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Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854.

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zu können, welchen Ezechiel bereits als menschgewordenen Logos, Daniel aber als Menschen einer genau bestimmten Zeitperiode schaute. Nach der Rückkehr in das Land der Väter verstummen die Propheten, ihre Stimme ist den Meisten des selbstsüchtigen und in das Geschick der Heidenwelt hineingezogenen Volkes nicht wahrhaft verständlich geworden. Der tiefsten Selbsterniedrigung des Menschengeschlechtes aber folgte der höchste Beweis der Liebe des Vaters, indem II. der Gottessohn der uralten Verheißung gemäß Fleisch wurde und als C. Jesus persönlich in die Weltgeschichte trat. Laut neuester Berechnung geschah dies am 25. Dec. 747 nach Roms Erbauung oder im 2. Jahr der 193. Olympiade zu Bethlehem durch die königliche Jungfrau Maria. Das Leben J. C., wie uns dasselbe in den Evangelien entgegentritt, als bekannt voraussetzend, genüge Weniges hinsichtlich der Gottmenschlichkeit, welche die Sonne der christlichen Weltanschauung, die Gränzmarke zwischen Heiden- u. Judenthum einerseits, und Christenthum anderseits und zugleich der Angelpunkt der wichtigsten, folgenschwersten theologischen Streitigkeiten von Anbeginn gewesen und bis heute geblieben ist. Alle Verheißungen des alten Bundes, Zustände und Erwartungen der Welt zur Zeit des Augustus, Zeugnisse heidnischer Schriftsteller, der unmythische Charakter des neuen Testamentes, der Mangel an Widersprüchen in demselben trotz der aus den besondern Zwecken der Verfasser fließenden Verschiedenartigkeit der Erzählungen, der übermenschlich hohe Charakter des Gottessohnes, die principiell unvermittelte Neuheit seiner Lehre, welche im Bunde mit den Gleichnissen und Wundern die tiefsinnigste Symbolik der Weltgeschichte ausmachen, seine eigenen bestimmten Aussagen, die Zeugnisse der Apostel, Kirchenväter sowie der Martyrer und Christen aller Jahrhunderte, die buchstäbliche Erfüllung aller Weissagungen, insoweit dieselben bis heute gehen, die Geschichte der Juden, der Christenheit und des Menschengeschlechtes - dies Alles hat so wenig als das in der Gegenwart stets sichtbare Fortwirken und Fortleben J. C. in seiner Kirche jemals verhindert, daß nicht Irrthum, Zweifel und Unglaube sich gegen den Gottmenschen, die geoffenbarte Religion und die Kirche sich erhoben. Hierin offenbart sich der dauernde Kampf der Ewigkeit mit der Zeit, des Prinzips der göttlichen Autorität mit dem der subjectiven Freiheit; derselbe kann nicht aufhören; weil der Glaube an den Gottessohn zugleich That des sittlichen Willens und der Gnade Gottes sowie der Erkenntniß ist, und wird nicht aufhören, so lange die subjective Freiheit und damit die Möglichkeit des Grundsatzes übrig bleibt: "Was ich nicht begreife, ist weder möglich, noch wirklich, noch nothwendig!" - Christi menschliche Natur offenbarte sich darin, daß er gleich uns aß, trank, schlief, weinte, litt und starb, die göttliche historisch zunächst am 12jährigen Jesus im Tempel, wo er als Jude das Recht der Rede bei den Nabiim besaß und eine durch keine wissenschaftliche Bildung vermittelte Erkenntniß göttlicher Dinge bewies, ferner gelegentlich der Taufe am Jordan, wo zugleich die stellvertretende Genugthuung beginnt. Nachdem er in der Wüste alle Versuchungen der menschlichen Natur überwunden, trat er in die Welt hinaus, um zu lehren, wobei er geschichtliche Thatsachen und erhabene Wahrheiten häufig in unerreichbar schöne Gleichnisse hüllt, durch seinen Wandel zunächst den haltlosen Zeitgenossen als Muster voranzuleuchten, Wunder zu wirken, deren jedes im sinnvollsten Zusammenhange mit dem ganzen Erlösungswerke steht und durch dies Alles Anhänger zu gewinnen. Indem er den Simon an sich zieht und Petrus "Felsenmann" tauft, erwählt er diesen zum Vorsteher seiner Kirche, und zum Beweise, daß seine Lehre fern sei vom Todtendienst der melancholischen Aegypter und der übertriebenen Weltentfremdung indischer Büßer, heiligt er durch sein erstes Wunder zu Kana erlaubten Sinnengenuß, während er als der entschiedenste und freimüthigste Gegner aller Selbsucht sich bewährt. Als Wohlthäter des Menschengeschlechtes durch zahlreiche Wunder zugleich seine göttliche

zu können, welchen Ezechiel bereits als menschgewordenen Logos, Daniel aber als Menschen einer genau bestimmten Zeitperiode schaute. Nach der Rückkehr in das Land der Väter verstummen die Propheten, ihre Stimme ist den Meisten des selbstsüchtigen und in das Geschick der Heidenwelt hineingezogenen Volkes nicht wahrhaft verständlich geworden. Der tiefsten Selbsterniedrigung des Menschengeschlechtes aber folgte der höchste Beweis der Liebe des Vaters, indem II. der Gottessohn der uralten Verheißung gemäß Fleisch wurde und als C. Jesus persönlich in die Weltgeschichte trat. Laut neuester Berechnung geschah dies am 25. Dec. 747 nach Roms Erbauung oder im 2. Jahr der 193. Olympiade zu Bethlehem durch die königliche Jungfrau Maria. Das Leben J. C., wie uns dasselbe in den Evangelien entgegentritt, als bekannt voraussetzend, genüge Weniges hinsichtlich der Gottmenschlichkeit, welche die Sonne der christlichen Weltanschauung, die Gränzmarke zwischen Heiden- u. Judenthum einerseits, und Christenthum anderseits und zugleich der Angelpunkt der wichtigsten, folgenschwersten theologischen Streitigkeiten von Anbeginn gewesen und bis heute geblieben ist. Alle Verheißungen des alten Bundes, Zustände und Erwartungen der Welt zur Zeit des Augustus, Zeugnisse heidnischer Schriftsteller, der unmythische Charakter des neuen Testamentes, der Mangel an Widersprüchen in demselben trotz der aus den besondern Zwecken der Verfasser fließenden Verschiedenartigkeit der Erzählungen, der übermenschlich hohe Charakter des Gottessohnes, die principiell unvermittelte Neuheit seiner Lehre, welche im Bunde mit den Gleichnissen und Wundern die tiefsinnigste Symbolik der Weltgeschichte ausmachen, seine eigenen bestimmten Aussagen, die Zeugnisse der Apostel, Kirchenväter sowie der Martyrer und Christen aller Jahrhunderte, die buchstäbliche Erfüllung aller Weissagungen, insoweit dieselben bis heute gehen, die Geschichte der Juden, der Christenheit und des Menschengeschlechtes – dies Alles hat so wenig als das in der Gegenwart stets sichtbare Fortwirken und Fortleben J. C. in seiner Kirche jemals verhindert, daß nicht Irrthum, Zweifel und Unglaube sich gegen den Gottmenschen, die geoffenbarte Religion und die Kirche sich erhoben. Hierin offenbart sich der dauernde Kampf der Ewigkeit mit der Zeit, des Prinzips der göttlichen Autorität mit dem der subjectiven Freiheit; derselbe kann nicht aufhören; weil der Glaube an den Gottessohn zugleich That des sittlichen Willens und der Gnade Gottes sowie der Erkenntniß ist, und wird nicht aufhören, so lange die subjective Freiheit und damit die Möglichkeit des Grundsatzes übrig bleibt: „Was ich nicht begreife, ist weder möglich, noch wirklich, noch nothwendig!“ – Christi menschliche Natur offenbarte sich darin, daß er gleich uns aß, trank, schlief, weinte, litt und starb, die göttliche historisch zunächst am 12jährigen Jesus im Tempel, wo er als Jude das Recht der Rede bei den Nabiim besaß und eine durch keine wissenschaftliche Bildung vermittelte Erkenntniß göttlicher Dinge bewies, ferner gelegentlich der Taufe am Jordan, wo zugleich die stellvertretende Genugthuung beginnt. Nachdem er in der Wüste alle Versuchungen der menschlichen Natur überwunden, trat er in die Welt hinaus, um zu lehren, wobei er geschichtliche Thatsachen und erhabene Wahrheiten häufig in unerreichbar schöne Gleichnisse hüllt, durch seinen Wandel zunächst den haltlosen Zeitgenossen als Muster voranzuleuchten, Wunder zu wirken, deren jedes im sinnvollsten Zusammenhange mit dem ganzen Erlösungswerke steht und durch dies Alles Anhänger zu gewinnen. Indem er den Simon an sich zieht und Petrus „Felsenmann“ tauft, erwählt er diesen zum Vorsteher seiner Kirche, und zum Beweise, daß seine Lehre fern sei vom Todtendienst der melancholischen Aegypter und der übertriebenen Weltentfremdung indischer Büßer, heiligt er durch sein erstes Wunder zu Kana erlaubten Sinnengenuß, während er als der entschiedenste und freimüthigste Gegner aller Selbsucht sich bewährt. Als Wohlthäter des Menschengeschlechtes durch zahlreiche Wunder zugleich seine göttliche

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[113/0114] zu können, welchen Ezechiel bereits als menschgewordenen Logos, Daniel aber als Menschen einer genau bestimmten Zeitperiode schaute. Nach der Rückkehr in das Land der Väter verstummen die Propheten, ihre Stimme ist den Meisten des selbstsüchtigen und in das Geschick der Heidenwelt hineingezogenen Volkes nicht wahrhaft verständlich geworden. Der tiefsten Selbsterniedrigung des Menschengeschlechtes aber folgte der höchste Beweis der Liebe des Vaters, indem II. der Gottessohn der uralten Verheißung gemäß Fleisch wurde und als C. Jesus persönlich in die Weltgeschichte trat. Laut neuester Berechnung geschah dies am 25. Dec. 747 nach Roms Erbauung oder im 2. Jahr der 193. Olympiade zu Bethlehem durch die königliche Jungfrau Maria. Das Leben J. C., wie uns dasselbe in den Evangelien entgegentritt, als bekannt voraussetzend, genüge Weniges hinsichtlich der Gottmenschlichkeit, welche die Sonne der christlichen Weltanschauung, die Gränzmarke zwischen Heiden- u. Judenthum einerseits, und Christenthum anderseits und zugleich der Angelpunkt der wichtigsten, folgenschwersten theologischen Streitigkeiten von Anbeginn gewesen und bis heute geblieben ist. Alle Verheißungen des alten Bundes, Zustände und Erwartungen der Welt zur Zeit des Augustus, Zeugnisse heidnischer Schriftsteller, der unmythische Charakter des neuen Testamentes, der Mangel an Widersprüchen in demselben trotz der aus den besondern Zwecken der Verfasser fließenden Verschiedenartigkeit der Erzählungen, der übermenschlich hohe Charakter des Gottessohnes, die principiell unvermittelte Neuheit seiner Lehre, welche im Bunde mit den Gleichnissen und Wundern die tiefsinnigste Symbolik der Weltgeschichte ausmachen, seine eigenen bestimmten Aussagen, die Zeugnisse der Apostel, Kirchenväter sowie der Martyrer und Christen aller Jahrhunderte, die buchstäbliche Erfüllung aller Weissagungen, insoweit dieselben bis heute gehen, die Geschichte der Juden, der Christenheit und des Menschengeschlechtes – dies Alles hat so wenig als das in der Gegenwart stets sichtbare Fortwirken und Fortleben J. C. in seiner Kirche jemals verhindert, daß nicht Irrthum, Zweifel und Unglaube sich gegen den Gottmenschen, die geoffenbarte Religion und die Kirche sich erhoben. Hierin offenbart sich der dauernde Kampf der Ewigkeit mit der Zeit, des Prinzips der göttlichen Autorität mit dem der subjectiven Freiheit; derselbe kann nicht aufhören; weil der Glaube an den Gottessohn zugleich That des sittlichen Willens und der Gnade Gottes sowie der Erkenntniß ist, und wird nicht aufhören, so lange die subjective Freiheit und damit die Möglichkeit des Grundsatzes übrig bleibt: „Was ich nicht begreife, ist weder möglich, noch wirklich, noch nothwendig!“ – Christi menschliche Natur offenbarte sich darin, daß er gleich uns aß, trank, schlief, weinte, litt und starb, die göttliche historisch zunächst am 12jährigen Jesus im Tempel, wo er als Jude das Recht der Rede bei den Nabiim besaß und eine durch keine wissenschaftliche Bildung vermittelte Erkenntniß göttlicher Dinge bewies, ferner gelegentlich der Taufe am Jordan, wo zugleich die stellvertretende Genugthuung beginnt. Nachdem er in der Wüste alle Versuchungen der menschlichen Natur überwunden, trat er in die Welt hinaus, um zu lehren, wobei er geschichtliche Thatsachen und erhabene Wahrheiten häufig in unerreichbar schöne Gleichnisse hüllt, durch seinen Wandel zunächst den haltlosen Zeitgenossen als Muster voranzuleuchten, Wunder zu wirken, deren jedes im sinnvollsten Zusammenhange mit dem ganzen Erlösungswerke steht und durch dies Alles Anhänger zu gewinnen. Indem er den Simon an sich zieht und Petrus „Felsenmann“ tauft, erwählt er diesen zum Vorsteher seiner Kirche, und zum Beweise, daß seine Lehre fern sei vom Todtendienst der melancholischen Aegypter und der übertriebenen Weltentfremdung indischer Büßer, heiligt er durch sein erstes Wunder zu Kana erlaubten Sinnengenuß, während er als der entschiedenste und freimüthigste Gegner aller Selbsucht sich bewährt. Als Wohlthäter des Menschengeschlechtes durch zahlreiche Wunder zugleich seine göttliche

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Zitationshilfe: Herders Conversations-Lexikon. Bd. 2. Freiburg im Breisgau, 1854, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationslexikon02_1854/114>, abgerufen am 26.11.2024.