Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 178, Czernowitz, 19.03.1918."Czern. Allg. Zeitung" und "Czern. Tagblatt". Nr. 178. und befördert die Entwicklung des Kindes. Selbstredend trägt hiezu eine gute und genügende Menge der Nahrung bei. Die dem Kinde in späteren Kindesalter ent- sprechende Dauer des Schlafes soll, nament- lich, wenn Gehirnarbeit durch das Kind geleistet wird, mindestens 10 Stunden be- tragen. Nun beginnt die Schule in der Regel um 8 Uhr früh. In Wirklichkeit ist dies 7 Uhr. Das Kind wird also meist schon um 6 Uhr seinen Schlaf beendigen müssen; der Beginn des Schlafes sollte also für acht Uhr abends angesetzt werden. Freilich zeigt dann die nach der Sonnen- zeit gerichtete Uhr bereits neun Uhr; um diese Zeit ist aber noch taghell, dadurch ist das Kind verhindert, seine Nachtruhe recht- zeitig zu beginnen und wird meistens fast eine Stunde des kostbaren Schlafes ver- lieren. Noch etwas kommt dazu, was die Situation ungemein verschärft: Es ist die gegenwärtige Unterernährung des Kindes." Zur Zeit meiner Tätigkeit hat man auch Nun denke man aber an die gegenwär- [] Verantwortlicher Redakteur: Arnold Schwarz. Bukowinaer Vereinsdruckerei in Czernowitz, Ringplatz 3 „Czern. Allg. Zeitung“ und „Czern. Tagblatt“. Nr. 178. und befördert die Entwicklung des Kindes. Selbſtredend trägt hiezu eine gute und genügende Menge der Nahrung bei. Die dem Kinde in ſpäteren Kindesalter ent- ſprechende Dauer des Schlafes ſoll, nament- lich, wenn Gehirnarbeit durch das Kind geleiſtet wird, mindeſtens 10 Stunden be- tragen. Nun beginnt die Schule in der Regel um 8 Uhr früh. In Wirklichkeit iſt dies 7 Uhr. Das Kind wird alſo meiſt ſchon um 6 Uhr ſeinen Schlaf beendigen müſſen; der Beginn des Schlafes ſollte alſo für acht Uhr abends angeſetzt werden. Freilich zeigt dann die nach der Sonnen- zeit gerichtete Uhr bereits neun Uhr; um dieſe Zeit iſt aber noch taghell, dadurch iſt das Kind verhindert, ſeine Nachtruhe recht- zeitig zu beginnen und wird meiſtens faſt eine Stunde des koſtbaren Schlafes ver- lieren. Noch etwas kommt dazu, was die Situation ungemein verſchärft: Es iſt die gegenwärtige Unterernährung des Kindes.“ Zur Zeit meiner Tätigkeit hat man auch Nun denke man aber an die gegenwär- [] Verantwortlicher Redakteur: Arnold Schwarz. Bukowinaer Vereinsdruckerei in Czernowitz, Ringplatz 3 <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0004" n="4"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">„Czern. Allg. Zeitung“ und „Czern. Tagblatt“. Nr. 178.</hi></fw><lb/> und befördert die Entwicklung des Kindes.<lb/> Selbſtredend trägt hiezu eine gute und<lb/> genügende Menge der Nahrung bei. 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Noch etwas kommt dazu, was die<lb/> Situation ungemein verſchärft: Es iſt die<lb/> gegenwärtige Unterernährung des Kindes.“</p><lb/> <p>Zur Zeit meiner Tätigkeit hat man auch<lb/> einmal, der tropiſchen Hitze wegen, den<lb/> Unterricht von 7 Uhr früh angeſetzt, die<lb/> Folge davon war, daß das Kommen der<lb/> Kinder mehr als eine halbe Stunde dauerte,<lb/> dadurch der Unterricht in dieſer Stunde<lb/> geradezu illuſoriſch wurde. Strafen, Rügen<lb/> nutzten nichts. Als die Mütter vorgeladen<lb/> wurden, ſagte die eine, es wäre ihr ſchwer,<lb/> ſo zeitlich das Frühſtück zu geben, die andere<lb/> gute Mutter erklärte, daß es ihr leid ſei,<lb/> ihr Kind ſo früh zu wecken. Möge hier<lb/> noch ein Beiſpiel angeführt werden: Ich<lb/> hatte in der Klaſſe ein kleines Mädchen,<lb/> die eine ſaumſelige Mutter hatte. Die<lb/> Mutter entließ das Kind jeden Tag ohne<lb/> Frühſtück in die Schule. Die erſte Stunde<lb/> war die Kleine munter und aufmerkſam,<lb/> dann wurde ſie zerſtreut, ſchweigſam, müde.<lb/> Ein Verweis brachte einen Tränenſtrom<lb/> mit dem Bekennen, ſie ſei hungrig, ohne<lb/> Frühſtück. Ich ließ durch den Schuldiener<lb/> 2 Semmeln holen, die ſie ſofort verzehrte.<lb/> Mit dem Verſchwinden der Semmeln kam<lb/> auch die Lernluſt.</p><lb/> <p>Nun denke man aber an die gegenwär-<lb/> tigen Schulkinder, die alle ſchlechter ernährt<lb/> ſind als früher und manchen Hunger ver-<lb/> ſchlafen müſſen, denn ihre Nahrung iſt<lb/> ſowohl quantitativ als auch qualitativ<lb/> völlig unzureichend. Ein geſunder Nachwuchs<lb/> iſt doch der größte Staatsſchatz. Soll man<lb/> da den armen Kindern auch noch den<lb/> Schlaf kürzen? — Sollte meiner Polemik<lb/> ein Erlaß ein Hindernis ſein, ſo würde<lb/> eine Vorſtellung beim Herrn Landeschef<lb/> beſtimmt nützen.</p> <byline> <hi rendition="#aq">I. 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„Czern. Allg. Zeitung“ und „Czern. Tagblatt“. Nr. 178.
und befördert die Entwicklung des Kindes.
Selbſtredend trägt hiezu eine gute und
genügende Menge der Nahrung bei. Die
dem Kinde in ſpäteren Kindesalter ent-
ſprechende Dauer des Schlafes ſoll, nament-
lich, wenn Gehirnarbeit durch das Kind
geleiſtet wird, mindeſtens 10 Stunden be-
tragen. Nun beginnt die Schule in der
Regel um 8 Uhr früh. In Wirklichkeit iſt
dies 7 Uhr. Das Kind wird alſo meiſt
ſchon um 6 Uhr ſeinen Schlaf beendigen
müſſen; der Beginn des Schlafes ſollte
alſo für acht Uhr abends angeſetzt werden.
Freilich zeigt dann die nach der Sonnen-
zeit gerichtete Uhr bereits neun Uhr; um
dieſe Zeit iſt aber noch taghell, dadurch iſt
das Kind verhindert, ſeine Nachtruhe recht-
zeitig zu beginnen und wird meiſtens faſt
eine Stunde des koſtbaren Schlafes ver-
lieren. Noch etwas kommt dazu, was die
Situation ungemein verſchärft: Es iſt die
gegenwärtige Unterernährung des Kindes.“
Zur Zeit meiner Tätigkeit hat man auch
einmal, der tropiſchen Hitze wegen, den
Unterricht von 7 Uhr früh angeſetzt, die
Folge davon war, daß das Kommen der
Kinder mehr als eine halbe Stunde dauerte,
dadurch der Unterricht in dieſer Stunde
geradezu illuſoriſch wurde. Strafen, Rügen
nutzten nichts. Als die Mütter vorgeladen
wurden, ſagte die eine, es wäre ihr ſchwer,
ſo zeitlich das Frühſtück zu geben, die andere
gute Mutter erklärte, daß es ihr leid ſei,
ihr Kind ſo früh zu wecken. Möge hier
noch ein Beiſpiel angeführt werden: Ich
hatte in der Klaſſe ein kleines Mädchen,
die eine ſaumſelige Mutter hatte. Die
Mutter entließ das Kind jeden Tag ohne
Frühſtück in die Schule. Die erſte Stunde
war die Kleine munter und aufmerkſam,
dann wurde ſie zerſtreut, ſchweigſam, müde.
Ein Verweis brachte einen Tränenſtrom
mit dem Bekennen, ſie ſei hungrig, ohne
Frühſtück. Ich ließ durch den Schuldiener
2 Semmeln holen, die ſie ſofort verzehrte.
Mit dem Verſchwinden der Semmeln kam
auch die Lernluſt.
Nun denke man aber an die gegenwär-
tigen Schulkinder, die alle ſchlechter ernährt
ſind als früher und manchen Hunger ver-
ſchlafen müſſen, denn ihre Nahrung iſt
ſowohl quantitativ als auch qualitativ
völlig unzureichend. Ein geſunder Nachwuchs
iſt doch der größte Staatsſchatz. Soll man
da den armen Kindern auch noch den
Schlaf kürzen? — Sollte meiner Polemik
ein Erlaß ein Hindernis ſein, ſo würde
eine Vorſtellung beim Herrn Landeschef
beſtimmt nützen.
I. L.
_ Verantwortlicher Redakteur: Arnold Schwarz. Bukowinaer Vereinsdruckerei in Czernowitz, Ringplatz 3
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Zitationshilfe: | Czernowitzer Allgemeine Zeitung. Nr. 178, Czernowitz, 19.03.1918, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_czernowitzer178_1918/4>, abgerufen am 22.07.2024. |