Herders Conversations-Lexikon. Bd. 5. Freiburg im Breisgau, 1857.Pontus und Sidonia, Fierabras, die schöne Melusine, die Schildbürger, Hans Tucher (15. Jahrh.); dann Fortunatus mit dem Säckel und Wünschhütlein, Till Eulenspiegel, Salomon u. Morolf, der Pfaffe Amis, die 4 Haimonskinder, Kaiser Oktavianus, die schöne Magelone, den Doctor Faust, gehörnten Siegfried, Griseldis, die Geschichte von den 7 Schwaben, Genoveva, die 3 Rolandsknappen, Herzog Ernst, Heinrich der Löwe, Helena, Hirlanda, die 7 weisen Meister, Joachim u. Anna (16. Jahrh.); Göthe (Faust), Tieck (Octavian, Fortunat), der Maler Müller (Genoveva) u. a. zeigten, was ein poetischer Genius aus V.n zu schaffen vermag. Sammlungen veranstalteten außer I. Görres v. d. Hagen u. Büsching (1809, 1811), Gustav Schwab (Buch der schönsten Geschichten und Sagen 2. Aufl. Stuttg. 1843), Marbach (Leipz. 1838-1849 in 52 Bändchen) und besonders Simrock (Frankf. 1845 ff.). Volksfeste, sind öffentliche, gewöhnlich regelmäßig wiederkehrende Festlichkeiten u. Vergnügungen entweder eines ganzen Volkes (Nationalfeste) od. einer Gegend, eines einzelnen Standes oder Ortes (Localfeste), sehr verschieden nach Ursprung und Zweck; ersterer kann ein religiöser, historischer sein, sich an eine ihrem Entstehungsgrunde nach nicht erklärbare Volkssitte, oder an eine auffallende Naturbegebenheit knüpfen u. s. w., der Zweck aber auf Dank und Freude, Belebung des Patriotismus u. s. w. hinauslaufen. Großartige Nationalfeste der alten Griechen waren ihre Kampfspiele, die blutigen Gladiatoren- u. Thierkämpfe unter den röm. Kaisern waren zumeist Zeugnisse für die innerliche Zerrüttung u. Entmenschlichung jener Zeit. Die Kirche ließ viele vorchristliche V. fortbestehen, jedoch in der Art, daß sie denselben christliche Ideen unterlegte, u. war selber die Wiege vieler V. (z. B. Kirchweihen, Osterfeste u. dgl.), die ihren kirchlichen Charakter mitunter bis heute bewahrt haben, noch häufiger aber ausarteten u. unterdrückt werden mußten (Narrenfeste, Eselsfeste). Die Zahl der eigentlichen Nationalfeste ist außerordentlich gering, zumal seit der Reformation des 16. Jahrh. und der Aenderung aller Standesverhältnisse in unserer Zeit; außer dem Wagenfest in Indien, dem Beiram der Mohammedaner, der Wasserweihe der Russen lassen sich wohl wenige nennen und die Versuche, neue V. einzuführen (Fest auf dem Marsfelde in Paris am 14. Juli 1790, Julifest, in Deutschland das Reformationsfest, Constitutionsfeste, Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig u. s. f.) waren von vornherein mißlungen. Dagegen sind der Neujahrstag u. der Carneval den civilisirten Nationen gemeinsame Feste, u. haben manche Volksbelustigungen (Stiergefechte in Spanien und Portugal, Hahnenkämpfe in England u. dgl.) einen nationalen Charakter. Volkslied, das im Munde des Volkes lebende Lied, epischen oder lyrischen Inhalts, einfach und schlicht nach Ausdruck und Melodie, und dabei so, daß jeder den Ausdruck und die Melodie seiner eigenen Empfindungsweise anzupassen vermag, ohne daß der wesentliche Gehalt des Liedes dadurch verloren geht. Das V. kann ein Hirten-, Jäger-, Kinder-, Liebes-, Soldaten-, Tanzlied u. s. w. sein, neben den Deutschen haben wohl alle Völker V.er, eine Menge alter und herrlicher die Spanier, Griechen, Serben, Finnen, Engländer, Norweger und Schweden. Von weitaus den meisten V.ern ist der Ursprung unbekannt, die Zahl der Kunstdichter, von welchen Lieder in den Mund des Volkes übergingen, sehr gering, desto größer aber seit Herders Zeit die Zahl der Sammler von deutschen u. fremden V.ern; Ziska u. Schottky gaben österreichische (Pesth 1819), W. Müller neugriechische (Lpz. 1825), Wolf altfranzös. (Leipz. 1831), Geijer und Afzelius schwed., Talvj (deutsch in neuer Aufl. Leipz. 1853) u. Wuk Stephanowitsch serbische, I. Wenzig slav., Nesselmann litthauische (Berl. 1853) heraus. Unter den Sammlern deutscher und historischer V.er nennen wir außer dem Meister Uhland (s. d.) F. von Erlach (Mannh. 1834), Körner (Stuttg. 1840) und Soltau (2. Aufl., Leipz. 1856). Unter den volksthümlich gewordenen politischen Liedern, den Pontus und Sidonia, Fierabras, die schöne Melusine, die Schildbürger, Hans Tucher (15. Jahrh.); dann Fortunatus mit dem Säckel und Wünschhütlein, Till Eulenspiegel, Salomon u. Morolf, der Pfaffe Amis, die 4 Haimonskinder, Kaiser Oktavianus, die schöne Magelone, den Doctor Faust, gehörnten Siegfried, Griseldis, die Geschichte von den 7 Schwaben, Genoveva, die 3 Rolandsknappen, Herzog Ernst, Heinrich der Löwe, Helena, Hirlanda, die 7 weisen Meister, Joachim u. Anna (16. Jahrh.); Göthe (Faust), Tieck (Octavian, Fortunat), der Maler Müller (Genoveva) u. a. zeigten, was ein poetischer Genius aus V.n zu schaffen vermag. Sammlungen veranstalteten außer I. Görres v. d. Hagen u. Büsching (1809, 1811), Gustav Schwab (Buch der schönsten Geschichten und Sagen 2. Aufl. Stuttg. 1843), Marbach (Leipz. 1838–1849 in 52 Bändchen) und besonders Simrock (Frankf. 1845 ff.). Volksfeste, sind öffentliche, gewöhnlich regelmäßig wiederkehrende Festlichkeiten u. Vergnügungen entweder eines ganzen Volkes (Nationalfeste) od. einer Gegend, eines einzelnen Standes oder Ortes (Localfeste), sehr verschieden nach Ursprung und Zweck; ersterer kann ein religiöser, historischer sein, sich an eine ihrem Entstehungsgrunde nach nicht erklärbare Volkssitte, oder an eine auffallende Naturbegebenheit knüpfen u. s. w., der Zweck aber auf Dank und Freude, Belebung des Patriotismus u. s. w. hinauslaufen. Großartige Nationalfeste der alten Griechen waren ihre Kampfspiele, die blutigen Gladiatoren- u. Thierkämpfe unter den röm. Kaisern waren zumeist Zeugnisse für die innerliche Zerrüttung u. Entmenschlichung jener Zeit. Die Kirche ließ viele vorchristliche V. fortbestehen, jedoch in der Art, daß sie denselben christliche Ideen unterlegte, u. war selber die Wiege vieler V. (z. B. Kirchweihen, Osterfeste u. dgl.), die ihren kirchlichen Charakter mitunter bis heute bewahrt haben, noch häufiger aber ausarteten u. unterdrückt werden mußten (Narrenfeste, Eselsfeste). Die Zahl der eigentlichen Nationalfeste ist außerordentlich gering, zumal seit der Reformation des 16. Jahrh. und der Aenderung aller Standesverhältnisse in unserer Zeit; außer dem Wagenfest in Indien, dem Beiram der Mohammedaner, der Wasserweihe der Russen lassen sich wohl wenige nennen und die Versuche, neue V. einzuführen (Fest auf dem Marsfelde in Paris am 14. Juli 1790, Julifest, in Deutschland das Reformationsfest, Constitutionsfeste, Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig u. s. f.) waren von vornherein mißlungen. Dagegen sind der Neujahrstag u. der Carneval den civilisirten Nationen gemeinsame Feste, u. haben manche Volksbelustigungen (Stiergefechte in Spanien und Portugal, Hahnenkämpfe in England u. dgl.) einen nationalen Charakter. Volkslied, das im Munde des Volkes lebende Lied, epischen oder lyrischen Inhalts, einfach und schlicht nach Ausdruck und Melodie, und dabei so, daß jeder den Ausdruck und die Melodie seiner eigenen Empfindungsweise anzupassen vermag, ohne daß der wesentliche Gehalt des Liedes dadurch verloren geht. Das V. kann ein Hirten-, Jäger-, Kinder-, Liebes-, Soldaten-, Tanzlied u. s. w. sein, neben den Deutschen haben wohl alle Völker V.er, eine Menge alter und herrlicher die Spanier, Griechen, Serben, Finnen, Engländer, Norweger und Schweden. Von weitaus den meisten V.ern ist der Ursprung unbekannt, die Zahl der Kunstdichter, von welchen Lieder in den Mund des Volkes übergingen, sehr gering, desto größer aber seit Herders Zeit die Zahl der Sammler von deutschen u. fremden V.ern; Ziska u. Schottky gaben österreichische (Pesth 1819), W. Müller neugriechische (Lpz. 1825), Wolf altfranzös. (Leipz. 1831), Geijer und Afzelius schwed., Talvj (deutsch in neuer Aufl. Leipz. 1853) u. Wuk Stephanowitsch serbische, I. Wenzig slav., Nesselmann litthauische (Berl. 1853) heraus. Unter den Sammlern deutscher und historischer V.er nennen wir außer dem Meister Uhland (s. d.) F. von Erlach (Mannh. 1834), Körner (Stuttg. 1840) und Soltau (2. Aufl., Leipz. 1856). Unter den volksthümlich gewordenen politischen Liedern, den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="lexiconEntry" n="2"> <p><pb facs="#f0642" n="641"/> Pontus und Sidonia, Fierabras, die schöne Melusine, die Schildbürger, Hans Tucher (15. 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Die Zahl der eigentlichen Nationalfeste ist außerordentlich gering, zumal seit der Reformation des 16. Jahrh. und der Aenderung aller Standesverhältnisse in unserer Zeit; außer dem Wagenfest in Indien, dem Beiram der Mohammedaner, der Wasserweihe der Russen lassen sich wohl wenige nennen und die Versuche, neue V. einzuführen (Fest auf dem Marsfelde in Paris am 14. Juli 1790, Julifest, in Deutschland das Reformationsfest, Constitutionsfeste, Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig u. s. f.) waren von vornherein mißlungen. 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Von weitaus den meisten V.ern ist der Ursprung unbekannt, die Zahl der Kunstdichter, von welchen Lieder in den Mund des Volkes übergingen, sehr gering, desto größer aber seit Herders Zeit die Zahl der Sammler von deutschen u. fremden V.ern; Ziska u. Schottky gaben österreichische (Pesth 1819), W. Müller neugriechische (Lpz. 1825), Wolf altfranzös. (Leipz. 1831), Geijer und Afzelius schwed., Talvj (deutsch in neuer Aufl. Leipz. 1853) u. Wuk Stephanowitsch serbische, I. Wenzig slav., Nesselmann litthauische (Berl. 1853) heraus. Unter den Sammlern deutscher und historischer V.er nennen wir außer dem Meister Uhland (s. d.) F. von Erlach (Mannh. 1834), Körner (Stuttg. 1840) und Soltau (2. Aufl., Leipz. 1856). Unter den volksthümlich gewordenen politischen Liedern, den </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [641/0642]
Pontus und Sidonia, Fierabras, die schöne Melusine, die Schildbürger, Hans Tucher (15. Jahrh.); dann Fortunatus mit dem Säckel und Wünschhütlein, Till Eulenspiegel, Salomon u. Morolf, der Pfaffe Amis, die 4 Haimonskinder, Kaiser Oktavianus, die schöne Magelone, den Doctor Faust, gehörnten Siegfried, Griseldis, die Geschichte von den 7 Schwaben, Genoveva, die 3 Rolandsknappen, Herzog Ernst, Heinrich der Löwe, Helena, Hirlanda, die 7 weisen Meister, Joachim u. Anna (16. Jahrh.); Göthe (Faust), Tieck (Octavian, Fortunat), der Maler Müller (Genoveva) u. a. zeigten, was ein poetischer Genius aus V.n zu schaffen vermag. Sammlungen veranstalteten außer I. Görres v. d. Hagen u. Büsching (1809, 1811), Gustav Schwab (Buch der schönsten Geschichten und Sagen 2. Aufl. Stuttg. 1843), Marbach (Leipz. 1838–1849 in 52 Bändchen) und besonders Simrock (Frankf. 1845 ff.).
Volksfeste, sind öffentliche, gewöhnlich regelmäßig wiederkehrende Festlichkeiten u. Vergnügungen entweder eines ganzen Volkes (Nationalfeste) od. einer Gegend, eines einzelnen Standes oder Ortes (Localfeste), sehr verschieden nach Ursprung und Zweck; ersterer kann ein religiöser, historischer sein, sich an eine ihrem Entstehungsgrunde nach nicht erklärbare Volkssitte, oder an eine auffallende Naturbegebenheit knüpfen u. s. w., der Zweck aber auf Dank und Freude, Belebung des Patriotismus u. s. w. hinauslaufen. Großartige Nationalfeste der alten Griechen waren ihre Kampfspiele, die blutigen Gladiatoren- u. Thierkämpfe unter den röm. Kaisern waren zumeist Zeugnisse für die innerliche Zerrüttung u. Entmenschlichung jener Zeit. Die Kirche ließ viele vorchristliche V. fortbestehen, jedoch in der Art, daß sie denselben christliche Ideen unterlegte, u. war selber die Wiege vieler V. (z. B. Kirchweihen, Osterfeste u. dgl.), die ihren kirchlichen Charakter mitunter bis heute bewahrt haben, noch häufiger aber ausarteten u. unterdrückt werden mußten (Narrenfeste, Eselsfeste). Die Zahl der eigentlichen Nationalfeste ist außerordentlich gering, zumal seit der Reformation des 16. Jahrh. und der Aenderung aller Standesverhältnisse in unserer Zeit; außer dem Wagenfest in Indien, dem Beiram der Mohammedaner, der Wasserweihe der Russen lassen sich wohl wenige nennen und die Versuche, neue V. einzuführen (Fest auf dem Marsfelde in Paris am 14. Juli 1790, Julifest, in Deutschland das Reformationsfest, Constitutionsfeste, Gedächtnißfeier der Schlacht bei Leipzig u. s. f.) waren von vornherein mißlungen. Dagegen sind der Neujahrstag u. der Carneval den civilisirten Nationen gemeinsame Feste, u. haben manche Volksbelustigungen (Stiergefechte in Spanien und Portugal, Hahnenkämpfe in England u. dgl.) einen nationalen Charakter.
Volkslied, das im Munde des Volkes lebende Lied, epischen oder lyrischen Inhalts, einfach und schlicht nach Ausdruck und Melodie, und dabei so, daß jeder den Ausdruck und die Melodie seiner eigenen Empfindungsweise anzupassen vermag, ohne daß der wesentliche Gehalt des Liedes dadurch verloren geht. Das V. kann ein Hirten-, Jäger-, Kinder-, Liebes-, Soldaten-, Tanzlied u. s. w. sein, neben den Deutschen haben wohl alle Völker V.er, eine Menge alter und herrlicher die Spanier, Griechen, Serben, Finnen, Engländer, Norweger und Schweden. Von weitaus den meisten V.ern ist der Ursprung unbekannt, die Zahl der Kunstdichter, von welchen Lieder in den Mund des Volkes übergingen, sehr gering, desto größer aber seit Herders Zeit die Zahl der Sammler von deutschen u. fremden V.ern; Ziska u. Schottky gaben österreichische (Pesth 1819), W. Müller neugriechische (Lpz. 1825), Wolf altfranzös. (Leipz. 1831), Geijer und Afzelius schwed., Talvj (deutsch in neuer Aufl. Leipz. 1853) u. Wuk Stephanowitsch serbische, I. Wenzig slav., Nesselmann litthauische (Berl. 1853) heraus. Unter den Sammlern deutscher und historischer V.er nennen wir außer dem Meister Uhland (s. d.) F. von Erlach (Mannh. 1834), Körner (Stuttg. 1840) und Soltau (2. Aufl., Leipz. 1856). Unter den volksthümlich gewordenen politischen Liedern, den
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