Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tübinger Chronik. Nr. 102. [Tübingen (Württemberg)], 25. August 1845.

Bild:
erste Seite
[Beginn Spaltensatz]

Dieses Blatt erscheint wö-
chentl. 3mal, Montag, Mitt-
woch u. Freitag u. kostet hier
und durch Boten bezogen mo-
natlich 9 kr. Durch die Post
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-
rückungsgebühr f. 1 Linie aus
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für
Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

[Spaltenumbruch]
Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. - - am
Neckarsthor u. bei Hrn -

- in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 102. Montag den 25. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Die Gattin.
Ein Familiengemälde.
Schluß.

So freue Dich doch auch, lieber Mann, bat
sie, wir können nun ja alle Deine - unsere Schul-
den bezahlen; wir werden aus all unserer Noth er-
lös 't werden!

Wie lange wird das dauern mit dem Bettel,
entgegnete Eduard, mit meinem kärklichen Gehalt
und der Heerde Kinder, die der liebe Gott mir zu
ernähren gibt!

Ach, wenn Du nur genügsam seyn wolltest!
Es leben ja so viele Deines Gleichen von demselben
Gehalt! Jch werde glücklich seyn, wenn ich künftig
alle Bedürfnisse des Hauswesens baar bezahlen
kann. Nun wird mir der Bäcker nicht mehr das
Brod versagen, der Kaufmann nicht mehr die
Stoffe zu Kleidern für mich und die Kinder. Ach,
unser bisheriger Zustand war elend und entwür-
digend!

Du bist eine kleinliche Seele, ich nenne alles
Elend, was nicht Ueberfluß ist; etwas mehr oder
weniger ist mir gleichgiltig.

Aber die Pflichten, die man übernommen hat,
die Unehre, die dem schlechten Haushalte folgt!
sagte Emilie.

Sprich mir nicht von Unehre! Niemand kann
mehr Ehrgefühl haben als ich. Jch fühle meine
Ehre schon gekränkt, wenn ich zu Fuße gehen muß,
während meine Standesgenossen fahren.

O Eduard, jammerte die junge Frau, Dein
falsches Ehrgefühl vernichtet uns! Fast kann ich
mich nicht mehr über die Erbschaft freuen. Wel-
chen Gebrauch wirst Du von dem Gelde machen?

Wenn es mir gerade hierher käme. so wäre
das ein Zeichen, daß ich nocheinmal den Kampf
mit dem Glücke wagen sollte. Liebste Emilie, wie
gern möchte ich einen goldenen Regen in Deinen
Schoos schütten.

Gott weiß, daß ich nie Ueberfluß verlangte.
sagte Emilie mit hervorbrechenden Thränen; nur
das Nothwendige, um anständig und redlich leben
zu können, erfreut mich. O, laß ab von diesen
bösen Gedanken! das Geld, welches wir erhalten
werden, ist ja nicht mehr Dein, Du bist es ja An-
dern schuldig, es ist so gut wie fremdes Eigen-
[Spaltenumbruch] thum! Laß Dich doch nicht zum Hazardspiel ver-
leiten, es ist ja auch im Preußischen verboten -
wenn man es nun erführe, daß Du hier gespielt!
Du hast auch kein Glück im Spiele. Selbst Whist,
das Du Abends im Casino spielst, hat Dir so man-
chen Thaler aus der Tasche gelockt.

Du hast gut reden, liebe Frau, Du hast im-
mer Deine Geschäfte und vergissest das Ungemach
des Lebens über der Arbeit - mich aber quälen
immerwährend Sorgen, Entbehrungen und Dienst-
Aerger aller Art; nur am Whisttische vergesse ich
alle die Noth. Jch denke dann nur daran, wie ich
spielen muß, um den Trick zu bekommen, und wie
viele Honeurs das nächste Spiel mir bringen wird.
Hätten wir Krieg, so würde ich nicht an den Spiel-
Tisch denken; aber der Soldat findet da eine Art
Schlachtfeld, wo er seinen Muth und seinen Com-
binationsgeist zeigen kann.

Lieber, theurer Mann, wir wollen eine andere
Lebensweise beginnen; Deine Sorgen werden sich ja
vermindern, wenn ich Dir mein Legat überlasse zur
Bezahlung Deiner Schulden - unsrer wollte ich
sagen!

Jch dächte, das Legat würde mir ohnedies aus-
bezahlt, fuhr Eduard auf, ich bin Dir keine Re-
chenschaft schuldig, der Mann ist des Weibes
Haupt.

O Eduard, bedenke doch, daß ich als Mutter
unsrer vielen Kinder das Recht habe, darauf zu
bestehen, daß Du das Geld gut anwendest; o Edu-
ard, ich werde bald zum siebenten Male Mutter!
höre auf mich!

Ha, das ist ein nichtswürdiges Schicksal! rief
Eduard, mit dem Fuße stampfend.

Wir können noch Freude an unseren Kindern
erleben, schluchzte Emilie, wenn wir sie zur Fröm-
migkeit, zur Genügsamkeit und zur Tugend erziehen.
Laß uns Pyrmont verlassen, der Arzt hat mir doch
vom Baden abgerathen; laß uns fort von hier, wo
Dir das Spiel mit seinen Versuchungen droht. Jch
will es Dir nur gestehen, heute trieb mich die
Angst in den Spielsaal - aber, Gott Lob, Du
warest nicht da! O komm, laß uns abreisen!

Das unterstandest Du Dich, Du spionirst meine
Wege aus? schrie Eduard, nun hast Du Alles ver-
dorben! Jch wäre vielleicht abgereis't, ohne zu spie-
len, ich hätte mich durch Dich an ein elendes
Philisterleben fesseln lassen; aber nun bist Du selbst
Schuld, wenn ich spiele, Du hast Dich gegen mich
vergangen - ich bin Dir keine Rücksicht mehr
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz]

Dieses Blatt erscheint wö-
chentl. 3mal, Montag, Mitt-
woch u. Freitag u. kostet hier
und durch Boten bezogen mo-
natlich 9 kr. Durch die Post
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-
rückungsgebühr f. 1 Linie aus
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für
Tübingen u. Umgegend abon-
nirt man bei d. Redaction in d.
langen Gasse nächst d. Stifts-
kirche, wo auch Ankündigun-
gen und Aufsätze aller Art
abgegeben werden können.

[Spaltenumbruch]
Tübinger [Abbildung] Chronik.
[Spaltenumbruch]

Briefkästen sind aufgestellt:
bei Hrn. Messerschmidt Busse
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.
Bürstenfabrikant Klein beim
Hirsch, bei Fr. Messrschm[unleserliches Material]Wlh[unleserliches Material]. Fack in d. neuen Straße
bei Hrn. – – am
Neckarsthor u. bei Hrn –

– in der Neckarhalde, in
welche Ankündigungen aller
Art eingelegt werden können.
Diese Briefkästen werden je-
den Tag geleert.

[Ende Spaltensatz]
Eine Zeitschrift für Stadt und Land.


Nro 102. Montag den 25. August. 1845.


[Beginn Spaltensatz]
Die Gattin.
Ein Familiengemälde.
Schluß.

So freue Dich doch auch, lieber Mann, bat
sie, wir können nun ja alle Deine – unsere Schul-
den bezahlen; wir werden aus all unserer Noth er-
lös 't werden!

Wie lange wird das dauern mit dem Bettel,
entgegnete Eduard, mit meinem kärklichen Gehalt
und der Heerde Kinder, die der liebe Gott mir zu
ernähren gibt!

Ach, wenn Du nur genügsam seyn wolltest!
Es leben ja so viele Deines Gleichen von demselben
Gehalt! Jch werde glücklich seyn, wenn ich künftig
alle Bedürfnisse des Hauswesens baar bezahlen
kann. Nun wird mir der Bäcker nicht mehr das
Brod versagen, der Kaufmann nicht mehr die
Stoffe zu Kleidern für mich und die Kinder. Ach,
unser bisheriger Zustand war elend und entwür-
digend!

Du bist eine kleinliche Seele, ich nenne alles
Elend, was nicht Ueberfluß ist; etwas mehr oder
weniger ist mir gleichgiltig.

Aber die Pflichten, die man übernommen hat,
die Unehre, die dem schlechten Haushalte folgt!
sagte Emilie.

Sprich mir nicht von Unehre! Niemand kann
mehr Ehrgefühl haben als ich. Jch fühle meine
Ehre schon gekränkt, wenn ich zu Fuße gehen muß,
während meine Standesgenossen fahren.

O Eduard, jammerte die junge Frau, Dein
falsches Ehrgefühl vernichtet uns! Fast kann ich
mich nicht mehr über die Erbschaft freuen. Wel-
chen Gebrauch wirst Du von dem Gelde machen?

Wenn es mir gerade hierher käme. so wäre
das ein Zeichen, daß ich nocheinmal den Kampf
mit dem Glücke wagen sollte. Liebste Emilie, wie
gern möchte ich einen goldenen Regen in Deinen
Schoos schütten.

Gott weiß, daß ich nie Ueberfluß verlangte.
sagte Emilie mit hervorbrechenden Thränen; nur
das Nothwendige, um anständig und redlich leben
zu können, erfreut mich. O, laß ab von diesen
bösen Gedanken! das Geld, welches wir erhalten
werden, ist ja nicht mehr Dein, Du bist es ja An-
dern schuldig, es ist so gut wie fremdes Eigen-
[Spaltenumbruch] thum! Laß Dich doch nicht zum Hazardspiel ver-
leiten, es ist ja auch im Preußischen verboten –
wenn man es nun erführe, daß Du hier gespielt!
Du hast auch kein Glück im Spiele. Selbst Whist,
das Du Abends im Casino spielst, hat Dir so man-
chen Thaler aus der Tasche gelockt.

Du hast gut reden, liebe Frau, Du hast im-
mer Deine Geschäfte und vergissest das Ungemach
des Lebens über der Arbeit – mich aber quälen
immerwährend Sorgen, Entbehrungen und Dienst-
Aerger aller Art; nur am Whisttische vergesse ich
alle die Noth. Jch denke dann nur daran, wie ich
spielen muß, um den Trick zu bekommen, und wie
viele Honeurs das nächste Spiel mir bringen wird.
Hätten wir Krieg, so würde ich nicht an den Spiel-
Tisch denken; aber der Soldat findet da eine Art
Schlachtfeld, wo er seinen Muth und seinen Com-
binationsgeist zeigen kann.

Lieber, theurer Mann, wir wollen eine andere
Lebensweise beginnen; Deine Sorgen werden sich ja
vermindern, wenn ich Dir mein Legat überlasse zur
Bezahlung Deiner Schulden – unsrer wollte ich
sagen!

Jch dächte, das Legat würde mir ohnedies aus-
bezahlt, fuhr Eduard auf, ich bin Dir keine Re-
chenschaft schuldig, der Mann ist des Weibes
Haupt.

O Eduard, bedenke doch, daß ich als Mutter
unsrer vielen Kinder das Recht habe, darauf zu
bestehen, daß Du das Geld gut anwendest; o Edu-
ard, ich werde bald zum siebenten Male Mutter!
höre auf mich!

Ha, das ist ein nichtswürdiges Schicksal! rief
Eduard, mit dem Fuße stampfend.

Wir können noch Freude an unseren Kindern
erleben, schluchzte Emilie, wenn wir sie zur Fröm-
migkeit, zur Genügsamkeit und zur Tugend erziehen.
Laß uns Pyrmont verlassen, der Arzt hat mir doch
vom Baden abgerathen; laß uns fort von hier, wo
Dir das Spiel mit seinen Versuchungen droht. Jch
will es Dir nur gestehen, heute trieb mich die
Angst in den Spielsaal – aber, Gott Lob, Du
warest nicht da! O komm, laß uns abreisen!

Das unterstandest Du Dich, Du spionirst meine
Wege aus? schrie Eduard, nun hast Du Alles ver-
dorben! Jch wäre vielleicht abgereis't, ohne zu spie-
len, ich hätte mich durch Dich an ein elendes
Philisterleben fesseln lassen; aber nun bist Du selbst
Schuld, wenn ich spiele, Du hast Dich gegen mich
vergangen – ich bin Dir keine Rücksicht mehr
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <front>
      <pb facs="#f0001" n="[409]"/>
      <cb type="start"/>
      <div>
        <p>Dieses Blatt erscheint wö-<lb/>
chentl. 3mal, Montag, Mitt-<lb/>
woch u. Freitag u. kostet hier<lb/>
und durch Boten bezogen mo-<lb/>
natlich 9 kr. Durch die Post<lb/>
bezogen halbjährlich 1 fl. Ein-<lb/>
rückungsgebühr f. 1 Linie aus<lb/>
gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für<lb/>
Tübingen u. Umgegend abon-<lb/>
nirt man bei d. Redaction in d.<lb/>
langen Gasse nächst d. Stifts-<lb/>
kirche, wo auch Ankündigun-<lb/>
gen und Aufsätze aller Art<lb/>
abgegeben werden können.            </p>
      </div><lb/>
      <cb n="2"/>
      <titlePage xml:id="t01" type="heading" next="#t02">
        <titlePart type="main"> <hi rendition="#fr">Tübinger<figure/>Chronik.</hi> </titlePart>
      </titlePage><lb/>
      <cb n="3"/>
      <div>
        <p>Briefkästen sind aufgestellt:<lb/>
bei Hrn. Messerschmidt Busse<lb/>
nächst d. Rathhaus, bei Hrn.<lb/>
Bürstenfabrikant Klein beim<lb/>
Hirsch, bei Fr. Messrschm<gap reason="illegible"/>Wlh<gap reason="illegible"/>. Fack in d. neuen Straße<lb/>
bei Hrn. &#x2013; &#x2013; am<lb/>
Neckarsthor u. bei Hrn &#x2013;</p><lb/>
        <p>&#x2013; in der Neckarhalde, in<lb/>
welche Ankündigungen aller<lb/>
Art eingelegt werden können.<lb/>
Diese Briefkästen werden je-<lb/>
den Tag geleert. </p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <titlePage xml:id="t02" prev="#t01" type="heading">
        <titlePart type="sub"> <hi rendition="#fr">Eine Zeitschrift für Stadt und Land.</hi> </titlePart><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <docImprint>
          <docDate>N<hi rendition="#sup">ro</hi> 102. <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Montag den</hi> 25. <hi rendition="#g">August.</hi></hi> <hi rendition="#right">1845.</hi></docDate>
        </docImprint>
      </titlePage><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </front>
    <body>
      <cb type="start"/>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head><hi rendition="#g">Die Gattin.</hi><lb/>
Ein Familiengemälde.<lb/>
Schluß.</head><lb/>
        <p>So freue Dich doch auch, lieber Mann, bat<lb/>
sie, wir können nun ja alle Deine &#x2013; unsere Schul-<lb/>
den bezahlen; wir werden aus all unserer Noth er-<lb/>
lös 't werden!</p><lb/>
        <p>Wie lange wird das dauern mit dem Bettel,<lb/>
entgegnete Eduard, mit meinem kärklichen Gehalt<lb/>
und der Heerde Kinder, die der liebe Gott mir zu<lb/>
ernähren gibt!</p><lb/>
        <p>Ach, wenn Du nur genügsam seyn wolltest!<lb/>
Es leben ja so viele Deines Gleichen von demselben<lb/>
Gehalt! Jch werde glücklich seyn, wenn ich künftig<lb/>
alle Bedürfnisse des Hauswesens baar bezahlen<lb/>
kann. Nun wird mir der Bäcker nicht mehr das<lb/>
Brod versagen, der Kaufmann nicht mehr die<lb/>
Stoffe zu Kleidern für mich und die Kinder. Ach,<lb/>
unser bisheriger Zustand war elend und entwür-<lb/>
digend!</p><lb/>
        <p>Du bist eine kleinliche Seele, ich nenne <hi rendition="#g">alles</hi><lb/>
Elend, was nicht Ueberfluß ist; etwas mehr oder<lb/>
weniger ist mir gleichgiltig.</p><lb/>
        <p>Aber die Pflichten, die man übernommen hat,<lb/>
die Unehre, die dem schlechten Haushalte folgt!<lb/>
sagte Emilie.</p><lb/>
        <p>Sprich mir nicht von Unehre! Niemand kann<lb/>
mehr Ehrgefühl haben als ich. Jch fühle meine<lb/>
Ehre schon gekränkt, wenn ich zu Fuße gehen muß,<lb/>
während meine Standesgenossen fahren.</p><lb/>
        <p>O Eduard, jammerte die junge Frau, Dein<lb/>
falsches Ehrgefühl vernichtet uns! Fast kann ich<lb/>
mich nicht mehr über die Erbschaft freuen. Wel-<lb/>
chen Gebrauch wirst Du von dem Gelde machen?</p><lb/>
        <p>Wenn es mir gerade hierher käme. so wäre<lb/>
das ein Zeichen, daß ich nocheinmal den Kampf<lb/>
mit dem Glücke wagen sollte. Liebste Emilie, wie<lb/>
gern möchte ich einen goldenen Regen in Deinen<lb/>
Schoos schütten.</p><lb/>
        <p>Gott weiß, daß ich nie Ueberfluß verlangte.<lb/>
sagte Emilie mit hervorbrechenden Thränen; nur<lb/>
das Nothwendige, um anständig und redlich leben<lb/>
zu können, erfreut mich. O, laß ab von diesen<lb/>
bösen Gedanken! das Geld, welches wir erhalten<lb/>
werden, ist ja nicht mehr Dein, Du bist es ja An-<lb/>
dern schuldig, es ist so gut wie fremdes Eigen-<lb/><cb n="2"/>
thum! Laß Dich doch nicht zum Hazardspiel ver-<lb/>
leiten, es ist ja auch im Preußischen verboten &#x2013;<lb/>
wenn man es nun erführe, daß Du hier gespielt!<lb/>
Du hast auch kein Glück im Spiele. Selbst Whist,<lb/>
das Du Abends im Casino spielst, hat Dir so man-<lb/>
chen Thaler aus der Tasche gelockt.</p><lb/>
        <p>Du hast gut reden, liebe Frau, Du hast im-<lb/>
mer Deine Geschäfte und vergissest das Ungemach<lb/>
des Lebens über der Arbeit &#x2013; mich aber quälen<lb/>
immerwährend Sorgen, Entbehrungen und Dienst-<lb/>
Aerger aller Art; nur am Whisttische vergesse ich<lb/>
alle die Noth. Jch denke dann nur daran, wie ich<lb/>
spielen muß, um den Trick zu bekommen, und wie<lb/>
viele Honeurs das nächste Spiel mir bringen wird.<lb/>
Hätten wir Krieg, so würde ich nicht an den Spiel-<lb/>
Tisch denken; aber der Soldat findet da eine Art<lb/>
Schlachtfeld, wo er seinen Muth und seinen Com-<lb/>
binationsgeist zeigen kann.</p><lb/>
        <p>Lieber, theurer Mann, wir wollen eine andere<lb/>
Lebensweise beginnen; Deine Sorgen werden sich ja<lb/>
vermindern, wenn ich Dir mein Legat überlasse zur<lb/>
Bezahlung Deiner Schulden &#x2013; unsrer wollte ich<lb/>
sagen!</p><lb/>
        <p>Jch dächte, das Legat würde mir ohnedies aus-<lb/>
bezahlt, fuhr Eduard auf, ich bin Dir keine Re-<lb/>
chenschaft schuldig, der Mann ist des Weibes<lb/>
Haupt.</p><lb/>
        <p>O Eduard, bedenke doch, daß ich als Mutter<lb/>
unsrer vielen Kinder das Recht habe, darauf zu<lb/>
bestehen, daß Du das Geld gut anwendest; o Edu-<lb/>
ard, ich werde bald zum siebenten Male Mutter!<lb/>
höre auf mich!</p><lb/>
        <p>Ha, das ist ein nichtswürdiges Schicksal! rief<lb/>
Eduard, mit dem Fuße stampfend.</p><lb/>
        <p>Wir können noch Freude an unseren Kindern<lb/>
erleben, schluchzte Emilie, wenn wir sie zur Fröm-<lb/>
migkeit, zur Genügsamkeit und zur Tugend erziehen.<lb/>
Laß uns Pyrmont verlassen, der Arzt hat mir doch<lb/>
vom Baden abgerathen; laß uns fort von hier, wo<lb/>
Dir das Spiel mit seinen Versuchungen droht. Jch<lb/>
will es Dir nur gestehen, heute trieb mich die<lb/>
Angst in den Spielsaal &#x2013; aber, Gott Lob, Du<lb/>
warest nicht da! O komm, laß uns abreisen!</p><lb/>
        <p>Das unterstandest Du Dich, Du spionirst meine<lb/>
Wege aus? schrie Eduard, nun hast Du Alles ver-<lb/>
dorben! Jch wäre vielleicht abgereis't, ohne zu spie-<lb/>
len, ich hätte mich durch Dich an ein elendes<lb/>
Philisterleben fesseln lassen; aber nun bist Du selbst<lb/>
Schuld, wenn ich spiele, Du hast Dich gegen mich<lb/>
vergangen &#x2013; ich bin Dir keine Rücksicht mehr<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[409]/0001] Dieses Blatt erscheint wö- chentl. 3mal, Montag, Mitt- woch u. Freitag u. kostet hier und durch Boten bezogen mo- natlich 9 kr. Durch die Post bezogen halbjährlich 1 fl. Ein- rückungsgebühr f. 1 Linie aus gewöhnlicher Schrift 1 kr. Für Tübingen u. Umgegend abon- nirt man bei d. Redaction in d. langen Gasse nächst d. Stifts- kirche, wo auch Ankündigun- gen und Aufsätze aller Art abgegeben werden können. Tübinger [Abbildung] Chronik. Briefkästen sind aufgestellt: bei Hrn. Messerschmidt Busse nächst d. Rathhaus, bei Hrn. Bürstenfabrikant Klein beim Hirsch, bei Fr. Messrschm_ Wlh_ . Fack in d. neuen Straße bei Hrn. – – am Neckarsthor u. bei Hrn – – in der Neckarhalde, in welche Ankündigungen aller Art eingelegt werden können. Diese Briefkästen werden je- den Tag geleert. Eine Zeitschrift für Stadt und Land. Nro 102. Montag den 25. August. 1845. Die Gattin. Ein Familiengemälde. Schluß. So freue Dich doch auch, lieber Mann, bat sie, wir können nun ja alle Deine – unsere Schul- den bezahlen; wir werden aus all unserer Noth er- lös 't werden! Wie lange wird das dauern mit dem Bettel, entgegnete Eduard, mit meinem kärklichen Gehalt und der Heerde Kinder, die der liebe Gott mir zu ernähren gibt! Ach, wenn Du nur genügsam seyn wolltest! Es leben ja so viele Deines Gleichen von demselben Gehalt! Jch werde glücklich seyn, wenn ich künftig alle Bedürfnisse des Hauswesens baar bezahlen kann. Nun wird mir der Bäcker nicht mehr das Brod versagen, der Kaufmann nicht mehr die Stoffe zu Kleidern für mich und die Kinder. Ach, unser bisheriger Zustand war elend und entwür- digend! Du bist eine kleinliche Seele, ich nenne alles Elend, was nicht Ueberfluß ist; etwas mehr oder weniger ist mir gleichgiltig. Aber die Pflichten, die man übernommen hat, die Unehre, die dem schlechten Haushalte folgt! sagte Emilie. Sprich mir nicht von Unehre! Niemand kann mehr Ehrgefühl haben als ich. Jch fühle meine Ehre schon gekränkt, wenn ich zu Fuße gehen muß, während meine Standesgenossen fahren. O Eduard, jammerte die junge Frau, Dein falsches Ehrgefühl vernichtet uns! Fast kann ich mich nicht mehr über die Erbschaft freuen. Wel- chen Gebrauch wirst Du von dem Gelde machen? Wenn es mir gerade hierher käme. so wäre das ein Zeichen, daß ich nocheinmal den Kampf mit dem Glücke wagen sollte. Liebste Emilie, wie gern möchte ich einen goldenen Regen in Deinen Schoos schütten. Gott weiß, daß ich nie Ueberfluß verlangte. sagte Emilie mit hervorbrechenden Thränen; nur das Nothwendige, um anständig und redlich leben zu können, erfreut mich. O, laß ab von diesen bösen Gedanken! das Geld, welches wir erhalten werden, ist ja nicht mehr Dein, Du bist es ja An- dern schuldig, es ist so gut wie fremdes Eigen- thum! Laß Dich doch nicht zum Hazardspiel ver- leiten, es ist ja auch im Preußischen verboten – wenn man es nun erführe, daß Du hier gespielt! Du hast auch kein Glück im Spiele. Selbst Whist, das Du Abends im Casino spielst, hat Dir so man- chen Thaler aus der Tasche gelockt. Du hast gut reden, liebe Frau, Du hast im- mer Deine Geschäfte und vergissest das Ungemach des Lebens über der Arbeit – mich aber quälen immerwährend Sorgen, Entbehrungen und Dienst- Aerger aller Art; nur am Whisttische vergesse ich alle die Noth. Jch denke dann nur daran, wie ich spielen muß, um den Trick zu bekommen, und wie viele Honeurs das nächste Spiel mir bringen wird. Hätten wir Krieg, so würde ich nicht an den Spiel- Tisch denken; aber der Soldat findet da eine Art Schlachtfeld, wo er seinen Muth und seinen Com- binationsgeist zeigen kann. Lieber, theurer Mann, wir wollen eine andere Lebensweise beginnen; Deine Sorgen werden sich ja vermindern, wenn ich Dir mein Legat überlasse zur Bezahlung Deiner Schulden – unsrer wollte ich sagen! Jch dächte, das Legat würde mir ohnedies aus- bezahlt, fuhr Eduard auf, ich bin Dir keine Re- chenschaft schuldig, der Mann ist des Weibes Haupt. O Eduard, bedenke doch, daß ich als Mutter unsrer vielen Kinder das Recht habe, darauf zu bestehen, daß Du das Geld gut anwendest; o Edu- ard, ich werde bald zum siebenten Male Mutter! höre auf mich! Ha, das ist ein nichtswürdiges Schicksal! rief Eduard, mit dem Fuße stampfend. Wir können noch Freude an unseren Kindern erleben, schluchzte Emilie, wenn wir sie zur Fröm- migkeit, zur Genügsamkeit und zur Tugend erziehen. Laß uns Pyrmont verlassen, der Arzt hat mir doch vom Baden abgerathen; laß uns fort von hier, wo Dir das Spiel mit seinen Versuchungen droht. Jch will es Dir nur gestehen, heute trieb mich die Angst in den Spielsaal – aber, Gott Lob, Du warest nicht da! O komm, laß uns abreisen! Das unterstandest Du Dich, Du spionirst meine Wege aus? schrie Eduard, nun hast Du Alles ver- dorben! Jch wäre vielleicht abgereis't, ohne zu spie- len, ich hätte mich durch Dich an ein elendes Philisterleben fesseln lassen; aber nun bist Du selbst Schuld, wenn ich spiele, Du hast Dich gegen mich vergangen – ich bin Dir keine Rücksicht mehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik102_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik102_1845/1
Zitationshilfe: Tübinger Chronik. Nr. 102. [Tübingen (Württemberg)], 25. August 1845, S. [409]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_chronik102_1845/1>, abgerufen am 17.05.2024.