen unter Umſtänden
zum Verhängnis werden könnte.

Roſchdjeſtwensky und die deutſche Karto-
graphie.
(Orig.-Korr.)

Anläßlich
der Gerüchte über den angeblich bevorſtehenden Rücktritt
Roſchdjeſtwenskys von der Leitung des baltiſchen Geſchaders
will man hier wiſſen, daß zwiſchen der Admiralität in

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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung. 25. Mai 1905 anderes verlangt er von ihr, als daß ſie ihr in der Adreſſe niedergelegtes Programm präziſer geſtalte und einen Ver- trauensmann deſigniere, welcher berufen und entſchloſſen ſei, die Regierungsgeſchäfte auf Grund dieſes Programmes zu übernehmen. Es iſt unter ſolchen Umſtänden begreiflich, daß die Koalition die Tatſache, daß der Kaiſer geneigt iſt, ihr die Kabinettsbildung zu überlaſſen, mit Freude begrüßte und ſich dem Kaiſer zur Verfügung ſtellte. Bemerkenswert iſt auch, daß der Kaiſer den Wunſch ausgeſprochen hat, die Kabinettsbildung an Koſſuth ſelbſt zu übertragen. Koſſuth hat ſich immer das Vertrauen derer, die mit ihm politiſch zu unterhandeln hatten, errungen, auch das Vertrauen des Kaiſers. Und es iſt ein nicht gewöhnlicher Zug des Monarchen, daß er den Sohn des Rebellen, der die Dynaſtie auf dem Debrecziner Reichstag des Thrones für verluſtig erklärte, zu ſeinem ungariſchen Miniſterpräſidenten zu ernennen wünſcht. Der leitende Ausſchuß der Oppoſition erſuchte aber den Grafen Julius Andraſſy, das Programm der Koalition vor dem Kaiſer zu vertreten. Ihm fällt die ſchwierige Aufgabe zu, das Programm der Adreſſe in ein Regierungsprogramm umzuwandeln. Alles in Allem, ſind die Propoſitionen, welche die Krone macht, derart günſtig, ſo zum Aeußerſten verſöhnlich und nachgiebig, daß die Koalition mit Blindheit geſchlagen ſein müßte, wenn ſie nicht die Situation zu ihren Gunſten aus- nützen würde. Aber verbürgen läßt ſich nichts. Vom heiß- blütigen ungariſchen Chauvinismus hat man ſich noch mancher Torheiten zu verſehen. Wir laſſen die auf die Beendigung der Miſſion Burians und der Berufung des Grafen Andraſſy be- züglichen Nachrichten folgen: Das Ergebnis der Miſſion Burians. Wien, 23. Mai. Freiherr von Burian wurde geſtern vom Kaiſer in beſonderer Audienz empfangen, die dreiviertel Stunden dauerte und in der Burian einen er- ſchöpfenden Bericht über den Verlauf ſeiner Miſſion in Budapeſt erſtattete, den der Kaiſer ſchweigend anhörte. Nur am Schluſſe, als Burian verkündigte, daß Graf Julius Andraſſy als Vertrauensmann der Koalition neuerdings vor der Krone erſcheinen werde, ſtellte der Kaiſer einige infor- mative Fragen. Ueber das Reſultat der Miſſion ſelbſt äußerte ſich der Kaiſer nicht, doch ſprach er dem Freiherrn von Burian, was deſſen Tätigkeit anbelangt, ſeine vollſte Zufriedenheit aus. Die Berufung des Grafen Andraſſy nach Wien iſt bereits erfolgt und deſſen Audienz wird noch heute ſtatt- finden. Die Tatſache, daß die Bemühungen zur Löſung der Kriſe abermals in Fluß gekommen ſind, wird von der un- gariſchen Oppoſition freudig begrüßt; doch herrſcht bezüglich des Ausganges der neuen Entwirrungsunterhandlungen in den weiteſten Kreiſen ſtarke Skepſis und es iſt auch nicht wahrſcheinlich, daß es gelingen werde, die Kriſe diesmal endgiltig ihrer Löſung zuzuführen. Budapeſt, 23. Mai. Der leitende Ausſchuß der verbündeten Oppoſition hielt geſtern eine zweiſtündige Sitzung ab, welcher ſeitens der Diſſidenten die Abgeordneten Daranyi und Graf Julius Andraſſy beiwohnten. Letzterer wurde in offizieller Form erſucht, das Programm der Koalition vor dem Monarchen zu vertreten. Andraſſy erklärte ſich hiezu berreit, und richtete an die Kabinettskanzlei das Erſuchen um eine Audienz. In der Umgebung Andraſſys verlautet, daß er nur ein Programm vor dem Monarchen vertreten werde, welches von der ver- bündeten Oppoſition mit Genugtuung aufgenommen werden könnte. In den Kreiſen der Oppoſition verhehlt man ſich nicht die Schwierigkeiten der Kabinettsbildung, ſieht aber die Notwendigkeit einer Zuſammenſtellung eines Miniſteriums ein, damit das Kabinett Tisza beſeitigt werde. Man hofft, daß ſich bei einem Kabinett Andraſſy Teile der Diſſidenten und der liberalen Partei der Unabhängigkeitspartei an- ſchließen werden. Ein ſolches Kabinett würde in ſein Pro- gramm einen Paſſus aufnehmen, in welchem es heißt, daß der nationale Charakter des ungariſchen Teiles des Heeres in Zukunſt prägnanter als bisher zum Ausdruck kommen müſſe, jedoch ſtufenweiſe und auf Grund von Erläſſen des Königs, die auf deſſen Majeſtätsrechte fußen. Baron Burian ſoll den Führern der Oppoſition folgende Konzeſſionen an- geboten haben: Der Kaiſer würde eine Kommiſſion ernennen, welche die Waffen- und die Fahnenfrage im Sinne des ungariſchen Staatsrechts regelt: die ungariſche Sprache würde beſonders in den unteren Einheiten eine größere Geltung als bisher erfahren. Auch im Militärſtrafverfahren würde die ungariſche Sprache eine weitgehende Berückſich- tigung finden. Die Vorgänge in Rußland. Judenfrage und Bulygin-Kommiſſion. Petersburg, 23. Mai. Einer der ſchwierigſten Fragen, der Judenfrage nämlich, hat ſich das Miniſterkomitee einfach entzogen. Einige beſonders dringliche Erſcheinungen auf dieſem Gebiete wurden dem Senate zur Beratung zugeſchoben, die grundſätzliche Seite der Angelegenheit aber ſoll „den im Herbſt zuſammentretenden Volksvertretern zugewieſen werden.“ Wir haben alſo in den nächſten Wochen einen Erlaß über die Judenfrage zu erwarten, der, wie der letzte, dem Aus- lande Sand in die Augen ſtreuen ſoll. Von der Volksver- tretung des Herrn Bulygin haben die Juden nichts zu er- warten. Wie ich höre, ſollen von den Ständen jedes Gouver- nements 10 bis 14 Perſonen für die ſogenannte Vorver- ſammlung, d. h. für die Bulygin-Kommiſſion, gewählt werden, aus deren Zahl der Kaiſer 2 bis 3 zur Teilnahme an der Vorverſammlung beſtimmen ſoll. Auf dieſe Weiſe hätte das Volk ſeine „gewählten Vertreter“ und der Selbſtherrſcher ſeine „vom Vertrauen getragenen beſten Männer aus der Nation“. Was eine ſolche Verſammlung für den Fortſchritt tun kann und wird, iſt unſchwer zu erraten, und was gar für die Juden dabei heraus käme, bedarf keiner Erläuterung. Zur Polenfrage. Petersburg, 23. Mai. In der ruſſiſchen nationalen Preſſe wird der letzte Polenerlaß im allgemeinen ſympathiſch begrüßt. Umſo ſtärker iſt der Unwille, den das Verhalten des Primas der katholiſchen Kirche, Biſchofs Popiel, hervor- gerufen hat. Eine Abordnung mit dem Biſchof an der Spitze erſchien beim Generalgouverneur von Warſchau, um für den Erlaß zu danken. Die Anſprache des Biſchofs ſowie die dem Generalgouverneur überreichte Adreſſe waren in franzöſiſcher Sprache abgefaßt. „Slowo“ bemerkt zutreffend, entweder hätte die ruſſiſche oder die polniſche Sprache ange- wendet werden müſſen; das Benehmen des Biſchofs deute auf den Mangel an Entgegenkommen hin, den das ruſſiſche Volk ſeitens der polniſchen Führer zu erwarten habe. Gegen den Generalgouverneur wird der Vorwurf der Schwäche erhoben. dumpfer Untätigkeit, in der beängſtigenden Stille ihres Zimmers die langſam dahinſchleichenden Minuten zu ver- folgen. Sie mußte unter Menſchen, hinaus auf die Straße, zum Dom, um ſo raſch als möglich die Gewißheit zu er- langen. Haſtig hüllte ſie ſich in den koſtbaren Pelz, zog die Kapuze tief in ihr bleiches, liebliches Geſichtchen und huſchte die Stiegen hinunter zum Tore hinaus. Je näher ſie dem Stephansdome kam, deſto belebter wurden die Gaſſen, durch welche der Graf ſeinen Siegeseinzug halten mußte. Auf dem Domplatze aber wogte eine vieltauſend- köpfige Menge erwartungsvoll auf und nieder. Die Kampf- richtertribüne war bereits dicht beſetzt. Sie kannte hier alle die Herren, die dort oben in lebhaftem Disput ſtanden. Und da ragte auch die Geſtalt ihres Vaters, der ebenfalls von der Unruhe über das Schickſal ſeines Schwiegerſohns, und nicht zum mindeſten über das Geſchick ſeines Kindes, hinaus- getrieben war. Auch den Lord Kenilworth konnte ſie erkennen, wie er mit ſeinem kalten Lächeln ſchon im Voraus über ſeinen Gegner zu triumphieren ſchien. O, wie ſie ihn haßte dieſen Mann, der ihr bis vor wenigen Tagen ſo gleichgiltig, ſo nebenſächlich geweſen war, daß ſie ihn, nur der konven- tionellen Form gehorchend, überhaupt bisher beachtet hatte! Sie biß die weißen Perlzähnchen krampfhaft im auf- ſteigenden Schmerze zuſammen und ſchluckte tapfer die hervor- quellenden Tränen hinunter. Ganz vorn hier, in die erſten Reihen der Neugierigen, dicht neben der Tribüne hatte ſie ſich gedrängt. Halb elf kündeten die Glocken. Noch fünfzehn Minuten! Doch, was war das? Klang es nicht wie fernes, gedämpftes Brauſen, der bewegten See gleich, an ihr Ohr? War es das Blut, das ihr fiebernd durch die Pulſe raſte? Doch, da klang es wieder und wieder, und näher und näher rollte das Toſen lauter und brauſender tönte es an ihr Ohr. Die Nächſt- ſtehenden hoben ſich auf die Zehenſpitzen und reckten die Köpfe. Die Herren auf der Tribüne brachen ihr Geſpräch ab. Aller Augen wandten ſich nach einer Richtung, und da ſcholl es plötzlich neben ihr, hunderttauſendſtimmig, ein brauſendes, nicht endenwollendes Hurra. Mit flimmernden Blicken ſchaute ſie hin über den Platz. Die Kniee begannen ihr zu zittern vor freudigem Ahnen und dort, bei Gott, da war er, um den ſich all ihr Denken und Fühlen drehte. Stolz, mit dem Lächeln des Siegers auf den Lippen, ſprengte er heran, auf mutigem, feurige Roſſe, ſeinem Pluto. Die Gedanken ſchienen ſich ihr zu verwirren. Die Freude ſchien ſie förmlich zu berauſchen. Wie ein Kreis begann ſich alles um ſie zu drehen in wirbelndem Tanze. Noch einmal ſchlug ſie die Augen empor zu ihm, der faſt un- mittelbar in ihre Nähe gelangt war. Eine heißer Strahl unendlichen Glücks ſenkte ſich in ſeinen Blick; dann um- nachteten ſich ihre Sinne und ohnmächtig ſank ſie in die Arme ihres Geliebten, der ſie erkennend, ſich blitzſchnell aus dem Sattel ſchwang, um ſie aufzufangen. Graf Otto von Limpurg-Styrum hatte die Wette gewonnen. Nicht 1 dreiviertel Stunden, nein, ſogar ſchon in 95 Minuten hatte er ſein Ziel erreicht, trotz Schnee und Sturm, trotz heimtückiſcher Bosheit. Mit ſaurem Geſichte zahlte Lord Kenilworth die tauſend Gold-Dukaten aus, die der Graf Limpurg aber ſofort unter die Armen verteilen ließ. Nicht des gleißenden Goldes wegen hatte er den Ritt unternommen; nein, nur um der Ehre der deutſchen Reiterei willen. Und er hatte ſie ge- rettet, kühn, unerſchrocken, wenn auch mit dem Einſatze eines hohen Preiſes. Der Krieg. Czernowitz, 24. Mai 1905. Wladiwoſtok. Petersburg, 23. Mai. Die Ernennung des Admirals Birillew als Chef der Flotte des Stillen Ozeans iſt vom Zaren bereits unterſchrieben und wird in dieſen Tagen ver- öffentlicht werden. Birillew iſt an Stelle Skrydlows ernannt, deſſen Poſten ſeit ſeiner Rückberufung bis heute unbeſetzt geblieben iſt. Der Kommandant von Wladiwoſtok wird Birillew unterſtellt werden, um Zwiſtigkeiten, wie ſie in Port Arthur vorgekommen, zu vermeiden. Vor der Entſcheidung. Von geſchätzter militäriſcher Seite wird uns geſchrieben: Wenn es vor der Vereinigung des Geſchwaders Roſch- djeſtwenskys mit jenem Nebogatows noch zweifelhaft war, ob die Japaner nicht eine gegen die Transportſchiffe der ruſſiſchen Flotte gerichtete Taktik einem Linienkampfe vorziehen würden, ſo kann nach dem ohne japaniſche Intervention er- folgten Zuſammenſchluſſe mit Sicherheit angenommen werden, daß Togo es zu einem offenen Kampfe kommen laſſen will. Das Problem, das ſich der japaniſche Admiral auf dieſe Weiſe geſtellt hat, iſt kein leichtes. Er muß trachten, die ruſſiſche Flotte an einem Punkte, an dem ſich die geſamte japaniſche Streitmacht konzentriert hat, zum Kampfe zu zwingen. Erſchwert wird ihm dieſe Aufgabe dadurch, daß er über die Pläne ſeines Gegners vollſtändig im Unklaren iſt und ſich gezwungen ſieht, ſeinen Ueberwachungsdienſt, der das ganze japaniſche Meer und ſeine Zugänge umſpannen muß, zum Nachteil der Konzentrationsidee bedeutend auszudehnen. Auf welchem Wege wird die ruſſiſche Flotte Wladiwoſtok zu erreichen ſuchen? Wird ſie geſchloſſen vorgehen oder ſich in Flottenabteilungen von verſchiedenem militäriſchen Werte auf- löſen? Erſt wenn Admiral Togo ſich über die grundlegenden Fragen genau orientiert hat, iſt er in der Lage einen beſtimmten Kriegsplan zu entwerfen. Was die Chancen der in abſehbarer Zeit zu erwartenden Seeſchlacht anbelangt, ſo ſtehen dieſelben für Rußland nicht ſo ſchlecht, wie man urſprünglich annehmen konnte. Eine Ueberſicht über die ein- ander gegenüberſtehenden Streitkräfte mag das näher ver- anſchaulichen. Die beiden vereinigten ruſſiſchen Flotten ver- fügen, wenn man nur die Schlachtſchiffe im engeren Sinne in Betracht zieht, über 20 Einheiten, die ſich folgendermaßen verteilen: 8 Panzer, 3 Küſtenſchiffe, 3 gepanzerte und 6 ge- ſchützte Kreuzer. In Bezug auf Tonnengewicht, Schnelligkeit und Höhe der Bemannung zeigen dieſe Schiffe unter einander charakteriſtiſche Abweichungen. Den 7 Panzern Roſchdjeſtwenskys, von denen vier ein Deplazement von 13.730 Tonnen, die übrigen ein ſolches von 11—12000 haben (die Geſchwindigkeit beträgt im erſteren Fall 18, im letzteren 16 bis 18 Knoten) ſteht der von Nebogatow herbeigeführte Panzer „Nicolas I.“ mit einem Deplazement von 9800 und einer Schnelligkeit von 15 Knoten nicht ganz ebenbürtig zur Seite. Dagegen beſitzt der zur Nachhut gehörige Panzer-Kreuzer „Wladimir Monomach“ eine größere Geſchwindigkeit, als die gepanzerten Kreuzer, über die Roſchdjeſtwensky bereits vor Ankunft Nebo- gatows verfügte. Die Bemannung der vereinigten Flotten iſt durch die 200 Mann Nebogatows auf 11.050 gebracht worden. Die Zahl der von den Japanern aufgeſtellten Schlachtſchiffe beträgt 31 bei folgender Aufteilung: 5 Panzer, 1 Küſtenſchiff, 8 gepanzerte und 17 geſchützte Kreuzer. Die Panzer haben ein Deplacement von 12 bis 15.000 Tonnen und (mit Ausnahme des Panzers Schin-Yen) eine Ge- ſchwindigkeit, die über 18 Knoten hinausgeht. Die Geſchwindigkeit der japaniſchen gepanzerten Kreuzer beläuft ſich 20 bis 21 Knoten, während die entſprechenden ruſſiſchen Typen nur 16 bis 17 Knoten zurückzulegen vermögen. Dagegen beträgt die Höchſtgeſchwindigkeit der ruſſiſchen geſchützten Kreuzer 24, die der japaniſchen nur 22 Knoten. Im Ganzen ſtehen den 23 ruſſiſchen Schiffen mit einem Tonnengehalt von insgeſamt 158.440 Tonen, 31 japaniſche mit einem ſolchen von 203.850 Tonnen und einer Bemannung von 15.073 Mann gegenüber. Dieſe Nebeneinanderſtellung zeigt, daß die japaniſchen Streit- kräfte den ruſſiſchen zwar überlegen ſind, aber doch nicht in einem Verhältnis, das nicht durch unerwartete Ereigniſſe leicht verſchoben werden könnte. Der Umſtand, daß die Japaner zur Behauptung ihres Uebergewichtes ihre geſamten maritimen Streitkräfte aufbieten müſſen, iſt ein ſtrategiſcher Nachteil, der bei den kommenden Operationen unter Umſtänden zum Verhängnis werden könnte. Roſchdjeſtwensky und die deutſche Karto- graphie. Petersburg, 20. Mai. (Orig.-Korr.) Anläßlich der Gerüchte über den angeblich bevorſtehenden Rücktritt Roſchdjeſtwenskys von der Leitung des baltiſchen Geſchaders will man hier wiſſen, daß zwiſchen der Admiralität in

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 421, Czernowitz, 25.05.1905, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer421_1905/2>, abgerufen am 24.11.2024.