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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 4. Freiburg im Breisgau, 1856.

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u. ganz Europa gegenüber konnte N. nur durch entscheidende Siege eine haltbare Stellung wieder gewinnen. Er brach mit einem herrlichen Heere in Belgien ein, siegte am 16. Juni bei Ligny über Blücher, griff am 18. Wellingtons engl.-deutsches Heer bei Waterloo an und erlitt durch Blüchers Angriff auf seine Flanke die entscheidende Niederlage. Der Widerstand der Deputirtenkammer machte es ihm unmöglich, die Vertheidigung Frankreichs zu leiten; er unterzeichnete am 22. seine Abdankung, verließ zögernd Paris, verlor an der Seeküste einige kostbare Tage u. sah sich endlich genöthigt den 15. Juli das vor Rochefort liegende engl. Linienschiff Bellerophon als Gefangener zu besteigen. Er appellirte an die engl. Großmuth ohne Erfolg; er selbst hatte England unzähligemal den unversöhnlichsten Haß erklärt, seine Freiheit wäre dem Weltfrieden allzu gefährlich gewesen, daher wurde er nach der Insel St. Helena eingeschifft, wo er d. 16. Oct. anlangte. Er zeigte während seiner Gefangenschaft eine heroische Seelenstärke, hielt aber seinen Blick immer auf Europa geheftet, daher er auch gegen den Gouverneur Hudson Lowe, der pedantisch aber keineswegs rücksichtslos verfuhr (vgl. Hudson Lowe), Anklagen aller Art verbreiten ließ. um auf Frankreichs und Europas Stimmung einzuwirken. Eben so wenig ist seinen Mittheilungen an Las Cases, Gourgaud u. Montholon zu trauen, sie sind eine Apologie, welche er in Europa verbreiten wollte. N. I. st. 5. Mai 1821 an einer Magenkrankheit; in seinen letzten Augenblicken, während ein Sturm die Insel umtobte, versetzte ihn seine Phantasie auf das Schlachtfeld; a la tete de l'armee war sein letztes Wort. Seine Schriften erschienen Paris 1821-22 in 5 Bdn., eine neue Ausgabe hat 1855 begonnen. N. hat bereits eine ganze Literatur in das Leben gerufen, so daß es unmöglich ist, einzelne Werke zu nennen; das bedeutendste möchte jedenfalls die "Histoire du consulat et de l'empire" von Thiers sein, bis jetzt 11 Bde., aber wie alles, was die Franzosen über diese Periode geschrieben haben, mit großer Vorsicht u. nicht ohne Vergleichung mit deutschen u. engl. Quellen zu gebrauchen.


Napoleon II., s. Reichstadt, Herzog von.


Napoleon III., Charles Louis, Kaiser der Franzosen, geb. 20. April 1808 zu Paris, 3. Sohn Louis Bonapartes, Königs von Holland, lebte nach dem Sturze seines Oheims zuerst mit seiner Mutter zu Augsburg, hierauf auf dem Schlosse Arenenberg am Untersee im Kanton Thurgau. Hier eignete er sich deutsche Bildung an, studierte besonders Mathematik und Kriegswissenschaft, wurde bernischer Artillerieoffizier, thurgauischer Bürger, Gemeinderath in dem Dorfe Manenbach, Präsident der thurgauischen Schützengesellschaft, nahm mit seinem Bruder an dem Aufstand der Italiener 1831 Antheil, lag krank in dem von den Oesterreichern besetzten Ancona u. wurde von seiner Mutter durch Italien und Frankreich in die Schweiz zurückgebracht (sein Bruder st. in Italien). Darauf gab er (1832) "Reveries politiques" heraus, eine Schrift für Napoleons System u. Erben, die kaum beachtet wurde; 1833 "Considerations politiques et militaires sur la Suisse", welche kein besseres Schicksal fanden, 1835 "Manuel de l'artillerie", das wenigstens von einigen französ. Journalen als Beweis für des, "Prinzen" (wie er sich damals nennen ließ) wissenschaftliche Thätigkeit lobend erwähnt wurde. Indem er die Unzufriedenheit der Franzosen mit Louis Philipps Regierungssystem überschätzte, wagte er am 30. Octbr. 1836 den bekannten Handstreich auf Straßburg, wo einige Offiziere der Garnison und das 4. Artillerieregiment von ihm gewonnen waren, nicht aber die Generale, weßwegen er scheiterte u. gefangen ward. N. wurde ohne Prozeß nach Nordamerika deportirt, von wo er nach dem Arenenberge zu seiner todtkranken Mutter (1837) zurückkehrte. Eine Schrift des Lieutenants Laity über das Straßburger Attentat, die man nach Frankreich schleuderte, veranlaßte die franz. Regierung 1838 die Ausweisung Louis Napoleons zu verlangen, worauf dieser sich nach England begab und 1839 in den "Idees Napoleoniennes" zu beweisen versuchte,

u. ganz Europa gegenüber konnte N. nur durch entscheidende Siege eine haltbare Stellung wieder gewinnen. Er brach mit einem herrlichen Heere in Belgien ein, siegte am 16. Juni bei Ligny über Blücher, griff am 18. Wellingtons engl.-deutsches Heer bei Waterloo an und erlitt durch Blüchers Angriff auf seine Flanke die entscheidende Niederlage. Der Widerstand der Deputirtenkammer machte es ihm unmöglich, die Vertheidigung Frankreichs zu leiten; er unterzeichnete am 22. seine Abdankung, verließ zögernd Paris, verlor an der Seeküste einige kostbare Tage u. sah sich endlich genöthigt den 15. Juli das vor Rochefort liegende engl. Linienschiff Bellerophon als Gefangener zu besteigen. Er appellirte an die engl. Großmuth ohne Erfolg; er selbst hatte England unzähligemal den unversöhnlichsten Haß erklärt, seine Freiheit wäre dem Weltfrieden allzu gefährlich gewesen, daher wurde er nach der Insel St. Helena eingeschifft, wo er d. 16. Oct. anlangte. Er zeigte während seiner Gefangenschaft eine heroische Seelenstärke, hielt aber seinen Blick immer auf Europa geheftet, daher er auch gegen den Gouverneur Hudson Lowe, der pedantisch aber keineswegs rücksichtslos verfuhr (vgl. Hudson Lowe), Anklagen aller Art verbreiten ließ. um auf Frankreichs und Europas Stimmung einzuwirken. Eben so wenig ist seinen Mittheilungen an Las Cases, Gourgaud u. Montholon zu trauen, sie sind eine Apologie, welche er in Europa verbreiten wollte. N. I. st. 5. Mai 1821 an einer Magenkrankheit; in seinen letzten Augenblicken, während ein Sturm die Insel umtobte, versetzte ihn seine Phantasie auf das Schlachtfeld; à la tête de lʼarmée war sein letztes Wort. Seine Schriften erschienen Paris 1821–22 in 5 Bdn., eine neue Ausgabe hat 1855 begonnen. N. hat bereits eine ganze Literatur in das Leben gerufen, so daß es unmöglich ist, einzelne Werke zu nennen; das bedeutendste möchte jedenfalls die „Histoire du consulat et de lʼempire“ von Thiers sein, bis jetzt 11 Bde., aber wie alles, was die Franzosen über diese Periode geschrieben haben, mit großer Vorsicht u. nicht ohne Vergleichung mit deutschen u. engl. Quellen zu gebrauchen.


Napoleon II., s. Reichstadt, Herzog von.


Napoleon III., Charles Louis, Kaiser der Franzosen, geb. 20. April 1808 zu Paris, 3. Sohn Louis Bonapartes, Königs von Holland, lebte nach dem Sturze seines Oheims zuerst mit seiner Mutter zu Augsburg, hierauf auf dem Schlosse Arenenberg am Untersee im Kanton Thurgau. Hier eignete er sich deutsche Bildung an, studierte besonders Mathematik und Kriegswissenschaft, wurde bernischer Artillerieoffizier, thurgauischer Bürger, Gemeinderath in dem Dorfe Manenbach, Präsident der thurgauischen Schützengesellschaft, nahm mit seinem Bruder an dem Aufstand der Italiener 1831 Antheil, lag krank in dem von den Oesterreichern besetzten Ancona u. wurde von seiner Mutter durch Italien und Frankreich in die Schweiz zurückgebracht (sein Bruder st. in Italien). Darauf gab er (1832) „Rêveries politiques“ heraus, eine Schrift für Napoleons System u. Erben, die kaum beachtet wurde; 1833 „Considérations politiques et militaires sur la Suisse“, welche kein besseres Schicksal fanden, 1835 „Manuel de lʼartillerie“, das wenigstens von einigen französ. Journalen als Beweis für des, „Prinzen“ (wie er sich damals nennen ließ) wissenschaftliche Thätigkeit lobend erwähnt wurde. Indem er die Unzufriedenheit der Franzosen mit Louis Philipps Regierungssystem überschätzte, wagte er am 30. Octbr. 1836 den bekannten Handstreich auf Straßburg, wo einige Offiziere der Garnison und das 4. Artillerieregiment von ihm gewonnen waren, nicht aber die Generale, weßwegen er scheiterte u. gefangen ward. N. wurde ohne Prozeß nach Nordamerika deportirt, von wo er nach dem Arenenberge zu seiner todtkranken Mutter (1837) zurückkehrte. Eine Schrift des Lieutenants Laity über das Straßburger Attentat, die man nach Frankreich schleuderte, veranlaßte die franz. Regierung 1838 die Ausweisung Louis Napoleons zu verlangen, worauf dieser sich nach England begab und 1839 in den „Idées Napoléoniennes“ zu beweisen versuchte,

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u. ganz Europa gegenüber konnte N. nur durch entscheidende Siege eine haltbare Stellung wieder gewinnen. Er brach mit einem herrlichen Heere in Belgien ein, siegte am 16. Juni bei Ligny über Blücher, griff am 18. Wellingtons engl.-deutsches Heer bei Waterloo an und erlitt durch Blüchers Angriff auf seine Flanke die entscheidende Niederlage. Der Widerstand der Deputirtenkammer machte es ihm unmöglich, die Vertheidigung Frankreichs zu leiten; er unterzeichnete am 22. seine Abdankung, verließ zögernd Paris, verlor an der Seeküste einige kostbare Tage u. sah sich endlich genöthigt den 15. Juli das vor Rochefort liegende engl. Linienschiff Bellerophon als Gefangener zu besteigen. Er appellirte an die engl. Großmuth ohne Erfolg; er selbst hatte England unzähligemal den unversöhnlichsten Haß erklärt, seine Freiheit wäre dem Weltfrieden allzu gefährlich gewesen, daher wurde er nach der Insel St. Helena eingeschifft, wo er d. 16. Oct. anlangte. Er zeigte während seiner Gefangenschaft eine heroische Seelenstärke, hielt aber seinen Blick immer auf Europa geheftet, daher er auch gegen den Gouverneur Hudson Lowe, der pedantisch aber keineswegs rücksichtslos verfuhr (vgl. Hudson Lowe), Anklagen aller Art verbreiten ließ. um auf Frankreichs und Europas Stimmung einzuwirken. Eben so wenig ist seinen Mittheilungen an Las Cases, Gourgaud u. Montholon zu trauen, sie sind eine Apologie, welche er in Europa verbreiten wollte. N. I. st. 5. Mai 1821 an einer Magenkrankheit; in seinen letzten Augenblicken, während ein Sturm die Insel umtobte, versetzte ihn seine Phantasie auf das Schlachtfeld; <hi rendition="#i">à la tête de l&#x02BC;armée</hi> war sein letztes Wort. Seine Schriften erschienen Paris 1821&#x2013;22 in 5 Bdn., eine neue Ausgabe hat 1855 begonnen. N. hat bereits eine ganze Literatur in das Leben gerufen, so daß es unmöglich ist, einzelne Werke zu nennen; das bedeutendste möchte jedenfalls die &#x201E;<hi rendition="#i">Histoire du consulat et de l&#x02BC;empire</hi>&#x201C; von Thiers sein, bis jetzt 11 Bde., aber wie alles, was die Franzosen über diese Periode geschrieben haben, mit großer Vorsicht u. nicht ohne Vergleichung mit deutschen u. engl. Quellen zu gebrauchen.</p><lb/>
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[293/0294] u. ganz Europa gegenüber konnte N. nur durch entscheidende Siege eine haltbare Stellung wieder gewinnen. Er brach mit einem herrlichen Heere in Belgien ein, siegte am 16. Juni bei Ligny über Blücher, griff am 18. Wellingtons engl.-deutsches Heer bei Waterloo an und erlitt durch Blüchers Angriff auf seine Flanke die entscheidende Niederlage. Der Widerstand der Deputirtenkammer machte es ihm unmöglich, die Vertheidigung Frankreichs zu leiten; er unterzeichnete am 22. seine Abdankung, verließ zögernd Paris, verlor an der Seeküste einige kostbare Tage u. sah sich endlich genöthigt den 15. Juli das vor Rochefort liegende engl. Linienschiff Bellerophon als Gefangener zu besteigen. Er appellirte an die engl. Großmuth ohne Erfolg; er selbst hatte England unzähligemal den unversöhnlichsten Haß erklärt, seine Freiheit wäre dem Weltfrieden allzu gefährlich gewesen, daher wurde er nach der Insel St. Helena eingeschifft, wo er d. 16. Oct. anlangte. Er zeigte während seiner Gefangenschaft eine heroische Seelenstärke, hielt aber seinen Blick immer auf Europa geheftet, daher er auch gegen den Gouverneur Hudson Lowe, der pedantisch aber keineswegs rücksichtslos verfuhr (vgl. Hudson Lowe), Anklagen aller Art verbreiten ließ. um auf Frankreichs und Europas Stimmung einzuwirken. Eben so wenig ist seinen Mittheilungen an Las Cases, Gourgaud u. Montholon zu trauen, sie sind eine Apologie, welche er in Europa verbreiten wollte. N. I. st. 5. Mai 1821 an einer Magenkrankheit; in seinen letzten Augenblicken, während ein Sturm die Insel umtobte, versetzte ihn seine Phantasie auf das Schlachtfeld; à la tête de lʼarmée war sein letztes Wort. Seine Schriften erschienen Paris 1821–22 in 5 Bdn., eine neue Ausgabe hat 1855 begonnen. N. hat bereits eine ganze Literatur in das Leben gerufen, so daß es unmöglich ist, einzelne Werke zu nennen; das bedeutendste möchte jedenfalls die „Histoire du consulat et de lʼempire“ von Thiers sein, bis jetzt 11 Bde., aber wie alles, was die Franzosen über diese Periode geschrieben haben, mit großer Vorsicht u. nicht ohne Vergleichung mit deutschen u. engl. Quellen zu gebrauchen. Napoleon II., s. Reichstadt, Herzog von. Napoleon III., Charles Louis, Kaiser der Franzosen, geb. 20. April 1808 zu Paris, 3. Sohn Louis Bonapartes, Königs von Holland, lebte nach dem Sturze seines Oheims zuerst mit seiner Mutter zu Augsburg, hierauf auf dem Schlosse Arenenberg am Untersee im Kanton Thurgau. Hier eignete er sich deutsche Bildung an, studierte besonders Mathematik und Kriegswissenschaft, wurde bernischer Artillerieoffizier, thurgauischer Bürger, Gemeinderath in dem Dorfe Manenbach, Präsident der thurgauischen Schützengesellschaft, nahm mit seinem Bruder an dem Aufstand der Italiener 1831 Antheil, lag krank in dem von den Oesterreichern besetzten Ancona u. wurde von seiner Mutter durch Italien und Frankreich in die Schweiz zurückgebracht (sein Bruder st. in Italien). Darauf gab er (1832) „Rêveries politiques“ heraus, eine Schrift für Napoleons System u. Erben, die kaum beachtet wurde; 1833 „Considérations politiques et militaires sur la Suisse“, welche kein besseres Schicksal fanden, 1835 „Manuel de lʼartillerie“, das wenigstens von einigen französ. Journalen als Beweis für des, „Prinzen“ (wie er sich damals nennen ließ) wissenschaftliche Thätigkeit lobend erwähnt wurde. Indem er die Unzufriedenheit der Franzosen mit Louis Philipps Regierungssystem überschätzte, wagte er am 30. Octbr. 1836 den bekannten Handstreich auf Straßburg, wo einige Offiziere der Garnison und das 4. Artillerieregiment von ihm gewonnen waren, nicht aber die Generale, weßwegen er scheiterte u. gefangen ward. N. wurde ohne Prozeß nach Nordamerika deportirt, von wo er nach dem Arenenberge zu seiner todtkranken Mutter (1837) zurückkehrte. Eine Schrift des Lieutenants Laity über das Straßburger Attentat, die man nach Frankreich schleuderte, veranlaßte die franz. Regierung 1838 die Ausweisung Louis Napoleons zu verlangen, worauf dieser sich nach England begab und 1839 in den „Idées Napoléoniennes“ zu beweisen versuchte,

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 4. Freiburg im Breisgau, 1856, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon04_1856/294>, abgerufen am 25.11.2024.