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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 30. Burg/Berlin, 1837.

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[Beginn Spaltensatz] chen, und Stadt und Landschaft waren wegen ihrer
Rechte bald genug mit einander ausgeglichen. Nur in
den Bewegungen des stattlichen Marktfleckens Hallau,
der am Fuß eines vom Randenburg stammenden Gebirgs-
zweiges, und im Schoße der fruchtbarsten Gefilde, ruht,
regte sich, wie schon in frühern Tagen, heißeres Schwei-
zerblut. Hier hatten auch schon zu Thomas Mün-
zers
Tagen, im sechszehnten Jahrhundert, Wiedertäu-
fer ihr wildes, schwärmerisches Spiel getrieben. Ja
Thomas Münzer selbst wohnte, aus Deutschland
verjagt, in Hallau und dem benachbarten Flecken Schleit-
heim ein halbes Jahr lang. Auch war's in eben diesem
Hallau, wo sich zuerst im Jnnern der Eidsgenossen-
schaft, und zwar schon im Jahre 1790, der erwachte
republikanische Geist gegen die sogenannte alte, gute Zeit
regte, welche das Jnteresse des Landvolks und des gan-
zen Staates, neben dem Vortheil der Stadtfamilien,
oft genug vergaß. Das rührige Völkchen hier und in
der Umgegend wollte schon damals nicht länger die har-
ten Willkühren und Neckereien beim Bezug der Zehnten
und Bodenzinse, noch weniger die eben so gefährliche,
als alberne Staatseinrichtung dulden, daß Oberbeamte
durchs blinde Loos erwählt wurden. Nur mit Mühe
ward ein bewaffneter Aufstand verhindert. - Und wie-
der war es hier, wo im Jahre 1833 das wachsame
Volk seine Obrigkeit an vergessene Pflichten mahnte.
Die schaffhauser Regierung hatte nämlich gestattet, daß
eine Abtheilung Großherzoglich=Badenscher Truppen mit
zwei Kanonen durch den Klettgau, über Schweizerboden,
nach Konstanz ziehen dürfe, hatte aber vergessen, davon
den einheimischen Behörden an den Gränzorten Anzeige
mitzutheilen. Als daher eine Abtheilung Badenscher
Dragoner unerwartet einrückte, traten plötzlich die Hal-
lauer unter Waffen; die Milizen des ganzen Landes
waren schlagfertig. Zwei Offiziere von Hallau begaben
sich warnend zum Badenschen Kommandanten, und ver-
mochten ihn, das Schweizergebiet zu vermeiden, um Blut-
vergießen zu verhindern. Die ganze Eidsgenossenschaft
zollte dieser Wachsamkeit der Hallauer Beifall.

Es mangelt dem Ländchen, mit seinen zwei und
dreißig tausend Einwohnern, nicht an mancherlei Arten
des Gewerbfleißes; doch ist der Landbau auf diesem
fruchtbaren Boden die Grundlage allgemeinen Wohlstan-
des; und die neue Staatsordnung, auf politischer Rechts-
gleichheit begründet, sichert den Einwohnern zur Entfal-
tung ihrer materiellen und geistigen Kräfte eine Freiheit,
wie sie alle Kantone der Schweiz jetzt, außer den alt-
demokratischen, katholischen Hirtenländern im Hochgebirg,
irgend genießen können. Die Staatsverfassung, die wir
daher hier nicht näher bezeichnen wollen, hat indessen
auch ihre Eigenthümlichkeiten, oder man könnte sagen
Schweizerligkeiten, welche vielleicht des Auslän-
ders Verwunderung oder Lächeln erregen mögen. Zum
Beispiel ist im Kanton Schaffhausen, wie ehemals schon,
auch jetzt noch den Advokaten die Zulassung bei allen
Gerichtstellen untersagt. Aber nicht das Urbild der voll-
kommensten Verfassung, welches aus dem Geist des größ-
ten Denkers hervorgeht, ist immer das beste Grundge-
setz jedes Volkes, so wenig jedes Kleid, wär es auch
[Spaltenumbruch] der edlen Gestalt eines Antinous angemessen, jedem Men-
schen gerecht und bequem sein kann. Wie Herkunft,
Schicksal, Gewohnheit, Klima, Beschäftigungsweise und
Gemüth den menschlichen Leib gestalten zum Wahrzeichen
und Werkzeug der Seele; so gestaltet sich auch der
Staat, als des Volkes äußere Form, aus dessen Leben,
Oertlichkeit, Denkart und Bedürfniß.



Die Strandräuber

von
James Sheridan Knowles.

Es war ein Märzmorgen - dunkel, doch ohne
einen Tropfen Regen oder Windhauch - jener marmor-
schwarze dichtumzogene Himmel, der gewissen Sturm
dräuet. Die Nacht war rauh und kalt gewesen - zu
kalt, um mit Behagen in der freien Luft zu schlafen;
und doch hatte in ihr ein Landmädchen aus einem Fi-
scherdörfchen an der kornwallischen Küste ihre Ruhestelle
sich gewählt. Jhr Lager war ein hartes, furchtbares
- der Rand einer Klippe, die fast ein hundert Fuß
lothrecht vom Meerufer aufstieg; und doch wiegte nicht
der weichste Pfühl, der je in Dorf, Städtchen oder
Stadt gebettet ward, eine Schläferin, die an Ebenmaß
der Gestalt, an Reiz der Züge die Schlummernde hier
auf diesem unheimlichen Ruhebette überstrahlt hätte. Jhr
Schlaf war unruhig bewegt, aber tief. Weder der volle
Morgenschein vermochte ihn zu unterbrechen, noch -
jetzt - der Druck einer Hand, die die ihrige ergriffen
hatte, noch die Thränen, die den Augen eines sanft
über sie Herabgebeugten entstürzten - eines jungen
Mannes von ungefähr ihren Jahren oder ein wenig
älter, dem Aeußern nach vom Seegewerbe.

"So hast Du wieder die ganze Nacht außen ge-
schlafen?" sprach er halblaut, und noch immer flossen
seine Thränen. "Und wird's denn immer schlimmer
mit deinem armen Kopfe? und werde ich denn nie den
Tag erleben, wo ich Dich zu meinem Weibe machen
kann? Sie wollen mich Dich nicht heirathen lassen, weil
Du toll seiest - sagen sie - und Du nicht wissest,
was Du thust; aber Du liebtest mich, als Dein Geist
gesund war! Hätt' ich damals Dich geheirathet, so
wärst Du ja immer noch mein Weib! - immer noch
traut und lieb! Warum soll ich Dich jetzt nicht heira-
then? Jch könnte dann wachen über Dir bei Nacht.
Meine Arme würden Dich dann umschlingen, Dich fest-
halten, daß Du nicht von Deinem Bette Dich fortstäh-
lest, an einem Orte zu schlafen, wie dieser."

Die Neigung, die den Jüngling an das Wesen
band, dem diese Anrede der tiefsten leidenschaftlichen Be-
wegung galt, war von jener reinen, festen Art, wie sie
nur im unverkünstelten Herzen zu wurzeln vermag. Un-
ter ihren Augen war eine Blutthat verübt worden, die
sie zur Waise machte und das Licht ihrer Vernunft aus-
löschte. Sie hatte sein Weib werden sollen; allein bei
ihrem unglücklichen Geisteszustande wollte kein Geistlicher
die Trauhandlung vornehmen. Darum aber entzog er
ihr seinen treuen Schutz nicht. Unter seiner Mutter
Dache lebte sie als eine Schwester - der Gegenstand
[Ende Spaltensatz]

471 Conversations=Blatt. 472
[Beginn Spaltensatz] chen, und Stadt und Landschaft waren wegen ihrer
Rechte bald genug mit einander ausgeglichen. Nur in
den Bewegungen des stattlichen Marktfleckens Hallau,
der am Fuß eines vom Randenburg stammenden Gebirgs-
zweiges, und im Schoße der fruchtbarsten Gefilde, ruht,
regte sich, wie schon in frühern Tagen, heißeres Schwei-
zerblut. Hier hatten auch schon zu Thomas Mün-
zers
Tagen, im sechszehnten Jahrhundert, Wiedertäu-
fer ihr wildes, schwärmerisches Spiel getrieben. Ja
Thomas Münzer selbst wohnte, aus Deutschland
verjagt, in Hallau und dem benachbarten Flecken Schleit-
heim ein halbes Jahr lang. Auch war's in eben diesem
Hallau, wo sich zuerst im Jnnern der Eidsgenossen-
schaft, und zwar schon im Jahre 1790, der erwachte
republikanische Geist gegen die sogenannte alte, gute Zeit
regte, welche das Jnteresse des Landvolks und des gan-
zen Staates, neben dem Vortheil der Stadtfamilien,
oft genug vergaß. Das rührige Völkchen hier und in
der Umgegend wollte schon damals nicht länger die har-
ten Willkühren und Neckereien beim Bezug der Zehnten
und Bodenzinse, noch weniger die eben so gefährliche,
als alberne Staatseinrichtung dulden, daß Oberbeamte
durchs blinde Loos erwählt wurden. Nur mit Mühe
ward ein bewaffneter Aufstand verhindert. – Und wie-
der war es hier, wo im Jahre 1833 das wachsame
Volk seine Obrigkeit an vergessene Pflichten mahnte.
Die schaffhauser Regierung hatte nämlich gestattet, daß
eine Abtheilung Großherzoglich=Badenscher Truppen mit
zwei Kanonen durch den Klettgau, über Schweizerboden,
nach Konstanz ziehen dürfe, hatte aber vergessen, davon
den einheimischen Behörden an den Gränzorten Anzeige
mitzutheilen. Als daher eine Abtheilung Badenscher
Dragoner unerwartet einrückte, traten plötzlich die Hal-
lauer unter Waffen; die Milizen des ganzen Landes
waren schlagfertig. Zwei Offiziere von Hallau begaben
sich warnend zum Badenschen Kommandanten, und ver-
mochten ihn, das Schweizergebiet zu vermeiden, um Blut-
vergießen zu verhindern. Die ganze Eidsgenossenschaft
zollte dieser Wachsamkeit der Hallauer Beifall.

Es mangelt dem Ländchen, mit seinen zwei und
dreißig tausend Einwohnern, nicht an mancherlei Arten
des Gewerbfleißes; doch ist der Landbau auf diesem
fruchtbaren Boden die Grundlage allgemeinen Wohlstan-
des; und die neue Staatsordnung, auf politischer Rechts-
gleichheit begründet, sichert den Einwohnern zur Entfal-
tung ihrer materiellen und geistigen Kräfte eine Freiheit,
wie sie alle Kantone der Schweiz jetzt, außer den alt-
demokratischen, katholischen Hirtenländern im Hochgebirg,
irgend genießen können. Die Staatsverfassung, die wir
daher hier nicht näher bezeichnen wollen, hat indessen
auch ihre Eigenthümlichkeiten, oder man könnte sagen
Schweizerligkeiten, welche vielleicht des Auslän-
ders Verwunderung oder Lächeln erregen mögen. Zum
Beispiel ist im Kanton Schaffhausen, wie ehemals schon,
auch jetzt noch den Advokaten die Zulassung bei allen
Gerichtstellen untersagt. Aber nicht das Urbild der voll-
kommensten Verfassung, welches aus dem Geist des größ-
ten Denkers hervorgeht, ist immer das beste Grundge-
setz jedes Volkes, so wenig jedes Kleid, wär es auch
[Spaltenumbruch] der edlen Gestalt eines Antinous angemessen, jedem Men-
schen gerecht und bequem sein kann. Wie Herkunft,
Schicksal, Gewohnheit, Klima, Beschäftigungsweise und
Gemüth den menschlichen Leib gestalten zum Wahrzeichen
und Werkzeug der Seele; so gestaltet sich auch der
Staat, als des Volkes äußere Form, aus dessen Leben,
Oertlichkeit, Denkart und Bedürfniß.



Die Strandräuber

von
James Sheridan Knowles.

Es war ein Märzmorgen – dunkel, doch ohne
einen Tropfen Regen oder Windhauch – jener marmor-
schwarze dichtumzogene Himmel, der gewissen Sturm
dräuet. Die Nacht war rauh und kalt gewesen – zu
kalt, um mit Behagen in der freien Luft zu schlafen;
und doch hatte in ihr ein Landmädchen aus einem Fi-
scherdörfchen an der kornwallischen Küste ihre Ruhestelle
sich gewählt. Jhr Lager war ein hartes, furchtbares
– der Rand einer Klippe, die fast ein hundert Fuß
lothrecht vom Meerufer aufstieg; und doch wiegte nicht
der weichste Pfühl, der je in Dorf, Städtchen oder
Stadt gebettet ward, eine Schläferin, die an Ebenmaß
der Gestalt, an Reiz der Züge die Schlummernde hier
auf diesem unheimlichen Ruhebette überstrahlt hätte. Jhr
Schlaf war unruhig bewegt, aber tief. Weder der volle
Morgenschein vermochte ihn zu unterbrechen, noch –
jetzt – der Druck einer Hand, die die ihrige ergriffen
hatte, noch die Thränen, die den Augen eines sanft
über sie Herabgebeugten entstürzten – eines jungen
Mannes von ungefähr ihren Jahren oder ein wenig
älter, dem Aeußern nach vom Seegewerbe.

„So hast Du wieder die ganze Nacht außen ge-
schlafen?“ sprach er halblaut, und noch immer flossen
seine Thränen. „Und wird's denn immer schlimmer
mit deinem armen Kopfe? und werde ich denn nie den
Tag erleben, wo ich Dich zu meinem Weibe machen
kann? Sie wollen mich Dich nicht heirathen lassen, weil
Du toll seiest – sagen sie – und Du nicht wissest,
was Du thust; aber Du liebtest mich, als Dein Geist
gesund war! Hätt' ich damals Dich geheirathet, so
wärst Du ja immer noch mein Weib! – immer noch
traut und lieb! Warum soll ich Dich jetzt nicht heira-
then? Jch könnte dann wachen über Dir bei Nacht.
Meine Arme würden Dich dann umschlingen, Dich fest-
halten, daß Du nicht von Deinem Bette Dich fortstäh-
lest, an einem Orte zu schlafen, wie dieser.“

Die Neigung, die den Jüngling an das Wesen
band, dem diese Anrede der tiefsten leidenschaftlichen Be-
wegung galt, war von jener reinen, festen Art, wie sie
nur im unverkünstelten Herzen zu wurzeln vermag. Un-
ter ihren Augen war eine Blutthat verübt worden, die
sie zur Waise machte und das Licht ihrer Vernunft aus-
löschte. Sie hatte sein Weib werden sollen; allein bei
ihrem unglücklichen Geisteszustande wollte kein Geistlicher
die Trauhandlung vornehmen. Darum aber entzog er
ihr seinen treuen Schutz nicht. Unter seiner Mutter
Dache lebte sie als eine Schwester – der Gegenstand
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 30. Burg/Berlin, 1837, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt30_1837/6>, abgerufen am 24.11.2024.