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Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2277, Czernowitz, 22.08.1911.

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Czernowitzer Allgemeine Zeitung 22. August 1911.

[Spaltenumbruch]

können, an welche die maßgebenden Stellen sich als an
einen zutreffenden Ratschlag halten dürfen, ohne befürch-
ten zu müssen, daß ihnen das Volk die Absolution für die
angekündigte Aktion zur Förderung der Rindviehzucht
verweigern wird, falls ihr nicht die unvermeidlichen En-
queten vorangehen. Der Viehbestand muß aufgebessert
und erhöht werden. Das ist, wenn die Fleischteuerung
nicht zu einer ständigen Misere werden soll, nur durch ein
Schutzgesetz, welches die Tötung der weiblichen Kälber re-
guliert und durch eine ausgiebige Aneiferung der Zucht
vermittelst Aussetzung reichlicher Prämien möglich. Hand
in Hand damit hat sebstverständlich die Förderung des
Futterbaues zu gehen, da billiges Fleisch bei teueren
Futterpreisen nicht geliefert werden kann. Andere Mittel
zur Hebung der Inlandsproduktion und Erzielung eines
entsprechenden Marktkontingents existieren wohl kaum,
es wäre denn, daß der Staat selbst in großem Maßstabe
zu produzieren versuchte. Selbst bei sofortigem Inkraft-
treten von Maßregeln im Sinne vorgedachter Ausführun-
gen kann sich das angestrebte Resultat, die Ermäßigung
der Fleischpreise, natürlich nicht vor Ablauf von einigen
Jahren einstellen und die Frage, wie dem gegenwärtigen
Fleischmangel gesteuert werden soll, ob im Wege der Ein-
fuhr lebenden oder geschlachteten Viehes aus Serbien, aus
Rumänien oder aus überseeischen Ländern, wird durch
die Förderung der inländischen Viehzucht vorläufig gar
nicht tangiert. Aber gerade die Tatsache, daß wir mehr
Geld über die Grenzen schicken, als nötig wäre, wenn die
vorhandenen natürlichen Bedingungen ausgenützt wür-
den, die merkwürdige Erscheinung, daß wir für
nicht einmal gutes Geld soviel bekommen können als
wir brauchen, weil es dem lieben Nachbar jenseits der
Leittha gefällt, den Hunger Oesterreichs zum Gegenstand
seines Profitchens zu machen, illustrieren die ganze Son-
derlichkeit der Situation, in welcher der Staat sich be-
findet und erweisen auf das Allerschärfste die Notwendig-
keit, wirklich sogleich mit "Maßnahmen" zu beginnen,
statt erst mit Absichten herumzutändeln. Das serbische
Einfuhrskontingent ist erschöpft, argentinisches Fleisch
darf nicht herein, Rumänien hat zwar ein Exportschlacht-
haus, aber wie es scheint, kein Vieh, und wir selbst haben
erst recht keins. Bleibt nur der Import aus dem durch
den starken Erwerbssinn seiner Agrarier ausgezeichneten
Ungarn, das uns also die unerschwinglichsten Preise dik-
tieren kann, ohne daß wir mucksen dürfen, denn -- Ver-
tragstreue über alles, selbst bis zum Verhungern. Das
gewöhnliche Recht erklärt Verträge unmoralischer Natur
als unverbindlich. Aus dem unmoralischen Wesen eines
zwischen Staaten geschlossenen Vertrages, der sich der Be-
urteilung na landläufigen Rechtsanschauungen natür-
lich entzieht, sollte wenigstens die Moral gezogen werden,
daß es empfehlenswerter ist, sich auf die eigenen Kräfte
zu verlassen, als auf den interessenbeeinflußten, immer
etwas eigennützigen "guten" Willen des Anderen. Die
Lehren, die Oesterreich schon erhalten hat, sollten hin-
reichend empfindlich gewesen sein, es aus dem ewig
rottierenden Kreise seiner Absichten hinauszutreiben auf
das Feld energischer Taten.

Keine weitere Einfuhr argentinischen Fleisches.

Wie das k. k. Telegraphen-Kor-
respondenz-Bureau vernimmt, hat die österreichische Re-
gierung auf Grund des von den Ressortvertretern am
17. August erstatteten Berichtes über die am Vortage in
Budapest gepflogenen Verhandlungen in der Fleischfrage
bereits im Laufe desselben Tages in einer Depesche die
[Spaltenumbruch] ungarischerseits als Hauptpunkte bezeichneten Gegen-
konzessionen abgelehnt.
Nachdem auch für die
Einfuhr eines in Triest lagernden Quantums von etwa
700 Tonnen die Zustimmung der königlich ungarischen
Regierung nicht zu erlangen war, so müssen nach der be-
stehenden Rechtslage alle der Regierung vorliegenden An-
suchen um Einfuhrbewilligung argentini-
schen Fleisches abgewiesen
werden.

50perzentige Tarifermäßigung für Horn-, Stechvieh und
Fleisch auf allen Linien der Staatsbahn.

Die "Rathauskorrespondenz"
meldet: Vertreter des Magistrats haben an einer unter
Vorsitz des Sektionschefs Sonnenschein im Eisenbahn-
ministerium abgehaltenen Besprechung der Vertreter der
verschiedenen Ressortministerien in Angelegenheit der
Fleischfrage teilgenommen. Nach der Mitteilung des Vor-
sitzenden ist die Regierung bereit, eine 50 perzenitge
Tarifermäßigung
für Horn- und Stechvieh und
für Fleisch auf sämtlichen Linien der öster-
reichischen Staatsbahnen
bei einer Entfernung
von mehr als hundert Kilometern zuzugestehen. Hinsicht-
lich der Linien Marchegg--Wien und Bruck--Wien wird
diese Ermäßigung ohne Beschränkung auf die Kilometer-
entfernung zugestanden. Diese Ermäßigung gilt nicht
bloß für Sammel-, sondern auch für Stücksendungen so-
wie für das am Marxer Viehmarkte einlangende Vieh,
wenn auch dasselbe in den Wiener Schlachthäusern nicht
zur Schlachtung kommt. Bezüglich der in den Wiener
Schlachthäusern geschlachteten Tiere wird jedoch bedungen,
daß das Fleisch aus diesen Schlachthäusern nur per Achse
verführt werden darf. Diese Begünstigung soll nicht bloß
für Wien und Prag erteilt, sondern auch auf andere
Städte ausgedehnt werden und soll schon Dienstag, den
22. d. M., und zwar bis auf Widerruf, längstens für die
Dauer bis Ende November d. J., in Kraft treten.
Hingegen soll die Gemeinde Wien die Herabsetzung der
Schlacht- und der Marktgebühr in dem gleichen Umfange
wie im Vorjahre und auf dieselbe obenangeführte Zeit
zugestehen.

Rumänische Fleischsendungen nach Wien.

Den Abendblättern zufolge
wird Montag, den 21. d. M. vom neuerrichteten Schlacht-
haus in Turn-Severin eine Sendung rumänischen Flei-
sches direkt nach Wien abgehen. Dieser Fleischsendung am
Montag -- man spricht von einer Waggonladung -- soll
gleich in der darauffolgenden Woche eine weitere Sen-
dung folgen.




Vom Tage.


Das deutsch-russische Abkommen perfekt.

Das Abkommen zwischen
Deutschland und Rußland bezüglich Persiens und
der Bagdadbahn ist heute hier vom deutschen Botschafter und
vom russischen Stellvertreter des Ministers des Aeußern unter
zeichnet worden.

Im Abkommen sind eingehende Bestimmungen bezüglich des
Auschlusses der Bagdadbahn an das künftige Eisenbahnnetz.
Damit ist deutschen Handel ein wertvoller Zugang an das
nördliche Persien gewährleistet. Gleich in der Einlei[t]ung spricht
[Spaltenumbruch] das Abkommen den Grundsatz aus, daß der Handel aller
Nationen in Persien gleichberechtigt ist. Die Bewegungsfreiheit
des deutschen Handels auf persischem Boden hat hiedurch eine
neue vertragsmäßige Feststellungg erfahren. Die Unterzeichnung
der Noten im gegenwärtigen Zeitpunkt beweist, daß die Be-
ziehungen Deutschlands zu Rußland durch die marokkanischen
Schwierigkeiten
nicht berührt worden sind.




Der Stillstand in den Marokko-
verhandlungen.
Berliner Zeitungsstimmen.

Das "Berliner Tage-
blatt"
schreibt in seiner Sonntags-Wochenschau über den
gegenwärtigen Stand der Marokkoverhandlungen:

"Die einzige und nicht gerade tröstliche Meldung be-
sagt, daß die Unterhaltung zwischen Herrn v. Kiderlen-
Waechter und Herrn Cambon eine Unterbrechung erfahren
habe. Wie lange diese Pause dauern soll, darüber weiß
man nichts. Daß eine solche Verzögerung gerade in diesem
Augenblicke nicht eben einen verheißungsvol-
len Eindruck
machen kann, liegt auf der Hand. Es
konnte deshalb auch nicht überraschen, daß sich die Nervosi-
tät nicht bloß im deutschen Volke, sondern noch mehr in
Frankreich wieder verstärkte.

Die "Kreuzzeitung" mißt dem Umstande, daß
die deutsch-französischen Verhandlungen unterbrochen wur-
den, eine besondere Bedeutung bei und sagt, daß
die Unterbrechung entweder der Vorläufer einer raschen
Besserung oder einer Verschlimmerung der Lage sein wird.
"Die Verhandlungen sind offenbar an einem Punkte an-
gelangt, an dem es gilt, wichtige Entschließun-
gen
zu fassen, und die französische Regierung ist bereits
in Erwägungen darüber eingetreten, ob sich diese Ent-
schlüsse in einem dem deutschen Standpunkte entgegen-
kommenden Sinne bewegen sollen oder nicht."

Weiter sagt die "Kreuzzeitung": "Durch das Vor-
gehen Frankreichs werden wir genötigt, zur Zeit unsere
wirtschaftlichen Interessen in Marokko selbst zu schützen.
Verschmäht es Frankreich nun, sich mit uns freundschaft-
lich zu verständigen, so werden wir diesen Schutz unserer
wirtschaftlichen Interessen in Marokko auch in Zukunft
selbst ausüben müssen, und andere Mächte dürf-
ten sich dann in die gleiche Lage versetzt sehen. Das gewalt-
sam zu verhindern, würde aber für Frankreich ein sehr be-
denkliches Unterfangen darstellen, und deshalb sind wir
der festen Hoffnung, daß nach der Pause die Verhandlun-
gen fortgeführt werden und man zu einer endlichen Ver-
ständigung gelangen wird. Je mehr man während dessen
in Frankreich mit dem Säbel rasselt, desto fester wird man
in Berlin auf allen Forderungen verharren müssen, denn
es würde der Ehre eines großen und starken Volkes
nicht entsprechen, auf die Androhung gewalt-
samer Mittel hin auch nur einen Schritt
zurückzuweichen.
"

Säbelgerassel in der Pariser Presse.

"Matin" und "Echo de Paris"
ergehen sich in ihren gestrigen Ausgaben anläßlich der Un-
terbrechungen der deutsch-französischen Marokkoverhand-
lungen in wüsten Kriegshetzereien gegen
Deutschlands.
So führt der "Matin" in seinem Leit-
artikel eine Sprache gegen Deutschland, die an Schärfe
nichts zu wünschen übrig läßt. Er vergleicht Deutschland
und Frankreich in ihrer Haltung bei den Verhandlungen




[Spaltenumbruch]

fand in ihr dieselbe amüsante Partnerin bei der Unter-
haltung, die ihn früher so gefesselt hatte.

Sie war noch schöner geworden. Ein Kunstwerk frei-
lich ... aber ein gut zurecht gemachtes, geschmackvoll zu-
sammengestelltes Kunstwerk, das man gern anschaute.
Unter dem Panama, der an einer Seite hochgeschlagen
war, schimmerten Haare in den hellsten Goldtönen. Die
dunkeln Augenbrauen, denen der Stift ein wenig nach-
geholfen hatte, ließen die blauen Augen ausdrucksvoller
erscheinen. Vielleicht war die Nase etwas zu lang für die
kindlichen Züge und den süßen Mund, dessen rote Lippen
unberührt schienen und stets liebenswürdig lächelten, daß
die kleinen regelmäßigen Zähne zum Vorschein kamen.

Griepenow nahm sein Skizzenbuch vor und versuchte,
Evas Bild mit ein paar Strichen festzuhalten. Die junge
Frau saß still, die schönen Hände auf ihrem Schoß, und
blickte siegesbewußt zu dem Maler hin ... Wie lange
sie schon auf dem Wasser waren, wußten beide nicht. Plötz-
lich hörten sie die Stimme des Schiffers.

"Wir müssen wenden", sagte er. "Der Wind hat sich
gedreht. Wechseln Sie die Plätze! Rasch!"

Eva ging auf die gegenüberliegende Seite, und der
Professor wollte ihr folgen, als der ausbrechende Sturm
den Mast vom Segel herumwarf. Griepenow zuckte zu-
sammen und faßte mit der Linken an seinen rechten
Mittelfinger. Aber die anderen achteten nicht darauf.

Die beiden Schiffer arbeiteten an den Segeln, gegen
die der Wind mit aller Gewalt blies. Eva schlang einen
goldgelben Schal über ihren Kopf, um den Hut festzu-
halten. Sie wußte, daß diese Farbe gut zu ihrem Haar
stand, und erwartete ein paar galante Worte des Künst-
lers. Aber Griepenow schien sie gar nicht mehr zu be-
merken.

Einzelne dicke Regentropfen fielen.

"Wir sind doch noch vor Ausbruch des Gewitters zu
Hause?" fragte die junge Frau ängstlich und sah be-
klommen, wie das eben noch so klare Wasser eine schmutzig
graue Farbe annahm, und Riesenwellen sich türmten, die
hoch aufspritzten, wenn das Boot sie durchschnitt. Einer
der Schiffer nahm unter dem Sitz eine Oeldecke vor und
wickelte Eva darin ein. Sie schmollte mit dem Professor,
der ganz still geworden und mit zusammengebissenen
[Spaltenumbruch] Zähnen neben ihr saß. Sein Finger schmerzte furchtbar.

"Drei Menschenleben fordert das Wasser heute",
ging's Eva durch den Kopf. Ihr wurde schwindelig. Sie
fühlte, wie das Boot hin- und herschwankte. Trotz der
Decke durchdrang die Nässe sie. Sie schüttelte sich vor Kälte
und dachte doch immer nur das eine: wenn sie doch die
Fahrt überlebte, ... sollten die anderen drei auch unter-
gehen, nur sie nicht ... nur sie nicht!"

-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Als Eva aus dem Boot gehoben wurde, sah sie aus,
wie ein graugelbes Kücken, das man auf den Osterkarten
sieht. Nur die Nase guckte spitz und scharf wie ein Schnabel
aus der gelben nassen Hülle vor. Milli brachte sie gleich zu
Bett und gab ihr Glühwein zu trinken. Nachdem Eva
eingeschlafen war, ging die Aerztin zu dem anderen Pa-
tienten.

Mit Hilfe des Pikkolo hatte der Professor sich umge-
zogen und saß mit schmerzhaft verzogenem Gesicht am
Fenster, als Milli sich bei ihm anmelden ließ. Sie sah bei
der Untersuchung sofort, daß der Mittelfinger der rechten
Hand gebrochen war.

Griepenow verbiß den Schmerz. "Teufel! Und ge-
rade den rechten mußte der Mast sich aussuchen, um da-
rauf zu fallen! Da hat meine Kunst auf einige Zeit ein
Ende, und Ihre Kunst fängt an ... langwierige Sache?"
fragte er, während sie verband.

"Ein paar Wochen", gab sie zur Antwort. "Die Hand
ist möglichst ruhig zu halten, Herr Professor. Bei den
Mahlzeiten werden Eva und ich Ihnen schon helfen."
Dann schüttelte sie ihm die Linke und ging.

Griepenow war nun täglich in Gesellschaft der jungen
Frau Bornemann und ihrer Kousine am Strande zu
sehen. Je länger er mit Eva zusammen war, desto ruhiger
und unbefangener wurde er ihr gegenüber. Lustig, kokett
und amüsant war sie, die schöne Frau ... aber wie
dankbar mußte er ihr doch sein, daß sie damals seine Hand
ausgeschlagen hatte. Denn, wenn er überhaupt noch hei-
ratete, dann wollte er einen ganzen Kerl haben zur Le-
bensgefährtin -- kein Kunstwerk, das der erste beste Ge-
witterregen ruinierte ...

Er saß auf seinem Balkon, blätterte in der Zeitung,
ohne sie zu lesen, und dachte dabei an Milli Krüger, --
[Spaltenumbruch] an das Fräulein Glückspilz, wie er sie nannte, -- denn
der Titel "Fräulein Doktor" mißfiel ihm. Heute sollte
sie ihm den letzten Verband abnehmen und sehen, ob der
Finger ordentlich geheilt war.

Da drüben kam sie über die Straße. Schon ihren
Gang anzusehen, war für einen Künstler eine Wohltat!
Sie trippelte nicht weibisch: sie ging wie ein forscher Kerl,
der sie ja auch war.

"Herein!" rief er freudig, als sie anklopfte.

Milli trug ein helles Waschkleid mit weißem Ma-
trosenkragen. Sie sah heute jünger aus als sie war. "Mein
letzter Besuch!" begrüßte sie lustig den Professor. "Freuen
Sie sich!" Dann löste sie den Verband und untersuchte
sorgfältig den Finger. "Er ist glatt geheilt. Gratuliere!
Heute dürfen Sie mir sogar die Rechte geben und sachte
schütteln."

"Teufel!" brummte er. "Wie zeig' ich Ihnen denn
nun meine Dankbarkeit!" Dabei hielt er ihre Hand fest
und griff mit der Linken nach ihrer anderen.

Und während er ihre Hände hielt, wurde es ihm zur
Gewißheit: so ein Mädel, das wär' die rechte für ihn!
Wenn sie bloß nicht immer so verwünscht sicher und selbst-
bewußt ausgesehen hätte, während sie zu ihm sprach. Na-
türlich würde sie ihn einfach auslachen, sobald er ...

Aber flimmerten nicht ihre Augen ganz merkwürdig
heute? Zitterten ihree Hände nicht doch ein wenig, wie sie
in den seinen lagen?

"Was denn? Was wollen Sie denn noch?" Das
klang wie leise Glockentöne.

"Sie selber will ich, Fräulein Glückspilz, und wenn
Sie nicht sofort Ja sagen ..."

"Aber ich sage ja .. ja ... ja ...", lachte sie
glücklich. Und dann zog sie ihn an der Hand die Treppen
hinunter, und sie gingen Arm in Arm nach dem Strande,
wo Eva saß und sie erstaunt ansah.

"Bitt' Sie, kommt ja gerade so an, als ob --"

"Jawohl ... ganz richtig ... sind wir auch!"
unterbrach sie der Professor. "Schöne Frauen sind
ahnungsvolle Engel. Sie können der Familie Glückspilz
gratulieren."




Czernowitzer Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1911.

[Spaltenumbruch]

können, an welche die maßgebenden Stellen ſich als an
einen zutreffenden Ratſchlag halten dürfen, ohne befürch-
ten zu müſſen, daß ihnen das Volk die Abſolution für die
angekündigte Aktion zur Förderung der Rindviehzucht
verweigern wird, falls ihr nicht die unvermeidlichen En-
queten vorangehen. Der Viehbeſtand muß aufgebeſſert
und erhöht werden. Das iſt, wenn die Fleiſchteuerung
nicht zu einer ſtändigen Miſere werden ſoll, nur durch ein
Schutzgeſetz, welches die Tötung der weiblichen Kälber re-
guliert und durch eine ausgiebige Aneiferung der Zucht
vermittelſt Ausſetzung reichlicher Prämien möglich. Hand
in Hand damit hat ſebſtverſtändlich die Förderung des
Futterbaues zu gehen, da billiges Fleiſch bei teueren
Futterpreiſen nicht geliefert werden kann. Andere Mittel
zur Hebung der Inlandsproduktion und Erzielung eines
entſprechenden Marktkontingents exiſtieren wohl kaum,
es wäre denn, daß der Staat ſelbſt in großem Maßſtabe
zu produzieren verſuchte. Selbſt bei ſofortigem Inkraft-
treten von Maßregeln im Sinne vorgedachter Ausführun-
gen kann ſich das angeſtrebte Reſultat, die Ermäßigung
der Fleiſchpreiſe, natürlich nicht vor Ablauf von einigen
Jahren einſtellen und die Frage, wie dem gegenwärtigen
Fleiſchmangel geſteuert werden ſoll, ob im Wege der Ein-
fuhr lebenden oder geſchlachteten Viehes aus Serbien, aus
Rumänien oder aus überſeeiſchen Ländern, wird durch
die Förderung der inländiſchen Viehzucht vorläufig gar
nicht tangiert. Aber gerade die Tatſache, daß wir mehr
Geld über die Grenzen ſchicken, als nötig wäre, wenn die
vorhandenen natürlichen Bedingungen ausgenützt wür-
den, die merkwürdige Erſcheinung, daß wir für
nicht einmal gutes Geld ſoviel bekommen können als
wir brauchen, weil es dem lieben Nachbar jenſeits der
Leittha gefällt, den Hunger Oeſterreichs zum Gegenſtand
ſeines Profitchens zu machen, illuſtrieren die ganze Son-
derlichkeit der Situation, in welcher der Staat ſich be-
findet und erweiſen auf das Allerſchärfſte die Notwendig-
keit, wirklich ſogleich mit „Maßnahmen“ zu beginnen,
ſtatt erſt mit Abſichten herumzutändeln. Das ſerbiſche
Einfuhrskontingent iſt erſchöpft, argentiniſches Fleiſch
darf nicht herein, Rumänien hat zwar ein Exportſchlacht-
haus, aber wie es ſcheint, kein Vieh, und wir ſelbſt haben
erſt recht keins. Bleibt nur der Import aus dem durch
den ſtarken Erwerbsſinn ſeiner Agrarier ausgezeichneten
Ungarn, das uns alſo die unerſchwinglichſten Preiſe dik-
tieren kann, ohne daß wir muckſen dürfen, denn — Ver-
tragstreue über alles, ſelbſt bis zum Verhungern. Das
gewöhnliche Recht erklärt Verträge unmoraliſcher Natur
als unverbindlich. Aus dem unmoraliſchen Weſen eines
zwiſchen Staaten geſchloſſenen Vertrages, der ſich der Be-
urteilung na landläufigen Rechtsanſchauungen natür-
lich entzieht, ſollte wenigſtens die Moral gezogen werden,
daß es empfehlenswerter iſt, ſich auf die eigenen Kräfte
zu verlaſſen, als auf den intereſſenbeeinflußten, immer
etwas eigennützigen „guten“ Willen des Anderen. Die
Lehren, die Oeſterreich ſchon erhalten hat, ſollten hin-
reichend empfindlich geweſen ſein, es aus dem ewig
rottierenden Kreiſe ſeiner Abſichten hinauszutreiben auf
das Feld energiſcher Taten.

Keine weitere Einfuhr argentiniſchen Fleiſches.

Wie das k. k. Telegraphen-Kor-
reſpondenz-Bureau vernimmt, hat die öſterreichiſche Re-
gierung auf Grund des von den Reſſortvertretern am
17. Auguſt erſtatteten Berichtes über die am Vortage in
Budapeſt gepflogenen Verhandlungen in der Fleiſchfrage
bereits im Laufe desſelben Tages in einer Depeſche die
[Spaltenumbruch] ungariſcherſeits als Hauptpunkte bezeichneten Gegen-
konzeſſionen abgelehnt.
Nachdem auch für die
Einfuhr eines in Trieſt lagernden Quantums von etwa
700 Tonnen die Zuſtimmung der königlich ungariſchen
Regierung nicht zu erlangen war, ſo müſſen nach der be-
ſtehenden Rechtslage alle der Regierung vorliegenden An-
ſuchen um Einfuhrbewilligung argentini-
ſchen Fleiſches abgewieſen
werden.

50perzentige Tarifermäßigung für Horn-, Stechvieh und
Fleiſch auf allen Linien der Staatsbahn.

Die „Rathauskorreſpondenz“
meldet: Vertreter des Magiſtrats haben an einer unter
Vorſitz des Sektionschefs Sonnenſchein im Eiſenbahn-
miniſterium abgehaltenen Beſprechung der Vertreter der
verſchiedenen Reſſortminiſterien in Angelegenheit der
Fleiſchfrage teilgenommen. Nach der Mitteilung des Vor-
ſitzenden iſt die Regierung bereit, eine 50 perzenitge
Tarifermäßigung
für Horn- und Stechvieh und
für Fleiſch auf ſämtlichen Linien der öſter-
reichiſchen Staatsbahnen
bei einer Entfernung
von mehr als hundert Kilometern zuzugeſtehen. Hinſicht-
lich der Linien Marchegg—Wien und Bruck—Wien wird
dieſe Ermäßigung ohne Beſchränkung auf die Kilometer-
entfernung zugeſtanden. Dieſe Ermäßigung gilt nicht
bloß für Sammel-, ſondern auch für Stückſendungen ſo-
wie für das am Marxer Viehmarkte einlangende Vieh,
wenn auch dasſelbe in den Wiener Schlachthäuſern nicht
zur Schlachtung kommt. Bezüglich der in den Wiener
Schlachthäuſern geſchlachteten Tiere wird jedoch bedungen,
daß das Fleiſch aus dieſen Schlachthäuſern nur per Achſe
verführt werden darf. Dieſe Begünſtigung ſoll nicht bloß
für Wien und Prag erteilt, ſondern auch auf andere
Städte ausgedehnt werden und ſoll ſchon Dienſtag, den
22. d. M., und zwar bis auf Widerruf, längſtens für die
Dauer bis Ende November d. J., in Kraft treten.
Hingegen ſoll die Gemeinde Wien die Herabſetzung der
Schlacht- und der Marktgebühr in dem gleichen Umfange
wie im Vorjahre und auf dieſelbe obenangeführte Zeit
zugeſtehen.

Rumäniſche Fleiſchſendungen nach Wien.

Den Abendblättern zufolge
wird Montag, den 21. d. M. vom neuerrichteten Schlacht-
haus in Turn-Severin eine Sendung rumäniſchen Flei-
ſches direkt nach Wien abgehen. Dieſer Fleiſchſendung am
Montag — man ſpricht von einer Waggonladung — ſoll
gleich in der darauffolgenden Woche eine weitere Sen-
dung folgen.




Vom Tage.


Das deutſch-ruſſiſche Abkommen perfekt.

Das Abkommen zwiſchen
Deutſchland und Rußland bezüglich Perſiens und
der Bagdadbahn iſt heute hier vom deutſchen Botſchafter und
vom ruſſiſchen Stellvertreter des Miniſters des Aeußern unter
zeichnet worden.

Im Abkommen ſind eingehende Beſtimmungen bezüglich des
Auſchluſſes der Bagdadbahn an das künftige Eiſenbahnnetz.
Damit iſt deutſchen Handel ein wertvoller Zugang an das
nördliche Perſien gewährleiſtet. Gleich in der Einlei[t]ung ſpricht
[Spaltenumbruch] das Abkommen den Grundſatz aus, daß der Handel aller
Nationen in Perſien gleichberechtigt iſt. Die Bewegungsfreiheit
des deutſchen Handels auf perſiſchem Boden hat hiedurch eine
neue vertragsmäßige Feſtſtellungg erfahren. Die Unterzeichnung
der Noten im gegenwärtigen Zeitpunkt beweiſt, daß die Be-
ziehungen Deutſchlands zu Rußland durch die marokkaniſchen
Schwierigkeiten
nicht berührt worden ſind.




Der Stillſtand in den Marokko-
verhandlungen.
Berliner Zeitungsſtimmen.

Das „Berliner Tage-
blatt“
ſchreibt in ſeiner Sonntags-Wochenſchau über den
gegenwärtigen Stand der Marokkoverhandlungen:

„Die einzige und nicht gerade tröſtliche Meldung be-
ſagt, daß die Unterhaltung zwiſchen Herrn v. Kiderlen-
Waechter und Herrn Cambon eine Unterbrechung erfahren
habe. Wie lange dieſe Pauſe dauern ſoll, darüber weiß
man nichts. Daß eine ſolche Verzögerung gerade in dieſem
Augenblicke nicht eben einen verheißungsvol-
len Eindruck
machen kann, liegt auf der Hand. Es
konnte deshalb auch nicht überraſchen, daß ſich die Nervoſi-
tät nicht bloß im deutſchen Volke, ſondern noch mehr in
Frankreich wieder verſtärkte.

Die „Kreuzzeitung“ mißt dem Umſtande, daß
die deutſch-franzöſiſchen Verhandlungen unterbrochen wur-
den, eine beſondere Bedeutung bei und ſagt, daß
die Unterbrechung entweder der Vorläufer einer raſchen
Beſſerung oder einer Verſchlimmerung der Lage ſein wird.
„Die Verhandlungen ſind offenbar an einem Punkte an-
gelangt, an dem es gilt, wichtige Entſchließun-
gen
zu faſſen, und die franzöſiſche Regierung iſt bereits
in Erwägungen darüber eingetreten, ob ſich dieſe Ent-
ſchlüſſe in einem dem deutſchen Standpunkte entgegen-
kommenden Sinne bewegen ſollen oder nicht.“

Weiter ſagt die „Kreuzzeitung“: „Durch das Vor-
gehen Frankreichs werden wir genötigt, zur Zeit unſere
wirtſchaftlichen Intereſſen in Marokko ſelbſt zu ſchützen.
Verſchmäht es Frankreich nun, ſich mit uns freundſchaft-
lich zu verſtändigen, ſo werden wir dieſen Schutz unſerer
wirtſchaftlichen Intereſſen in Marokko auch in Zukunft
ſelbſt ausüben müſſen, und andere Mächte dürf-
ten ſich dann in die gleiche Lage verſetzt ſehen. Das gewalt-
ſam zu verhindern, würde aber für Frankreich ein ſehr be-
denkliches Unterfangen darſtellen, und deshalb ſind wir
der feſten Hoffnung, daß nach der Pauſe die Verhandlun-
gen fortgeführt werden und man zu einer endlichen Ver-
ſtändigung gelangen wird. Je mehr man während deſſen
in Frankreich mit dem Säbel raſſelt, deſto feſter wird man
in Berlin auf allen Forderungen verharren müſſen, denn
es würde der Ehre eines großen und ſtarken Volkes
nicht entſprechen, auf die Androhung gewalt-
ſamer Mittel hin auch nur einen Schritt
zurückzuweichen.

Säbelgeraſſel in der Pariſer Preſſe.

„Matin“ und „Echo de Paris“
ergehen ſich in ihren geſtrigen Ausgaben anläßlich der Un-
terbrechungen der deutſch-franzöſiſchen Marokkoverhand-
lungen in wüſten Kriegshetzereien gegen
Deutſchlands.
So führt der „Matin“ in ſeinem Leit-
artikel eine Sprache gegen Deutſchland, die an Schärfe
nichts zu wünſchen übrig läßt. Er vergleicht Deutſchland
und Frankreich in ihrer Haltung bei den Verhandlungen




[Spaltenumbruch]

fand in ihr dieſelbe amüſante Partnerin bei der Unter-
haltung, die ihn früher ſo gefeſſelt hatte.

Sie war noch ſchöner geworden. Ein Kunſtwerk frei-
lich ... aber ein gut zurecht gemachtes, geſchmackvoll zu-
ſammengeſtelltes Kunſtwerk, das man gern anſchaute.
Unter dem Panama, der an einer Seite hochgeſchlagen
war, ſchimmerten Haare in den hellſten Goldtönen. Die
dunkeln Augenbrauen, denen der Stift ein wenig nach-
geholfen hatte, ließen die blauen Augen ausdrucksvoller
erſcheinen. Vielleicht war die Naſe etwas zu lang für die
kindlichen Züge und den ſüßen Mund, deſſen rote Lippen
unberührt ſchienen und ſtets liebenswürdig lächelten, daß
die kleinen regelmäßigen Zähne zum Vorſchein kamen.

Griepenow nahm ſein Skizzenbuch vor und verſuchte,
Evas Bild mit ein paar Strichen feſtzuhalten. Die junge
Frau ſaß ſtill, die ſchönen Hände auf ihrem Schoß, und
blickte ſiegesbewußt zu dem Maler hin ... Wie lange
ſie ſchon auf dem Waſſer waren, wußten beide nicht. Plötz-
lich hörten ſie die Stimme des Schiffers.

„Wir müſſen wenden“, ſagte er. „Der Wind hat ſich
gedreht. Wechſeln Sie die Plätze! Raſch!“

Eva ging auf die gegenüberliegende Seite, und der
Profeſſor wollte ihr folgen, als der ausbrechende Sturm
den Maſt vom Segel herumwarf. Griepenow zuckte zu-
ſammen und faßte mit der Linken an ſeinen rechten
Mittelfinger. Aber die anderen achteten nicht darauf.

Die beiden Schiffer arbeiteten an den Segeln, gegen
die der Wind mit aller Gewalt blies. Eva ſchlang einen
goldgelben Schal über ihren Kopf, um den Hut feſtzu-
halten. Sie wußte, daß dieſe Farbe gut zu ihrem Haar
ſtand, und erwartete ein paar galante Worte des Künſt-
lers. Aber Griepenow ſchien ſie gar nicht mehr zu be-
merken.

Einzelne dicke Regentropfen fielen.

„Wir ſind doch noch vor Ausbruch des Gewitters zu
Hauſe?“ fragte die junge Frau ängſtlich und ſah be-
klommen, wie das eben noch ſo klare Waſſer eine ſchmutzig
graue Farbe annahm, und Rieſenwellen ſich türmten, die
hoch aufſpritzten, wenn das Boot ſie durchſchnitt. Einer
der Schiffer nahm unter dem Sitz eine Oeldecke vor und
wickelte Eva darin ein. Sie ſchmollte mit dem Profeſſor,
der ganz ſtill geworden und mit zuſammengebiſſenen
[Spaltenumbruch] Zähnen neben ihr ſaß. Sein Finger ſchmerzte furchtbar.

„Drei Menſchenleben fordert das Waſſer heute“,
ging’s Eva durch den Kopf. Ihr wurde ſchwindelig. Sie
fühlte, wie das Boot hin- und herſchwankte. Trotz der
Decke durchdrang die Näſſe ſie. Sie ſchüttelte ſich vor Kälte
und dachte doch immer nur das eine: wenn ſie doch die
Fahrt überlebte, ... ſollten die anderen drei auch unter-
gehen, nur ſie nicht ... nur ſie nicht!“

— — — — — — — — — — — —

Als Eva aus dem Boot gehoben wurde, ſah ſie aus,
wie ein graugelbes Kücken, das man auf den Oſterkarten
ſieht. Nur die Naſe guckte ſpitz und ſcharf wie ein Schnabel
aus der gelben naſſen Hülle vor. Milli brachte ſie gleich zu
Bett und gab ihr Glühwein zu trinken. Nachdem Eva
eingeſchlafen war, ging die Aerztin zu dem anderen Pa-
tienten.

Mit Hilfe des Pikkolo hatte der Profeſſor ſich umge-
zogen und ſaß mit ſchmerzhaft verzogenem Geſicht am
Fenſter, als Milli ſich bei ihm anmelden ließ. Sie ſah bei
der Unterſuchung ſofort, daß der Mittelfinger der rechten
Hand gebrochen war.

Griepenow verbiß den Schmerz. „Teufel! Und ge-
rade den rechten mußte der Maſt ſich ausſuchen, um da-
rauf zu fallen! Da hat meine Kunſt auf einige Zeit ein
Ende, und Ihre Kunſt fängt an ... langwierige Sache?“
fragte er, während ſie verband.

„Ein paar Wochen“, gab ſie zur Antwort. „Die Hand
iſt möglichſt ruhig zu halten, Herr Profeſſor. Bei den
Mahlzeiten werden Eva und ich Ihnen ſchon helfen.“
Dann ſchüttelte ſie ihm die Linke und ging.

Griepenow war nun täglich in Geſellſchaft der jungen
Frau Bornemann und ihrer Kouſine am Strande zu
ſehen. Je länger er mit Eva zuſammen war, deſto ruhiger
und unbefangener wurde er ihr gegenüber. Luſtig, kokett
und amüſant war ſie, die ſchöne Frau ... aber wie
dankbar mußte er ihr doch ſein, daß ſie damals ſeine Hand
ausgeſchlagen hatte. Denn, wenn er überhaupt noch hei-
ratete, dann wollte er einen ganzen Kerl haben zur Le-
bensgefährtin — kein Kunſtwerk, das der erſte beſte Ge-
witterregen ruinierte ...

Er ſaß auf ſeinem Balkon, blätterte in der Zeitung,
ohne ſie zu leſen, und dachte dabei an Milli Krüger, —
[Spaltenumbruch] an das Fräulein Glückspilz, wie er ſie nannte, — denn
der Titel „Fräulein Doktor“ mißfiel ihm. Heute ſollte
ſie ihm den letzten Verband abnehmen und ſehen, ob der
Finger ordentlich geheilt war.

Da drüben kam ſie über die Straße. Schon ihren
Gang anzuſehen, war für einen Künſtler eine Wohltat!
Sie trippelte nicht weibiſch: ſie ging wie ein forſcher Kerl,
der ſie ja auch war.

„Herein!“ rief er freudig, als ſie anklopfte.

Milli trug ein helles Waſchkleid mit weißem Ma-
troſenkragen. Sie ſah heute jünger aus als ſie war. „Mein
letzter Beſuch!“ begrüßte ſie luſtig den Profeſſor. „Freuen
Sie ſich!“ Dann löſte ſie den Verband und unterſuchte
ſorgfältig den Finger. „Er iſt glatt geheilt. Gratuliere!
Heute dürfen Sie mir ſogar die Rechte geben und ſachte
ſchütteln.“

„Teufel!“ brummte er. „Wie zeig’ ich Ihnen denn
nun meine Dankbarkeit!“ Dabei hielt er ihre Hand feſt
und griff mit der Linken nach ihrer anderen.

Und während er ihre Hände hielt, wurde es ihm zur
Gewißheit: ſo ein Mädel, das wär’ die rechte für ihn!
Wenn ſie bloß nicht immer ſo verwünſcht ſicher und ſelbſt-
bewußt ausgeſehen hätte, während ſie zu ihm ſprach. Na-
türlich würde ſie ihn einfach auslachen, ſobald er ...

Aber flimmerten nicht ihre Augen ganz merkwürdig
heute? Zitterten ihree Hände nicht doch ein wenig, wie ſie
in den ſeinen lagen?

„Was denn? Was wollen Sie denn noch?“ Das
klang wie leiſe Glockentöne.

„Sie ſelber will ich, Fräulein Glückspilz, und wenn
Sie nicht ſofort Ja ſagen ...“

„Aber ich ſage ja .. ja ... ja ...“, lachte ſie
glücklich. Und dann zog ſie ihn an der Hand die Treppen
hinunter, und ſie gingen Arm in Arm nach dem Strande,
wo Eva ſaß und ſie erſtaunt anſah.

„Bitt’ Sie, kommt ja gerade ſo an, als ob —“

„Jawohl ... ganz richtig ... ſind wir auch!“
unterbrach ſie der Profeſſor. „Schöne Frauen ſind
ahnungsvolle Engel. Sie können der Familie Glückspilz
gratulieren.“




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[2/0002] Czernowitzer Allgemeine Zeitung 22. Auguſt 1911. können, an welche die maßgebenden Stellen ſich als an einen zutreffenden Ratſchlag halten dürfen, ohne befürch- ten zu müſſen, daß ihnen das Volk die Abſolution für die angekündigte Aktion zur Förderung der Rindviehzucht verweigern wird, falls ihr nicht die unvermeidlichen En- queten vorangehen. Der Viehbeſtand muß aufgebeſſert und erhöht werden. Das iſt, wenn die Fleiſchteuerung nicht zu einer ſtändigen Miſere werden ſoll, nur durch ein Schutzgeſetz, welches die Tötung der weiblichen Kälber re- guliert und durch eine ausgiebige Aneiferung der Zucht vermittelſt Ausſetzung reichlicher Prämien möglich. Hand in Hand damit hat ſebſtverſtändlich die Förderung des Futterbaues zu gehen, da billiges Fleiſch bei teueren Futterpreiſen nicht geliefert werden kann. Andere Mittel zur Hebung der Inlandsproduktion und Erzielung eines entſprechenden Marktkontingents exiſtieren wohl kaum, es wäre denn, daß der Staat ſelbſt in großem Maßſtabe zu produzieren verſuchte. Selbſt bei ſofortigem Inkraft- treten von Maßregeln im Sinne vorgedachter Ausführun- gen kann ſich das angeſtrebte Reſultat, die Ermäßigung der Fleiſchpreiſe, natürlich nicht vor Ablauf von einigen Jahren einſtellen und die Frage, wie dem gegenwärtigen Fleiſchmangel geſteuert werden ſoll, ob im Wege der Ein- fuhr lebenden oder geſchlachteten Viehes aus Serbien, aus Rumänien oder aus überſeeiſchen Ländern, wird durch die Förderung der inländiſchen Viehzucht vorläufig gar nicht tangiert. Aber gerade die Tatſache, daß wir mehr Geld über die Grenzen ſchicken, als nötig wäre, wenn die vorhandenen natürlichen Bedingungen ausgenützt wür- den, die merkwürdige Erſcheinung, daß wir für nicht einmal gutes Geld ſoviel bekommen können als wir brauchen, weil es dem lieben Nachbar jenſeits der Leittha gefällt, den Hunger Oeſterreichs zum Gegenſtand ſeines Profitchens zu machen, illuſtrieren die ganze Son- derlichkeit der Situation, in welcher der Staat ſich be- findet und erweiſen auf das Allerſchärfſte die Notwendig- keit, wirklich ſogleich mit „Maßnahmen“ zu beginnen, ſtatt erſt mit Abſichten herumzutändeln. Das ſerbiſche Einfuhrskontingent iſt erſchöpft, argentiniſches Fleiſch darf nicht herein, Rumänien hat zwar ein Exportſchlacht- haus, aber wie es ſcheint, kein Vieh, und wir ſelbſt haben erſt recht keins. Bleibt nur der Import aus dem durch den ſtarken Erwerbsſinn ſeiner Agrarier ausgezeichneten Ungarn, das uns alſo die unerſchwinglichſten Preiſe dik- tieren kann, ohne daß wir muckſen dürfen, denn — Ver- tragstreue über alles, ſelbſt bis zum Verhungern. Das gewöhnliche Recht erklärt Verträge unmoraliſcher Natur als unverbindlich. Aus dem unmoraliſchen Weſen eines zwiſchen Staaten geſchloſſenen Vertrages, der ſich der Be- urteilung na landläufigen Rechtsanſchauungen natür- lich entzieht, ſollte wenigſtens die Moral gezogen werden, daß es empfehlenswerter iſt, ſich auf die eigenen Kräfte zu verlaſſen, als auf den intereſſenbeeinflußten, immer etwas eigennützigen „guten“ Willen des Anderen. Die Lehren, die Oeſterreich ſchon erhalten hat, ſollten hin- reichend empfindlich geweſen ſein, es aus dem ewig rottierenden Kreiſe ſeiner Abſichten hinauszutreiben auf das Feld energiſcher Taten. Keine weitere Einfuhr argentiniſchen Fleiſches. Wien, 19. Auguſt. Wie das k. k. Telegraphen-Kor- reſpondenz-Bureau vernimmt, hat die öſterreichiſche Re- gierung auf Grund des von den Reſſortvertretern am 17. Auguſt erſtatteten Berichtes über die am Vortage in Budapeſt gepflogenen Verhandlungen in der Fleiſchfrage bereits im Laufe desſelben Tages in einer Depeſche die ungariſcherſeits als Hauptpunkte bezeichneten Gegen- konzeſſionen abgelehnt. Nachdem auch für die Einfuhr eines in Trieſt lagernden Quantums von etwa 700 Tonnen die Zuſtimmung der königlich ungariſchen Regierung nicht zu erlangen war, ſo müſſen nach der be- ſtehenden Rechtslage alle der Regierung vorliegenden An- ſuchen um Einfuhrbewilligung argentini- ſchen Fleiſches abgewieſen werden. 50perzentige Tarifermäßigung für Horn-, Stechvieh und Fleiſch auf allen Linien der Staatsbahn. Wien, 20. Auguſt. Die „Rathauskorreſpondenz“ meldet: Vertreter des Magiſtrats haben an einer unter Vorſitz des Sektionschefs Sonnenſchein im Eiſenbahn- miniſterium abgehaltenen Beſprechung der Vertreter der verſchiedenen Reſſortminiſterien in Angelegenheit der Fleiſchfrage teilgenommen. Nach der Mitteilung des Vor- ſitzenden iſt die Regierung bereit, eine 50 perzenitge Tarifermäßigung für Horn- und Stechvieh und für Fleiſch auf ſämtlichen Linien der öſter- reichiſchen Staatsbahnen bei einer Entfernung von mehr als hundert Kilometern zuzugeſtehen. Hinſicht- lich der Linien Marchegg—Wien und Bruck—Wien wird dieſe Ermäßigung ohne Beſchränkung auf die Kilometer- entfernung zugeſtanden. Dieſe Ermäßigung gilt nicht bloß für Sammel-, ſondern auch für Stückſendungen ſo- wie für das am Marxer Viehmarkte einlangende Vieh, wenn auch dasſelbe in den Wiener Schlachthäuſern nicht zur Schlachtung kommt. Bezüglich der in den Wiener Schlachthäuſern geſchlachteten Tiere wird jedoch bedungen, daß das Fleiſch aus dieſen Schlachthäuſern nur per Achſe verführt werden darf. Dieſe Begünſtigung ſoll nicht bloß für Wien und Prag erteilt, ſondern auch auf andere Städte ausgedehnt werden und ſoll ſchon Dienſtag, den 22. d. M., und zwar bis auf Widerruf, längſtens für die Dauer bis Ende November d. J., in Kraft treten. Hingegen ſoll die Gemeinde Wien die Herabſetzung der Schlacht- und der Marktgebühr in dem gleichen Umfange wie im Vorjahre und auf dieſelbe obenangeführte Zeit zugeſtehen. Rumäniſche Fleiſchſendungen nach Wien. Bukareſt, 20 Auguſt. Den Abendblättern zufolge wird Montag, den 21. d. M. vom neuerrichteten Schlacht- haus in Turn-Severin eine Sendung rumäniſchen Flei- ſches direkt nach Wien abgehen. Dieſer Fleiſchſendung am Montag — man ſpricht von einer Waggonladung — ſoll gleich in der darauffolgenden Woche eine weitere Sen- dung folgen. Vom Tage. Czernowitz, 21. Auguſt. Das deutſch-ruſſiſche Abkommen perfekt. Petersburg, 19. Auguſt. Das Abkommen zwiſchen Deutſchland und Rußland bezüglich Perſiens und der Bagdadbahn iſt heute hier vom deutſchen Botſchafter und vom ruſſiſchen Stellvertreter des Miniſters des Aeußern unter zeichnet worden. Im Abkommen ſind eingehende Beſtimmungen bezüglich des Auſchluſſes der Bagdadbahn an das künftige Eiſenbahnnetz. Damit iſt deutſchen Handel ein wertvoller Zugang an das nördliche Perſien gewährleiſtet. Gleich in der Einleitung ſpricht das Abkommen den Grundſatz aus, daß der Handel aller Nationen in Perſien gleichberechtigt iſt. Die Bewegungsfreiheit des deutſchen Handels auf perſiſchem Boden hat hiedurch eine neue vertragsmäßige Feſtſtellungg erfahren. Die Unterzeichnung der Noten im gegenwärtigen Zeitpunkt beweiſt, daß die Be- ziehungen Deutſchlands zu Rußland durch die marokkaniſchen Schwierigkeiten nicht berührt worden ſind. Der Stillſtand in den Marokko- verhandlungen. Berliner Zeitungsſtimmen. Berlin, 20. Auguſt. Das „Berliner Tage- blatt“ ſchreibt in ſeiner Sonntags-Wochenſchau über den gegenwärtigen Stand der Marokkoverhandlungen: „Die einzige und nicht gerade tröſtliche Meldung be- ſagt, daß die Unterhaltung zwiſchen Herrn v. Kiderlen- Waechter und Herrn Cambon eine Unterbrechung erfahren habe. Wie lange dieſe Pauſe dauern ſoll, darüber weiß man nichts. Daß eine ſolche Verzögerung gerade in dieſem Augenblicke nicht eben einen verheißungsvol- len Eindruck machen kann, liegt auf der Hand. Es konnte deshalb auch nicht überraſchen, daß ſich die Nervoſi- tät nicht bloß im deutſchen Volke, ſondern noch mehr in Frankreich wieder verſtärkte. Die „Kreuzzeitung“ mißt dem Umſtande, daß die deutſch-franzöſiſchen Verhandlungen unterbrochen wur- den, eine beſondere Bedeutung bei und ſagt, daß die Unterbrechung entweder der Vorläufer einer raſchen Beſſerung oder einer Verſchlimmerung der Lage ſein wird. „Die Verhandlungen ſind offenbar an einem Punkte an- gelangt, an dem es gilt, wichtige Entſchließun- gen zu faſſen, und die franzöſiſche Regierung iſt bereits in Erwägungen darüber eingetreten, ob ſich dieſe Ent- ſchlüſſe in einem dem deutſchen Standpunkte entgegen- kommenden Sinne bewegen ſollen oder nicht.“ Weiter ſagt die „Kreuzzeitung“: „Durch das Vor- gehen Frankreichs werden wir genötigt, zur Zeit unſere wirtſchaftlichen Intereſſen in Marokko ſelbſt zu ſchützen. Verſchmäht es Frankreich nun, ſich mit uns freundſchaft- lich zu verſtändigen, ſo werden wir dieſen Schutz unſerer wirtſchaftlichen Intereſſen in Marokko auch in Zukunft ſelbſt ausüben müſſen, und andere Mächte dürf- ten ſich dann in die gleiche Lage verſetzt ſehen. Das gewalt- ſam zu verhindern, würde aber für Frankreich ein ſehr be- denkliches Unterfangen darſtellen, und deshalb ſind wir der feſten Hoffnung, daß nach der Pauſe die Verhandlun- gen fortgeführt werden und man zu einer endlichen Ver- ſtändigung gelangen wird. Je mehr man während deſſen in Frankreich mit dem Säbel raſſelt, deſto feſter wird man in Berlin auf allen Forderungen verharren müſſen, denn es würde der Ehre eines großen und ſtarken Volkes nicht entſprechen, auf die Androhung gewalt- ſamer Mittel hin auch nur einen Schritt zurückzuweichen.“ Säbelgeraſſel in der Pariſer Preſſe. Paris, 20. Auguſt. „Matin“ und „Echo de Paris“ ergehen ſich in ihren geſtrigen Ausgaben anläßlich der Un- terbrechungen der deutſch-franzöſiſchen Marokkoverhand- lungen in wüſten Kriegshetzereien gegen Deutſchlands. So führt der „Matin“ in ſeinem Leit- artikel eine Sprache gegen Deutſchland, die an Schärfe nichts zu wünſchen übrig läßt. Er vergleicht Deutſchland und Frankreich in ihrer Haltung bei den Verhandlungen fand in ihr dieſelbe amüſante Partnerin bei der Unter- haltung, die ihn früher ſo gefeſſelt hatte. Sie war noch ſchöner geworden. Ein Kunſtwerk frei- lich ... aber ein gut zurecht gemachtes, geſchmackvoll zu- ſammengeſtelltes Kunſtwerk, das man gern anſchaute. Unter dem Panama, der an einer Seite hochgeſchlagen war, ſchimmerten Haare in den hellſten Goldtönen. Die dunkeln Augenbrauen, denen der Stift ein wenig nach- geholfen hatte, ließen die blauen Augen ausdrucksvoller erſcheinen. Vielleicht war die Naſe etwas zu lang für die kindlichen Züge und den ſüßen Mund, deſſen rote Lippen unberührt ſchienen und ſtets liebenswürdig lächelten, daß die kleinen regelmäßigen Zähne zum Vorſchein kamen. Griepenow nahm ſein Skizzenbuch vor und verſuchte, Evas Bild mit ein paar Strichen feſtzuhalten. Die junge Frau ſaß ſtill, die ſchönen Hände auf ihrem Schoß, und blickte ſiegesbewußt zu dem Maler hin ... Wie lange ſie ſchon auf dem Waſſer waren, wußten beide nicht. Plötz- lich hörten ſie die Stimme des Schiffers. „Wir müſſen wenden“, ſagte er. „Der Wind hat ſich gedreht. Wechſeln Sie die Plätze! Raſch!“ Eva ging auf die gegenüberliegende Seite, und der Profeſſor wollte ihr folgen, als der ausbrechende Sturm den Maſt vom Segel herumwarf. Griepenow zuckte zu- ſammen und faßte mit der Linken an ſeinen rechten Mittelfinger. Aber die anderen achteten nicht darauf. Die beiden Schiffer arbeiteten an den Segeln, gegen die der Wind mit aller Gewalt blies. Eva ſchlang einen goldgelben Schal über ihren Kopf, um den Hut feſtzu- halten. Sie wußte, daß dieſe Farbe gut zu ihrem Haar ſtand, und erwartete ein paar galante Worte des Künſt- lers. Aber Griepenow ſchien ſie gar nicht mehr zu be- merken. Einzelne dicke Regentropfen fielen. „Wir ſind doch noch vor Ausbruch des Gewitters zu Hauſe?“ fragte die junge Frau ängſtlich und ſah be- klommen, wie das eben noch ſo klare Waſſer eine ſchmutzig graue Farbe annahm, und Rieſenwellen ſich türmten, die hoch aufſpritzten, wenn das Boot ſie durchſchnitt. Einer der Schiffer nahm unter dem Sitz eine Oeldecke vor und wickelte Eva darin ein. Sie ſchmollte mit dem Profeſſor, der ganz ſtill geworden und mit zuſammengebiſſenen Zähnen neben ihr ſaß. Sein Finger ſchmerzte furchtbar. „Drei Menſchenleben fordert das Waſſer heute“, ging’s Eva durch den Kopf. Ihr wurde ſchwindelig. Sie fühlte, wie das Boot hin- und herſchwankte. Trotz der Decke durchdrang die Näſſe ſie. Sie ſchüttelte ſich vor Kälte und dachte doch immer nur das eine: wenn ſie doch die Fahrt überlebte, ... ſollten die anderen drei auch unter- gehen, nur ſie nicht ... nur ſie nicht!“ — — — — — — — — — — — — Als Eva aus dem Boot gehoben wurde, ſah ſie aus, wie ein graugelbes Kücken, das man auf den Oſterkarten ſieht. Nur die Naſe guckte ſpitz und ſcharf wie ein Schnabel aus der gelben naſſen Hülle vor. Milli brachte ſie gleich zu Bett und gab ihr Glühwein zu trinken. Nachdem Eva eingeſchlafen war, ging die Aerztin zu dem anderen Pa- tienten. Mit Hilfe des Pikkolo hatte der Profeſſor ſich umge- zogen und ſaß mit ſchmerzhaft verzogenem Geſicht am Fenſter, als Milli ſich bei ihm anmelden ließ. Sie ſah bei der Unterſuchung ſofort, daß der Mittelfinger der rechten Hand gebrochen war. Griepenow verbiß den Schmerz. „Teufel! Und ge- rade den rechten mußte der Maſt ſich ausſuchen, um da- rauf zu fallen! Da hat meine Kunſt auf einige Zeit ein Ende, und Ihre Kunſt fängt an ... langwierige Sache?“ fragte er, während ſie verband. „Ein paar Wochen“, gab ſie zur Antwort. „Die Hand iſt möglichſt ruhig zu halten, Herr Profeſſor. Bei den Mahlzeiten werden Eva und ich Ihnen ſchon helfen.“ Dann ſchüttelte ſie ihm die Linke und ging. Griepenow war nun täglich in Geſellſchaft der jungen Frau Bornemann und ihrer Kouſine am Strande zu ſehen. Je länger er mit Eva zuſammen war, deſto ruhiger und unbefangener wurde er ihr gegenüber. Luſtig, kokett und amüſant war ſie, die ſchöne Frau ... aber wie dankbar mußte er ihr doch ſein, daß ſie damals ſeine Hand ausgeſchlagen hatte. Denn, wenn er überhaupt noch hei- ratete, dann wollte er einen ganzen Kerl haben zur Le- bensgefährtin — kein Kunſtwerk, das der erſte beſte Ge- witterregen ruinierte ... Er ſaß auf ſeinem Balkon, blätterte in der Zeitung, ohne ſie zu leſen, und dachte dabei an Milli Krüger, — an das Fräulein Glückspilz, wie er ſie nannte, — denn der Titel „Fräulein Doktor“ mißfiel ihm. Heute ſollte ſie ihm den letzten Verband abnehmen und ſehen, ob der Finger ordentlich geheilt war. Da drüben kam ſie über die Straße. Schon ihren Gang anzuſehen, war für einen Künſtler eine Wohltat! Sie trippelte nicht weibiſch: ſie ging wie ein forſcher Kerl, der ſie ja auch war. „Herein!“ rief er freudig, als ſie anklopfte. Milli trug ein helles Waſchkleid mit weißem Ma- troſenkragen. Sie ſah heute jünger aus als ſie war. „Mein letzter Beſuch!“ begrüßte ſie luſtig den Profeſſor. „Freuen Sie ſich!“ Dann löſte ſie den Verband und unterſuchte ſorgfältig den Finger. „Er iſt glatt geheilt. Gratuliere! Heute dürfen Sie mir ſogar die Rechte geben und ſachte ſchütteln.“ „Teufel!“ brummte er. „Wie zeig’ ich Ihnen denn nun meine Dankbarkeit!“ Dabei hielt er ihre Hand feſt und griff mit der Linken nach ihrer anderen. Und während er ihre Hände hielt, wurde es ihm zur Gewißheit: ſo ein Mädel, das wär’ die rechte für ihn! Wenn ſie bloß nicht immer ſo verwünſcht ſicher und ſelbſt- bewußt ausgeſehen hätte, während ſie zu ihm ſprach. Na- türlich würde ſie ihn einfach auslachen, ſobald er ... Aber flimmerten nicht ihre Augen ganz merkwürdig heute? Zitterten ihree Hände nicht doch ein wenig, wie ſie in den ſeinen lagen? „Was denn? Was wollen Sie denn noch?“ Das klang wie leiſe Glockentöne. „Sie ſelber will ich, Fräulein Glückspilz, und wenn Sie nicht ſofort Ja ſagen ...“ „Aber ich ſage ja .. ja ... ja ...“, lachte ſie glücklich. Und dann zog ſie ihn an der Hand die Treppen hinunter, und ſie gingen Arm in Arm nach dem Strande, wo Eva ſaß und ſie erſtaunt anſah. „Bitt’ Sie, kommt ja gerade ſo an, als ob —“ „Jawohl ... ganz richtig ... ſind wir auch!“ unterbrach ſie der Profeſſor. „Schöne Frauen ſind ahnungsvolle Engel. Sie können der Familie Glückspilz gratulieren.“

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Zitationshilfe: Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 2277, Czernowitz, 22.08.1911, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer2277_1911/2>, abgerufen am 23.11.2024.