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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1838.

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75 Conversations=Blatt. 76
[Beginn Spaltensatz]

Der Kapitän verlas dem Kara=Aly folgenden Brief
des Auditors des Dragoner = Regiments von Nischnei-
nowgorod: "Kara=Aly, Muhamedaner, Soldat im Dra-
goner = Regiment von Nischneinowgorod: in den Ge-
fechten betrug er sich tapfer, wie es einem [unleserliches Material - 10 Zeichen fehlen]russischen
Soldaten geziemt; in der Garnison aber zeigte er sich
ungehorsam, und überließ sich gewöhnlich der Trunken-
heit. Am 16. März 1835 ließ der Lieutenant Krylt-
sow in dem Augenblick, wo das Regiment in Tiflis
ankam, Kara = Aly wegen einer subordinationswidrigen
Handlung bestrafen. Der mit Recht bestrafte Soldat
desertirte am folgenden Tage, ward aber bald zu Wla-
dikaukas eingefangen. Wegen dieses Vergehens bestraft,
mußte er ins Hospital geschickt werden. Hier sprang
er in Gegenwart des Jnspektors des Hospitals aus ei-
nem Fenster und entrann der Verfolgung der Soldaten.
Doch auch diesmal ward er später zu Astrachan wie-
der festgenommen. Jm Augenblick, wo er Spießruthen
laufen sollte, ließ ihn der Fürst Baralynski, Major des
Regiments, in sein Zimmer kommen, und fragte ihn
über die Art und Weise, wie er das erstemal entfloh.
Unterdessen hatten Soldaten die Wache vor der Thür;
Kara=Aly erzählte, wie der Jnspektor des Hospitals
gestanden, wo er sich selbst befand, dann näherte er sich,
Alles erklärend, wie die ganze Szene sich zugetragen,
dem Fenster, und als wollte er seine Erzählung panto-
mimisch bekräftigen, sprang er eiligst auf die Straße.
Nachdem der erste Augenblick der Ueberraschung vorü-
ber, eilte man zu seiner Verfolgung; allein man fand
ihn nicht mehr. Jn derselben Nacht ward ein Pferd
des Majors Baralynski gestohlen, und zwei Ordonanz-
soldaten wurden ermordet gefunden.

Kapitän: "Kara = Aly, ist dies wahr?"

Antwort: "Ja ich beging diese beiden Morde
und diesen Diebstahl."

Kapitän: "Was veranlaßte Dich dieses drei-
fache Verbrechen zu begehen? Sage die Wahrheit."

Antw. "Meine Lippen sind rein von Lüge, wie
die Sonne rein ist von den Flecken der Wolken, die
augenblicklich ihre Stirne umdüstert. Der Auditor
sagte die Wahrheit über mein Verbrechen; aber das
sagte er nicht, daß, als ich einen so fürchterlichen Ent-
schluß faßte, mein Rücken noch von den Ruthen= und
Stockschlägen zerrissen war, womit man mich ungerech-
ter Weise bestraft hatte. Jch rettete mich aus der
Wohnung des Majors Baralynski in seinen Pferdestall.
Niemand dachte daran, mich hier zu suchen, und ich
blieb da bewegungslos unter der Krippe. Die Nacht
trat ein; Jwan und Havrilo, zwei Ordonanzsoldaten
des Majors, lagen im Stalle. Jch näherte einen ge-
rechten Haß gegen diese Soldaten, es waren zwei
Feige, die mich mehrmals angegeben hatten. Die Nacht
war düster, keine Zeugen, ein Yatagan war da; ich
sagte mir: Dieß sind zwei Giaurs, Muhamed wird
mich segnen! und ich tödtete sie. Jch nahm das Pferd
des Majors: eine Stunde später athmete ich die Luft
der Freiheit."

Frage: "Wo warst Du seit dieser Zeit?"

[Spaltenumbruch]

Antw. "Jn einem Lande, das nicht Deinem
Czar gehört."

Frage: Was thatest Du endlich seit diesem Au-
genblick, Räuber?" Antw. "Dies geht Dich nichts
an; erspare Dir übrigens Deine Drohungen, denn ich
[unleserliches Material - 4 Zeichen fehlen]wrde Dir nicht mehr antworten."

Hier gesteht der Kapitän Jsprawnik, daß er noth-
gedrungen seine Zuflucht zur Milde nehmen müsse, um
Geständnisse von diesem Manne zu erhalten, und daß
einzig diese Betrachtung den Kara=Aly der Züchtigung
entziehe, welche seine unverschämte Worte verdienen;
er nimmt dann das Verhör wieder auf: "Wohlan!
sage, wann kamst Du nach Kasan und was thatest Du
dort?" Antw. "Jch kam im Jahre 1836 im Mo-
nat Oktober dahin, ich hatte Gold und Edelsteine, ein
Sultan hat keine schöneren Diamanten."

Frage: "Wo verschafftest Du Dir diese Dia-
manten?" Antw. "Das geht Dich nichts an. Jch
erwarb sie nicht auf russischem Gebiet. Höre, wenn
Du willst meine Geschichte, denn meine Zunge und
mein Herz fordern, daß ich spreche. Nussiram = Bey
war im Zimmer bei der schönen Fazry.... Sahst
Du ihre Augen, schwarz wie Gagath und glänzender
als die Sonne? sahst Du ihre Haare, schwärzer und
leuchtender als das Gefieder der Raben? Hörtest Du
das sanfte Flüstern ihrer klagenden Stimme? Wenn
Du sie kennst, so weist Du, ob sie würdig ist, angebe-
tet zu werden wie eine Houri, wie die eigene Tochter
Muhameds. Jch liebte sie, und sie liebte mich auch.
War ich damals nicht glücklicher als Dein Czar? Als
ich eintrat, erkannte mich Nussiram=Bey nicht; aber
Fazry erkannte mich alsbald, obgleich mein Gesicht
große Spuren der Veränderung trug. Jm Lenze mei-
ner Jahre war ich abgereist, ein unglücklicher Sklave!
Jm Sommer meines Lebens kam ich zurück, reich,
stolz, wie es einem Tataren=Khan geziemt. " Kara-
Aly!" rief sie, und stürzte in meine Arme; "meine
Treue bewahrt ich Dir und harrte stets Deiner An-
kunft."

Nussiram=Bey erhob sich nun. "Nussiram=Bey,"
sagte ich ihn betrachtend, "demüthige Dich vor Deinem
Herrn! demüthige Dich in Gegenwart Deines Herr-
schers! Da, hier ist Gold!" Und ich warf ihm eine
handvoll Gold und Diamanten hin. "Behalte mein
Vermögen, ich nehme Fazry mit mir. Geh', wir sind
geschieden!" Statt aller Antwort pfiff er, ergriff sei-
nen Säbel und stürzte auf mich. Jch parirte seine
Hiebe, ohne ihn anzugreifen; als aber seine Söhne
eintraten, galt es Tod um Tod. Muhamed begün-
stigte mich! Gott wollte es! alle drei fielen sie unter
meinen Hieben! Gleich im ersten Augenblick des Kam-
pfes war Fazry in Ohnmacht gesunken; ich nahm sie
unter meine Arme, um sie vom Orte des Blutbades
wegzubringen. Beim Heraustreten aus dem Hause
begegnete ich zweien Dienern des Bey's. Musrum
war mein alter Freund und Kamerad, Nadir mein
Feind. Dem ersten sagte ich: "Musrum, zu Pferde!
und komm' mit mir!" Dem zweiten gab ich einen
Hieb mit dem Yatagan, er starb, und mit meiner kost-
[Ende Spaltensatz]

75 Conversations=Blatt. 76
[Beginn Spaltensatz]

Der Kapitän verlas dem Kara=Aly folgenden Brief
des Auditors des Dragoner = Regiments von Nischnei-
nowgorod: „Kara=Aly, Muhamedaner, Soldat im Dra-
goner = Regiment von Nischneinowgorod: in den Ge-
fechten betrug er sich tapfer, wie es einem [unleserliches Material – 10 Zeichen fehlen]russischen
Soldaten geziemt; in der Garnison aber zeigte er sich
ungehorsam, und überließ sich gewöhnlich der Trunken-
heit. Am 16. März 1835 ließ der Lieutenant Krylt-
sow in dem Augenblick, wo das Regiment in Tiflis
ankam, Kara = Aly wegen einer subordinationswidrigen
Handlung bestrafen. Der mit Recht bestrafte Soldat
desertirte am folgenden Tage, ward aber bald zu Wla-
dikaukas eingefangen. Wegen dieses Vergehens bestraft,
mußte er ins Hospital geschickt werden. Hier sprang
er in Gegenwart des Jnspektors des Hospitals aus ei-
nem Fenster und entrann der Verfolgung der Soldaten.
Doch auch diesmal ward er später zu Astrachan wie-
der festgenommen. Jm Augenblick, wo er Spießruthen
laufen sollte, ließ ihn der Fürst Baralynski, Major des
Regiments, in sein Zimmer kommen, und fragte ihn
über die Art und Weise, wie er das erstemal entfloh.
Unterdessen hatten Soldaten die Wache vor der Thür;
Kara=Aly erzählte, wie der Jnspektor des Hospitals
gestanden, wo er sich selbst befand, dann näherte er sich,
Alles erklärend, wie die ganze Szene sich zugetragen,
dem Fenster, und als wollte er seine Erzählung panto-
mimisch bekräftigen, sprang er eiligst auf die Straße.
Nachdem der erste Augenblick der Ueberraschung vorü-
ber, eilte man zu seiner Verfolgung; allein man fand
ihn nicht mehr. Jn derselben Nacht ward ein Pferd
des Majors Baralynski gestohlen, und zwei Ordonanz-
soldaten wurden ermordet gefunden.

Kapitän: „Kara = Aly, ist dies wahr?“

Antwort: „Ja ich beging diese beiden Morde
und diesen Diebstahl.“

Kapitän: „Was veranlaßte Dich dieses drei-
fache Verbrechen zu begehen? Sage die Wahrheit.“

Antw. „Meine Lippen sind rein von Lüge, wie
die Sonne rein ist von den Flecken der Wolken, die
augenblicklich ihre Stirne umdüstert. Der Auditor
sagte die Wahrheit über mein Verbrechen; aber das
sagte er nicht, daß, als ich einen so fürchterlichen Ent-
schluß faßte, mein Rücken noch von den Ruthen= und
Stockschlägen zerrissen war, womit man mich ungerech-
ter Weise bestraft hatte. Jch rettete mich aus der
Wohnung des Majors Baralynski in seinen Pferdestall.
Niemand dachte daran, mich hier zu suchen, und ich
blieb da bewegungslos unter der Krippe. Die Nacht
trat ein; Jwan und Havrilo, zwei Ordonanzsoldaten
des Majors, lagen im Stalle. Jch näherte einen ge-
rechten Haß gegen diese Soldaten, es waren zwei
Feige, die mich mehrmals angegeben hatten. Die Nacht
war düster, keine Zeugen, ein Yatagan war da; ich
sagte mir: Dieß sind zwei Giaurs, Muhamed wird
mich segnen! und ich tödtete sie. Jch nahm das Pferd
des Majors: eine Stunde später athmete ich die Luft
der Freiheit.“

Frage: „Wo warst Du seit dieser Zeit?“

[Spaltenumbruch]

Antw. „Jn einem Lande, das nicht Deinem
Czar gehört.“

Frage: Was thatest Du endlich seit diesem Au-
genblick, Räuber?“ Antw. „Dies geht Dich nichts
an; erspare Dir übrigens Deine Drohungen, denn ich
[unleserliches Material – 4 Zeichen fehlen]wrde Dir nicht mehr antworten.“

Hier gesteht der Kapitän Jsprawnik, daß er noth-
gedrungen seine Zuflucht zur Milde nehmen müsse, um
Geständnisse von diesem Manne zu erhalten, und daß
einzig diese Betrachtung den Kara=Aly der Züchtigung
entziehe, welche seine unverschämte Worte verdienen;
er nimmt dann das Verhör wieder auf: „Wohlan!
sage, wann kamst Du nach Kasan und was thatest Du
dort?“ Antw. „Jch kam im Jahre 1836 im Mo-
nat Oktober dahin, ich hatte Gold und Edelsteine, ein
Sultan hat keine schöneren Diamanten.“

Frage: „Wo verschafftest Du Dir diese Dia-
manten?“ Antw. „Das geht Dich nichts an. Jch
erwarb sie nicht auf russischem Gebiet. Höre, wenn
Du willst meine Geschichte, denn meine Zunge und
mein Herz fordern, daß ich spreche. Nussiram = Bey
war im Zimmer bei der schönen Fazry.... Sahst
Du ihre Augen, schwarz wie Gagath und glänzender
als die Sonne? sahst Du ihre Haare, schwärzer und
leuchtender als das Gefieder der Raben? Hörtest Du
das sanfte Flüstern ihrer klagenden Stimme? Wenn
Du sie kennst, so weist Du, ob sie würdig ist, angebe-
tet zu werden wie eine Houri, wie die eigene Tochter
Muhameds. Jch liebte sie, und sie liebte mich auch.
War ich damals nicht glücklicher als Dein Czar? Als
ich eintrat, erkannte mich Nussiram=Bey nicht; aber
Fazry erkannte mich alsbald, obgleich mein Gesicht
große Spuren der Veränderung trug. Jm Lenze mei-
ner Jahre war ich abgereist, ein unglücklicher Sklave!
Jm Sommer meines Lebens kam ich zurück, reich,
stolz, wie es einem Tataren=Khan geziemt. „ Kara-
Aly!“ rief sie, und stürzte in meine Arme; „meine
Treue bewahrt ich Dir und harrte stets Deiner An-
kunft.“

Nussiram=Bey erhob sich nun. „Nussiram=Bey,“
sagte ich ihn betrachtend, „demüthige Dich vor Deinem
Herrn! demüthige Dich in Gegenwart Deines Herr-
schers! Da, hier ist Gold!“ Und ich warf ihm eine
handvoll Gold und Diamanten hin. „Behalte mein
Vermögen, ich nehme Fazry mit mir. Geh', wir sind
geschieden!“ Statt aller Antwort pfiff er, ergriff sei-
nen Säbel und stürzte auf mich. Jch parirte seine
Hiebe, ohne ihn anzugreifen; als aber seine Söhne
eintraten, galt es Tod um Tod. Muhamed begün-
stigte mich! Gott wollte es! alle drei fielen sie unter
meinen Hieben! Gleich im ersten Augenblick des Kam-
pfes war Fazry in Ohnmacht gesunken; ich nahm sie
unter meine Arme, um sie vom Orte des Blutbades
wegzubringen. Beim Heraustreten aus dem Hause
begegnete ich zweien Dienern des Bey's. Musrum
war mein alter Freund und Kamerad, Nadir mein
Feind. Dem ersten sagte ich: „Musrum, zu Pferde!
und komm' mit mir!“ Dem zweiten gab ich einen
Hieb mit dem Yatagan, er starb, und mit meiner kost-
[Ende Spaltensatz]

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Jm Sommer meines Lebens kam ich zurück, reich, stolz, wie es einem Tataren=Khan geziemt. „ Kara- Aly!“ rief sie, und stürzte in meine Arme; „meine Treue bewahrt ich Dir und harrte stets Deiner An- kunft.“ Nussiram=Bey erhob sich nun. „Nussiram=Bey,“ sagte ich ihn betrachtend, „demüthige Dich vor Deinem Herrn! demüthige Dich in Gegenwart Deines Herr- schers! Da, hier ist Gold!“ Und ich warf ihm eine handvoll Gold und Diamanten hin. „Behalte mein Vermögen, ich nehme Fazry mit mir. Geh', wir sind geschieden!“ Statt aller Antwort pfiff er, ergriff sei- nen Säbel und stürzte auf mich. Jch parirte seine Hiebe, ohne ihn anzugreifen; als aber seine Söhne eintraten, galt es Tod um Tod. Muhamed begün- stigte mich! Gott wollte es! alle drei fielen sie unter meinen Hieben! Gleich im ersten Augenblick des Kam- pfes war Fazry in Ohnmacht gesunken; ich nahm sie unter meine Arme, um sie vom Orte des Blutbades wegzubringen. Beim Heraustreten aus dem Hause begegnete ich zweien Dienern des Bey's. Musrum war mein alter Freund und Kamerad, Nadir mein Feind. Dem ersten sagte ich: „Musrum, zu Pferde! und komm' mit mir!“ Dem zweiten gab ich einen Hieb mit dem Yatagan, er starb, und mit meiner kost-

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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 5. Burg/Berlin, 1838, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt05_1838/6>, abgerufen am 25.11.2024.