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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 13. Burg/Berlin, 1836.

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195 Conversations=Blatt. 196
[Beginn Spaltensatz]
Der Bär von Krain.

(Fortsetzung.)

Die große Saal=Thür ging auf, und ein Diener
trat herein.

"Sag' meiner Tochter," sprach der Ritter, "daß der
Arzt, den ich erwartete, hier ist, und frag', ob sie bereit
ist, ihn zu empfangen."

Der Diener schien kaum den Befehl, den er erhielt,
zu hören; wie versteinert stand er da, sein Auge unver-
wandt auf den Doktor geheftet.

Dieses sonderbare Benehmen erregte die Aufmerksam-
keit Belgarbo's, der dem starren Blick des Menschen begeg-
nete, und nun seinerseits die Gesichtszüge desselben genauer
in's Auge zu fassen anfing.

"Nun!" rief Herrmann, "warum zaudert Jhr? -
Habt Jhr meinen Befehl nicht vernommen?"

Der Diener verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu
sagen, und Herrmann wollte das Gespräch, welches das
Eintreten des Dieners unterbrochen hatte, wieder anknüpfen,
als Belgarbo ihn daran hinderte, indem er seine Hand ernst
auf des Ritters Arm legend, ihn in feierlichem Tone fragte:
"Wer ist der Mensch? - Kennt Jhr ihn auch gut?"

"Er ist ein alter Diener unseres Hauses," versetzte
Herrmann, "der seit der Belagerung in der Burg den Dienst
als Haushofmeister versieht."

"Hütet Euch vor ihm!" antwortete der Doktor ernst.
"Jch habe die Lineamente seines Gesichts mir genau ange-
sehen, und sie sagen mir nichts Gutes."

Ein augenblickliches Lächeln verbreitete sich über das
Gesicht des Ritters von Lueg. "Jhr müßt mir verzeihen,
wenn eine vieljährige treue Dienstleistung bei mir die schwan-
kenden und erfahrungsmäßigen Negeln einer muthmaßlichen
Wissenschaft überwiegt."

"Verachtet diese Regeln nicht, obgleich Jhr sie nicht
kennt. Jhre Anwendung hat mich selten getäuscht. Jch
wiederhole es, hütet Euch vor diesem Menschen! Jch habe
genau in seine Physiognomie gelesen. Die hervorstehenden
Backenknochen, die dünnen Lippen, das spitze Kinn, die tief-
liegenden Augen, die dreieckige Stirn - kommt dies Alles
zufammen, so ist es das untrüglichste Zeichen von Verrä-
therei und Verbrechen."

"Jch will mit Euch nicht streiten," sagte Herrmann.
"Jch habe von dem Menschen aber nichts zu fürchten. Er
ist keiner von denen, die ich zu Gefährten meiner Flucht zu
machen gedenke, und das Geheimniß des unterirdischen Aus-
gangs ist ihm gleichfalls nicht bekannt. Diesem Umstande
müßt Jhr das groteske Erstaunen zuschreiben, welches er
bei Eurer Erblickung an den Tag legte, ohne errathen zu
können, wie Jhr hieher gekommen seid; und den Ort, den
ich zu meinem Aufenthalt wähle, soll er auch nicht erfahren."

Belgarbo empfing die Versicherungen als eine der
Wissenschaft gezollte Huldigung als von einem, den zu über-
zeugen ihm gelungen, und die Unterhaltung kam nun wie-
der auf den durch obiges Ereigniß unterbrochenen Gegen-
stand zurück. "Jch erzählte Euch," sagte der Ritter, "daß
die hinwelkende Gesundheit meines Kindes das einzige Hin-
derniß sei, daß ich nicht sofort von hier gehe. Seit ihrer
Ankunft in dieser Burg welkte mein sanftes Mädchen täg-
[Spaltenumbruch] lich mehr hin, und unsere Ankunft erfolgte zu schnell, als
daß ich die nöthigen Einrichtungen zu ihrem Wohl hätte
treffen können. Jch bin fast ihr einziger Gesellschafter,
und dieser Umstand hat mich gezwungen, genauer, als ich
zu denken es gut ertragen kann, zu sehen, wie ihre Wan-
gen täglich mehr erblassen und das Feuer ihrer Augen matt
wird. Meine arme Jda, der einzige Sprößling meines
Hauses, läßt ihren Kopf hangen wie eine hinsterbende Lilie.
Auf alle meine Vorstellungen von der sofortigen Entfernung
antwortet sie mit Blicken, welche die gänzliche Unmöglich-
keit derselben in Hinsicht ihrer zu behaupten scheinen, und
wenn sie mich anflehet, sie hier zu verlassen, so fügen ihre
Blicke hinzu, was ihre Zunge nicht sagt - um zu sterben!
Doktor! Das Glück meines alten unbefleckten Hauses ver-
fällt mit diesem holden und, wie ich fürchte, sterbenden
Mädchen. Aber ich kann sie hier den Ereignissen nicht
blos gestellt zurücklassen, die bei meiner Abreise erfolgen
müssen, und kann ihre Entfernung nicht mit Sicherheit be-
werkstelligt werden, so muß Maximilian seinen Liebling rä-
chen, und ich muß bleiben und mit der Blume, die ich ver-
gebens zog, umkommen."

"Es wird schwer halten," sagte der Doktor nach ei-
ner Pause mit stockender Stimme - "es wird schwer hal-
ten; wir wollen sie aber in meine Wohnung nach Goerz
bringen lassen, wo sie geheim und sicher bleiben kann, bis
der Hauch der italienischen Luft mich in den Stand gesetzt
hat, mit den Rosen des Südens auf ihren Wangen sie ih-
rem Vater wieder zuzuführen."

"Wäre das möglich," sagte Herrmann, die Hand sei-
nes alten wohlwollenden Freundes drückend, "so würde ich
Euch mehr Dank schuldig werden, als ich jemals abtragen
könnte. Seht aber mein Kind, und urtheilt selbst. Die-
ser Mann wird Euch zu meiner Tochter führen."

Der Haushofmeister war eben mit einer Lampe in
der Hand hereingetreten. Der Doktor stand auf, und nä-
her auf ihn zutretend, wollte er seine physiognomischen
Beobachtungen über die zurückschreckenden Gesichtszüge des
Mannes erneuern; allein der Haushofmeister entging für
diesmal seinen ferneren Untersuchungen dadurch, daß er sich
umwendete, um den Weg zu den Zimmern des Fräuleins
Jda zu zeigen, und einen Augenblick nachher befand er sich
mit seiner jungen und schönen Patientin allein.

    (Fortsetzung folgt.)



Friedrichs des Großen Lebens=und
Tagesordnung.

(Fortsetzung.)

Halb neun Uhr wurde in den spätern Lebensjahren
für die Fremden die Tafel angerichtet, an welcher der Kö-
nig nicht Theil nahm und welche nicht viel über eine halbe
Stunde währte. Noch späterhin, als der Kreis der alten
Freunde immer mehr dahinschwand, verloren diese Abend-
genüsse noch mehr von ihren Reizen. D'Argens, Bastiani,
Lord Marishal, Quintus Jcilius, Lucchesini und wer sonst
noch angenehm erschien, kamen zum Könige, welcher vorlas,
und wenn ein Abschnitt geendigt war, über das Gelesene
die Unterhaltung anknüpfte. Dann wurden die Gesellschaf-
ter entlassen. Der König stellte sich vor den Kamin, zog
[Ende Spaltensatz]

195 Conversations=Blatt. 196
[Beginn Spaltensatz]
Der Bär von Krain.

(Fortsetzung.)

Die große Saal=Thür ging auf, und ein Diener
trat herein.

„Sag' meiner Tochter,“ sprach der Ritter, „daß der
Arzt, den ich erwartete, hier ist, und frag', ob sie bereit
ist, ihn zu empfangen.“

Der Diener schien kaum den Befehl, den er erhielt,
zu hören; wie versteinert stand er da, sein Auge unver-
wandt auf den Doktor geheftet.

Dieses sonderbare Benehmen erregte die Aufmerksam-
keit Belgarbo's, der dem starren Blick des Menschen begeg-
nete, und nun seinerseits die Gesichtszüge desselben genauer
in's Auge zu fassen anfing.

„Nun!“ rief Herrmann, „warum zaudert Jhr? –
Habt Jhr meinen Befehl nicht vernommen?“

Der Diener verließ das Zimmer, ohne ein Wort zu
sagen, und Herrmann wollte das Gespräch, welches das
Eintreten des Dieners unterbrochen hatte, wieder anknüpfen,
als Belgarbo ihn daran hinderte, indem er seine Hand ernst
auf des Ritters Arm legend, ihn in feierlichem Tone fragte:
„Wer ist der Mensch? – Kennt Jhr ihn auch gut?“

„Er ist ein alter Diener unseres Hauses,“ versetzte
Herrmann, „der seit der Belagerung in der Burg den Dienst
als Haushofmeister versieht.“

„Hütet Euch vor ihm!“ antwortete der Doktor ernst.
„Jch habe die Lineamente seines Gesichts mir genau ange-
sehen, und sie sagen mir nichts Gutes.“

Ein augenblickliches Lächeln verbreitete sich über das
Gesicht des Ritters von Lueg. „Jhr müßt mir verzeihen,
wenn eine vieljährige treue Dienstleistung bei mir die schwan-
kenden und erfahrungsmäßigen Negeln einer muthmaßlichen
Wissenschaft überwiegt.“

„Verachtet diese Regeln nicht, obgleich Jhr sie nicht
kennt. Jhre Anwendung hat mich selten getäuscht. Jch
wiederhole es, hütet Euch vor diesem Menschen! Jch habe
genau in seine Physiognomie gelesen. Die hervorstehenden
Backenknochen, die dünnen Lippen, das spitze Kinn, die tief-
liegenden Augen, die dreieckige Stirn – kommt dies Alles
zufammen, so ist es das untrüglichste Zeichen von Verrä-
therei und Verbrechen.“

„Jch will mit Euch nicht streiten,“ sagte Herrmann.
„Jch habe von dem Menschen aber nichts zu fürchten. Er
ist keiner von denen, die ich zu Gefährten meiner Flucht zu
machen gedenke, und das Geheimniß des unterirdischen Aus-
gangs ist ihm gleichfalls nicht bekannt. Diesem Umstande
müßt Jhr das groteske Erstaunen zuschreiben, welches er
bei Eurer Erblickung an den Tag legte, ohne errathen zu
können, wie Jhr hieher gekommen seid; und den Ort, den
ich zu meinem Aufenthalt wähle, soll er auch nicht erfahren.“

Belgarbo empfing die Versicherungen als eine der
Wissenschaft gezollte Huldigung als von einem, den zu über-
zeugen ihm gelungen, und die Unterhaltung kam nun wie-
der auf den durch obiges Ereigniß unterbrochenen Gegen-
stand zurück. „Jch erzählte Euch,“ sagte der Ritter, „daß
die hinwelkende Gesundheit meines Kindes das einzige Hin-
derniß sei, daß ich nicht sofort von hier gehe. Seit ihrer
Ankunft in dieser Burg welkte mein sanftes Mädchen täg-
[Spaltenumbruch] lich mehr hin, und unsere Ankunft erfolgte zu schnell, als
daß ich die nöthigen Einrichtungen zu ihrem Wohl hätte
treffen können. Jch bin fast ihr einziger Gesellschafter,
und dieser Umstand hat mich gezwungen, genauer, als ich
zu denken es gut ertragen kann, zu sehen, wie ihre Wan-
gen täglich mehr erblassen und das Feuer ihrer Augen matt
wird. Meine arme Jda, der einzige Sprößling meines
Hauses, läßt ihren Kopf hangen wie eine hinsterbende Lilie.
Auf alle meine Vorstellungen von der sofortigen Entfernung
antwortet sie mit Blicken, welche die gänzliche Unmöglich-
keit derselben in Hinsicht ihrer zu behaupten scheinen, und
wenn sie mich anflehet, sie hier zu verlassen, so fügen ihre
Blicke hinzu, was ihre Zunge nicht sagt – um zu sterben!
Doktor! Das Glück meines alten unbefleckten Hauses ver-
fällt mit diesem holden und, wie ich fürchte, sterbenden
Mädchen. Aber ich kann sie hier den Ereignissen nicht
blos gestellt zurücklassen, die bei meiner Abreise erfolgen
müssen, und kann ihre Entfernung nicht mit Sicherheit be-
werkstelligt werden, so muß Maximilian seinen Liebling rä-
chen, und ich muß bleiben und mit der Blume, die ich ver-
gebens zog, umkommen.“

„Es wird schwer halten,“ sagte der Doktor nach ei-
ner Pause mit stockender Stimme – „es wird schwer hal-
ten; wir wollen sie aber in meine Wohnung nach Goerz
bringen lassen, wo sie geheim und sicher bleiben kann, bis
der Hauch der italienischen Luft mich in den Stand gesetzt
hat, mit den Rosen des Südens auf ihren Wangen sie ih-
rem Vater wieder zuzuführen.“

„Wäre das möglich,“ sagte Herrmann, die Hand sei-
nes alten wohlwollenden Freundes drückend, „so würde ich
Euch mehr Dank schuldig werden, als ich jemals abtragen
könnte. Seht aber mein Kind, und urtheilt selbst. Die-
ser Mann wird Euch zu meiner Tochter führen.“

Der Haushofmeister war eben mit einer Lampe in
der Hand hereingetreten. Der Doktor stand auf, und nä-
her auf ihn zutretend, wollte er seine physiognomischen
Beobachtungen über die zurückschreckenden Gesichtszüge des
Mannes erneuern; allein der Haushofmeister entging für
diesmal seinen ferneren Untersuchungen dadurch, daß er sich
umwendete, um den Weg zu den Zimmern des Fräuleins
Jda zu zeigen, und einen Augenblick nachher befand er sich
mit seiner jungen und schönen Patientin allein.

    (Fortsetzung folgt.)



Friedrichs des Großen Lebens=und
Tagesordnung.

(Fortsetzung.)

Halb neun Uhr wurde in den spätern Lebensjahren
für die Fremden die Tafel angerichtet, an welcher der Kö-
nig nicht Theil nahm und welche nicht viel über eine halbe
Stunde währte. Noch späterhin, als der Kreis der alten
Freunde immer mehr dahinschwand, verloren diese Abend-
genüsse noch mehr von ihren Reizen. D'Argens, Bastiani,
Lord Marishal, Quintus Jcilius, Lucchesini und wer sonst
noch angenehm erschien, kamen zum Könige, welcher vorlas,
und wenn ein Abschnitt geendigt war, über das Gelesene
die Unterhaltung anknüpfte. Dann wurden die Gesellschaf-
ter entlassen. Der König stellte sich vor den Kamin, zog
[Ende Spaltensatz]

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D'Argens, Bastiani, Lord Marishal, Quintus Jcilius, Lucchesini und wer sonst noch angenehm erschien, kamen zum Könige, welcher vorlas, und wenn ein Abschnitt geendigt war, über das Gelesene die Unterhaltung anknüpfte. Dann wurden die Gesellschaf- ter entlassen. Der König stellte sich vor den Kamin, zog

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 13. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt13_1836/2>, abgerufen am 03.07.2024.