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Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 4. Burg/Berlin, 1836.

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61 Conversations=Blatt. 62
[Beginn Spaltensatz] auch ihn hatte Rosa's Liebenswürdigkeit tief entzündet.
Wilhelm stotterte einige Entschuldigungen und dankte
dem Himmel, daß in demselben Augenblick sein Freund
zurückkam und er mit diesem sich entfernen konnte.
"Wir hoffen auf Jhren baldigen Besuch!" äußerte die
Mutter freundlich zu den Abgehenden.

Wilhelm erzählte Karl, was ihm begegnet war,
und dieser übersah bei den Lobpreisungen seiner Rosa,
daß er in seinem Bruder einen Nebenbuhler erhalten
hatte, indeß fragte er, ob Rosa eine Schwester habe.
Seufzend sagte Wilhelm Ja! meinte aber auch zugleich,
sie sei keine Entschädigung für ihn.

Der Zutritt zu dem Professor war inmittelst ge-
wonnen. Mehre Male machten die Brüder abwechselnd
einzelne Besuche, ohne daß sie dabei ihres Bruders
gedachten. Eines Abends hatte jedoch Karl von seiner
Geliebten einen Kuß erhascht; dies bekannte er seinem
Bruder und nun bestand dieser darauf, daß sie beide
zusammen einen Besuch machten.

Die beiden jungen Leute, ganz gleich gekleidet,
traten zu gleicher Zeit ein; die Ueberraschung der Fa-
milie war außerordentlich, beklemmend für Rosa, die
nicht wußte, welcher der beiden Brüder ihr Geliebter
war. Sprach sie mit Wilhelm, so schien dieser es zu
sein, welcher ihr den Kuß geraubt, und wenn sie sich
zu Karl wendete, so wurde sie wieder ungewiß und
meinte, dieser sei es. Die Mutter und der alte ge-
lehrte Herr scherzten über diese wunderbare Aehnlichkeit,
Rosa ward darüber verwirrt, Karl blieb guter Laune,
aber Wilhelm wurde nachdenklich. Als man die Be-
suche noch einige Male wiederholt, zeigte sich Wilhelm
ganz schwermüthig. Sein Bruder wollte ihm den Vor-
schlag machen, daß sie beide die Besuche einstellen woll-
ten, da war er eines Tages plötzlich verschwunden und
die Umstände verriethen bald, daß er in die weite
Welt gegangen.

Karl war untröstlich, Rosa's zärtliche Worte
blieben unwirksam, ja er vermied das Mädchen, wel-
ches ihn so zärtlich liebte, weil sie die Ursache der
Entfernung seines Bruders geworden. Nach acht lan-
gen Tagen kam ein Brief aus Frankfurt a. M., wo-
rin Wilhelm die Beweggründe seiner Entfernung ent-
wickelte. Auch er liebte Rosa, und da er gesehen,
daß sich aus diesem unglückseligen Verhältniß nichts
Heilsames entwickeln könne, so hatte er die einzige
Wahl getroffen, welche ihm übrig geblieben. Er
wünschte dem Bruder und seiner lieben Braut alles
Gute, bat sie bei seinen Eltern Fürbitte einzulegen
und ließ die Absicht durchblicken, nach Spanien zu ge-
hen, um sich dort unter die Fahne einer der kriegfüh-
renden Parteien zu stellen und vielleicht seinen Tod zu
finden.

Was war natürlicher als Karl's Entschluß, sei-
nem Bruder nachzureisen? Rosa, ihre Mutter, ihr
Vater bestärkten seinen Entschluß und versahen ihn so-
gar mit Geld, er sollte den Flüchtling so bald als
möglich zurückbringen. Mit größter Eile flog Karl
nach Frankfurt, nach Bayonne; er fand wohl Spu-
ren von seinem Bruder, aber nicht ihn selbst. Jn
[Spaltenumbruch] Bayonne erfuhr er, daß Wilhelm nach Spanien ge-
gangen. Auf dem Fuße ihm folgend, eilte auch er
über die Grenze. Schleichhändler waren seine Führer.
Nicht weit, so gelangten sie zu den karlistischen Vor-
posten. Karl erhielt eine Wache, wurde zu dem Ge-
neral geführt und es blieb ihm nichts Anderes übrig,
als entweder sogleich wieder umzukehren, oder auf's
Gerathewohl Dienste zu nehmen und zu sehen, ob er
zufällig unter den Tausenden von Fremden aus allen
Gegenden Europa's, welche sich unter die Fahnen des
Don Carlos gereiht, und mit denen er in Berührung
kommen mußte, seinen Bruder antreffen würde.

    (Beschluß folgt.)



Miscellen.
Holländische Reinlichkeit.

"Jhr wollt mir dienen, Freund?"

"Ja, mein Herr."

"Seid Jhr auch reinlich?"

"Ja, mein Herr."

"Soll ich es mit Euch versuchen. Wie heißt
Jhr?"

"Jakob, mein Herr."

"Wohl, Jakob. Jch gehe auf die Börse.
Besorgt mir indeß die Stube. Macht rein und
blank. Dann können wir beisammen bleiben."

Der Herr ging auf die Börse. Jakob ging ans
Werk. Alles war ohnehin spiegelblank. Er putzte
dennoch drauf los. Jn ganz Amsterdam war keine
Stube, die reiner gewesen wäre. Der Herr kam wie-
der. Er sah mit prüfendem Blick in jeden Winkel.
Er hatte ein Abschnitzelchen von Papier auf die Diele
gelegt, um den Diener zu prüfen. Es war weg; der
Herr lächelte zufrieden. Er hatte auch den Spiegel an-
gehaucht. Er war wieder blank. Der Herr lächelte
wieder. "Jhr seid reinlich", sagte er, "wir können
beisammen bleiben."

Er gab dem Diener Hut und Stock zu verwah-
ren, und ging zu Bett.

Des andern Morgens sah er sich wieder um. Er
hatte seine Schuhe etwas staubig gemacht. Sie waren
wieder spiegelblank. Er lächelte. "Meinen Rock, Ja-
kob, ich will auf die Börse."

"Hier, mein Herr."

"Der Hut ist rein gebürstet. Jakob, wir kön-
nen beisammen bleiben. Meinen Stock!"

"Hier, mein Herr."

Jetzt erblaßte der Herr. Ein kalter Schweiß
trat ihm auf die Stirne. Er bebte, wie vom Fieber
geschüttelt.

"Jakob," sagte er mit gebrochener Stimme,
"wir können nicht beisammen bleiben. Seht, an der
Zwinge meines Stockes klebt ein Viertelszoll breit
Koth von gestern. Hier habt Jhr einen Gulden.
Geht mit Gott. Wir können nicht beisammen
bleiben."

[Ende Spaltensatz]

61 Conversations=Blatt. 62
[Beginn Spaltensatz] auch ihn hatte Rosa's Liebenswürdigkeit tief entzündet.
Wilhelm stotterte einige Entschuldigungen und dankte
dem Himmel, daß in demselben Augenblick sein Freund
zurückkam und er mit diesem sich entfernen konnte.
„Wir hoffen auf Jhren baldigen Besuch!“ äußerte die
Mutter freundlich zu den Abgehenden.

Wilhelm erzählte Karl, was ihm begegnet war,
und dieser übersah bei den Lobpreisungen seiner Rosa,
daß er in seinem Bruder einen Nebenbuhler erhalten
hatte, indeß fragte er, ob Rosa eine Schwester habe.
Seufzend sagte Wilhelm Ja! meinte aber auch zugleich,
sie sei keine Entschädigung für ihn.

Der Zutritt zu dem Professor war inmittelst ge-
wonnen. Mehre Male machten die Brüder abwechselnd
einzelne Besuche, ohne daß sie dabei ihres Bruders
gedachten. Eines Abends hatte jedoch Karl von seiner
Geliebten einen Kuß erhascht; dies bekannte er seinem
Bruder und nun bestand dieser darauf, daß sie beide
zusammen einen Besuch machten.

Die beiden jungen Leute, ganz gleich gekleidet,
traten zu gleicher Zeit ein; die Ueberraschung der Fa-
milie war außerordentlich, beklemmend für Rosa, die
nicht wußte, welcher der beiden Brüder ihr Geliebter
war. Sprach sie mit Wilhelm, so schien dieser es zu
sein, welcher ihr den Kuß geraubt, und wenn sie sich
zu Karl wendete, so wurde sie wieder ungewiß und
meinte, dieser sei es. Die Mutter und der alte ge-
lehrte Herr scherzten über diese wunderbare Aehnlichkeit,
Rosa ward darüber verwirrt, Karl blieb guter Laune,
aber Wilhelm wurde nachdenklich. Als man die Be-
suche noch einige Male wiederholt, zeigte sich Wilhelm
ganz schwermüthig. Sein Bruder wollte ihm den Vor-
schlag machen, daß sie beide die Besuche einstellen woll-
ten, da war er eines Tages plötzlich verschwunden und
die Umstände verriethen bald, daß er in die weite
Welt gegangen.

Karl war untröstlich, Rosa's zärtliche Worte
blieben unwirksam, ja er vermied das Mädchen, wel-
ches ihn so zärtlich liebte, weil sie die Ursache der
Entfernung seines Bruders geworden. Nach acht lan-
gen Tagen kam ein Brief aus Frankfurt a. M., wo-
rin Wilhelm die Beweggründe seiner Entfernung ent-
wickelte. Auch er liebte Rosa, und da er gesehen,
daß sich aus diesem unglückseligen Verhältniß nichts
Heilsames entwickeln könne, so hatte er die einzige
Wahl getroffen, welche ihm übrig geblieben. Er
wünschte dem Bruder und seiner lieben Braut alles
Gute, bat sie bei seinen Eltern Fürbitte einzulegen
und ließ die Absicht durchblicken, nach Spanien zu ge-
hen, um sich dort unter die Fahne einer der kriegfüh-
renden Parteien zu stellen und vielleicht seinen Tod zu
finden.

Was war natürlicher als Karl's Entschluß, sei-
nem Bruder nachzureisen? Rosa, ihre Mutter, ihr
Vater bestärkten seinen Entschluß und versahen ihn so-
gar mit Geld, er sollte den Flüchtling so bald als
möglich zurückbringen. Mit größter Eile flog Karl
nach Frankfurt, nach Bayonne; er fand wohl Spu-
ren von seinem Bruder, aber nicht ihn selbst. Jn
[Spaltenumbruch] Bayonne erfuhr er, daß Wilhelm nach Spanien ge-
gangen. Auf dem Fuße ihm folgend, eilte auch er
über die Grenze. Schleichhändler waren seine Führer.
Nicht weit, so gelangten sie zu den karlistischen Vor-
posten. Karl erhielt eine Wache, wurde zu dem Ge-
neral geführt und es blieb ihm nichts Anderes übrig,
als entweder sogleich wieder umzukehren, oder auf's
Gerathewohl Dienste zu nehmen und zu sehen, ob er
zufällig unter den Tausenden von Fremden aus allen
Gegenden Europa's, welche sich unter die Fahnen des
Don Carlos gereiht, und mit denen er in Berührung
kommen mußte, seinen Bruder antreffen würde.

    (Beschluß folgt.)



Miscellen.
Holländische Reinlichkeit.

„Jhr wollt mir dienen, Freund?“

„Ja, mein Herr.“

„Seid Jhr auch reinlich?“

„Ja, mein Herr.“

„Soll ich es mit Euch versuchen. Wie heißt
Jhr?“

„Jakob, mein Herr.“

„Wohl, Jakob. Jch gehe auf die Börse.
Besorgt mir indeß die Stube. Macht rein und
blank. Dann können wir beisammen bleiben.“

Der Herr ging auf die Börse. Jakob ging ans
Werk. Alles war ohnehin spiegelblank. Er putzte
dennoch drauf los. Jn ganz Amsterdam war keine
Stube, die reiner gewesen wäre. Der Herr kam wie-
der. Er sah mit prüfendem Blick in jeden Winkel.
Er hatte ein Abschnitzelchen von Papier auf die Diele
gelegt, um den Diener zu prüfen. Es war weg; der
Herr lächelte zufrieden. Er hatte auch den Spiegel an-
gehaucht. Er war wieder blank. Der Herr lächelte
wieder. „Jhr seid reinlich“, sagte er, „wir können
beisammen bleiben.“

Er gab dem Diener Hut und Stock zu verwah-
ren, und ging zu Bett.

Des andern Morgens sah er sich wieder um. Er
hatte seine Schuhe etwas staubig gemacht. Sie waren
wieder spiegelblank. Er lächelte. „Meinen Rock, Ja-
kob, ich will auf die Börse.“

„Hier, mein Herr.“

„Der Hut ist rein gebürstet. Jakob, wir kön-
nen beisammen bleiben. Meinen Stock!“

„Hier, mein Herr.“

Jetzt erblaßte der Herr. Ein kalter Schweiß
trat ihm auf die Stirne. Er bebte, wie vom Fieber
geschüttelt.

„Jakob,“ sagte er mit gebrochener Stimme,
„wir können nicht beisammen bleiben. Seht, an der
Zwinge meines Stockes klebt ein Viertelszoll breit
Koth von gestern. Hier habt Jhr einen Gulden.
Geht mit Gott. Wir können nicht beisammen
bleiben.“

[Ende Spaltensatz]
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Karl war untröstlich, Rosa's zärtliche Worte blieben unwirksam, ja er vermied das Mädchen, wel- ches ihn so zärtlich liebte, weil sie die Ursache der Entfernung seines Bruders geworden. Nach acht lan- gen Tagen kam ein Brief aus Frankfurt a. M., wo- rin Wilhelm die Beweggründe seiner Entfernung ent- wickelte. Auch er liebte Rosa, und da er gesehen, daß sich aus diesem unglückseligen Verhältniß nichts Heilsames entwickeln könne, so hatte er die einzige Wahl getroffen, welche ihm übrig geblieben. Er wünschte dem Bruder und seiner lieben Braut alles Gute, bat sie bei seinen Eltern Fürbitte einzulegen und ließ die Absicht durchblicken, nach Spanien zu ge- hen, um sich dort unter die Fahne einer der kriegfüh- renden Parteien zu stellen und vielleicht seinen Tod zu finden. Was war natürlicher als Karl's Entschluß, sei- nem Bruder nachzureisen? Rosa, ihre Mutter, ihr Vater bestärkten seinen Entschluß und versahen ihn so- gar mit Geld, er sollte den Flüchtling so bald als möglich zurückbringen. Mit größter Eile flog Karl nach Frankfurt, nach Bayonne; er fand wohl Spu- ren von seinem Bruder, aber nicht ihn selbst. Jn Bayonne erfuhr er, daß Wilhelm nach Spanien ge- gangen. Auf dem Fuße ihm folgend, eilte auch er über die Grenze. Schleichhändler waren seine Führer. Nicht weit, so gelangten sie zu den karlistischen Vor- posten. Karl erhielt eine Wache, wurde zu dem Ge- neral geführt und es blieb ihm nichts Anderes übrig, als entweder sogleich wieder umzukehren, oder auf's Gerathewohl Dienste zu nehmen und zu sehen, ob er zufällig unter den Tausenden von Fremden aus allen Gegenden Europa's, welche sich unter die Fahnen des Don Carlos gereiht, und mit denen er in Berührung kommen mußte, seinen Bruder antreffen würde. (Beschluß folgt.) Miscellen. Holländische Reinlichkeit. „Jhr wollt mir dienen, Freund?“ „Ja, mein Herr.“ „Seid Jhr auch reinlich?“ „Ja, mein Herr.“ „Soll ich es mit Euch versuchen. Wie heißt Jhr?“ „Jakob, mein Herr.“ „Wohl, Jakob. Jch gehe auf die Börse. Besorgt mir indeß die Stube. Macht rein und blank. Dann können wir beisammen bleiben.“ Der Herr ging auf die Börse. Jakob ging ans Werk. Alles war ohnehin spiegelblank. Er putzte dennoch drauf los. Jn ganz Amsterdam war keine Stube, die reiner gewesen wäre. Der Herr kam wie- der. Er sah mit prüfendem Blick in jeden Winkel. Er hatte ein Abschnitzelchen von Papier auf die Diele gelegt, um den Diener zu prüfen. Es war weg; der Herr lächelte zufrieden. Er hatte auch den Spiegel an- gehaucht. Er war wieder blank. Der Herr lächelte wieder. „Jhr seid reinlich“, sagte er, „wir können beisammen bleiben.“ Er gab dem Diener Hut und Stock zu verwah- ren, und ging zu Bett. Des andern Morgens sah er sich wieder um. Er hatte seine Schuhe etwas staubig gemacht. 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Zitationshilfe: Conversations-Blatt zur Unterhaltung und Belehrung für alle Stände. Nr. 4. Burg/Berlin, 1836, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_conversationsblatt04_1836/7>, abgerufen am 06.06.2024.