Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2567, Czernowitz, 14.08.1912.[Spaltenumbruch]
Redaktion und Administration Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz Für Deutschland: für Rumänien und den Balkan: Telegramme: "Allgemeine" Czernowitz [Spaltenumbruch] Czernowitzer Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] Ankündigungen: Einzelexemplare Manuskripte werden in keinem Falle Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. August 1912. [Spaltenumbruch] Uebersicht. Vom Tage. Abgeordneter Wassilko hatte mit dem Reichsfinanz- Bunte Chronik. Die Erdbebenstöße im Marmarameerbecken dauern Letzte Telegramme. Die politische Situation in der Türkei hat eine Besse- Sadagora. Czernowitz, 13. August. Es gibt noch heute eine ganze Menge von Leuten Die Poesie ist verklungen. Halbasien ist geblieben. Was, Halbasien? Ein ganzes, wenn wir bitten dür- Diese Verwaltung mußte auch aus einem anderen Sadagora ist sich treu geblieben. Unsere Zeit aber [Spaltenumbruch] Vom Tage. Czernowitz, 13. August. Ministerrat. Wien, 12. August. Anläßlich des Geburtsfestes des Die Friedensaussichten in Ungarn. Aus Budapest wird der "Polit. Korrespondenz" ge- [Spaltenumbruch] Feuilleton. Zigeunerstreiche. Budapest, im August. Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner steigt Trotz aller Versuche, sie anzusiedeln, kehren die Zi- Das ganze Zigeunervolk steckt noch tief im finstersten, Mit Vorliebe sehen es jene Zigeuner, die bei ihren Interessant ist, daß die Zigeuner unter sich streng auf [Spaltenumbruch]
Redaktion und Adminiſtration Telephon-Nummer 161. Abonnementsbedingungen: Für Czernowitz Für Deutſchland: für Rumänien und den Balkan: Telegramme: „Allgemeine“ Czernowitz [Spaltenumbruch] Czernowitzer Allgemeine Zeitung [Spaltenumbruch] Ankündigungen: Einzelexemplare Manuſkripte werden in keinem Falle Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. Auguſt 1912. [Spaltenumbruch] Ueberſicht. Vom Tage. Abgeordneter Waſſilko hatte mit dem Reichsfinanz- Bunte Chronik. Die Erdbebenſtöße im Marmarameerbecken dauern Letzte Telegramme. Die politiſche Situation in der Türkei hat eine Beſſe- Sadagóra. Czernowitz, 13. Auguſt. Es gibt noch heute eine ganze Menge von Leuten Die Poeſie iſt verklungen. Halbaſien iſt geblieben. Was, Halbaſien? Ein ganzes, wenn wir bitten dür- Dieſe Verwaltung mußte auch aus einem anderen Sadagora iſt ſich treu geblieben. Unſere Zeit aber [Spaltenumbruch] Vom Tage. Czernowitz, 13. Auguſt. Miniſterrat. Wien, 12. Auguſt. Anläßlich des Geburtsfeſtes des Die Friedensausſichten in Ungarn. Aus Budapeſt wird der „Polit. Korreſpondenz“ ge- [Spaltenumbruch] Feuilleton. Zigeunerſtreiche. Budapeſt, im Auguſt. Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner ſteigt Trotz aller Verſuche, ſie anzuſiedeln, kehren die Zi- Das ganze Zigeunervolk ſteckt noch tief im finſterſten, Mit Vorliebe ſehen es jene Zigeuner, die bei ihren Intereſſant iſt, daß die Zigeuner unter ſich ſtreng auf <TEI> <text> <front> <pb facs="#f0001" n="[1]"/> <cb/> <div type="jEditorialStaff"> <p> <hi rendition="#b">Redaktion und Adminiſtration<lb/> Ringplatz 4, 2. Stock.</hi> </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Telephon-Nummer 161.<lb/> Druckerei-Telephon-Nr. 332.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="jExpedition"> <head> <hi rendition="#g">Abonnementsbedingungen:</hi> </head><lb/> <p>Für Czernowitz<lb/> (mit Zuſtellung ins Haus):<lb/> monatl. K 1·80, vierteljähr. K 5·40,<lb/> halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60,<lb/> (mit täglicher Poſtverſendung):<lb/> monatlich K 2, vierteljähr. K 6,<lb/> halbjähr. K 12, ganzjähr. K. 24.</p><lb/> <p>Für Deutſchland:<lb/> vierteljährig .... 7 Mark.</p><lb/> <p>für Rumänien und den Balkan:<lb/> vierteljährig .... 10 Lei.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Telegramme: „Allgemeine“ Czernowitz</p> </div><lb/> <cb/> <titlePage xml:id="title1" type="heading" next="#title2"> <titlePart type="main"> <hi rendition="#b">Czernowitzer<lb/> Allgemeine Zeitung</hi> </titlePart> </titlePage><lb/> <cb/> <div type="jExpedition"> <p><hi rendition="#g">Ankündigungen:</hi><lb/> Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-<lb/> ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene<lb/> Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei<lb/> mehrmaliger Einſchaltung, für Re-<lb/> klame 40 h die Petitzeile. Inſerate<lb/> nehmen alle in- und ausländiſchen<lb/> Inſeratenbureaus ſowie die Ad-<lb/> miniſtration entgegen. — Einzel-<lb/> exemplare ſind in allen Zeitungs-<lb/> verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-<lb/> verſitätsbuchhandlung H. Pardini<lb/> und in der Adminiſtration (Ring-<lb/> platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien<lb/> im Zeitungsbureau Goldſchmidt,<lb/> Wollzeile 11.</p><lb/> <p> <hi rendition="#g">Einzelexemplare<lb/> 10 Heller für Czernowitz.</hi> </p><lb/> <p>Manuſkripte werden in keinem Falle<lb/> zurückgeſendet unfrankierte Briefe nicht<lb/> angenommen.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <titlePage xml:id="title2" prev="#title1" type="heading"> <docImprint> <docDate> <hi rendition="#b">Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. 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Es hat vor ein paar<lb/> Tagen ſeinen Bürgermeiſter, der auch Angeſtellter der<lb/> Kommune iſt und einem on dit zufolge mit der Gemeinde<lb/> in ſonſtiger Geſchäftsverbindung ſteht, ſogar zum Ehren-<lb/> bürger ernannt und damit dargetan, daß es wahre Ver-<lb/> dienſte zu ehren weiß. Sadagora wäre nicht Sadagora,<lb/> ſagten ſie ſich offenbar, wenn es nicht in Schmutz erſtarren<lb/> und nicht alles pietätvoll erhalten würde, was ihm ſeine<lb/> exzeptionelle Stellung verleiht: als Schmutzneſt inmitten<lb/> eines nach Sauberkeit und Europäertum ringenden Lan-<lb/> des. Was wäre Sadagora, wenn es eben nicht Sadagora<lb/> wäre? Der Ruhm des Wunderrabbi iſt verblaßt, er ver-<lb/> teilt ſich heute auf ſo und ſo viele Haupt- und Neben-<lb/> ſtellen, in den Bewohnern des ſonſt regſamen und han-<lb/><cb/> delsbefliſſenen Städtchens regt ſich immer mehr das Ver-<lb/> langen nach reinen Straßen und hygieniſchen Häuſern,<lb/> aber der alte Sadagorer Sinn iſt noch nicht erſtorben,<lb/> mächtig bäumt er ſich in ſeiner Gemeindevertretung auf,<lb/> wenn es daran geht, mit eiſernem Kehrbeſen vermoderte<lb/> Ueberlieferungen und jahrzehntealten Schlamm wegzu-<lb/> ſchaffen. Der Bürgermeiſter, der Sadagora in ſeinen alten<lb/> Gewohnheiten erhielt und nicht ein Stück der alten Un-<lb/> reinlichkeit preisgeben ließ, muß vor aller Welt geehrt und<lb/> zum Ehrenbürger eben dieſes alten Sadagora, an dem ſich<lb/> ſeit einem halben Jahrhundert nichts verändert hat, ge-<lb/> macht werden.</p><lb/> <p>Dieſe Verwaltung mußte auch aus einem anderen<lb/> Grunde erhalten werden. Sadagora iſt der Vorort der<lb/> Wahlmacherei in der Bukowina. Dort werden, wenn es<lb/> ans Wählen geht, jene Stückchen erſonnen, die manchen<lb/> Bezirkshauptmann und Kultusvorſteher in Galizien be-<lb/> rühmt gemacht haben und die zuweilen auch anderwärts<lb/> vorbildlich werden. Dort werden Wahllegitimationen mit<lb/> äußeren Kennzeichen zugeſtellt, gute Wähler werden mittelſt<lb/> Gemeinderatsbeſchluſſes belohnt, ſchlechte auf der Stelle<lb/> beſtraft, dort brüſtet ſich der jeweilige Bürgermeiſter, auch<lb/> wenn er noch nicht Ehrenbürger iſt, daß gegen ſeinen<lb/> Willen niemand mehr als dreißig Stimmen erhalten<lb/> kann, auch wenn für ihn dreihundert die Stimmen abge-<lb/> ben. Dort herrſcht noch der Geiſt verſchollener Jahrzehnte,<lb/> ein würdiges Pendant zu dem Koth, der in den Straßen<lb/> und zu dem grünen Moraſt, der in den Straßenrinnen<lb/> aufgeſtapelt iſt.</p><lb/> <p>Sadagora iſt ſich treu geblieben. Unſere Zeit aber<lb/> mit ihren unabweislichen Forderungen nach Reinlichkeit<lb/> in der Verwaltung und Hygiene in den Gaſſen und Häu-<lb/> ſern hat andere Begriffe von der Erhaltung alten Städte-<lb/> ruhms. Sie verlangt gebieteriſch, daß Schmutzflecke weg-<lb/> geputzt werden. Ehrenbürger her, Ehrenbürger hin — die<lb/> Stadt muß in jeglicher Beziehung geſäubert werden. Sie<lb/> liegt auf Büchſenſchußweite von der Landeshaupt- und<lb/> Univerſitätsſtadt entfernt und muß ſich gründlich rein-<lb/> machen. Sadagora mit ſeiner gewerbefleißigen und be-<lb/> triebſamen Bevölkerung und ſeinem berechtigten Anſpruch<lb/> auf Erhebung zur Bezirkshauptſtadt muß zuſehen, wie es<lb/> nach Ueberreichung des Ehrendiploms an ſeinen beinahe<lb/> reſignierten Bürgermeiſter, ſich aus Staub und Schmutz<lb/> emporhebt zu einem Gemeinweſen, das nicht mehr wie<lb/> bis nun das abſchreckende Beiſpiel des ganzen Landes<lb/> bildet.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> </div> </div> <div type="jPoliticalNews" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Vom Tage.</hi> </head><lb/> <dateline>Czernowitz, 13. Auguſt.</dateline><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Miniſterrat.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#b">Wien,</hi> 12. Auguſt. Anläßlich des Geburtsfeſtes des<lb/> Kaiſers verſammeln ſich die Mitglieder des Kabinetts am<lb/> 18. Auguſt in Wien. Da diesmal das Geburtsfeſt des<lb/> Kaiſers auf einen Sonntag fällt, treffen die Miniſter<lb/> ſchon Samstag, den 17. Auguſt in Wien ein. Es iſt noch<lb/> nicht beſtimmt, ob der anläßlich der Anweſenheit ſämt-<lb/> licher Miniſter in Wien ſtattfindende Miniſterrat Sams-<lb/> tag oder Montag abgehalten werden wird. Er wird ſich<lb/> nur mit laufenden und Reſſortangelegenheiten befaſſen,<lb/> und die <hi rendition="#g">Erörterung politiſcher Fragen,</hi> zu<lb/> welcher ja auch ein Anlaß nicht vorliegt, wird um ſo eher<lb/><hi rendition="#g">unterbleiben,</hi> als das Arbeitspenſum, das erledigt<lb/> werden muß, ganz außerordentlich angewachſen iſt, ſo daß<lb/> mit einer ziemlich langen Dauer des Miniſterrates gerech-<lb/> net werden muß, ſelbſt wenn nur alle laufenden und<lb/> Reſſortangelegenheiten, über welche eine Beſchlußfaſſung<lb/> notwendig iſt, erledigt werden.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div xml:id="ungarn1" next="#ungarn2" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Die Friedensausſichten in Ungarn.</hi> </head><lb/> <p>Aus Budapeſt wird der „Polit. Korreſpondenz“ ge-<lb/> ſchrieben: Die Ausſichten auf eine gütliche Beilegung der<lb/> zwiſchen der Regierung der der Oppoſition ſchwebenden<lb/> Differenzen haben ſich in den jüngſtvergangenen Tagen<lb/> nicht gebeſſert. Die Schuld daran trägt ausſchließlich die<lb/> Oppoſition, bei der eine bedauerliche Scharfmacherei<lb/> neueſtens ſchwunghaft betrieben wird. Von der „reſtitutio<lb/> in integrum“ hört man zwar nicht mehr viel, da die<lb/> Oppoſition eingeſehen hat, daß in dieſer Beziehung durch-<lb/> aus nichts zu erreichen iſt; deſto lauter u. hartnäckiger wird<lb/> jedoch beſonders von den Führern der linken Parteien<lb/> die Entfernung des Miniſterpräſidenten von Lukacs und<lb/> des Präſidenten des Abgeordnetenhauſes Grafen Stefan<lb/><hi rendition="#g">Tisza,</hi> gefordert. Nun handelt es ſich hierbei nicht um<lb/> eine perſönliche Angelegenheit dieſer Staatsmänner, ſon-<lb/> dern um eine Angelegenheit der Parlamentsmajorität, die<lb/> im Intereſſe des Friedens wohl zu ſchwerwiegenden<lb/> Opfern bereit iſt, jedoch ſowohl mit Rückſicht auf das<lb/> Mehrheitsprinzip, als auch im Bewußtſein ihrer entſchei-<lb/> denden Juniſiege, ihrer Stärke und des Vertrauens, wel-<lb/> ches ihr und der Regierung von der überwältigenden<lb/> Mehrheit der Munizipien entgegengebracht wird, ſich zu</p> </div> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <cb/> <div type="jFeuilleton" n="1"> <head> <hi rendition="#b">Feuilleton.</hi> </head><lb/> <div xml:id="streiche1" next="#streiche2" type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">Zigeunerſtreiche.</hi> </head><lb/> <dateline><hi rendition="#g">Budapeſt,</hi> im Auguſt.</dateline><lb/> <p>Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner ſteigt<lb/> in die Hunderttauſende. Im ungariſchen Provinzblatt<lb/> „Abauj Torna“ veröffentlichte am 1. Mai 1910 ein Ken-<lb/> ner der Verhältniſſe folgende Statiſtik: „In Ungarn<lb/> leben 264940 Zigeuner, davon können 243.342 als ſeß-<lb/> haft gelten, während der Reſt von rund 20.000 ſich ſtän-<lb/> dig auf der Wanderſchaft befindet. Von dieſen 20.000 ſind<lb/> mindeſtens drei Viertel Mörder, Räuber, Diebe, gegen<lb/> welche die Gendarmerie völlig machtlos iſt.“ Denn ſelbſt<lb/> wenn die Gendarmerie einmal eine Zigeunerbande zu<lb/> ſtellen imſtande iſt, wenn ſie einen verdächtigen Trupp<lb/> überrumpelt und einfängt, ſo iſt damit nicht viel erreicht,<lb/> weil man den Leuten gewöhnlich nichts nachweiſen kann.<lb/> Die Beute iſt ſchon wenige Stunden nach dem Raube in<lb/> unauffindbare Schlupfwinkel verſchleppt, und die Iden-<lb/> tität der Räuber und Mörder ſelbſt durch Augenzeugen<lb/> der Verbrechen feſtzuſtellen, iſt faſt immer ausſichtslos,<lb/> da die meiſten Zigeunerfamilien den gleichen Namen<lb/> und die Perſonen einander zum Verwechſeln ähnlich ſeien.</p><lb/> <p>Trotz aller Verſuche, ſie anzuſiedeln, kehren die Zi-<lb/> geuner immer wieder zu ihrem unſteten Nomadenleben<lb/> zurück und treiben es, wie es ihre Väter und Großväter<lb/> getrieben haben. Dabei verfolgen ſie unverkennbare Sy-<lb/> ſteme. Selten verüben ſie ihre Gewalttaten bei Tage und<lb/> ſelten wagen ſie ſich auch in die Zentren großer Ortſchaf-<lb/> ten oder gar Städte; Ausnahmen von dieſer Regel kom-<lb/> men nur als ganz vereinzelte Fälle vor. Im allgemeinen<lb/> benützen ſie die Nacht oder noch lieber, wie die Wilden, die<lb/> früheſten Morgenſtunden zu ihren Raubzügen und ſuchen<lb/> nur die Peripherien der Dörfer heim. Schnell erſcheinen<lb/> ſie, und ſchnell ſind ſie verſchwunden. Ganze Gruppen be-<lb/> faſſen ſich nur mit gewöhnlichem Diebſtahl, dann wieder<lb/><cb/> gibt es Zigeunerbanden, die nur den Raubmord als ihr<lb/> Gewerbe betreiben. Dieſe Raubmörderbanden gehören alle<lb/> einem organiſierten Verbande an und wenn ein Trupp<lb/> einen Mord verübt hat, ſo werden die Mörder ſchnell<lb/> einem anderen Trupp eingereiht, und die Spuren ſind in<lb/> Augenblicken ſo gut verwiſcht, daß ihnen ſelbſt die ge-<lb/> wiegteſten Gendarmen nicht zu folgen vermögen. Nach<lb/> Angaben des eingangs erwähnten Kenners gehören die<lb/> Räuber und Mörder ſtets ſolchen Banden an, deren Mit-<lb/> glieder als Keſſelflicker und Schloſſer von Ort zu Ort<lb/> ziehen, während die Diebe den Reihen der wandernden<lb/> Zigeuner entſtammen.</p><lb/> <p>Das ganze Zigeunervolk ſteckt noch tief im finſterſten,<lb/> ſcheußlichſten Aberglauben, wie folgender Vorfall bewei-<lb/> ſen mag: In Büdſzentmihaly wurde der Zigeuner Karl<lb/> Roſtas verhaftet, weil er aus dem Friedhof eine Leiche<lb/> ausgegraben und nachhauſe geſchleppt hatte, um ſie zu<lb/> verſpeiſen. Roſtas erklärte, daß es ihm hauptſächlich um<lb/> die Hände des Toten zu tun geweſen war. Er äße die<lb/> Hände eines Leichnams, weil ihn ſolche Speiſe bei Dieb-<lb/> ſtählen vor der Verhaftung ſchütze. Dieſer Aberglaube<lb/> verdient die Beachtung der Kultur- und Sittenforſcher,<lb/> weil er auffallend mit einem im ganzen Oſten Europas<lb/> weit verbreiteten Aberglauben der Diebe übereinſtimmt.<lb/> Gräberſchändungen zwecks Erlangung einer Totenhand<lb/> als Diebstalismans ſind häufig. Denn wenn man eine<lb/> Totenhand in ein Fenſter eines Hauſes, in dem man<lb/> einbricht, legt, ſo ſchlafen die Beſtohlenen feſt, und der<lb/> Dieb kann ruhig arbeiten.</p><lb/> <p>Mit Vorliebe ſehen es jene Zigeuner, die bei ihren<lb/> Räubereien bares Geld ergattern wollen und dabei auch<lb/> vor Mord nicht zurückſchrecken, auf die einſam gelegenen<lb/> Gaſthäuſer der Pußta ab. Solche Ueberfälle werden nicht<lb/> von einzelnen, ſondern von ganzen Banden unternom-<lb/> men. Ein beſonders romantiſcher Ueberfall wurde vor<lb/> zwei Jahren von einer Zigeunerbande in Pojana bei<lb/> Lugos unternommen. Sie ſpekulierte bei Ausübung die-<lb/><cb/> ſes Verbrechens auf den Aberglauben der Bevölkerung,<lb/> der in jener zumeiſt von Serben bewohnten Gegend groß<lb/> iſt. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1910 klopfte<lb/> es nämlich in dem genannten Dorfe an die Tür des<lb/> Müllers Petru Muntyan. Auf die Frage: Wer da? hieß<lb/> es: der Teufel! Muntyan ſah hinaus und erblickte zwölf<lb/> in weiße Leintücher gehüllte Geſtalten. „Was wollt ihr?“<lb/> ſchrie der abergläubiſche Müller voller Entſetzen. Wie aus<lb/> Grabestiefe kam die Antwort: „Dein Gut, Dein Geld,<lb/> Dein Weib!“ Muntyans Frau war nicht ſo ängſtlich und<lb/> abergläubiſch wie ihr Mann. Sie ergriff ein Gewehr und<lb/> ſchoß auf die Geſpenſter, und dieſe erwiderten das Feuer<lb/> nach allzu menſchlicher Manier. Dieſe Schüſſe lockten Gen-<lb/> darmen herbei, und die Räuber entflohen. Aber der<lb/> Kampf hatte ſchon ſeine Opfer gefordert: außer einem<lb/> verwundeten Zigeuner fanden die Gendarmen auf dem<lb/> Schlachtfeld den Müller tot, die tapfere Müllerin ſchwer-<lb/> verletzt.</p><lb/> <p>Intereſſant iſt, daß die Zigeuner unter ſich ſtreng auf<lb/> — Ehrlichkeit ſehen. Am 3. April 1910 wurden in Niſch<lb/> in einem Zigeunerlager ein Mann und eine Frau, die die<lb/> Beute eines Einbruchs nicht ehrlich abgeliefert hatten, ge-<lb/> hängt. Dann zog die Karawane unter Zurücklaſſung der<lb/> gerichteten Leute weiter. Der ſerbiſchen Polizei gelang es<lb/> aber, die Karawane einzuholen. Man fand bei den Zigeu-<lb/> nern zahlreiche abgehackte Finger, die von Leichenberau-<lb/> bungen herrührten. Daß die Zigeuner Verrat ebenfalls<lb/> ſchwer zu beſtrafen wiſſen, hat man in Ungarn bei dem<lb/> Prozeß gegen die Bande, die 1908 den berüchtigten Raub-<lb/> mord zu Danos begangen hat, beobachten können. Bei der<lb/> Verhandlung in Budapeſt hatten die angeklagten Zigeu-<lb/> ner bis zuletzt alles geleugnet, und ihre Verurteilung wäre<lb/> nicht möglich geweſen, wenn nicht ein Mitglied der Bande<lb/> ſelbſt, das Zigeunermädchen Roſa Lakatos als Kronzeugin<lb/> gegen die Raub- und Mordgeſellſchaft aufgetreten wäre.<lb/> Zur Strafe für dieſen Verrat wurde die ganze Familie<lb/> der Roſa Lakatos von allen Zigeunern des ganzen Lan-</p> </div> </div><lb/> </body> </text> </TEI> [[1]/0001]
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Telegramme: „Allgemeine“ Czernowitz
Czernowitzer
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zurückgeſendet unfrankierte Briefe nicht
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Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. Auguſt 1912.
Ueberſicht.
Vom Tage.
Abgeordneter Waſſilko hatte mit dem Reichsfinanz-
miniſter eine auf den polniſch-rutheniſchen Ausgleich be-
zügliche Unterredung. — In Bulgarien wird anhaltend
für einen Krieg gegen die Türkei agitiert. — Der Sultan
von Marokko hat abgedankt.
Bunte Chronik.
Die Erdbebenſtöße im Marmarameerbecken dauern
fort.
Letzte Telegramme.
Die politiſche Situation in der Türkei hat eine Beſſe-
rung erfahren, indem die Komiteepartei an den Neu-
wahlen teilzunehmen beſchloß; hingegen erſcheinen neue
Differenzen zwiſchen Regierung und Albanern aufgetaucht
zu ſein.
Sadagóra.
Czernowitz, 13. Auguſt.
Es gibt noch heute eine ganze Menge von Leuten
draußen im Weſten, die da ſagen: Ach! Das iſt wohl das
Czernowitz, das bei Sadagora, dem Sitze des berühmten
Wunderrabbi, liegt. Wie intereſſant! Miniſter und hohe
Miniſterialbeamte, durchreiſende Induſtrielle, Geſchäfts-
leute und Globetrotter unterlaſſen es nie, von Czerno-
witz aus, einen Ausflug nach Sadagora zu unternehmen.
Es iſt uns ja auch gar ſo nahe, das liebe Städtchen, von
dem die Dichter ſangen und — dichteten, der Ort mit der
halbaſiatiſch-poetiſchen Verklärung.
Die Poeſie iſt verklungen. Halbaſien iſt geblieben.
Was, Halbaſien? Ein ganzes, wenn wir bitten dür-
fen. Sadagora iſt nichts Halbes. Es hat vor ein paar
Tagen ſeinen Bürgermeiſter, der auch Angeſtellter der
Kommune iſt und einem on dit zufolge mit der Gemeinde
in ſonſtiger Geſchäftsverbindung ſteht, ſogar zum Ehren-
bürger ernannt und damit dargetan, daß es wahre Ver-
dienſte zu ehren weiß. Sadagora wäre nicht Sadagora,
ſagten ſie ſich offenbar, wenn es nicht in Schmutz erſtarren
und nicht alles pietätvoll erhalten würde, was ihm ſeine
exzeptionelle Stellung verleiht: als Schmutzneſt inmitten
eines nach Sauberkeit und Europäertum ringenden Lan-
des. Was wäre Sadagora, wenn es eben nicht Sadagora
wäre? Der Ruhm des Wunderrabbi iſt verblaßt, er ver-
teilt ſich heute auf ſo und ſo viele Haupt- und Neben-
ſtellen, in den Bewohnern des ſonſt regſamen und han-
delsbefliſſenen Städtchens regt ſich immer mehr das Ver-
langen nach reinen Straßen und hygieniſchen Häuſern,
aber der alte Sadagorer Sinn iſt noch nicht erſtorben,
mächtig bäumt er ſich in ſeiner Gemeindevertretung auf,
wenn es daran geht, mit eiſernem Kehrbeſen vermoderte
Ueberlieferungen und jahrzehntealten Schlamm wegzu-
ſchaffen. Der Bürgermeiſter, der Sadagora in ſeinen alten
Gewohnheiten erhielt und nicht ein Stück der alten Un-
reinlichkeit preisgeben ließ, muß vor aller Welt geehrt und
zum Ehrenbürger eben dieſes alten Sadagora, an dem ſich
ſeit einem halben Jahrhundert nichts verändert hat, ge-
macht werden.
Dieſe Verwaltung mußte auch aus einem anderen
Grunde erhalten werden. Sadagora iſt der Vorort der
Wahlmacherei in der Bukowina. Dort werden, wenn es
ans Wählen geht, jene Stückchen erſonnen, die manchen
Bezirkshauptmann und Kultusvorſteher in Galizien be-
rühmt gemacht haben und die zuweilen auch anderwärts
vorbildlich werden. Dort werden Wahllegitimationen mit
äußeren Kennzeichen zugeſtellt, gute Wähler werden mittelſt
Gemeinderatsbeſchluſſes belohnt, ſchlechte auf der Stelle
beſtraft, dort brüſtet ſich der jeweilige Bürgermeiſter, auch
wenn er noch nicht Ehrenbürger iſt, daß gegen ſeinen
Willen niemand mehr als dreißig Stimmen erhalten
kann, auch wenn für ihn dreihundert die Stimmen abge-
ben. Dort herrſcht noch der Geiſt verſchollener Jahrzehnte,
ein würdiges Pendant zu dem Koth, der in den Straßen
und zu dem grünen Moraſt, der in den Straßenrinnen
aufgeſtapelt iſt.
Sadagora iſt ſich treu geblieben. Unſere Zeit aber
mit ihren unabweislichen Forderungen nach Reinlichkeit
in der Verwaltung und Hygiene in den Gaſſen und Häu-
ſern hat andere Begriffe von der Erhaltung alten Städte-
ruhms. Sie verlangt gebieteriſch, daß Schmutzflecke weg-
geputzt werden. Ehrenbürger her, Ehrenbürger hin — die
Stadt muß in jeglicher Beziehung geſäubert werden. Sie
liegt auf Büchſenſchußweite von der Landeshaupt- und
Univerſitätsſtadt entfernt und muß ſich gründlich rein-
machen. Sadagora mit ſeiner gewerbefleißigen und be-
triebſamen Bevölkerung und ſeinem berechtigten Anſpruch
auf Erhebung zur Bezirkshauptſtadt muß zuſehen, wie es
nach Ueberreichung des Ehrendiploms an ſeinen beinahe
reſignierten Bürgermeiſter, ſich aus Staub und Schmutz
emporhebt zu einem Gemeinweſen, das nicht mehr wie
bis nun das abſchreckende Beiſpiel des ganzen Landes
bildet.
Vom Tage.
Czernowitz, 13. Auguſt.
Miniſterrat.
Wien, 12. Auguſt. Anläßlich des Geburtsfeſtes des
Kaiſers verſammeln ſich die Mitglieder des Kabinetts am
18. Auguſt in Wien. Da diesmal das Geburtsfeſt des
Kaiſers auf einen Sonntag fällt, treffen die Miniſter
ſchon Samstag, den 17. Auguſt in Wien ein. Es iſt noch
nicht beſtimmt, ob der anläßlich der Anweſenheit ſämt-
licher Miniſter in Wien ſtattfindende Miniſterrat Sams-
tag oder Montag abgehalten werden wird. Er wird ſich
nur mit laufenden und Reſſortangelegenheiten befaſſen,
und die Erörterung politiſcher Fragen, zu
welcher ja auch ein Anlaß nicht vorliegt, wird um ſo eher
unterbleiben, als das Arbeitspenſum, das erledigt
werden muß, ganz außerordentlich angewachſen iſt, ſo daß
mit einer ziemlich langen Dauer des Miniſterrates gerech-
net werden muß, ſelbſt wenn nur alle laufenden und
Reſſortangelegenheiten, über welche eine Beſchlußfaſſung
notwendig iſt, erledigt werden.
Die Friedensausſichten in Ungarn.
Aus Budapeſt wird der „Polit. Korreſpondenz“ ge-
ſchrieben: Die Ausſichten auf eine gütliche Beilegung der
zwiſchen der Regierung der der Oppoſition ſchwebenden
Differenzen haben ſich in den jüngſtvergangenen Tagen
nicht gebeſſert. Die Schuld daran trägt ausſchließlich die
Oppoſition, bei der eine bedauerliche Scharfmacherei
neueſtens ſchwunghaft betrieben wird. Von der „reſtitutio
in integrum“ hört man zwar nicht mehr viel, da die
Oppoſition eingeſehen hat, daß in dieſer Beziehung durch-
aus nichts zu erreichen iſt; deſto lauter u. hartnäckiger wird
jedoch beſonders von den Führern der linken Parteien
die Entfernung des Miniſterpräſidenten von Lukacs und
des Präſidenten des Abgeordnetenhauſes Grafen Stefan
Tisza, gefordert. Nun handelt es ſich hierbei nicht um
eine perſönliche Angelegenheit dieſer Staatsmänner, ſon-
dern um eine Angelegenheit der Parlamentsmajorität, die
im Intereſſe des Friedens wohl zu ſchwerwiegenden
Opfern bereit iſt, jedoch ſowohl mit Rückſicht auf das
Mehrheitsprinzip, als auch im Bewußtſein ihrer entſchei-
denden Juniſiege, ihrer Stärke und des Vertrauens, wel-
ches ihr und der Regierung von der überwältigenden
Mehrheit der Munizipien entgegengebracht wird, ſich zu
Feuilleton.
Zigeunerſtreiche.
Budapeſt, im Auguſt.
Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner ſteigt
in die Hunderttauſende. Im ungariſchen Provinzblatt
„Abauj Torna“ veröffentlichte am 1. Mai 1910 ein Ken-
ner der Verhältniſſe folgende Statiſtik: „In Ungarn
leben 264940 Zigeuner, davon können 243.342 als ſeß-
haft gelten, während der Reſt von rund 20.000 ſich ſtän-
dig auf der Wanderſchaft befindet. Von dieſen 20.000 ſind
mindeſtens drei Viertel Mörder, Räuber, Diebe, gegen
welche die Gendarmerie völlig machtlos iſt.“ Denn ſelbſt
wenn die Gendarmerie einmal eine Zigeunerbande zu
ſtellen imſtande iſt, wenn ſie einen verdächtigen Trupp
überrumpelt und einfängt, ſo iſt damit nicht viel erreicht,
weil man den Leuten gewöhnlich nichts nachweiſen kann.
Die Beute iſt ſchon wenige Stunden nach dem Raube in
unauffindbare Schlupfwinkel verſchleppt, und die Iden-
tität der Räuber und Mörder ſelbſt durch Augenzeugen
der Verbrechen feſtzuſtellen, iſt faſt immer ausſichtslos,
da die meiſten Zigeunerfamilien den gleichen Namen
und die Perſonen einander zum Verwechſeln ähnlich ſeien.
Trotz aller Verſuche, ſie anzuſiedeln, kehren die Zi-
geuner immer wieder zu ihrem unſteten Nomadenleben
zurück und treiben es, wie es ihre Väter und Großväter
getrieben haben. Dabei verfolgen ſie unverkennbare Sy-
ſteme. Selten verüben ſie ihre Gewalttaten bei Tage und
ſelten wagen ſie ſich auch in die Zentren großer Ortſchaf-
ten oder gar Städte; Ausnahmen von dieſer Regel kom-
men nur als ganz vereinzelte Fälle vor. Im allgemeinen
benützen ſie die Nacht oder noch lieber, wie die Wilden, die
früheſten Morgenſtunden zu ihren Raubzügen und ſuchen
nur die Peripherien der Dörfer heim. Schnell erſcheinen
ſie, und ſchnell ſind ſie verſchwunden. Ganze Gruppen be-
faſſen ſich nur mit gewöhnlichem Diebſtahl, dann wieder
gibt es Zigeunerbanden, die nur den Raubmord als ihr
Gewerbe betreiben. Dieſe Raubmörderbanden gehören alle
einem organiſierten Verbande an und wenn ein Trupp
einen Mord verübt hat, ſo werden die Mörder ſchnell
einem anderen Trupp eingereiht, und die Spuren ſind in
Augenblicken ſo gut verwiſcht, daß ihnen ſelbſt die ge-
wiegteſten Gendarmen nicht zu folgen vermögen. Nach
Angaben des eingangs erwähnten Kenners gehören die
Räuber und Mörder ſtets ſolchen Banden an, deren Mit-
glieder als Keſſelflicker und Schloſſer von Ort zu Ort
ziehen, während die Diebe den Reihen der wandernden
Zigeuner entſtammen.
Das ganze Zigeunervolk ſteckt noch tief im finſterſten,
ſcheußlichſten Aberglauben, wie folgender Vorfall bewei-
ſen mag: In Büdſzentmihaly wurde der Zigeuner Karl
Roſtas verhaftet, weil er aus dem Friedhof eine Leiche
ausgegraben und nachhauſe geſchleppt hatte, um ſie zu
verſpeiſen. Roſtas erklärte, daß es ihm hauptſächlich um
die Hände des Toten zu tun geweſen war. Er äße die
Hände eines Leichnams, weil ihn ſolche Speiſe bei Dieb-
ſtählen vor der Verhaftung ſchütze. Dieſer Aberglaube
verdient die Beachtung der Kultur- und Sittenforſcher,
weil er auffallend mit einem im ganzen Oſten Europas
weit verbreiteten Aberglauben der Diebe übereinſtimmt.
Gräberſchändungen zwecks Erlangung einer Totenhand
als Diebstalismans ſind häufig. Denn wenn man eine
Totenhand in ein Fenſter eines Hauſes, in dem man
einbricht, legt, ſo ſchlafen die Beſtohlenen feſt, und der
Dieb kann ruhig arbeiten.
Mit Vorliebe ſehen es jene Zigeuner, die bei ihren
Räubereien bares Geld ergattern wollen und dabei auch
vor Mord nicht zurückſchrecken, auf die einſam gelegenen
Gaſthäuſer der Pußta ab. Solche Ueberfälle werden nicht
von einzelnen, ſondern von ganzen Banden unternom-
men. Ein beſonders romantiſcher Ueberfall wurde vor
zwei Jahren von einer Zigeunerbande in Pojana bei
Lugos unternommen. Sie ſpekulierte bei Ausübung die-
ſes Verbrechens auf den Aberglauben der Bevölkerung,
der in jener zumeiſt von Serben bewohnten Gegend groß
iſt. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1910 klopfte
es nämlich in dem genannten Dorfe an die Tür des
Müllers Petru Muntyan. Auf die Frage: Wer da? hieß
es: der Teufel! Muntyan ſah hinaus und erblickte zwölf
in weiße Leintücher gehüllte Geſtalten. „Was wollt ihr?“
ſchrie der abergläubiſche Müller voller Entſetzen. Wie aus
Grabestiefe kam die Antwort: „Dein Gut, Dein Geld,
Dein Weib!“ Muntyans Frau war nicht ſo ängſtlich und
abergläubiſch wie ihr Mann. Sie ergriff ein Gewehr und
ſchoß auf die Geſpenſter, und dieſe erwiderten das Feuer
nach allzu menſchlicher Manier. Dieſe Schüſſe lockten Gen-
darmen herbei, und die Räuber entflohen. Aber der
Kampf hatte ſchon ſeine Opfer gefordert: außer einem
verwundeten Zigeuner fanden die Gendarmen auf dem
Schlachtfeld den Müller tot, die tapfere Müllerin ſchwer-
verletzt.
Intereſſant iſt, daß die Zigeuner unter ſich ſtreng auf
— Ehrlichkeit ſehen. Am 3. April 1910 wurden in Niſch
in einem Zigeunerlager ein Mann und eine Frau, die die
Beute eines Einbruchs nicht ehrlich abgeliefert hatten, ge-
hängt. Dann zog die Karawane unter Zurücklaſſung der
gerichteten Leute weiter. Der ſerbiſchen Polizei gelang es
aber, die Karawane einzuholen. Man fand bei den Zigeu-
nern zahlreiche abgehackte Finger, die von Leichenberau-
bungen herrührten. Daß die Zigeuner Verrat ebenfalls
ſchwer zu beſtrafen wiſſen, hat man in Ungarn bei dem
Prozeß gegen die Bande, die 1908 den berüchtigten Raub-
mord zu Danos begangen hat, beobachten können. Bei der
Verhandlung in Budapeſt hatten die angeklagten Zigeu-
ner bis zuletzt alles geleugnet, und ihre Verurteilung wäre
nicht möglich geweſen, wenn nicht ein Mitglied der Bande
ſelbſt, das Zigeunermädchen Roſa Lakatos als Kronzeugin
gegen die Raub- und Mordgeſellſchaft aufgetreten wäre.
Zur Strafe für dieſen Verrat wurde die ganze Familie
der Roſa Lakatos von allen Zigeunern des ganzen Lan-
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