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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2567, Czernowitz, 14.08.1912.

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Telegramme: "Allgemeine" Czernowitz


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Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

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Es kostet im gewöhnlichen Inse-
ratenteil 12 h die 6mal gespaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einschaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inserate
nehmen alle in- und ausländischen
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ministration entgegen. -- Einzel-
exemplare sind in allen Zeitungs-
verschleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
versitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Administration (Ring-
platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldschmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.

Manuskripte werden in keinem Falle
zurückgesendet unfrankierte Briefe nicht
angenommen.




Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. August 1912.



[Spaltenumbruch]
Uebersicht.

Vom Tage.

Abgeordneter Wassilko hatte mit dem Reichsfinanz-
minister eine auf den polnisch-ruthenischen Ausgleich be-
zügliche Unterredung. -- In Bulgarien wird anhaltend
für einen Krieg gegen die Türkei agitiert. -- Der Sultan
von Marokko hat abgedankt.

Bunte Chronik.

Die Erdbebenstöße im Marmarameerbecken dauern
fort.

Letzte Telegramme.

Die politische Situation in der Türkei hat eine Besse-
rung erfahren, indem die Komiteepartei an den Neu-
wahlen teilzunehmen beschloß; hingegen erscheinen neue
Differenzen zwischen Regierung und Albanern aufgetaucht
zu sein.




Sadagora.


Es gibt noch heute eine ganze Menge von Leuten
draußen im Westen, die da sagen: Ach! Das ist wohl das
Czernowitz, das bei Sadagora, dem Sitze des berühmten
Wunderrabbi, liegt. Wie interessant! Minister und hohe
Ministerialbeamte, durchreisende Industrielle, Geschäfts-
leute und Globetrotter unterlassen es nie, von Czerno-
witz aus, einen Ausflug nach Sadagora zu unternehmen.
Es ist uns ja auch gar so nahe, das liebe Städtchen, von
dem die Dichter sangen und -- dichteten, der Ort mit der
halbasiatisch-poetischen Verklärung.

Die Poesie ist verklungen. Halbasien ist geblieben.

Was, Halbasien? Ein ganzes, wenn wir bitten dür-
fen. Sadagora ist nichts Halbes. Es hat vor ein paar
Tagen seinen Bürgermeister, der auch Angestellter der
Kommune ist und einem on dit zufolge mit der Gemeinde
in sonstiger Geschäftsverbindung steht, sogar zum Ehren-
bürger ernannt und damit dargetan, daß es wahre Ver-
dienste zu ehren weiß. Sadagora wäre nicht Sadagora,
sagten sie sich offenbar, wenn es nicht in Schmutz erstarren
und nicht alles pietätvoll erhalten würde, was ihm seine
exzeptionelle Stellung verleiht: als Schmutznest inmitten
eines nach Sauberkeit und Europäertum ringenden Lan-
des. Was wäre Sadagora, wenn es eben nicht Sadagora
wäre? Der Ruhm des Wunderrabbi ist verblaßt, er ver-
teilt sich heute auf so und so viele Haupt- und Neben-
stellen, in den Bewohnern des sonst regsamen und han-
[Spaltenumbruch] delsbeflissenen Städtchens regt sich immer mehr das Ver-
langen nach reinen Straßen und hygienischen Häusern,
aber der alte Sadagorer Sinn ist noch nicht erstorben,
mächtig bäumt er sich in seiner Gemeindevertretung auf,
wenn es daran geht, mit eisernem Kehrbesen vermoderte
Ueberlieferungen und jahrzehntealten Schlamm wegzu-
schaffen. Der Bürgermeister, der Sadagora in seinen alten
Gewohnheiten erhielt und nicht ein Stück der alten Un-
reinlichkeit preisgeben ließ, muß vor aller Welt geehrt und
zum Ehrenbürger eben dieses alten Sadagora, an dem sich
seit einem halben Jahrhundert nichts verändert hat, ge-
macht werden.

Diese Verwaltung mußte auch aus einem anderen
Grunde erhalten werden. Sadagora ist der Vorort der
Wahlmacherei in der Bukowina. Dort werden, wenn es
ans Wählen geht, jene Stückchen ersonnen, die manchen
Bezirkshauptmann und Kultusvorsteher in Galizien be-
rühmt gemacht haben und die zuweilen auch anderwärts
vorbildlich werden. Dort werden Wahllegitimationen mit
äußeren Kennzeichen zugestellt, gute Wähler werden mittelst
Gemeinderatsbeschlusses belohnt, schlechte auf der Stelle
bestraft, dort brüstet sich der jeweilige Bürgermeister, auch
wenn er noch nicht Ehrenbürger ist, daß gegen seinen
Willen niemand mehr als dreißig Stimmen erhalten
kann, auch wenn für ihn dreihundert die Stimmen abge-
ben. Dort herrscht noch der Geist verschollener Jahrzehnte,
ein würdiges Pendant zu dem Koth, der in den Straßen
und zu dem grünen Morast, der in den Straßenrinnen
aufgestapelt ist.

Sadagora ist sich treu geblieben. Unsere Zeit aber
mit ihren unabweislichen Forderungen nach Reinlichkeit
in der Verwaltung und Hygiene in den Gassen und Häu-
sern hat andere Begriffe von der Erhaltung alten Städte-
ruhms. Sie verlangt gebieterisch, daß Schmutzflecke weg-
geputzt werden. Ehrenbürger her, Ehrenbürger hin -- die
Stadt muß in jeglicher Beziehung gesäubert werden. Sie
liegt auf Büchsenschußweite von der Landeshaupt- und
Universitätsstadt entfernt und muß sich gründlich rein-
machen. Sadagora mit seiner gewerbefleißigen und be-
triebsamen Bevölkerung und seinem berechtigten Anspruch
auf Erhebung zur Bezirkshauptstadt muß zusehen, wie es
nach Ueberreichung des Ehrendiploms an seinen beinahe
resignierten Bürgermeister, sich aus Staub und Schmutz
emporhebt zu einem Gemeinwesen, das nicht mehr wie
bis nun das abschreckende Beispiel des ganzen Landes
bildet.




[Spaltenumbruch]
Vom Tage.


Ministerrat.

Wien, 12. August. Anläßlich des Geburtsfestes des
Kaisers versammeln sich die Mitglieder des Kabinetts am
18. August in Wien. Da diesmal das Geburtsfest des
Kaisers auf einen Sonntag fällt, treffen die Minister
schon Samstag, den 17. August in Wien ein. Es ist noch
nicht bestimmt, ob der anläßlich der Anwesenheit sämt-
licher Minister in Wien stattfindende Ministerrat Sams-
tag oder Montag abgehalten werden wird. Er wird sich
nur mit laufenden und Ressortangelegenheiten befassen,
und die Erörterung politischer Fragen, zu
welcher ja auch ein Anlaß nicht vorliegt, wird um so eher
unterbleiben, als das Arbeitspensum, das erledigt
werden muß, ganz außerordentlich angewachsen ist, so daß
mit einer ziemlich langen Dauer des Ministerrates gerech-
net werden muß, selbst wenn nur alle laufenden und
Ressortangelegenheiten, über welche eine Beschlußfassung
notwendig ist, erledigt werden.




Die Friedensaussichten in Ungarn.

Aus Budapest wird der "Polit. Korrespondenz" ge-
schrieben: Die Aussichten auf eine gütliche Beilegung der
zwischen der Regierung der der Opposition schwebenden
Differenzen haben sich in den jüngstvergangenen Tagen
nicht gebessert. Die Schuld daran trägt ausschließlich die
Opposition, bei der eine bedauerliche Scharfmacherei
neuestens schwunghaft betrieben wird. Von der "restitutio
in integrum" hört man zwar nicht mehr viel, da die
Opposition eingesehen hat, daß in dieser Beziehung durch-
aus nichts zu erreichen ist; desto lauter u. hartnäckiger wird
jedoch besonders von den Führern der linken Parteien
die Entfernung des Ministerpräsidenten von Lukacs und
des Präsidenten des Abgeordnetenhauses Grafen Stefan
Tisza, gefordert. Nun handelt es sich hierbei nicht um
eine persönliche Angelegenheit dieser Staatsmänner, son-
dern um eine Angelegenheit der Parlamentsmajorität, die
im Interesse des Friedens wohl zu schwerwiegenden
Opfern bereit ist, jedoch sowohl mit Rücksicht auf das
Mehrheitsprinzip, als auch im Bewußtsein ihrer entschei-
denden Junisiege, ihrer Stärke und des Vertrauens, wel-
ches ihr und der Regierung von der überwältigenden
Mehrheit der Munizipien entgegengebracht wird, sich zu




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Zigeunerstreiche.


Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner steigt
in die Hunderttausende. Im ungarischen Provinzblatt
"Abauj Torna" veröffentlichte am 1. Mai 1910 ein Ken-
ner der Verhältnisse folgende Statistik: "In Ungarn
leben 264940 Zigeuner, davon können 243.342 als seß-
haft gelten, während der Rest von rund 20.000 sich stän-
dig auf der Wanderschaft befindet. Von diesen 20.000 sind
mindestens drei Viertel Mörder, Räuber, Diebe, gegen
welche die Gendarmerie völlig machtlos ist." Denn selbst
wenn die Gendarmerie einmal eine Zigeunerbande zu
stellen imstande ist, wenn sie einen verdächtigen Trupp
überrumpelt und einfängt, so ist damit nicht viel erreicht,
weil man den Leuten gewöhnlich nichts nachweisen kann.
Die Beute ist schon wenige Stunden nach dem Raube in
unauffindbare Schlupfwinkel verschleppt, und die Iden-
tität der Räuber und Mörder selbst durch Augenzeugen
der Verbrechen festzustellen, ist fast immer aussichtslos,
da die meisten Zigeunerfamilien den gleichen Namen
und die Personen einander zum Verwechseln ähnlich seien.

Trotz aller Versuche, sie anzusiedeln, kehren die Zi-
geuner immer wieder zu ihrem unsteten Nomadenleben
zurück und treiben es, wie es ihre Väter und Großväter
getrieben haben. Dabei verfolgen sie unverkennbare Sy-
steme. Selten verüben sie ihre Gewalttaten bei Tage und
selten wagen sie sich auch in die Zentren großer Ortschaf-
ten oder gar Städte; Ausnahmen von dieser Regel kom-
men nur als ganz vereinzelte Fälle vor. Im allgemeinen
benützen sie die Nacht oder noch lieber, wie die Wilden, die
frühesten Morgenstunden zu ihren Raubzügen und suchen
nur die Peripherien der Dörfer heim. Schnell erscheinen
sie, und schnell sind sie verschwunden. Ganze Gruppen be-
fassen sich nur mit gewöhnlichem Diebstahl, dann wieder
[Spaltenumbruch] gibt es Zigeunerbanden, die nur den Raubmord als ihr
Gewerbe betreiben. Diese Raubmörderbanden gehören alle
einem organisierten Verbande an und wenn ein Trupp
einen Mord verübt hat, so werden die Mörder schnell
einem anderen Trupp eingereiht, und die Spuren sind in
Augenblicken so gut verwischt, daß ihnen selbst die ge-
wiegtesten Gendarmen nicht zu folgen vermögen. Nach
Angaben des eingangs erwähnten Kenners gehören die
Räuber und Mörder stets solchen Banden an, deren Mit-
glieder als Kesselflicker und Schlosser von Ort zu Ort
ziehen, während die Diebe den Reihen der wandernden
Zigeuner entstammen.

Das ganze Zigeunervolk steckt noch tief im finstersten,
scheußlichsten Aberglauben, wie folgender Vorfall bewei-
sen mag: In Büdßentmihaly wurde der Zigeuner Karl
Rostas verhaftet, weil er aus dem Friedhof eine Leiche
ausgegraben und nachhause geschleppt hatte, um sie zu
verspeisen. Rostas erklärte, daß es ihm hauptsächlich um
die Hände des Toten zu tun gewesen war. Er äße die
Hände eines Leichnams, weil ihn solche Speise bei Dieb-
stählen vor der Verhaftung schütze. Dieser Aberglaube
verdient die Beachtung der Kultur- und Sittenforscher,
weil er auffallend mit einem im ganzen Osten Europas
weit verbreiteten Aberglauben der Diebe übereinstimmt.
Gräberschändungen zwecks Erlangung einer Totenhand
als Diebstalismans sind häufig. Denn wenn man eine
Totenhand in ein Fenster eines Hauses, in dem man
einbricht, legt, so schlafen die Bestohlenen fest, und der
Dieb kann ruhig arbeiten.

Mit Vorliebe sehen es jene Zigeuner, die bei ihren
Räubereien bares Geld ergattern wollen und dabei auch
vor Mord nicht zurückschrecken, auf die einsam gelegenen
Gasthäuser der Pußta ab. Solche Ueberfälle werden nicht
von einzelnen, sondern von ganzen Banden unternom-
men. Ein besonders romantischer Ueberfall wurde vor
zwei Jahren von einer Zigeunerbande in Pojana bei
Lugos unternommen. Sie spekulierte bei Ausübung die-
[Spaltenumbruch] ses Verbrechens auf den Aberglauben der Bevölkerung,
der in jener zumeist von Serben bewohnten Gegend groß
ist. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1910 klopfte
es nämlich in dem genannten Dorfe an die Tür des
Müllers Petru Muntyan. Auf die Frage: Wer da? hieß
es: der Teufel! Muntyan sah hinaus und erblickte zwölf
in weiße Leintücher gehüllte Gestalten. "Was wollt ihr?"
schrie der abergläubische Müller voller Entsetzen. Wie aus
Grabestiefe kam die Antwort: "Dein Gut, Dein Geld,
Dein Weib!" Muntyans Frau war nicht so ängstlich und
abergläubisch wie ihr Mann. Sie ergriff ein Gewehr und
schoß auf die Gespenster, und diese erwiderten das Feuer
nach allzu menschlicher Manier. Diese Schüsse lockten Gen-
darmen herbei, und die Räuber entflohen. Aber der
Kampf hatte schon seine Opfer gefordert: außer einem
verwundeten Zigeuner fanden die Gendarmen auf dem
Schlachtfeld den Müller tot, die tapfere Müllerin schwer-
verletzt.

Interessant ist, daß die Zigeuner unter sich streng auf
-- Ehrlichkeit sehen. Am 3. April 1910 wurden in Nisch
in einem Zigeunerlager ein Mann und eine Frau, die die
Beute eines Einbruchs nicht ehrlich abgeliefert hatten, ge-
hängt. Dann zog die Karawane unter Zurücklassung der
gerichteten Leute weiter. Der serbischen Polizei gelang es
aber, die Karawane einzuholen. Man fand bei den Zigeu-
nern zahlreiche abgehackte Finger, die von Leichenberau-
bungen herrührten. Daß die Zigeuner Verrat ebenfalls
schwer zu bestrafen wissen, hat man in Ungarn bei dem
Prozeß gegen die Bande, die 1908 den berüchtigten Raub-
mord zu Danos begangen hat, beobachten können. Bei der
Verhandlung in Budapest hatten die angeklagten Zigeu-
ner bis zuletzt alles geleugnet, und ihre Verurteilung wäre
nicht möglich gewesen, wenn nicht ein Mitglied der Bande
selbst, das Zigeunermädchen Rosa Lakatos als Kronzeugin
gegen die Raub- und Mordgesellschaft aufgetreten wäre.
Zur Strafe für diesen Verrat wurde die ganze Familie
der Rosa Lakatos von allen Zigeunern des ganzen Lan-


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Redaktion und Adminiſtration
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(mit Zuſtellung ins Haus):
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halbj. K 10·80, ganzjähr. K 21·60,
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Telegramme: „Allgemeine“ Czernowitz


[Spaltenumbruch]
Czernowitzer
Allgemeine Zeitung

[Spaltenumbruch]

Ankündigungen:
Es koſtet im gewöhnlichen Inſe-
ratenteil 12 h die 6mal geſpaltene
Petitzeile bei einmaliger, 9 h bei
mehrmaliger Einſchaltung, für Re-
klame 40 h die Petitzeile. Inſerate
nehmen alle in- und ausländiſchen
Inſeratenbureaus ſowie die Ad-
miniſtration entgegen. — Einzel-
exemplare ſind in allen Zeitungs-
verſchleißen, Trafiken, der k. k. Uni-
verſitätsbuchhandlung H. Pardini
und in der Adminiſtration (Ring-
platz 4, 2. St.) erhältlich. In Wien
im Zeitungsbureau Goldſchmidt,
Wollzeile 11.

Einzelexemplare
10 Heller für Czernowitz.

Manuſkripte werden in keinem Falle
zurückgeſendet unfrankierte Briefe nicht
angenommen.




Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. Auguſt 1912.



[Spaltenumbruch]
Ueberſicht.

Vom Tage.

Abgeordneter Waſſilko hatte mit dem Reichsfinanz-
miniſter eine auf den polniſch-rutheniſchen Ausgleich be-
zügliche Unterredung. — In Bulgarien wird anhaltend
für einen Krieg gegen die Türkei agitiert. — Der Sultan
von Marokko hat abgedankt.

Bunte Chronik.

Die Erdbebenſtöße im Marmarameerbecken dauern
fort.

Letzte Telegramme.

Die politiſche Situation in der Türkei hat eine Beſſe-
rung erfahren, indem die Komiteepartei an den Neu-
wahlen teilzunehmen beſchloß; hingegen erſcheinen neue
Differenzen zwiſchen Regierung und Albanern aufgetaucht
zu ſein.




Sadagóra.


Es gibt noch heute eine ganze Menge von Leuten
draußen im Weſten, die da ſagen: Ach! Das iſt wohl das
Czernowitz, das bei Sadagora, dem Sitze des berühmten
Wunderrabbi, liegt. Wie intereſſant! Miniſter und hohe
Miniſterialbeamte, durchreiſende Induſtrielle, Geſchäfts-
leute und Globetrotter unterlaſſen es nie, von Czerno-
witz aus, einen Ausflug nach Sadagora zu unternehmen.
Es iſt uns ja auch gar ſo nahe, das liebe Städtchen, von
dem die Dichter ſangen und — dichteten, der Ort mit der
halbaſiatiſch-poetiſchen Verklärung.

Die Poeſie iſt verklungen. Halbaſien iſt geblieben.

Was, Halbaſien? Ein ganzes, wenn wir bitten dür-
fen. Sadagora iſt nichts Halbes. Es hat vor ein paar
Tagen ſeinen Bürgermeiſter, der auch Angeſtellter der
Kommune iſt und einem on dit zufolge mit der Gemeinde
in ſonſtiger Geſchäftsverbindung ſteht, ſogar zum Ehren-
bürger ernannt und damit dargetan, daß es wahre Ver-
dienſte zu ehren weiß. Sadagora wäre nicht Sadagora,
ſagten ſie ſich offenbar, wenn es nicht in Schmutz erſtarren
und nicht alles pietätvoll erhalten würde, was ihm ſeine
exzeptionelle Stellung verleiht: als Schmutzneſt inmitten
eines nach Sauberkeit und Europäertum ringenden Lan-
des. Was wäre Sadagora, wenn es eben nicht Sadagora
wäre? Der Ruhm des Wunderrabbi iſt verblaßt, er ver-
teilt ſich heute auf ſo und ſo viele Haupt- und Neben-
ſtellen, in den Bewohnern des ſonſt regſamen und han-
[Spaltenumbruch] delsbefliſſenen Städtchens regt ſich immer mehr das Ver-
langen nach reinen Straßen und hygieniſchen Häuſern,
aber der alte Sadagorer Sinn iſt noch nicht erſtorben,
mächtig bäumt er ſich in ſeiner Gemeindevertretung auf,
wenn es daran geht, mit eiſernem Kehrbeſen vermoderte
Ueberlieferungen und jahrzehntealten Schlamm wegzu-
ſchaffen. Der Bürgermeiſter, der Sadagora in ſeinen alten
Gewohnheiten erhielt und nicht ein Stück der alten Un-
reinlichkeit preisgeben ließ, muß vor aller Welt geehrt und
zum Ehrenbürger eben dieſes alten Sadagora, an dem ſich
ſeit einem halben Jahrhundert nichts verändert hat, ge-
macht werden.

Dieſe Verwaltung mußte auch aus einem anderen
Grunde erhalten werden. Sadagora iſt der Vorort der
Wahlmacherei in der Bukowina. Dort werden, wenn es
ans Wählen geht, jene Stückchen erſonnen, die manchen
Bezirkshauptmann und Kultusvorſteher in Galizien be-
rühmt gemacht haben und die zuweilen auch anderwärts
vorbildlich werden. Dort werden Wahllegitimationen mit
äußeren Kennzeichen zugeſtellt, gute Wähler werden mittelſt
Gemeinderatsbeſchluſſes belohnt, ſchlechte auf der Stelle
beſtraft, dort brüſtet ſich der jeweilige Bürgermeiſter, auch
wenn er noch nicht Ehrenbürger iſt, daß gegen ſeinen
Willen niemand mehr als dreißig Stimmen erhalten
kann, auch wenn für ihn dreihundert die Stimmen abge-
ben. Dort herrſcht noch der Geiſt verſchollener Jahrzehnte,
ein würdiges Pendant zu dem Koth, der in den Straßen
und zu dem grünen Moraſt, der in den Straßenrinnen
aufgeſtapelt iſt.

Sadagora iſt ſich treu geblieben. Unſere Zeit aber
mit ihren unabweislichen Forderungen nach Reinlichkeit
in der Verwaltung und Hygiene in den Gaſſen und Häu-
ſern hat andere Begriffe von der Erhaltung alten Städte-
ruhms. Sie verlangt gebieteriſch, daß Schmutzflecke weg-
geputzt werden. Ehrenbürger her, Ehrenbürger hin — die
Stadt muß in jeglicher Beziehung geſäubert werden. Sie
liegt auf Büchſenſchußweite von der Landeshaupt- und
Univerſitätsſtadt entfernt und muß ſich gründlich rein-
machen. Sadagora mit ſeiner gewerbefleißigen und be-
triebſamen Bevölkerung und ſeinem berechtigten Anſpruch
auf Erhebung zur Bezirkshauptſtadt muß zuſehen, wie es
nach Ueberreichung des Ehrendiploms an ſeinen beinahe
reſignierten Bürgermeiſter, ſich aus Staub und Schmutz
emporhebt zu einem Gemeinweſen, das nicht mehr wie
bis nun das abſchreckende Beiſpiel des ganzen Landes
bildet.




[Spaltenumbruch]
Vom Tage.


Miniſterrat.

Wien, 12. Auguſt. Anläßlich des Geburtsfeſtes des
Kaiſers verſammeln ſich die Mitglieder des Kabinetts am
18. Auguſt in Wien. Da diesmal das Geburtsfeſt des
Kaiſers auf einen Sonntag fällt, treffen die Miniſter
ſchon Samstag, den 17. Auguſt in Wien ein. Es iſt noch
nicht beſtimmt, ob der anläßlich der Anweſenheit ſämt-
licher Miniſter in Wien ſtattfindende Miniſterrat Sams-
tag oder Montag abgehalten werden wird. Er wird ſich
nur mit laufenden und Reſſortangelegenheiten befaſſen,
und die Erörterung politiſcher Fragen, zu
welcher ja auch ein Anlaß nicht vorliegt, wird um ſo eher
unterbleiben, als das Arbeitspenſum, das erledigt
werden muß, ganz außerordentlich angewachſen iſt, ſo daß
mit einer ziemlich langen Dauer des Miniſterrates gerech-
net werden muß, ſelbſt wenn nur alle laufenden und
Reſſortangelegenheiten, über welche eine Beſchlußfaſſung
notwendig iſt, erledigt werden.




Die Friedensausſichten in Ungarn.

Aus Budapeſt wird der „Polit. Korreſpondenz“ ge-
ſchrieben: Die Ausſichten auf eine gütliche Beilegung der
zwiſchen der Regierung der der Oppoſition ſchwebenden
Differenzen haben ſich in den jüngſtvergangenen Tagen
nicht gebeſſert. Die Schuld daran trägt ausſchließlich die
Oppoſition, bei der eine bedauerliche Scharfmacherei
neueſtens ſchwunghaft betrieben wird. Von der „reſtitutio
in integrum“ hört man zwar nicht mehr viel, da die
Oppoſition eingeſehen hat, daß in dieſer Beziehung durch-
aus nichts zu erreichen iſt; deſto lauter u. hartnäckiger wird
jedoch beſonders von den Führern der linken Parteien
die Entfernung des Miniſterpräſidenten von Lukacs und
des Präſidenten des Abgeordnetenhauſes Grafen Stefan
Tisza, gefordert. Nun handelt es ſich hierbei nicht um
eine perſönliche Angelegenheit dieſer Staatsmänner, ſon-
dern um eine Angelegenheit der Parlamentsmajorität, die
im Intereſſe des Friedens wohl zu ſchwerwiegenden
Opfern bereit iſt, jedoch ſowohl mit Rückſicht auf das
Mehrheitsprinzip, als auch im Bewußtſein ihrer entſchei-
denden Juniſiege, ihrer Stärke und des Vertrauens, wel-
ches ihr und der Regierung von der überwältigenden
Mehrheit der Munizipien entgegengebracht wird, ſich zu




[Spaltenumbruch]
Feuilleton.
Zigeunerſtreiche.


Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner ſteigt
in die Hunderttauſende. Im ungariſchen Provinzblatt
„Abauj Torna“ veröffentlichte am 1. Mai 1910 ein Ken-
ner der Verhältniſſe folgende Statiſtik: „In Ungarn
leben 264940 Zigeuner, davon können 243.342 als ſeß-
haft gelten, während der Reſt von rund 20.000 ſich ſtän-
dig auf der Wanderſchaft befindet. Von dieſen 20.000 ſind
mindeſtens drei Viertel Mörder, Räuber, Diebe, gegen
welche die Gendarmerie völlig machtlos iſt.“ Denn ſelbſt
wenn die Gendarmerie einmal eine Zigeunerbande zu
ſtellen imſtande iſt, wenn ſie einen verdächtigen Trupp
überrumpelt und einfängt, ſo iſt damit nicht viel erreicht,
weil man den Leuten gewöhnlich nichts nachweiſen kann.
Die Beute iſt ſchon wenige Stunden nach dem Raube in
unauffindbare Schlupfwinkel verſchleppt, und die Iden-
tität der Räuber und Mörder ſelbſt durch Augenzeugen
der Verbrechen feſtzuſtellen, iſt faſt immer ausſichtslos,
da die meiſten Zigeunerfamilien den gleichen Namen
und die Perſonen einander zum Verwechſeln ähnlich ſeien.

Trotz aller Verſuche, ſie anzuſiedeln, kehren die Zi-
geuner immer wieder zu ihrem unſteten Nomadenleben
zurück und treiben es, wie es ihre Väter und Großväter
getrieben haben. Dabei verfolgen ſie unverkennbare Sy-
ſteme. Selten verüben ſie ihre Gewalttaten bei Tage und
ſelten wagen ſie ſich auch in die Zentren großer Ortſchaf-
ten oder gar Städte; Ausnahmen von dieſer Regel kom-
men nur als ganz vereinzelte Fälle vor. Im allgemeinen
benützen ſie die Nacht oder noch lieber, wie die Wilden, die
früheſten Morgenſtunden zu ihren Raubzügen und ſuchen
nur die Peripherien der Dörfer heim. Schnell erſcheinen
ſie, und ſchnell ſind ſie verſchwunden. Ganze Gruppen be-
faſſen ſich nur mit gewöhnlichem Diebſtahl, dann wieder
[Spaltenumbruch] gibt es Zigeunerbanden, die nur den Raubmord als ihr
Gewerbe betreiben. Dieſe Raubmörderbanden gehören alle
einem organiſierten Verbande an und wenn ein Trupp
einen Mord verübt hat, ſo werden die Mörder ſchnell
einem anderen Trupp eingereiht, und die Spuren ſind in
Augenblicken ſo gut verwiſcht, daß ihnen ſelbſt die ge-
wiegteſten Gendarmen nicht zu folgen vermögen. Nach
Angaben des eingangs erwähnten Kenners gehören die
Räuber und Mörder ſtets ſolchen Banden an, deren Mit-
glieder als Keſſelflicker und Schloſſer von Ort zu Ort
ziehen, während die Diebe den Reihen der wandernden
Zigeuner entſtammen.

Das ganze Zigeunervolk ſteckt noch tief im finſterſten,
ſcheußlichſten Aberglauben, wie folgender Vorfall bewei-
ſen mag: In Büdſzentmihaly wurde der Zigeuner Karl
Roſtas verhaftet, weil er aus dem Friedhof eine Leiche
ausgegraben und nachhauſe geſchleppt hatte, um ſie zu
verſpeiſen. Roſtas erklärte, daß es ihm hauptſächlich um
die Hände des Toten zu tun geweſen war. Er äße die
Hände eines Leichnams, weil ihn ſolche Speiſe bei Dieb-
ſtählen vor der Verhaftung ſchütze. Dieſer Aberglaube
verdient die Beachtung der Kultur- und Sittenforſcher,
weil er auffallend mit einem im ganzen Oſten Europas
weit verbreiteten Aberglauben der Diebe übereinſtimmt.
Gräberſchändungen zwecks Erlangung einer Totenhand
als Diebstalismans ſind häufig. Denn wenn man eine
Totenhand in ein Fenſter eines Hauſes, in dem man
einbricht, legt, ſo ſchlafen die Beſtohlenen feſt, und der
Dieb kann ruhig arbeiten.

Mit Vorliebe ſehen es jene Zigeuner, die bei ihren
Räubereien bares Geld ergattern wollen und dabei auch
vor Mord nicht zurückſchrecken, auf die einſam gelegenen
Gaſthäuſer der Pußta ab. Solche Ueberfälle werden nicht
von einzelnen, ſondern von ganzen Banden unternom-
men. Ein beſonders romantiſcher Ueberfall wurde vor
zwei Jahren von einer Zigeunerbande in Pojana bei
Lugos unternommen. Sie ſpekulierte bei Ausübung die-
[Spaltenumbruch] ſes Verbrechens auf den Aberglauben der Bevölkerung,
der in jener zumeiſt von Serben bewohnten Gegend groß
iſt. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1910 klopfte
es nämlich in dem genannten Dorfe an die Tür des
Müllers Petru Muntyan. Auf die Frage: Wer da? hieß
es: der Teufel! Muntyan ſah hinaus und erblickte zwölf
in weiße Leintücher gehüllte Geſtalten. „Was wollt ihr?“
ſchrie der abergläubiſche Müller voller Entſetzen. Wie aus
Grabestiefe kam die Antwort: „Dein Gut, Dein Geld,
Dein Weib!“ Muntyans Frau war nicht ſo ängſtlich und
abergläubiſch wie ihr Mann. Sie ergriff ein Gewehr und
ſchoß auf die Geſpenſter, und dieſe erwiderten das Feuer
nach allzu menſchlicher Manier. Dieſe Schüſſe lockten Gen-
darmen herbei, und die Räuber entflohen. Aber der
Kampf hatte ſchon ſeine Opfer gefordert: außer einem
verwundeten Zigeuner fanden die Gendarmen auf dem
Schlachtfeld den Müller tot, die tapfere Müllerin ſchwer-
verletzt.

Intereſſant iſt, daß die Zigeuner unter ſich ſtreng auf
— Ehrlichkeit ſehen. Am 3. April 1910 wurden in Niſch
in einem Zigeunerlager ein Mann und eine Frau, die die
Beute eines Einbruchs nicht ehrlich abgeliefert hatten, ge-
hängt. Dann zog die Karawane unter Zurücklaſſung der
gerichteten Leute weiter. Der ſerbiſchen Polizei gelang es
aber, die Karawane einzuholen. Man fand bei den Zigeu-
nern zahlreiche abgehackte Finger, die von Leichenberau-
bungen herrührten. Daß die Zigeuner Verrat ebenfalls
ſchwer zu beſtrafen wiſſen, hat man in Ungarn bei dem
Prozeß gegen die Bande, die 1908 den berüchtigten Raub-
mord zu Danos begangen hat, beobachten können. Bei der
Verhandlung in Budapeſt hatten die angeklagten Zigeu-
ner bis zuletzt alles geleugnet, und ihre Verurteilung wäre
nicht möglich geweſen, wenn nicht ein Mitglied der Bande
ſelbſt, das Zigeunermädchen Roſa Lakatos als Kronzeugin
gegen die Raub- und Mordgeſellſchaft aufgetreten wäre.
Zur Strafe für dieſen Verrat wurde die ganze Familie
der Roſa Lakatos von allen Zigeunern des ganzen Lan-


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In Wien im Zeitungsbureau Goldſchmidt, Wollzeile 11. Einzelexemplare 10 Heller für Czernowitz. Manuſkripte werden in keinem Falle zurückgeſendet unfrankierte Briefe nicht angenommen. Nr. 2567. Czernowitz, Mittwoch, den 14. Auguſt 1912. Ueberſicht. Vom Tage. Abgeordneter Waſſilko hatte mit dem Reichsfinanz- miniſter eine auf den polniſch-rutheniſchen Ausgleich be- zügliche Unterredung. — In Bulgarien wird anhaltend für einen Krieg gegen die Türkei agitiert. — Der Sultan von Marokko hat abgedankt. Bunte Chronik. Die Erdbebenſtöße im Marmarameerbecken dauern fort. Letzte Telegramme. Die politiſche Situation in der Türkei hat eine Beſſe- rung erfahren, indem die Komiteepartei an den Neu- wahlen teilzunehmen beſchloß; hingegen erſcheinen neue Differenzen zwiſchen Regierung und Albanern aufgetaucht zu ſein. Sadagóra. Czernowitz, 13. Auguſt. Es gibt noch heute eine ganze Menge von Leuten draußen im Weſten, die da ſagen: Ach! Das iſt wohl das Czernowitz, das bei Sadagora, dem Sitze des berühmten Wunderrabbi, liegt. Wie intereſſant! Miniſter und hohe Miniſterialbeamte, durchreiſende Induſtrielle, Geſchäfts- leute und Globetrotter unterlaſſen es nie, von Czerno- witz aus, einen Ausflug nach Sadagora zu unternehmen. Es iſt uns ja auch gar ſo nahe, das liebe Städtchen, von dem die Dichter ſangen und — dichteten, der Ort mit der halbaſiatiſch-poetiſchen Verklärung. Die Poeſie iſt verklungen. Halbaſien iſt geblieben. Was, Halbaſien? Ein ganzes, wenn wir bitten dür- fen. Sadagora iſt nichts Halbes. Es hat vor ein paar Tagen ſeinen Bürgermeiſter, der auch Angeſtellter der Kommune iſt und einem on dit zufolge mit der Gemeinde in ſonſtiger Geſchäftsverbindung ſteht, ſogar zum Ehren- bürger ernannt und damit dargetan, daß es wahre Ver- dienſte zu ehren weiß. Sadagora wäre nicht Sadagora, ſagten ſie ſich offenbar, wenn es nicht in Schmutz erſtarren und nicht alles pietätvoll erhalten würde, was ihm ſeine exzeptionelle Stellung verleiht: als Schmutzneſt inmitten eines nach Sauberkeit und Europäertum ringenden Lan- des. Was wäre Sadagora, wenn es eben nicht Sadagora wäre? Der Ruhm des Wunderrabbi iſt verblaßt, er ver- teilt ſich heute auf ſo und ſo viele Haupt- und Neben- ſtellen, in den Bewohnern des ſonſt regſamen und han- delsbefliſſenen Städtchens regt ſich immer mehr das Ver- langen nach reinen Straßen und hygieniſchen Häuſern, aber der alte Sadagorer Sinn iſt noch nicht erſtorben, mächtig bäumt er ſich in ſeiner Gemeindevertretung auf, wenn es daran geht, mit eiſernem Kehrbeſen vermoderte Ueberlieferungen und jahrzehntealten Schlamm wegzu- ſchaffen. Der Bürgermeiſter, der Sadagora in ſeinen alten Gewohnheiten erhielt und nicht ein Stück der alten Un- reinlichkeit preisgeben ließ, muß vor aller Welt geehrt und zum Ehrenbürger eben dieſes alten Sadagora, an dem ſich ſeit einem halben Jahrhundert nichts verändert hat, ge- macht werden. Dieſe Verwaltung mußte auch aus einem anderen Grunde erhalten werden. Sadagora iſt der Vorort der Wahlmacherei in der Bukowina. Dort werden, wenn es ans Wählen geht, jene Stückchen erſonnen, die manchen Bezirkshauptmann und Kultusvorſteher in Galizien be- rühmt gemacht haben und die zuweilen auch anderwärts vorbildlich werden. Dort werden Wahllegitimationen mit äußeren Kennzeichen zugeſtellt, gute Wähler werden mittelſt Gemeinderatsbeſchluſſes belohnt, ſchlechte auf der Stelle beſtraft, dort brüſtet ſich der jeweilige Bürgermeiſter, auch wenn er noch nicht Ehrenbürger iſt, daß gegen ſeinen Willen niemand mehr als dreißig Stimmen erhalten kann, auch wenn für ihn dreihundert die Stimmen abge- ben. Dort herrſcht noch der Geiſt verſchollener Jahrzehnte, ein würdiges Pendant zu dem Koth, der in den Straßen und zu dem grünen Moraſt, der in den Straßenrinnen aufgeſtapelt iſt. Sadagora iſt ſich treu geblieben. Unſere Zeit aber mit ihren unabweislichen Forderungen nach Reinlichkeit in der Verwaltung und Hygiene in den Gaſſen und Häu- ſern hat andere Begriffe von der Erhaltung alten Städte- ruhms. Sie verlangt gebieteriſch, daß Schmutzflecke weg- geputzt werden. Ehrenbürger her, Ehrenbürger hin — die Stadt muß in jeglicher Beziehung geſäubert werden. Sie liegt auf Büchſenſchußweite von der Landeshaupt- und Univerſitätsſtadt entfernt und muß ſich gründlich rein- machen. Sadagora mit ſeiner gewerbefleißigen und be- triebſamen Bevölkerung und ſeinem berechtigten Anſpruch auf Erhebung zur Bezirkshauptſtadt muß zuſehen, wie es nach Ueberreichung des Ehrendiploms an ſeinen beinahe reſignierten Bürgermeiſter, ſich aus Staub und Schmutz emporhebt zu einem Gemeinweſen, das nicht mehr wie bis nun das abſchreckende Beiſpiel des ganzen Landes bildet. Vom Tage. Czernowitz, 13. Auguſt. Miniſterrat. Wien, 12. Auguſt. Anläßlich des Geburtsfeſtes des Kaiſers verſammeln ſich die Mitglieder des Kabinetts am 18. Auguſt in Wien. Da diesmal das Geburtsfeſt des Kaiſers auf einen Sonntag fällt, treffen die Miniſter ſchon Samstag, den 17. Auguſt in Wien ein. Es iſt noch nicht beſtimmt, ob der anläßlich der Anweſenheit ſämt- licher Miniſter in Wien ſtattfindende Miniſterrat Sams- tag oder Montag abgehalten werden wird. Er wird ſich nur mit laufenden und Reſſortangelegenheiten befaſſen, und die Erörterung politiſcher Fragen, zu welcher ja auch ein Anlaß nicht vorliegt, wird um ſo eher unterbleiben, als das Arbeitspenſum, das erledigt werden muß, ganz außerordentlich angewachſen iſt, ſo daß mit einer ziemlich langen Dauer des Miniſterrates gerech- net werden muß, ſelbſt wenn nur alle laufenden und Reſſortangelegenheiten, über welche eine Beſchlußfaſſung notwendig iſt, erledigt werden. Die Friedensausſichten in Ungarn. Aus Budapeſt wird der „Polit. Korreſpondenz“ ge- ſchrieben: Die Ausſichten auf eine gütliche Beilegung der zwiſchen der Regierung der der Oppoſition ſchwebenden Differenzen haben ſich in den jüngſtvergangenen Tagen nicht gebeſſert. Die Schuld daran trägt ausſchließlich die Oppoſition, bei der eine bedauerliche Scharfmacherei neueſtens ſchwunghaft betrieben wird. Von der „reſtitutio in integrum“ hört man zwar nicht mehr viel, da die Oppoſition eingeſehen hat, daß in dieſer Beziehung durch- aus nichts zu erreichen iſt; deſto lauter u. hartnäckiger wird jedoch beſonders von den Führern der linken Parteien die Entfernung des Miniſterpräſidenten von Lukacs und des Präſidenten des Abgeordnetenhauſes Grafen Stefan Tisza, gefordert. Nun handelt es ſich hierbei nicht um eine perſönliche Angelegenheit dieſer Staatsmänner, ſon- dern um eine Angelegenheit der Parlamentsmajorität, die im Intereſſe des Friedens wohl zu ſchwerwiegenden Opfern bereit iſt, jedoch ſowohl mit Rückſicht auf das Mehrheitsprinzip, als auch im Bewußtſein ihrer entſchei- denden Juniſiege, ihrer Stärke und des Vertrauens, wel- ches ihr und der Regierung von der überwältigenden Mehrheit der Munizipien entgegengebracht wird, ſich zu Feuilleton. Zigeunerſtreiche. Budapeſt, im Auguſt. Die Zahl der in Ungarn befindlichen Zigeuner ſteigt in die Hunderttauſende. Im ungariſchen Provinzblatt „Abauj Torna“ veröffentlichte am 1. Mai 1910 ein Ken- ner der Verhältniſſe folgende Statiſtik: „In Ungarn leben 264940 Zigeuner, davon können 243.342 als ſeß- haft gelten, während der Reſt von rund 20.000 ſich ſtän- dig auf der Wanderſchaft befindet. Von dieſen 20.000 ſind mindeſtens drei Viertel Mörder, Räuber, Diebe, gegen welche die Gendarmerie völlig machtlos iſt.“ Denn ſelbſt wenn die Gendarmerie einmal eine Zigeunerbande zu ſtellen imſtande iſt, wenn ſie einen verdächtigen Trupp überrumpelt und einfängt, ſo iſt damit nicht viel erreicht, weil man den Leuten gewöhnlich nichts nachweiſen kann. Die Beute iſt ſchon wenige Stunden nach dem Raube in unauffindbare Schlupfwinkel verſchleppt, und die Iden- tität der Räuber und Mörder ſelbſt durch Augenzeugen der Verbrechen feſtzuſtellen, iſt faſt immer ausſichtslos, da die meiſten Zigeunerfamilien den gleichen Namen und die Perſonen einander zum Verwechſeln ähnlich ſeien. Trotz aller Verſuche, ſie anzuſiedeln, kehren die Zi- geuner immer wieder zu ihrem unſteten Nomadenleben zurück und treiben es, wie es ihre Väter und Großväter getrieben haben. Dabei verfolgen ſie unverkennbare Sy- ſteme. Selten verüben ſie ihre Gewalttaten bei Tage und ſelten wagen ſie ſich auch in die Zentren großer Ortſchaf- ten oder gar Städte; Ausnahmen von dieſer Regel kom- men nur als ganz vereinzelte Fälle vor. Im allgemeinen benützen ſie die Nacht oder noch lieber, wie die Wilden, die früheſten Morgenſtunden zu ihren Raubzügen und ſuchen nur die Peripherien der Dörfer heim. Schnell erſcheinen ſie, und ſchnell ſind ſie verſchwunden. Ganze Gruppen be- faſſen ſich nur mit gewöhnlichem Diebſtahl, dann wieder gibt es Zigeunerbanden, die nur den Raubmord als ihr Gewerbe betreiben. Dieſe Raubmörderbanden gehören alle einem organiſierten Verbande an und wenn ein Trupp einen Mord verübt hat, ſo werden die Mörder ſchnell einem anderen Trupp eingereiht, und die Spuren ſind in Augenblicken ſo gut verwiſcht, daß ihnen ſelbſt die ge- wiegteſten Gendarmen nicht zu folgen vermögen. Nach Angaben des eingangs erwähnten Kenners gehören die Räuber und Mörder ſtets ſolchen Banden an, deren Mit- glieder als Keſſelflicker und Schloſſer von Ort zu Ort ziehen, während die Diebe den Reihen der wandernden Zigeuner entſtammen. Das ganze Zigeunervolk ſteckt noch tief im finſterſten, ſcheußlichſten Aberglauben, wie folgender Vorfall bewei- ſen mag: In Büdſzentmihaly wurde der Zigeuner Karl Roſtas verhaftet, weil er aus dem Friedhof eine Leiche ausgegraben und nachhauſe geſchleppt hatte, um ſie zu verſpeiſen. Roſtas erklärte, daß es ihm hauptſächlich um die Hände des Toten zu tun geweſen war. Er äße die Hände eines Leichnams, weil ihn ſolche Speiſe bei Dieb- ſtählen vor der Verhaftung ſchütze. Dieſer Aberglaube verdient die Beachtung der Kultur- und Sittenforſcher, weil er auffallend mit einem im ganzen Oſten Europas weit verbreiteten Aberglauben der Diebe übereinſtimmt. Gräberſchändungen zwecks Erlangung einer Totenhand als Diebstalismans ſind häufig. Denn wenn man eine Totenhand in ein Fenſter eines Hauſes, in dem man einbricht, legt, ſo ſchlafen die Beſtohlenen feſt, und der Dieb kann ruhig arbeiten. Mit Vorliebe ſehen es jene Zigeuner, die bei ihren Räubereien bares Geld ergattern wollen und dabei auch vor Mord nicht zurückſchrecken, auf die einſam gelegenen Gaſthäuſer der Pußta ab. Solche Ueberfälle werden nicht von einzelnen, ſondern von ganzen Banden unternom- men. Ein beſonders romantiſcher Ueberfall wurde vor zwei Jahren von einer Zigeunerbande in Pojana bei Lugos unternommen. Sie ſpekulierte bei Ausübung die- ſes Verbrechens auf den Aberglauben der Bevölkerung, der in jener zumeiſt von Serben bewohnten Gegend groß iſt. In der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 1910 klopfte es nämlich in dem genannten Dorfe an die Tür des Müllers Petru Muntyan. Auf die Frage: Wer da? hieß es: der Teufel! Muntyan ſah hinaus und erblickte zwölf in weiße Leintücher gehüllte Geſtalten. „Was wollt ihr?“ ſchrie der abergläubiſche Müller voller Entſetzen. Wie aus Grabestiefe kam die Antwort: „Dein Gut, Dein Geld, Dein Weib!“ Muntyans Frau war nicht ſo ängſtlich und abergläubiſch wie ihr Mann. Sie ergriff ein Gewehr und ſchoß auf die Geſpenſter, und dieſe erwiderten das Feuer nach allzu menſchlicher Manier. Dieſe Schüſſe lockten Gen- darmen herbei, und die Räuber entflohen. Aber der Kampf hatte ſchon ſeine Opfer gefordert: außer einem verwundeten Zigeuner fanden die Gendarmen auf dem Schlachtfeld den Müller tot, die tapfere Müllerin ſchwer- verletzt. Intereſſant iſt, daß die Zigeuner unter ſich ſtreng auf — Ehrlichkeit ſehen. Am 3. April 1910 wurden in Niſch in einem Zigeunerlager ein Mann und eine Frau, die die Beute eines Einbruchs nicht ehrlich abgeliefert hatten, ge- hängt. Dann zog die Karawane unter Zurücklaſſung der gerichteten Leute weiter. Der ſerbiſchen Polizei gelang es aber, die Karawane einzuholen. Man fand bei den Zigeu- nern zahlreiche abgehackte Finger, die von Leichenberau- bungen herrührten. Daß die Zigeuner Verrat ebenfalls ſchwer zu beſtrafen wiſſen, hat man in Ungarn bei dem Prozeß gegen die Bande, die 1908 den berüchtigten Raub- mord zu Danos begangen hat, beobachten können. Bei der Verhandlung in Budapeſt hatten die angeklagten Zigeu- ner bis zuletzt alles geleugnet, und ihre Verurteilung wäre nicht möglich geweſen, wenn nicht ein Mitglied der Bande ſelbſt, das Zigeunermädchen Roſa Lakatos als Kronzeugin gegen die Raub- und Mordgeſellſchaft aufgetreten wäre. Zur Strafe für dieſen Verrat wurde die ganze Familie der Roſa Lakatos von allen Zigeunern des ganzen Lan-

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2567, Czernowitz, 14.08.1912, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2567_1912/1>, abgerufen am 29.03.2024.