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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854.

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Poesie reicht eine Philosophie die Hand, die sog. junghegelische, die alles begreift, was auf der Welt ist und alles Ideale und Höhere verneint, daher allen Glauben befehdet; sie ist die deutsche Auflage der d'Alembert, de la Mettrie etc., jener Franzosen, welche der ersten Revolution als Propheten vorangingen, Propheten der Herrschaft des Fleisches, während sonst frühere Propheten die Menschheit durch die Predigt der Herrschaft des Geistes über das Fleisch emporhoben und zu Großthaten stärkten, die der Segen späterer Geschlechter wurden. Der Bankerott der absoluten deutschen Philosophie, im Untergange des hegelischen Systems offen daliegend, hat theilweise auch die Behandlung der Naturwissenschaften berührt, indem einzelne naturhistorische und physiologische Arbeiten, z. B. von Karl Vogt, den Materialismus unverblümt predigen.


Deutsche Mundarten. Dieselben scheiden sich seit alter Zeit in die oberdeutsche und niederdeutsche, vermittelt durch die mitteldeutsche; alle erreichen merkwürdiger Weise dem Laufe des Rheins entlang ihr schärfstes Gepräge. Zur oberdeutschen Mundart gehört die alemannische M. (Schweiz, Baden, Vorarlberg, Elsaß), schwäbische (zwischen Bodensee, Schwarzwald, Lech, Main), bayerische (Bayern, Tyrol, Oesterreich). Die mitteldeutsche begreift die obersächsische (von Thüringen bis Posen), die ost- und westfränkische; die niederdeutsche zerfällt in das niedersächsische (Holstein, Mecklenburg, Brandenburg, Pommern, Prov. Preußen), die westfälische (zwischen Niederweser und Rhein), das Niederrheinische (Jülich, Köln, Elberfeld, Wesel), und das Holländische, das sich als Schriftsprache hingestellt hat. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen, Berlin 1843; Bernhardis Sprachkarte von Deutschland; klassisch sind Schmellers Arbeiten über den bayerischen, Weinholds über den schlesischen Dialekt.


Deutsche Musik. Die Musik erreichte in Deutschland und Italien die höchste Ausbildung. Wie der ursprüngliche deutsche Volksgesang beschaffen war, wissen wir nicht; die Ausbreitung des Christenthums brachte auch den Kirchengesang nach Deutschland, der in den Klöstern, namentlich zu Fulda und St. G allen, fördernde Pflege fand. Daß es sch on in dieser Zeit und um so mehr in späterer eine Menge deutscher kirchlicher Lieder gab, die von dem Volke gesungen wurden, sieht man aus den Chronisten; eben so gewiß ist es aber, daß die meisten derselben im 14. und 15. Jahrh. verloren gegangen sind. Der Gebrauch der Instrumente stammt aus Italien, der des Contrapunkts aus den Niederlanden, die Ausbildung der Orgel jedoch durch die Erfindung des Pedals (1470) geschah in Deutschland. Von dem weltlichen Gesange, den Melodien der Minne- und Meistersänger wissen wir sehr wenig. Die d. Kirchen-M. bildete sich im 15. Jahrh. bereits so aus, daß sie zahlreiche Componisten aufzuweisen hatte, als die Reformation ihrerseits den Choral fast ausschließlich zum Kirchengesange erhob. Das Elend des 30jähr. Krieges brachte auch für diese Richtung einen Stillstand, und zugleich drang fremde Musik in Deutschland ein; 1627 wurde die italienische Oper eingeführt und die Oper galt von da an als unumgängliches Erforderniß zu einer glänzenden Hofhaltung; dies bewirkte indessen doch so viel, daß die Deutschen den Fremden in Compositionen nacheiferten und sich eine Virtuosität in der Behandlung der Instrumente erwarben. Die Oper selbst blieb noch lange ein fremdes Gewächs in Deutschland; dagegen erhielt die Kirchen-M. durch Seb. Bach und Händel eine Ausbildung, wie sie seit Palestrina nicht mehr erlebte, verflachte sich jedoch wieder vollständig im Laufe des vorigen Jahrh. Von da an aber schwang sich die d. M. in allen andern Richtungen zur klassischen Höhe empor, welche durch Haydn, Mozart und Beethoven charakterisirt ist; diese drei Meister gehören Wien ausschließlich oder in der Periode ihrer glänzendsten Wirksamkeit an, ein Beweis, daß Wien für die d. M. der Mittelpunkt war, wo sich zu ihrer Ausbildung alle günstigen Verhältnisse vereinigten. Seitdem hat sich die Kunst nicht erschöpft, wie die Namen Spohr,

Poesie reicht eine Philosophie die Hand, die sog. junghegelische, die alles begreift, was auf der Welt ist und alles Ideale und Höhere verneint, daher allen Glauben befehdet; sie ist die deutsche Auflage der dʼAlembert, de la Mettrie etc., jener Franzosen, welche der ersten Revolution als Propheten vorangingen, Propheten der Herrschaft des Fleisches, während sonst frühere Propheten die Menschheit durch die Predigt der Herrschaft des Geistes über das Fleisch emporhoben und zu Großthaten stärkten, die der Segen späterer Geschlechter wurden. Der Bankerott der absoluten deutschen Philosophie, im Untergange des hegelischen Systems offen daliegend, hat theilweise auch die Behandlung der Naturwissenschaften berührt, indem einzelne naturhistorische und physiologische Arbeiten, z. B. von Karl Vogt, den Materialismus unverblümt predigen.


Deutsche Mundarten. Dieselben scheiden sich seit alter Zeit in die oberdeutsche und niederdeutsche, vermittelt durch die mitteldeutsche; alle erreichen merkwürdiger Weise dem Laufe des Rheins entlang ihr schärfstes Gepräge. Zur oberdeutschen Mundart gehört die alemannische M. (Schweiz, Baden, Vorarlberg, Elsaß), schwäbische (zwischen Bodensee, Schwarzwald, Lech, Main), bayerische (Bayern, Tyrol, Oesterreich). Die mitteldeutsche begreift die obersächsische (von Thüringen bis Posen), die ost- und westfränkische; die niederdeutsche zerfällt in das niedersächsische (Holstein, Mecklenburg, Brandenburg, Pommern, Prov. Preußen), die westfälische (zwischen Niederweser und Rhein), das Niederrheinische (Jülich, Köln, Elberfeld, Wesel), und das Holländische, das sich als Schriftsprache hingestellt hat. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen, Berlin 1843; Bernhardis Sprachkarte von Deutschland; klassisch sind Schmellers Arbeiten über den bayerischen, Weinholds über den schlesischen Dialekt.


Deutsche Musik. Die Musik erreichte in Deutschland und Italien die höchste Ausbildung. Wie der ursprüngliche deutsche Volksgesang beschaffen war, wissen wir nicht; die Ausbreitung des Christenthums brachte auch den Kirchengesang nach Deutschland, der in den Klöstern, namentlich zu Fulda und St. G allen, fördernde Pflege fand. Daß es sch on in dieser Zeit und um so mehr in späterer eine Menge deutscher kirchlicher Lieder gab, die von dem Volke gesungen wurden, sieht man aus den Chronisten; eben so gewiß ist es aber, daß die meisten derselben im 14. und 15. Jahrh. verloren gegangen sind. Der Gebrauch der Instrumente stammt aus Italien, der des Contrapunkts aus den Niederlanden, die Ausbildung der Orgel jedoch durch die Erfindung des Pedals (1470) geschah in Deutschland. Von dem weltlichen Gesange, den Melodien der Minne- und Meistersänger wissen wir sehr wenig. Die d. Kirchen-M. bildete sich im 15. Jahrh. bereits so aus, daß sie zahlreiche Componisten aufzuweisen hatte, als die Reformation ihrerseits den Choral fast ausschließlich zum Kirchengesange erhob. Das Elend des 30jähr. Krieges brachte auch für diese Richtung einen Stillstand, und zugleich drang fremde Musik in Deutschland ein; 1627 wurde die italienische Oper eingeführt und die Oper galt von da an als unumgängliches Erforderniß zu einer glänzenden Hofhaltung; dies bewirkte indessen doch so viel, daß die Deutschen den Fremden in Compositionen nacheiferten und sich eine Virtuosität in der Behandlung der Instrumente erwarben. Die Oper selbst blieb noch lange ein fremdes Gewächs in Deutschland; dagegen erhielt die Kirchen-M. durch Seb. Bach und Händel eine Ausbildung, wie sie seit Palestrina nicht mehr erlebte, verflachte sich jedoch wieder vollständig im Laufe des vorigen Jahrh. Von da an aber schwang sich die d. M. in allen andern Richtungen zur klassischen Höhe empor, welche durch Haydn, Mozart und Beethoven charakterisirt ist; diese drei Meister gehören Wien ausschließlich oder in der Periode ihrer glänzendsten Wirksamkeit an, ein Beweis, daß Wien für die d. M. der Mittelpunkt war, wo sich zu ihrer Ausbildung alle günstigen Verhältnisse vereinigten. Seitdem hat sich die Kunst nicht erschöpft, wie die Namen Spohr,

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[349/0350] Poesie reicht eine Philosophie die Hand, die sog. junghegelische, die alles begreift, was auf der Welt ist und alles Ideale und Höhere verneint, daher allen Glauben befehdet; sie ist die deutsche Auflage der dʼAlembert, de la Mettrie etc., jener Franzosen, welche der ersten Revolution als Propheten vorangingen, Propheten der Herrschaft des Fleisches, während sonst frühere Propheten die Menschheit durch die Predigt der Herrschaft des Geistes über das Fleisch emporhoben und zu Großthaten stärkten, die der Segen späterer Geschlechter wurden. Der Bankerott der absoluten deutschen Philosophie, im Untergange des hegelischen Systems offen daliegend, hat theilweise auch die Behandlung der Naturwissenschaften berührt, indem einzelne naturhistorische und physiologische Arbeiten, z. B. von Karl Vogt, den Materialismus unverblümt predigen. Deutsche Mundarten. Dieselben scheiden sich seit alter Zeit in die oberdeutsche und niederdeutsche, vermittelt durch die mitteldeutsche; alle erreichen merkwürdiger Weise dem Laufe des Rheins entlang ihr schärfstes Gepräge. Zur oberdeutschen Mundart gehört die alemannische M. (Schweiz, Baden, Vorarlberg, Elsaß), schwäbische (zwischen Bodensee, Schwarzwald, Lech, Main), bayerische (Bayern, Tyrol, Oesterreich). Die mitteldeutsche begreift die obersächsische (von Thüringen bis Posen), die ost- und westfränkische; die niederdeutsche zerfällt in das niedersächsische (Holstein, Mecklenburg, Brandenburg, Pommern, Prov. Preußen), die westfälische (zwischen Niederweser und Rhein), das Niederrheinische (Jülich, Köln, Elberfeld, Wesel), und das Holländische, das sich als Schriftsprache hingestellt hat. Firmenich, Germaniens Völkerstimmen, Berlin 1843; Bernhardis Sprachkarte von Deutschland; klassisch sind Schmellers Arbeiten über den bayerischen, Weinholds über den schlesischen Dialekt. Deutsche Musik. Die Musik erreichte in Deutschland und Italien die höchste Ausbildung. Wie der ursprüngliche deutsche Volksgesang beschaffen war, wissen wir nicht; die Ausbreitung des Christenthums brachte auch den Kirchengesang nach Deutschland, der in den Klöstern, namentlich zu Fulda und St. G allen, fördernde Pflege fand. Daß es sch on in dieser Zeit und um so mehr in späterer eine Menge deutscher kirchlicher Lieder gab, die von dem Volke gesungen wurden, sieht man aus den Chronisten; eben so gewiß ist es aber, daß die meisten derselben im 14. und 15. Jahrh. verloren gegangen sind. Der Gebrauch der Instrumente stammt aus Italien, der des Contrapunkts aus den Niederlanden, die Ausbildung der Orgel jedoch durch die Erfindung des Pedals (1470) geschah in Deutschland. Von dem weltlichen Gesange, den Melodien der Minne- und Meistersänger wissen wir sehr wenig. Die d. Kirchen-M. bildete sich im 15. Jahrh. bereits so aus, daß sie zahlreiche Componisten aufzuweisen hatte, als die Reformation ihrerseits den Choral fast ausschließlich zum Kirchengesange erhob. Das Elend des 30jähr. Krieges brachte auch für diese Richtung einen Stillstand, und zugleich drang fremde Musik in Deutschland ein; 1627 wurde die italienische Oper eingeführt und die Oper galt von da an als unumgängliches Erforderniß zu einer glänzenden Hofhaltung; dies bewirkte indessen doch so viel, daß die Deutschen den Fremden in Compositionen nacheiferten und sich eine Virtuosität in der Behandlung der Instrumente erwarben. Die Oper selbst blieb noch lange ein fremdes Gewächs in Deutschland; dagegen erhielt die Kirchen-M. durch Seb. Bach und Händel eine Ausbildung, wie sie seit Palestrina nicht mehr erlebte, verflachte sich jedoch wieder vollständig im Laufe des vorigen Jahrh. Von da an aber schwang sich die d. M. in allen andern Richtungen zur klassischen Höhe empor, welche durch Haydn, Mozart und Beethoven charakterisirt ist; diese drei Meister gehören Wien ausschließlich oder in der Periode ihrer glänzendsten Wirksamkeit an, ein Beweis, daß Wien für die d. M. der Mittelpunkt war, wo sich zu ihrer Ausbildung alle günstigen Verhältnisse vereinigten. Seitdem hat sich die Kunst nicht erschöpft, wie die Namen Spohr,

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon02_1854/350>, abgerufen am 22.11.2024.