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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854.

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doch dem Grundcharakter der Religion als einem Naturdienst entsprechend standen auf Bergeshöhen, in heiligen Hainen, an Seen (Insel Rügen) Altäre, worauf das Blut von Rindern und andern Thieren, besonders solcher von weißer Farbe floß. Für Menschenopfer unserer heidnischen Vorfahren ist der Bericht laut welchem die Kimbern die gefangenen Römer opferten, nicht das einzige Zeugniß, und bei der Irminsäule mögen die Sachsen noch zu Karls d. Gr. Zeit ihre Feinde geopfert haben. Auch in allen Gewässern, unter der Erde und in der Luft hausten übermenschliche Wesen; einzelne Bäume, besonders uralte Eichen (Bonifaciuseiche in Hessen), Linden, der Wachholder, sowie Thiere, namentlich Pferd und Rind, wurden verehrt, die Schlange (Lindwürmer und Drachen), der Wolf (Wolf Fenrir) und Bär mit einer gewissen religiösen Scheu und der Kuckuck in süddeutschen Gegenden bis heute als glückbringender Vogel betrachtet. Die altdeutschen Vorstellungen von Sittlichkeit werden an den Heldengestalten der Nibelungen großartig und grausig zugleich offenbar. Die 3 Jahresfeste, nämlich das Juul- oder Winter-, Frühlings- oder in Norddeutschland Sommerfest und Herbstfest, waren mit Volksversammlungen (März-, Maifelder) u. Gerichtstagen verbunden. Beim Heere und an Gerichtstagen waren die Priester ebenfalls von Bedeutung, doch bildeten sie schwerlich irgendwo einen besondern Stand und mindestens im Nothfalle war jeder Hausvater zugleich Priester. Vgl. Geschichte des Heidenthums im nördl. Europa, von Mone, Leipzig 1819, 23, 2. B. u. I. Grimm's deutsche Mythologie, Göttingen 1835, 2. Aufl. 1843.


Deutsche Philosophie, bezeichnet weniger eine den Deutschen eigenthümliche Ph. als diese überhaupt, insofern die Ph. seit dem 17. Jahrh. ihren Wohnsitz vorzugsweise und immer ausschließlicher in Deutschland aufschlug. Die Neigung zur Speculation offenbarte sich darin, daß es seit Alkuin u. Rhabanus Maurus Scholastiker gab, welche das religiöse und denkende Bewußtsein vermittelten, die Gemüthsinnigkeit dazu darin, daß während des Mittelalters die Mystiker zahlreicher und die Verbindung der Gluth christlicher Andacht mit Platon häufiger waren als in andern Ländern, wo Aristoteles vorwog. Abt Hugo von St. Victor, Honorius von Augst, Rupert von Diez gehören hieher, Albertus Magnus aber (s. d. Art.) schloß sich an die Aristoteliker an und gilt als der erste Abendländer, der ernstlich die Natur studierte. Auf der Gränzscheide des Mittelalters stehen die herrlichsten Mystiker, wie Meister Eckart (st. 1329), Tauler (st. 1361), Suso (st. 1365), Thomas von Kempen (st. 1471), vor allem aber Nicolaus von Cusa (s. d.), dessen Zahlenmystik Theophrastus Paracelsus (st. 1541) mehr verdarb als verbesserte, indem er die Principien der Dinge zu Ausflüssen der Gottheit und lebendigen Kräften machen wollte. Nachdem in der Reformationszeit Reuchlin die Aufgabe J. Picos für Deutschland erfüllt, Sebastian Frank und Valentin Weigel als Vorläufer der modernen Philosophen aufgetreten und Agrippa von Nettesheim (s. d.) die Unruhe und Haltlosigkeit gleich anfangs als erstes Angebinde der neuen Zeit geoffenbart, eröffnete der Zeitgenosse des großen Astronomen Kepler, J. Böhme, der "philosophus teutonicus" (s. d. Art.) die Reihe der eigentlichen deutschen Philosophen, die man häufig aber ohne genügenden Grund erst mit Leibnitz (1646-1716) beginnt. Böhme schrieb deutsch; er und Leibnitz sind darin verwandt, daß beide kein streng in sich abgeschlossenes System schufen, beide weitreichenden Einfluß gewannen, vom positiven Christenthum ausgingen und zur damaligen Verstandesphilosophie des Auslandes sich verneinend verhielten. Letzterer trat besonders dem Locke entgegen, strebte die alte christliche Mystik mit der neuen Schulphilosophie in einer neuen Weltanschauung zu verbinden und fand im Zweckbegriff, der teleologischen Harmonie aller Dinge, die Vermittlung zwischen Geist und Materie, Denken und Sein. Seine Schüler, Wolf (1679-1754) u. die Wolfianer, Thümming, Bilfinger, Baumgarten u. a. halfen Leibnitzens Mangel einer Erkenntnißtheorie nicht ab, verwässerten

doch dem Grundcharakter der Religion als einem Naturdienst entsprechend standen auf Bergeshöhen, in heiligen Hainen, an Seen (Insel Rügen) Altäre, worauf das Blut von Rindern und andern Thieren, besonders solcher von weißer Farbe floß. Für Menschenopfer unserer heidnischen Vorfahren ist der Bericht laut welchem die Kimbern die gefangenen Römer opferten, nicht das einzige Zeugniß, und bei der Irminsäule mögen die Sachsen noch zu Karls d. Gr. Zeit ihre Feinde geopfert haben. Auch in allen Gewässern, unter der Erde und in der Luft hausten übermenschliche Wesen; einzelne Bäume, besonders uralte Eichen (Bonifaciuseiche in Hessen), Linden, der Wachholder, sowie Thiere, namentlich Pferd und Rind, wurden verehrt, die Schlange (Lindwürmer und Drachen), der Wolf (Wolf Fenrir) und Bär mit einer gewissen religiösen Scheu und der Kuckuck in süddeutschen Gegenden bis heute als glückbringender Vogel betrachtet. Die altdeutschen Vorstellungen von Sittlichkeit werden an den Heldengestalten der Nibelungen großartig und grausig zugleich offenbar. Die 3 Jahresfeste, nämlich das Juul- oder Winter-, Frühlings- oder in Norddeutschland Sommerfest und Herbstfest, waren mit Volksversammlungen (März-, Maifelder) u. Gerichtstagen verbunden. Beim Heere und an Gerichtstagen waren die Priester ebenfalls von Bedeutung, doch bildeten sie schwerlich irgendwo einen besondern Stand und mindestens im Nothfalle war jeder Hausvater zugleich Priester. Vgl. Geschichte des Heidenthums im nördl. Europa, von Mone, Leipzig 1819, 23, 2. B. u. I. Grimmʼs deutsche Mythologie, Göttingen 1835, 2. Aufl. 1843.


Deutsche Philosophie, bezeichnet weniger eine den Deutschen eigenthümliche Ph. als diese überhaupt, insofern die Ph. seit dem 17. Jahrh. ihren Wohnsitz vorzugsweise und immer ausschließlicher in Deutschland aufschlug. Die Neigung zur Speculation offenbarte sich darin, daß es seit Alkuin u. Rhabanus Maurus Scholastiker gab, welche das religiöse und denkende Bewußtsein vermittelten, die Gemüthsinnigkeit dazu darin, daß während des Mittelalters die Mystiker zahlreicher und die Verbindung der Gluth christlicher Andacht mit Platon häufiger waren als in andern Ländern, wo Aristoteles vorwog. Abt Hugo von St. Victor, Honorius von Augst, Rupert von Diez gehören hieher, Albertus Magnus aber (s. d. Art.) schloß sich an die Aristoteliker an und gilt als der erste Abendländer, der ernstlich die Natur studierte. Auf der Gränzscheide des Mittelalters stehen die herrlichsten Mystiker, wie Meister Eckart (st. 1329), Tauler (st. 1361), Suso (st. 1365), Thomas von Kempen (st. 1471), vor allem aber Nicolaus von Cusa (s. d.), dessen Zahlenmystik Theophrastus Paracelsus (st. 1541) mehr verdarb als verbesserte, indem er die Principien der Dinge zu Ausflüssen der Gottheit und lebendigen Kräften machen wollte. Nachdem in der Reformationszeit Reuchlin die Aufgabe J. Picos für Deutschland erfüllt, Sebastian Frank und Valentin Weigel als Vorläufer der modernen Philosophen aufgetreten und Agrippa von Nettesheim (s. d.) die Unruhe und Haltlosigkeit gleich anfangs als erstes Angebinde der neuen Zeit geoffenbart, eröffnete der Zeitgenosse des großen Astronomen Kepler, J. Böhme, der „philosophus teutonicus“ (s. d. Art.) die Reihe der eigentlichen deutschen Philosophen, die man häufig aber ohne genügenden Grund erst mit Leibnitz (1646–1716) beginnt. Böhme schrieb deutsch; er und Leibnitz sind darin verwandt, daß beide kein streng in sich abgeschlossenes System schufen, beide weitreichenden Einfluß gewannen, vom positiven Christenthum ausgingen und zur damaligen Verstandesphilosophie des Auslandes sich verneinend verhielten. Letzterer trat besonders dem Locke entgegen, strebte die alte christliche Mystik mit der neuen Schulphilosophie in einer neuen Weltanschauung zu verbinden und fand im Zweckbegriff, der teleologischen Harmonie aller Dinge, die Vermittlung zwischen Geist und Materie, Denken und Sein. Seine Schüler, Wolf (1679–1754) u. die Wolfianer, Thümming, Bilfinger, Baumgarten u. a. halfen Leibnitzens Mangel einer Erkenntnißtheorie nicht ab, verwässerten

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[351/0352] doch dem Grundcharakter der Religion als einem Naturdienst entsprechend standen auf Bergeshöhen, in heiligen Hainen, an Seen (Insel Rügen) Altäre, worauf das Blut von Rindern und andern Thieren, besonders solcher von weißer Farbe floß. Für Menschenopfer unserer heidnischen Vorfahren ist der Bericht laut welchem die Kimbern die gefangenen Römer opferten, nicht das einzige Zeugniß, und bei der Irminsäule mögen die Sachsen noch zu Karls d. Gr. Zeit ihre Feinde geopfert haben. Auch in allen Gewässern, unter der Erde und in der Luft hausten übermenschliche Wesen; einzelne Bäume, besonders uralte Eichen (Bonifaciuseiche in Hessen), Linden, der Wachholder, sowie Thiere, namentlich Pferd und Rind, wurden verehrt, die Schlange (Lindwürmer und Drachen), der Wolf (Wolf Fenrir) und Bär mit einer gewissen religiösen Scheu und der Kuckuck in süddeutschen Gegenden bis heute als glückbringender Vogel betrachtet. Die altdeutschen Vorstellungen von Sittlichkeit werden an den Heldengestalten der Nibelungen großartig und grausig zugleich offenbar. Die 3 Jahresfeste, nämlich das Juul- oder Winter-, Frühlings- oder in Norddeutschland Sommerfest und Herbstfest, waren mit Volksversammlungen (März-, Maifelder) u. Gerichtstagen verbunden. Beim Heere und an Gerichtstagen waren die Priester ebenfalls von Bedeutung, doch bildeten sie schwerlich irgendwo einen besondern Stand und mindestens im Nothfalle war jeder Hausvater zugleich Priester. Vgl. Geschichte des Heidenthums im nördl. Europa, von Mone, Leipzig 1819, 23, 2. B. u. I. Grimmʼs deutsche Mythologie, Göttingen 1835, 2. Aufl. 1843. Deutsche Philosophie, bezeichnet weniger eine den Deutschen eigenthümliche Ph. als diese überhaupt, insofern die Ph. seit dem 17. Jahrh. ihren Wohnsitz vorzugsweise und immer ausschließlicher in Deutschland aufschlug. Die Neigung zur Speculation offenbarte sich darin, daß es seit Alkuin u. Rhabanus Maurus Scholastiker gab, welche das religiöse und denkende Bewußtsein vermittelten, die Gemüthsinnigkeit dazu darin, daß während des Mittelalters die Mystiker zahlreicher und die Verbindung der Gluth christlicher Andacht mit Platon häufiger waren als in andern Ländern, wo Aristoteles vorwog. Abt Hugo von St. Victor, Honorius von Augst, Rupert von Diez gehören hieher, Albertus Magnus aber (s. d. Art.) schloß sich an die Aristoteliker an und gilt als der erste Abendländer, der ernstlich die Natur studierte. Auf der Gränzscheide des Mittelalters stehen die herrlichsten Mystiker, wie Meister Eckart (st. 1329), Tauler (st. 1361), Suso (st. 1365), Thomas von Kempen (st. 1471), vor allem aber Nicolaus von Cusa (s. d.), dessen Zahlenmystik Theophrastus Paracelsus (st. 1541) mehr verdarb als verbesserte, indem er die Principien der Dinge zu Ausflüssen der Gottheit und lebendigen Kräften machen wollte. Nachdem in der Reformationszeit Reuchlin die Aufgabe J. Picos für Deutschland erfüllt, Sebastian Frank und Valentin Weigel als Vorläufer der modernen Philosophen aufgetreten und Agrippa von Nettesheim (s. d.) die Unruhe und Haltlosigkeit gleich anfangs als erstes Angebinde der neuen Zeit geoffenbart, eröffnete der Zeitgenosse des großen Astronomen Kepler, J. Böhme, der „philosophus teutonicus“ (s. d. Art.) die Reihe der eigentlichen deutschen Philosophen, die man häufig aber ohne genügenden Grund erst mit Leibnitz (1646–1716) beginnt. Böhme schrieb deutsch; er und Leibnitz sind darin verwandt, daß beide kein streng in sich abgeschlossenes System schufen, beide weitreichenden Einfluß gewannen, vom positiven Christenthum ausgingen und zur damaligen Verstandesphilosophie des Auslandes sich verneinend verhielten. Letzterer trat besonders dem Locke entgegen, strebte die alte christliche Mystik mit der neuen Schulphilosophie in einer neuen Weltanschauung zu verbinden und fand im Zweckbegriff, der teleologischen Harmonie aller Dinge, die Vermittlung zwischen Geist und Materie, Denken und Sein. Seine Schüler, Wolf (1679–1754) u. die Wolfianer, Thümming, Bilfinger, Baumgarten u. a. halfen Leibnitzens Mangel einer Erkenntnißtheorie nicht ab, verwässerten

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon02_1854/352>, abgerufen am 22.11.2024.